Rückblicke

Es ist nicht so einfach mit dem Schreiben. Ich mein, es ist nicht so einfach mit dem Leben in the first place. Und die beiden hängen ja zusammen.

Ich hab mir schon vorgestellt, ich schreib dann einfach wieder. Am Abend hinsetzen und die Gedanken des Tages irgendwie unterbringen in den Worten und ein Bild dazu und irgendwie dann die Freude, was getan zu haben und irgendwie auch in Kontakt getreten zu sein. Die Bedürfnisse sind überschaubar. Aber es ging dann einfach nicht, zumindest einfach nicht so einfach.

…aber zumindest die Hoffnung, dass es jemand wert gefunden hat, es aufzuschreiben.

Segeln war gut. Und dabei so fordernd. Da hab ich mich am Abend nicht hingesetzt, da hab ich mich hingelegt am Abend, weil am nächsten Tag ging s weiter. Wenn man in zwei Wochen um die kanarischen Inseln segeln möchte, muss man sich offenbar dranhalten. Am Anfang sind wir gleich mal zweimal durch die Nacht gesegelt. Das war nur mittel ein Spaß, die Andrea hat rückblickend einmal vorsichtig formuliert: „There were moments, when I didn’t enjoy the banter.“ Das hat s ganz gut getroffen. Es war dann einfach zu viel für den Anfang: Drei Stunden Segeln, drei Stunden Schlafen… von sieben bis sieben.

Wenigstens waren wir dann einmal auf Fuerteventura und dann auf Gran Canaria. Das war der Deal: wir hatten ein Rettungsboot zum Service zu bringen. Und dann hätten wir ruhiger unterwegs sein können. Das hat auch funktioniert für ein paar Tage, da sind wir gemütlich nach Tenerifa, nach La Gomera und schließlich nach La Palma gesegelt, schöne Tagespassagen, alles fein. Der Vorteil in der Nacht, hat sich dann herausgestellt, ist das mit der Sonne. Aber das war im Grunde auch ok, ich lerne großzügig mit der Sonnencreme zu sein. Ich halte mich mittlerweile an das Credo „Wer aus dem Urlaub Sonnencreme mit heimbringt, hat zu wenig verwendet.“

Der Blick aus dem Cockpit, wenn alles festgezurrt ist. Dann darf die Luke offen sein und das Handtuch an der Reling hängen. Ist wahrscheinlich Puerto den Mógan auf Gran Canaria.

Aber dann hat sich herausgestellt, der Wind kommt jetzt von Osten. Das gibt s normalerweise überhaupt nicht, da ist immer ein Nordwind und das ist wunderbar gemütlich, da auf einem beam reach heimzufahren. Die deutschen Bezeichnungen in dem ganzen Segelbusiness sind übrigens dermaßen archaisch oder zumindest sind das auch alles Vokabeln, die man auf die eine oder andere Art auswendig lernen müsste, da kann man wirklich gleich die englischen Begriffe lernen. Aber für wer will:

A beam reach is when the true wind is at a right angle to the direction of motion.

en.wikipedia.org

Halber Wind bezeichnet einen Kurs, bei dem der Verklicker ungefähr rechtwinklig ausweht, der scheinbare Wind also mit ungefähr 90° einfällt. Die Segel werden im Vergleich zum Am-Wind-Kurs etwas geöffnet („die Schoten gefiert“). Während auf einem Halbwindkurs nach wie vor der größte Teil des Vortriebs durch Strömung am Segel hervorgerufen wird, ist ein weiterer Teil auch auf Winddruck auf das Segel zurückzuführen.

de.wikipedia.org

Also ja. Interessant ist bei den beiden aber, dass die englische Bezeichnung vom true wind ausgeht, also der Wind, der auf ein ruhendes Segelboot einwirkt. Während auf Deutsch sinnvollerweise der scheinbare Wind herangezogen wird, der sich aus dem true wind plus dem Fahrtwind ergibt. Und das ist der Wind, wie er sich letztlich auf das Boot auswirkt.

Ja, es ist jetzt nicht so, als ob ich nichts lernen würde, in meinen Kursen.

