Main tree, dain tree

Cairns ist in vieler Hinsicht ein sympathischer Platz, auf jeden Fall krieg meine asiatischen Restaurants. Wenn es letztlich aber doch etwas aufdringlich touristisch ist, liegt das wohl daran, dass ich in Wahrheit nur das Zentrum zu Gesicht bekomme. Cairns ist einundfünfzig Kilometer lang und an der breitesten Stelle bloß vier Kilometer breit, es läuft quasi die Küste entlang. Strandmaximierung. Insofern sind die einzelnen Stadtteile zum Teil weit entfernt und wie der Regenwaldchauffeur sagt, lassen die CairnserInnen den Kern der Stadt gern den TouristInnen. Und die nehmen das gerne entgegen: randvoll mit TouristInnen, von den BackpackerInnen bis hin zu den Hiltons. Ich mein, Gilligan’s, gegen das ich mich nur knapp entschieden hab, als ich in Hervey Bay Hostelflyer durchgegangen bin, die bespielen quasi den ganzen Block mit Jugendherberge, Dancefloors, Reisebüro, Freizeitgestaltung. S’wie Cluburlaub – unheimlich. Dahingegen ist mein Dreamtime richtiggehend dreamy, auch wenn ich dafür hinter s Einkaufszentrum muss. Aber wenn ich über die Auffahrt das Parkdeck erklimme, kann ich auch einfach mitten durch das Einkaufszentrum gehen.

Vorschläge für s Wochenendprogramm.

Was es auf jeden Fall gibt, sind Flughunde. Ich muss gestehen, im Dunklen unter einem kreischenden, unter ständigem Flattern oszillierenden Baum durchgehen, ist schon etwas unheimlich. Aber es ist auch ungschickt, wie ich schnell begreife, als mir bei meiner Sammlung exotischer Erfahrungen (oder halt Mutprobe) eines der Tiere auf die Hand kackt. Und dabei hab ich noch Glück gehabt, weil halt auf die Hand und nicht die Haare vollgeschissen oder orange Flecken am T-Shirt. Schaut insgesamt nicht gesund aus und riecht auch… naja, es riecht nicht viel anders, als es sowieso unter dem Baum riecht. Dass der Geruch hier fehlt, nimmt wirklich einiges vom Erlebnis. Dennoch, wie, frag ich mich noch, machen die das, wenn sie kopfüber hängen?

So geht das jeden Abend. Und jeden Abend stehen wir Touris an den Straßenecken und filmen mit unseren Handyfonen in den Abendhimmel hinein.

Was Cairns hingegen nicht hat, ist Strand. Also, natürlich hat Cairns Strand, wenn ich raten müsste, wohl achtundvierzig Kilometer davon. Aber halt grad nicht dort, wo der Hafen ist und nicht dort wo die Esplanade entlangläuft. Und das ist halt dort, was ich hier dauernd das Zentrum nenne. Aber, Cairns will nicht enttäuschen und hat um die üblichen öffentlichen Grillstationen herum einfach einen Pool gebaut. Da ist – quasi mitten in der Stadt – ein öffentlicher Pool. Kein Eintritt, keine Zäune, aber Duschen, Sandstrand und BademeisterIn. Und drei große Metallfische, die dafür sorgen, dass der Pool seinen Wasserstand erhält. Es ist schon schick, im ersten Moment erstaunlich surreal für meine Augen. Und natürlich, die Augen! Meine Reaktion, wenn ich über die Straße gehe und auf der anderen Seite liegen sie wieder, die Dudes und die Bikinimädchen. Ich weiß ja nicht, was ich mit meinen Augen machen soll, so viel Nacktheitspeinlichkeit erlebe ich sofort. Am zweiten, dritten, vierten Tag geht s dann schon etwas besser, aber ich hab s bis zuletzt nicht geschafft, mich bebadehost dazuzusetzen. Ich bin schon gesessen, Hemd, Hosen und He-reader, bisschen an eine Palme gelehnt, lieber auf der Wiese als im Sand. Und natürlich nicht in der Sonne, ich mein… nein. Zum Schnorcheln hab ich mir in der Früh den Rücken eingecremt, das ist weit mehr Arbeit als es es wert ist. Und wir haben ja dann eh Stingersuits bekommen. Weil eben, und das ist vielleicht auch ein Grund, warum Cairns ein Schwimmbad macht anstatt sich den Strand aufzuschütten: Das Wasser da oben ist voll mit Getier, von der Qualle bis zum Krokodüü. Und selbst die CairnserInnen baden an den schönen Stränden, an denen ich im Norden vorbeigefahren bin, nur von Netzen umgeben. Netze, die der Regenwaldtourguide als unangenehm großmaschig beschreibt. Und ja, die Quallen, die einen in drei Minuten dahinraffen, die passen da nicht durch. Aber die fingernagelgroßen sollen auch unangenehm sein und in Massen durchaus tödlich.

In meinem kleinen Phó Lokal scheint man dann doch fernab von allem zu sein, auch wenn die Musik sagt, dass jetzt dann schon langsam die Sperrstunde kommt, während im Hintergrund abgewaschen wird.

Für den Regenwald heißt s ebenfalls um sechs Uhr aufstehen. Und nachdem ich vom Schnorcheln müde eh um zehn im Bett war, ist das ja kein Problem. Außer mir sind schon zwei Mädels im Bus, die sich mit jeweils deutschem Akzent auf Englisch unterhalten. Stellt sich später heraus, dass die eine Niederländerin ist, aber eine Stunde lang denke ich, die hätten einander einfach nicht gefragt, woher sie sind. Währenddessen sammeln wir noch drei ChinesInnen, zwei Däninnen, zwei AustralierInnen, eine Schweizerin, eine Kanadierin und eine Deutsche ein, die ihre weltreisende Tochter besucht und meint, sie merke schon ein bisschen, irgendwie ständig nur arbeiten, das könnte es wohl auch nicht sein. Da kriegen wir halbwegs einen Bus voll, licensed to carry 21 passengers. Nachdem das wir erst einmal aus Cairns raus müssen und dann noch in den Urwald und schließlich wieder alles zurück, also wir verbringen insgesamt schon viel Zeit im Bus.

Gefahren werden wir heute von Wylie, der auf den Feedbackbögen, die am Ende rumgehen, von keinen zwei Leute gleich geschrieben wird – weil ich wollte nachschauen, wie man ihn schreibt, eh klar. Er arbeitet zum ersten Mal seit Jahren an einem Samstag und niemand fragt in wieso. Aber er hat (trotzdem?) einen guten Humor oder auch ganz gute Perspektive, sag ich jetzt einmal: was er sagt interessiert mich, wie er seine Prioritäten auf unserer Tour setzt, find ich gut. Und natürlich ist es das erste Mal seit Wochen, dass ich so wirklich einen Tag lang mit Leuten im Kontakt bin, das ist schon auch recht aufregend.

Erste Station ist eine kleine gemütliche Bootsfahrt über den Daintree. Heißt alles nach dem Herrn Daintree, der hier in der Gegend früher mal Geologie und Photos gemacht hat. (Früher, als man Fotos noch mit Ph geschrieben hat.) Obwohl wir selbst eine durchaus junge Partie sind, aus der ich altersmäßig schon deutlich nach oben raussteh, nivellieren mich die RivercruisebesucherInnen bis ich unterm Durchschnitt wieder rauskomme. Es ist ein bisschen eine PensionistInnenfahrt. Vielleicht dementsprechend werden wir mit Tee und Biscuits begrüßt, wer will kriegt auch einen Kaffee eingeschenkt. Aber der Tee wird hier in der Gegend angebaut und später seh ich meine erste echte Teeplantage. Natürlich nix mit Handarbeit hier. Sicher, man könnte die BackpackerInnen durchschicken, das würde auch nicht mehr kosten, aber man hat sich dafür entschieden, den Tee mehr oder weniger mit dem Mähdrescher zu ernten. Aber natürlich ist Tee trotzdem gut, wenn man das Gefühl hat, der ist… frisch. Oder halt von nebenan.

Rivercruisebootsaussicht mit kanadischem Ellenbogen.

Auf der Rivercruise sind wir vor allem auf der Suche nach Krokodilen. Natürlich. Wir kriegen dann in erster Linie Mangroven zu sehen, weil die verstecken sich nicht so gut. Und wenn das alles stimmt, was der Bootschauffeur erzählt, ist mitunter beeindruckender als Krokodile, weil der Daintree Rainforest eben so viele Millionen Jahre alt und irgendwie 80% (Hausnummer!) der weltweiten Mangrovenspezies kommen hier vor und manche natürlich überhaupt nur hier vor. Weil wir schon so nah beim Meer sind, dass bei der Flut das Salzwasser den Fluss hochspühlt. Und er sagt irgendwas mit Prozenten und Verdünnungsfaktoren und so, aber das sind so Zahlen… Und letztlich sagt er, alles grad ein bisschen in der Krise, weil die Unwetter der vergangenen Wochen so viel Sand über den Mangrovenschlamm geschüttet haben, dass da die Luft nicht mehr zu kann und ob die jetzt nicht ersticken oder verfaulen oder zumindest die kleinen Krebschen verrecken, die da sonst das Mangrovenlaub aufbereiten. Schnipp-schnapp. Ein kleines Fakterl, das mir außerdem gut gefallen hat: Mangroven hätten üblicherweise ein sog. Opferblatt an ihren Ästen: In das jeweils älteste Blatt wird das Salz, das sie nicht aus dem Wasser rauskriegen, abgelagert. Weil eigentlich machen die irgendwelche Special-Osmose oder was, damit das Brack im Fluss bleibt und nur feines Süßwasser in die Wurzeln kommt. Aber ganz sauber geht das halt nicht und deshalb ins Opferblatt. Und tatsächlich sieht man an einigen Spezies ganz gut, dass an jedem Ast ein gelbes Blatt hängt.

„That’s the cannonball mangrove…“

Noch eins, weil das auch aufregend ist: Die eine Mangrove ist quasi lebendgebärend. Whaaaa!? Ja, weil die macht nicht Samen, die sie fallen lässt, sondern da keimt es noch am Stengel und dann wächst richtig schon ein Setzling, vielleicht 30cm lang und fingerdick. Und wenn der fertig ist, fällt er vom Baum, rammt sich in den Mangrovenschlick und kann von dort weiterwachsen. Ich nehm an, im Salzwasser keimen ist einfach nicht besonders einfach.

Jedenfalls kriegen wir nicht so wirklich Krokodile zu Gesicht. Und natürlich ist das eine Lüge, weil da sind zwei, aber das eine seh ich einfach nicht, weil er irgendwo am Land liegt und die Unwetter alles mit Ästen und Baumstämmen zugeschüttet haben und das zweite kreuzt unseren Weg für einen Moment und geht dann auf Tauchstation. Was mir aber wirklich gut gefällt, ist unser Skipper (im obigen Audiofile zu hören), der die einzelnen Tiere namentlich erkennt und in seinem Funkgerät den anderen RivercruiserInnen durchgibt, wo er wen gesehen hat bzw. wo heute gar nichts zu sehen war. Da war dann auch so ein Moment, wo er, mehr zu sich selbst, gesagt hat: „It’s very quiet this morning…“ Aber in meinem Kopf hat er ergänzt, „…maybe too quiet.“ Und daraufhin wären Massen von Krokodilen neben uns aus dem Wald gebrochen und wären auf unser Schinakl zu gelaufen, hätten uns umgeworfen und aufgefressen. Und in diesem Moment, als unser Schicksal besiegelt wäre, hätte er vielleicht noch gesagt clever girl, und damit den Hinterhalt des Oberkrokodils anerkannt.

Normalerweise ist das hier angeblich ordentlicher und man erkennt ein bisschen was vom Ufer.

Also bisschen zu wenig Krokodil, um wirklich davon sprechen zu können, dass wir Krokodile gesehen hätten. Dabei, sagt man uns, gäbe es von Daintree (dem Dorf) bis zur Mündung des Daintree (dem Fluss) etwa ein Krokodil alle hundert Meter. Wirkt wie ein gesunder Bestand. Und ich denke da immer wieder dran, wenn mir danach ist, meine Hand neben mir ins Wasser schlenkern zu lassen, was ich letzten Endes nie tu.

Wylie holt uns mit dem Bus an der Anlegestelle ab. Insgesamt stehen sie dort zu viert, vier BusfahrerInnen in etwa den gleichen Outfits, alles in klassischem Khaki, Hut mit breiter Krempe, aber ohne die baumelnden Korkstoppeln. Rein in die Busse und schnell weg, damit wir zur Illusion zurückfinden, wir wären hier unabhängige RucksacktouristInnen, die sich den unberührten Urwald zeigen lassen und ganz anders als jene geriatrische Reisegruppe im Bus daneben, die das beste aus der wachsenden Diskrepanz zwischen stagnierendem Pensionierungsalter und steigender Lebenswartung machen. Ab in den Regenwald, der seinen Fortbestand wohl der Welle der 80er-Jahre-Ökos zu verdanken hat, als der Wald nicht zubetoniert und verhäuselt sondern im Gegenteil vernaturschutzgebietet wurde. Was an Siedlungen bestand wurde weitgehend aufgelöst. Da werden schon einige Leute geschrien haben, die sich heute daran nicht mehr erinnern wollen würden. Aber das scheinen immer so halb-zufällige Initiativen zu sein, wo dann mal jemand gesagt hat, na gut, dann machen wir unsere Millionen halt nicht oder woanders, wenn ihr euren… ah ja, schau an, ältester Regenwald der Welt und vielleicht nicht alles zubauen, was noch atmet.

Es ist vor allem still, hier im Regenwald.

Ab jetzt heißt es übrigens, Ausschau halten. Weil wir möchten alle gerne einen Kasuar sehen. Der Kasuar, der Kasuar… kommt in der Vogelhochzeit gar nicht vor. Großer, flugunfähiger Vogel mit blauem Kopf und einem Helm von dem man schon wieder nicht weiß, wozu der dient. Vor fast hundert Jahren hat ein Kasuar mal einem jungen Mann auf einer australischen Schaffarm mit seinen Klauen die Halsschlagader aufgemacht und spätestens seit dem nimmt man sich in acht vor ihnen. Zwei interessante Sachen: Erstens hab ich irgendwo gelesen, dass dem Kasuar sein Evolutionsast schon recht früh von den anderen Vögeln abbiegt. Das hab ich seit dem nie wieder gelesen und ich glaub, das stimmt auch gar nicht. Ist halt mit den anderen flugunfähigen Vögeln verwandt, wie s ausschaut. Ich mein, ja. Er schaut schon urig drein – aber das heißt im Grunde gar nichts, wirklich nicht. Wenn man mehr andere Vögel kennt, schaut er schon auch fremd drein und das heißt vielleicht eher was. Und zweitens: mal wieder eher so Einzelgängertiere, paaren sich dann und wann, wenn sie einander zwischendurch über den Weg laufen und dann übernimmt das Männchen die Aufzucht. Ob die Boyz auch die Eier ausbrüten oder ob s nicht eh dauernd warm genug ist, dass man sich das sparen kann oder ob sie nicht sogar geduldig warten, bis das Weibchen die Eier ausgebrütet hat und erst dann zum Pfeffer schicken… Auf jeden Fall verbringt das Männchen dann bis zu eineinhalb Jahre mit dem Jungen, bevor er es „brutalst verjagt“. (So wie in Wolfsblut stell ich mir das vor.)

Oh yeah! Kasuar leibt und lebt.

Wir gehen eine Runde über einen Regenwaldpfad und bekommen von den Wundern der Australischen Namensgebung erzählt. Dieser Baum heißt Peanuttree, weil er Früchte hat, die aussehen wie Erdnüsse. Diese Pflanze heißt Wait-a-While, weil sie so Haken hat, an denen man hängenbleibt und sich die Haut aufreißt, wenn man nicht einen Moment wartet um sie zu entfernen. Man merkt, dass zu dem Zeitpunkt, wo die WissenschaftlerInnen gekommen sind, die SiedlerInnen bzw. Exilierten schon eine Zeit lang die Nomenklatur übernommen hatten. Und ganz offenbar haben die sich auch untereinander nicht abgesprochen und es gibt dementsprechend viele Wait-a-Whiles. Fauna kriegen wir zwei Golden Orb Spiders zu sehen, die relativ groß und eigentlich sehr hübsch sind. Später lauf ich zwei-, dreimal nur knapp nicht durch ein Netz durch. Nicht unglücklich darüber, hätte ich sie doch trotz ihrer Nicht-Tödlichkeit nur ungern im Gesicht gehabt. Und natürlich Hände voll Papageien und Honigfressern und der ganzen Volierespartie. Aber fast weniger los als mitten in der Stadt, muss man sagen. Kasuar n’est pas la, aber auch keine Reptilien. Gerade in deren Richtung hat man für uns ganz schön in der Möglichkeitenkiste gekramt: Schlangen, Leguane, Eidechsen, Skinks – die ganze Palette. Aber jetzt alle mit Abwesenheit glänzen. Ist vielleicht auch ein bisschen darauf zurückzuführen, dass die Straße nebenan gerade erneuert wird, die das Unwetter weggerissen hat. Und vielleicht auch, weil wir einem abgesicherten Dschungellehrpfad folgen, der sich durch ein parklplatznahes Randstück jener Grüne Hölle schlingt. Möglicherweise nicht ganz das Urwalderlebnis, das man sich vorstellt.

Rein in den Bus, nächste Station: Cape Tribulation, quasi das Kummer Kap. Dazu gibt s eine Geschichte, aber im Wesentlichen machen wir hier ein eine Mittagspause (ja!, grad eins ist es oder was) auf einem schönen weißen Sandstrand, der direkt in den Urwald übergeht. Allerdings lieber nicht ins Wasser gehen, weil niemand will hier jetzt Krokodile sehen, die wir zuvor nicht zu Gesicht bekommen haben. Sehr charmant finde ich, dass uns Wylie erst während der Weiterfahrt die Krokodilwarnungen durchgibt. Weil auch hier gilt: die letzte Person, die in Queensland einem Krokodil zum Opfer gefallen ist, das ist schon wieder lange her und im Wesentlichen ist nächtenes Nacktbaden in den Gewässern da oben halt einfach nicht zu empfehlen und wenn man nicht ein bisschen mit der Vernunft an die Sache geht, dann… na ja. Ein wenig gesunde Vorsicht, aber man solle es nicht übertreiben mit der Tödlichkeit der Australischen Fauna. Oder Flora, weil zum Beispiel die Kasuarzwetschke ist nicht besonders gesund. Und man soll sich nicht an die Schleimhäute fassen, wenn man die gehandelt hat oder man schaut möglicherweise eine Woche so aus, als ob man sich geprügelt hätte. Also bisschen Strand, bisschen Urwald, bisschen Warnschilder, bisschen Mittagessen.

Schon schön.

Und am Heimweg besuchen wir noch schnell traditionelle LandeigentümerInnen, quasi Aboriginessiedlung. Hier wurden einst Häuser gebaut, in die die Aborigines einquartiert wurden. Da hat man damals ein bisschen Infrastruktur zur Verfügung stellt oder verpflichtet, mit einem Auge auf die Idee, dass man sie dadurch auch in die weiße Gesellschaft integrieren würde. Ich glaube, dass das so ein Fall war, wo die Kuku Yalanji, die dort traditionell gelebt haben, Anspruch auf das Gebiet gestellt haben. Der Australische Staat hat irgendwann in den späten 70ern nämlich Aboriginesvölkern, ihre Gebiete wieder zuerkannt, wenn sie nachweisen konnten, dass sie eben die traditional landownders seien und halt die Landschaften nicht verbaut waren. Auf jeden Fall ist die ganze Mossman Gorge Gegend heute als ein Zentrum kulturellen Austauschs eingerichtet. Wir sind allerdings vor allem da, um – hunderten Warn- und Verbotsschildern zum Trotz – eine Runde im Fluss zu planschen. Nachdem ich ohne Badehosen dastand, hab ich die Hälfte der Zeit überlegt, ob es sich jetzt eher schickt, bis auf die Unterhosen oder in der ganzen Unterhosen-Shorts-Kombo in den Fluss zu steigen. Weil ich hatte sowohl ein Handtuch, als auch eine zweite Hose einstecken. Ich bin ja vorbereitet, wenn ich einen Urwaldausflug mach, nur nicht für s Baden gehen.

In den nassen Unterhosen im Bus sitzend, geht mir ständig warnend das Wort Blasenkatarrh durch den Kopf. Hat sich aber ausgezahlt. Nachdem ich am Morgen schwer mit meinen riffausflugsbedingten Salzwasserhaaren zu kämpfen hatte, hab ich dort festgestellt, dass ich hundertmal lieber in einem kalten Fluss bade als im Meer. Vom Kulturzentrum kriegen wir nur zehn Minuten Shop mit.

Wiedereinmal nicht mein Foto, aber so schaut s dort aus, selbe Stelle, andere Leute.

Wir haben dann übrigens noch einen Kasuar erwischt. Nachdem Wylie schon einführend gesagt hat, wir sollen schreien, wenn wir einen sehen und dann noch warnende Geschichten erzählt hat, über TouristInnen, die im entscheidenden Moment nicht wussten, was sie denn schreien sollen, kam auf der Fahrt zum Gorge der ausgemachte Ruf: Bird! Und tatsächlich: als wir stehengeblieben sind, sehen wir durch die Rückscheibe einen Kasuar mit Anhang die Straße überqueren. Der kleine sei wohl so sechs Monate alt. Wir reversieren und wir folgen den Kasuar ein bisschen in eine Abzweigung in den Wald hinein. Der Vater schaut skeptisch, aber wir halten uns eh auf Distanz und sehen ihnen noch ein bisschen beim Rumstaksen zu. Natürlich letztlich vollkommene Überforderung: Kamera, Fernglas, Moment genießen. Aber das hat das ganze Meh vom Vormittag deutlich relativiert. Auch Wylie ist zufrieden, Kasuarzeigen ist sein Lieblingsteil der Tour und kann nicht garantiert werden.

Heißt Wylie und sucht einen blauen Vogel mit komischem Kopfschmuck – ist nicht irre überraschend.

One fish, two fish

Als ich am nächsten Tag aufwache, mache ich mich erst einmal über das inkludierte Frühstück her. Continental, wie man auf diesem Kontinent hier sagt, das heißt Cornflakes, Toast und Marmelade. Aber ich mache mir eine Tasse Tee und nehme mir von der Milch. Ich hab ja in jeder Stadt bisher jeweils eine Halbliterflasche Milch gekauft, für den Tee. Das ist schon ein bisschen ein Luxus oder halt ein Festhalten an etwas… Ich hab dann ein bisschen darüber nachgedacht: Tee und globale Machtverhältnisse und wie unpraktisch Milch ist, wenn man in der Hitze unterwegs ist. Und wie sehr das ganze Milch-im-Tee vielleicht vielmehr imperialistisches Gehabe, jolly good in merry old London, aber eben in der Kolonie wohl auch ein bisschen den Checker raushängen lassen. Ich hab mir zuletzt eine Schachtel Grüntee gekauft, der ist milchhalber einfacher zu handeln, und man kann sich ja auch in der Imperialismusorientierung kontemporär geben.

Like, literally, nothing like a nice cup of tea. Aber man sieht, es ist warm (links).

Anyway, mit dem Tee auf der Theke gehe ich am Morgen mit Mac meine Möglichkeiten durch, was Riff- und Urwaldausflüge betrifft. Cairns – so wird man nicht müde mir darzulegen – liege an der Grenze von zwei UNESCO Weltkulturerberegionen: Das Great Barrier Reef im Wasser und am Strand geht das Riff direkt über in den Daintree Regenwald, wohl der – ebenfalls nicht müde – älteste Regenwald der Welt.

Jetzt tu ich so, aber natürlich bin ich Feuer und Flamme, wenn man mir hier ein bisschen Geologie serviert. Da geht man gern einmal 400 Millionen Jahre zurück, um zu erklären was es mit Australien auf sich hat, weil da ist Australien Teil vom Superkontinent und da ist ja alles eins. Aber vor sagen wir 160 Million Jahren, macht sich Australien zuerst von Pangea und schließlich auch von der Antarktis los und beginnt seine weitgehend isolierte Unabhängigkeit. Auch dann war Australien noch lange oder auch immer wieder über Indonesien quasi über den Landweg erreichbar, aber beginnt auf jeden Fall seinen eigenen Charakter zu entwickeln. Im Übrigen haben sich dann auch die Beuteltiere vor etwa 120 Millionen Jahre von uns Nicht-Beuteltier-Säugern unabhängig gemacht und ihre eigene evolutionäre Richtung eingeschlagen.

Den mit den Ohren hab ich gestern im Desert Park gesehen. Die hat den Beutel nach hinten raus, weil sie viel graben und die wollen sich die Erde natürlich nicht in den Beutel schaufeln.

Und jetzt sagen sie, der Regenwald in Australien sei bis zu 180 Millionen Jahre alt, während der um den Amazonas herum nur, was weiß ich, 60 Millionen Jahre alt ist. Und natürlich sehr interessant, dass die Leute auf diesem hier Kontinent einerseits dauernd sagen, wie alt das alles ist und Geologie ist insbesondere für die diversen TourleiterInnen ein wichtiges Thema. Aber das gilt eben nur für die nicht-indigene Bevölkerung, Aborigines haben auf der anderen Seite wohl andere Prioritäten, was so Geschichte betrifft, ist da ja auch ganz anders konzipiert. Aber für die Nachfahren der SiedlerInnen ist es vielleicht sogar ein bisschen Kompensation dafür, dass ihre Gesellschaft kaum so alt ist, wie sie einen Stein werfen können.

… einen Stein werfen können.

Das muss man sich nämlich vorstellen – und zwar geh ich auf der Metaebene jetzt langsam aber sicher ins nonlineare Erzählen: Ich sitz in Alice Springs und da ist Aborigines viel mehr ein Thema, weil die haben ja der ganzen Wüstengegend hier so viel Bedeutung gegeben, dass selbst die SiedlerInnennachfahren die nicht übersehen können. Aber vorstellen: die Aborigines sind vor bis zu 50 000 Jahren hier angekommen, ich sag nur: Zunge zergehen lassen. Und jetzt zwar in erster Linie keine Schrift aber Zeichnungen auf Felsen und in Höhlen und da lässt sich auch kulturell sagen: es gibt eine Kontinuität, die zumindest 20 000 Jahre zurückreicht. Alles unvorstellbar.

Hier eine Karte, die die traditionellen Gebiete der unterschiedlichen indigenen Völker Australiens abbildet. Man sagt, die seien z.B. sprachlich sehr unterschiedlich und natürlich in ihrem Wissen über die Natur und ihrer Lebensweise. Da gilt es jedenfalls mehr zu erfahren. (Klicken für das Originalbild, das man auch lesen kann…)

Aber ja, Regenwald war am Samstag, Freitag fahr ich erst einmal ins Riff. Weil ich hab dem Mac dann schnell den Riffausflug abgekauft, für den er – nur noch zwei! – Ermäßigungen hatte. Und irrsinnig viel zu Essen wird versprochen, auf der Hinfahrt, auf der Rückfahrt und zwei Stationen und wenn ich tauchen will kann ich das auch kurzfristig am Boot sagen, das sei überhaupt kein Ding. Das sind alles so Sachen, mit denen sich BackpackerInnen schon locken lassen. Ein bisschen halt früh aufstehen, aber alles erst nach Sonnenaufgang und in Wahrheit will man sich eh lieber vor 9 Uhr bewegen, weil es sonst warm wird und dann unerträglich.

So schaut s im Hostelgarten aus, ca. halb zehn. Da scheint die Sonne schon ganz schön rein.

Das Riff ist für eine geologische Formation sehr jung, so jung, dass mir nie jemand gesagt hat, wie alt das Riff ist. Aber natürlich ist das Riff nicht in erster Linie eine geologische Formation sondern ein Ökosystem. Eine Biosphäre und als solche lässt sie sich etwa 20 000 Jahre zurückzuverfolgen. Und jetzt – sadface – das dürfte letzten Endes auch schon ziemlich genau das Alter sein, dass das Riff erreichen wird. Ich hab zwar sowohl bei den Greyhoundbuchungen als auch bei meinem Flug nach Alice extra Geld für s Riff gespendet, aber das wird s nicht rausreissen. Jetzt war das Riff aber großartig. Oder halt die ganze Erfahrung, pass auf.

Also steh ich um 6 Uhr auf, weil da muss man vorher lang einchecken und dann fährt das Schiff eh erst um 8 Uhr los. Legt ab. Ich frag mich das immer wieder, was in von der Rolle des Kapitäns alles übriggeblieben ist, insbesondere: muss ein Kapitän wissen, wer alles auf seinem Schiff ist? Oder ist das bloß so eine Traumschiffromantik, dass der dort auf diesem Steg steht, über den wir alle das Schiff betreten. Irgendwie denk ich mir, das macht schon Sinn irgendwo, aber dann mit dem Einchecken und alles, ist das ja sowieso nur noch Relikt. Wenn s denn überhaupt… you know? Jedenfalls steht der so da und sagt allen Hallo und dann sieht man ihn nicht mehr, weil der auf seiner Brücke sitzt und schaut, dass wir das Riff nicht kaputtfahren.

Jetzt von Anfang an Überraschung, weil wir sind etwa zwei Drittel ChinesInnen auf dem Schiff. Schon im Hafen ist ersichtlich, dass die sich den Rausch vom Vorabend aussonnenbadenden Bikinimädchen und ihre Dudes (so many dudes!) eher auf den anderen Schiffen untergekommen sind. Aber damit kann ich ganz gut. Unter den ChinesInnen fühl ich michweniger verloren, weil die in der Regel immer noch mehr verloren sind als ich. Die wichtigen Ansagen gibt s dementsprechend auch auf Chinesisch durchgegeben. Also in erster Linie, wann s Essen gibt und dass man sich zum Kotzen bitte nicht im Klo einsperren soll, weil da stinkt s und über kurz oder lang ist das ganze Boot angespieben. Immer brav ins Sackerl und das Sackerl draußen in den Mist.

Das Boot.

Eigentlich recht eindrucksvoll hab ich gefunden, wie ich mich zur Ausrüstungsvergabe hinsetze, der Mitarbeiter mit dem Schuhgrößenwissen vorbeikommt und nach einem Blick auf meinen nackten Fuß sagt: Fourty-one. Jetzt zweifach interessant: erstens erkennt er meine Schuhgröße mit den Augen und zweitens verwenden die scheinbar die gleichen Schuhgrößenmaße wie wir. Oder natürlich: andere Schuhgrößenmaße und dementsprechend auch danebengegriffen bei der Schuhgrößenbestimmung. Ich probier dann nämlich dann ein ein zweites Paar Flossen, weil das erste Paar etwas locker wirkt, bleib dann aber beim ersten, weil lieber ein bisschen zu locker als so eng, dass es mir den Fuß schon beim Reinschlupfen krampft. Ich bin ja eh nicht gut mit Flossen eigentlich und hab mir oft einmal einen Krampf geholt damit. Wohl, weil es keine Flossengröße gibt, die mir tatsächlich passt.

Das anstrengende ist dann aber erst einmal die Hinfahrt. Ich mein, wir haben sehr, wie sagt man da? „Die See“ ist irgendwie – Ruhig? Still? Flach? So was in der Art. Es geht kaum ein Wind, die Wellen machen wir mehr selbst (Stichwort: Bugwelle), mir ist damit aber nicht gut. Die Dings an der Bar hat mir zwar anfangs so erdbeergeschmackige Tabletten verkauft, die mich stabilisieren sollen, aber ich hab sie wohl ein bisschen zu spät genommen für prophylaktisch und muss mich die erste Stunde eher festhalten und den Blick in die Weite richten. Ich glaub, so was in Thailand auch einmal genommen zu haben, in der Vorbereitung auf stundenlange Serpentinen. Aber dieser Vergleich basiert im Wesentlichen darauf, dass den Tabletten 1) eine ähnliche Wirkung zugeschrieben wurde und 2) sie zirka gleich groß und ebenfalls unglaublich günstig waren. Ich mein, für eine Tablette mit Wirkung viel zu billig. In Thailand lagen die noch dazu wohl einfach offen in einer Schale, hier sind sie verpackt und wenn ich mir die Mühe machen wollte, könnte ich auch den Wirkstoff von der Verpackung runterlesen.

Meine Reling, danke für die Stütze.

Einmal seh ich sowas wie einen Delphin, also so ein zwei Meter langer Fisch (jaja…), der neben dem Schiff taucht. Aber ich zeig zwar drauf und dreh mich um, ob da nicht jemand ist, mit dem ich diese Beobachtung teilen kann, aber da ist er auch schon wieder weg und letztlich kann ich mich nicht erinnern, ob die Schwanzflosse so herum oder so herum war und ob s jetzt ein Delphin war oder vielleicht ein verirrter Tunfisch oder was vergleichbares. Ich glaub, solche gibt s hier auch und das wäre ja auch nicht schlecht gewesen.

Irgendwann sind wir endlich im Riff angekommen, ich hab mir eine Tour beim dreamy Marine Biologist gebucht, ein bisschen für die Eckdaten und so. Außerdem sind wir die ersten im Wasser, während die anderen noch die Zeichensprache der Bademeisterin lernen. Weil da steht eine, die ein bisschen aufpasst, dass die Leute nicht zu weit wegschwimmen oder ertrinken oder zurückgelassen werden, wenn das Schiff wieder aufbricht. Und ich sag dir, das ist schon toll, Riffschnorcheln. Der Herr Biologe erklärt da ein bisschen, wie das mit den Dings, den Korallen ist, umgedrehte Polypen und so, man weiß es ja eh so mehr oder weniger. Aber dann halt, wie langsam sie wachsen und interessant für mich, dass alle Polypen in einer Kolonie oder in einem so einem Korallenast, wie auch immer man da sagt, dass die genetisch alle ident sind. Aber vielleicht auch gar nicht überraschend, weil natürlich schon sexuelle Fortpflanzung bei den Korallen. Das soll ein ziemliches Hallo sein, weil die in einer Frühlingsvollmondnacht alle gemeinsam ihre Gameten ins Wasser abgeben und das schillert, das Wasser und die Luft sollen schwer vom Hormonschwall der Rifforgie sein. Aber das hängt halt sehr von Temperaturen und… vor allem von der Temperatur ab.

Letztlich kann man tun, was man will, auf Bildern schaut das alles ein bisserl unspektakulär drein.

Aber da merkt man auch schon ein bisschen, wie sensibel das ist, dass das ganze Riff, die ganzen verschiedenen Korallenspezies, das gemeinsam erledigen, abhängig von Temperatur und Mond. Aber das wirkliche Problem ist wohl die symbiotische Beziehung zwischen den Korallen und den Algen, die sie ernähren. Wobei ich nicht genau verstanden hab, wie sie tun: Ich glaub, die Algen wohnen auf den Korallen und machen Photosynthese. Weil natürlich ist es für eine Spezies, die sich darauf spezialisiert hat, in einem harten Panzer zu leben, aber auch an einem Felsen festgewachsen zu sein, relativ schwierig, an ihr Essen zu kommen. Hat der Riffmeister erklärt. Jetzt sind da die Algen und die kriegen das halt easy-cheesy mit der Photosynthese geliefert. Und jetzt hab ich mir gedacht, aha, die Korallenpolypen werden dann halt die Algen essen. Aber nein, die Algen geben den Korallen einfach die Kohlehydrate ab, die sie aus dem Wasser rausholen bzw. aus dem CO2, ich nehm an, da gibt s genug davon im Wasser. Na und das Problem ist jetzt, dass diese Beziehung nur innerhalb einer gewissen Temperaturspanne funktioniert und wenn das Wasser zu warm ist, dann kriegen die Stress miteinander und die Korallen stoßen die Algen ab. Und die Korallen verlieren dann ihre schönen Farben, weil eigentlich sind die schicken Grün- und Blautöne natürlich Chlorophyll und Korallenbleiche und da ist der Salat. Aber, was ich ebenfalls nicht wusste: Korallenbleiche heißt nicht, dass sie tot sind. Ich mein, es heißt, dass sie jetzt langsam verhungern, aber das dauert und in der Zwischenzeit mögen sie sich erholen und das Wasser wird vielleicht wieder etwas kühler und während die Korallen zwar leiden und nicht wachsen und vielleicht ein Teil stirbt, na, aber als ein Ganzes mögen sie sich wieder erholen. Das hab ich mit Erleichterung wahrgenommen.

Manchmal will man auch gar nicht so genau wissen, was das ist, was man da sieht…

Und während die Korallen in Wahrheit auch aufregend sind, sind natürlich die Fische schon ein bisschen die Attraktion, wegen der man hinfährt. „Zutraulich“ ist das falsche Wort, ich würde annehmen, sie sind sich einfach ihrer Agilität bewusst und deshalb ist es ihnen relativ egal, wenn man bis auf Zentimeter an sie herankommt. Es gab den einen Fisch, von dem ich glaub, dass er schon auch ein Interesse an den SchnorchlerInnen hatte, weil der wirklich viel so um mich herumgeschwommen ist und dann hab ich ihn zwei-, dreimal erwischt und ein bisschen die Flanke gestreichelt. Aber was weiß man schon, ob ein Fisch „interessiert“ sein kann.

Tom Hanks & Leonardo DiCaprio 2002

Ich hab mir jetzt aber nicht mehr die Mühe gemacht, die Fische zu bestimmen. Da sind die großen Papageienfische, die hörbar am Riff knuspern. Und immer mit einem Schwarm kleinerer Fische, die die Bruchstücke auffangen, die beim Knuspern ins Wasser gewirbelt werden. Und dann sind da die Schwärme aus kleinen blauen Fischen, durch die ich mir ein paar Mal den Spaß gemacht habe, durchzutauchen. Natürlich geht das nicht ganz so gut, wie man sich das in einem phantasievollen Moment vorstellt, aber ein bisschen sehe ich sie schon auseinanderstieben. Und das ist wiederum sehr faszinierend, dass jetzt die eine Evolution macht einen großen Fisch und sagt, alles auf diese eine Karte und die andere Evolution sagt sich, nein, wir machen lieber einen Schwarm von vielen kleinen Fischen, da kann ruhig mal einer gefressen werden, aber the pack survives. Und jetzt aus der Perspektive der BeobachterIn muss ich sagen, der große Fisch ist toll anzuschauen und Hammer und so. Aber faszinierend wirklich ist vielleicht mehr der Schwarm, die Individuen und das gemeinsame Ganze. Und wahrscheinlich ist es bei den Fischen besser erkennbar, als bei anderen Tieren, weil halt dreidimensionaler Raum und verhältnismäßig statisch. Es ist zwar gestern ein Schwarm Wellensittiche über mich drübergeflogen und gemeinsam mit ihren Rufen ist das ein Gänsehauterlebnis (gute Gänsehaut, selbstverständlich). Aber so ein Fischschwarm ist mittelfristig einfach einfacher zu beobachten.

Knusper, knusper Knäuschen…

Und die Drückerfische, die ihre Seitenflossen mehr nur zum Lenken verwenden und ein Kugelfisch, der mir so unausgeglichen, so angespannt wirkt, weil er dieses Potenzial in sich hat, aufzugehen. Und diese Fische, die der Biologe Romeo and Juliet of the Sea genannt hat, weil die immer zu zweit unterwegs sind und wenn sie ihre PartnerIn verlieren, schwimmen sie in sich ausweitenden Kreisen, bis sie sie wiedergefunden haben. Und die Muscheln, also diese großen, die haben die irrsten Farben. Und einen Clownfisch hab ich gesehen, der ein bisschen verloren… aber auf so einen matten Pun wollte ich jetzt nicht hinaus. Na ja, und dann halt der Hai, nicht wahr. Das ist schon, wo ich den seh und die erste Reaktion ist: Scheiße, ein Hai. Aber sofort die Neugier und die Faszination und wenn wir schon keine Schildkröten zu sehen bekommen, dann seh ich meinen Hai. Ganz allein und ein bisschen abseits der Gruppe. Aber ist ja ganz ein kleiner, zwei Meter oder so und der tut ja nichts, der will noch nicht einmal spielen. Ich also in gutem Abstand hinterher, den Stress hat eher der Hai, sind wir uns ehrlich.

Also, was hier passiert ist, ist, dass ich zu oft auf den Aufnahmeknopf gedrückt hab und jetzt kaum eine Sekunde Hai auf Video hatte. Ja, ausgerechnet. Deshalb hier ganz laaaaangsam , auf drei Sekunden gestreckt. Dafür hab ich sechs Minuten Video von einer Kamera, die mir um den Hals schlenkert…

Na und dann wieder auf s Boot und ich bin wirklich sehr begeistert und ich will gar nicht aus dem Wasser. Für blaue Lippen zahlt es sich vielleicht aus, für verlängertes Planschen einzustehen, aber nicht für im Riff gelassen werden. Ich nehm an, dass wir jetzt eine kleine Mahlzeit nehmen. Mein Magen steht immer noch auf etwas wackeligen Beinen, aber etwas Couscoussalat und ein paar Süßkartoffeln aus diesem… was ist das? Es hat auf jeden Fall Süßkartoffeln drin. Und dann nehm ich mir sogar noch zwei so Garnelen. Und dann nochmal zwei, weil ich merk, gar nicht so schlimm, wie ich zuerst gefürchtet hab, dass mein Magen jetzt auf gekühltes Fischfleisch reagiert.

Ein kleiner Strampler durch s Riff, dem Drückerfisch hinterher. Den Soundtrack liefert ein Herr, der abends auf der Cairnser Esplanade seine Gitarre gespielt hat (weil sonst ist nur so Geblubber…).

Im zweiten Riff, same procedure as before, rückwärts einparken, damit wir hinten auf s Riff raus sind, rein ins Wasser. Das Riff ist gleich merklich anders als das erste und ich hätte mich nicht beschwert, wenn der Meereswissenschaftler nochmal ein bisserl was erklärt hätte. Aber 25$ sind nur für einmal erklären und dass es hier anders ausschaut akzeptiere ich einfach. Ich versuche ein bisschen tiefer zu tauchen und merke jedesmal, wie schnell mir der Druck im Kopf ein Problem wird, so zwei, zweieinhalb Meter geht s, würde ich sagen. Und geht s auch schnell, weil die Flossen tun was sie sollen und Krampf krieg ich auch keinen, alles picobello. Auch hier keine Schildkröten und kurz vor Aufbruch zeigt sich wieder ein einzelner Hai. Als wir uns am Bootsrand die Flossen ausziehen, hab ich eine kurze Unterhaltung mit einem fellow Haisichter, der mir von zwei viel größeren Haien erzählt, die er im Zuge des Schnorchelgangs unter einem Felsvorsprung gesehen hätte. Da ist das Verpasste kurz ein bisschen wichtiger als das Erlebte.

Wahrscheinlich waren s solche Zebrahaie.

Als ich daheim ankomme, bietet Mac gerade zwei SchottInnen den gleichen Ausflug an, von dem ich gerade zurückkomme. Schaut aus, als ob er nur noch zwei Ermäßigungen hätte… Enthusiasmiert wie ich bin schwärme ich ihnen ein bisschen was vor, sag, dass es sich auf jeden Fall ausgezahlt hätte. Und das stimmt auch. Natürlich ist die Hälfte im Prospekt gelogen oder zumindest übertrieben und Preise vergleichen, dafür müsste man mal ein bisschen was gesehen haben. Aber im Grunde genommen zahlt es sich einfach aus, weil eineinhalb Stunden Schnorcheln in diesen Riffen großartig ist. Schildkröten und Haie sind natürlich eine Attraktion, eben der große Fisch, der beeindruckt. Aber das Erlebnis selbst, das große Ganze, dass sich aus den vielen einzelnen Teilen ergibt, für das ist es wirklich egal, ob es zwischendurch Scampi oder Dosenfleisch gibt.

Red fish, blue fish.