Frisches Brot

Nachdem ich die letzten zwei Wochen mein Gereise mit FreundInnen geteilt habe, hat mich ein bisschen ins Hinterher gebracht. Es ist nett, die Zeit nicht allein zu verbringen, jemanden zum Plaudern und Reflektieren zu haben, da brauch ich vielleicht auch weniger das Hinsetzen-und-drüber-Nachdenken. Und auch beim Spazierengehen ist mir dann eher ein aktuelles Gespräch im Kopf (und im Mund), als dass mich so ein fremdes Land einfach voll trifft. Und dann brauch ich vielleicht jetzt sogar im Gegenteil ein bisschen wieder das Reinkommen-ins-Hinsetzen-und-drüber-Nachdenken. Außerdem bin ich zuletzt von Korea auf die Philippinen geflogen und ich muss sagen, dass mich das Wetter ein bisschen mitnimmt. Herhaut. Es ist so heiß, wurscht ob tags oder nachts, es ist einfach zu warm. Und natürlich schwül und drückend. Wieder einmal fällt mein Widerstand gegen Klimaanlagenbenutzung innerhalb weniger Stunden.

Heiß genug, dass ich mein Kapperl wieder aufhabe

Und nicht zuletzt natürlich der Kulturschock wieder einmal. Wobei ich gar nicht weiß, ob das das richtige Wort ist. Was ist das richtige Wort dafür, wenn man über Nacht in einem Land ankommt, wo einem bei jedem Augenaufschlagen das globale ökonomische Ungleichgewicht in den Schoß tritt? Es ist nämlich schon ein bisschen wild hier. Mein erstes Erlebnis diesbezüglich war, als ich gestern die Straße entlangspaziert bin, dass ein Bub aus einer mir entgegenkommenden Kindergruppe ausschert und ich seinen Zuruf als Good Morning! verstehe. Die PhilippinInnen scheinen ihr Good Morning! zu lieben, als ich um halb zwei in der Früh aus dem Flughafen gestiegen bin, haben sie mir alle ein Good Morning! zugerufen, während ich gedacht hab, meint s ihr das ironisch oder was soll das. Meinen sie nicht. Und auch nicht ironisch hat der Bub gemeint, als er mir mit ausgestreckter Hand mein Missverständnis auf Money! ausgebessert hat. Da muss man einfach durch. Natürlich hab ich zuerst einmal das Gefühl, dass alle meine Interaktionen mit Einheimischen vom Geld geprägt sind. Wenn man mich im Hotel fragt, was meine Pläne sind, dann hat sie schon einen Plan für mich. Wenn mir die Männer aus dem Schatten einen Gruß zuwerfen und mich fragen, wohin mich meine Beine tragen, dann folgt kurz darauf ein Angebot zum Island Hopping oder eine andere lokale Version von Want to see the ruins, my friend? anbieten. (Ich denke, wie sich kürzlich herausgestellt hat, bei dem Filmtitel Arrival immer noch an The Arrival mit Charlie Sheen. Immerhin geht s in beiden um Außerirdische geht, die auf der Erde landen. Aber während der von 2016 ein guter Film ist, der auf einer empfehlenswerten Kurzgeschichte basiert, hält der Eindruck des zwanzig Jahre älteren vor allem, weil er diesen im formelastischen Lehm meiner jugendlichen Seele hinterlassen hat.)

Aber es geht. Ich muss das ein bisschen vergessen… nein, akzeptieren und darüber hinwegsehen. Und das hab ich ja noch aus Indonesien im Gehirngedächtnis. Das soll gar nicht so tautologisch klingen, ich mein so was wie das Körpergedächtnis, aber halt im Sinne von Geisteshaltung, in die ich leichter zurückfinde. Es ist allerdings fast ein bisschen schade, hab ich mir gestern noch gedacht, dass mein Eindruck von den Philippinen jetzt von diesem einen Ort geprägt wird und ich kann natürlich überhaupt nicht sagen, ob das überall so ist. Dass der Dreck und der Rost und der Sperrmüll so präsent sind. Dass neben der Straße Hähne und Ziegen zwischen dem Plastikmüll und den schlafenden Hunden herumstehen. Dass die Geschäfte schon wieder so viel Fertigessen in Kleinstverpackungen verkaufen. Das macht schon alles ein Bild, vor dem man als mülltrennende MitteleuropäerIn mit Sozialstaatsträumen ein bisschen verzweifeln kann. Aber dann bin ich heute an zwei Mädchen vorbeigegangen, die auf der – for lack of a better word – Terrasse gelegen sind, offensichtlich über ihre Hausübungen gebeugt, singend, miteinander blödelnd. Da hab ich gleich das Gefühl, da geht ja doch was in die richtige Richtung.

Natürlich find ich s unsinnig, dass eine Schule für sich Werbung machen müssen sollte. Das ganze System, in dem eine Schule für sich Werbung macht, ist ja schon hirnrissig. Allein die Idee! Aber: einerseits find ich s nicht schlecht, dass sich eine Schule Gedanken macht, was sie ihren Vorschulkindern beibringen will (oder was Eltern von ihnen erwarten, dass sie ihren Kindern beibringen) und zwotens natürlich ganz großartig, dass die Kinder am Ende in der Lage sein sollen, auf einer Bühne zu stehen und schauzuspielern.

Na und heute war ich dann schon eine Runde Tauchen, deshalb bin ich ja hier. Und da bin ich dann in einem Kontext, in dem ich mich ja eh schon der Rolle der GeldausgeberIn eingefunden hab und dann ist auch der Umgang entspannter. Natürlich ist ein Tauchgang für zwanzig Euro geschenkt. Aber dafür muss ich auch zu Fuß vom Strand ins Meer gehen. Unter Wasser sieht man auch, dass bis vor einigen Jahren hier ebenfalls der Sperrmüll entsorgt wurde und auffällige Rohre, die tief in die Lagune hineinführen. Allerdings ist allein an der hiesigen Tauchgeschäftdichte erkennbar, dass der Ozean mittlerweile als eine Ressource verstanden wird und das ist alles bereits ganz gut mit Algen überwachsen. Was gab s also besonderes? Nun, ein paar Schnecken hab ich gesehen und zwar sogenannte nudibranch oder dann auf deutsch mit ein wenig weniger mysteriöser Erotik: Nacktkiemer. Find ich gleich einmal sehr, sehr lässig. Ich hab ja nicht gewusst, nach was ich hier Ausschau halte, deshalb hat s ein bisschen gedauert, bis ich die Zeichen vom Tauchtypen verstanden hab, wenn er mich auf was aufmerksam machen wollte. War schon aufregend, in einem neuen Gewässer zu tauchen. Wenig überraschend war hingegen, dass die Kamera nach zwei Fotos den Geist aufgegeben hat, da dürfte einfach die Software abgestützt sein.

Und weil heute Sonntag war und ich auf den Philippinen bin, bin ich an einer rappelvollen Kirche vorbeigekommen. Da hab ich mich ein bisschen an den Eingang gestellt und ihnen ein wenig bei der Messe zugeschaut.

Oft ist man ja einmal mit der Situation konfrontiert, ob man jetzt noch das alte Brot aufessen soll, obwohl man gerade mit einem frischen Laib durch die Wohnungstür gestiegen ist. Natürlich ist das ein Problem für Gesellschaften, in denen Brot eine wichtige Rolle spielt und insofern schon einmal ein Gleichnis, dass für Ostasien relativ unpassend scheint. Ich hab nicht vor, zehn Tage Japan, fünf Tage Korea zu unterschlagen. Aber für jetzt erst einmal was aktuelles.

Fields of Tea

Solo hinter mir gelassen, bin ich in Bandung. Was wirklich empfehlenswert ist, ist eine Zugfahrt, zum Beispiel von Surakarta nach Bandung. Weil der Zug ist super, ich mein, gut, ich bin in der Eksekutif Klasse gesessen, und immerhin hab ich dreissig Euro für die acht Stunden gezahlt. Aber dafür ist es urschön, wenn man aus dem Fenster schaut. Ich hab nämlich kurz einmal einen Nachtzug kontempliert, aber schnell einmal verworfen. Weil acht Stunden durch die javanesische Landschaft tuckern, da will ich schon zuschauen können. Und es ist dann wirklich einfach traumhaft, abwechselnd und ineinandergreifend Regenwald und Reisanbau.

Ich hab mal wieder die GoPro entstaubt. Dabei hab ich festgestellt, dass das Klumpert beim Urwaldraften nicht ordentlich funktioniert, also nicht aufgenommen hat. Hier hab ich mit dem Zeitrafferdings rumprobiert, das die Kamera anbietet. Mir wird ein bisschen schlecht dabei, muss ich sagen. Die Audiospur ist übrigens in normaler Geschwindigkeit und zehn Kilometer weiter aufgenommen. The Magic of Cinema™.

Und dann halt Bandung. Bandung ist mal wieder superbusy und ich hab mich mehr oder weniger gegenüber vom Bahnhof eingenistet, damit auch ziemlich im Zentrum. Ich steh schon immer wieder einmal ein paar Minuten, bevor ich über die Straße komm, das ist der Verkehr. Tatsächlich kann ich nur wenig sagen, am Anfang immer noch ein bisschen der Kulturschock, weil halt alles laut und schmutzig. Und zum ersten Mal sehe ich jemanden, von dem ich glaub, dass er bettelt. Weil das wollte ich schon seit Wochen einmal sagen: so arm die Gegend vielleicht ist, ich hab nie Leute betteln gesehen. Und jetzt vielleicht eben doch noch. Über die Obdachlosigkeit ist schwieriger zu urteilen, ich glaub, da sind die Übergänge auch flüssig. Es wird schon Leute geben, die mit ihren Familien unter zusammengelöteten Metalldächern leben. Und vielleicht dann auch mal jemand ohne Dach. Ich mein, die Becakfahrer – die lokale Rikscha – liegen selbst oft auf dem Passagiersitz ihres Gefährts, während sie darauf warten, dass es kühler wird oder Kundschaft daherkommt. Und da schlaft der eine oder andere (ich hab echt nur Männer in dem Job gesehen) gern auch einmal ein bisschen ein. Ich mein, die Leute schlafen auch so gern einmal quer über ihr Moped oder irgendwo in einer ruhigen Ecke und schlafen durch die Nachmittagshitze. Ist nur vernünftig.

Heute hab ich mir jedenfalls einen Ausflug organisiert. Weil ich noch nicht genug Kraterseen gesehen hab und überhaupt wollte ich auch gern noch auf einen Vulkan, weil auf Vulkane steigen ist immer lässig und das geht leichter dort, wo s auch Vulkane hat. Quasi: Voraussetzung. Ich hab ehrlich nicht gewusst, dass Indonesien so viele Vulkane hat. Nämlich sogar Krakatoa. Never would have thought. Ich mein, der Name klingt schon so nach Hawaii, nicht?

In diesem Gebäude hat neunzehnfünfundfünfzig die erste Afrika-Asien Konferenz stattgefunden. Deswegen heißen die teilnehmenden Staaten auch Bandung-Staaten: „In späteren Jahren wurde die Solidarität durch Differenzen unter den teilnehmenden Ländern zunehmend erschüttert, so dass die Vereinigung keine Rolle mehr spielte.“ Schade.

Das hab ich mir organisiert. Und weil ich gerade genug von Hot Springs hab, hab ich die ausgelassen. Naja. Ich hab wenig Lust daran, allein in einer heißen Quelle zu sitzen, das ist irgendwie schon eine soziale Beschäftigung. Also nur den „weißen Krater“ für mich, danke schön: Kawah Putih. Kratersee in einem aktiven Vulkan. Tatsächlich hab ich viel daran gedacht, dass dieser See eine neue Errungenschaft für meine Sammlung von Seen, die eine Farbe haben, die man von einem See nicht erwarten würde, ist.

Nach eineinhalb Stunden sind wir schon am Krater (nachdem ich in der Früh angerufen worden bin, dass mein Fahrer „five to seven minutes late“ sei. Aber es stimmt, dass die Fahrer allesamt total pünktlich waren. Am Krater dann ein bisschen eine Überraschung, weil ich noch hunderttausend Eintritt zahle und dann in einen orangen (die Niederländer schon wieder?) Bus zum Warten verwiesen werde. Weil wir warten jetzt noch, bis der Bus wirklich voll ist. Ich mein: wirklich voll. Interessanterweise gibt s ein Schild, das das Eigengewicht vom Bus mit neunhunderneunzig Kilo bezeichnet und als maximale Passagierzahl elf ausweist. Ein idealer Passagier hat in Indonesien übrigens nur sechzig Kilo. Tatsächlich sind wir dann dreizehn Leute im Bus. Neben mir sind ein paar malayische TouristInnen, drei IndonesierInnen, ein Libanese und noch zwei, die aber vorne beim Fahrer im Hütterl sitzen und sich nicht vorstellen. Ich glaub, wir sind immer noch unter Busgewicht, aber nicht viel und das lässt sich der Bus auch anhören. Wir kurven noch neun Kilometer auf den Berg hinauf und manch eine Kurve nimmt der Fahrer mit etwas mehr Schwung als ich ideal finden würde. Und es geht ja nicht nur mir so. So bei der Hälfte rasen wir mal in einer Kurve knapp an einem uns entgegenkommenden Auto vorbei und es gibt einen Moment kollektives Ausatmens gefolgt von einer Runde nervösem Kichern all around.

Oben ist der See und ich bin total überrascht, wie hier alles total aufgeräumt und touristisch durchgecheckt ist. Mit Geländern und Treppen und Absperrungen und Verbotsschildern. Mein Lieblingsverbotsschild macht darauf aufmerksam, dass man seinen Müll nicht liegen lassen soll. Ich weiß natürlich nicht genau, wie das auf Indonesisch formuliert ist, aber auf Englisch haben sie sich für No Littering! Litterbugs Are the Trash Itself entschieden. Bussi!

Und das Wetter war auch super.

Der Kratersee ist unwirklich. Mehr kann ich kaum sagen. Wie schon im Bus rauf sind vor allem asiatische TouristInnen da, ein niederländisches Pärchen grüßt mich mal wieder vor lauter Fremdheit drumrum, und dann seh ich sogar noch eine ganze Reisegruppe junger EuropäerInnen. Interessant fand ich dann doch, dass die meisten Gäste so im Zugangsbereich des Kratersees bleiben und von dort ihre Bilder machen. Das ist auch eine schöne Stelle, kein Zweifel. Ich selbst habe aber schon das Bedürfnis, bisschen weiter zu schauen und kletter am Ufer herum, bis ich hier und da auf das Bis-hierher-und-nicht-weiter-Schild komme.

Am Kratersee hat man alle paar Meter auch die Möglichkeit für zusätzliches Geld auf einen Steg oder einen Skywalk zu gehen.

Nach einer Stunde oder so gehe ich wieder zurück zum Bus. Ich muss gestehen, dass die Warnschilder, die sagen, dass man aus Gesundheitsgründen maximal eine Viertelstunde am See verbringen soll, weitgehend ignoriert habe. Mein Gefühl war, ich hab jetzt genug Schwefel geatmet und das hat mir nie wirklich was getan. Außerdem hat ein Blogeintrag im Internet gesagt, dass das nicht wirklich schädlich ist. Und ich mein… eben. Nach vierzig Minuten ist mir aber doch etwas schwummrig geworden, ich hatte bisschen Hustenreiz und insgesamt, ja, es war Zeit für ein Ende. Der Schwefel ist übrigens warum der See so milchig wirkt, da ist halt massiv Schwefel gelöst drin. Unter niederländischer Besetzung ist hier Schwefel abgebaut worden und dann noch ein bisschen unter japanischer.

Am Heimweg bleiben wir noch an einem Teefeld stehen. Weil ich hab kein Interesse an heißen Quellen, aber eine Teeplantage find ich schon interessant. Es ist total schön. Es ist wirklich irrsinnig herzig, weil Tee – das wusst ich nicht – auf Bäumchen wächst, die halt abgeerntet werden, aber es bleibt dabei eine Art Rebe stehen. Aber ja, man kann s sicherlich einfach auch als Bäumchen bezeichnen, ohne die Weinassoziation. Ich stehl mir ein paar Blätter und koste. Es ist zuerst etwas langweilig und dann schnell sehr bitter. Aber es kommt schon ein Teegeschmack durch, der bleibt dann auch noch einige Zeit, nachdem ich die Blätter mal ausgespuckt habe. Aber kurz darauf nehm ich noch ein paar. Weil: doch gut, irgendwie.

Angeblich (!) gehören irgendwelche Plantagen hier in der Gegend auch der Königin von England, sagt mein Fahrer. Aber in feinster Gerüchtemanier ergänzt er, dass er das längst schon mal hätte nachschauen sollen, anstatt es andauernd ungecheckt rumzuerzählen.

Wir sind dann drei Stunden oder so im Auto gesessen, weil der Verkehr in Bandung ist ungut, wenn am Sonntag die ganzen LokaltouristInnen auch rein oder raus wollen, ich weiß nicht. Wir fahren auch ein bisschen im Kreis. Im Radio hör ich eine Nummer, die ich ganz gut finde, bis ich jetzt zuhause gemerkt habe, dass Julia Michaels way nicht so underground ist, wie ich beim Hören gedacht hab. Überhaupt steht im Wikipedia nichts über sie persönlich sondern nur ihre MTV Music Awards und so Zeug. Halt trotzdem, ein sensibles Lied über soziale Angst. Es ist ja, so nebenbei, nicht so einfach, für social anxiety einen deutschen Begriff zu finden, der das Thema ernst genug nimmt – ich finde ja, dass „Angst“ da ein wenig versagt – und zweitens aber auch nicht so klinisch wie Angststörung klingt, damit kann ich mich im Alltag auch schwer identifizieren.

Aber ja, drei Stunden im Auto, zwei Stunden im Stau. Heute sei es schon besonders schlimm, er wisse auch nicht, was da los sei, heißt s vom Fahrersessel. Ich krieg aber derweil ein bisschen Nervosität zusammen, weil ich gestern am Bahnschalter so stehengelassen wurde: Als ich um halb eins dort war, hat s geheißen, er macht erst um eins auf. Dann war ich spazieren und um halb fünf wieder dort, hieß es: sorry, wir machen um vier zu. Und ich fahr morgen nach Jakarta, das war schon fix, weil ich ein Hotel gebucht hab. Zumindest hab ich gestern aber erfahren, dass der Zug um halb zwölf schon voll sei, es gäbe noch einen um vier, um fünf und einen um sechs in der Früh. Na gut, denke ich resigniert, dann also heute. Und natürlich machen sie heute ebenfalls um vier zu, wie immer. Deswegen bin ich langsam nervös geworden, als wir um drei noch zweieinhalb Kilometer entfernt waren.

So klingt s im Bandunger Bahnhof um halb eins, während ich überlege, ob ich jetzt ein halbe Stunde warten oder halt am Abend wiederkommen soll. Dabei stehen übrigens nicht gerade sechzig Leute am Schalter zwei und weitere sechzig am Schalter drei an.

Ich bin dann auch tatsächlich ausgestiegen. Jetzt: keine Überraschung, dass sich der Verkehr fünfhundert Meter weiter aufgelöst hat. Ich hab leider den Moment verpasst, ich war wohl zu konzentriert beim Mich-durch-den-Verkehr-schlängeln-ohne-angefahren-zu-Werden. Und gut so. Und eine halbe Stunde später stand ich in der Station. Zuerst hat mir die junge Frau gesagt, dass ich an Schalter fünf mein Ticket gleich kaufen kann. Ich brauch wohl keine Reservierung mehr dafür. Ok, Schalter fünf ist nicht, wie ich zuerst gedacht hab, der Schalter an dem sechzig Leute anstehen. Puh. Allerdings sagt der junge Mann an Schalter fünf, dass es nur noch Plätze im Zug um vier und in dem um fünf gibt. Argl. Na gut. Na gut… ok. Dann halt um fünf. Morgen Früh um fünf in den Zug nach Jakarta. Einmal bitte, Eksekutif.

Selamat Waisak

Am Samstag um drei Uhr aufstehen um einen Sonnenaufgang anzuschauen – das ist etwas, was man im Urlaub macht. Das passiert einem sonst nicht, nicht wenn man allein ist. Am Freitag bin ich dafür auf einen Sprung in so einem Geschäft gewesen. Mein Hotel ist zwar super gelobt worden dafür, wie viel Unterstützung man vom Besitzer für Planungen und für Ausflüge bekommt, aber weil grad nicht so Saison ist, war meistens nur einer, der darauf aufpasst, dass die Wasserlieferung im richtigen Gebäude ankommt. Ich bin also hier in der Nebenstraße dann in eine Tourismusinformation gegangen. Das ist ja auch interessant, dass das bei uns ein Qualitätssiegel hat, quasi: was offizielles. Und da bekommt man dann eben das. Aber hier schreibt sich das natürlich jede auf die Tür, die Programme für AusländerInnen parat hält. Also, wenn man zum Beispiel Ausflüge und Touren zu verkaufen hat. Beim Spazierengehen in den Tagen davor hab ich schon immer einmal Ausschau gehalten und dabei eine entdeckt, die mir sympathisch gewirkt hat und da bin ich dann also hin.

Dort hab ich als erstes gelernt, dass Waisak schon am Samstag gefeiert wird und zwar in den Sonntag hinein. Waisak, das hat mir noch L. gesagt, was ich für ein Glück hätte, weil da eben gerade dieses Fest gefeiert werden würde, wenn ich in Yogyakarta (Jogja) bin, irgendwas mit BuddhistInnen und Laternen. Natürlich hab ich mir eine Reihe von Nonnen und Mönchen vorgestellt, die Ich gehe mit meiner Laterne singen. Tatsächlich wird der Geburts-, Todes- und oder aber vor allem der Erleuchtungstag Buddhas gefeiert. Und dazu schreiben wir Wünsche auf Lampions, die wir dann in den Himmel steigen lassen. Ich weiß nicht, ob die Nonnen und Mönche das auch machen, aber das machen wir, die wir noch stärker im Weltlichen verhaftetet sind. Und ich hab mich gefragt, wer denn diese Wünsche liest – weil natürlich mit meinem kulturellen Hintergrund ist Wünsche formulieren und Hoffnung darauf haben, dass man diese Wünsche erfüllt bekommt sehr nah bei einander. Quasi dasselbe. Aber jetzt denk ich mir, vielleicht ist es eher was mit loslassen und die Wünsche gehen lassen. Dann hätte ich natürlich total die falschen Sachen draufgeschrieben…

Nun, ich hatte gedacht, Waisak sei erst am Sonntag. Was es ja auch ist, aber man feiert wohl hinein, nachdem es sich um eine Nacht-Sache handelt mit den Lampions und so. Als nächstes hab ich dann erfahren, dass der Ausflug, der mich das Fest nach Borobudur bringt, mich abends hinbringt und der Tempel selbst für die Zeremonie gesperrt ist. Na bravo. Also erst einmal: wie komm ich nach Borobudur und nach Prambanan, damit ich die Tempel tatsächlich anschauen kann. Im zweiten gibt s außerdem ein, aber nur Samstag, Dienstag und Donnerstag… Und wie schaut s aus mit den Ausflügen zum Vulkan. Und zum anderen Vulkan?

Ich bin lange in der Tourismusinformation gesessen. Aber es war nett, ich hatte eine nette Unterhaltung mit den TourismusinformantInnen und das hat ein bisschen geholfen, dass ich diese ganzen Überlegungen nicht nur im Kopf durchführen musste, sondern ein bisschen drüber reden konnte um meine Optionen abzuwägen. Allein Entscheidungen treffen, wo die Kosten plötzlich in den Millionenbereich schießen… das muss ich nicht haben. Aber natürlich, der Nachteil, wenn man sich diese Sachen mit Leuten durchdenkt, die einem diese Sachen auch verkaufen wollen: Ich hab dann einfach alles genommen und mich für beide Touren entschieden: Tempel und Tempel und dann nochmal den Tempel am Abend mit Lampions. Ja, ich mein, rechnet man s runter sind s ja trotzdem nur sechzig Euro, das ist e ok.

Eine von diesen Seitenstraßen in Yogyakarta

Das ist insgesamt ein Problem, weil man ja gewohnt ist, ein bisschen knausrig zu sein, einfach aus Prinzip. Und dann hat der Taxifahrer gestern mit Hundeaugen gesagt, er kann mir keine zweitausend auf meine zwanzigtausend rausgeben. Und ich denk mir, du Hund! und ärger mich darüber, hier beschissen zu werden. Vielleicht ist es auch mehr das, dass es unangenehm ist, betrogen zu werden. Aber dann denkt man drüber nach und irgendwie ist es sofort etwas beschämend, für zwölf Cents doch etwas aufgewühlt zu sein. Das ist wahrscheinlich eine ganz gute Übung für den Umgang mit Geld allgemein.

Auf jeden Fall werde ich für das Geld von daheim abgeholt, zum Sonnenaufgang geführt, und darauf geschaut, dass ich nicht nur Borobudur – zu dem ich schon weiß, dass es um dreißigtausend auch einen öffentlichen Bus gibt – sondern auch Prambanan zu sehen bekomme, ist auch. Und Waisak von mittendrin erleben und alles das. Und zwischendurch sitz ich dafür etwa – warte einmal – neun Stunden im Bus. Natürlich, sag ich, natürlich machen wir das. Und dann nehm ich mir die Broschüre bitte noch mit, weil vielleicht will ich ja doch noch das blaue Feuer anschauen (nur in Java und in Irland – wird vielleicht eher Irland werden), dass dabei entsteht, wenn irgendwas mit Schwefel brennt unter irgendwelchen bestimmen Umständen. Die Vulkane sind, nun, der Bromo, der ist zugesperrt, weil da weiß man nicht so genau. Der raucht seit zwei Wochen, Touristen dürfen zehn Kilometer ran. Wenn das so gesagt wird, hab ich immer den Eindruck, dass da noch einige Einheimische dabei sind, die nach wie vor an den Hängen wohnen. Und der Mount Merapi der ist sowieso seit Jahren eigentlich gesperrt. Kann man trotzdem raufgehen, aber mit Guide und dauert wohl zwei Tage für rauf und runter. Skip.

Also steh ich auf um drei in der Früh. Es ist ein bisschen später geworden als gehofft mit dem Hinlegen, weil ich noch im Computer rumgetippt hab und dann hat der mal wieder das gemacht, wo er sagt, tut mir leid, ich hab null Bytes frei auf der Festplatte und wenn du was löschst, dann ist mir das egal, mach ich keinen Speicherplatz frei oder den freien Speicherplatz sofort wieder voll – kommt ja auf s selbe raus. Was machen wir denn da, ich kann nix speichern, nix auslagern, ich stürz jetzt einfach mal ab und beim Neustarten lass ich dich dann nicht mehr ins Betriebssystem hinein, weil dafür brauch ich auch irgendeinen Cache oder was, den ich nicht anlegen kann. Und dafür brauch ich dann zwei Stunden, dass ich das wieder fixe. Addio, Rocky I-IV, ihr habt mir dann doch noch Speicherplatz freigemacht. Na, war s auch halb zwölf.

Nach den dreieinhalb Stunden Schlaf steh ich also auf und setz mich ins Auto hinten rein. Ich hab einen schönen Rucksack gepackt mit Jause und Jacke und Kapperl und Sonnencreme. (Die Sonnencreme – by the way – ist mir unlängst im Rucksack ausgeronnen, war aber kein größeres Malheur.) Wir fahren noch ein bisschen in Jogja herum, ein paar Leute abholen, ein paar NiederländerInnen, immer diese NiederländerInnen, ein paar Deutsche. München. Das ist wohl auch so eine Stadt, wo man die Stadt sagt, wenn man gefragt wird, wo man herkommt. Oh ja, zwei FranzösInnen waren auch dabei. Und zwei – sorry – AsiatInnen. Ich stell mich hier nicht hin und sag mit irgendeinem Quantum an Selbstsicherheit: das waren ChinesInnen, wie ich das in Australien gemacht habe. Dafür ist hier zu viel los. Und es ist nur fair, dass beim Waisakfest am Abend die Mistress of Ceremony gefragt hat, ob Leute aus Indien da sind? Jaaaa! und aus China? Jaaaaa! Japan? Jaaaaa! Australien? Jaaa! Und dann Europa einfach als Europa? zusammengefasst hat. Man ist schon irgendwo anders unterwegs im Kopf, wenn man aus Europa kommt. Da vergisst man manchmal schon, dass es sehr viele andere Leute gibt.

Den Sonnenaufgang selbst kann man ja nicht hören, aber hier ruft ein Muezzin möglicherweise zum Morgengebet und/oder dazu auf, mit dem Frühstück aufzuhören. Außerdem Grillen und ein früh aufgestandener Aufkehrer.

Aber ja, wo war ich? Im Bus. Im Bus Richtung Westen, halb vier. Um dreiviertel fünf stehen wir in Borobudur. Und ich weiß, ich hab nicht den Sonnenaufgang im Tempel gekauft, weil sie mir gesagt haben, das geht nicht für eine Person beziehungsweise schon, aber dafür schicken sie kein Auto, ich müssert hinten auf einem Moped sitzen für die eineinhalb Stunden raus und die eineinhalb Stunden zurück. Insofern, thank you m’am. Aber jetzt um zehn vor fünf steigen alle aus nur ich krieg ein Not you vom Fahrer. Not me, then. Ich werde nämlich auf einen Hügel geführt, der eine Aussichtsplattform ist und der es geschafft hat, Eintritt dafür zu verlangen, dass man in die Richtung von Borobudur schauen kann und die Sonne mehr oder weniger dahinter aufgeht. Ich solle nicht glauben, dass ich von dort die ganzen Details des Tempels erkennen werde, haben sie schon zu mir in der Tourismusinformation gesagt. Nachdem meine Kenntnis des Tempels überhaupt minimal ist, hab ich ihn gar nicht so recht entdeckt von meiner Aussichtsplattform. Aber immerhin bin ich um fünf der erste und nehm mir den Sitzplatz, den mir der Standorterklärer nahelegt. Und der Sonnenaufgang ist tatsächlich sehr schön. Die Sonne geht weniger hinter dem Tempel auf, oder was ich, als es heller wird vermute, dass der Tempel sein könnte, sondern hinter dem Mount Merapi, was e super ist. Mit dem Fernglas (!) sehe ich (glaube ich zu sehen), dass Rauch aus dem Krater aufsteigt und auch an manchen Stellen der Hänge sehe ich Schwaden in den Morgenhimmel aufsteigen. Kann auch einfach ein Morgennebel oder so was gewesen sein, aber tatsächlich ist der ganz gut aktiv. Und die gute Venus tut ihrem Namen total die Ehre und rast ebenfalls über Merapi hinaus in den Himmel. Wohl: rast, so schnell ist die auch schon wieder in den Wolken verschwunden. Und natürlich im vermehrten Tageslicht.

Ich mein, ich hab die Einstellungen in meiner Kamera-App eindeutig nicht gut unter Kontrolle. Wenn ich an dem Tag was gelernt hab, dann auf jeden Fall, dass ein Telefon als Fotoapparat seine Grenzen hat. Trotzdem schön: Venus über Vulkan.

Es ist schön, weil es so Klischeebilder vom Regenwald erzeugt, der im Morgennebel steht. Ich glaub ja, am glücklichsten sind wir, die UrlauberInnen, wenn wir Fotos von Dingen machen können, die den Fotos, die wir von den Dingen bereits einmal gesehen haben, möglichst ähnlich sind. Anders lässt es sich nicht erklären, dass ich unlängst dutzende Fotos von Reihern gemacht habe, die auf den Schultern von Wasserbüffeln balancieren, die ihrerseits im Reisfeld stehen. Und an diesem Samstag habe ich mehr als zweihundert Fotos von Tempeln und Regenwald im Morgendunst gemacht. Zurückgehalten habe ich mich bei den betenden BuddhistInnen in ihren orangen Roben. Das ist auch so Klischee und die Nonnen und Mönchen stört das auch nicht wirklich, auf jeden Fall haben da ein paar Leute wie wild geklickert, von so zwei Handlang entfernt, als der eine Mönch in Borobudur eine Stupa angefasst hat. Das ist auch so Klischee, aber mir zu viel. Das bekopftuchte Mädchen, die mit vor zwei Wochen lachend auf ihrem Pferd entgegengekommen ist, da hab ich mir auch gedacht, das wär schon ein Foto wert gewesen, irgendwie. Auch wenn s halt ultra-klischee ist, aber so lernt man s halt bei der World Press Photo.

Classic morgendlicher Urwald

Aber ja, alles nicht so einfach. Wenn man so einem Sonnenaufgang zuschaut kommt man halt manchmal ein bisschen ins Nachdenken. Oft weiß man ja gar nicht, was man tun soll mit so etwas einfachem, so etwas alltäglichem. Wie man dem die Bedeutung verleiht, die man ihm ja bereits gegeben hat, indem man um drei in der Früh aus dem Bett gestiegen ist. Am besten noch ein paar Fotos machen.

Um sechs herum werde ich dann auch schnell nach Borobudur geschupft. Jetzt, ein bisschen ein Hintergrund: Buddhistische Tempelanlage – die größte, wie gerne betont wird – ihrer Art. Im neunten Jahrhundert zirka ist das erbaut worden und aber relativ schnell wieder stehengelassen worden. Wie gesagt, kaum sechs- bis siebenhundert Jahre später gab s ja gar keine BuddhistInnen mehr in Java. Und jetzt ist die ganze Gegend aber vorher schon weitgehend verlassen worden, vermutet wird der eine oder andere Vulkanausbruch, wegen dem die BewohnerInnen das Land weitgehend aufgegeben hätten. Im neunzehnten Jahrhundert haben dann verschiedene europäische Expeditionen den Tempel entdeckt, freigelegt (von Dschungel und Vulkanasche) und zu dokumentieren begonnen. Und halt auch renoviert oder wiederhergestellt. Man sieht das ein bisschen, wie manche Teile einfach neuer sind als andere.

Und manche Stellen sind auch offensichtlich nur provisorisch wiederhergestellt. Interessant ist aber auf jeden Fall, dass die Borobudur’schen Reliefe eine seltene Quelle für die Kleidung der javanesischen Nobilität im neunten Jahrhundert sind.
Am Morgen dreht eine Gruppe BuddhistInnen ihre Runde um den Tempel. Eine Gruppe TouristInnen wartet geduldig, bis sie durchgezogen sind und den Zugang zum Tempel freigeben.

Also, der Tempel hat drei Ebenen, sagt die Broschüre, die den drei äh… die Kāmadhātu, Rūpadhātu und Ārūpyadhātu entsprechen. Um ehrlich zu sein, erschließt sich mir das jetzt nicht ohne weiteres, nicht aus der Broschüre, aber auch nicht wirklich aus der Wikipedia. Die Ebenen repräsentieren verschiedene „Welten“, in denen der Mensch mehr oder weniger seinen Sinnen unterworfen ist bis zur Befreiung durch die Erleuchtung in Ārūpyadhātu. Dementsprechend ist diese auch die letzte, oberste Ebene, wo nur noch Stupas und Buddhastatuen stehen. Die Zwischenebene fand ich am interessantesten, weil da sind viele Reliefs, die verschiedene Geschichten aus dem Ramayana zeigen. Also, da gibt s zum Beispiel diese Geschichte wo der gegen den Affenkönig kämpft. Oder wo der Krishna was besonders cleveres macht. Aber ich hab keine FührerIn und bin in diesen Geschichten ja nicht besonders bewandert. Aber ich mag den Stil der Darstellungen ganz gern, in denen die Szenen doch oft ganz lebendig werden, auch wenn ich die Geschichte nicht genau kenne.

Statuen, Stupas und Reliefe auf der Ostseite von Borobudur. Man sieht, dass die Sonne langsam hochkommt.

Auf der obersten Ebene laufen ein paar Europäerinnen in weißen Hemden mit Blumen in der Hand ihre Runden, andere sitzen im Lotus und schauen auf den Urwald oder die Innenseite ihrer Augenlider. Ein einzelner Mönch zieht die Aufmerksamkeit eines Spiegelreflexkamerabesitzers auf sich, der das wiederum ruhig mit sich geschehen lässt, obwohl scheinbar niemand mehr ein Foto macht sondern es gleich vier, fünf Mal klickern lässt, bevor er den Finger wieder vom Auslöser nimmt. Andere wecken die Aufmerksamkeit von SchülerInnen, die von ihren LehrerInnen geschickt werden, um ihr Englisch an TouristInnen auszuprobieren. Das ist mir hier mittlerweile auch schon öfter passiert ist aber in der Regel ganz nett. Ich hätte ein, zwei Tipps zur Fragengestaltung und Interviewführung, aber ist ja nicht mein Job. Nein, die machen das super und in irgendwelchen Englischklassen laufen jetzt Videos von mir, wie ich davon erzähle, wie nett ich die IndonesierInnen finde, wie fröhlich und offenherzig. Sama sama.

In ihrer Repetitivität und Schlichtheit wirkt eine buddhistische Tempelanlage auch tausend Jahre später zeitgemäß. Dazwischen ein Hinweisschild, sich nicht auf die Stupas zu setzen.

Interessant ist, dass ich hier am Eingang einen Sarong bekomme, weil ich in kurzen Hosen unterwegs bin und es warad wegen dem Respekt. Ich mein, interessant, weil ich das sonst nur aus Kirchen und Moscheen kenne (war ich überhaupt jemals in einer Synagoge?) und da sind s dann eher die Frauen, die ein Tuch für um die Schultern oder für über den Kopf bekommen. Aber hier sind die Männerwaden nicht gerne gesehen und das entspricht in Wahrheit ja eh meiner üblichen Herangehensweise an Shorts, insofern hab ich echt kein Problem damit. Dann wiederum muss das auch nicht einfach umgedrehter Sexismus sein, kann ja auch sein, dass Frauenwaden gar nicht besonders als der Respektlosigkeit im Stande betrachtet werden. Man weiß ja nie so recht bei den Religiösen. Nachdem ich mit einer Tour unterwegs bin, muss ich mich ein bisschen am Riemen halten und auch wenn ich gerne ein Stündchen mehr gehabt hätte, vielleicht um einen Sprung ins archäologische Museum zu schauen, muss ich mich letztlich sputen, mach noch zwei Fotos von den Elefanten und dann sitzen wir schon wieder im Bus auf dem Weg nach Prambanan.

Ein langer Weg nach Prambanan

Prambanan ist ein weniger gut in Schuss als Borobudur. Auf den zweiten Blick. Auf den erste ist es viel eindrucksvoller und löst mir gleich einmal eine Gänsehaut aus. Dabei ist es ja schon elf oder so und es wird langsam richtig warm. Der Broschüre nach ist Prambanan ebenfalls im neunten Jahrhundert gebaut worden. Ich hab irgendwo gelesen, dass es besonders sei, dass er als Hindutempel gleich drei Göttern geweiht ist, wo die angeblich sonst auf eine Gottheit fokussieren. Aber hier stehen drei Tempel für Brahma, Vishnu und Shiva. Schöpfer, Erhalter und Zerstörer. Und das ist doch sehr gewöhnungsbedürftig, wenngleich die Notwendigkeit vom Ende, das kann ich schon auch ein bisschen anerkennen, und dass Shiva damit so eine Neutralität besitzt zeugt von einer sehr unterschiedlichen Weltsicht. Nicht nur das, Shivas Tempel ist tatsächlich der große in der Mitte. Außerdem stehen den großen Tempeln noch drei kleinere gegenüber, die den Vehikeln der drei Gottheiten geweiht sind. Es ist alles sehr fremd. Aber auf den Tempeln der drei Götter sind wieder Geschichten in Reliefs erzählt und an die halte ich mich. Außerdem bin ich, ähnlich wie in Borobudur, schon fasziniert von den Steinen, von diesen riesigen Anlagen aus rohem Stein, der hier seit über tausend Jahren im Urwald steht. Und ja, auch diese Anlage ist schnell einmal verlassen worden, nachdem sie erbaut wurde und erst in den letzten hundert Jahren wieder aufgebaut worden. Um die Haupttempel herum stehen hunderte kleine Tempel, die nahezu alle komplett zerstört sind und deren Wiederaufbau ein fortlaufender Prozess ist. Außerdem war da vor nicht all zu langer Zeit ein Erdbeben, das hat auch in den großen Tempeln nochmal einiges ins Wanken gebracht.

Schneller, aber mit einer ähnlichen Regelmäßigkeit wie die buddhistischen Klanghölzer, fallen hier die Hämmerchen. Es klingt insgesamt mehr nach Wiederaufbau als nach Renovierung.

Die Tempel sind jetzt nicht ganz anders als Borobudur. Ein bisschen extravaganter von der Architektur, so gibt s zum Beispiel Dächer. Aber sonst laufen auch hier hinduistische Sagen in Reliefen ab. Außerdem gibt s die Geschichte von einer Prinzessin oder was, die mit einem Prinzen oder was wettet, dass er nicht tausend Tempel in einer Nacht bauen kann. Und er kriegt dann Hilfe von Dämonen – und steigt trotzdem irgendwie als der Held aus. Als die Nacht nahezu vorbei ist, merkt sie, dass sich das ausgehen wird und macht irgendwie ein Licht und dadurch wachen die Hähne auf und fangen zum Krähen an und da denken die Dämonen „Hoppala, ist schon Morgenstund“ und vertschüssen sich. Und er verwandelt sie dann noch in den tausendsten Tempel. Irgendwie so. Ich krieg das ja nur nebenher mit, von denen, die sich am Eingang eine Tourguide gekauft haben.

Schnelle Zusammenfassung: Von der Ästhetik unverkennbare Ähnlichkeiten. In der untersten Reihe Brahma, Shiva und Vishnu (v.l.n.r., und dass von denen tatsächlich zwei nach links und zwei nach rechts schauen war total unabsichtlich).

In der Umgebung von Prambanan beziehungsweise auf dem Gelände, das man mit seiner Eintrittskarte betreten kann, sind noch drei andere Tempelanlagen zu finden, zwei davon sind sicher buddhistisch, bei der dritten weiß ich jetzt nicht auswendig… aber durch die bin ich schon nahezu am durchlaufen, weil zwei Stunden schon wieder knapp sind. Interessant vielleicht, dass im Sewu Tempel, der ebenfalls von vielen dutzenden kleinen, sich im Wiederaufbau befindlichen Tempeln umgeben ist, keine einzige Buddhastatue findet, wenngleich einige Stellen eindeutig dafür gedacht sind. Auch hier wird bereits eine Bühne für Weisak aufgebaut und die Tänzerinnen proben gerade ihren Auftritt als ich Richtung Ausgang haste. Für die zwei Kasuare bleib ich nochmal stehen, aber so richtig foto opportunity ergibt sich nicht.

Und wenn Prambanan schlechter beisammen ist als Borobudur, dann ist trotzdem Sewu nachmal schlechter beisammen als Prambanan.

Und dann geht s heim. Ich schlaf wohl schon ein bisschen im Bus. Als ich im Hotel abgesetzt werde ist es halb eins, ich bin seit zehn Stunden wach und merke, dass ich eigentlich nichts gegessen habe. Ich dusch mich kurz und schau dann, dass ich ein Mittagessen finde. Das ist nicht so leicht, im Ramadan, vor allem, weil ich mich ein bisschen ziere in die Lokale zu gehen, in denen Nasi Goreng bereits vierzigtausend kostet. Fünfundzwanzig zahle ich dann in einem seltsamen Lokal, in dem ich der einzige Gast bin und die beiden BesitzerInnen so überschwänglich freundlich über meinen Besuch sind, dass ich kurz an ihrer Gesundheit zweifel. Während ich esse setzen sie sich wieder an ihren Fernseher. Wie so oft ist der Übergang zwischen Wohn- und Geschäftsbereich nicht ganz deutlich gezogen, das ganze Vorderbühne-Hinterbühne Konzept ist hier weniger deutlich ausgeprägt.

Um drei sitze ich wieder im Bus und werde wieder nach Borobudur geschupft. Das dauert jetzt etwas länger, weil der Verkehr am Nachmittag deutlich intensiver ist als in der Früh. Ich nicke an meinem Fensterplatz immer wieder ein. O, wie sind mir die BackpackerInnengeschichten nicht abgegangen in den letzten Wochen: Um mich herum unterhalten sich Deutsche und HolländerInnen über ihre Abenteuer, unterstreichen, wie lange sie schon unterwegs sind, wie unglaublich Nepal gewesen ist, wie superbillig sie gestern gegessen hätten und wie sehr sie sich auf Bali freuen. Wegen Nepal mache ich mir ein paar Notizen und stöpsel mich dann in meine sowieso vernachlässigten Podcasts ein. Das schlimmste am Reisen sind die anderen Reisenden. Zumindest hier im Bus habe ich keine Lust, mit irgendjemandem in Kontakt zu treten.

In Adam Buxtons Podcast empfiehlt James Acaster beispielsweise Surface to Air Missive.

Es ist schon dunkel geworden, aber wir kurven immer noch ganz schön in Borobudur herum, drehen ein paar Mal um, steigen aus und wieder ein. Die BackpackerInnen lachen, wünschen sich Bier und lästern über schlechte Organisation. Auch in meinen Augen könnten sie uns auch ein bisschen auf dem Laufenden halten, ich hab Verständnis dafür, dass hier improvisiert wird, dass wir andere Leute treffen sollen, dass es dunkel ist und viel los und überhaupt findet das einmal im Jahr statt und dieses Jahr haben sie auch noch ein neues Programm gestaltet, bei dem die TouristInnen ihre eigene Veranstaltung bekommen bevor die echten BuddhistInnen dann ihre eigene Feier um Mitternacht begehen. Und dann natürlich Stress, weil s nicht so läuft wie s soll. Ich habe Verständnis und überhaupt gehen mir die lachenden EuropäerInnen mehr auf die Nerven als nicht und natürlich solidarisiere ich mich im Stillen mit den OrganisatorInnen aus der Tourismusinformation.

Wir haben s dann irgendwann geschafft, bekommen unsere Snacks und das angekündigte Wasser. Um uns herum ist Kirtagsstimmung, Leute verkaufen (und kaufen) Fastfood, Getränke und Spielzeug. Unsere Snacks sind weitgehend unidentifizierbar, auch beim Essen selbst kann ich nicht wirklich sagen, was es ist, Reis, Fleisch, Fisch, Gemüse… keine Ansatzpunkte. Nachdem wir aufgegessen haben gehen wir gemeinsam in die Festivalzone. Hier sind schön schon die Reihen für uns vorbereitet und lassen wir uns auf dem Boden nieder, jede bekommt ihr Platzerl auf ausgelegtem Plastik. Ich glaub kurz, dass das schon die Lampions sind, irgendwie, aber dann sehe ich doch alle auf ihrem Plastik sitzen und außerdem die Lampions, die neben mir in der Wiese wie riesige Tortillas aussehen. Jetzt: Am Boden sitzen tu ich nicht viel und dafür braucht man Übung. Ich sitze lange – und wie ich sagen möchte: mutig – im Schneidersitz auf meinem Plastik, strecke meinen Scheitel zum Himmel und dann atme ich in den Schmerz. Ich weiß nicht genau, wo das herkommt, aber ohne besonderen Kontext würde ich an dieser Stelle sagen, dass ich in einem katholischen Land aufgewachsen bin und selbst, wenn ich das familiär nicht wirklich miterlebt habe, schon gar nicht katholisch, ist für mich offenbar diese ganze Zeremoniegeschichte stark mit Disziplinierung assoziiert. Vielleicht ist es nur der Satz, den ein Professor mal gesagt hat, über die Leistung der katholischen Kirche, dass sie den MitteleuropäerInnen über Jahrhunderte beigebracht hat, still zu sitzen. Und dann denk ich mir eben: muss so sein. Brav sitzen und das bisschen Schmerz, das, hm, naja, das mache sich noch belohnt irgendwie. Irgendwas mit Fokus oder mit… was weiß ich schon. Ganz furchtbar eigentlich. Gleichzeitig bin ich überrascht aber auch irgendwie stolz, wie lange mir das gelingt, doch konzentriert zu sitzen, während irgendwo vor mir aber unersichtlich für mich, ein Mann und eine Frau songcontestartig die Zeremonie einleiten. Also das waren jetzt erst einmal keine BuddhistInnen da vorne sondern eben UnterhalterInnen. Aber nach der ihrer überschwenglichen Begrüßung (s.o.) und einigen einführenden Worten zum Ablauf des Abends, haben sie dann auch an den buddhistischen Mönch übergeben, der jetzt dann eine zwanzigminütige Meditation anleitet. Und an der ersten Anleitung, die er mit dem feinsten Cary Grant Akzent ins Mikrophon spricht, scheitere ich: sitze gemütlich, sodass du nicht angespannt bist, dass dir nichts weh tut, frei von Belastungen. Ich bin von meinem Sitzen leider schon etwas überspannt, und rutsche die ersten Minuten ein bisschen herum, ob da noch was zu retten ist, aber in Wahrheit finde ich gar nicht erst in eine lockere Haltung hinein. Den Mond zu visualisieren und meine Gedanken ruhig zu stellen geht sich dementsprechend auch nicht wirklich aus. Und dann wünschen wir allen lebenden Wesen, dass sie erfolgreich und zufrieden sein mögen, bevor wir uns selbst auch alles gute wünschen und da denk ich dann daran, dass ich auf mein Wunschpickerl, dass wir dann mit den Lampions in den Himmel steigen lassen werden, natürlich nur Dinge geschrieben habe, die ich mir für mich selbst wünsche und nicht auch nur daran gedacht habe, mir für andere etwas zu wünschen. Pffff. Dabei bin ich mir schon erwachsen vorgekommen, weil ich nicht Gelddruckerei, Waschmaschine oder Unendlich viele Wünsche geschrieben hab.

Wie aufgefädelt warten wir auf Waisak.

Na und als dann alle wieder zu sich kommen bekommen wir noch dreimal gesagt, wie das mit den Lampions funktioniert. Die Lampions sind große Papierröhren, die oben rechteckig zugeklebt sind und unten einen runden Metallring haben, in dessen Mitte eine Kerze aufgespannt ist. Erster Schritt ist den Lampion auf Löcher zu überprüfen. Zweitens, Kerze anzünden. Die Frau, die uns von vorne die Anleitung gibt, mahnt uns zur Vorsicht, because we are playing with fire. Nein, denke ich, we are not playing with fire. Wir verwenden ein Feuer und wir sind sehr vorsichtig dabei. (Es brennt dann auch tatsächlich weniger ab, als ich gedacht habe.) Dritter Punkt: Laterne halten, während sie sich mit der heißen Luft füllt. Zwei Personen halten oben, zwei unten. Das tun wir nicht wirklich, aber er kippt uns trotzdem nicht um. Wir haben aber auch eine von den TourismusinformiererInnen bei uns, die hat das letztes Jahr schon gemacht, quasi Profi. Und dann sollen wir den Lampion noch eine Minute länger halten als wir glauben, dass es notwendig sei und dann zählt die Lautsprecherstimme auf null runter. Leider auf Indonesisch und ich hab mir so oft gedacht, ich sollte die Zahlen von eins bis zehn zumindest einmal angeschaut haben. Nachdem wir nicht einmal sicher sind, ob sie von zehn runterzählt und unsere Informiererin irgendwo strawanzen ist, müssen wir warten, bis um uns herum die ersten Lampions aufsteigen und lassen dann auch unseren los.

Ma!, die Hintergrundmusik, die hätte ich schon wieder komplett vergessen gehabt. Öffentliche Veranstaltungen laufen überall nach dem gleichen, anstrengenden Schema ab.

Eine Zeitlang stehe ich einfach da und denke mir, dass das wirklich ganz hübsch ist, auch wenn Borobudur wirklich nur entfernt eine Rolle spielt – quite literally ist Borobudur so weit weg, dass ich von meinem Platz aus nur die Spitze, die Erleuchtungsebene sehe. Es ist hübsch. Dann gestehe ich mir leise ein, dass ich ja wohl auch kein Herz aus Stein habe und hole mein Telefon um auch ein paar Fotos zu machen. Natürlich hab ich den Moment ein bisschen verpasst und überhaupt sind meine Einstellungen nicht ideal dafür, in der Nacht zu fotografieren. Da schallt es über die Lautsprecher, dass wir einen zweiten Lampion steigen lassen werden, nachdem das das erste Mal schon so gut funktioniert hat. Überraschung! Die Tourismusinformiererin meint, das sei wohl, weil die Regierung Leute vorbeigeschickt hat, die da drüben mit der Drohne filmen und die haben vielleicht auch erst ihre Kameraeinstellungen an die Situation anpassen müssen. So hat sie s nicht gesagt, weil sie wusste ja nicht, dass ich diese Schwierigkeiten hatte. Also Nummer zwei. Jetzt acht Leute an einen Lampion, heißt es, aber niemand hält sich daran. Wir finden ein Loch an unserem Lampion, neuer Lampion, alles kein Problem. Ich hoffe, die BuddhistInnen hatten dann später noch genügend Lampions.

Als die Regierung dann ihre Aufnahmen im Kasten hat und ich ob in den Himmel steigenden Lichtern doch ein bisschen schwummrig bin (das war schon schön), erklingt, offensichtlich von schlechtem Weihnachtspop inspiriert, Happy Weisak Day aus den Lautsprechern und wir verlassen das Festivalgelände: Vor den BuddhistInnen hat noch eine zweite Gruppe TouristInnen einen Platz zum Lampions-steige-Lassen gekauft. Hunderttausend hat das pro Person gekostet. Da kriegt der Borobudurpark ganz schön was zusammengesponsort an dem Abend.

Dabei, ich fand schon am Vormittag witzig, als ich gesehen hab, dass es einen Einheimischeneingang und einen TouristInneneingang gibt. Der eine Eintritt kostet fünfundzwanzig Dollar, der andere fünfzehntausend Rupien, das ist etwa ein Euro. Das find ich aber total ok, ich finde das schön, dass man sagt: wir wollen das auch für unsere Bevölkerung erschwinglich machen, die sollen das auch sehen. Jetzt ist Borobudur nicht unbedingt ein nationales Symbol, weil tausend Jahre alter Buddhismus ist nicht wirklich etwas, auf dem der Indonesische Staat aufbaut. Aber es ist die meistbesuchteste Attraktion in Indonesien und da ist es nur fair, wenn die IndonesierInnen das auch einmal gesehen haben. Fix. Das ist als wie wenn der ORF mal seinen Bildungsauftrag wahrnehmen würde und im Kulturprogramm eine kommentierte Version von Sound of Music spielen würde, mit international besetztem Diskussionsgremium nachher.

Und beides zweisprachig angeschrieben.

Dabei, ein bisschen skeptisch war ich schon, als unser Busfahrer gesagt hat: gebt s mir das Geld, dann muss sich niemand anstellen, ich hol euch die Tickets für alle gemeinsam. Aber in Wahrheit wird der nur ein bisschen vom Wechselkurs mitgeschnitten haben und nicht wirklich Einheimischentickets für uns bekommen haben. Weil wir haben in beiden Parks auch Willkommensdrinks bekommen (Tee, Kaffee, Wasser – ich vergesse immer, dass man hier am gern schwarzen Jasmintee trinkt, der mit Milch nicht viel besser ist als ohne) und die sind in den fünfzehntausend nicht mit inbegriffen.

Jedenfalls sitzen wir schnell wieder im Bus und sind schon am Heimweg. Die Heimfahrt vergeht wie im Flug, aber ich bin auch schon wirklich recht müde und schlaf sicher mal ein halbes Stündchen oder so. Auch die NiederländerInnen und Deutschen sind still, vielleicht besinnlich, vielleicht müde. Bisschen schnell vorbei war s, bisschen schnell sind wir wieder weg, aber ich verstehe auch, dass man sich das nicht antun will, zwanzig Mid-Zwanziger in dem nächtlichen Kirtag wieder einsammeln zu müssen.

Beim Aussteigen entschuldigt sich die eine der VeranstalterInnen bei mir für die Verspätung und das vermeintliche Chaos im Ablauf. Ich frag mich, ob sie das nur bei mir macht oder bei allen, aber auf jeden Fall versichere ich ihr, dass das nicht notwendig sei, ich fand s super, sag ich. Und das stimmt schon. Ich tu mir schwer mit diesen Touren, ich kann mich nie ganz mit der Rolle des Herumgeführten identifizieren und bin immer den LeiterInnen ein bisschen näher. Vielleicht ist das eine Arroganz oder die Erfahrung, die ich bei AFS als Organisator von so Unternehmungen gemacht habe, wo ich immer bisschen drauf schau, wie machen die das, was machen die und dementsprechend auch die Toleranz für, ja das Interesse an den Verzögerungen und Missgeschicken habe.

Bisschen foto opportunity ist sich aber schon ausgegangen: endlich eigene Kasuarbilder.

Präscriptum

Ich bin schon wieder mit allem hinterher kommt mir vor. Das ist auch, weil ich so viel unterwegs bin. Einmal mit den Mädels, jetzt schon wieder länger on my own, aber ständig einchecken, auschecken… Ich setz mich ab und zu hin und schreib was, wenn s dringend ist, weil vieles ist einfach nur zu erleben und da tun die ganzen Fotos und selbst die Audioaufnahmen, das geht alles ein bisschen am Gefühl vorbei. (Manchmal denk ich mir, ich würde gerne den einen oder anderen Geruch einfangen.)

Ich mag Indonesien sehr. Es ist eine ambivalente Sache, das auf jeden Fall. Gestern bin ich in Surakarta angekommen, eine Stunde mit dem Zug nach Nordosten von Jogja. Auch hier haben die coolen Kids einen eigenen Namen für: Solo. Und weil man sofort merkt oder vielleicht weniger definitiv: weil ich sofort einmal den Eindruck hatte, dass mich Jogja wohl ein bisschen verwöhnt hat und eine Seite von Indonesien gezeigt hat, die nicht so sehr Java (im Gegensatz zu Sumatra) entspricht sondern sehr Jogja ist. Da ist mehr Tourismus (weil man von dort seinen Borobudurausflug macht) und überhaupt, so hat mir die junge Frau in ihrem ziemlich lässigen Kaffeeladen („I only have black coffee“) verraten, dass Jogja ein bisschen das San Francisco, der siebte Bezirk oder auch das Melbourne von Indonesien ist, sprich: die coolen Kids ziehen hin und gentrifizieren das muslimische Äquivalent der Unterwelt aus der Stadt. Naja, und der Tourismus bringt wohl auch Geld rein.

Jedenfalls hat mich Solo gleich mal wieder ein bisschen erschreckt und ich bin gestern Abend eine Stunde herumgelaufen, weil ich abends tatsächlich kein Restaurant gefunden hab. Also gut: eines hab ich gesehen, aber das hat so fancy ausgeschaut, da wollt ich nicht rein. Und einen McDonald’s hab ich auch gefunden. Und x Standln auf der Straße, die die BesucherInnen dazu eingeladen haben, auf den Teppichen, die sie am Gehsteig ausgebreitet haben, zu sitzen. Zugegeben, das hat auch ein bisschen gedauert, bis ich das entschlüsselt hab. Dafür riesige, hell beleuchtete Telefongeschäfte mit eigenem Parkwart davor. Was sind eure Prioritäten!, wollte ich gern ausrufen, meinen grummelnden Bauch übertönend. Ich hab mich dann in einem Sateladen neben meiner Gasse hineingesetzt. Weil der hatte ein paar Tische und Sesseln. Und das war dann eh schon wieder total nett. Die Tür in die Wohnung stand halb offen, in der die Tochter hin- und hergelaufen ist, während ich meine Spießchen gegessen hab.

Sate in the making

Kann sein, dass das Huhn nicht ganz dort war, wo man es haben will. Ich hab mich in der Nacht ein bisschen hin- und hergewälzt, und im Traum bin ich darauf aufmerksam gemacht worden, dass ich Blutflecken auf der Hose hab. Also hinten. Hat sich aber herausgestellt, ich hatte mich, wenn überhaupt, wo hineingesetzt. Halb so schlimm also… Als ich um halb fünf vom Muezzin von nebenan aufgeweckt worden bin (letzte Chance für Frühstück!), hat der Bauch dann auch ein bisschen gejammert. Aber ich hab dann noch ein bisschen geschlafen und da war s dann total ok.

Und nachdem ich dann heute Vormittag mehr mit Selbstorganisation verbracht hab – laut meiner ehemaligen Arbeitszeitaufzeichnung eine häufig notwendige Tätigkeit –, hab ich mich am Nachmittag auf einen ausführlichen Spaziergang hinausgewagt. Im Dunklen gestern hab ich ganz ehrlich nicht so viel mitbekommen, auf einer kleinen Verirrung hab ich mich für einen Moment sogar etwas unwohl gefühlt. Was ich sonst eigentlich nicht empfinde, wirklich nicht. Und im Hellen war s dann auch gleich was anderes. Und das beste an Indonesien sind e die Leute.

Ich hab mir das überlegt und einerseits wirke ich wie ein alter Mann, wenn ich mich jetzt gleich über die lachenden Kinder auf der Straße freue, die mich aus der Entfernung schon beäugen (oder auch nicht, in der Hälfte der Fälle spielen sie ohne Irritation weiter) und mir ein Hello! zurufen oder mich auch nur aus ihren dunklen Augen anschauen. Und andererseits überhaupt: dunkle Augen und was für eine eurozentristische Exotik lege ich hier den Leuten auf. Aber es wäre gelogen, würde ich meine Freude über diese Aufmerksamkeit leugnen. Ich war heute zum Beispiel bei der Statistikzentrale, weil ich die zufällig auf der Karte entdeckt hab und mir gedacht hab, das ist witzig. Und grad wie ich davor stehe, fährt eine Frau auf ihrem Moped raus und wir schauen uns an und auch wenn ich ihr Gesicht kaum gesehen hab (weil sie eine Atemmaske aufhatte) lächelt sie mir zurück, das sieht man ja auch in den Augen. Weil ich glaub, dass ich hier viel mehr mit einem Lächeln unterwegs bin als jemals irgendwo. Zum Teil ist es sicherlich einfach eine Maßnahme, um freundlich zu wirken, weil ich ja die Worte nicht wirklich hab. Und ich mein, ich such nicht ständig den Kontakt, ich bin schon viel auch wie e und je am Blickkontakt vermeiden. Wenn ich aber tatsächlich mal einen längeren Augenkontakt halte mit Leuten, krieg ich allerdings ein Lächeln öfter zurück als nicht.

Und so komm ich heute Abend in mein komisches Hotel zurück (um den Geruch im Bad ist s nicht schade, dass ich ihn nicht mitbringen kann, auch wenn er das Attribut komisch ansatzweise erklären würde) und bin schon wieder weitgehend versöhnt mit Solo, das mir gestern einen Schreck versetzt hat mit seinen Baustellen und seinen Straßenstandeln und das dadurch insgesamt erst einmal wieder fremder und unnahbarer gewirkt hat.

Noch eine Erinnerung: In Jogja war ich in einem Antiquitäten- und Kunstgeschäft und hatte dort ein längere Unterhaltung mit R., der Besitzerin. Ich wollte zuerst nur einen Blick auf die Masken werfen, die ich von draußen gesehen hab, weil ich mag das sehr, merke ich, diese javanesische Art. Ich hab das schon beim Löwen gesagt, aber diese Schattenspielfiguren und die Masken. Wobei, die sind schon unheimlich – und das war dann auch tatsächlich ausschlaggebend dafür, dass ich keine gekauft habe (so mühsam das auch gewesen wäre, die heil heimzubringen), aber ich hab das Gefühl mit so was an der Wand, muss ich auf Besuche meiner Nichte verzichten.

Jetzt ärger ich mich direkt, dass ich kein Foto gemacht hab, die waren nämlich weit schöner, als was ich hier jetzt schnell-schnell im Netz gefunden hab.

Das war s jetzt aber gar nicht. Ich mein, es war ein interessantes Gespräch darüber, dass sie dreisprachig aufgewachsen ist mit Indonesisch, Javanesisch (oder ihrem spezifischen Dialekt davon) und Arabisch. Und dass sie arm gewesen ist, aber dass (zumindest rückblickend würde ich ergänzen) kein Problem gewesen sei, weil sie das soziale Netzwerk hatte und sie geteilt haben und sich gegenseitig unterstützt und pipapo. Sie sei ihren Eltern zeitweise durchaus böse ob der familiären Armut gewesen, aber sieht das heute anders und kann heute dementsprechend froh darüber sein, die Erfahrung der Armut gemacht zu haben. Immerhin war s kein Hindernis, dass sie zum Beispiel auf die Universität gegangen ist. Als ich sie frag, ob ihr da der Islam irgendwie im Weg gestanden ist, als Frau und selbstständig und so… Das versteht sie s gar nicht wirklich: nein, nein, die Religion, das ist für sie sehr privat, Gott, das ist neutral für sie, sie müsse sich mehr vor sich selbst rechtfertigen.

Aber als ich zwei Tage später nochmal da war, dass ich doch noch was einkaufe von den schönen Sachen, ist sie nicht da, stattdessen sitzt eine kleine, bekopftuchte Frau in dem Geschäft, die sie entschuldigt. R. käme morgen wieder, am Nachmittag. Aber da bin ich dann schon weg, sage ich. Na, sie nimmt meinen Namen auf und dann reden wir halt ein bisschen und dann fange ich an, die Batiktücher näher anzuschauen. Und ich muss das mit dem Kopftuch immer noch und immer wieder betonen, weil das hier so eine andere Wirklichkeit macht. Weil das ist schon ein ordentliches, wo keine Haare sichtbar sind. Aber es macht für den Alltag nicht wirklich was aus, so scheint es mir. Weil diese kleine Frau ist fröhlich, lacht über ihre eigenen Witzchen und zupft an mir herum, als ich versuche, das eine oder andere Tuch als Sarong zu tragen. Und es ist im Kontext meiner Vorurteile eine fast surreale Situation.

Oder als ich mein Ronde noch bekommen hab (muss eine Empfehlung gewesen sein) und der Besitzer A. ganz unterhaltungslustig ist, damit ich seinem Standl, dass er da abends am Straßenrand aufstellt, eine Bewertung auf den Social Medias gebe. Oder bei denen, bei denen ich meinen Borobudurausflug gekauft hab, wo sich die eine darüber abhaut, als sie mir sagt, ich kann ja ohne Hemd gehen, wenn ich kein weißes hab (was für den Abend am Weisakfest ideal sei). Oder der Standlverkäufer von gestern Abend der seiner Frau belustigt dabei zuschaut, wie sie mich ohne Englischkenntnisse abkassiert und der mir heute wieder zugewunken hat, als ich vorbeiging. Es sind so kurze Momente, die sehr viel ausmachen in meinem Gefühl, wie ich auf den Tag zurückblicke. Und ich weiß schon, ebensowenig wie die Armut meiner Batikverkäuferin sollte ich meine Rolle hier romantisieren, ein bisschen mag ich es wohl einfach, reich zu sein und exotisch.

Naja, aber eigentlich ist das nur zwischendurch, weil in Wirklichkeit hab ich ein paar längere Texte zu den letzten zwei Wochen. Nur dass ich in den letzten zwei Tagen so gefordert war und zwischen dieses Land nicht verlassen und andererseits mich verkriechen wollen hin- und her bin, dass ich das kurz festhalten wollte. Es ist eh schon wieder kaum gelungen, weil auch wenn s vielleicht besser funktioniert als mit Fotos und Geräuschen, die ich auch mit Worten nicht festzuhalten imstande bin.

Nordhalbkugel

Das hab ich vergessen: Ich bin ja jetzt wieder auf der Nordhalbkugel. Das wird wohl der Grund für mein Kopfweh gewesen sein. Alles dreht sich ein bisschen andersherum…

Bukit Lawang bisher: Bambusotter in Kokospalme (l.o.), Libelle (r.o), o wie schwierig, Schmetterlinge zu fotografieren, wenn der Auslöser erst Sekunden nach dem Drücken geht (l.u.), Bukit Lawang, die nicht touristische Flussseite (r.u.), herzige kleine Katze mit nur halbem Schwanz (ohne Abbildung)

über Stock und über Stein

In Wirklichkeit hab ich mich ganz flott an Medan gewöhnt. Nein, das ist nicht einmal richtig, ich würde sagen, ich habe eigentlich ganz flott gelernt, einiges in Medan lieb zu gewinnen, sodass es mir heute fast leid getan hat, dass ich etwas verfrüht abgerauscht bin. Aber ich hab dann eine etwas günstigere Mitfahrgelegenheit bekommen, um in den Urwald zu kommen. Und stell dir vor: ich bin jetzt im Urwald. Also, nicht so richtig, weil ich hab Internet und wohne in einem Haus mit Dusche und einem Ventilator. Aber es sind Affen auf meinem Dach und der Wald ist hinter mir.

Es sind Affen auf meinem Dach!

Aber ja, Medan. Ich war gestern einmal spazieren in der Stadt. Das schwierige ist, dass es so wenig zum Niederlassen einlädt. Also, es sitzen schon Leute auf der Straße herum, wie gesagt, auch in der Stadt sind die IndonesierInnen große FreundInnen des Rumsitzens. Aber ich stech so heraus aus dem Ganzen, dass ich mir das einfach nicht gemütlich vorstelle. Aber immerhin, das Rausstechen ist schon auch das Gute. In den letzten zwei Tagen bin ich doch ein bisschen aus meinem Hotelzimmer und aus mir selbst heraus und sei s nur, um meine Geschäfte zu erledigen: Hier ein Huhn mit Reis, hier zwei Flaschen Wasser, hier eine Obstmischung. Und die Auseinandersetzungen sind eigentlich total lieb. Die Unterhaltungen. Aber oft ist halt nicht genügend Englisch, geschweige denn Indonesisch zur Verfügung. Aber weil sie gemeinsam rumsitzen, wird oft einmal jemand zur Hilfe herangezogen, die dann zwei Wörter übersetzt. Oder wir sagen einander einfach solange in unseren jeweiligen Sprachen, was wir von einander wollen, mit der Unterstützung von Händen und Füßen, bis wir verstehen, was geht.

Rausstechen schaut dann übrigens so aus: Im Supermarkt werde ich geheim von zwei Mädels gefilmt (aber schlecht geheim). Im Hühnergeschäft lass ich auf Wunsch Selfies mit mir machen – das Wort ist längst ein Synonym für Foto. Dabei werde ich übrigens zum Lächeln aufgefordert und merke, wie wenig ich Zähne zeige und wie schnell mir das Gesicht einfriert, wenn ich mich bemühe, Zähne zu zeigen. Insgesamt finde ich das schon charmant, aber ich komm mir natürlich auch komisch dabei vor.

So gern ich fotografiert werde, so schüchtern bin ich hier beim ersten Mal im Hühnergeschäft beim Fotografieren aus der Hüfte. Aber wie man sieht ist einiges los, die Leute stehen an für ihr Huhn. Dementsprechend war das Schäkern da auch auf Minimum.

Aber sonst, ja, ich mag das schon, das sind so ein paar Momente, wo ich das Gefühl habe, Leute freuen sich einfach, mich zu sehen, sind auf eine seltsame Art und Weise von mir fasziniert – ist ja in Wahrheit schwer vorstellbar für den Herrn von Welt und dementsprechnd plump ist hier die Beschreibung meines Gefühls dazu. Natürlich schmeichelt mir das, aber letztlich weiß ich kaum damit umzugehen. Wenn mir die eine Standlverkäuferin beim Vorbeigehen so offen zulächelt, dann reißt mich das heraus aus meiner allgemeinen Überforderung mit der Stadt. Aber es irritiert mich natürlich, nicht zuletzt, weil ich so viel über Weißes Privileg gelesen hab in V.s Dissertation.

Aber natürlich ist nicht jeder Kontakt auch eine Freude, nicht zuletzt weil s da auch noch eine Tendenz zum Genderbias gibt. Von den Männern hab ich öfter so ein Hey, Mister von der Seite oder sogar erst hinterher gehört. Und da weiß ich echt nicht, was ich damit tun soll. Oft ein Hey, Mister, manchmal ein Sir, einmal wohl ein Monsieur und von einem alten Mann, der in einer Schubkarre gelegen ist ein Hello friend. Aber es geht mehr darum, so von hinten angesprochen zu werden, what gives, oida! Und von dem einen Typen bei mir aus der Gasse, der hat mich wohl gefragt, ob ich Hunger habe, aber die Geste, die er dazu gemacht hat, wo er mit der flachen Hand vor dem Gesicht Kreise gezogen hat und und sich dann an den Mund fasst, das war eher seltsam als einladend.

Ach ja, Indonesien, das Land mit der größten muslimischen… das größte muslimische… die meisten MuslimInnen in einem Land.

Aber ich war heute quasi noch für ein Frühstück bei meinem Hühnerstand, wo man mich fröhlich begrüßt hat und ja, ich denk mir, schade eigentlich, diese zehn Minuten, die ich auf mein Essen warte, da komm ich ein bisschen ins Sozialisieren, da freu ich mich gemeinsam mit anderen über gelingende Kommunikation und über Wertschätzung. Ich mag das Essen und sie mögen, dass ihnen ein exotischer Ausländer im Geschäft steht. Das ist ein schöner Moment, das kann mir abgehen, das wäre eventuell ausbaufähig. Und tatsächlich hab ich s auch mit dem Obstmann, zwanzig Meter weiter ganz lustig, auch wenn wir gar keine Wörter haben, um einander zu verstehen. Es sind Menschen, die mich ein bisschen aufgefangen haben in meinem Verlorensein. Und ich werde sie nie wieder sehen.

Hier der Blick von der Terrasse über meine Gasse. In meiner Annahme, der Name des Hotels ließe auf westliche Touristen schließen, hab ich mich geirrt, auch in Indonesien ist Englisch einfach cooler.

Ich werde abgeholt und wir fahren nach Bukit Lawang. Im Auto sitzen K. und D. aus Deutschland, die gerade zwei Tage in Kuala Lumpur verbracht haben und ein bisschen Indonesienurlaub vor sich haben. Der Verkehr ist ein Wahnsinn, die Hupe klingt dauernd um jedes Überholmanöver anzukündigen und da sind viele Überholmanöver. Dann wiederum fahren wir zehn Minuten im Schritttempo, weil wir Schlaglöchern ausweichen müssen. Und wir stehen eine halbe Stunde in der Tankstelle, weil Effizienz im Handel hier einfach klein geschrieben wird. Selbst im Supermarkt dauern zwei Flaschen Wasser und ein Sackerl Bohnensnacks eine Minute und länger, obwohl man die scheinbar auch nur über den Scanner ziehen muss. Aber ich hab ja keinen Stress.

Bukit Lawang (je öfter ich den Namen schreib, desto eher merke ich ihn mir jetzt einmal…) ist im Urwald. Zumindest auf einer Seite, weil die letzte halbe Stunde sind wir durch Palmölplantagen gefahren. Das hat zuerst ausgeschaut wie Urwald, aber dann ein bisschen zu ordentlich, zu wenig Busch. Und ich hab mich die längste Zeit gefragt, mit was die großen Trucks beladen sind. Adieu, cher Regenwald. Aber deshalb gibt s ja auch den Nationalpark. Und der Nationalpark beheimatet gut fünftausend Orang-Utans und auch darüber hinaus plenty of wildlife, aber die OUs sind die Stars. Und die geh ich mir dann anschauen, ab Montag. Jetzt einmal „nur“ die Affen, die hier herumturnen. Was ist das, Gibbons? Aber das ist schon sehr cool, Affen auf dem Dach. Cooler als Papageien in den Bäumen? Schwer zu sagen. I guess frei fliegende Papageien sind sogar lässiger, weil die Affen sind letztlich nicht viel anders als die auf der Affeninsel in Schönbrunn. Aber ist ja kein Wettbewerb!

’s sind übrigens Makaken. Auf der Affeninsel sind s Gibbons, deswegen wahrscheinlich… Und jetzt drehen mir echt alle den Rücken zu, wenn ich ein Foto mach!

Insgesamt bin ich allerdings erschöpft. Ich weiß nicht genau: der Kulturschock? Das Essen? Die Luft? Ich bin nicht ganz auf der Höhe, merke ich, bisschen Kopfweh, bisschen einfach überanstrengt, obwohl ich kaum was unternommen habe, die letzten Tage. Vielleicht ist es auch, dass ich seit drei Tagen keinen Tee getrunken hab.

Millionen in Medan

Die ersten Stunden in Indonesien sind voll der Überforderung. Ich lerne auch nur ganz langsam, dass es mir die Sache nicht erleichtert, wenn ich mich zuerst einmal in einer Millionenstadt niederlasse. Mit dem Zug fahre ich gemächlich vom Flughafen ins Stadtzentrum. Aus dem Fenster sehe ich Wälder und dann langsam einige Felder und die Leute, die darauf arbeiten. Einzelne Leute mit ihren Werkzeugen, die den Boden bearbeiten oder Familien, die sich um die Ernte zu kümmern scheinen. Kukuruz, vielleicht Reis ab und zu, aber ich weiß nicht wirklich, wie Reis ausschaut. Über den Gleisen dreht mal wieder ein Raubvogel seine Runden, aber die Vogelwelt ist mir so fremd wie alles andere.

Mit den Kilometern verschwinden die Felder und die Hütten reihen sich näher aneinander. Viel Wellblech und auch der Müll wird stellenweise dichter. Die Menschen sitzen vor ihren Häusern, viele Leute sitzen und schauen in die Gegend, das hat eine gewisse Gelassenheit, die Abwesenheit vom Dringlichen. Wenn wir an einem Bahnübergang vorbeikommen (oder aus der Zugperspektive wohl eher: wenn wir eine Straße kreuzen), stehen oft dutzende Mopeds mit zwei bis drei Personen darauf, die auf den erhobenen Schranken warten. Es sind, wenig überraschend, ausschließlich Einheimische.

Im Zug sind neben mir noch einige EuropäerInnen, da ist zumindest das deutsche Pärchen, die mit mir gemeinsam im Flugzeug aus Kuala Lumpur gekommen sind. Aber sonst ausschließlich AsiatInnen. Das ist einfach eine neue Erfahrung auf dieser Reise, weil bisher bin ich doch durch europäisch geprägte Gegenden gefahren und hier merke ich zum ersten Mal wirklich, dass ich nicht als Einheimischer durchgehe. Aber im Flughafentransferzug bin ich noch in einer Übergangszone, hier bin ich auf jeden Fall noch Tourist und die Welt ist noch weitgehend um meine Bedürfnisse herum organisiert.

Vor dem Fenster sind die Häuser noch etwas dichter geworden, die Hühner sind seltener geworden, ebenso ist die Erde, in der sie scharren könnten, dem Beton gewichen. Um die Zugstrecke herum verdichtet sich die Stadt Medan. Werbeflächen werden sichtbar, großteils flatternde Transparente oder schlicht bemalte Gebäudefronten. Ich ärgere mich ein bisschen über mich, dass ich mich nicht besser vorbereitet habe, als ich mir mein Hotel ausgesucht hab: vom Bahnhof sind es etwa drei Kilometer und tendenziell würde ich die zu Fuß gehen.

Als ich dann im Taxi sitze, merke ich, dass das die einzige vernünftige Entscheidung gewesen ist. Zum einen weiß der Taxifahrer selbst nicht, wo er hin muss, so gut ist die Stadt doch nicht organisiert. Wer mir das Hotel empfohlen hätte, fragt er. Niemand, sage ich, ich schau mir das einfach auf der Karte an und wähle das nach Gutdünken aus, antworte ich. Aber ja, ich denke, dass ich mir das besser vorher einmal anschauen hätte sollen. Ein bisschen unterhalte ich mich mit ihm, wo er herkommt, was es in Medan so gibt. Aber ich bin dann auch viel zu sehr damit beschäftigt, diese Stadt zu betrachten, den Verkehr, die Unordnung, die Dichte, die Leute, die Standeln. Wir biegen in eine Seitenstraße ein und stehen vor meinem Hotel. Den auf den Fünfzigtausender kann er nicht rausgeben oder will er nicht, ich weiß nicht. Obwohl das knapp drei Euro sind und am zweiten Tag kann ich schon sagen, dass das so unüblich auch wieder nicht ist. Aber so kommt er noch kurz hinein, wechselt den Schein bei den Boys, die im Eingang die Lobby machen und gibt mir noch seine Karte. For whatever.

Die Lobby ist ein Tisch mit einem Computer und einem Buch, in dem die Gäste eingetragen werden. Insgesamt ist das Hotel sogar ganz nett. Also, es ist insgesamt etwas vom Schuss, das ist mein eigenes Ding. Die Zimmer sind schlicht, aber das ist ja fast schon euphemistisch für ein bisschen traurig. Ich denke, der große Fernseher hebt das Zimmer zu schlicht. Auf jeden Fall ist es sauber und das ist gut. Die Matratze fühlt sich ein bisschen an wie ein Wasserbett obwohl es sich um Federkern handelt. Dementsprechend rutsche ich ein bisschen hin und her, wenn ich mich beispielsweise auf die Kante setze. Und das Bad ist ein Klo in dem eine Dusche an der Wand hängt. Literally. Das ist auch ok, ich erinnere mich an diese Konstruktion aus Thailand und hab damit keine Probleme. Schwieriger ist, dass es ein klopapierfreies Klo ist und ich nur eine Brause neben der Schüssel zur Verfügung hab. Auch das geht, stelle ich später fest. Weil es muss gehen. Aber ein seltsames Gefühl ist es trotzdem, nicht recht zu wissen, wie, was, wann… ich fertig bin.

Während ich mich also nach wie vor ein bisschen über meine Unfähigkeit wundere, meine Verlorenheit in der großen Stadt antizipiert zu haben und auf diese Verlorenheit bereits im Vorfeld einzugehen, mache ich einen kleinen Spaziergang um den Block. Dabei gehe ich gleich ein bisschen verloren, aber nachdem die Straßen alle verhältnismäßig rechtwinkelig aufeinander treffen, eben nur ein bisschen. Viel mehr Schwierigkeiten habe ich mit der Temperatur oder vielleicht der Luftfeuchtigkeit. Innerhalb von Minuten beginnt mir der Schweiß durchs T-Shirt zu treten und ich merke auch wie schnell sich die Haut unter der Sonneneinstrahlung strafft, spüre die Belastung. Aber insgesamt ist es das Gefühl hier in eine Welt getreten zu sein, in der ich mich so fremd fühle und nicht zurechtfinde, was mir zu schaffen macht.

Ich bin auch einfach müde merke ich, als ich im Hotel ankomme. Ich hole mir von den Lobbyboys das Kennwort für das Internet und tippe ein bisschen auf meinem Telefon herum, aber ich bin schnell auf meinem wackeligen Bett eingeschlafen. Am Abend gehe ich nochmal außer Haus und in den kleinen Supermarkt, den ich nebenan entdeckt habe, um mir Wasser zu kaufen. Ich bin nicht sicher, wie das ist, mit dem Wasser hier, aber im Zweifelsfall gehe ich es wohl lieber vorsichtig an. Die erste Flasche ist schnell ausgetrunken und im Großen und Ganzen lege ich mich auch bald wieder hin.

Ich versuche, meinen Aufenthalt ein bisschen zu planen und stoße immer wieder auf s Geld. Einerseits schlicht auf die Umrechnung, die sich so kompliziert anstellt (für dreiundsechzig Euro hab ich eine Million Rupien bekommen), aber vor allem über die Schieflage zwischen Touristenpreisen und Einheimischenpreisen. Soll ich für eine Autofahrt hunderttausend Rupien ausgeben oder das sechsfache? Es ist schwierig, mich zu der teureren Version durchzuringen, um den Ärgernissen und dem Stress, allein mit dem Rucksack den richtigen Bus zu finden, zu entgehen. (Aber es schaut so aus, als ob es das wird.) Und mein seltsamer Unwillen, mit Taxis zu fahren, macht mich hier besonders immobil.

Ich habe mich für bisschen off the track entschieden, als ich den Flug hierher gekauft habe, das hab ich schon gewusst. Ich bin momentan noch ein bisschen überfordert, aber immerhin hab ich heute einige Notwendigkeiten erledigt, hab mir ein Huhn mit Reis gekauft, meine Wäsche in der Wäscherei abgegeben und einem Kind gewunken, das hinten auf einem Moped gesessen ist. Es schien, als ob der Vater zehn Meter die Straße runter extra stehengeblieben sei, damit sie einen Blick auf mich werfen können.