Bananen, Papayas, Landurlaub (Tazacorte, La Palma)

Na auf jeden Fall haben wir uns dann erst wieder beeilen müssen, La Palma hinter uns gelassen und in einem Mordsaufwand 48 Stunden lang die ganze Strecke wieder zurückgesegelt. Und da, muss ich sagen, hab ich stellenweise einiges nicht mehr so wirklich genossen. Zum Beispiel, wie ich mein Fensterchen nicht ganz zugemacht hab. Das ist ja so ein Ding, irgendwie, diese Luken. Die macht man ja dicht. Und dafür gibt s eben so kleine Schnapperl. Jetzt wenn die nicht offen sind, wenn man die Luke zumacht, und sagen wir, die anderen Schnapperl zumacht. Das schaut super aus, schaut aus als wär s zu. Und da ist wirklich nur ein kleiner Spalt, klitzekleiner Spalt. Aber da kommt mitunter dann so eine Welle und da passt sehr viel Wasser durch so einen kleinen Spalt, hab ich dann gemerkt, während ich eigentlich meine Schlafstunden hatte.

Ah, das fühlt sich nicht gut an. Im ersten Moment hab ich gedacht, die anderen sind schuld. Eh klar, erster Reflex. Aber während ich dann da unter Deck im Dunkeln bisschen hin- und hergeflogen bin, auf der Suche nach was, um meine Kabine trocken zu legen, hab ich die Situation wohl halbwegs rekonstruiert. Und wie ich dann ins Cockpit raufgeschaut hab, wo Andrea und Richard ihre Segelschicht verbracht haben, da war s gar nicht mehr so anklangend gemeint, wie ich gesagt hab, dass mir gerade das Wasser durch die Luke gespritzt ist. Aber natürlich: Die zwei sind da seit Stunden gesessen und haben das Wasser zwar nicht ins Bett, aber doch ständig ins Gesicht und viel zu tief, wie sich später herausgestellt hat, in die „wasserdichten“ Jacken bekommen. Insofern durchaus zurecht, dass man mir da bisschen schnippisch drauf reagiert hat. Ich hab mich wieder hingelegt, halt um das Wasser in meiner Matratze herum. Man kriegt seinen Schlaf nicht nachgereicht.

Und ja. So wie wir dann da gesegelt sind, ist der Wind so knapp wie möglich von vorne gekommen, das heißt, dass auch die Wellen in erster Linie von vorne gekommen sind und es hat dauernd swisch-swasch-swusch gemacht. Mit jeder Welle hat s das Boot hochgehoben und wieder fallen lassen. Und im schlimmeren Fall ist die nächste Welle, beim Fallengelassenwerden dann schon da und schwappt einem drüber. Man spürt richtig, wie in dem Wort noch das Gefühl drinsteckt: Schwapp.

Jetzt, so ein Sonnenaufgang ist schon schön, wenn er so flach daherkommt. Endlich, endlich…

Und dann ist es ein fröhliches Ankommen. Das Interessante beim Ankommen ist ja auch, wie lang das dauert. Weil zwischen Land-in-Sicht und das Boot festbinden ist ein halber Tag. Bei guter Sicht. Und natürlich wollten wir nicht gleich an das erste Land, das sich uns da so gezeigt hat, weil die Westküste von Fuerteventura ist offenbar eher eine Steppe. Wir wollten nach Rubicon. Rubicon ist an der Südspitze von Lanzarote und dort sind wir eingefallen, als wären wir monatelang auf See gewesen. Aber man kann sich das so ein bisschen vorstellen, wie sich das anfühlt, wenn man nach zwei Tagen ankommt und die ganzen kleinen Ärgerlichkeiten, die man am Boot schluckt, weil sie eh nur aus dem eigenen Unwohlsein stammen, die Begrenztheit, in der man nur zwischen Bett und Deck die Wahl hat, keine drei Schritte gehen kann. Ein Bad, ein Klo, eine Dusche… Aber auch: viel Bier. Zu viel Bier vielleicht. Und am zweiten Tag war die Freude dann zwar weck, aber das Upper Deck hat wieder gerufen und dann war the Scottish Bird auch wieder da. Ich hab leider ihren Namen vergessen, aber die Selbstverständlichkeit, mit der Richard sie so genannt hat, steckt mir noch in den Knochen. Ihr Mann hat sie schon am Vortag auf die Tanzfläche geholt und selbst wenn der Sänger am ersten Tag besser war, als der am zweiten, sie haben wieder die ganze Bar motiviert, zumindest für ein, zwei Nummern bisschen mit den Extremitäten zu schlenkern. Sure, mich auch. „I heard [gute Gelegenheit an dieser Stelle, einen Glaswegian Akzent einzubauen] you two were German?“ ist sie zu Andrea und mir rübergekommen. „Well,“ sag ich, „that’s not technically correct…“, aber dann denk ich mir, man kann kaum was deutscheres sagen, also lass ich s stehen.

Auch in einer Marina gibt s eine Dorfdisko. Aber mit Abstand the place to be: Upper Deck, Rubicon, Lanzarote.

Ich hab seither nur sehr wenig Alkohol getrunken. Wir haben dann am nächsten Tag noch ein paar Manöver gemacht, bojenförmige Personen über Bord fallen lassen, marokkanischen Minen ausgewichen, zwischen ankernden Segelbooten gekreuzt… very excited. Weil wir waren jetzt zu früh wieder daheim. Die Windprognose hat sich angeboten, die Rückfahrt anzutreiben, weil besser wäre es nicht geworden. Und das ist auf eine eigene Art erstaunlich, weil bis dahin, hat sich Peter (der Instructor, jetzt haben wir endlich alle beisammen) nie besonders am Windwetterbericht („Predict Wind? More like Guess Wind.“) orientiert. Aber scheinbar, wenn ein starker Ostwind angesagt ist, wo wir nach Osten wollen, da glaubt man s dann doch lieber.

Es ist einfach. Ich hab eine Phrase im Kopf und dann krieg ich sie nicht mehr raus. Und zum Glück ist da das Internet, und dann brauch ich sie auch gar nicht besonders rauskriegen, aus dem Kopf, weil sie ist ja schon draußen. Danke, Eddie, very excited.

So waren die letzten Tage aber zumindest gemütlich: In der Nach im sicheren Hafen, abends, schön essen gehen in der Marina von Puerto Calero. Und dann sogar noch ein Rugby Spiel. Weil das kann man schon auch sehen: zum letzten Rugby World Cup, war ich in Japan. Also, nicht literally zum World Cup, aber es war der World Cup in Japan und ich war in Japan. Und jetzt war ich zumindest mit einem Engländer und einem Neuseeländer unterwegs, die beide sehr interessiert waren, wie s denn da weitergeht, bei den Rugbys. Ja, und jetzt bin ich in Paris, aber psssht! Spoilers.

Dann haben wir also Rugby geschaut. Und ich muss sagen, es war schon ok. Es dauert nur 80 Minuten und irgendwie ist die Action etwas fokussierter bzw. man konnte dem allen ganz gut folgen, hat schnell gesehen, dass die eine Mannschaft halt nicht gut spielt und die andere schon. Ich glaub, das war Frankreich gegen Italien. Es hat dann irgendwie zu lange gedauert und wir hatten noch ein Bier (ja, ja, aber danach wirklich nur noch ein Bier seitdem) und dann gab s noch ein unschönes Ende, weil der Peter nicht ganz gut der Andrea zuhören wollte – nachdem er sie gefragt hat – wobei sie den Eindruck hatte, er sei mit ihr ob Gender wegen, doch anders umgegangen. Es war nicht mehr zu retten. Ich möchte sagen, ich hab s versucht, aber irgendwie bin ich mir nachher trotzdem schlecht vorgekommen, weil ich sitzengeblieben bin, als sie auf ist, mit Tränen.

Am letzten Tag haben wir noch mit dem cruising chute unterwegs, auch mit wenig Wind flott beinander. Auch spannend: ein extrem gutes System, das Ding her- und wieder wegzuräumen. All the points!

Das war so ein bisschen ein Moment, in dem ich gemerkt hab, dass ich schon gern daheim bin. Und wenn das auch nur bedeutet, mehrheitlich mit Menschen umgeben zu sein, mit denen man ein gemeinsames Wertesystem teilt. Und wo man sich nicht nachher eine Woche lang daran abarbeitet, wie die Welt einfach nicht gut ist und wo man den Strich zieht und wo man aber um der eigenen Gemütlichkeit vielleicht darauf verzichtet, ein Zeichen zu setzen und zu sagen: Du hast gefragt, du kannst ihr jetzt nicht absprechen, dass sie das gefühlt hat. Nur zum Beispiel.

Und so hat das alles irgendwie unverdient ein rasches, etwas ungutes Ende genommen, schlechter Nachgeschmack inklusive. So bin ich mit diesen Gedanken noch eine Woche in Puerto del Carmen gesessen, wieder in einem etwas zu großzügigen Apartment, aber günstiger, weil 20 Minuten zum Strand und 10 Minuten zum Supermarkt. Hab mir Papayas gegessen, Brettspiele am Handy gespielt und war Tauchen mit den spanischen Tourist*innen. Aber so dieses Gefühl, wie gut das mit dem Segeln gelaufen ist, das hab ich mir diesmal nicht mitgenommen. Im Gegenteil. Das Rucken und Zucken in der Nacht, das mühsame Aufstehen um fünf in der Früh, selbst wenn s die Sonnenaufgangsschicht ist. Und halt auch das Gefühl, dass ich vielleicht immer noch eine vergleichsweise lustige Gruppe erwischt hab, mit der ich diese zwei Wochen gemeinsam geteilt habe. Aber selbst eine lustige Gruppe ist nicht dasselbe wie, sagen wir: Wohlfühlen.

Vorbereitungen für den Night Dive, Playa Chica, Puerto del Carmen, Lanzarote. Ich hab diesmal die Unterwasserkamera gar nicht mit, ich muss sagen, bis jetzt ist das eine Erleichterung.

Zusammengenommen hat die Idee, jetzt zwei, drei Wochen nach Amerika zu segeln einfach an Sexyness verloren gehabt. Ich segel schon gern. Aber vielleicht lieber mal mit Leuten, die ich gern hab und für die Freude. Weil es war schön. Ich find s super, zu lernen, wie sich das Boot verhält, sich lenken lässt und wo ich ein bisschen über meinen Schatten steigen muss, weil das Boot gehört so schief, sonst läuft s nicht gut. Und dann in einer Bucht zu ankern und ins Wasser zu springen – nachdem man sich versichert hat, dass der Anker hält. Vielleicht schwimmt der Richard – „last one at the beach is a rotten apple!“ – zum Strand und nach längerem Überlegen denk ich mir dann, ja, sure, why not. Und es ist ein super Gefühl, einen Strand vom Meer her zu betreten, bisschen im Sand sitzend zu Atem kommen und dann wieder zurück. Und „Wale“ zu sehen, zwei, drei Meter am Boot vorbei und Delphine, die uns begleiten und Schildkröten, die an der Wasseroberfläche herumgeworfen werden. Das sind schöne, aufregende Erfahrungen. Es ist nur schade, dass die Leute auf eine wohl ganz alltäglich Art manchmal bisserl ungut sind.

Bergschuhverwendung

Oft einmal packe ich meinen Rucksack und denke mir, die Bergschuhe… Nicht, dass man mich nicht gewarnt hätte. Ich hab die Stimme noch gut im Ohr, die mir geraten hat, vielleicht lieber keine Bergschuhe und wenn ich sie wirklich brauch schicken und sogar wieder zurückschicken. Die meiste Zeit rechtfertigen sie ihre Präsenz damit, dass ich in ihnen kleine bis mittelgroße Gegenstände auf- und vor Quetschungen durch die Verarbeitung im internationalen Flugverkehr -bewahre. Und natürlich sind sie eine gute Fokussierungsunterstützung, wenn ich meinen Gegenstandsfetisch reflektiere: Wie ich oft einmal versucht bin, meine Erfahrungen in Dinge zu projizieren anstatt – was weiß ich – die Erinnerung in mir selbst zu halten. Als ob der Schuh eigentlich das Abenteuer erleben würde, während ich mich selbst nur mitschleppe. Bisschen weniger davon und ich würde mein Leben und meinen Rucksack vielleicht weniger mit Zeug vollstopfen, zwischen dem ich kaum Platz hab.

Außerdem erinnern sie mich daran, dass ich gerade im Konsum öfter einmal einen Mittelweg gehen möge. Also: die zurückhaltendere, die weniger extreme Option zu wählen. Ich hab mich seinerzeit für jenes Modell entschieden, nicht zuletzt weil ich sie pompöser, erdiger, uriger und so für einen Bergschuh wohl archetypischer – quasi: hübscher – empfunden habe. Und in der Wirklichkeit hätte ein Modell „drunter“ für meine Ansprüche in der Regel gereicht, wäre etwas leichter, vielleicht auch in weniger extremen Situationen tragbar und insgesamt etwas flexibler einsetzbar. (Ähnliches gilt für meinen Rucksack, wo ich mich zwar eh bereits für eine Nummer kleiner entschieden hab, aber zurückblickend wäre noch eine Nummer kleiner besser gewesen.)

Alles in allem leisten sie zumindest ihr Gewicht, weil ich bin ja auch zum Nachdenken hier.

Nach den ersten paar Tagen in Tokio, bin ich also einmal raus auf s Land gefahren: Fujiyoshida. Das ist nett, ein bisschen wieder in der Kleinstadt, da sehe ich mal ein bisschen, wie das so ist. Mit den kleinen Häusern und den größeren Vorgärten und den Straßen mit Gegenverkehr.

„Die graphische Umsetzung macht die Schachtabdeckungen als archaische Gestaltungen inmitten hochtechnisierter Urbanisationen sichtbar. In diesem Sinne bedeuten diese Ferrogramme von Christoph Feichtinger ein Kulturzeugnis, das Stammesmustern unserer modernen Zivilisation entspricht.“ [X]

Nachdem ich mit der Hostelangestellten ein bisschen über die Möglichkeiten einer Fujibesteigung gelpaudert hab, schaut s so aus, als würde ich die Be- und Absteigung in einem Aufwischen erledigen. Von meiner Reiseführerinformation her, dauert der Aufstieg um die sechs Stunden, der Abstieg drei und es gibt Unmengen von Übernachtungsmöglichkeiten auf der Route. Also geht man hoch, bleibt über Nacht und sieht noch den Sonnenaufgang vom Fuji aus bevor man sich talwärts aufmacht. Oder eher noch gipfelwärt s eigentlich, weil die Übernachtungen sind ja auf der Route hinauf.

Aber ja, das sind alles Details, die ich kaum wusste. Gelernt hab ich schnell, dass ich zwei konsekutive Nächte gebucht hatte und das Hostel am Freitag dann sowieso ausgebucht sei. Und überhaupt: Wetterberichtsmäßig ist da zwar eine Gewittermöglichkeit für Donnerstag, aber für Freitag schaut s nicht besser aus mit Regen. Und sie ginge auch am Donnerstag, allein deshalb schien sie schon anzunehmen, dass das Wetter am Donnerstag besser sei. Also gut, denk ich mir nach ein bisschen Hätte-ich-echt-auch-mal-im-Vorfeld-besser-auschecken-können, geh ich halt morgen in der Früh, warum nicht. Und komm am gleichen Tag wieder runter, warum nicht. Neun Stunden Berg ist jetzt nicht so das Ding, ich muss nur schauen, dass ich nicht im Dunklen herumstolper. Aber der erste Bus geht um zwanzig nach sechs, das ist kein Aufwand, das gibt mir Zeit.

Weil es ist nämlich so. Der Fujiyama ist in mehrere Stationen unterteilt. Und an den meisten Stationen findet sich eine Übernachtungsmöglichkeit, aber vor allem geht man erst bei Station Nummer Fünf los. Es gibt insgesamt neun oder wahrscheinlich ist der Gipfel dann zehn. Aber der Bus schupft einen auf fünf und dann geht man dort los. Und ja, die Saison endet in der zweiten Septemberwoche, danach werden die Hütten eingestellt und die Sicherheitsvorkehrungen kehren sich ab und überhaupt geht der Fuji in Winterpause. Man kann schon rauf, aber es wird einem halt abgeraten.

Damit ich fit für den Aufstieg bin, der sich wie übereilt beschlossen anfühlt, geh ich eine Runde spazieren und lande in einem Soba Lokal. Und wenn man in den Neunzigern Leute mit der Idee rohen Fischs auf kaltem Reis mit Algen vielleicht verwirrt hat, so klingt die Idee kalter Buchweizennudeln jetzt auf den ersten auch nicht nach einem super Konzept. Aber natürlich ein bisschen hier, ein bisschen da und dreihundert Jahre Tradition, da ist schon was dahinter. Das witzige an dem Lokal war auch, dass es von außen fast schick ausgeschaut hat und ich einmal vorbeigelaufen bin, weil ich mir gedacht hab, nah, das ist zu schick jetzt. Und dann bin ich rein und der Eindruck von innen war gleich ganz ein anderer. Weil es wesentlich privater gewirkt hat, als erwartet. Vielleicht weil der Fernseher in der Ecke gelaufen ist, vielleicht weil neben den fünf „europäischen“ Tischen auch eine Plattform mit traditionellen Tischen gestanden ist, die den Raum ein bisschen gebrochen hat, vielleicht wegen der vertrauten Art, mit der die Gastgeberin (1) mit den drei anwesenden Gästen umgegangen ist. Letztlich war s wahrscheinlich einfach der Stapel Papier, der neben der Theke auf einem kleinen Kasterl gestanden ist, der dem ganzen so sehr eine Arbeitszimmeraura verliehen hat.

Teil meines Jausenpakets: ein Onigiri, Wasabi-Nori Geschmack. Wie vieles hier aufwendig verpackt, aber ich freue mich zumindest, dass ich mit dem Einkauf eine cool choice getroffen hab

Jedenfalls bin ich am nächsten Morgen um fünf aufgestanden. Das ist weniger ein Problem, das ist immer weniger ein Problem. Einerseits bin ich wahrscheinlich einfach ausgeschlafener, aber ich traue mich zu sagen, es funktioniert das mit der Motivation auch besser. Mit der Verantwortungsübernahme. Vielleicht auch der Rhythmus insgesamt, ich glaub, um neun war ich am Vorabend schon abgemeldet. Zum Frühstück gibt s eine doppelte Portion aus meiner Riesenkiste Instantporridge und eine schnelle Tasse Tee. Außerdem füll ich mir Tee in die Thermosflasche, weil… ja, ist ja kalt da oben. Im nächsten Moment hab ich mir gedacht, das ist ein Blödsinn, weil in der Thermoskanne bleibt das ja heiß und das braucht wahrscheinlich meine neun Stunden, bis das so weit ausgekühlt ist, dass ich s trinken kann. Zum Glück finde ich ein paar Pappbecher, von denen ich schnell mal zwei in den Rucksack werfe. Und dann frag ich mich den halben Aufstieg lang immer wieder, ob man einen Berg so schnell hochklettern kann, dass das Wasser in der Thermoskanne zwar auskühlt, aber wegen dem Druckabfall am Gipfel tatsächlich wieder kocht. Ich denk viel mehr über Druck nach, seit ich meinen Open Water Tauchschein gemacht hab.

Der Bus ist gut und der Vorteil an Fujiyoshida im Gegensatz zum etwas größeren und etwas touristischeren Nachbarort, dass wir die erste Station sind und gut Sitzplätze bekommen. Weil als wir in Kawaguchiko ankommen, steht da eine lange Schlange an der Busstation von der tatsächlich zehn, fünfzehn Leute keinen Platz mehr im Bus bekommen. Ja, was ist denn mit denen, frage ich mich, während ich aus meinem Fenster auf sie herunterblicke und in ihren Gesichtern die selbe Frage, etwas dringlicher, geschrieben steht. Witzig ist aber auch, dass wir Fujiyoshidas erst einmal aussteigen müssen, ein Ticket kaufen und dann wieder einsteigen. Und als wir dann alle Sitze in unserem Bus besetzt haben, werden entlang der Gangreihe jeweils noch ein Sitzplatz ausgeklappt und dann gehen sich nochmal zwanzig Leute aus. Aber nicht die, die noch draußen stehen. In einer liebevollen Aufopferung deutet eine Frau, die noch in den Bus dürfen hätte auf ihren Partner, sodass auch ich hinter meinem Fenster verstehe, sie geht nicht ohne ihn. Ich glaub, sie wollte ihn mithaben. Tatsächlich ist sie halt dann dageblieben.

fünfte Station: Die transnationale ästhetische Gleichgültigkeit von Mittelstationsarchitektur

Bis zur fünften Station ist es eine Stunde Fahrt in unserem bis auf den letzten Platz und dann noch ein paar mehr gefüllten Bus. Und dann ein bisschen ein Schock, na sagen wir eine Überraschung, weil die fünfte Station wie ein ganzes alpines Feriendorf daherkommt. Oder zumindest Alpines-Feriendorf-Hauptplatz. Und gleich einmal wieder die Verführungen des Konsumismus und ich ja auch tatsächlich als erstes gleich in den Shop abgebogen. Weil aber nicht von ungefähr: Weil in Kawaguchiko stand ein junger Mann in der Schlange, der hatte einen schicken Wanderstab. Und weil wir quasi im Skandinavien Ostasiens sind, handelt es sich um einen schlichten, geraden, hellholzigen und etwas zu langen Stock. Da hab ich mir schon gedacht, oha, das gefällt. Ich steh ja sowieso auf Wandern am Stock. Und natürlich bieten die Shops am AFH-Platz mir solche Stecken hunderfach an. Mit Fahnen und mit Glocken. Aber ich widerstehe und schüttel den Instinkt zu kaufen ab. Ich find mir schon einen praktikablen Stab am Weg, denk ich mir, übersehend, dass wir halb einen aktiven Vulkan (letzter Ausbruch: 1707) hoch sind und ich nach der ersten Stunde nur noch durch Schutt und Geröll stapfen werde.

Dann zahle ich noch die obligatorische Spende von tausend Yen für die Erhaltung des Gebiets und zack-zack, jetzt muss ich langsam in die Gänge kommen. Noch dazu wo ich die vier deutschen Burschen vermeiden möchte, die bereits seit Fujiyoshida mit mir Schritt halten. Da hätte ich gerne nach vorne oder nach hinten ein bisschen einen Abstand. Bloß so! Ich hab nichts gegen deutsche Burschen, aber für s allein gehen ist es angenehmer, die nicht in Hörweite zu haben. Oder so.

Es gibt insgesamt vier Routen auf den Fuji rauf, für mich, von meiner Seite wären zwei in Frage gekommen und ich hab das kurz überlegt, aber nachdem der Bus zur fünften Station vom Yoshidaweg führt hab ich mich der Einfachheit halber für den, den populärsten entschieden. Und ja, man kann nicht verloren gehen. Zu Beginn steh ich einmal kurz mit Zweifeln vor einem Schild, das die Climbing Route ausweist und ich nicht sicher bin, ob ich zum Klettern hergekommen bin. Aber nachdem mir Leute mit Kindern von dort entgegenkommen, denke ich mir, so schlimm kann s nicht sein. (Die Wahrheit, die mir in der Situation verdeckt bleibt, ist natürlich, dass das der Aufstiegsweg ist und wenn jemand den Aufstiegsweg runterkommt, dann haben sie umgedreht, weil s zu schlimm geworden ist.) Also rauf.

Ich mein, das ist literally da, wo die Route anfängt. Nicht nur bereits oberhalb aller umliegender Gipfel, auch über der Hälfte der Wolken

Die Aussicht ist schon beeindruckend. Nachdem wir ja schon ein gutes Stück auf den Berg hinauf sind, stehen wir bereits höher als die umliegenden Berge. Die hohen Berge hat Japan alle in einem Eck, das die Japanischen Alpen heißt und wieso heißen die immer noch so, das gibt s doch nicht, dass das Gebirge nur diesen Kolonialnamen bekommen hat. Aber nachdem der Fujiyama ja ein Vulkan ist, steht er so allein zwischen gar nicht so hohen Bergen. Und nachdem wir auch schnell einmal aus dem Wald raus sind, ist die Aussicht mehr oder weniger alles, was man hat. Weil es ist keine schöne Wanderroute in dem Sinn. Es ist, wie gesagt, Schutt und Geröll und das ganze hat die eine oder andere Zivilingenieurin am Hang befestigt und man geht dann in einem engen Zick-Zack einfach den Berg hoch. Zwischendurch eben ab und zu eine Zwischenstation an der einem eine Bechersuppe, eine Flasche Wasser oder „Snickers“ verkauft werden – letzteres ist, wenn ich die Zeichen richtig interpretiert habe, Code für eine Handvoll Nussvariation. Außerdem gibt s an nahezu jeder Hütte auch für zwei-, dreihundert Yen einen Stempel zu kaufen. Hier beginne ich langsam die Wanderstabkultur zu verstehen und erkenne nahezu mit Dankbarkeit, was für eine gute Entscheidung es gewesen ist, ohne aufzubrechen. Auf jeder Hütte kann man sich einen Stempel – ich glaube, die werden tatsächlich in das helle Holz gebrannt – in den Stab drücken lassen. Natürlich kann man sagen: schönes Souvenir. Aber ich seh zuerst einmal, dass man hier weiterhin konsumiert. Und zwar im Halbstundentakt. Und schließlich ergeben auch die zwanzig Zentimeter langen Staberl, die man alternativ zum zwei Meter Wanderstab erstehen konnte, einen gewissen Sinn. Und natürlich könnte man auch nächtigen. Aber wenn es mir in der Planung seltsam vorgekommen ist, dass man nicht einmal in der Nähe des Gipfels übernachtet, dann steigert mein tatsächlicher Aufstieg nur dieses Unverständnis. Außerdem bin ich flott unterwegs, die Stunden verfliegen und ich fliege schneller als die Stunden, die auf den Schildern die Entfernungen angeben.

In der Situation selbst hat das viel extremer gewirkt, wie s da oben stürmt und mit welcher Geschwindigkeit der Wind da über den Fujiyama bläst. Aber schön, dass ein bisschen Himmel zu sehen ist.

Es ist schon dicht am Weg. Also, wir hängen nicht hintereinander, aber man ist nie allein. Nicht alle sind derartige Quatschköpfe, wie sich die – stellt sich heraus süddeutschen – Burschen dankbarerweise berechtigterweise herausstellen, die meisten gehen schweigsam, vor allem im Mittelfeld. Unten haben manche noch zu viel Energie und oben, oben werden viele sehr ausdrucksfreudig. Auf den letzten eineinhalb Kilometern verdichten sich die Schilder, wie weit es noch bis zum Gipfel sei, bis dass mir dann alle zweihundert Meter angegeben wird, dass es zweihundert Meter weniger sind. Das ist nicht schlecht, weil obwohl der Anstieg so linear verläuft, versteckt sich der Gipfel zumeist in einer Wolke und die Entfernung ist deshalb kaum einzuschätzen. Und es drückt jetzt schon ganz schön in den Wadeln. Ich hab von den sechs etwa eineinhalb Stunden abgezwickt, aber das hat mich schon auch gekostet. Das Ziel, stellt sich heraus, ist auch gar nicht so sehr der Gipfel sondern ein Schrein. Und so gehen wir durch ein so ein symbolisches Tor durch, in dessen Holz die Leute kleinwertige Münzen hineingedrückt haben, und durch ein zweites. Und dann sind auch die letzten zweihundert Meter geschafft und der Wind hat zugenommen und der Nebel ist auch etwas dichter und die Finger werden kalt. