Empfehlung mit Vorbehalt

Georgien

Irgendwas mit Hunden. Und den Sardinen und den Fischern mit ihren Angeln und sonst nicht viel zu tun. Das wär Batumi gewesen.

Da steht sie, die Medea. Quasi noch daheim, bevor man sie über s Schwarze Meer in die Fremde mitgenommen hat. Und weil sie wusste, dass es drüben kühl wird, nimmt sie sich ein Fleece mit. (Im Gegensatz zu mir/Der ich frier.)

Und dann das Nicht-Schlafen-Können, das nächtliche Aufwachen und die Geschichte mit den Gelsen in der Nacht. Wo ich dann nicht einfach zum Buch greifen kann, weil ich hab mich zwar im Großen und Ganzen an den Stephen K. gewöhnt, aber ich bin immer noch nicht wirklich bereit, mitten in der Nacht mich auf IT einzulassen. Da kann ja irgendwas kommen. Und wenn das jetzt auch schon ein bisschen her ist, dass etwas war, was mich wirklich gegruselt hat, hinterlässt mich s manchmal doch in einer Stimmung, in der ich dann nicht besser einschlafen kann als ohne.

Letztlich war s wahrscheinlich einfach das, dass ich kein Fenster hab und da in meinem Zimmerchen sozusagen die Sinn… wie heißt das? Wenn sie einem die Reize wegnehmen und man mit seinen Sinnen nur noch ins Leere greift. Reizreduktion? Erlebnisvakuum? Erfahrungsnichts? Sinnesentzug! Da lieg ich und hab schnell kein Gefühl mehr dafür, wie spät es ist. In der Nacht hab ich eher Gelsen gejagt, weil da waren ein paar, die haben mich einfach verrückt gemacht und schnell hatte ich einen Dippel am Finger und dann hat s mich eh schon überall gejuckt. Und dann hab ich immer ein paar erwischen müssen, bis ich das Gefühl hatte, jetzt hab ich sie alle erwischt.

Wenn ich dann mal einschlaf, zwischendurch, wach ich eine Stunde später wieder auf, weil mir so ein Biest über s Ohr fliegt und bazoom! ich bin wieder wach. Und dann bin ich so wach gewesen, wie man halt wach ist, wenn man wach ist. Hab ich ein paar Gelsen erschlagen und dann bin ich irgendwann auch wieder eingeschlafen, bis sich das ganze nochmal wiederholt hat. Und dann nochmal. Und immer sofort ins volle Bewusstsein hinein. Da hab ich mir noch gedacht, ob das der Kaffee ist, den ich in dem Australischen Kaffeegeschäft getrunken hab. Aber das war dann auch schon wieder zehn Stunden her gewesen und überhaupt reagier ich doch gar nicht so auf Koffein. Vielleicht war ich aufgeregt, hab ich mir zwischendurch gedacht. Weil ich ja doch, ich mein, immerhin. Weil ich ja doch auf die Fähre und ich hab ja keine Ahnung, wie das wird.

Letzten Endes war das Hotel sehr herzig. Weil halt grad gar nicht so recht Saison zu sein scheint und Batumi ist doch auf jeden Fall eine Strandurlaubsstadt, auch wenn der Strand nicht nur Kies sondern ganz schön grober Schotter ist. Aber im Schwarzen Meer gibt s halt keine Korallenriffe und keine Papageienfische die seit dutzenden Jahrtausenden Korallen in Sand zerkleinern. Und mit ein bisschen Kommunikationsschwierigkeiten in denen ich mich dann sogar an die Übersetzungssoftware gewendet habe, hab ich mein Gepäck für den Tag im Hotel gelassen, no problem. Beim Abholen hat der junge Mann an der Rezeption sich dann wirklich lieb verabschiedet und mir eine Happy road! gewünscht.

Fähre

Das hat dann gar nicht so lang gedauert. Trotzdem war ich natürlich ein bisschen nervös dann mit der Zeit.

Es ist sehr beeindruckend, wie groß alles ist ist. Ich mein, wir haben Züge auf der Fähre. Und LKWs noch und nöcher und jetzt, wo wir unterwegs sind, endlich unterwegs sind, spürt man eigentlich gar nichts. Gut, das Meer ist auch außerordentlich still, da tut sich nichts.

Ich war etwa um fünf an der Fähre. Ich hab die Kaunas schon im Hafen liegen sehen und war deshalb am Nachmittag schon aufgeregt und vorfreudig. Um sechs hat s geheißen, dass die Passagiere eingeschifft werden. Jetzt also eine Stunde früher dort. Und dann erst einmal ein bisschen gewartet. Viele waren wir nicht, eine Bank, darauf eine Handvoll Leute. Aber viele LKWs, die sich langsam unter der Brücke durchschieben und am Schranken ihre Papiere kontrolliert bekommen. Und was das dauert! Wir paar Passagiere sind da sicherlich eher die Ausnahme gewesen und sicherlich nicht oben auf der Prioritätenliste. Die Fähre, hab ich später festgestellt, sieht sich sicherlich nicht als Konkurrenz zu anderen Fortbewegungsmethoden. Die haben ihre Nische und die Nische ist LKWs und Waggons von Georgien nach Ukraine zu bringen ohne durch Russland zu müssen. So sind wir dann erst einmal länger gesessen und weil neben mir zumindest Leute waren, die die Sprache verstanden haben, in der die Polizei ihre Bemerkungen gemacht hat, hab ich darauf vertraut, dass das schon passt. Kein Problem. Inmitten dieser — wie ich annehmen durfte — Mitreisenden, vertrau ich darauf, nicht sitzen gelassen sondern vielmehr vom gemeinsamen Aufbruch mitgetragen zu werden. Und wenn da die riesige Kaunas im Hafen steht, dann wird die schon nicht abzischen, ohne dass ich s mitbekomme.

Selbstportrait mit Rucksack und Fähre

Um dreiviertel sieben hab ich dann mal bei der Polizei gefragt, ob denn, wie denn das sei, ob wir jetzt zuerst einmal alle LKW an Bord haben wollen oder was. Und da sind sie mir schon ein bisschen ausgewichen, ich glaub mehr, weil ich da mit dem Englisch daherkomme, weil ich mach ja sonst keinen besonders bedrohlichen Eindruck, ist ein Eindruck. Aber einer hat dann zumindest gesagt one hour und ich hab mir gedacht: super. Also nicht „super“-super. Aber zumindest ein Plan, eine Perspektive. Kann ich mich hinsetzen und ein bisschen lesen. Auch wenn s dunkel ist, ich bin ja nicht allein.

Kaum eine halbe Stunde später hat s dann geheißen, tschopp-tschopp!, auf geht s. Also, nicht dass es das wirklich geheißen hat. Aber die um mich sind aufgesprungen und haben ihre Gepäcksstücke zum Schranken gezerrt. Also ich auch auf und Schranken, hallo, Pass, Ticket, Austria, ja, ja, vielen Dank. Und durch die Schranke. Aber natürlich wiederum nicht unbedingt die Passagierfähre in erster Linie und so stapf ich quasi durch s Industriegelände. Und dann neben den meterhohen Waggons vorbei, die schon in die Fähre geschoben worden sind durch zum Lift und ding! steh ich in einer Hotelrezeption, dass man fast vergessen könnte, das wir auf einem Schiff sind. Bisschen niedriger vielleicht, als man s gerne bauen würde. Aber insgesamt hübsch. Und da kriegen wir alle unsere Zimmer, wir kriegen eine Nummer auf den Pass und eben eine Schicht und einen Tisch zugeteilt.

Da liegt das Meer so vor einem, wir pflügen gleichmäßig und scheinbar anstrengungslos durch s Wasser. Die Oberfläche ist dunkel wie Tinte und es ist keine Überraschung, dass das hier den Namen Schwarzes Meer bekommen hat. Aber dann sehe ich plötzlich eine Form unter der Wasseroberfläche und zuerst ist das erstaunlichste einfach, wie klar das Wasser ist, das eben noch wie dicke, schwarze Flüssigkeit gewirkt hat. Das Gehirn sucht nach einer passenden Reaktion als ich die Form als Delfin identifiziere. Irgendwas mit Freude und Glück, bitte. Tatsächlich springt da ein Delfin neben dem Schiff aus dem Wasser, der von unter dem Boot heraufgetaucht ist. Mit der Rückenflosse das Wasser schneiden und dann ein Sprung aus dem Wasser, noch ein Sprung und dann verliere ich ihn schon aus den Augen, weil er dorthin abdriftet, wo die Spiegelung der Sonne einen Blick auf s Wasser fast unmöglich macht. Im letzten Moment greife ich noch nach dem Telefon, aber mein Fingerabdruck wird nicht erkannt und da ist es eh schon, wie gesagt. Ich bin immer noch etwas verwirrt, wie ich auf diesen Moment reagieren möchte. Nochmal ein Delfin, denke ich. Und: es ist schon super, auf einem Boot, was ist es es wer, das gegen Im-Büro-Sitzen einzutauschen?

Schönes Wetter, Schwarzes Meer

Der Delfin war kaum einen Meter groß und ich glaube, er hatte einen klar abgesetzten hellen Bauch. Während ich so brüte, kommen noch zwei Delfine von backbord auf die Fähre zugeschwommen. Die Rückenflosse teilt das Wasser, dann ein, zwei Sprünge und sie tauchen unter der Fähre durch. Kein Sinn zu versuchen, auf die andere Seite zu laufen, da ist zu viel Fähre dazwischen. Aber ich schau noch ein bisschen auf das Schwarze Meer und denke an die Antike oder die Zukunft. An Delfine und Tauchen und auf einem Boot sein. An die warme Sonne auf meinem Gesicht und daran, dass ich noch einmal die Flip-Flops herausgeholt hab, obwohl ich mich von denen am Flughafen in Bangkok schon für den Winter verabschiedet hab.

Das Essen ist ok. Es ist eine Überraschung in erster Linie, dass wir zu essen bekommen. Ich hab extra noch ein Geld abgehoben gehabt, aber das muss ich jetzt wohl irgendwo wechseln. Wir essen in zwei Schichten, das wird ausgerufen. Die erste Schicht wird auf russisch und englisch ausgerufen. Ich bin mir nicht sicher, ob es überhaupt eine zweite Schicht gibt, weil die wird nur noch auf russisch ausgerufen und das versteh ich nicht. Kann auch ukrainisch sein, muss ich zugeben, weil wie gesagt, ich versteh s nicht und da könnte es beides sein. Aber in der ersten Schicht sind wir vier Ausländer. Zwei Amerikaner, der Koreaner, mit dem ich das Zimmer teile und ich.

Überraschenderweise haben sie mich in ein Doppelzimmer hochgestuft. Ich hab mich aus Kostengründen für das Dreierzimmer entschieden, aber sie scheinen da die Ausländer zusammenzutun oder vielleicht liegt eine andere Motivation dahinter, die sich mir nicht erschlossen hat. Auf jeden Fall sitzt in meinem Zimmer schon L., der Koreaner, der seit März in Osteuropa unterwegs ist und Anfang Dezember wieder nach Seoul zurückfliegt. Es ist eigentlich eh ganz nett, dass sie uns da zusammengesteckt haben. Insgesamt ist es nicht unwitzig, der Koreaner, der ein halbes Jahr durch Osteuropa getingelt und der Österreicher, der ein halbes Jahr durch Ostasien getangelt ist. Wir sind nicht ständig am Quatschen, aber wenn, ist s ganz interessant, so ein bisschen gegenseitig die Eindrücke abzutesten.

Schade aber, denk ich, dass ich nicht irgendwelche koreanischen Spezialitäten einstecken habe, das hätte ihm vielleicht eine Freude gemacht. Lustig auf jeden Fall, wie KoreanerInnen oft eher mit Erstaunen darauf reagieren, wenn ich sage, dass ich in Korea war. Ich sei vorher in Japan gewesen. Ah, sagt er, dann macht das schon mehr Sinn. Als ob Korea nicht einen Besuch wert wäre. Und wie lang? Nun, kaum eine Woche in Seoul. Das reiche dann aber auch schon wieder, sagt er. Naja, sag ich, es dauert schon, dass man die Kultur verstehen lernt. Oder überhaupt erst zu erkennen.

Aber natürlich bin ich auch mit einer ähnlichen Einstellung nach Seoul geflogen, dass das reichen müsse. Und jetzt hab ich immer ein bisschen ein… nicht gerade ein schlechtes Gewissen. Aber das Gefühl, dass ich Korea nicht wirklich gesehen hab. Es ist mehr so um eine Idee zu bekommen. Aber vielleicht ist es eh nie mehr als das. Immer nur eine Vorbereitung für den nächsten Besuch.

Dank GPS hab ich ab und zu mal geschaut, wo wir uns zirka befinden und so unsere Route grob dokumentiert

Und wir haben eine eigene Schiffszeit. Das ist witzig irgendwie. Letztlich ist das Schiff, auf dem ich die meiste Zeit verbracht hab, die USS Enterprise 1701-D und immer wenn ich irgendwelche Schiffsspezifika lerne, ordne ich die in meine Raumschiffkonzeption ein, weil das immer noch die ausführlichste vergleichbare Vorstellung von so etwas ist. Natürlich braucht s eine eigene Zeit auf dem Schiff, wenn man zwischen zwei Punkten mit verschiedenen Zeiten unterwegs ist.

Um zwei in der Früh (ich glaube Schiffszeit, also vier Uhr in Batumi, da lagen wir noch im Hafen) sagt die Dame mit der netten Stimme über die Sprechanlage, dass wir bitte zur Passkontrolle in die Bar runterkommen sollen. Leicht grummelig zieh ich mir Hosen an und rutsche von meinem Stockbett herunter. Wir sind die letzten in der Schlange. Vielleicht weil die Durchsage zuerst auf russisch gemacht wird und dann auf englisch wiederholt? Oder weil unser Zimmer das letzte am Ende des Gangs ist? Oder einfach weil wir keine Ahnung haben, wie da der Ablauf ist und die anderen alle LKW-Fahrer sind, die diese Strecke regelmäßig zurücklegen?

Was wir nicht die letzten in der Schlange sind, werden wir „überholt“. Die Leute hier am Schiff, die sind irgendwie nicht so gut mit dem Anstellen, das ist irgendwie was, da fehlt ein bisschen die Disziplin oder wie man das auch nennen will. Ist oft einmal, dass sich wer vordrängt, aber dann wiederum so nonchalant dass es so scheint, als bestünde da gar kein Unrechtsbewusstsein. Zum Beispiel der ältere Herr, der sich von hinter mir in der Schlange vor mir auf die Bank setzt, denk ich mir, der will sitzen. Aber er steht dann tatsächlich auf, als die Person vor mir fertig ist und lässt seinen Pass stempeln. Das fand ich schon frech. Aber soll ich mich jetzt echauffieren über sowas? Da konnte ich schnell loslassen. Viel schneller als das eine Mal in Armenien, als mir der Typ hundert Dram zu wenig rausgegeben hat für mein Brot, was jetzt keinen Unterschied machen würde, weil der Gegenwert so gering ist, aber das Brot hat nur hundert Dram gekostet und dann war das also doppelt so teuer und er reicht mir eine Handvoll Zwanzigdrammünzen auf meinen Fünfhunderter und natürlich zähl ich die nicht, aber…

Auf der anderen Seite dauert das bei den LKW-Fahrern doppelt und dreifach so lang, weil die nicht nur einen Pass gestempelt sondern auch ihre Fahrtpapiere kontrolliert bekommen müssen. Und trotzdem gelassen, fast gleichgültig gegenüber dem Vordrängen. Nicht nur, weil da so viele große LKW-Fahrer sind, die har-har-har lachen, Jogginghosen tragen und deren säuerlicher Körpergeruch selbst Schweißfüße hat. Da komm ich ein bisschen ins Nachdenken über Männlichkeitskonzepte und darüber wie sehr anderen den Platz geben, diese anderen in dem Gefühl bestätigt, sie könnten sich schon nehmen, was sie wollen. Wer bin ich, dass ich anderen Leuten Grenzen setzen soll, wo s mir doch bei mir selbst schon so schwer fällt, hier mit Augenmaß vorzugehen, rechtfertige ich meine Passivität. Und überhaupt, wir kommen ja eh erst los, wenn alle erledigt sind. Literally: alle im selben Boot. Erst wenn der letzte Pass gestempelt ist kann die Grenzpolizei von Bord und erst dann können wir loslegen. Und ob ich jetzt in meinem Stockbett liege und warte oder irgendwo steh und warte, kommt ja auf s gleiche raus, ganz ehrlich.

Angeblich sind wir um fünf dann los, da bin ich schon längst wieder im Bett gelegen. Hab ich nichts bemerkt. Der gesprächigere von den zwei Amerikanern, die mit uns am Tisch vierzehn (erste Schicht) gesessen sind, hat das erzählt. Aber ich hab nicht gefragt, ob das Schiffszeit oder Batumizeit war. War nicht so wichtig. Wir sind jetzt erst einmal unterwegs gewesen und das hat gedauert. Am ersten Tag war s Wetter noch hübsch und die Delfine unterwegs. Am zweiten Tag war das Wetter dann schon mehr so, wie s mich dann in Odessa auch empfangen hat. Also mehr so bisschen diesig und nicht so schön, windig, bewölkt, kühl. Da bin ich aber ganz schön weiter gekommen, in meinem Stephen King.

Zwischendurch halt immer mal eine Mahlzeit. Drei Mahlzeiten am Tag! L. und ich bekennen einander, dass wir schon lange nicht mehr mit so einer Regelmäßigkeit oder vielmehr mit so einer Häufigkeit gegessen haben. Lachend und mit Schwung springe ich auf die Stimme über die Ansagenanlage von meinem Bett und schlüpfe in die Schuhe. Sicher zwei,-, dreimal mit der Bemerkung, dass es nichts anderes zu gäbe, als Essen und Schlafen. Wie bei den Großeltern. Auch das funktioniert zwischen Seoul und Wien. Wir warten immer die englische Übersetzung ab, auch wenn ich anhand einiger Schlagworte aus der russischen Durchsage bereits die Einladungen zum Essen erkenne. We wish you bon appetit. Please don’t be late.

Schlechtes Wetter, Schwarzes Meer. Sicher zwei Drittel der Decks waren auch einfach abgesperrt. Man konnte weder am Heck stehen und in die Spur starren noch im Bug stehen und sich gestreckter Arme als König der Welt ausrufen.

Am zweiten Tag, noch vor der vierzigsten Stunde, die wir auf… ab wann ist es „hohe“ See? Auf jeden Fall leuchtet uns Odessa entgegen. Also zuerst sieht man den Himmel schimmern, die nächtliche Helligkeit Odessas, die die darüberliegenden Wolken in gelb-rosa Schimmern taucht. Nehm ich an, weil wir sitzen beim Essen, als nach und nach Telefone zu Klingen beginnen. Wir kommen wieder in Reichweite der Telekommunikationsnetzwerke! Und tatsächlich leuchtet dann nicht nur der Himmel sondern bereits auch erkennbare Lichter am Horizont. Und es ist nicht Odessa, auf das wir zusteuern sondern Chornomorsk. Weil da ist der Hafen, an dem die LKWs von Bord wollen und die Waggons eine Lokomotive finden, die sie wieder durch das Bahnnetz zieht. Hurrah, sag ich, das geht sich ja super aus. Weil ich hab schon gefürchtet, erst im Morgengrauen anzukommen und dann erst recht verloren ins Land blickend am Ufer zu stehen. Aber jetzt, jetzt wird sich das locker ausgehen, dass wir um zehn im Hostel sind.

Chernomorsk am Horizont

Ukraine

Ist natürlich ein Irrtum. Als ob ich den langwierigen Eincheckprozess von vor kaum eineinhalb Tagen komplett vergessen hätte. Weil erst einmal dauert s natürlich, bis das Riesenschiff in die Hafeneinfahrt ist und dann umdrehen und rückwärts in die… Bucht. Was auch immer. Und langsam, so langsam. Das ist schon beeindruckend, da könnte ich stundenlang zuschauen und hab ich wohl dann auch. Auf dem Meer, denke ich, auf dem Meer merkt man ja nicht so, was für ein Riesentrumm diese Kaunas ist. Aber am Ufer dann, relativ zu den Hafenanlagen gleich wieder enorm riesig. Und da muss man natürlich langsam vorgehen. Ich denke wieder an Star Trek oder vielmehr an Perry Rhodan, wo die Anlegemanöver immer Stunden gedauert haben und ich mich immer gefragt hab, was die da machen, stundenlang. Weil eben in Star Trek haben sie die Zeit nicht, selbst in der Space Odysee geht das relativ flott. Aber in so einem Roman schreibt sich natürlich schnell einmal, dass sie acht Stunden später wieder terranischen Boden unter den übergroßen Mäusefüßen hatten. Mit was für einer Vorsicht und Geduld eben.

Die aufregende letzte Minute des Anlegemanövers. Das Betonerne ist das Dock, das Blaue ist die Kaunas. Und ein bisschen überraschend, dass es kein Geräusch macht, wenn so ein Schiff stehen bleibt. Kein Klatschen, kein Zischen… Nicht mal das langsame Abklingen der Motoren folgt dem Stillstand.

Eben Geduld. Aber das sind mechanische Notwendigkeiten oder kann ich als solche verstehen. Dass wir dann schon wieder stundenlang Schlange stehen, weil die ukrainische Grenzmiliz natürlich auch nicht irgendwen ins Land lassen will und schon gar nicht irgendwelche LKWs, das ist eher nervig. Diesmal haben sie s nicht mal mehr auf Englisch durchgesagt und wir finden das nur zufällig heraus, während wir mit sich reduzierender Aufregung über die Decks laufen, dass die Leute da zur Passkontrolle anstehen und nicht in den Startlöchern um in ihre Autos zurückzudürfen.

Mein Milizbursche dreht und wendet meinen Pass in der Hand. Vielleicht ist das vis-a-vis Nationalstolz und sowas schwer, aber ich würde ja raten, auf die Vorderseite des Passes bereits das Wort Austria zu schreiben. Niemand weiß woher der Pass kommt. Groß Austria und Europe. Und dafür den hässlichen Feudaladler weglassen mit diesem furchtbaren Kommunismus-überwunden Relikt. Das hilft. Man muss es sich ja nicht gegenseitig schwer machen. Oder halt den jeweiligen Grenzkontrollen. Vor allem, wenn man sagt, dass das ein verhältnismäßig guter Pass ist, in dem Sinne, dass er einem viele problem- und manche visafreien Eintritte erlaubt. Dann soll man doch bitte das auch im Design vielleicht erkennbar machen.

So dreht und wendet er den Pass, fragt mich, ob ich Russisch spreche, was ich verstehe, aber auf Englisch verneine. Ich glaube, ich hab meine Russischkenntnisse sogar auf Spanisch ausgedrückt, um mich möglichst weit von einem russischen Interview zu distanzieren. (Und ja, ich verwende hier überall schon Russisch als Synonym für Ukrainisch. Ich kann s nicht unterscheiden. Und der Grenztyp hat mich sicher nach Russisch gefragt, also was soll s.) Wendet er sich an seine Kollegin, die hinter ihm irgendwas in einen Computer tippt. Die nimmt den Pass, er sagt ihr schon Austria, was er auf der zweiten Seite schon herausgefunden hat. Sie blättert den Pass durch, mit dem Daumen, so man offenbar in der internationalen Grenzadministrationsschule lernt, einen Pass durchzublättern. Schrubb-schrubb-schrubb-schrubb-schrubb. Wo ich hinfahre, fragt sie mich. Ob ich allein reise, fragt sie mich. Das versteh ich allerdings nicht sofort: You travel one? Ah, sag ich, als sie mit girlfriend, friend Beispiele für Nicht-Allein-Reisen nennt. Ja, alone. Schulterzuckend gibt sie den Pass dem Kollegen zurück, der eine leere Seite sucht und seinen Stempel setzt. Welcome to Ukraine, leidenschaftslos.

Das war noch halbwegs lustig. Dann verlassen wir das Schiff und die Pässe werden nochmal kontrolliert. Bus, werden wir zu einem Bus verwiesen. Ich bin mir sicher, dass der nur um die Ecke fahren wird, sag ich zu L. während wir im Bus auf s Losfahren warten. Nach zehn Minuten fährt der Bus nicht einmal drei Minuten um die Ecke zur nächsten Kontrollstation. Hier betreten wir ein Haus, in dem wir erst einmal wieder fünf Minuten vollkommen alleingelassen herumstehen. Mit uns wartet auch eine Familie, die wirkt, als ob sie von Georgien nach Ukraine übersiedeln würden. Zusätzlich zu ihren Koffern bringen sie säckeweise Klumpert und sogar eine in ein Plastiksackerl eingewickelte Topfpflanze mit sich. Ich weiß nicht, ob sie besser wissen, wie der Immigrationsprozess abläuft, sprachlich sind wir einander nicht erschließbar.

Ein letzter Blick zurück in den Ladebereich der Fähre. Da gehen, wie man sieht, die Geleise hinein und da waren ja auch tatsächlich Eisenbahnwaggons geladen. Darüber war noch eine zweite Ebene, auf der die LKWs gestanden sind.

Irgendwann werden wir ins nächste Zimmer geleitet und dann wieder hinausgescheucht: Bitte Abstand zu halten, hier wird geröntgt, hier arbeiten Professionelle, bitte das ernst zu nehmen. L. steht günstig und ist schnell erledigt. Ich stecke in der Familie fest (typisch!) und die Gleichgültigkeit gegenüber effizienten und geordneten Verwaltungsprozessen zeigt sich auch, wie ich finde, darin, dass niemand von ihnen sagt, da, geh vor, das geht schneller. Und ich tu ihnen unrecht. Weil einer der Söhne deutet mir kurz darauf, da, geh vor, das geht schneller. Danke, nicke ich, durchaus etwas schuldbewusst. Ich hatte gerade genug Zeit, mich in dieser diagnostizierten Gleichgültigkeit ein bisschen hochzustrudeln, dass ich mich fast geärgert habe darüber, dass sie mir nicht anbieten, doch schnell vor ihnen durch die Kontrolle zu huschen. Ohne natürlich von meiner Seite her auch nur irgendwie anzudeuten, ob ich nicht…

Na und dann stehen wir in einem Industriehafen. Oder wie auch immer man das nennen möchte. Wir stehen im Nichts. Vor uns steht ein Großraumtaxi aber wir haben beide kein Geld. Immerhin haben wir einander, denk ich mir und überlege, dass ich dank L. weiß, dass es einen Bus gibt, dank L. überhaupt einen Plan habe, weil ich vergessen habe, mir den auf s Telefon zu laden und… und was hab ich zu bieten? Auf jeden Fall ist es um halb elf in der Nacht in einem fremden Land angenehm, jemanden dabei zu haben, ob sich der jetzt auskennt oder nicht. Und wir beschließen einmal zur Busstation oder zumindest zur „großen Straße“ zu gehen, dort finden wir dann vielleicht…

Als erstes stellen wir fest, dass die „große Straße“ eine Brücke ist, auf die wir rauf müssen. Das ist ein bisschen ein Umweg, vor allem, weil wir den kurzen Weg erst von oben erkennen, erst erkennen, nachdem wir die Ziegenherde umrundet haben, die hier in der Nacht grast. Über die Brücke, den Lichtern entgegen. Das schaut ja nicht so schlecht aus. Und es ist nicht soooo kalt. Und es regnet nicht. Auch wenn s auf elf zugeht, wir sind optimistisch. Das Licht ist eine Tankstelle und dahinter ist eine Bar, die ein bisschen an From Dusk Till Dawn erinnert, aber das ist nicht überraschend, weil immerhin ist das alles eher Truckerland. Auch wenig überraschend ist, dass da heute kein Bus mehr zu fahren scheint. Zugegeben, es wirkt ein bisschen trist. Noch zur nächsten Tankstelle, frage ich? Vielleicht können wir dort ein Taxi rufen, wenn wir keins finden. Aber da hat L. schon die Hand ausgestreckt und das nächste Auto blinkt und fährt auf uns zu… um dann doch nicht stehenzubleiben. Aber schon das nächste, ein VW-Bus, ein vielleicht roter VW-Bus bleibt stehen. Odessa?, fragt L. in den Bus hinein. Sicher, sagt der Fahrer, steigt s ein. Er sagt das auf Russisch. Die Verständigung beschränkt sich auf ein Minimum, aber wir kommunizieren dank Telefon, wo wir zirka hinmöchten. Ziemlich sicher, dass der Fahrer dort nicht hinmusste, das war einfach nur eine mich nach wie vor erblassen lassende Freundlichkeit, dass uns der zum Bahnhof geschupft hat. Aber er hat uns geschupft. Und während ich anfangs mit meinem GPS ein bisschen gecheckt hab, ob uns der eh nicht auf seine Organfarm entführt, hab ich mich irgendwann auch genug entspannt um zu finden, dass die Musik im Radio genauso klingt wie die Elektropop-CD, die ich 1996 in Moskau gekauft hab. Oder vielleicht hat mir die Vertrautheit der Musik auch die Sicherheit vermittelt.

Es ist nicht mal halb zwölf und wir stehen wir dank the kindness of strangers in Odessa am Bahnhof. Und dann gibt s noch ein Internet und ich krieg die Straßenkarte von Odessa auf mein Telefon und eine Wegbeschreibung und alles picobello. Danke, sag ich, das hätte ich nicht geschafft. Und wir verabschieden uns in verschiedene Richtungen. Meine Sorge ist jetzt nur noch, ob das Hostel noch offen hat und ich beeil mich ein bisschen, um vor Mitternacht da zu sein. Oder auch, weil das alles ein bisschen märchenhaft glatt gelaufen ist und ich Gefahr laufe, dass sich meine gläsernen Schuhe in Luft auflösen. So laufe ich mit meinem Rucksack durch s nächtliche Odessa und finde alles eigentlich sehr ansprechend. Der Boden ist uneben, aber die Lichter freundlich und die Luft gerade erfrischend genug, nicht kalt zu sein. Das Monument von Peter und Gavrik weist mir den Weg nach links und wie ganz viele meiner Gespräche, die ich mit Leuten hier führe, antworte ich auch der Stimme durch die Hostelgegensprechanlage mit sorry. Weil es ist ein bisschen spät, aber ich hätte da diese Reservierung. Sicher, kein Problem.

Am nächsten Morgen wecken mich die Kinder, die im Hof in ihren Jacken und Mänteln Volleyball spielen, von einem weißhaarigen Trainer begleitet, der ab und zu in seine Pfeife bläst. Wunderbare Osteuroparomantik.

Off with the fairies

Wieder ein Flughafen, wieder ein Aufbruch. Diesmal bin ich aber wirklich etwas länger unterwegs und vielleicht ist das auch symbolisch irgendwie. Oder so herum: vielleicht will man da auch irgendwas symbolisches drin erkennen. Immerhin verlasse ich die Tropen, hab ich festgestellt, als ich mir heute Morgen beim Das-letzte-Mal-den-Strand-entlang-Gehen beinahe einen halbseitigen Sonnenbrand geholt hätte. Da setzen sich die Leute echt noch in die Sonne mit ihrer Joghurthaut! Das hat mich wirklich ein bisschen überrascht, dass Leute immer noch dieses Urlaubsbild haben, dass sie sich am ersten Tag mit einem Buch in den Sand setzen müssen. Und die, die sich nicht ganz der Illusion hingeben, dass das an sich eine gute Idee wäre, die schmieren sich eh zentimeterdick mit Sonnencreme ein, dass man die Molke kaum durchschimmern sieht. Man mag darin auch eine Arroganz sehen, weil ich doch seit Monaten unter Palmen schlender und deren ja längst indifferent geworden mögen… habe… sein. Aber ich hebe den Arm und strecke den Finger gen Himmel um das Augenmerk darauf zu lenken, dass ich das vor einem Jahr so ähnlich gesehen hätte. Und in der Tat hab ich kaum jemals Zeit am Strand verbracht und ich würde sogar sagen: das ist das erste Mal seit Australien, wo ich das mal probiert habe und dann wieder raus bin, weil ich das Meer ganz allein plötzlich als unheimlich empfunden habe, das erste Mal, dass ich an so einem Strand entlangspaziere und zumindest anderen Leuten dabei zusehe, wie sie sich dem Am-Strand-Sitzen hingeben. Also ja: immer noch dieses Urlaubsbild haben.

“To take a photograph is to participate in another person’s (or thing’s) mortality, vulnerability, mutability. Precisely by slicing out this moment and freezing it, all photographs testify to time’s relentless melt.” (Susan Sontag (1973) On Photography, p.19)

Vielleicht ist es auch, weil ich ja in meiner expliziten Strandsitzaversion seit Jahren die Sonne als den nächsten großen Public Health Faktor vorauszusagen versuche. Also, vorauszusagen versuchen geht so, dass man s einfach so lange sagt, bis es eintritt, nicht wahr. Ich denk mir, bevor sie Alkoholfolgenfotos auf Flaschen kleben, werden sie eher den Solarkrebs ins öffentliche Bewusstsein rücken. Aber scheinbar gibt s bei den Zigaretten eh noch genug zu tun. (Bravo, so nebenher, dass sich Österreich zu einem Verbot durchgerungen hat…)

Anyway. Sonnenbrand in Südthailand: Ich hab ja relativ schnell einmal viel Freude dran gehabt, dass die Massagesalons Aloe-Vera Massagen anbieten.

Aber sonst, ich mein, es fangt ja wirklich erst an. In den letzten Tagen sind die Restaurants langsam voll geworden, abends sitzen jetzt ein paar Leute vor den Bars aus denen lauter Neunzigerpop dröhnt, auch der Strand füllt sich wie gesagt und selbst unser Tauchboot war schon wirklich so voll, dass es sich langsam für meinen Tauchshop echt auszahlen wird, ihr eigenes Boot zum Laufen zu kriegen. Weil das ist so, dass in der Nebensaison, da fahren jeden Tag nur zwei, drei Boote raus, war mein Eindruck. Da mieten sich quasi die verschiedenen Tauchschulen dann bei denen ein, die sagen, dass sie sowieso fahren und das ist dann auch in Ordnung für alle. So ein Tauchboot ist ja quasi die halbe Miete, da muss ja auch eine Crew bezahlt werden und ein Tank und die ganzen Tanks erst. Weil dass ich hier die schicksten Tauchboote befahre, die ich in meiner kurzen Karriere bisher befahren habe, hab ich das schon gesagt? So, wo wir zwanzig Gäste sind oder was und nochmal zehn InstruktorInnen oder FührerInnen. Und dann die Boys, weil auch hier hat s Boys, irgendwer muss ja die schlecht bezahlte Arbeit machen… Und einen Kapitän und dann sind wir eh vierzig Leute auf so einem Boot. Und wir sind auch ein, zwei Stunden bis zu unseren Tauchstätten unterwegs. Und dann gibt s Snackereien und ein ordentliches Mittagessen, weil wer taucht brennt Kalorien oder zumindest wird man müde davon, weil man zu viel Stickstoff im Blut hat und ich nehm an, es transportiert dann weniger Sauerstoff? Das müsste man wohl nachschauen.

Wenn die Sonne scheint und ich schau vom Boot ins Wasser, dann laufen die Strahlen so an einem Punkt zusammen. Wenn die Sonne hinter mir steht, ist dieser Punkt ziemlich dort wo meine Augen sind. Das kann man sicher mit einer Handvoll Oberstufenphysik erklären…

Na und das war jetzt auch voll, zuletzt. Und ja, da mischen sich dann die ÖsterreicherInnen (im Restaurant unverkennbar dank der Phrase can we pay?) und die SpanierInnen und die Deutschen und die SchweizerInnen und zwischendurch einmal drei Inder oder eine Chinesin. Aber eher noch das ganze Boot voll mit SchwedInnen. Das ist ja auch ein bisschen eine Überraschung, wenn die plötzlich in der Gruppe auftauchen. (Witzig übrigens, dass ich am Flughafen total viele ItalienerInnen zu hören bekomme, was am Boot nie vorgekommen ist.) Manchmal catern gewisse Destinationen schon sehr eine bestimmte Nationalität, dass am Hafen groß ein Swedish Restaurant angeschrieben und Schilder groß zum Snus Geschäft verweisen, das kommt unerwartet. Aber ich nehm an, das sind halt, so wie meine PolInnen, Leute, die sich sagen, na, machen wir halt ein schwedisches Restaurant auf einer thailändischen Insel auf, weil ich hab keine Lust mehr auf kalte Füße.

Aber wenn s Boot so voll ist, ist es mir eh fast gleich, wer da ist, bin ich schnell ein bisschen am Rückzug. Ich drück mich gerne ein bisschen bei den InstruktorInnen herum, einerseits, weil das überall die coolen Mädels und Burschen sind, aber auch, weil ich s interessant find, wie die das so machen und wie ihre Biografien so ausschauen. Ich mein, manchmal bin ich auch sehr umständlich, wenn ich einmal von einer ein bisserl sehr hingerissen bin, kommt ja auch vor. Da bin ich schnell wieder sehr verloren. Und dann gibt s die, die s mit der Lässigkeit vielleicht einmal ansatzweise übertreiben, je nach Tätowierungen, Gehabe und sonstigem Körperschmuck, denen geh ich ja dann auch einmal absichtlich ein bisschen aus dem Weg. Zu meiner Überraschung hebt ein kurzes Gespräch über der Frage in welchem Kübel der Anzug zu waschen wäre oder wo jetzt wieder das Spülmittel für die Masken sei, das erste Douche-Urteil dann doch oft als falsch auf. I guess das ist ein bisschen Teil von dieser Erfahrung, wo ich nach dem zweiten Tag einen anderen Eindruck hab als nach dem ersten und wo der dritte dann noch eine Überraschung bietet, die am vierten relativiert wird…

Das einzige, was mit einiger Sicherheit passiert, ist, dass sich die Haie nicht gezeigt haben. Oder die Mantas. Oder die Walhaie. Also alles was so unter die Kategorie der pelagial creatures fällt, quasi die echten MeeresbewohnerInnen, nicht nur die Rifffischchen. Aber da gibt s natürlich die Plätze, wo man sagt, da kommen sie vorbei, hier lassen sich die fünf Mantas putzen, hier hängen die Schwarzspitzenriffhaie üblicherweise vorbei und dort ist heute von wegen Planktonströmung vielleicht ein guter Tag, dass ein Walhai vorbeischaut. Und da starr ich dann einmal eine halbe Stunde lang into the blue, wie man sagt, und kann meine Aufregung über die Möglichkeit buchstäblich am Finimeter ablesen, weil Spannung braucht Luft. Aber halt Mal für Mal nix gewesen. Und da kann man sich da natürlich nicht beschweren. Aber wenn mich eine Instruktorin fragt, wie mein Tauchgang war dann zöger ich vielleicht doch so ein bisschen, weil ich quasi „nur das übliche“ zu sehen bekommen habe, obwohl ich ein bisschen auf pelagisches gespitzt hab. Sagt sie I believe you have expectations. Und sie meint das, glaub ich, als etwas negatives. Und das ist aus dem Buch: Leute, die die gleichen Wörter verwenden, aber etwas anderes damit meinen. Hab ich mich gefragt, ob das vielleicht was buddhistisches ist, weil da ist ja das ganze mit den Ansprüchen und den Erwartungen, die dann allesamt ständig enttäuscht werden und nie passiert da, was man gerne hätte… das spielt ja eine andere Rolle dort. Aber wie gesagt, eigentlich sind in der Gegend die Leute ja muslimisch und ich weiß nicht, wie der Islam mit dem Terror enttäuschter Erwartungshaltungen umgeht.

Die Muräne / Fletscht die Zähne / Und macht von tief aus ihrem Trichter / Von unten rauf böse Gesichter.

Und ja, das war eine thailändische Instruktorin. Das ist ja überhaupt so ein Ding, dass relativ wenige Einheimische in den (presumably) besser bezahlten Jobs arbeiten. Ist natürlich ernüchternd, dass von dem Tauchtourismus dann wieder die europäischen AussteigerInnen profitieren. Und natürlich haben auch die Restaurants und die Hotels und die Tourguides was davon, wenn jemand auf seinen Tauchurlaub vorbeikommt. Aber mein Geld ist zumindest vor allem an meine PolInnen gegangen. So wirklich ist mir das auch erst aufgefallen, wie mir die PolInnen den Wale als Guide mitgeschickt haben, der auf Ko Lanta aufgewachsen ist und der da für ihn selbst überraschend nämlich, plötzlich ein Tauchguide geworden ist. Aber natürlich bin ich dann, als ich ersteinmal draufgeschaut hab, eh schon wieder draufgekommen, dass es viel mehr thailändische InstruktorInnen gibt, als ich zuerst gedacht hab. Nur dass ich die halt nicht bemerkt hab, weil die weniger mit den Touris am Sonnendeck abhängen und eher vielleicht mit den Boys. Sagen wir ein Drittel.

Und zwischendurch wieder ein Franzose, mit dem ich mich gleich wieder gern unterhalten hab. Den haben sie uns als Fotografen mit an Bord gegeben und… ja. Schwer zu sagen. Ich hab ja dann mal gedacht, ob das mit den FranzösInnen vielleicht auch mehr so ist, wie mit den AmerikanerInnen, dass die, die man im Ausland trifft, eh nett und rücksichtsvoll und witzig sind. Oder auch nur, dass mir bei den einen wie den anderen die sympathischen eher auffallen als die anstrengenden. Auf jeden Fall ist er selbst in den kleinen Unterhaltungen, die wir so zwischendurch haben so angenehm französisch.

Bei diesem Typen hab ich mir übrigens schon vor ein paar Jahren mal so diese Idee aufgerissen, dass alte Franzosen irgendwie einen sehr speziellen Charme haben können. (Aus „Jodorowsky’s Dune“)

Mah, und meine Zehe hat sich wieder erholt, nachdem ich sie mit Karacho gegen den Gehsteigabgrenzungsboller gestoßen hab, manchmal drückt s immer noch unangenehm, wenn ich sie blöd erwische. Da frag ich mich dann, was man sich alles verletzen kann, wie unbemerkt man sich die Zehe brechen kann. Mehr Problem macht allerdings die Haut, weil da muss man sagen, das Tauchen, die Sonne und das Meer, das verlangt schon seinen Zoll. Die Haare hab ich sogar halbwegs im Griff, das schicke Boot erlaubt ja, dass ich mir nach jedem Tauchgang schnell einmal ein bisschen das Salz rausspühl. Aber ständig trockene Hände, meine Nagelbetten sind ausgefranst wie Rotwild im Frühling! Es ist wirklich nicht einfach. Da hab ich mir am letzten Tag noch eine Ölmassage gekauft, da hab ich mir gedacht, das hilft vielleicht. Auf jeden Fall bin ich unter den Schraubstockhänden der Masseurin beinahe gestorben, während sie und die Kollegin herzhaft über mein Ächzen und Stöhnen gelacht haben.

Und dann noch zwei, drei Sachen, die ich schon ein bisschen mit mir herumtrage, so aus: verschleppte Irrtümer. Wasser scheint man im Buddhismus quer durch die Bank als Opfer zu geben, was ich als bisschen brutale Opfergabe für die Atombombenopfer empfunden habe, ist gar nicht spezifisch in Erinnerung an deren qualvolles Verdursten. Ich mein, der Springbrunnen immer noch, aber vielleicht nicht unbedingt die Wasser.

Ah ja. Das andere war mehr so was, wo ich sag: oh schau, die progressive, emanzipatorische Kraft des Nationalismus, quelle surprise! Dass ich aber um die halbe Welt fahren sollte, für so ein Bild. Jetzt kann man natürlich sagen, die österreichische Herrschaft über die östlichen Nachbarn, das war vielleicht schon was anderes als die japanische Besetzung Koreas, natürlich sind die Rahmenbedingungen da ganz was anderes. Aber aus einer – sagmaramal –tschechischen Perspektive wird man da vielleicht auch leichter eine emanzipatorische Kraft dahinter erkennen. Wie gesagt, was sicher anders ist und weshalb ich mich dem koreanischen Nationalismus näher empfinde, ist, dass er halt nach wie vor ein progressives Ziel verfolgt in der Vereinigung der zwei Hälften Koreas. Und das ist ja etwas, was auf beiden Seiten ein Ziel ist, das – so scheint s mir – die entlang der Kalter-Krieg-Dichotomie gespaltene Politik der beiden Staaten transzendiert. Auf der anderen Seite gibt es in Mitteleuropa kaum ein Land, wo ich aus dem distanzierten (und österreichisch getrübten) Perspektive sagten würde, dass die ein besonders elegantes Verhältnis zum Nationalismus hätten. Serbien, Kroatien, Ungarn, Polen… Und ich mein zuhause ja auch nicht jetzt besonders. Das kann schon sein, dass das damit zu tun hat, dass sich die Fantasie vom eigenen Nationalstaat kaum jemals hat so wirklich umsetzen lassen. Ein Gefühl der Fremdbestimmung vom nächsten abgelöst. Aber ich nehme an, da sind wir auch wieder ein bisschen bei den unterschiedlichen Voraussetzungen.

Manchmal kommen wir einfach zu weit weg vom Boot wieder an die Oberfläche. Aber immerhin ist die Szenerie ja ganz hübsch, durch die ich da strampeln muss.

Währenddessen zieht ein ziemliches Gewitter über den Flughafen von Krabi. Da sind ein paar recht beeindruckende Blitze nah genug eingeschlagen, dass wir den Donner quasi zeitgleich bekommen haben. Umso eindrucksvoller, als die Hauptbeleuchtung ausgefallen ist. Hinter mir sitzt ein spanisches Pärchen, die vorher laut irgendwelche spanischen Talkshows geschaut haben, aber als sie dann beim fünften, sechsten Blitz zum jammern begonnen hat („Ay!“), da hat er dann angefangen psch-psch zu machen. Hab ich mir auch gedacht, das ist schon ein männliches Verhalten.

Und dann war ich in Bangkok. Ja nur auf einen Sprung, nur auf eine Nacht, weil eigentlich bin ich in meiner zweiundfünfzigstündigen Reisebewegung von Ko Lanta nach Eriwan. Aber da ist die erste Übernachtung eben in Bangkok gewesen. Und da komm ich mit meinem letzten Geld, mit meinem vorletzten Geld, vom Flughafen zu meinem Hotel gefahren und dann ist da eine Hallowe’en Veranstaltung. Aber schau mich an, nachdem ich mich ein bisschen hergerichtet hab und kurz am Bett ausgestreckt hab, geh ich tatsächlich runter und unterhalte mich ein bisschen aus dem Hintergrund und dann doch noch mitten am Tisch mit den anderen Gästen.

Da sind dann wieder einmal zwei weiße Südafrikaner und das ist einfach nicht so einfach. Weil die Ding, die damals in Neuseeland begeistert auf Afrikaans geflucht hat, die war gut enthusiastisch über Streetfood und politische Graswurzelbewegungen und so, da konnte ich gut mit. Aber mit den Männern zu reden, die sagen, dass, ja, die Situation ist halt nicht besonders gut in Südafrika, weil sie zur Zeit für alle Stellen nachgereiht werden, weil Schwarze halt bevorzugt eingestellt werden. Ich seh schon ein, dass da eine Generation von SüdafrikanerInnen aufwächst, denen „ihr“ Südafrika in so einem Turnaround zerbröselt und die da eine Suppe serviert bekommen, die ihnen das Leben schwer macht. Oder wie auch immer man das betrachten möchte. Vielleicht ist das aber was, wo wir allesamt mehr hinschauen müssten, weil da offenbar eine weiße Mittelschicht ganz klar ihre Privilegien abgeben muss. Aber so hab ich schnell das Gefühl, ein bisschen in der Brisanz zu tappen, nachdem ich doch nur gefragt habe, warum sie seit drei Wochen im Hostel neben dem Flughafen wohnen. Und sie haben ja auch nicht einmal den Eindruck von Rassisten gemacht, aber das hat vielleicht in einem südafrikanischen Kontext alles ein bisschen eine andere Bedeutung. Ich mein, über die Formulierung opposite colour war ich schon etwas überrascht. Und wenngleich ich da also schnell einmal aufs Nachhaken verzichtet hab, erschien mir das schon sehr als ein Zeichen dafür, dass es da doch noch sehr dichotom zuginge, in der alltäglichen Politik Südafrikas.

Nächster Tag mit der S7 zum Flughafen in Novosibirsk. Das war ganz gemütlich, der längste Flug wahrscheinlich, auf dem ich kein Unterhaltungsprogramm hatte. Nicht einmal so einen Monitor, auf dem man sieht, wo man gerade drüberfliegt. Ich hab dann viel aus dem Fenster geschaut und das war schon aufregend, weil ich kurz nach Start draufgekommen bin, dass wir ja irgendwie über die Himalayas fliegen müssten. Und weil ich nicht genau weiß, wo Novosibirsk liegt hab ich zuerst gedacht, dass ich mich wohl leider auf die falsche Flugzeugseite eingecheckt hätte. Aber dann hatte ich doch ein paar Berge bei mir und dann hatte ich noch mehr Berge und vielleicht war irgendwas davon ja tatsächlich… also irgendwas davon war sicherlich der Himalaya. Und dann sind wir über Wüsten geflogen und das war auch beeindruckend, weil da einfach nur Steppe rumgelegen ist. Bevor ich mich dann wieder meinem Steven King gewidmet hab.

Ja, also… keine Ahnung. Aber viel andere Gebirge gibt s ja nicht am Weg. Wir werden ja nicht über den Mounteverest geflogen sein.

In Novosibirsk stand gleich neben der Tür dann ein bepelzmützter Sicherheitsbeamter, das hat mir schon einmal gut gefallen. Aber was noch etwas schräger war, dass in dem Schlauch, der vom Flugzeug in den -hafen geführt hat, für ein Reisebüro geworben wurde, die sich anextour nennen. Grad für ein russisches Reisebüro ist das irgendwie auch nicht unbrisant. Dann haben sie mich durch eine Passkontrolle geschickt, warum auch immer, da war eine Beamte mit Sternen an den Schultern, die meinen Pass genommen hat und mich dann auf Russisch was gefragt hat, was ich ihr nicht wirklich beantworten konnte. Dann hat sie ein bisschen telefoniert, mich eigentlich nicht mehr angeschaut und ich hab mir nur gedacht, wie sowjet-kafka ich hier verwaltet werde. Wie authentisch! Sie hat dann einen Rückruf bekommen und schnell meinen Pass durchgeblättert und mich nach Russland hineingestempelt. Was ich nicht ganz verstehe, weil ich mich ja eh nur im Transitbereich aufhalten darf ohne Visum. Aber natürlich freu ich mich auch ein bisschen darüber, da einen Stempel hineinbekommen zu haben. Novosibirsk drängt sich doch auf in meine Reiseberichte aufgenommen zu werden und wenn ich nur irgendwo am Flughafen rumlungern werde, beschallt mit Nena (99 Luftballons), Ace of Base (Wheel of Fortune), Cindy Lauper (Girls Just Wanna Have Fun) et al., fein synkopiert mit etwas leiserem Russischpop aus dem Café daneben. Bis sie mich morgen nach Eriwan schupfen.

verblassende Erinnerungen

Die Japanischen Eisenbahnen tragen mich von einer Insel zur anderen, zwei Tage in der einen Stadt und weiter in die nächste. Eine Woche ist das her, dass ich mich konzentriert ans Erinnern gesetzt habe, eine Woche und locker dreitausend Kilometer, dass ich jetzt wieder in Tokio sitze und versuche, im Rückblick jene Emotionen auseinanderzuklauben, die langsam aber sicher in ein relativ homogenes Japanbild zusammenschmelzen. Gut, es ist nicht so, als ob ich nicht Notizen gemacht hätte…

An Osaka erinnere ich mich mehr an das Hostel als an die Stadt selbst. „Hostelzentriert“ hab ich mir notiert. Und so ist das, es gibt einfach Städte, wo mir die Unterkünfte stärker in Erinnerung bleiben, wo die Erfahrungen dort einfach die nachhaltigeren sind. Und natürlich sind das die Begegnungen, weil das sind die Erlebnisse, die mich wirklich anstoßen. Und mit der Osakaer Jugendherberge hab ich s wirklich gut erwischt. Dabei hat s zuerst gar nicht so gut ausgeschaut, als mir die Ina am Email gesagt hat, dass sie das Zimmer nur für zwei Nächte hat und dann hab ich mir gedacht, gut, dann halt nur zwei, so sehr haut das meinen Plan auch wieder nicht durcheinander. Aber dann hat sie gemerkt, dass ich eh nur für das Schlafzimmer ein Bett such und nicht ein Dreierzimmer. Ich weiß nicht, wie sie auf die Idee gekommen ist. Aber dann hat sie gesagt, ahso, ja, nein, kein Problem: drei Nächte. Prima, sag ich, drei Nächte sind gebongt. Und dass sie eine Katze haben, nur für den Fall, dass ich damit nicht oder eine Allergie oder so. Nein, sag ich, das passt, find ich gut.

Ein japanischer Beitrag zur globalen Popkultur ist ja das Konzept von „kawaii“, was vor allem als kuschlig, herzig, knuffig, süß zu verstehen ist. Aber der Begriff beschreibt eigentlich vielmehr einen spezifischen Stil, den ich hier als die große Infantilisierung aller Lebensbereiche zusammenfassen möchte, anthropomorphe Tierbabies mit weiten Pupillen und eine picksüße Mädchenhaftigkeit unter Sonnenschirmchen.

Der Kater heißt Akubi und war letztlich ein sehr herziger. Da gehört schon einiges dazu, eine entspannte Katze in einer Jugendherberge zu sein. Und ohne ihn darauf reduzieren zu wollen, seine auffälligste Eigenschaft waren seine kurzen Beine, die vielleicht halb so lang waren, wie man erwarten möchte. Mehr ein Nilpferd als eine Giraffe, das macht einen irre herzigen Eindruck. (Dabei fällt mir ein, dass hier in Tierhandlungen immer noch Tierjungen in Glaskästen gehalten werden wo Hunde umhertollend und Katzen abgewandt schlafend auf eine KäuferIn warten. Schon gut, dass das bei uns nicht mehr durchgeht.)

Die kurzen Beine des Hostelkaters kamen in Kombination mit steilen Stufen, über die ich in den obersten Stock hinaufklettern musste. Und Schiebetüren in den Stockwerken. Was unabhängig von der Beinlänge für einen Kater bereits eine ziemliche Hürde darstellt. Wenn der Kater einmal bis hinaufgelaufen gekommen ist, dann hat er nicht wirklich selbst wieder bis runter können. Und Samstagnacht sind die Deutschen, die bei uns im Zimmer waren, spät von – wie ich am nächsten Tage erfahren hab – der Karaoke nachhause gekommen und hatten dem Kater gegenüber wohl nur berauschte Gleichgültigkeit, als der mit ihnen in den gemeinen Schlafraum geschlüpft ist. War eh super, weil ich hab schon lang nicht mehr mit einer Katze auf den Beinen geschlafen und eigentlich ist das ein leistbarer Luxus. Das war schon nett. Nur in der Früh natürlich will die Katze aufstehen, so auch dieser Kater. Und da lernen verschiedene Katzen wohl unterschiedliche Techniken. Sehr effektiv ist es, wenn man mir daheim von unten die Krallen unter die Decke schlägt, ob man dabei meinen Fuß erwischt oder nicht, da schwappt mir das Adrenalin bis unter die Schädeldecke, da gibt s kein Weiterschlafen. Dieser Kater hat einfach zugebissen. Nämlich nicht nur so bisschen geknabbert. Er hat geschnurrt dabei, also hab ich s nicht als aggressiv verstanden, aber nachdem er mir ein bisschen in die Frisur gebissen hat, hat er mir in den Hals gebissen, dass mir das Blut gekommen ist. Eh ein zarter Kratzer. Aber überraschend war das schon.

Und das war mein einer Ausflug durch Osaka. Ich hab s schon auch als hübsch in Erinnerung.

Nachdem ich am ersten Tag einen kleinen Spaziergang durch Osaka gemacht hab, hab ich mich am Abend gegenüber ins Okonomiyakilokal gesetzt. Weil da haben sie mich aus dem Hostel, das direkt gegenüber liegt, hingeschickt. Die Osaka-Okonomiyaki seien ganz anders als die Hiroshima-Okonomiyaki, sagen sie. Da bräuchte ich mich gar nicht auf meinem Ich-hatte-erst-gestern-Okonomiyaki auszuruhen. (Wir hatten ziemlich flott eine ziemliche nette Unterhaltungsebene im Hostel, wie gesagt, das Hostel, die Begegnungen, das Wohlfühlen, in diesen Punkten macht Osaka Punkte.) Und das stimmt ja auch, ganz anders, so eine Osakaokonomiyaki. Vor allem aber hab ich einmal mit einem Blick auf die Tür festgestellt, dass ich in einem Michelin ausgezeichneten Lokal sitze und das war vielleicht auch eine Premiere. Uuuuhh. Dabei hat s nicht ausgeschaut, wie ich mir ein Haubenlokal vorstell. Zuerst einmal hab ich draußen sicher eine halbe Stunde auf einen Platz gewartet. Da haben sie so Hocker auf dem Gehsteig aufgestellt gehabt, von denen man immer eins weitergerrückt ist, wenn jemand einen Platz im Lokal bekommen hat. Und bis ich dann eine Stunde später meine Okonomiyaki bekommen hab, hab mir eine Zeit lang gedacht, dass das vielleicht das beste Essen ist, das ich je gegessen hab. Aber ich hab auch ein ganzes Bier lang auf mein Essen gewartet, und ich hab nicht wirklich was gegessen gehabt, weil war ja Reisetag. Und da sitz ich dann, kann sein, dass ich schon bisschen beschickert war, wie ich dann meine Palatschinke bekommen hab.

Weil, pass auf: Okonomiyaki werden als japanische Pfannkuchen vermarktet. Und das ist schon nicht falsch, weil es kommt ein Palatschinkenteig vor. Jetzt: Hiroshimastyle hat so ausgeschaut, dass meine Köchin eine Palatschinke gemacht hat und dann ein Kraut und die anderen Ingredienzien genommen hat und die Palatschinke wie einen Deckel auf dem Kraut verwendet hat, dass es durchgart. Ja? Also sie hat einen Haufen Kraut auf ein bisschen ein Öl gestapelt und dann die Palatschinke drauf und dann halt geschaut, dass das Kraut gar wird. Osakastyle mischt man das alles schon einmal zusammen und haut s dann als ein Ganzes auf die Kochoberfläche. Und dann haben sie einen Deckel draufgetan, was ich ein bisschen schummeln gefunden hab, aber es hat ja wie gesagt lang genug gedauert, bis es fertig war, also gut dass sie einen Deckel genommen hat. He, und dann war das einfach total gut. Da war ein Schwein drin und ein Tintenfisch und eine Jakobsmuschel und dann ein Spiegelei drauf und die Okonomiyakisauce, die so bisschen Worcestersauce ist, aber mit Datteln gestreckt und gesüßt und dann hauen sie eine Mayonnaise drauf, wie die JapanerInnen das gerne machen. Die kommt aber wirklich anders rüber, als die unsrige, ich sollte die mal pur kosten. Und dann kommen noch Nori drauf, was zuerst einmal wie Petersilie ausschaut, und Katsuobushi, also Späne von zu Holz getrocknetem Thunfisch. Und dann ist es fast wie mit Gabel und Messer essen, weil in einer ziemlichen Ausnahme kriegt man hier ein japanisches Essen, das nicht mundgerecht daherkommt. Dafür kriegt man eine kleine Version von den Spachteln, mit denen die Köche das Essen zubereiten und spaltet sich da seine Stücke von der großen Festtagstorte herunter, bis man dann endlich seine Stäbchen einsetzt.

Und dann bin ich zurück ins Hostel und die vielen Stockwerke hinauf. Beim Einchecken haben wir noch gescherzt, weil in Japan zählt man das Erdgeschoß als ersten Stock. Ich hab am Anfang tatsächlich ein bisschen gebraucht, bis ich verstanden hab, dass der Adresszusatz F4 nicht eine Hausnummer ist, sondern für Floor 4 steht. Dort hab ich gewohnt, im vierten Stock. Aber, hab ich gesagt, bei uns ist ja der F2 erst der erste Stock und dann sagen wir, gibt s noch einen Mezzanin, also bin ich auf österreichisch eh nur im zweiten Stock. Die Polin hat auf meine Erklärung des Ursprungs, des vermeintlichen Ursprungs dieser Praxis gemeint, dass man in Polen wohl einmal die Steuern auf ein Haus nach der Anzahl der Fenster bemessen hätte, woraufhin die Leute ihre Fenster zugemauert hätten. Ich mein, so Steuergesetze können schon auch Unsinn anrichten. Mir sind dazu dann noch die Gehsteige eingefallen, von denen es hier ja außer auf den großen Straßen, keine gibt. Find ich immer noch toll. Ach ja. Und die Autos parken auch nicht auf der Straße sondern müssen in einer Garage oder in einem Parkhaus Platz finden. Wenn man das mal erlebt, dann ist dieses Argument, dass jedes Auto bei uns eigentlich Miete zahlen müsste für die zehn Quadratmeter öffentlichen Raum die es einfach verstellt… also nicht das Auto soll die Miete zahlen. Da könnten wir lang warten. Aber ich mein, das ist einfach nachvollziehbarer wenn man sieht wie… man sieht einfach besser. Vielleicht muss man das so dem Handel vorschlagen, dass man dann auch von der gegenüberliegenden Straßenseite in die Schaufenster schauen kann.

Es war ein komischer Moment, als ich durch schieres Glück über diese Brücke gegangen bin und auf einen Pulk asiatischer TouristInnen gestoßen bin, die sich hier mit Werbeflächen fotografiert haben. Sicherheitshalber hab ich halt auch mal ein Foto gemacht, um später zu lernen, dass der Läufer da in der Mitte, dass das der Glico Mann ist. Der macht Werbung für ein japanisches Nahrungsmittelunternehmen, der hängt da schon seit 1935. Ach was weiß ich… Leute, die sich mit einem Werbeplakat fotografieren! Da kann einem der Konsumismus schon sauer aufstoßen.

Von meinen Krautpalatschinken zurück ins Hotel bin ich dann im Zimmer meiner Zimmerkollegin begegnet und wir haben uns vorgestellt und sind so ein bisschen ins Plaudern gekommen über dieses und jenes. Und bevor man sich s versah, war s fünf Uhr in der Früh. Das war unerwartet. Aber witzig, weil ich hab mir noch am Tag davor einmal gedacht, so in der Reflektion über das eigene Leben, wie man ein bisschen schräg wird, wenn man sich unkontrolliert in seinen Interessen spezialisiert und eines Tages merkt, wie man mit seinen Anekdoten wenig anschlussfähig ist, dass man sich da vielleicht ein bisschen isoliert hat, ohne dass es geplant war. Nicht, dass das nicht eine immer wiederkehrende Sorge ist, kann sein, dass es nur so eine selektive Wahrnehmung ist, dass ich mich jetzt erinnere, dass ich das gerade erst gedacht hätte und dann plötzlich eben treff ich auf wen, die mich gerade dort erwischt, wo ich das Gefühl hatte, dass ich ein bisschen gar esoterisch in meinen Vorlieben geworden bin. So sitz ich im Hostel in Osaka und find ausgerechnet eine Amerikanerin bestbewandt in der britischen Comedyszene. Sag ich zum Beispiel, na der Ding, den find ich gut und mir der Name nicht einfällt und ich so rumüberleg und sie sagt dann, anyway, den James Acaster fändt sie noch sehr lustig. Und ich denk mir, den hab ich gerade gesucht. Greg Davies? Zitiert sie schon Man Down. Da ist mir schon weich in den Knien geworden.

Am nächsten Tag war ich dann ein bisschen müde in Nara. Nara, sagt mein Reiseführer war die erste fixe Hauptstadt Japans und nachdem s mir auch meine Lokalbekanntschaften auf die Empfehlungsliste geschrieben haben, bin ich auf einen Sprung hin. Ich bin mal wieder etwas spät losgekommen, auch weil ich den Vormittag mit Blogbetreuung verbrodelt hab, das kommt ja auch nicht aus dem Nichts. Jetzt war ich wieder einmal erst um vier oder was in Nara. Das war schon nicht ganz ungeplant, weil ich wollte dort so einem Fest zuschauen gehen, das eh erst abends angefangen hat. Jetzt machen die Tempelanlagen und die historischen Gebäude aber natürlich schon wieder um fünf zu. Und so hab ich jetzt die größte bronzerne Buddhastatue der Welt verpasst, die dort in einem Haus sitzt. Das hab ich erst im Nachhinein gelesen, irgendwer hat da bei der Vorbereitung geschlampt. Aber ich hab wieder zahme Rehe gesehen und mir von ihnen auf die Hand atmen lassen und ich hab Leute gesehen die sich in einem Moment mit zahmen Rehen abfotografieren und im nächsten Moment versuchen, eine Rehnase aus ihrer Handtasche zu scheuchen. Insgesamt ist es fast ein bisschen wie Tauben am Markusplatz. Zuerst ist es lustig, dann wird s schnell zu viel, weil die Tiere nicht spielen wollen sondern gierig Essen suchen.

Ich hätte wahrscheinlich nur diese Schilder lesen müssen, um dem Buddha gegenüberzutreten. Aber ich war wohl einfach zu vertieft in meine Beobachtung der die Rehe beobachteten TouristInnen, um auch noch einen Sinn für Schilder zu haben. Schau, da liegt sogar eines mit Geweih!

Und auch das Festival war dann nicht schlecht. Da war so eine Prozession über einen See in traditionellen Gewändern und das hat wohl eine Geschichte erzählt. Da waren verkleidete Kinder und aufgeregte Mütter, die sie nach ihrem Auftritt in die Arme geschlossen haben, das war nett. Außerdem standen hunderte Leute aus aller Welt mit ihren Fotoapparaten drumrum, das hat mir das ganze ja auch schon wieder ein bisschen anstrengend gemacht. Ich könnte das vielleicht auch einmal leichter nehmen. Ich bin wohl einfach zu romantisch, dass ich mir denke, man muss das doch erleben und nicht dokumentieren. Ich hab ja dann auch schweren Herzens fotografiert, so ist s ja auch wieder nicht. Oder auch seltsam: Europäisch anmutende Männer in traditionellen japanischen Outfits. Da wird mir auch ein bisschen seltsam, wenn ich das seh. Dann wiederum stört s die Verkleideten offenbar nicht und ich glaub, die JapanerInnen sehen das auch nicht als kulturelle Aneignung.

Interessant, wie s mich oft einmal juckt, da mit der Kritik zu kommen und dann such ich wieder ein versöhnliches Bild raus. Es ist schon schön.

Bisschen schwer nachvollziehbar, was da passiert, aber die Ina hat gemeint, sie war im Jahr davor und auch wenn sie die japanischen Durchsagen wohl verstanden hat, es hätte ihr auch nicht zum allgemeinen Verständnis beigetragen, also gehört das wohl so. So sitze ich also nur den Bildern gegenüber, die da im Rahmen der Zeremonie dargestellt werden und dann kommen die zwei Boote (aus denen sich auf ZuseherInnenseite Trockeneisnebel über das Wasser ergießt!), gelenkt von zwei Steuermännern und hinten drin sitzen zehn Frauen, alle in Rot, Weiß, Schwarz angezogen und mit einem braven Lächeln in den uniform geschminkten Gesichtern, da hatte ich schnell einmal Handmaid’s Tale Assoziationen, obwohl ich s nie gesehen hab. Aber von der Aufmachung her, war s mir gleich wieder ein bisschen unheimlich, wenn Frauen in der Legende anscheinend nur die Rolle der Frauen zugewiesen wird.

Während die Mädchen über den vernebelten See geschifft worden sind, hat dazu das Orchester gespielt. Wer 7’43” Zeit hat kann hier ein Stück Zeremonienmusik mit authentischem Publikumsgeplauder haben. Manchmal ist es ein bisschen schrill, aber es zahlt sich schon aus, das ganze zum Nachhören zu haben.

Daheim haben wir noch einmal ein bisschen in die Morgenstunden hineingeplaudert, die Y. und ich, von Tolkien ausgegangen haben wir schließlich noch festgestellt, dass wir uns bei Game of Thrones von den gleichen YoutubekommentatorInnen haben begleiten lassen. Das ist wirklich eine Freude gewesen: zwei vergleichbare UserInnenprofile, aber doch so unterschiedlichen Sozialstatistiken. Wir haben allerdings zwei Deutsche ins Zimmer bekommen (die mir in der dritten Nacht dann den Kater beschert haben) und haben deshalb rücksichtsvoll gegen halb drei einen Strich gezogen. In der Früh ist sie dann auch schon weitergefahren und daraufhin hat sie einfach ein paar Tage gefehlt.

Ich bin hingegen in die andere Richtung gefahren, mit dem Zug nach Himeji. Jetzt hab ich noch herausbekommen, dass ich nicht einmal reservieren muss für meine Züge, sondern stolz den Railpass an die Brust geheftet einfach durch die Absperrung schreite. Den richtigen Zug muss ich halt finden, den richtigen Zug, den richtigen Bahnsteig. Das Telefon hilft. Und dass in der Regel alles auch in den Buchstaben zu haben ist, die ich lesen kann ohne beim dritten bereits ins Schwimmen zu kommen (mo? ke? su?), das hilft auch.

Und jetzt, in Himeji, das ist schon beeindruckend. Weil man kommt aus der Station raus und dann ist da eine lange Straße, die direkt bis zur Burg führt. Und: Burg. Eine japanische Burg ist bei weitem eine elegantere Einrichtung, als was einem zu dem Begriff so durch das mitteleuropäische Kopflexikon flattert. Zum einen ist beim Gebäude selber wieder sehr viel Holz im Spiel. Deshalb ziehen wir uns auch alle brav die Schuhe aus, wenn sie in die Burg steigen. Die Befestigung selber ist allerdings schon mit Steinen gebaut. Und das ist ja auch beeindruckend, diese steilen meterhohen Wände, die eine Ebene von der nächsten trennen. Da muss schon wahnsinnig viel Stein verwendet worden sein dafür, das muss wirklich viel Arbeit gewesen sein. Zum Glück für die Fürsten, hat die Bevölkerung sich brav und unterwürfig verhalten: An einer Stelle wird die Legende einer alten Frau erzählt, die gehört habe, wie knapp der Fürst beim Bau seiner Burg schon an Steinen ist und so hat sie ihren Mühlstein geschenkt. Weil besser der Fürst hat eine gute Wand als sie was zu essen. Aber ihr Vorbild habe auch noch NachahmerInnen aus der ganzen Gegend inspiriert. Schon schön, wenn die sozialen Hierarchien auch denen, auf deren Schultern sie gebaut sind, so viel Identität verleihen, dass sie sich gern opfern.

Schau, wie ich meine Panoramafunktion mittlerweile unter Kontrolle hab!

Die Burg (ich will ständig das Schloss schreiben, weil s doch so eindrucksvoll war) wird in der Broschüre schnell einmal als das schönste Gebäude der Welt bezeichnet. Das find ich vielleicht ein bisschen eine heftige Bemerkung. Dann wiederum tu ich mir auf jeder Skala schwer, Extremwerte anzukreuzen und vielleicht ist das auch ok, wenn man sagt: das da. Das ist das schönste Gebäude der Welt. Man muss sich seine Superlative ja nicht unbedingt aufheben. Der Vorteil der Perfektion ist ja vielleicht dann auch, dass man die BesucherInnen einfach durchschleusen kann, weil niemand jetzt großartig selbst die Schönheiten entdecken muss. Der Rundgang ist relativ klar abgesteckt, die Burg selbst ist auch nicht besonders aufregend, weil großteils leer oder leergeräumt. Die Wirtschaftsgebäude (Küche, Bäder, Wohnungen der Frauen) liegen sowieso außerhalb und jetzt läuft man drinnen durch die sieben, immer kleiner werdenden Stockwerke. Da haben sie nämlich einen Trick gemacht, weil von außen schaut s nur aus wie fünf. Und war wahrscheinlich nicht für Steuervorteile sondern eher, dass die erobernden Soldaten dann im fünften Stockwerk stehen und sagen Waaaas? Noch zwei Stockwerke? Sicher nicht in der schweren Rüstung!

Naja, was soll man sagen. Ein gut geschmiertes feudales System mit Sinn für Ästhetik. Und schönes Wetter war auch.

Während sich die Belagerten immer höher in ihren Burgturm zurückziehen, haben sie die Möglichkeit, Steine auf die Feinde zu werfen. In einem Fall sogar aus einem Fenster, in dem geheime Steinwurflöcher eingebaut sind. Das haben die Hinweise, die man über einen QR-Code (!) in jedem Stock auf sein Telefon laden könnte, extra hervorgehoben, dass die feindlichen Soldaten wohl vorsichtig gewesen sein müssen, nicht unter den Steinwurfschlitzen zu stehen, aber in dem einen Fall, seien die eben geheim in den Fensterrahmen eingelassen gewesen und da hat dann niemand gerechnet, plötzlich Steine auf den Helm zu bekommen. Wie seltsam, hab ich mir gedacht, dass man nicht damit rechnen würde, dass man sich darauf verlassen konnte, dass der Feind nicht ein Fenster zweckentfremden würde, um daraus direkt Steine auf die Eindringlinge zu werfen.

Leider hab ich ja in der Burg schon wieder ein bisserl stressen müssen, weil ich zwischen Burg und Bahnhof zu viel Zeit in die Suche nach einem guten Kaffee investiert hab. Aber ich war dann tatsächlich in einem wahnsinnig netten kleinen Café. Das war so klein und so versteckt, dass der Gastgeber richtig erstaunt gewirkt hat, dass er einen Gast hat um zwei am Nachmittag. Aber so hatten wir die Gelegenheit ein bisschen zu plaudern und er hat mir erzählt, dass er eigentlich in einer Behindertenwerktstätte arbeitet, aber sich jetzt schon lange für Kaffee begeistert und er röstet selbst in einer selbstgebastelten Röstvorrichtung. Und zwar über Kohlen. Sei das nicht schwer, da die Variablen konstant zu halten? Ja, lacht er und zeigt mir sein Buch, in dem er minutiös verschiedene Variablen und ihre Ausprägungen bei hunderten Röstvorgängen dokumentiert hat. Ich staune und nippe an meinem Kaffee. Es ist guter Kaffee, aber ob sich die Mühe auszahlt ist immer so eine Frage. In diesem Fall vielleicht weniger, weil er es doch vor allem für sich zu tun scheint, das ist schon länger her, dass ich jemanden so enthusiastisch über seinen Job reden hab hören. Aber ja, es ist mehr ein verwirklichter Traum, den er immer noch stark mit seinem Brotberuf subventionieren muss. Und dann schenkt er mir noch einen kalten Kaffee ein, weil während man bei uns auf das ja traditionell aber vor allem sprichwörtlich herabgeblickt hat, so hat sich das unter KaffeetrinkerInnen in der Welt ja mittlerweile zu einem Trendgetränk gemausert. Vor allem in den wärmeren Gegenden, die mir in den letzten Monaten die Gastfreundschaft erwiesen haben. War auch wirklich gut, bisschen stärker die Bitterkeit, aber, hat er gemeint, das kann auch sein, weil er die Bohnen, die er für meinen Heißkaffee gemahlen hat, gerade erst am Tag davor geröstet hat und der Geschmack brauche manchmal eine halbe Woche oder so, um sich zu entfalten.

Dann haben wir noch ein bisschen über die Scotchwhiskies geredet, die er außerdem in seiner Kaffeebar ausschenkt und dann hat er einen Anruf bekommen, dass sich jemand gerne einen Kaffee abholen kommen möchte. Und weil mein Herr Gastwirt einen sehr langsamen, manuellen Tropfkaffee macht, ist so eine Vorbestellung nicht das schlechteste. Er erzählt mir noch ein bisschen über die Koi, die in einem der Burgteiche gehalten werden, und seinen eigenen Erfahrungen von als er in einer Koizucht gearbeitet hat, die ihre Fische international verschickt haben. Und ein bisschen darüber, wie teuer so ein Koi sein kann. Aber auch, wie schön so ein Koi sein kann.

Außerdem hab ich ein bisschen gehudelt, dass ich noch in den Burggarten komm, weil für den haben sie mir ein Doppelticket angedreht noch bevor ich überrissen hatte, dass ich schon für die Burg meine Schlendergemütlichkeit verkauft hatte und vom Wechselgeld die Taschen voller Zügigkeit bekommen hab. Ich mein, das waren nur hundert Yen mehr, das war eine sehr sanfte Verführungstechnik, die zur Andrehung geführt hat. Dennoch, in for a penny… Nachdem ich aus der Burg von oben in alle Himmelsrichtungen geschaut hab, hab ich mich in die Abstiegsschlange gereiht und war mit zehn Minuten Zeit noch im Garten. Dann hab ich festgestellt, dass ich mich nur für den Einlass bemühen musste und hab meine Spaziergangsgeschwindigkeit wiedergefunden.

Einmal entlang des Kieswegs im Teegarten (geschlossen)

Und weil ich damit immer noch nicht genug erlebt hab, hab ich am Rückweg zum Bahnhof noch zwei Onigiri gekauft und mich auf eine sommerlich veranlagte Bank gesetzt. Von dort hab ich dann einem japanischen Straßenkünstler zugeschaut, wie er sein Publikum entfremdet hat. Ich hab ja nicht ganz verstanden, was so sein shtick ist, er hat viel geredet und sein Outfit war irgendwo zwischen Zirkusdirektor und Steampunk, zwischen Charlie Chaplin und Michael Jackson. Vielleicht gibt s da auch naheliegendere Vorbilder, die sich meiner kulturellen Engstirnigkeit nicht erschlossen hat. Als erstes hat er sein Territorium auf der Straße mit einer Schnur abgesteckt. Während seinen Vorbereitungen hat sich ein Pärchen vor ihm hingestellt, die ihn erst einmal beim Werkeln beobachten. Aber über kurz oder lang beginnt er bereits über sein Mikrophon irgendwelche Geschichten zu erzählen und die Gestik versucht ein bisschen, seine beiden offensichtlichsten BeobachterInnen zur Teil- oder zumindest Anteilnahme zu motivieren. Die beiden steigen einige Schritte zurück und bleiben aber tapfer in der BeobachterInnenrolle, auch wenn ihre Körpersprache sich bereits etwas stärker von dem Straßenkünstler distanziert. Die meisten anderen ZuseherInnen haben übrigens von vornherein in etwas größerer Distanz gehalten. Er hat sicherlich ein Dutzend bis zwanzig ZuseherInnen, aber nur drei oder vier, die sich ohne weiteres als solche zu erkennen geben. Eine kurze Interaktion mit einem vielleicht fünfjährigen Mädchen und ich weiß immer noch nicht, was der Kern seiner Darbietung ist. Vielleicht erzählt er nur Geschichten, auch wenn er sich zumindest wie ein Zauberkünstler verhält.

Bye-bye, Himeji, schön habt s ehs.

Aber auch ich hab irgendwann meine Reisbällchen gegessen (die waren übrigens ausgezeichnet und ich hab seither wenig Lust, wieder zu jenen zurückzukehren, die ich in an jeder zweiten Straßenecke im Snackshop bekomme, die sind einfach deutlich weniger aufregend), und ich gehe zurück zu meinem Zug. Straßenkunst ist kein besonders etabliertes Genre in Japan. Ich glaube durchaus, dass das Potenzial der Publikumsbeteiligung ein wenig als Bedrohung wahrgenommen wird. Oder der Eindruck ist nur ein aus meinen eigenen Angststörungen gewuzelter Apsekt vermeindlich japanischer Kultur, wer kann das schon sagen. Während mein Eindruck schon ist, dass man hier recht viel Wert darauf legt, in der Öffentlichkeit in Frieden gelassen zu werden. Und vielleicht denke ich deshalb jetzt daran, aber ich hab in den Städten auch kaum Obdachlosigkeit erlebt. Wirklich nur in Osaka, dass mir bei meinem ersten Spaziergang zwei, drei offensichtlich verwahrloste, bettelnde Personen aufgefallen sind. Einer auch merklich über dem Durst. Kann man sicherlich mal nachschauen, wie in Japan mit der Obdachlosigkeit umgegangen wird. Intuitiv würde ich glauben, dass da nicht unbedingt liberale Methoden zum Einsatz kommen, mit dem Ziel, Betroffene zu größerer Selbstbestimmung anzuleiten.

im flaschengrünen, tiefen See

Heute war ich im Aquarium von Kagoshima und das hat natürlich gleich einmal was problematisches. Ich bin ja ein großer Verteidiger von Zoos, weil abgesehen davon, dass dort heutzutage ja viel Forschung passiert,die in der Natur schwierig bis unmöglich wäre, find ich auch, dass es wichtig ist, heutzutage einmal ein Nilpferd in echt gesehen zu haben, bevor man in die Pubertät kommt. Oder einen Pinguin oder vor allem einen Tapir. Auf der anderen Seite geben Menschenaffen hinter Gittern mitunter ein trauriges Bild ab und da zieh ich ein bisschen meine Linie, die andere wo anders ziehen mögen. Und so bin ich heute in einer Delfinshow gesessen und das war schon interessant, aber gleichzeitig auch etwas deprimierend. Spätestens seit Free Willy schaut man ja einer Walverwandten auf die Rückenflosse um zu sehen, wie deprimiert sie vom Leben in Gefangenschaft ist und von den fünf, die da in dem Becken ihre Runden gedreht haben, waren alle ein bisschen geknickt. Immerhin muss ich sagen, war auch viel Information dabei (glaub ich, ich hab s ja nicht verstanden), das rechtfertigt s für mich durchaus ein bisschen. Es ist nicht nur Zirkus. Aber der Moderator hat viel geredet und soweit ich verstanden hab, ging s um die Fähigkeiten von Delfinen, verschiedene Formen und Größen zu unterscheiden. Und auch, dass sie fünf Meter aus dem Wasser springen können um ein Dingserl anzustoßen, das von der Decke hängt, dass sie synchrone Saltos machen können und dass sie quaken, wenn die Trainerin das richtige Handzeichen gibt. Und dass sie entweder so ins Wasser eintauchen können, dass es kaum spritzt oder so, dass ich nachher vollkommen nass war.

Kann man etwas gegen die Haltung von Quallen haben? Sehr aufregend und nur mittelmäßig auf dem Foto feststellbar, dass sie mit ihren fadendünnen Tentakel tatsächlich die Urzeitkrebse, die sie als Futter bekommen, gefangen und zur Unterseite von ihrem Körperdingsda geführt haben.

Noch deprimierender war allerdings, dass sie einen Walhai in einem Becken haben. Damit wird das Aquarium stark beworben und ich hab s mir kaum vorstellen können, dass das wirklich so ist. Ich hab mir gedacht, ok, das ist vielleicht ein Fenster ins Meer irgendwie, wo ein Zaun ist… Nein. Ich mein, ein kleiner, der war nicht länger als vier Meter. Aber er war in einem Becken, noch dazu im ersten Stock, aber dafür gibt s mehr logistische Anerkennung. Es war halt kaum Platz, dass er was anderes hat tun können, als ständig im Kreis zu schwimmen. Sein Blick ist vom Vorüberziehen der Stäbe… Dann ist eine Kindergruppe reingekommen und die waren alle wahnsinnig begeistert und dann frag ich mich, ob ich da für den armen Walhai nicht auch den Punkt machen soll, den ich für Meerkatzen, Pinguine und Gnus mache: Dass die Begeisterung von dreißig Kindern nicht irgendwo mehr wiegt. Und dass die BegleiterInnen vielleicht den Text vorgelesen haben, wo steht, dass man das Meer nicht verschmutzen soll, weil sonst die Fische alle sterben. Die Weißspitzenhaie, neben denen ich vor zwei Wochen noch geschwommen bin, sind in ihrem Becken überhaupt nur am Boden gelegen.

Keine einfachen Antworten

Ich bin ja schon allein deshalb ein bisschen auf der Seite, die die Kinder (und Erwachsenen) ihre Erfahrungen auf Kosten des großen Fischs machen lässt, damit mein Tauchhobby nicht nur elitär rüberkommt. Logistisch schwierig und ökologisch schlimmer, wenn wir unsere Haifische alle in ihrem Habitat sehen wollen würden. Hauptsache ich hab mir jetzt noch ein bisschen Tauchurlaub geplant, formulierte er einen holprigen Übergang mit moralisch zweifelhaftem Nachgeschmack. Und weil sich die Gelegenheit geboten hat, hab ich mir dafür auch gleich in einem der hiesigen riesigen Elektronikfachmärkten die Schutzschale für meine Kamera gekauft. Fünfzehn Tauchgänge hab ich gemacht, insgesamt ziemlich genau zwölf Stunden unter Wasser. Und kaum das lousy T-shirt vorzuweisen.

Aber damit ich s nicht vergesse und weil wir hier im Internet sind: Hier sind meine fünf besten Taucherinnerungen.

(5) Zuerst einmal eine Taucherinnerung, die gar nicht unter Wasser stattgefunden hat. Tahiti hab ich ziemlich gut erwischt, was die Walsaison betrifft. Man würde eigentlich bereits mit mehr Walaction rechnen, hat es immer wieder geheißen, aber so richtig wollten sie sich nicht zeigen. Vielleicht, hat s einmal geheißen, sei das Wasser zu warm, weil es wäre wohl ein Grad wärmer als üblich und deshalb würden die Wale noch ein wenig in ihren antarktischen Gewässern abwarten. Wale sind ja auch eher individualistische Tiere und jetzt nicht Gänse, die im Schwarm migrieren, deshalb war schon ab und zu mal einer zu sehen. Einmal sind wir auf dem Weg zu Tauchstelle sogar einem begegnet, von dem wir ein bisschen Schwanzflosse zu sehen bekommen haben. Die Möglichkeit sei gegeben gewesen, dass uns der beim Tauchen überrasche, hieß es, weil die Tauchstelle läge auf dem Weg. War aber nicht. Aber immerhin einen Wal gesehen ohne dass ich zwei Stunden Seekrankheit erleiden musste. Und die Hoffnung, beim Tauchen vielleicht von einem Wal besucht zu werden, die hat den ganzen Tauchgang ziemlich aufregend gemacht.

(4) Meinen ersten Hai hab ich leider gar nicht gesehen. Das war auf meinem ersten Ausflug, meinem ersten explorativen, meinem ersten Freizeittauchgang. Da war ich schon ein bisschen enttäuscht, als ich an der Oberfläche gehört hab, dass ich in die falsche Richtung geschaut hab, als da ein Grauer Riffhai (Carcharhinus amblyrhynchos) auf einen Sprung aus dem Blau des Meeres bei uns vorbeigeschaut hat. Auf Mo’orea bin ich dann immer wieder Haien begegnet, immerhin hat sich mein Tauchverein auch als Haispezialisten identifiziert und das Haienbegegnen war so ein bisschen das Ziel. Also, alles Riffhaie, da muss man sich nicht besonders fürchten. Ich mein, nicht, dass man überhaupt muss. Alles in allem, war der eine Barracuda, der uns da mal verfolgt hat, wesentlich unheimlicher als alle meine Haibegegnungen. Zu sehen gibt s insbesondere Weißspitzenhai (Triaenodon obesus) und Schwarzspitzenhai (Carcharhinus melanopterus), aber besonders sind eine Handvoll Zitronenhaie (Negaprion acutidens) die in einem Katalog durchnummeriert sind, mit ihren Erkennungszeichen und ihren Charaktereigenschaften. Und dann war da noch einer, bei dem man ein bisschen aufpassen sollte, weil die eigentlich aus tieferen Gewässern sind und ihre Unsicherheit so knapp unter der Oberfläche gerne einmal mit ein bisschen Fremdaggression kompensieren. Hat man uns erklärt. Während so ein Schwarzspitzenhai gerade einmal zwei Meter lang wird und der Weißspitzenhai noch etwas kleiner bleibt, wird so ein Zitronenhai fast drei Meter lang und das kann einen schon ein bisschen schrecken, wenn einem so einer plötzlich ins Blickfeld gerät. Wie man für seinen Open Water Diver lernt, wirken Objekte unter Wasser wegen der Lichtbrechung auch noch etwa ein Drittel größer und Viertel näher. Da hab ich mich schon ein bisschen so gedreht, dass ich ihm nicht den Rücken zuwende. Mehr erschreckt hab ich mich tatsächlich, als mich ein Schwarzspitzenhai rechts überholt hat und tatsächlich einfach einmal so in mein Blickfeld hineingeschwommen ist. Und dann noch ein zweiter. Und wieder zurück auf Tahiti war ich dann nochmal im Vallée Blanche, da wo wir im Boot vom Wal überrascht wurden. Das weiße Tal ist so ein bisschen ironisch für ein Stückchen Sandstrand unter Wasser zwischen der Lagune und dem bisschen Meer zwischen Tahiti und Mo’orea. Und warum das so attraktiv für die Riffhaie ist, das weiß ich auch nicht. Ein Grund ist sicherlich, weil dort ab und zu mal ein Tauchverein eine Kiste mit Fischstückchen deponiert und die zum Naschen vorbeischauen. Aber ob die Haie nur für einen free lunch vorbeikommen oder ob die nicht auch vorher schon lieber über weißen Sand geschwommen sind als graues Riff, kann ich nicht beantworten. Ähnliches Hairepertoire wie auf Mo’orea, aber durch die Anfütterung halt wirklich dicht. Fast ein bisschen weniger beeindruckend, wenn sie einem links und rechts so um die Ohren sausen. Aber schön sind sie schon. Lemonshark dudududu-dudu…

(3) Haie sind mit ihrer glatten Eleganz mehr so die Dobermänner des Meeres. Wobei die Ähnlichkeit wahrscheinlich eher andersherum zu erklären ist. Kalt und stromlinienförmig sind sie. Man sieht sich irgendwie satt an ihnen, wenn man nicht ein Zehnjähriger mit Gewaltsublimationsbedarf ist. Auf der anderen Seite haben mich die Schildkröten immer mehr durch ihr Verhalten beeindruckt. Und das wiederum hat wohl mehr damit zu tun, dass sie einen Hals haben und sowas wie Arme und sowas wie Beine und wenn man an Land nicht unbedingt eine Schildkröte als seinen nächsten Verwandten identifizieren würde, so gibt s unter Wasser weniger Auswahl. Und dann sieht man einmal eine Schildkröte, die sich mit ihrer Flosse am Riff abstößt, während sie nach irgendwas schnappt, das dort wächst. Eine andere hat sich vielleicht für auf ein Nickerchen in eine kleine Riffeinbuchtung hineingekuschelt. Und sie haben einen sympathischen, wenngleich extrem gleichgültig wirkenden Blick. Und eine himmlische Leichtigkeit, mit der sie sich durch s Wasser bewegen. Ich mein, „Eleganz“ ist vielleicht ein Begriff, den ich etwas überstrapaziere, wenn ich mich an meine Taucherlebnisse erinnere. Aber es gibt einfach nicht genügend Varianz in der Begrifflichkeit! Unter Wasser wirken alle Bewegungen ein bisschen präziser, ein bisschen bedachter. Ohne die Haftung an einem Boden merkt man schnell einmal die physikalische Wahrheit, dass jeder Impuls einen Gegenimpuls auslöst, am eigenen Körper. Um so mehr Bewunderung hab ich deshalb übrig für jene Lebewesen, die ihre Energie so einzusetzen wissen, dass es sie nicht bei jeder Drehung fire– und daunehaut.

(2) Als TaucherIn ist man zu Gast unter Wasser. Nicht nur, dass man das wegen der oben angemerkten Plumpheit schnell einmal am eigenen Körper merkt, aber die Oberste Direktive ist: wir sind zum Schauen da. Wir schauen drauf, dass wir nicht auf die Korallen treten, wir schauen drauf, dass wir keine Muscheln mitnehmen, wir schauen drauf, dass wir nichts berühren, dass wir nichts füttern, dass wir keinen Mist hinterlassen. Jetzt ist das wie bei allen Regeln, dass man auch einmal eine Ausnahme macht, ohne, dass man die ganze Regel sofort kübeln muss. Und während ich das stille Schweben im Wasser als die größte Herausforderung sehe und ich diesem Status der Nichteinmischung meine größte Aufmerksamkeit widme, muss ich zugeben, dass die eine oder andere haptische Erfahrung zu den besten Erinnerungen gehört, die ich unter Wasser gemacht hab. Auf dem einen Tauchgang sind wir besonders vielen Seeanemonen begegnet und ich hab den Tauchlehrer gesehen, wie er immer wieder einmal mit dem Finger durch die Anemone gestrichen hat. Ich hab mir einerseits natürlich gedacht, n-n-n: macht man nicht und auf der anderen Seite aber natürlich die Neugier, weil ich von den Seeanemonen doch nur weiß, dass sie doch irgendeine Verteidigungsgiftigkeit besitzen, weil sie doch den dagegen immunen Clownfisch beschützen, der sich in ihnen versteckt. Also Rätsel über Rätsel und die löst man am besten durch Experimentation. Hab ich bei der nächsten Gelegenheit also vorsichtig meinen Finger in die Seeanemone gesteckt und siehe da: es war ein bisschen wie wenn dutzende kleine Saugnäpfe von meiner Haut naschen. Also, das war nicht „ein bisschen wie“ sondern das war ziemlich genau, was passiert ist, das Gefühl ist so fremd, dass ein Gleichnis nicht viel weiterhilft. Nach einem anderen Tauchgang hat ein Sohn seiner Mutter die Erfahrung als weird but nice beschrieben und besser könnt ich s auch nicht sagen.

Aus dem Aquarium in Kagoshima. Vielleicht ist die Technik der Seeanemone ähnlich wie bei dem Seestern, der sich mit seinen Saugnäpfchen von der Aquariumswand nascht. Die biologische Verwandtschaft hört, wie ich eben nachgeschaut hab, bei den „Gewebetieren“ auf. Die Verwandtschaft zur Seeanemone ist also nicht näher als zu mir…

(1) Und ganz oben auf der Hitliste der Taucherfahrungen die akustische Erfahrung: hab ich einen Wal singen gehört. Es hat niemand besonders damit gerechnet, es wurde zwar immer wieder von Walen geredet, einfach weil Saison ist, aber zwanzig Minuten unter Wasser deutet mir der Tauchanführer, ich solle mal ins Meer hören und nachdem ich seine Gestik entziffert hab, hab ich tatsächlich sanft den Walgesang gehört. Der müsse so ein bis zwei Kilometer entfernt gewesen sein, hat s nachher geheißen. Aber ich war einfach überrascht, dass ich das so hören kann. Ich erinnere mich noch, als ich das erste Mal Walgesang gehört hab (das war auf einer Schallplatte, die einem Micky Maus Heft beigelegt war) und ich mir gedacht hab, dass das doch sicher irgendwie behandelt sein muss, damit man das hören kann. Diesen Gedanken hab ich nie so wirklich relativiert. Bis jetzt. Und jetzt hab ich mir noch gedacht, dass da sicher irgendwo der Ursprung für Sirenengesang drin steckt. Weil irgendeine alte GriechIn wird mal versucht haben, irgendwo einen Krebs hochzutauchen und dabei einen Wal gehört haben. Natürlich ohne ihn zu sehen. Ja, wer singt denn da so schön?, wird man sich gefragt haben. Na, das wird ja wohl eine halbnackte Frau mit einem Fischschwanz sein, war die naheliegende Antwort. Für mich kam der Gedanke vor allem, weil es ja durchaus gefährlich ist, in die Stille des Meeres hineinzuhören: Dafür muss man nämlich die Luft anhalten, weil sonst hat man die Ohren ständig mit dem eigenen Geblubber voll. Und was sie einem sagen, andauernd einbläuen ist, dass man nicht mit dem Atmen aufhören soll unter Wasser. Das hat vor allem damit zu tun, dass es einem die Lunge nicht zerreißt, wenn man sich in der Vertikalen bewegt und sich die Luft dort aufgrund des abfallenden Drucks im Quadrat aufbläht. Und natürlich ersticken, aber da kann man sich vielleicht eher auf den Instinkt verlassen. Jetzt liege ich also im Meer und halte meine Luft, um nochmal diesen Walgesang zu erwischen, weil das wirklich sehr schön ist, in so einer akustisch sonst eher unaufregenden Stunde, jemanden singen zu hören. Ich hab auch nichts mehr gehört.

Die Regeln der Internethitparaden geben mir die Möglichkeit, hier noch ein honorable mention unterzubringen: In der Tauchschule auf Tahiti waren die coolsten Mädels und Jungs und ich bin ja doch viel mit denen abgehangen, also jetzt nicht privat, aber so vorher/nachher ein bisschen auf dem Gelände rumsitzen, wenn grad Zeit ist. Und manche haben ein passables Englisch gesprochen und mit denen hatte ich auch nette Unterhaltungen. Und andere hatten weniger Englisch parat und da war alles ein wenig schwieriger. Die Lisa zum Beispiel, die hat gerade die Ausbildung zur Ausbildnerin gemacht und hat die schwierige Aufgabe bekommen, einen auszubilden, mit dem sie nicht viel gemeinsame Sprache teilt. Abgesehen davon, dass ich die ganze Tauchterminologie eh nicht kannte und von mir aus wäre es wurscht gewesen, ob ich jetzt den französischen oder den englischen Begriff für den Schlauch der von der Flasche zum Mundstück führt lerne. Aber so war da zu Beginn auf jeden Fall einmal wenig optionales Geplauder. Und auch wenn es unter Wasser überhaupt erst einmal etwas einfacher erscheint, weil man da ja eh nicht miteinander reden kann, setzt sich da mitunter die mangelnde Einschätzung des Gegenüber von der Oberfläche fort und dann ist man vielleicht weiterhin ein bisschen komisch. Es ist dann ein bisschen besser geworden, wenn man einander ein wenig einzuschätzen lernt und man sich nicht mehr so viel über die Fehler Sorgen macht, die man beim Reden vielleicht macht. Und dann gab s einen Moment, mein erster explorativer Tauchgang, wo sie mein Buddy gewesen ist und ich weiß nicht mehr was ich gedeutet hab, aber sie hat auf jeden Fall lachen müssen und das war einfach ein guter Moment, und ich hab mir gedacht, wie praktisch, dass ich mir das nonverbale Tauchen als Hobby ausgesucht hab. Abgesehen davon, dass es lustig ist, jemanden unter Wasser lachen zu sehen.

Bergschuhverwendung

Oft einmal packe ich meinen Rucksack und denke mir, die Bergschuhe… Nicht, dass man mich nicht gewarnt hätte. Ich hab die Stimme noch gut im Ohr, die mir geraten hat, vielleicht lieber keine Bergschuhe und wenn ich sie wirklich brauch schicken und sogar wieder zurückschicken. Die meiste Zeit rechtfertigen sie ihre Präsenz damit, dass ich in ihnen kleine bis mittelgroße Gegenstände auf- und vor Quetschungen durch die Verarbeitung im internationalen Flugverkehr -bewahre. Und natürlich sind sie eine gute Fokussierungsunterstützung, wenn ich meinen Gegenstandsfetisch reflektiere: Wie ich oft einmal versucht bin, meine Erfahrungen in Dinge zu projizieren anstatt – was weiß ich – die Erinnerung in mir selbst zu halten. Als ob der Schuh eigentlich das Abenteuer erleben würde, während ich mich selbst nur mitschleppe. Bisschen weniger davon und ich würde mein Leben und meinen Rucksack vielleicht weniger mit Zeug vollstopfen, zwischen dem ich kaum Platz hab.

Außerdem erinnern sie mich daran, dass ich gerade im Konsum öfter einmal einen Mittelweg gehen möge. Also: die zurückhaltendere, die weniger extreme Option zu wählen. Ich hab mich seinerzeit für jenes Modell entschieden, nicht zuletzt weil ich sie pompöser, erdiger, uriger und so für einen Bergschuh wohl archetypischer – quasi: hübscher – empfunden habe. Und in der Wirklichkeit hätte ein Modell „drunter“ für meine Ansprüche in der Regel gereicht, wäre etwas leichter, vielleicht auch in weniger extremen Situationen tragbar und insgesamt etwas flexibler einsetzbar. (Ähnliches gilt für meinen Rucksack, wo ich mich zwar eh bereits für eine Nummer kleiner entschieden hab, aber zurückblickend wäre noch eine Nummer kleiner besser gewesen.)

Alles in allem leisten sie zumindest ihr Gewicht, weil ich bin ja auch zum Nachdenken hier.

Nach den ersten paar Tagen in Tokio, bin ich also einmal raus auf s Land gefahren: Fujiyoshida. Das ist nett, ein bisschen wieder in der Kleinstadt, da sehe ich mal ein bisschen, wie das so ist. Mit den kleinen Häusern und den größeren Vorgärten und den Straßen mit Gegenverkehr.

„Die graphische Umsetzung macht die Schachtabdeckungen als archaische Gestaltungen inmitten hochtechnisierter Urbanisationen sichtbar. In diesem Sinne bedeuten diese Ferrogramme von Christoph Feichtinger ein Kulturzeugnis, das Stammesmustern unserer modernen Zivilisation entspricht.“ [X]

Nachdem ich mit der Hostelangestellten ein bisschen über die Möglichkeiten einer Fujibesteigung gelpaudert hab, schaut s so aus, als würde ich die Be- und Absteigung in einem Aufwischen erledigen. Von meiner Reiseführerinformation her, dauert der Aufstieg um die sechs Stunden, der Abstieg drei und es gibt Unmengen von Übernachtungsmöglichkeiten auf der Route. Also geht man hoch, bleibt über Nacht und sieht noch den Sonnenaufgang vom Fuji aus bevor man sich talwärts aufmacht. Oder eher noch gipfelwärt s eigentlich, weil die Übernachtungen sind ja auf der Route hinauf.

Aber ja, das sind alles Details, die ich kaum wusste. Gelernt hab ich schnell, dass ich zwei konsekutive Nächte gebucht hatte und das Hostel am Freitag dann sowieso ausgebucht sei. Und überhaupt: Wetterberichtsmäßig ist da zwar eine Gewittermöglichkeit für Donnerstag, aber für Freitag schaut s nicht besser aus mit Regen. Und sie ginge auch am Donnerstag, allein deshalb schien sie schon anzunehmen, dass das Wetter am Donnerstag besser sei. Also gut, denk ich mir nach ein bisschen Hätte-ich-echt-auch-mal-im-Vorfeld-besser-auschecken-können, geh ich halt morgen in der Früh, warum nicht. Und komm am gleichen Tag wieder runter, warum nicht. Neun Stunden Berg ist jetzt nicht so das Ding, ich muss nur schauen, dass ich nicht im Dunklen herumstolper. Aber der erste Bus geht um zwanzig nach sechs, das ist kein Aufwand, das gibt mir Zeit.

Weil es ist nämlich so. Der Fujiyama ist in mehrere Stationen unterteilt. Und an den meisten Stationen findet sich eine Übernachtungsmöglichkeit, aber vor allem geht man erst bei Station Nummer Fünf los. Es gibt insgesamt neun oder wahrscheinlich ist der Gipfel dann zehn. Aber der Bus schupft einen auf fünf und dann geht man dort los. Und ja, die Saison endet in der zweiten Septemberwoche, danach werden die Hütten eingestellt und die Sicherheitsvorkehrungen kehren sich ab und überhaupt geht der Fuji in Winterpause. Man kann schon rauf, aber es wird einem halt abgeraten.

Damit ich fit für den Aufstieg bin, der sich wie übereilt beschlossen anfühlt, geh ich eine Runde spazieren und lande in einem Soba Lokal. Und wenn man in den Neunzigern Leute mit der Idee rohen Fischs auf kaltem Reis mit Algen vielleicht verwirrt hat, so klingt die Idee kalter Buchweizennudeln jetzt auf den ersten auch nicht nach einem super Konzept. Aber natürlich ein bisschen hier, ein bisschen da und dreihundert Jahre Tradition, da ist schon was dahinter. Das witzige an dem Lokal war auch, dass es von außen fast schick ausgeschaut hat und ich einmal vorbeigelaufen bin, weil ich mir gedacht hab, nah, das ist zu schick jetzt. Und dann bin ich rein und der Eindruck von innen war gleich ganz ein anderer. Weil es wesentlich privater gewirkt hat, als erwartet. Vielleicht weil der Fernseher in der Ecke gelaufen ist, vielleicht weil neben den fünf „europäischen“ Tischen auch eine Plattform mit traditionellen Tischen gestanden ist, die den Raum ein bisschen gebrochen hat, vielleicht wegen der vertrauten Art, mit der die Gastgeberin (1) mit den drei anwesenden Gästen umgegangen ist. Letztlich war s wahrscheinlich einfach der Stapel Papier, der neben der Theke auf einem kleinen Kasterl gestanden ist, der dem ganzen so sehr eine Arbeitszimmeraura verliehen hat.

Teil meines Jausenpakets: ein Onigiri, Wasabi-Nori Geschmack. Wie vieles hier aufwendig verpackt, aber ich freue mich zumindest, dass ich mit dem Einkauf eine cool choice getroffen hab

Jedenfalls bin ich am nächsten Morgen um fünf aufgestanden. Das ist weniger ein Problem, das ist immer weniger ein Problem. Einerseits bin ich wahrscheinlich einfach ausgeschlafener, aber ich traue mich zu sagen, es funktioniert das mit der Motivation auch besser. Mit der Verantwortungsübernahme. Vielleicht auch der Rhythmus insgesamt, ich glaub, um neun war ich am Vorabend schon abgemeldet. Zum Frühstück gibt s eine doppelte Portion aus meiner Riesenkiste Instantporridge und eine schnelle Tasse Tee. Außerdem füll ich mir Tee in die Thermosflasche, weil… ja, ist ja kalt da oben. Im nächsten Moment hab ich mir gedacht, das ist ein Blödsinn, weil in der Thermoskanne bleibt das ja heiß und das braucht wahrscheinlich meine neun Stunden, bis das so weit ausgekühlt ist, dass ich s trinken kann. Zum Glück finde ich ein paar Pappbecher, von denen ich schnell mal zwei in den Rucksack werfe. Und dann frag ich mich den halben Aufstieg lang immer wieder, ob man einen Berg so schnell hochklettern kann, dass das Wasser in der Thermoskanne zwar auskühlt, aber wegen dem Druckabfall am Gipfel tatsächlich wieder kocht. Ich denk viel mehr über Druck nach, seit ich meinen Open Water Tauchschein gemacht hab.

Der Bus ist gut und der Vorteil an Fujiyoshida im Gegensatz zum etwas größeren und etwas touristischeren Nachbarort, dass wir die erste Station sind und gut Sitzplätze bekommen. Weil als wir in Kawaguchiko ankommen, steht da eine lange Schlange an der Busstation von der tatsächlich zehn, fünfzehn Leute keinen Platz mehr im Bus bekommen. Ja, was ist denn mit denen, frage ich mich, während ich aus meinem Fenster auf sie herunterblicke und in ihren Gesichtern die selbe Frage, etwas dringlicher, geschrieben steht. Witzig ist aber auch, dass wir Fujiyoshidas erst einmal aussteigen müssen, ein Ticket kaufen und dann wieder einsteigen. Und als wir dann alle Sitze in unserem Bus besetzt haben, werden entlang der Gangreihe jeweils noch ein Sitzplatz ausgeklappt und dann gehen sich nochmal zwanzig Leute aus. Aber nicht die, die noch draußen stehen. In einer liebevollen Aufopferung deutet eine Frau, die noch in den Bus dürfen hätte auf ihren Partner, sodass auch ich hinter meinem Fenster verstehe, sie geht nicht ohne ihn. Ich glaub, sie wollte ihn mithaben. Tatsächlich ist sie halt dann dageblieben.

fünfte Station: Die transnationale ästhetische Gleichgültigkeit von Mittelstationsarchitektur

Bis zur fünften Station ist es eine Stunde Fahrt in unserem bis auf den letzten Platz und dann noch ein paar mehr gefüllten Bus. Und dann ein bisschen ein Schock, na sagen wir eine Überraschung, weil die fünfte Station wie ein ganzes alpines Feriendorf daherkommt. Oder zumindest Alpines-Feriendorf-Hauptplatz. Und gleich einmal wieder die Verführungen des Konsumismus und ich ja auch tatsächlich als erstes gleich in den Shop abgebogen. Weil aber nicht von ungefähr: Weil in Kawaguchiko stand ein junger Mann in der Schlange, der hatte einen schicken Wanderstab. Und weil wir quasi im Skandinavien Ostasiens sind, handelt es sich um einen schlichten, geraden, hellholzigen und etwas zu langen Stock. Da hab ich mir schon gedacht, oha, das gefällt. Ich steh ja sowieso auf Wandern am Stock. Und natürlich bieten die Shops am AFH-Platz mir solche Stecken hunderfach an. Mit Fahnen und mit Glocken. Aber ich widerstehe und schüttel den Instinkt zu kaufen ab. Ich find mir schon einen praktikablen Stab am Weg, denk ich mir, übersehend, dass wir halb einen aktiven Vulkan (letzter Ausbruch: 1707) hoch sind und ich nach der ersten Stunde nur noch durch Schutt und Geröll stapfen werde.

Dann zahle ich noch die obligatorische Spende von tausend Yen für die Erhaltung des Gebiets und zack-zack, jetzt muss ich langsam in die Gänge kommen. Noch dazu wo ich die vier deutschen Burschen vermeiden möchte, die bereits seit Fujiyoshida mit mir Schritt halten. Da hätte ich gerne nach vorne oder nach hinten ein bisschen einen Abstand. Bloß so! Ich hab nichts gegen deutsche Burschen, aber für s allein gehen ist es angenehmer, die nicht in Hörweite zu haben. Oder so.

Es gibt insgesamt vier Routen auf den Fuji rauf, für mich, von meiner Seite wären zwei in Frage gekommen und ich hab das kurz überlegt, aber nachdem der Bus zur fünften Station vom Yoshidaweg führt hab ich mich der Einfachheit halber für den, den populärsten entschieden. Und ja, man kann nicht verloren gehen. Zu Beginn steh ich einmal kurz mit Zweifeln vor einem Schild, das die Climbing Route ausweist und ich nicht sicher bin, ob ich zum Klettern hergekommen bin. Aber nachdem mir Leute mit Kindern von dort entgegenkommen, denke ich mir, so schlimm kann s nicht sein. (Die Wahrheit, die mir in der Situation verdeckt bleibt, ist natürlich, dass das der Aufstiegsweg ist und wenn jemand den Aufstiegsweg runterkommt, dann haben sie umgedreht, weil s zu schlimm geworden ist.) Also rauf.

Ich mein, das ist literally da, wo die Route anfängt. Nicht nur bereits oberhalb aller umliegender Gipfel, auch über der Hälfte der Wolken

Die Aussicht ist schon beeindruckend. Nachdem wir ja schon ein gutes Stück auf den Berg hinauf sind, stehen wir bereits höher als die umliegenden Berge. Die hohen Berge hat Japan alle in einem Eck, das die Japanischen Alpen heißt und wieso heißen die immer noch so, das gibt s doch nicht, dass das Gebirge nur diesen Kolonialnamen bekommen hat. Aber nachdem der Fujiyama ja ein Vulkan ist, steht er so allein zwischen gar nicht so hohen Bergen. Und nachdem wir auch schnell einmal aus dem Wald raus sind, ist die Aussicht mehr oder weniger alles, was man hat. Weil es ist keine schöne Wanderroute in dem Sinn. Es ist, wie gesagt, Schutt und Geröll und das ganze hat die eine oder andere Zivilingenieurin am Hang befestigt und man geht dann in einem engen Zick-Zack einfach den Berg hoch. Zwischendurch eben ab und zu eine Zwischenstation an der einem eine Bechersuppe, eine Flasche Wasser oder „Snickers“ verkauft werden – letzteres ist, wenn ich die Zeichen richtig interpretiert habe, Code für eine Handvoll Nussvariation. Außerdem gibt s an nahezu jeder Hütte auch für zwei-, dreihundert Yen einen Stempel zu kaufen. Hier beginne ich langsam die Wanderstabkultur zu verstehen und erkenne nahezu mit Dankbarkeit, was für eine gute Entscheidung es gewesen ist, ohne aufzubrechen. Auf jeder Hütte kann man sich einen Stempel – ich glaube, die werden tatsächlich in das helle Holz gebrannt – in den Stab drücken lassen. Natürlich kann man sagen: schönes Souvenir. Aber ich seh zuerst einmal, dass man hier weiterhin konsumiert. Und zwar im Halbstundentakt. Und schließlich ergeben auch die zwanzig Zentimeter langen Staberl, die man alternativ zum zwei Meter Wanderstab erstehen konnte, einen gewissen Sinn. Und natürlich könnte man auch nächtigen. Aber wenn es mir in der Planung seltsam vorgekommen ist, dass man nicht einmal in der Nähe des Gipfels übernachtet, dann steigert mein tatsächlicher Aufstieg nur dieses Unverständnis. Außerdem bin ich flott unterwegs, die Stunden verfliegen und ich fliege schneller als die Stunden, die auf den Schildern die Entfernungen angeben.

In der Situation selbst hat das viel extremer gewirkt, wie s da oben stürmt und mit welcher Geschwindigkeit der Wind da über den Fujiyama bläst. Aber schön, dass ein bisschen Himmel zu sehen ist.

Es ist schon dicht am Weg. Also, wir hängen nicht hintereinander, aber man ist nie allein. Nicht alle sind derartige Quatschköpfe, wie sich die – stellt sich heraus süddeutschen – Burschen dankbarerweise berechtigterweise herausstellen, die meisten gehen schweigsam, vor allem im Mittelfeld. Unten haben manche noch zu viel Energie und oben, oben werden viele sehr ausdrucksfreudig. Auf den letzten eineinhalb Kilometern verdichten sich die Schilder, wie weit es noch bis zum Gipfel sei, bis dass mir dann alle zweihundert Meter angegeben wird, dass es zweihundert Meter weniger sind. Das ist nicht schlecht, weil obwohl der Anstieg so linear verläuft, versteckt sich der Gipfel zumeist in einer Wolke und die Entfernung ist deshalb kaum einzuschätzen. Und es drückt jetzt schon ganz schön in den Wadeln. Ich hab von den sechs etwa eineinhalb Stunden abgezwickt, aber das hat mich schon auch gekostet. Das Ziel, stellt sich heraus, ist auch gar nicht so sehr der Gipfel sondern ein Schrein. Und so gehen wir durch ein so ein symbolisches Tor durch, in dessen Holz die Leute kleinwertige Münzen hineingedrückt haben, und durch ein zweites. Und dann sind auch die letzten zweihundert Meter geschafft und der Wind hat zugenommen und der Nebel ist auch etwas dichter und die Finger werden kalt. Und dann gehe ich nicht nach links, zum Schrein, zu den Bänken und den windfangenden Gebäuden, sondern nach rechts, weil s dort mehr nach Gipfel ausschaut. Egal ob s a berg oda-r-a madl is / aufi muass i, de’es is gwiss, singt Alfred Dorfer in meinem Kopf. Und ich weigere mich dagegen, dass es eine Bezwingermentalität ist, die die Gipfelgier in mir schürt, ich glaub, das ist nicht intrinsisch.

Stapf, stapf, durch s Tor durch. Und im Tal liegt der Tamanaka See

Und jetzt, am Gipfel, wenn man zweitausend Meter höher ist, als irgendwas anderes in der Umgebung. Da geht ein ziemlicher Wind. Und da kondensiert der halbe Himmel und es nebelt, dass es mit der Hälfte auch bald einmal genug gewesen wäre. Aber wen finde ich natürlich ebenfalls den orkanhaften Gipfelverhältnissen trotzend oberhalb des Schreins? Meine deutschen Plaudertaschen. Und so kauere ich hinter einem Felsen, zu dem ich in einer kurzen Windstille vorgeprescht bin, um einen Blick in den Krater zu werfen. Ich kann tatsächlich nicht aufstehen, weil mich der Wind mitnehmen würde und meine Finger sind bereits so durchfroren, dass ich Schwierigkeiten habe, die Clips an meinem Rucksack zu öffnen oder zu schließen. Nicht, dass ich mir einen Tee einschenken hätte wollen, bei den Verhältnissen, aber ich hab mich mit einem getrockneten Tintenfisch belohnt, den ich mir als Gipfeljause im Geschäft gekauft hab: Gewöhnungsbedarf vorhanden, aber natürlich motiviert die Situation zum Genuss.

Den asiatischen MitwandererInnen scheint die ganze Gipfelgeschichte relativ egal zu sein. Ich mein: relativ. Weil das Erreichen schon Begeisterung auslöst. Auf den letzten Metern berichterstatten immer mehr Leute ihrem Selfiesticktelefon den Höhepunkt, auf den sie sich stetig zuarbeiten. Das, denke ich mir, das ist wie diese Selfieunfälle passieren. Weil man fragt sich schon, warum doch viele Leute dabei zu Tode kommen, von sich selbst ein Foto aufzunehmen, auch wenn sie neben einer Schlucht stehen. Aber hier sehe ich, das sind wahrscheinlich eher diese Leute, die sich während der Strapaze selbst noch im Bild halten und ihrem Telefon erzählen, wie anstrengend oder super die aktuelle Situation ist. Und nachdem letzten Tor, das das Ziel des Aufstiegs symbolisiert (nicht der Gipfel), höre ich viele Ausrufe der Dankbarkeit. Aber vielleicht ist das auch das einzige, was ich verstehe. Ich mein, ich kann sagen, dass sie nicht Guten Tag gerufen haben oder Auf Wiedersehen. Oder von eins bis zehn gezählt haben. Weil das ist es mit meinem Japanisch. Aber interessant schon, denke ich mir, wie das mit der Dankbarkeit in verschiedenen kulturellen Kontexten ist. Natürlich, ich mach gleich wieder einen kulturellen Kontext daraus anstatt einem Menschen zugehört zu haben, der auf japanisch Dankbarkeit für die Wegbeendung ausgedrückt hat. Und dem stell ich die alte Frau gegenüber, die in Maria Alm gesessen ist und als man sie fragt, ob sie stolz auf ihren Sohn sei, weil der diesen oder jenen Erfolg vorzuweisen hat, hat sie gemeint, nein, nicht stolz, nie stolz. Dankbar sei sie. Weil Gott und so. Und dann denke ich mir, dass so viele Aspekte des Lebens in Europa von Institutionen vereinnahmt und beansprucht worden sind und diese Institutionen, wie man in den letzten hundert Jahren dann zunehmend kritisch feststellt, eine lange Geschichte gewissen Fehlverhaltens besitzen und wir uns vielleicht mal mehr, mal weniger davon zu distanzieren beginnen. Von einer lustfeindlichen Kirche, von einem rassistischen Imperialismus, von einem entmündigenden politischen Autoritarismus. Mehr oder weniger. Und dann leidet vielleicht auch einmal die Dankbarkeit, weil vor lauter den Patriarchen dankbar sein und den Patriarchen dankbar sein müssen vielleicht die Wertschätzung einer Situation oder eine Hilfeleistung ein bisschen aus der Übung gegangen ist. Ein schwieriges Verhältnis zur Dankbarkeit, aber zu Recht.

Nachdem ich vom Philosophieren im selbstverschuldeten Kraterrandexil zurück in den relativen Windschatten geschafft habe, hock ich noch ein bisschen in der einen oder anderen herum und versuche durch die altbewährte Methode des Teetassehaltens wieder Wärme in die Finger zu bekommen. Ich krieg nach wie vor mehr Kiesel in den Tee geblasen als Lebenskraft in die Fingerspitzen, aber es tut sich was, ich werde alle meine Finger behalten können. Und dann noch ein bisschen Tintenfisch.

Von links nach rechts: der Schotter (-) und die Aussicht (+)

Aber ja, was tut man dann, wenn man am Gipfel ist? Man belohnt sich mit dem, was man sich bis dahin vorenthalten hat und wenn es nicht so zugenebelt wäre, dann werfe man einen Blick in die Umwelt. Durch den Nebel gestarrt zeigt sich bloß, dass mich mein Kraterrandsbesuch sicher nur auf bis zu zwanzig Meter unterhalb der höchsten Kraterrandsstelle geführt hat, das sind so die Schwierigkeiten mit einem kreisrunden Gipfel. Es reicht jetzt allerdings, ich begnüge mich mit einem Blick in die Richtung des Fujihöhepunkts und folge den Abstiegspfeilen.

Es geht flott, dass man wieder aus dem Ärgsten heraus ist. Aber dann wird s halt nochmal wirklich öd. Weil hier wiederum mehr Schutt und Geröll, die Serpentinen sind großzügiger aber Einschätzung für die Wegdauer ist dafür etwas entsprechender und es sind halt drei Stunden bergab stapfen. Ich will nicht sagen, dass es erst hier ist, dass die Bergschuhe nun wirklich zu leuchten beginnen, aber natürlich sind stabile Fesseln schon etwas wunderbares, wenn man so vor sich hin stolpert. Auch die Knie machen keine Spompanadeln, da hat mir einmal das linke ein bisschen belastet gewirkt und dann kurz darauf das rechte und ich hatte vergessen, dass es vorher das linke gewesen ist und hab mir gedacht, das sei immer noch dasselbe Knie und dann hab ich mich erinnert und mir gedacht, das ist wohl nicht so schlimm für die Knie, wenn sie sich abwechseln und ich merk s nicht einmal. Und weil der Geist frei ist, begeistere ich mich jetzt noch ein bisschen für die Geologie, hebe mal hier mal da einen Stein auf und freue mich über Formen und Farben des Vulkangesteins. Weil das ist irgendwie schon was tolles, wenn man einem Stein ansieht, dass er vor nicht allzu langer Zeit noch flüssig gewesen ist.

Na und dann bin ich wieder auf der fünften Station. Von halb acht bis dreiviertel drei, sieben und eine dreiviertel Stunde. Und nachdem um kurz nach drei der Bus mich bereits wieder nach Fujiyoshida geschupft hat, war ich um fünf schon frisch geduscht, den Kies großteils aus dem Rucksack gebeutelt und sogar die Steine, die ich mir als Andenken vom Gipfel mitgenommen hab, in den Mistkübel entsorgt, so sehr hatte ich das Adrenalin bis dahin abgebaut. So vom Gehen her, war s schon recht gut, auch wenn es insgesamt ein bisschen mehr eine spirituelle Erfahrung ist, in der relativen vulkanischen Einöde in den Wind hinauf zu stapfen und dann auf dem Forststraßenäquivalent wieder runter. Vielleicht war s ein Pech, dass das Wetter oben so stürmisch gewesen ist, auf der anderen Seite war s ein Wahnsinnsglück, dass das Wetter überhaupt so gut war, weil Freitag hat s dann tatsächlich noch geregnet und das ist sicher kein Spaß.

Aber nicht alle Wolken sind schlecht. Hier ist eine hübsche Altocumulus lenticularis, die den ganzen Tag lang über unserem Aufstieg gehangen ist

Und weil s ein Vulkan ist, gibt s auch Thermalquellen in der Gegend. Und da bin ich am nächsten Tag noch hin und hab mir eine Runde Onsen gegeben. Das gehört irgendwie noch dazu, weil da sind zwar keine Bergschuhe mehr im Spiel gewesen, aber ich war schon ein wenig muskelverkatert am nächsten Tag und da ist so ein Warmbadetag gerade das richtige.

Auch hier gibt s einen Shuttlebus, der mich von der Station abholt. Ich bin allerdings ein bisschen schlecht organisiert für diesen Ausflug, stelle ich fest. Ich hab einen Bus zu erwischen, der mich nach Tokio zurückbringt und dadurch komm ich fast ein bisschen in einen Zeitdruck, weil der Shuttlebusrhythmus so ein Klumpert ist. Ich hab schon gesehen, dass der Onsen nur vierzig Minuten entfernt ist, also: zu Fuß. Was ich nicht gesehen hab, ist, dass es nur noch zwanzig von der Busstation sind und ich nicht zwanzig Minuten hätte warten und dann zwanzig Minuten in die entgegengesetzte Richtung chauffieren hätte lassen müssen, bis der Kreisverkehr mich zurück an den Onsen gebracht hat. Pfff! Ach ja, weil nachdem der Bus beim Onsen selbst gar nicht mehr gehalten hat, bin ich von der vorletzten Station dann eh nochmal zehn Minuten gegangen.

Onsenonsenonsenonsen.

Zwischen dem Onsen und Fujiyoshida liegt ein Vergnügungspark mit verrückten Hochschaubahnen. Für mich blöd, weil ich um den Park herumgehen musst, was mir zwanzig Minuten Wegzeit beschert hat. Zwanzig Minuten Wegzeit und eine halbe Minute Panikakustik. (Zu der man sich jegliche Bewegung auf der Hochschaubahn selbst vorstellen muss – es ist nur ein Foto.)

Jetzt interessant auch, dass ich schon bevor ich mir eine Eintrittskarte kauf, meine Schuhe in einer Kiste lassen muss, auf deren Schlüssel ein Chip ist, den ich beim Rausgehen lesen lassen muss und zahlen, damit ich wieder raus kann. Es handle sich alles um bargeldlosen Bereich. Was irgendwie logisch ist, weil wo soll man s denn aufbewahren. Nein, keine Taschen, keine Hosen. Ich krieg ein kleines Handtuch und das stellt sich als sehr vielseitig heraus. Sonst lasse ich alles im nächsten Spind, und während ich noch den japanischen Bademantel anziehe, den ich ebenfalls ausgeborgt bekommen hab, dreh ich nach einem Blick durch die automatische Schiebetür wieder um und zu meinem Spind zurück. Den brauch ich hier nicht.

Jetzt. Da ist schon viel Nacktheit in so einem Onsen. Wir sind natürlich nach Geschlechtern getrennt, das fängt schon vor dem Kassenbereich (obwohl dort ja keine Kassen sind, ist wohl mehr ein Informationsbereich) an, dass die Schuhkästchen für die Frauen und die Männer getrennt sind. Und dann im Bad ist nicht so schlecht, dass hier in Japan Frauen und Männer selbst auf Toiletten immer auch farbcodiert sind, also Frauen alles rosa (mit einer Tendenz zu rot, ich betrachte das als das in dieser Hinsicht progressive Japan), Männer alles blau. Und so bin ich zumindest da zielstrebig. Mit meinem ersten Schritt ins Bad bin ich mit so viel neuem konfrontiert, gleich mal Kardinalfehler. Nicht, dass ich ganz ohne mich zu waschen ins erste Becken gestiegen bin, aber ich hab mich mehr ein bisschen nur so aus einem großen Bottich überschüttet, mehr rituelle Waschung. Während direkt daneben Duschen mit Seifen und Shampoos gestanden sind. Und die sind ja nicht einmal uneinsichtig oder besonders stabil von einander getrennt. Da sitzt man ja wirklich nebeneinander. Und man ist zum Waschen da. Dafür sind nämlich dann auch die Bademäntel, weil dann macht man sich Umkleidekabinenbereich noch hübsch, nicht nur Frisieren (sind das drei Sorten Haargel?) sondern auch Rasieren.

Aber ja, die ersten Minuten verbringe ich damit, mich über meinen Faux Pas zu sorgen, während ich die verschiedenen Bäder erkunde. Von der Architektur fand ich s auch schnell einmal interessant, weil die Männer und Frauen zwar getrennt, aber unter dem gleichen Dach sind. Und die Trennwand geht nicht bis zur Decke und so hören die einen die anderen und umgekehrt. Da kam mir schon manchmal vor, dass da drüben mehr gelacht würde als bei uns herüben, wo sich Männer ehrfürchtig vom Schlafbecken, ins aromatisierte Wasser, in die Sauna, auf die Liege bewegen. Aber dann kam eine Gruppe junger Zwanziger und ich hab mir gedacht, das ist schon sehr seltsam, weil die auch gar nichts vor einander versteckt haben, wenn sie da gemeinsam durch die Becken gestiegen sind. Ja, der eine saß sogar sehr offenbeinig am Beckenrand, während seine Kumpels bis zu den Schultern im Wasser untergetaucht waren. Das sind womöglich eigene Verhältnisse, die man da zu seinen Kollegen hat, wo das nicht mal kommentiert wird (worden scheint). Na, die haben auf jeden Fall auch manchmal ein bisschen einen Wirbel gemacht und haben diese Frau-Mann-Differenzen-Beobachtung relativiert.

Gibt s doch ein Bild aus dem Onsen, halt ohne Leute

Aber selbst der freizügige Freikörperumgang gleichgeschlechtlicher Twens hat mich weniger überrascht, als einen Fernseher in der Sauna zu finden. Dass die Sauna keine Saunaofen hatte, das ist das eine, das sind einfach unterschiedliche Saunatraditionen. Aber während im ganzen Bad verhältnismäßige Stille oder generische Massagetherapiemusik gespielt wird, kann man ausgerechnet in der Sauna dann Vormittagstalkshows schauen. Das kam mir seltsam vor. Und wie timed man seine Saunazeit, sans Aufguss? Bis zur nächsten Werbeunterbrechung? Well, I guess einfach bis man genug hat.

Zwischendurch kann man sich ein bisschen mit seinem kleinen Handtuch abtrocknen oder auf dem Weg von Becken zu Becken die eigenen gentleman vegetables verdeckt halten. Oder sich damit beim Waschen abschrubben. Wichtig ist, dass es dadurch zu einem persönlichen Gegenstand wird, den man nicht mit ins Becken nimmt. Traditionell hat man s einfach auf dem Kopf, weil der geht auch nicht unter Wasser. Aber oft genug legt man s einfach auf den Beckenrand. Da ist es gut aufgehoben. Das faszinierende ist aber doch, wie das Handtuch nass funktioniert und nach dem Auswringen tatsächlich noch gut genug zum Abtrocknen ist. Das ist schon faszinierend irgendwie. Ich mein, der ganze Onsen war angenehm warm und das ist wohl nicht nur das Thermalwasser sondern auch der Spätsommer, vielleicht ist das im Winter ein bisschen kritischer mit der Lufttemperatur. Aber ich kann mir vorstellen, dass es insgesamt schon angenehm warm ist, auch wenn s draußen winterlt.

Nachdem s bisschen abgeregnet hat, hat sich der Fujiyama auch am Freitag nochmal gezeigt.

So war das. Es war weniger aufregend als die vulkanischen Bäder in Neuseeland oder Indonesien, wo dem heißen Wasser der Geruch von Schwefel und anderen Gerüchen aus den Tiefen der Erde anheften. Um es mit einer für meine Japanbeschreibungen langsam aber sicher ausdrucksschwachen Beschreibung zu sagen: es war hübsch und schlicht, durchaus gemütlich. Und auf jeden Fall praktikabel. Wie gesagt, ich bin da mit der ritualisierten Waschung hineingegangen, aber es erschien in der Praxis wirklich etwas, wo nach wie vor der Aspekt der Hygiene eine zentrale Rolle spielt. Während man sich bei uns im Bad die Chancen dafür, dass man sich was einfängt in der Regel höher wirken, als dass man sich was auskuriere.

Hat jetzt nix besonders mit was anderem zu tun, nur weil ich den in Fujiyoshida gesehen hab: Ich einen Moment sehr überrascht darüber, dass es Zigarettenautomaten gibt, dass Zigaretten so hemschwellenfrei verfügbar sind. Mir ist dann sehr schnell eingefallen, dass es das bei uns ja total viel gibt

Nachdem ich ein letztes Mal im künstlich karbonisierten Wasser gelegen bin (weniger aufregend als man denkt), hab ich mich wie selbstverständlich auf meinem Schemel gewaschen und hab mich dann mit dem gleichen Handtuch abgetrocknet, mit dem ich mich gerade gewaschlappen hab. Und dann bin ich zu Fuß ins Hostel, wo ich noch kurz mit der Rezeptionsbesetzerin über ihren Abstieg im Regen geplaudert hab und dann wieder zurück zur Busstation. Dort noch schnell eine Schüssel Udon gelöffelt und nach zwei Stunden Autobahn wieder im vertrauten Tokio. Ich lauf trotz aller Vertrautheit sofort in die falsche Richtung. Nicht einmal sofort: nach minutenlanger Überlegung und Telefonrotation marschier ich zielstrebig los um dann festzustellen, dass ich absolut in die falsche Richtung unterwegs bin. Und for the sake of Textstrukturierung ist das ein guter Punkt um festzustellen, dass es gut ist, dass man s auf einem Berg schnell einmal merkt, wenn man in die falsche Richtung unterwegs ist.

Tamar Valley

Tamar Valley ist eine Kette, die Milchprodukte herstellt. Ich hab ein paar Joghurts von ihnen gegessen, mit Mango-Passionsfrucht Geschmack, war ganz gut, wobei die Mango wie so oft ja mehr eine Geschmacksstreckerin ist als wirklich etwas, was man haben will, wenn man gleichzeitig Passionsfrucht bekommt. Oh, ständiges Passionsfruchtessen ist der schönste Zeitvertreib, den ich mir in Australien angewohnt habe. Auch hier wird die zwar stückweise gekauft, aber einen Euro pro Stück, das… in Wirklichkeit weiß ich gar nicht, ob das günstiger ist, als bei uns zuhause. Aber auf jeden Fall find ich s ok und ich halt mich eh zurück. Es ist einfach das beste. Und so war ich ein bisschen traurig, dass ich am Flughafen drei Bananen, zwei Kiwis und eine Maracuja in den Kübel entsorgen musste. Weil Australien hat auch – ich hab das vielleicht mal erwähnt, als ich in Alice Springs gewesen bin – zwischen den Bundesstaaten absurd strenge Einfuhrgesetze, was Obst und Gemüse betrifft. Ich glaub nach Melbourne hab ich von Alice Springs aus sogar eine Banane geschmuggelt oder einen Apfel. Jetzt, am Launcestoner Flughafen hat mich der Spürhund aus der Menge gepickt, der wollte mein Freund sein. Die Banane hat halt noch gerochen, nachdem ich sie gerade erst eine Minute vorher entsorgt hatte. Dafür hätte es kaum den geruchssensiblen Hund gebraucht, das hätte auch der ältere Herr von der Immigration selbst riechen können, so intensiv war das.

Im Sinne von „other yoghurts are available“ möchte ich gerne Thick & Creamy erwähnen. Ich bin kein Fan vom Feigenjoghurt, aber ich bin ein Fan von Alex Horne und seiner Horne Section (hier mit Roisin Conaty, von der ich auch ein Fan bin).

Jetzt bin ich jedenfalls sozusagen am unteren Ende des Tamartals und gestern bin ich mit dem Bus fast bis nach ganz oben gefahren, fast bis ans Meer. Da waren schon ein paar Kühe zu sehen, ein paar Kühe, ein paar Schafe und eine Handvoll Lamas. Ist immer ganz nett, Lamas auf einer Weide zu sehen. Das ist so ein bisschen, na ja, das ist ein bisschen eine Innovation irgendwie, eine Neuigkeit. Und Lamas haben oft einen netten Gesichtsausdruck und ein bisschen was knuffiges. Und weil sie bisschen längere Beine haben und den Hals und so… auf jeden Fall sind Schafe oft ein bisschen verdreckt, während Lamas quasi direkt in einen Pullover gestrickt werden können, so scheint s. Kühe, Schafe, Lamas und Pferde in Pferdejacken. Weil es ist kalt. Heute Nacht hat s unter Null gehabt. Und ich hab zwar zuletzt ein bisschen über die meiner Eitelkeit zuzuschreibenden Einschränkungen meiner Kleidung berichtet, aber wenn s hart auf hart kommt, dann ist das ja egal.

In Beauty Point, wo der Bus seine Endstation hat, gibt s das Schnabeltierhaus und die Seepferdechenwelt. Und ich hab mir beides gegeben, auch wenn ich nur drei Stunden Zeit hatte, weil der letzte Bus am Samstag bereits um halb zwei wieder zurück nach Launceston fährt. Aber nachdem das beides geführte Besuche sind, war eh klar, dass die nur jeweils eine Stunde dauern und dann ist sich sogar noch Zeit für einen Kuchen im Café River ausgegangen.

Schnabeltierhaus war super. Ich hab eh gesagt, dass ich die sehr herzig finde und das tolle an tasmanischen Schnabeltieren, im Gegensatz zu denen am Festland, ist, dass sie sich nicht auf Nachtaktivität beschränken. Das, scherzt der Führer, hätten sie auch mit den Menschen gemeinsam, wo die TasmanierInnen ja auch insgesamt mehr leisten als die FestlandaustralierInnen. Haha, nein, bloß ein Scherz. Ich komme mir immer ein bisschen vor, als würde ich da aus der Reisegruppe hervorstechen, weil in der Regel halt vor allem Kinder und hier vor allem Mädchen mit ihren Eltern (vor allem Müttern), in den Attraktionen von Beauty Point zu finden sind. Hier vor allem in der Seepferdchenwelt. Deswegen ist es umso seltsamer, dass ein Dreifachpass angeboten wird, der neben der Seepferdchenwelt und dem Schnabeltierhaus noch das Beaconsfield Mine and Heritage Center beinhalted, also einen Besuch in das Minenmuseum. Weißt, wenn ich die Zeit gehabt hätte oder nicht so überrascht davon gewesen wäre, dass ausgerechnet die industrielle Vergangenheit der Gegend noch Gegenstand meines Ausflugs sein sollte, hätte ich mir das ja auch angeschaut. Aber insgesamt bisschen eine komische Kombination.

Weniger komisch ist, dass das Schnabeltierhaus neben den fünf Schnabeltieren auch drei Echidnas – also Ameisenigel – beherbergt. Die beiden sind nämlich die einzigen lebenden Vertreter der Monotremata, der Kloakentiere: Säugetiere mit Kloake, die Eier legen und ihre Kinder (puggles) säugen. (Uh! Babyschnabeltiere haben außerdem Zähne, die ihnen später zugunsten von so Mahlplatten ausfallen.) Schließlich haben sie beide die Beinstellung von Reptilien, was es ganz witzig macht, ihnen beim Watscheln zuzuschauen. In einem Eingangsvideo war eine deutsche Biologin zu sehen, die sich als Kind für Schnabeltiere interessiert hat und deswegen jetzt in Australien ist und die ein Schnabeltierweibchen verfolgt und dann tun sie eine Kamera in den Bau und schauen den geschlüpften Jungtieren beim Aufwachsen zu. Wie man s halt macht, in einem Tierfilm. Weil man weiß so wenig, heißt s immer wieder, man weiß so wenig. Und ich denk mir, wenn ich das gewusst hätte, dass man so wenig weiß, dann hätte ich doch sowas gelernt, so leicht wie ich der Tätigkeit gegenüber begeisterungsfähig bin…

Dann haben wir uns Jupiter angeschaut, weil der der größte Planet sei und deshalb heißt auch das große Schnabeltier so. Und der ist wirklich groß, vielleicht sechzig Zentimeter, das eine Männchen, dass sie haben. Weil sie sind bisschen sehr territorial und da wird nur ein Männchen im Schnabeltierhaus geduldet. Weibchen haben sie vier und eine davon heißt Poppy und eine andere Freya, worüber ich mir die anderen zwei Namen dann gar nicht mehr gemerkt hab. Und als er gesagt hat, dass sie beim Tauchen die Augen zu machen, hat mich das gar nicht gewundert, weil wenn sie am Boden nach Essen suchen, dann machen sie das im Kreis und durchaus systematisch, aber auf jeden Fall schaut s nicht so aus, als würden sie sich gründlich nach Essen umschauen.

Ich glaub, das ist Poppy, die in ihrem Aquarium irgendwelche Würmer verloren hat. Wunzig im Gegensatz zu Jupiter. Aber herzallerliebst in Gegensatz zu so ziemlich allem anderen auf der Welt!

Durch das Ameisenigelzimmer gehen wir dann einfach so durch, während die Ameisenigel aus ihren Bauten kriechen um sich ein Essen abzuholen, dass der Führer auf den Boden stellt. Das ist so eine Creme, aber es sind auch wirklich Ameisen drin. Die sind schon auch herzig, das miss man ihnen auf jeden Fall anerkennen. Wie sie schlurfen und dass sie eigentlich halt so kleine bestachelte Kugeln sind, aus denen vorne eine lange Nase und drumherum kleine Beinchen mit langen Klauen hervorwachsen.

Selbst der Führungstyp war überrascht, dass sie plötzlich zu dritt dastanden, weil der eine („Big Tom“) war eigentlich gerade im Winterschlaf. Allerdings tun sich die offenbar relativ leicht, mit rein und raus aus dem Winterschlaf und so hat er kurzerhand auf einen Teller Ameisen vorbeigeschaut.

Interessant ist bei beiden Tieren, dass sie – auf Tasmanien – nicht gefährdet sind. Sie dürften insgesamt genügend Platz haben und einheimische Raubtiere suchen sich in der Regel kleinere Tiere. Füchse seien am Festland ein Problem, aber auf Tasmanien gibt s keine Füchse. Manchmal holt sich ein Adler ein Schnabeltier oder versucht irgendwie an die weiche Unterseite von einem Ameisenigel zu kommen. Aber insgesamt geht s ihnen gut, stabile Population und alles. Auch gut zu hören.

Seepferdchen gibt s überhaupt viele. Ich mein, er sagt wenig darüber, wie s ihnen in der Natur geht, aber die ganze Seepferdchenwelt ist eine Zuchtstation und man kann dort auch seine Seepferdchen kaufen. Er sagt immer wieder mal Preise durch, wenn er die verschiedenen Arten beschreibt. Aber nicht wie im Geschäft, mehr so nebenbei. Und Seepferdchen, ich mein, man muss sicher auf Sachen aufpassen, der Tourguide meint zum Beispiel, dass die Einrichtung eines Seepferdchenaquariums schon einmal ein halbes Jahr dauern kann, bis alles passt, bevor man sich sein Seepferd hineinsetzt. Aber wenn man s mal heraußen hat… Nachdem der Vater oft einmal mehrere hundert Seepferdchenfohlen zur Welt bringt, schwimmen in den Zuchttanks einfach tausende kleine Seepferdchen herum. Weil in der Natur ist natürlich das Problem, dass die anderen Seepferdchen gerne mal einen Seepferdchennachwuchs schnabulieren, geschweige denn die anderen MeeresbewohnerInnen. Immer eine Gefahr für ein Seefüllen. Aber in der kontrollieren Seepferdchenwelt des Aquariums überleben wahrscheinlich fünfundneunzig Prozent.

Kübelweise Seefohlen.

Ja, die Väter. Das Weibchen übergibt die Eier dem Männchen in eine Bauchtasche, in der sie befruchtet werden. Die Fohlen schlüpfen dann sogar in der Bauchtasche und dann kann man sich einen Film anschauen, in dem das Männchen kleine Seepferdchen (Seepferdchenchen?) aus seiner Bauchtasche schleudert. Und deshalb kann man das Geschlecht von Seepferdchen am Bauch erkennen: die Männchen haben einen Wasserbauch und die Weibchen was der Führer ein Six-Pack genannt hat. Weil um attraktiv zu wirken, stopfen die Männchen ihre Bauchtaschen mit Wasser aus um stolz ihre Wamperl zu zeigen.

Das ist kein Seepferdchen, sondern, glaub ich, ein Seedrache oder wie die deutsche Wikipedia ergänzt: ein Kleiner Fetzenfisch. Und das bisschen mehr Fisch sieht man ihm auch an, muss sich nicht festhalten und all das.

Und dann haben wir noch Seepferdchen gehalten und das ist immer spätestens der Moment, wo man merkt: ich konkurriere mit kleinen Mädchen um einen Platz am Aquarium. Nein. Eh nicht. Ich lass die kleinen Mädchen gerne vorher ein Seepferdchen halten. Leider war mein Seepferdchen dann schon etwas des Haltens müde oder es war insgesamt ein bockiger Seemustang. Idealerweise hätte es ja seinen Schwanz um meinen Finger geschlungen und wäre lässig in der Strömung gestanden. Aber nichts da, das reinste Rodeo, wenn man beim Rodeo das Rodeopferdchen einfach mit einer Hand fassen würde. Und so hab ich mich nach wenigen Sekunden auch abwerfen lassen.

„How was your day?“, hat der Busfahrer zu mir gesagt, als er mich um halb zwei abgeholt hat. Ja, hab ich gesagt, schön war s.

Abends war ich dann noch den Spiderman anschauen. Weil irgendwie wollte ich gern noch ein bisschen raus am Abend und nachdem die Busstation gegenüber vom Kino gewesen ist, hab ich da schon das Programm gecheckt gehabt. War dann auch ganz gut. Ein bisschen zu durchsichtig der Plot ganz ehrlich, das hat mich nicht überrascht, was da dann vielleicht für Überraschung sorgen sollte. Hingegen war ich überrascht, dass der Spiderman auf seiner Europatour auch in Österreich gewesen ist. Weil sie sind von Venedig über die Alpen nach Prag gefahren und das war zwar ein bisschen ein Umweg und die Musik war auch schon Tschechisch. (Ich hab s zuerst eher für was Jugoslawisches gehalten, aber nachdem in Prag der Soundtrack mehr oder weniger fortgeführt wurde, tippe ich jetzt auf Tschechisch in the first place.) Aber ich hab mich bisschen überrascht umgeschaut, als die Alps, Austria Einblendung gewesen ist und nicht mehr Enthusiasmus spürbar wurde. So sehr bin ich in dem Film verloren gegangen, dass es einen Moment gebraucht hat, bis ich mich ja nicht von ÖsterreicherInnen umgeben erkannt habe. Und für eine Szene, die an einer generisch-alpinen Raststation spielt, bring ich jetzt auch keine Heimatsbegeisterung auf.

Dann, jetzt ein bisschen weiter in die Filmkritik eingehend, hab ich schon auch auffällig gefunden, dass die Bösen mal wieder enttäuschte ArbeitnehmerInnen sind. Das hat mich schon beim Spiderman Homecoming bisschen irritiert, den ich vor ein paar Wochen im Fernsehen bisschen angeschaut habe, dass der Böse ein enttäuschter Arbeiter ist, dem seine Arbeitsgrundlage illegal gemacht worden ist, weil der reiche Anton Stark oder die Regierung oder halt jemand mit im Zweifelsfall Waffengewalt, die Artefakte für sich beansprucht, die der Michael Keaton mit seiner Firma aus den Ruinen klaubt. Und jetzt wieder, zwar nicht mehr Blue-Collar aber schon wieder die dem Lob auf ihre Arbeit enteigneten ArbeitnehmerInnen. Uncool, Spiderman, Handlanger des Großkapitals! „Friendly Neighbourhood“, my bum! Und uncool wer auch immer sich keine Sorgen über die moralischen Implikationen der Darstellung von skrupellosen, machtgeilen ArbeiterInnen in für Kinder gemachte Filme macht.

Ich glaub, es war mein erster Marvel Film im Kino. Aber sieht man, wie kalt es am Heimweg war?

Und am nächsten Tag dann ein Spaziergang in den Cateract Gorge, da geht so ein Weg in die Schlucht hinein, wo einer der Zuflüsse in den Tamar ein bisschen ein Wildwasser und ein bisschen einen hübschen See macht, in den im Sommer die LauncestonerInnen wohl baden gehen. Aber nicht jetzt. Jetzt ist es kalt und Hochwasserwarnung. Aber es ist ein schöner Spaziergang, eine halbe Stunde und man hat dank Schlucht das Gefühl, ewig weit von allem Weg zu sein.

In der Schlucht gibt es auch ein betonernes Becken zum Längenschwimmen. Und der Himmel, ja, irgendwie ist der Himmel auf der Südhalbkugel schon schön.

Launceston selbst hat mir eigentlich auch ganz gut gefallen, vielleicht auch nach so langer Zeit in der großen Stadt, dass mir das mit der Kleinstadt wieder ganz gut getan hat. Gut gefallen hat. Es hat mich ein bisschen an Tin Can Bay erinnert, obwohl es sicher deutlich größer ist. Aber daran hab ich gedacht, diese erste Begegnung mit den breiten Straßen und den großen Vorgärten… Aber das war eigentlich auch mehr beim Reinfahren, weil dort wo ich dann war, war s eh deutlich kompakter. Immer noch breite Straßen. Und die blödesten Ampeln, die ich in Australien erlebt hab, weil die nur grün geworden sind, wenn man gedrückt hat, aber meistens, wenn man gedrückt hat und die Autos hatten schon grün auf der Geraden, hat s mir nicht mehr grün gemacht. Auf der anderen Seite haben sich die Leute sehr stark an die Ampeln gehalten, das war auch irgendwo überraschend.

Interessant war auch, dass mir mindestens drei Buchgeschäfte aufgefallen sind. Also echte Buchgeschäfte, keine Geschäfte, die einfach mal eine Kiste Bücher um einen Euro vor die Tür stellen, aber auch keine Megastores, kein Thalia, kein Amazon, nicht mal ein Frick. Das ist schon erstaunlich, these days und vielleicht überhaupt days.

Hier bin ich mal wieder lange auf der Straße gestanden um ein Foto von einem kleinen Vogel zu erhaschen. Auf diesem sind s sogar zwei geworden.

Am Nachmittag hab ich mir im Museum noch eine Eintrittskarte in die Dinosaurierausstellung gegönnt. Weil das Museum natürlich gratis, aber die Sonderausstellung war ihr Geld auch durchaus wert. Da hat sich nämlich jemand die Mühe gemacht und eine kleine Ausstellung über die Federn auf Dinosauriern zusammengestellt. Und da haben sie (günstige, möchte ich sagen) Kopien von Fossilien an die Wand gehängt und einen Zeichner gehabt, der ihnen hübsche, farbenprächtige Bilder von Dinosauriern gemacht hat und sogar ein paar animatronische Dinosaurier mit Federn drauf. Die wirklich ein Scheiß sind, aber ja, was soll s. Ich mein, ist ja für die Kinder und wenn das die Begeisterung weckt. Wie. So. Nicht. Weil ich hab mir wieder gedacht: als ich ein Kind war und mich für Dinosaurier interessiert hab, hab ich ein bisschen gedacht, dass man schon alles weiß und dass Paläontologie nicht so spannend ist. Dass da die ganze Federrevolution quasi direkt in meine Generation fallen würde, das hab ich nicht geahnt. Sooo spannend, was sich da getan hat und so interessant, weil das ganze so von China getrieben wird und da gibt s sicherlich einiges, was man auch soziologisch und ethnologisch betrachten könnte, ob der Fortschritt langsam ist, weil die traditionelle Paläontologie wohl globaler wird und hundertfünfzig Jahre Anglozentrismus dem sicherlich ein bisschen entgegenwirken.

Das ist das Bild vom Luis Rey, auf dem sich ein Velociraptor an einen Avimimus heranmacht…
…und hier haben sie s mit Skelettmodellen nachgestellt. Hab ich hauptsächlich fotografiert, weil es explizit daran erinnert, dass Velociraptoren nur zirka zwei Meter lang waren. Und die Klaue, die der Alan Grant den Film über in der Hand hält ist etwa doppelt so lang wie die, die dieser hier an seinen Füßen hat. Hätte wahrscheinlich trotzdem gedrückt, wenn man drauf schläft.

Der Rest des Museums war ganz bunt zusammengewürfelt. In einem Raum ist die ausgestopfte Tierwelt Tasmaniens mit der ausgestorbenen zusammengewürfelt. Witzigerweise sind die Dinosaueriermodelle in der permanenten Ausstellung auf dem Stand der Neunziger, also sans Federn und der Allosaurus schwingt einen Schwanz so schlangenhaft, wie ich glaube, dass man das heute nicht mehr darstellen würde. Da stehen zwei alte Autos neben einem Pferdegeschirr, drüber ein Flugzeug und ein Pteranodonmodell. Hinten ist eine Abteilung über Strafgefangene, die nach Tasmanien deportiert wurden (für lächerliche Straftaten, leider ist das Foto nicht herzeigbar…), eine großzügige Geologieabteilung und eine ausführliche Präsentation über den tasmanischen Tiger, mit kurzen Videoausschnitten und einem ausgestopften und Zeitungsartikeln und allem, was man noch hat über das Tierchen, das es wohl seit neunzig Jahren nicht mehr gibt.

Im ersten Stock war dann eine Sonderausstellung über Marjorie Bligh, Domestic Goddess. Das war in Neuseeland, gell, wo das Haus im Museum ausgestellt war, in dem dieses Ehepaar seine Muschelsammlung aufgehängt hatte. Nun, hier ist das Leben einer Frau dokumentiert, die Bücher über ordentliches Haushalten geschrieben hat, die regelmäßig Preise für Handarbeiten gewonnen hat und die aus Plastikabfall Untersetzer gehäkelt hat. Und ich will das gar nicht kleinreden. Im Gegenteil finde ich das sehr toll, dass man als kleines Museum eine Ausstellung über eine lokale Legende macht, die die Gegend ein bisschen geprägt hat und die ein paar Bücher geschrieben hat. Außerdem kann man ein bisschen das wandelnde Frauenbild behandeln und eine ganz witzige Yarnbombing Aktion machen, wo den Dinosauriermodellen Häkeldeckchen übergeworfen werden. Fand ich schon gut. Und sie ist mit folgendem Spruch zitiert, den es im Shop dann auf Tragetaschen und T-Shirts gab und damit eh überkommerzialisiert wurde und schon wieder an Wert verloren hatte: Let me have my way exactly in everything, and you will find that a pleasanter creature does not exist.

Ich hatte den Eindruck, diesen Triceratops schon mal wo gesehen zu haben. Wie viele derart gute Triceratopsschädel gibt s wohl insgesamt? Und von wie vielen gibt es Kopien für die Museen in aller Welt, weil das sind ja in der Regel nicht die echten Knochen, die da ausgestellt werden.

Checking out Jakarta

Also ich bin ganz hin und weg von Jakarta. Das kann gut einfach sein, weil ich jetzt noch damit angefangen habe, Indonesien total super zu finden und jetzt gar nicht so recht wegfahren zu wollen. Und dann ist Jakarta auch gar nicht das, was ich befürchtet hab: die Stadt erschlägt mich nicht mit ihrer Größe, weil selbst wenn hier über zehn Millionen Menschen wohnen und gerade noch hinter Tokyo auf Platz zwei der größten Ballungszentren der Welt liegt, die seh ich ja nicht alle. Ich wohn zwar quasi an der Grenze zum Stadtzentrum, wenn nicht überhaupt eh im Stadtzentrum und bin heute halt durch das Stadtzentrum gelaufen, aber trotzdem: geh ich von der fünfspurigen Stadtautobahn in eine Seitenstraße, finde ich dort die selben kleinen Standeln, die selben Leute, die selben Häuser wie in jeder anderen Stadt, in der ich hier gewesen bin. Es herrscht dort schlagartig eine andere Stimmung, auch wenn sich der Verkehr manchmal ein bisschen auch dort den Weg durchbahnt, wenn sonst alles stockt. Es ist natürlich schwierig, etwas über eine Stadt zu sagen, nachdem man sie einen Tag lang gesehen hat.

Weil gestern bin ich ja um viertel fünf am Bahnhof in Bandung gesessen und hab darauf gewartet, dass ich auf den Bahnsteig darf. Weil da hat er mich nicht durchlassen. Ich bin dann etwa um halb auf dem Bahnsteig gewesen und da waren grob geschätzt schon hunderttausend Leute, also ich weiß nicht genau, warum ich nicht hab dürfen aber um ehrlich zu sein bin ich froh, wenn man mir irgendwas sagt. In einem Café in Bandung hab ich gefragt ob sie open oder closed sind und hinter der Budl war nicht so viel Englisch vorhanden oder ich weiß nicht, hat er einfach eines von den beiden ausgesucht und wiederholt, auf jeden Fall hatte ich den Eindruck es wär offen und hab schon die Karte angeschaut und dann hat er ganz bemüht versucht wieder meinen Blick zu bekommen um mir zu deuten, dass nein, doch closed. Und wie gesagt, ich bin wirklich dankbar für alle Informationen die ich dann letztlich bekomm, weil wegen mir muss niemand Englisch lernen. Na und in Jakarta ratz-fatz von dem einen Bahnhof zu meinem Bahnhof, zweimal umsteigen, alles kein Problem, die Sicherheitsleute am Bahnsteig total hilfreich, wissen was ich mein, wenn ich die Stationsnamen ausspreche und der eine hat sich sogar nochmal um mich gekümmert, als sie meinen Zug auf den anderen Bahnsteig umgeleitet hatten. Da hat er mich nochmal gesucht und mir das gesagt. Total nett. Erwartet man das in einer Großstadt? Nicht unbedingt.

Mein Fahrer in Bandung hat ein paar Mal den Kopf geschüttelt über wie verrückt der Verkehr in Jakarta sei. Es ist auf jeden Fall keine Stadt für FußgängerInnen. (Ist mir aber egal.)

Im Hotel hat man mir an der Rezeption gesagt, ich könne erst um zwei einchecken. Natürlich, ich hab ja auch geplant erst um zwei da zu sein… Aber sie ist so lieb und nimmt meinen Rucksack. Ob s ein Café gibt irgendwo oder irgendwas, frag ich. Mall?, fragt sie mich. Ja, warum nicht, Mall. Also geh ich zum Great Indonesian. Leider hat das zu. Ich glaub, weil ein Feiertag war, wie ich später gelesen hab. Aber zuerst glaub ich ja, dass es wegen Demonstrationen oder irgendwas ist. Und ich war mir nicht ganz sicher, ob der Polizeischutz, der das Einkaufszentrum umstellt, ob der immer da ist oder halt heute, quasi Ausnahmezustand.

Für mich aber blöd, ich lauf herum und weiß nicht so recht warum. Es ist nicht mal zehn, das ist mein Problem, wo soll ich meine vier Stunden hier versandeln. Ein bisschen ist mir schon noch unwohl, dass ich mit meinem ganzen Geld (sechzig Euro mindestens waren das) und dem Notebook und so unterwegs bin. Ich glaub ja, es ist Ausnahmezustand. Glücklicherweise hab ich die Karte ja auf dem Telefon und das funktioniert auch offline gut genug und ich schau bei dem einen oder anderen Café vorbei, die ich auf meiner Karte finde. Hinter der deutschen Botschaft finde ich dann eins, das auf den ersten Blick schon ein bisschen komisch ausschaut, aber sie haben offen und ich denk mir, gut, das schaut schon ok aus. Komisch mein ich, dass es total eine AusländerInnenabsteige war. Ganz einfach preislich gesteuert. Ich hab dort quasi Wien-Preise gezahlt. Aber dafür bin ich auch drei Stunden dort gesessen mit meinem Tabbuleh mit Chorizo und meinen zwei Kaffees. Weil ich hab jetzt ein bisschen angefangen, Kaffee zu trinken. Das ist für jetzt, weil das einfach, auch wenn ich grad noch bis zum Hals in Tee gestanden bin, ein Kaffeeland ist. Und er ist gut, was soll ich sagen.

Cup of coffee.

Weil ich in der Früh so irre müde gewesen bin, wollte ich mich dann am Nachmittag ein bisschen hinlegen. Aber die zwei Kaffee, naja, war nicht. Aber ich bin im Hotel herumgelegen und zum ersten Mal in Indonesien amerikanisches Fernsehen gehabt. Ist auch nicht wirklich was gewesen, aber ich hab meine Stadterkundung für heute aufgehoben.

Blöde Idee war das. Blöde Idee weil gestern war vielleicht Feiertag, aber heute ist Montag und anscheinend ist Montag alles zu. Mein Ausflug hat mich zirka sieben Kilometer nach Norden geführt – erm, Luftlinie. Und da waren allerhand Attraktionen aufgelistet. Als erstes führ ich mich in einen großen Park mit einem großen Ständer in der Mitte, stellvertretend für die Kraft, die für die indonesische Unabhängigkeit aufgewandt wurde. Aber als ich den Park betreten möchte, höre ich ein Mister! und der Sicherheitsbeamte sagt mir, dass heute leider der Park zu ist. Maintenance. Maintenance?, denk ich. Vielleicht wird der Park sauber gemacht. Und ich mein, das muss man schon sagen: Indonesien hat ein massives Problem mit dem Mist. Jakarta ist relativ sauber, ganz ehrlich, so wie ich auch in Yogyakarta oft, gefragt wie ich s finde, gesagt hab: sauber. Und die Leute sind freundlich und yaddah-yaddah. Aber das ist halt relativ. Während ich hier war hab ich auch diese Schlagzeile mal gelesen, dass sich die Länder der Welt relativ einig sind, dass es keine gute Idee ist, den Mist der Reichen in die Geographie der Armen zu exportieren. Weil es offenbar usus ist, dass Privatpersonen in Südostasien sich die Müllentsorgung abkaufen lassen und dann einfach tonnenweise Mist in die Landschaft kippen und sich eine zweite Yacht kaufen. Guter alter Kapitalismus.

…aber ich schaff es einfach nicht.

Also der Park zu, das Museum zu, das andere Museum zu. Was offen hat, und was ich besuche ist die Moschee. Die Große Moschee von Jakarta. Und ich mein, das ist nicht untertrieben, die hat schon irre viel Platz. Ich weiß ja zu wenig über Moscheen, warum da so viel Platz draußen ist, zum Beispiel. Weiß ich nicht. Und sie hat halt keine Bänke drinnen, das ist mehr so frei gestaltbarer Raum. Multi-Purpose. Außer dass die Frauen und Kinder halt bisschen auf der einen Seite sitzen müssen, weil die Männer den meisten Platz brauchen. Und jetzt will ich das nicht kleinreden, da ist eine Geschlechterdifferenz tief eingegraben in dieser Architektur. Wobei, in der Architektur, es ist ja nur ein Zaun in der, nun, nicht ganz in der Mitte. Mehr so zwei Drittel eben. Brauchen halt mehr Platz. Aber wie hier Menschen einfach Zeit verbringen, das finde ich immer wieder erstaunlich. Weil ein bisschen ist eine Moschee auch einfach ein Jugendzentrum für Erwachsene. Da kommen die Leute hin, nicht zuletzt, damit sie keinen Blödsinn anstellen und drin werden sie halt ein bisschen indoktriniert, aber auf der andren Seite lernen sie auch Arabisch. Und so liegen die meisten einfach so herum, spielen auf ihrem Handy oder schlafen. Dazwischen beten einige in dieser so seltsam anmutenden physischen Form mit dem Aufstehen und dem Niederknien. Und es ist ganz besonders irgendwie, wenn das einer allein macht oder drei nebeneinander. Na ja, und dadurch, dass dieser Raum so alltäglich genutzt wird, ist es letztlich gar keine schlechte Idee, finde ich, dass es auch einen Damenbereich gibt und einen Herrenbereich. Aber natürlich würde ich den Großteil meiner eigenen Tempel schon als Begegnungszone gestalten und gemeinsam feiern.

Die große Kugel in der Mitte hängt übrigens direkt in der Mitte der großen Kuppel, die nicht im Bild ist, weil ich schon zurückhaltend am Rand gesessen bin und nicht mittendurch marschiert bin.

Aber ja, es ist Ramadan und vielleicht ist es sonst ganz anders. Aber ich hätte gerne mal, dass wenn bei uns irgendwo eine Sendung ist und man braucht ein Symbolvideo für „den Islam“, dass man dann nicht immer diese uniform wippenden Reihen alter Männer zeigt sondern mal so einen großen Teppich, auf dem sich Asiaten in der Mittagshitze ausruhen, während einer in der Ecke sitzt und langsam mit dem Finger im Koran einer Zeile folgt und seine Lippen lautlos den Text nachahmen.

Gegenüber von der Moschee ist die Kathedrale, die hat auch nicht zu gehabt. Die Stimmung in einer Kathedrale ist schon was anderes, als in einer Moschee. Hier, so kommt mir vor, ist nichts mit einfach mal bisschen Zeit verbringen. Ich mein, ja: die TouristInnen sitzen hier auf den hinteren Bänken und genießen die Stille und die Kühle. Aber grad das vorne einer vor einer Marienstatue kniet. Es ist lustig, denke ich, während im Westen der Islam so viel mit seinem Jenseitskonzept assoziiert wird und man sich vor der scheinbar klaren Anleitung für den Märtyrertod fürchtet, dafür erscheint mir die Moschee viel mehr ein Ort des Lebens zu sein, als die Kirche.

Vor der Kathedrale kann man sich mit einem Pappendeckel-Franziskus fotografieren lassen

Was auch nicht zu hat, ist der Kim Tek Ie Tempel. Und o wow bin ich hier überfordert. Also, ich hab mittlerweile das lokale China Town erreicht. Ich muss sagen, ich erzähle wenig darüber, wie aufregend die Straßen einfach sind. Oft sind die Straßen so wie oben in dem Video. Mehrspurig und relativ frei interpretiert von Autos und Mopeds. Selten gibt s einen Übergang, von dem ich dann den Verkehr filmen kann. Öfter steh ich einfach zwei Minuten an der Straße und stürze mich dann in den Verkehr, den dem auf mich zukommenden Verkehr zugewandten Arm ausgestreckt, die flache Hand den FahrerInnen entgegen, als ob ich sie damit abbremsen oder auch nur besänftigen könnte. Zwischendurch steh ich auch mal in der Mitte der Straße und denk mir, ha!, daheim gibt s das nicht. Glücklicherweise gibt s viele Einbahnen und das macht s etwas einfacher. Oft hau ich mich dann aber in irgendwelche Seitengassen, die schnell nur einen, eineinhalb Meter breit sind. Da sitzen die Leute auf der Straße und gehen ihrer Arbeit nach. Richten irgendwas, kochen irgendwas, sortieren irgendwas aus. Dazwischen spielen Kinder und Katzen liegen in der Sonne. Vögel jammern in ihren Käfigen und ab und zu läuft ein Fernseher irgendwo. Und in den Straßen krieg ich dann auch eher mal Blickkontakt und Leute grüßen mich und ich grüße zurück und es fühlt sich gut an, dass mich diese Leute in ihrer Gasse willkommen heißen. Weil ich hab manchmal eh das Gefühl, ich laufe eher durch ihr Wohnzimmer als durch ihre Straße.

Also der Tempel. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Ausschauen tut s chinesisch, von der Architektur. Und im Hintergrund läuft, nun ja, so chinesische Musik halt, wie man sich das vorstellt. Und es gibt dutzende von Schreinen und in jedem stehen Statuen und viele der Statuen haben sogar Namensschilder. Überall brennen Kerzen und Säulen voll Öl in denen ein Docht hängt. Tatsächlich gehen auch Menschen herum, in den Händen ein Bündel Räucherstäbchen, das sie der einen oder anderen Statue widmen, vor ihr so ein bisschen wippen und sich verbeugen und solche Sachen. Es ist… ich will sagen, es ist wie man sich das vielleicht vorstellt. Aber dann wiederum ist es auch wieder gar nicht, wie man sich das vorstellt. Wer sind diese vielen Menschen und möglicherweise GöttInnen und HalbgöttInnen und Dämonen oder… ich hab gedacht, das sei ein buddhistischer Tempel, aber hier sind so viele verschieden Leute.

Braucht noch wer ein Räucherstäbchen?

Ich verlasse den Tempel und China Town und finde mich alsbald wieder unter den vertrauen IndonesierInnen. Ein gutes Stück weiter komme ich dann in der Altstadt an. Hier sind noch einige herausfordernde Straßen zu überqueren, ein Busfahrer schaut mir aus seinem Fenster zu und spornt mich dabei an. Die Altstadt ist ein großer Platz mit Kaffeehäusern drumherum und dem alten Kolonialverwaltungsgebäude. Warte, nur, dass ich das richtig hab. Ja, also, der Sitz des Gouverneurs der Vereenigde Oostindische Compagnie. Der niederländischen Ostindiengesellschaft. Wiederum, man muss den Kapitalismus nicht lieben, aber immerhin haben sie einen hübschen Platz gestaltet und Jakarta ein Rathaus hingestellt. Auf dem Platz rufen mir noch einmal Mädchen nach und wir machen eine Handvoll Selfies, also in Wirklichkeit machen wir einfach Fotos auf denen ich mit drauf bin. Ich habe in den letzten zwei Tagen links im Mund eine Aphthe entwickelt, die mir das Lächeln ein bisschen schmerzhaft macht. Vielleicht, so denke ich, ist es eine Reaktion, eine Abnutzungserscheinung, weil ich hier meine Mundwinkel so viel mehr bemühe als in den Jahren zuvor.

Ich fahr dann mit der Schnellbahn heim. Weil ich war natürlich ganz schön lange unterwegs für das bisschen Luftlinie. Mir klebt das T-Shirt am Körper, alle Kleidungsstücke, die ich mitgebracht hab, verdunkeln sich immens, sobald der Schweiß kommt. Und der Schweiß kommt. Es ist heiß und die Luft ist sicher auch feucht und ich geh so viel, wie sonst niemand in dieser Stadt. Aber auch trocken pickt mir die Haut von Schweiß und Schmutz und… ja, nein. Schweiß und Schmutz, das ist es wahrscheinlich. Ich hatte ein Papaya-Calippo, also einfach eine Spalte Papaya, die mir der Obsthändler in einem Plastiksackerl serviert hat. Es ist ja nicht so, dass das Müllproblem nur importiert wäre. Aber vielleicht kleben meine Hände auch davon noch ein bisschen. Und so geh ich dann ins Mall.

Durchsage im Zug, vielen Dank für die englische Version. Am besten gefällt mir aber, dass Vorsicht auf Indonesisch Hati-hati heißt.

Weil ich wollte eigentlich ins größte Mall von Jakarta gehen, so als Abschluss nach der größten Moschee, der größten Kirche, vielleicht des größten chinesisch-buddhistischen Tempels und des größten erhaltenen Gouverneurssitzes einer niederländischen Multicorp hatte ich ja schon. Aber das Einkaufszentrum war mir dann zu weit entfernt und ich bin deshalb in das Great Indonesia, das ich gestern besuchen wollte. Das war heute offen und es dürfte nicht der Ausnahmezustand gewesen sein: Heute gehe ich an vielleicht hundert Polizisten vorbei, die auf der Straße herumliegen (ja, wirklich, die ruhen sich auch aus wenn s heiß ist), ich mein, de facto steig ich über einige drüber. An der Wand stehen dutzende Plastikschilder für besagte Polizisten. Am unheimlichsten sind jedoch die Granatwerfer, die einige der Polizisten umgehängt haben oder neben den sich ausruhenden (Ruhe vor dem Sturm und so) liegen. Ich kenn sowas nur aus Computerspielen, vor allem das Geräusch, das ich damit assoziiere (ein hohles plopp!) habe ich sicher noch nie in echt gehört. Nebelgranaten? Tränengas? Was weiß man, ich bin im Einkaufszentrum!

Ein paar Polizisten und ihre Deeskalationsausrüstung. Jetzt seh ich grad, dass auf dem Sonnendach Polantas steht, auch irgendwie witzig.

Ja, es ist wirklich ekelhaft. Es ist wie eine andere Welt zu betreten, hier lebt das andere Drittel oder Achtel oder Hundertstel. Hier haben alle Labels ihre Outlets und sie reihen sich alle aneinander. Sportzeugs und Mode, das ist, was die Leute wollen. Gut ausschauen. Und es schaut auch gut aus im Mall, alles ist hell und glatt und diesmal wirklich sauber. Glatt und kalt ist es außerdem. Unter der Kategorie Toys, Children and Maternity finde ich ein paar Spielegeschäfte, aber über Jenga und Vier Gewinnt sehe ich keine Brettspiele. Dann gibt s vier Geschäfte für Books and Stationary. Ich erschrecke ein wenig über mich, als ich feststelle, wie wohl ich mich fühle, von Blöcken, Heften und Kugelschreibern umgeben. Umgeben von einer unnötigen Auswahl an Papier, wird mein lästerndes Kritikerherz auch schon ruhiger. Es dauert lange, bis ich mich für ein Heft entscheide, aber es ist ja auch ein schöner Prozess, in dieser Auswahl zu schwelgen. Ich krieg dann zuerst eine Rechnung von der Abteilungsbetreuerin, mit der ich darauf zur Kassa gehe, wo der Preis nochmal von einer anderen Kassiererin in eine zweite Kassa eingetippt wird. Ich weiß nicht, ob das als extra Service verkauft wird, eine Sicherheits- oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ist. Ich geh dann noch teuer Ramen essen, weil ich schon da bin und der ist auch gut, was soll man sagen. Kapitalismus schafft mir ein hübsches Notizheft und gutes japanisches Essen in sauberer Atmosphäre, das passt schon. Zwischendurch denke ich, ob draußen gerade mit Tränengasgranaten auf DemonstrantInnen geschossen wird, während ich hier in scheinbarer Auswahl und neutraler Hintergrundmusik eingelullt vor mich hin schlender.

Abgeschirmt von der Außenwelt, hab ich im Mall heute sogar den Aufruf zum Fastenbrechen verpasst.

Wieder draußen bin ich nochmal ein bisschen euphorisch, wieder im echten Jakarta zu sein. Aber in Wahrheit gehören die ja eh zusammen. Es ist vielleicht ganz gut, den Kapitalismus so in einem zu sehen, die zwei Aspekte so nebeneinander, nicht wie bei uns, wo es so relativ mittig ist. Sondern wo die einen ihre Schubkarrenläden vor sich herschieben, auf der Straße schlafen und sich immer nur eine Handvoll Shampoo kaufen, weil sie das Geld für eine ganze Flasche in ihrem Haushalt nicht aufbringen. Und auf der anderen Seite der Spiegelpalast, in dem sich Menschen abkapseln, buchstäblich gegen die zunehmend verschmutzte Umwelt, gegen Hitze und Klimawandel, in dem sie sich amerikanische Sportschuhe kaufen, japanische Notizbücher und deutsches Bier. Und hier spüre ich dann auch, zu dem einen globalen Prozent zu gehören. Ich bin vielleicht zögerlicher und unwilliger, aber vielleicht ist das nur hinderlich beim Genuss meiner Privilegien. Natürlich bin ich froh, problemlos Zugang zum Luxusleben zu bekommen, auch wenn ich verschwitzt und schmutzig bin. Ich hab Geld, ich hab eine Hautfarbe, die hier ebenfalls Privileg bedeutet – ich weiß nicht, wie heruntergekommen ich daherkommen müsste, dass mir der Eintritt verwehrt werden würde.

Übrigens könnte ich nicht mal sagen, ob s überhaupt eine Demo gegeben hat heute. Zumindest nichts, was international berichtet würde.

Fields of Tea

Solo hinter mir gelassen, bin ich in Bandung. Was wirklich empfehlenswert ist, ist eine Zugfahrt, zum Beispiel von Surakarta nach Bandung. Weil der Zug ist super, ich mein, gut, ich bin in der Eksekutif Klasse gesessen, und immerhin hab ich dreissig Euro für die acht Stunden gezahlt. Aber dafür ist es urschön, wenn man aus dem Fenster schaut. Ich hab nämlich kurz einmal einen Nachtzug kontempliert, aber schnell einmal verworfen. Weil acht Stunden durch die javanesische Landschaft tuckern, da will ich schon zuschauen können. Und es ist dann wirklich einfach traumhaft, abwechselnd und ineinandergreifend Regenwald und Reisanbau.

Ich hab mal wieder die GoPro entstaubt. Dabei hab ich festgestellt, dass das Klumpert beim Urwaldraften nicht ordentlich funktioniert, also nicht aufgenommen hat. Hier hab ich mit dem Zeitrafferdings rumprobiert, das die Kamera anbietet. Mir wird ein bisschen schlecht dabei, muss ich sagen. Die Audiospur ist übrigens in normaler Geschwindigkeit und zehn Kilometer weiter aufgenommen. The Magic of Cinema™.

Und dann halt Bandung. Bandung ist mal wieder superbusy und ich hab mich mehr oder weniger gegenüber vom Bahnhof eingenistet, damit auch ziemlich im Zentrum. Ich steh schon immer wieder einmal ein paar Minuten, bevor ich über die Straße komm, das ist der Verkehr. Tatsächlich kann ich nur wenig sagen, am Anfang immer noch ein bisschen der Kulturschock, weil halt alles laut und schmutzig. Und zum ersten Mal sehe ich jemanden, von dem ich glaub, dass er bettelt. Weil das wollte ich schon seit Wochen einmal sagen: so arm die Gegend vielleicht ist, ich hab nie Leute betteln gesehen. Und jetzt vielleicht eben doch noch. Über die Obdachlosigkeit ist schwieriger zu urteilen, ich glaub, da sind die Übergänge auch flüssig. Es wird schon Leute geben, die mit ihren Familien unter zusammengelöteten Metalldächern leben. Und vielleicht dann auch mal jemand ohne Dach. Ich mein, die Becakfahrer – die lokale Rikscha – liegen selbst oft auf dem Passagiersitz ihres Gefährts, während sie darauf warten, dass es kühler wird oder Kundschaft daherkommt. Und da schlaft der eine oder andere (ich hab echt nur Männer in dem Job gesehen) gern auch einmal ein bisschen ein. Ich mein, die Leute schlafen auch so gern einmal quer über ihr Moped oder irgendwo in einer ruhigen Ecke und schlafen durch die Nachmittagshitze. Ist nur vernünftig.

Heute hab ich mir jedenfalls einen Ausflug organisiert. Weil ich noch nicht genug Kraterseen gesehen hab und überhaupt wollte ich auch gern noch auf einen Vulkan, weil auf Vulkane steigen ist immer lässig und das geht leichter dort, wo s auch Vulkane hat. Quasi: Voraussetzung. Ich hab ehrlich nicht gewusst, dass Indonesien so viele Vulkane hat. Nämlich sogar Krakatoa. Never would have thought. Ich mein, der Name klingt schon so nach Hawaii, nicht?

In diesem Gebäude hat neunzehnfünfundfünfzig die erste Afrika-Asien Konferenz stattgefunden. Deswegen heißen die teilnehmenden Staaten auch Bandung-Staaten: „In späteren Jahren wurde die Solidarität durch Differenzen unter den teilnehmenden Ländern zunehmend erschüttert, so dass die Vereinigung keine Rolle mehr spielte.“ Schade.

Das hab ich mir organisiert. Und weil ich gerade genug von Hot Springs hab, hab ich die ausgelassen. Naja. Ich hab wenig Lust daran, allein in einer heißen Quelle zu sitzen, das ist irgendwie schon eine soziale Beschäftigung. Also nur den „weißen Krater“ für mich, danke schön: Kawah Putih. Kratersee in einem aktiven Vulkan. Tatsächlich hab ich viel daran gedacht, dass dieser See eine neue Errungenschaft für meine Sammlung von Seen, die eine Farbe haben, die man von einem See nicht erwarten würde, ist.

Nach eineinhalb Stunden sind wir schon am Krater (nachdem ich in der Früh angerufen worden bin, dass mein Fahrer „five to seven minutes late“ sei. Aber es stimmt, dass die Fahrer allesamt total pünktlich waren. Am Krater dann ein bisschen eine Überraschung, weil ich noch hunderttausend Eintritt zahle und dann in einen orangen (die Niederländer schon wieder?) Bus zum Warten verwiesen werde. Weil wir warten jetzt noch, bis der Bus wirklich voll ist. Ich mein: wirklich voll. Interessanterweise gibt s ein Schild, das das Eigengewicht vom Bus mit neunhunderneunzig Kilo bezeichnet und als maximale Passagierzahl elf ausweist. Ein idealer Passagier hat in Indonesien übrigens nur sechzig Kilo. Tatsächlich sind wir dann dreizehn Leute im Bus. Neben mir sind ein paar malayische TouristInnen, drei IndonesierInnen, ein Libanese und noch zwei, die aber vorne beim Fahrer im Hütterl sitzen und sich nicht vorstellen. Ich glaub, wir sind immer noch unter Busgewicht, aber nicht viel und das lässt sich der Bus auch anhören. Wir kurven noch neun Kilometer auf den Berg hinauf und manch eine Kurve nimmt der Fahrer mit etwas mehr Schwung als ich ideal finden würde. Und es geht ja nicht nur mir so. So bei der Hälfte rasen wir mal in einer Kurve knapp an einem uns entgegenkommenden Auto vorbei und es gibt einen Moment kollektives Ausatmens gefolgt von einer Runde nervösem Kichern all around.

Oben ist der See und ich bin total überrascht, wie hier alles total aufgeräumt und touristisch durchgecheckt ist. Mit Geländern und Treppen und Absperrungen und Verbotsschildern. Mein Lieblingsverbotsschild macht darauf aufmerksam, dass man seinen Müll nicht liegen lassen soll. Ich weiß natürlich nicht genau, wie das auf Indonesisch formuliert ist, aber auf Englisch haben sie sich für No Littering! Litterbugs Are the Trash Itself entschieden. Bussi!

Und das Wetter war auch super.

Der Kratersee ist unwirklich. Mehr kann ich kaum sagen. Wie schon im Bus rauf sind vor allem asiatische TouristInnen da, ein niederländisches Pärchen grüßt mich mal wieder vor lauter Fremdheit drumrum, und dann seh ich sogar noch eine ganze Reisegruppe junger EuropäerInnen. Interessant fand ich dann doch, dass die meisten Gäste so im Zugangsbereich des Kratersees bleiben und von dort ihre Bilder machen. Das ist auch eine schöne Stelle, kein Zweifel. Ich selbst habe aber schon das Bedürfnis, bisschen weiter zu schauen und kletter am Ufer herum, bis ich hier und da auf das Bis-hierher-und-nicht-weiter-Schild komme.

Am Kratersee hat man alle paar Meter auch die Möglichkeit für zusätzliches Geld auf einen Steg oder einen Skywalk zu gehen.

Nach einer Stunde oder so gehe ich wieder zurück zum Bus. Ich muss gestehen, dass die Warnschilder, die sagen, dass man aus Gesundheitsgründen maximal eine Viertelstunde am See verbringen soll, weitgehend ignoriert habe. Mein Gefühl war, ich hab jetzt genug Schwefel geatmet und das hat mir nie wirklich was getan. Außerdem hat ein Blogeintrag im Internet gesagt, dass das nicht wirklich schädlich ist. Und ich mein… eben. Nach vierzig Minuten ist mir aber doch etwas schwummrig geworden, ich hatte bisschen Hustenreiz und insgesamt, ja, es war Zeit für ein Ende. Der Schwefel ist übrigens warum der See so milchig wirkt, da ist halt massiv Schwefel gelöst drin. Unter niederländischer Besetzung ist hier Schwefel abgebaut worden und dann noch ein bisschen unter japanischer.

Am Heimweg bleiben wir noch an einem Teefeld stehen. Weil ich hab kein Interesse an heißen Quellen, aber eine Teeplantage find ich schon interessant. Es ist total schön. Es ist wirklich irrsinnig herzig, weil Tee – das wusst ich nicht – auf Bäumchen wächst, die halt abgeerntet werden, aber es bleibt dabei eine Art Rebe stehen. Aber ja, man kann s sicherlich einfach auch als Bäumchen bezeichnen, ohne die Weinassoziation. Ich stehl mir ein paar Blätter und koste. Es ist zuerst etwas langweilig und dann schnell sehr bitter. Aber es kommt schon ein Teegeschmack durch, der bleibt dann auch noch einige Zeit, nachdem ich die Blätter mal ausgespuckt habe. Aber kurz darauf nehm ich noch ein paar. Weil: doch gut, irgendwie.

Angeblich (!) gehören irgendwelche Plantagen hier in der Gegend auch der Königin von England, sagt mein Fahrer. Aber in feinster Gerüchtemanier ergänzt er, dass er das längst schon mal hätte nachschauen sollen, anstatt es andauernd ungecheckt rumzuerzählen.

Wir sind dann drei Stunden oder so im Auto gesessen, weil der Verkehr in Bandung ist ungut, wenn am Sonntag die ganzen LokaltouristInnen auch rein oder raus wollen, ich weiß nicht. Wir fahren auch ein bisschen im Kreis. Im Radio hör ich eine Nummer, die ich ganz gut finde, bis ich jetzt zuhause gemerkt habe, dass Julia Michaels way nicht so underground ist, wie ich beim Hören gedacht hab. Überhaupt steht im Wikipedia nichts über sie persönlich sondern nur ihre MTV Music Awards und so Zeug. Halt trotzdem, ein sensibles Lied über soziale Angst. Es ist ja, so nebenbei, nicht so einfach, für social anxiety einen deutschen Begriff zu finden, der das Thema ernst genug nimmt – ich finde ja, dass „Angst“ da ein wenig versagt – und zweitens aber auch nicht so klinisch wie Angststörung klingt, damit kann ich mich im Alltag auch schwer identifizieren.

Aber ja, drei Stunden im Auto, zwei Stunden im Stau. Heute sei es schon besonders schlimm, er wisse auch nicht, was da los sei, heißt s vom Fahrersessel. Ich krieg aber derweil ein bisschen Nervosität zusammen, weil ich gestern am Bahnschalter so stehengelassen wurde: Als ich um halb eins dort war, hat s geheißen, er macht erst um eins auf. Dann war ich spazieren und um halb fünf wieder dort, hieß es: sorry, wir machen um vier zu. Und ich fahr morgen nach Jakarta, das war schon fix, weil ich ein Hotel gebucht hab. Zumindest hab ich gestern aber erfahren, dass der Zug um halb zwölf schon voll sei, es gäbe noch einen um vier, um fünf und einen um sechs in der Früh. Na gut, denke ich resigniert, dann also heute. Und natürlich machen sie heute ebenfalls um vier zu, wie immer. Deswegen bin ich langsam nervös geworden, als wir um drei noch zweieinhalb Kilometer entfernt waren.

So klingt s im Bandunger Bahnhof um halb eins, während ich überlege, ob ich jetzt ein halbe Stunde warten oder halt am Abend wiederkommen soll. Dabei stehen übrigens nicht gerade sechzig Leute am Schalter zwei und weitere sechzig am Schalter drei an.

Ich bin dann auch tatsächlich ausgestiegen. Jetzt: keine Überraschung, dass sich der Verkehr fünfhundert Meter weiter aufgelöst hat. Ich hab leider den Moment verpasst, ich war wohl zu konzentriert beim Mich-durch-den-Verkehr-schlängeln-ohne-angefahren-zu-Werden. Und gut so. Und eine halbe Stunde später stand ich in der Station. Zuerst hat mir die junge Frau gesagt, dass ich an Schalter fünf mein Ticket gleich kaufen kann. Ich brauch wohl keine Reservierung mehr dafür. Ok, Schalter fünf ist nicht, wie ich zuerst gedacht hab, der Schalter an dem sechzig Leute anstehen. Puh. Allerdings sagt der junge Mann an Schalter fünf, dass es nur noch Plätze im Zug um vier und in dem um fünf gibt. Argl. Na gut. Na gut… ok. Dann halt um fünf. Morgen Früh um fünf in den Zug nach Jakarta. Einmal bitte, Eksekutif.

Main tree, dain tree

Cairns ist in vieler Hinsicht ein sympathischer Platz, auf jeden Fall krieg meine asiatischen Restaurants. Wenn es letztlich aber doch etwas aufdringlich touristisch ist, liegt das wohl daran, dass ich in Wahrheit nur das Zentrum zu Gesicht bekomme. Cairns ist einundfünfzig Kilometer lang und an der breitesten Stelle bloß vier Kilometer breit, es läuft quasi die Küste entlang. Strandmaximierung. Insofern sind die einzelnen Stadtteile zum Teil weit entfernt und wie der Regenwaldchauffeur sagt, lassen die CairnserInnen den Kern der Stadt gern den TouristInnen. Und die nehmen das gerne entgegen: randvoll mit TouristInnen, von den BackpackerInnen bis hin zu den Hiltons. Ich mein, Gilligan’s, gegen das ich mich nur knapp entschieden hab, als ich in Hervey Bay Hostelflyer durchgegangen bin, die bespielen quasi den ganzen Block mit Jugendherberge, Dancefloors, Reisebüro, Freizeitgestaltung. S’wie Cluburlaub – unheimlich. Dahingegen ist mein Dreamtime richtiggehend dreamy, auch wenn ich dafür hinter s Einkaufszentrum muss. Aber wenn ich über die Auffahrt das Parkdeck erklimme, kann ich auch einfach mitten durch das Einkaufszentrum gehen.

Vorschläge für s Wochenendprogramm.

Was es auf jeden Fall gibt, sind Flughunde. Ich muss gestehen, im Dunklen unter einem kreischenden, unter ständigem Flattern oszillierenden Baum durchgehen, ist schon etwas unheimlich. Aber es ist auch ungschickt, wie ich schnell begreife, als mir bei meiner Sammlung exotischer Erfahrungen (oder halt Mutprobe) eines der Tiere auf die Hand kackt. Und dabei hab ich noch Glück gehabt, weil halt auf die Hand und nicht die Haare vollgeschissen oder orange Flecken am T-Shirt. Schaut insgesamt nicht gesund aus und riecht auch… naja, es riecht nicht viel anders, als es sowieso unter dem Baum riecht. Dass der Geruch hier fehlt, nimmt wirklich einiges vom Erlebnis. Dennoch, wie, frag ich mich noch, machen die das, wenn sie kopfüber hängen?

So geht das jeden Abend. Und jeden Abend stehen wir Touris an den Straßenecken und filmen mit unseren Handyfonen in den Abendhimmel hinein.

Was Cairns hingegen nicht hat, ist Strand. Also, natürlich hat Cairns Strand, wenn ich raten müsste, wohl achtundvierzig Kilometer davon. Aber halt grad nicht dort, wo der Hafen ist und nicht dort wo die Esplanade entlangläuft. Und das ist halt dort, was ich hier dauernd das Zentrum nenne. Aber, Cairns will nicht enttäuschen und hat um die üblichen öffentlichen Grillstationen herum einfach einen Pool gebaut. Da ist – quasi mitten in der Stadt – ein öffentlicher Pool. Kein Eintritt, keine Zäune, aber Duschen, Sandstrand und BademeisterIn. Und drei große Metallfische, die dafür sorgen, dass der Pool seinen Wasserstand erhält. Es ist schon schick, im ersten Moment erstaunlich surreal für meine Augen. Und natürlich, die Augen! Meine Reaktion, wenn ich über die Straße gehe und auf der anderen Seite liegen sie wieder, die Dudes und die Bikinimädchen. Ich weiß ja nicht, was ich mit meinen Augen machen soll, so viel Nacktheitspeinlichkeit erlebe ich sofort. Am zweiten, dritten, vierten Tag geht s dann schon etwas besser, aber ich hab s bis zuletzt nicht geschafft, mich bebadehost dazuzusetzen. Ich bin schon gesessen, Hemd, Hosen und He-reader, bisschen an eine Palme gelehnt, lieber auf der Wiese als im Sand. Und natürlich nicht in der Sonne, ich mein… nein. Zum Schnorcheln hab ich mir in der Früh den Rücken eingecremt, das ist weit mehr Arbeit als es es wert ist. Und wir haben ja dann eh Stingersuits bekommen. Weil eben, und das ist vielleicht auch ein Grund, warum Cairns ein Schwimmbad macht anstatt sich den Strand aufzuschütten: Das Wasser da oben ist voll mit Getier, von der Qualle bis zum Krokodüü. Und selbst die CairnserInnen baden an den schönen Stränden, an denen ich im Norden vorbeigefahren bin, nur von Netzen umgeben. Netze, die der Regenwaldtourguide als unangenehm großmaschig beschreibt. Und ja, die Quallen, die einen in drei Minuten dahinraffen, die passen da nicht durch. Aber die fingernagelgroßen sollen auch unangenehm sein und in Massen durchaus tödlich.

In meinem kleinen Phó Lokal scheint man dann doch fernab von allem zu sein, auch wenn die Musik sagt, dass jetzt dann schon langsam die Sperrstunde kommt, während im Hintergrund abgewaschen wird.

Für den Regenwald heißt s ebenfalls um sechs Uhr aufstehen. Und nachdem ich vom Schnorcheln müde eh um zehn im Bett war, ist das ja kein Problem. Außer mir sind schon zwei Mädels im Bus, die sich mit jeweils deutschem Akzent auf Englisch unterhalten. Stellt sich später heraus, dass die eine Niederländerin ist, aber eine Stunde lang denke ich, die hätten einander einfach nicht gefragt, woher sie sind. Währenddessen sammeln wir noch drei ChinesInnen, zwei Däninnen, zwei AustralierInnen, eine Schweizerin, eine Kanadierin und eine Deutsche ein, die ihre weltreisende Tochter besucht und meint, sie merke schon ein bisschen, irgendwie ständig nur arbeiten, das könnte es wohl auch nicht sein. Da kriegen wir halbwegs einen Bus voll, licensed to carry 21 passengers. Nachdem das wir erst einmal aus Cairns raus müssen und dann noch in den Urwald und schließlich wieder alles zurück, also wir verbringen insgesamt schon viel Zeit im Bus.

Gefahren werden wir heute von Wylie, der auf den Feedbackbögen, die am Ende rumgehen, von keinen zwei Leute gleich geschrieben wird – weil ich wollte nachschauen, wie man ihn schreibt, eh klar. Er arbeitet zum ersten Mal seit Jahren an einem Samstag und niemand fragt in wieso. Aber er hat (trotzdem?) einen guten Humor oder auch ganz gute Perspektive, sag ich jetzt einmal: was er sagt interessiert mich, wie er seine Prioritäten auf unserer Tour setzt, find ich gut. Und natürlich ist es das erste Mal seit Wochen, dass ich so wirklich einen Tag lang mit Leuten im Kontakt bin, das ist schon auch recht aufregend.

Erste Station ist eine kleine gemütliche Bootsfahrt über den Daintree. Heißt alles nach dem Herrn Daintree, der hier in der Gegend früher mal Geologie und Photos gemacht hat. (Früher, als man Fotos noch mit Ph geschrieben hat.) Obwohl wir selbst eine durchaus junge Partie sind, aus der ich altersmäßig schon deutlich nach oben raussteh, nivellieren mich die RivercruisebesucherInnen bis ich unterm Durchschnitt wieder rauskomme. Es ist ein bisschen eine PensionistInnenfahrt. Vielleicht dementsprechend werden wir mit Tee und Biscuits begrüßt, wer will kriegt auch einen Kaffee eingeschenkt. Aber der Tee wird hier in der Gegend angebaut und später seh ich meine erste echte Teeplantage. Natürlich nix mit Handarbeit hier. Sicher, man könnte die BackpackerInnen durchschicken, das würde auch nicht mehr kosten, aber man hat sich dafür entschieden, den Tee mehr oder weniger mit dem Mähdrescher zu ernten. Aber natürlich ist Tee trotzdem gut, wenn man das Gefühl hat, der ist… frisch. Oder halt von nebenan.

Rivercruisebootsaussicht mit kanadischem Ellenbogen.

Auf der Rivercruise sind wir vor allem auf der Suche nach Krokodilen. Natürlich. Wir kriegen dann in erster Linie Mangroven zu sehen, weil die verstecken sich nicht so gut. Und wenn das alles stimmt, was der Bootschauffeur erzählt, ist mitunter beeindruckender als Krokodile, weil der Daintree Rainforest eben so viele Millionen Jahre alt und irgendwie 80% (Hausnummer!) der weltweiten Mangrovenspezies kommen hier vor und manche natürlich überhaupt nur hier vor. Weil wir schon so nah beim Meer sind, dass bei der Flut das Salzwasser den Fluss hochspühlt. Und er sagt irgendwas mit Prozenten und Verdünnungsfaktoren und so, aber das sind so Zahlen… Und letztlich sagt er, alles grad ein bisschen in der Krise, weil die Unwetter der vergangenen Wochen so viel Sand über den Mangrovenschlamm geschüttet haben, dass da die Luft nicht mehr zu kann und ob die jetzt nicht ersticken oder verfaulen oder zumindest die kleinen Krebschen verrecken, die da sonst das Mangrovenlaub aufbereiten. Schnipp-schnapp. Ein kleines Fakterl, das mir außerdem gut gefallen hat: Mangroven hätten üblicherweise ein sog. Opferblatt an ihren Ästen: In das jeweils älteste Blatt wird das Salz, das sie nicht aus dem Wasser rauskriegen, abgelagert. Weil eigentlich machen die irgendwelche Special-Osmose oder was, damit das Brack im Fluss bleibt und nur feines Süßwasser in die Wurzeln kommt. Aber ganz sauber geht das halt nicht und deshalb ins Opferblatt. Und tatsächlich sieht man an einigen Spezies ganz gut, dass an jedem Ast ein gelbes Blatt hängt.

„That’s the cannonball mangrove…“

Noch eins, weil das auch aufregend ist: Die eine Mangrove ist quasi lebendgebärend. Whaaaa!? Ja, weil die macht nicht Samen, die sie fallen lässt, sondern da keimt es noch am Stengel und dann wächst richtig schon ein Setzling, vielleicht 30cm lang und fingerdick. Und wenn der fertig ist, fällt er vom Baum, rammt sich in den Mangrovenschlick und kann von dort weiterwachsen. Ich nehm an, im Salzwasser keimen ist einfach nicht besonders einfach.

Jedenfalls kriegen wir nicht so wirklich Krokodile zu Gesicht. Und natürlich ist das eine Lüge, weil da sind zwei, aber das eine seh ich einfach nicht, weil er irgendwo am Land liegt und die Unwetter alles mit Ästen und Baumstämmen zugeschüttet haben und das zweite kreuzt unseren Weg für einen Moment und geht dann auf Tauchstation. Was mir aber wirklich gut gefällt, ist unser Skipper (im obigen Audiofile zu hören), der die einzelnen Tiere namentlich erkennt und in seinem Funkgerät den anderen RivercruiserInnen durchgibt, wo er wen gesehen hat bzw. wo heute gar nichts zu sehen war. Da war dann auch so ein Moment, wo er, mehr zu sich selbst, gesagt hat: „It’s very quiet this morning…“ Aber in meinem Kopf hat er ergänzt, „…maybe too quiet.“ Und daraufhin wären Massen von Krokodilen neben uns aus dem Wald gebrochen und wären auf unser Schinakl zu gelaufen, hätten uns umgeworfen und aufgefressen. Und in diesem Moment, als unser Schicksal besiegelt wäre, hätte er vielleicht noch gesagt clever girl, und damit den Hinterhalt des Oberkrokodils anerkannt.

Normalerweise ist das hier angeblich ordentlicher und man erkennt ein bisschen was vom Ufer.

Also bisschen zu wenig Krokodil, um wirklich davon sprechen zu können, dass wir Krokodile gesehen hätten. Dabei, sagt man uns, gäbe es von Daintree (dem Dorf) bis zur Mündung des Daintree (dem Fluss) etwa ein Krokodil alle hundert Meter. Wirkt wie ein gesunder Bestand. Und ich denke da immer wieder dran, wenn mir danach ist, meine Hand neben mir ins Wasser schlenkern zu lassen, was ich letzten Endes nie tu.

Wylie holt uns mit dem Bus an der Anlegestelle ab. Insgesamt stehen sie dort zu viert, vier BusfahrerInnen in etwa den gleichen Outfits, alles in klassischem Khaki, Hut mit breiter Krempe, aber ohne die baumelnden Korkstoppeln. Rein in die Busse und schnell weg, damit wir zur Illusion zurückfinden, wir wären hier unabhängige RucksacktouristInnen, die sich den unberührten Urwald zeigen lassen und ganz anders als jene geriatrische Reisegruppe im Bus daneben, die das beste aus der wachsenden Diskrepanz zwischen stagnierendem Pensionierungsalter und steigender Lebenswartung machen. Ab in den Regenwald, der seinen Fortbestand wohl der Welle der 80er-Jahre-Ökos zu verdanken hat, als der Wald nicht zubetoniert und verhäuselt sondern im Gegenteil vernaturschutzgebietet wurde. Was an Siedlungen bestand wurde weitgehend aufgelöst. Da werden schon einige Leute geschrien haben, die sich heute daran nicht mehr erinnern wollen würden. Aber das scheinen immer so halb-zufällige Initiativen zu sein, wo dann mal jemand gesagt hat, na gut, dann machen wir unsere Millionen halt nicht oder woanders, wenn ihr euren… ah ja, schau an, ältester Regenwald der Welt und vielleicht nicht alles zubauen, was noch atmet.

Es ist vor allem still, hier im Regenwald.

Ab jetzt heißt es übrigens, Ausschau halten. Weil wir möchten alle gerne einen Kasuar sehen. Der Kasuar, der Kasuar… kommt in der Vogelhochzeit gar nicht vor. Großer, flugunfähiger Vogel mit blauem Kopf und einem Helm von dem man schon wieder nicht weiß, wozu der dient. Vor fast hundert Jahren hat ein Kasuar mal einem jungen Mann auf einer australischen Schaffarm mit seinen Klauen die Halsschlagader aufgemacht und spätestens seit dem nimmt man sich in acht vor ihnen. Zwei interessante Sachen: Erstens hab ich irgendwo gelesen, dass dem Kasuar sein Evolutionsast schon recht früh von den anderen Vögeln abbiegt. Das hab ich seit dem nie wieder gelesen und ich glaub, das stimmt auch gar nicht. Ist halt mit den anderen flugunfähigen Vögeln verwandt, wie s ausschaut. Ich mein, ja. Er schaut schon urig drein – aber das heißt im Grunde gar nichts, wirklich nicht. Wenn man mehr andere Vögel kennt, schaut er schon auch fremd drein und das heißt vielleicht eher was. Und zweitens: mal wieder eher so Einzelgängertiere, paaren sich dann und wann, wenn sie einander zwischendurch über den Weg laufen und dann übernimmt das Männchen die Aufzucht. Ob die Boyz auch die Eier ausbrüten oder ob s nicht eh dauernd warm genug ist, dass man sich das sparen kann oder ob sie nicht sogar geduldig warten, bis das Weibchen die Eier ausgebrütet hat und erst dann zum Pfeffer schicken… Auf jeden Fall verbringt das Männchen dann bis zu eineinhalb Jahre mit dem Jungen, bevor er es „brutalst verjagt“. (So wie in Wolfsblut stell ich mir das vor.)

Oh yeah! Kasuar leibt und lebt.

Wir gehen eine Runde über einen Regenwaldpfad und bekommen von den Wundern der Australischen Namensgebung erzählt. Dieser Baum heißt Peanuttree, weil er Früchte hat, die aussehen wie Erdnüsse. Diese Pflanze heißt Wait-a-While, weil sie so Haken hat, an denen man hängenbleibt und sich die Haut aufreißt, wenn man nicht einen Moment wartet um sie zu entfernen. Man merkt, dass zu dem Zeitpunkt, wo die WissenschaftlerInnen gekommen sind, die SiedlerInnen bzw. Exilierten schon eine Zeit lang die Nomenklatur übernommen hatten. Und ganz offenbar haben die sich auch untereinander nicht abgesprochen und es gibt dementsprechend viele Wait-a-Whiles. Fauna kriegen wir zwei Golden Orb Spiders zu sehen, die relativ groß und eigentlich sehr hübsch sind. Später lauf ich zwei-, dreimal nur knapp nicht durch ein Netz durch. Nicht unglücklich darüber, hätte ich sie doch trotz ihrer Nicht-Tödlichkeit nur ungern im Gesicht gehabt. Und natürlich Hände voll Papageien und Honigfressern und der ganzen Volierespartie. Aber fast weniger los als mitten in der Stadt, muss man sagen. Kasuar n’est pas la, aber auch keine Reptilien. Gerade in deren Richtung hat man für uns ganz schön in der Möglichkeitenkiste gekramt: Schlangen, Leguane, Eidechsen, Skinks – die ganze Palette. Aber jetzt alle mit Abwesenheit glänzen. Ist vielleicht auch ein bisschen darauf zurückzuführen, dass die Straße nebenan gerade erneuert wird, die das Unwetter weggerissen hat. Und vielleicht auch, weil wir einem abgesicherten Dschungellehrpfad folgen, der sich durch ein parklplatznahes Randstück jener Grüne Hölle schlingt. Möglicherweise nicht ganz das Urwalderlebnis, das man sich vorstellt.

Rein in den Bus, nächste Station: Cape Tribulation, quasi das Kummer Kap. Dazu gibt s eine Geschichte, aber im Wesentlichen machen wir hier ein eine Mittagspause (ja!, grad eins ist es oder was) auf einem schönen weißen Sandstrand, der direkt in den Urwald übergeht. Allerdings lieber nicht ins Wasser gehen, weil niemand will hier jetzt Krokodile sehen, die wir zuvor nicht zu Gesicht bekommen haben. Sehr charmant finde ich, dass uns Wylie erst während der Weiterfahrt die Krokodilwarnungen durchgibt. Weil auch hier gilt: die letzte Person, die in Queensland einem Krokodil zum Opfer gefallen ist, das ist schon wieder lange her und im Wesentlichen ist nächtenes Nacktbaden in den Gewässern da oben halt einfach nicht zu empfehlen und wenn man nicht ein bisschen mit der Vernunft an die Sache geht, dann… na ja. Ein wenig gesunde Vorsicht, aber man solle es nicht übertreiben mit der Tödlichkeit der Australischen Fauna. Oder Flora, weil zum Beispiel die Kasuarzwetschke ist nicht besonders gesund. Und man soll sich nicht an die Schleimhäute fassen, wenn man die gehandelt hat oder man schaut möglicherweise eine Woche so aus, als ob man sich geprügelt hätte. Also bisschen Strand, bisschen Urwald, bisschen Warnschilder, bisschen Mittagessen.

Schon schön.

Und am Heimweg besuchen wir noch schnell traditionelle LandeigentümerInnen, quasi Aboriginessiedlung. Hier wurden einst Häuser gebaut, in die die Aborigines einquartiert wurden. Da hat man damals ein bisschen Infrastruktur zur Verfügung stellt oder verpflichtet, mit einem Auge auf die Idee, dass man sie dadurch auch in die weiße Gesellschaft integrieren würde. Ich glaube, dass das so ein Fall war, wo die Kuku Yalanji, die dort traditionell gelebt haben, Anspruch auf das Gebiet gestellt haben. Der Australische Staat hat irgendwann in den späten 70ern nämlich Aboriginesvölkern, ihre Gebiete wieder zuerkannt, wenn sie nachweisen konnten, dass sie eben die traditional landownders seien und halt die Landschaften nicht verbaut waren. Auf jeden Fall ist die ganze Mossman Gorge Gegend heute als ein Zentrum kulturellen Austauschs eingerichtet. Wir sind allerdings vor allem da, um – hunderten Warn- und Verbotsschildern zum Trotz – eine Runde im Fluss zu planschen. Nachdem ich ohne Badehosen dastand, hab ich die Hälfte der Zeit überlegt, ob es sich jetzt eher schickt, bis auf die Unterhosen oder in der ganzen Unterhosen-Shorts-Kombo in den Fluss zu steigen. Weil ich hatte sowohl ein Handtuch, als auch eine zweite Hose einstecken. Ich bin ja vorbereitet, wenn ich einen Urwaldausflug mach, nur nicht für s Baden gehen.

In den nassen Unterhosen im Bus sitzend, geht mir ständig warnend das Wort Blasenkatarrh durch den Kopf. Hat sich aber ausgezahlt. Nachdem ich am Morgen schwer mit meinen riffausflugsbedingten Salzwasserhaaren zu kämpfen hatte, hab ich dort festgestellt, dass ich hundertmal lieber in einem kalten Fluss bade als im Meer. Vom Kulturzentrum kriegen wir nur zehn Minuten Shop mit.

Wiedereinmal nicht mein Foto, aber so schaut s dort aus, selbe Stelle, andere Leute.

Wir haben dann übrigens noch einen Kasuar erwischt. Nachdem Wylie schon einführend gesagt hat, wir sollen schreien, wenn wir einen sehen und dann noch warnende Geschichten erzählt hat, über TouristInnen, die im entscheidenden Moment nicht wussten, was sie denn schreien sollen, kam auf der Fahrt zum Gorge der ausgemachte Ruf: Bird! Und tatsächlich: als wir stehengeblieben sind, sehen wir durch die Rückscheibe einen Kasuar mit Anhang die Straße überqueren. Der kleine sei wohl so sechs Monate alt. Wir reversieren und wir folgen den Kasuar ein bisschen in eine Abzweigung in den Wald hinein. Der Vater schaut skeptisch, aber wir halten uns eh auf Distanz und sehen ihnen noch ein bisschen beim Rumstaksen zu. Natürlich letztlich vollkommene Überforderung: Kamera, Fernglas, Moment genießen. Aber das hat das ganze Meh vom Vormittag deutlich relativiert. Auch Wylie ist zufrieden, Kasuarzeigen ist sein Lieblingsteil der Tour und kann nicht garantiert werden.

Heißt Wylie und sucht einen blauen Vogel mit komischem Kopfschmuck – ist nicht irre überraschend.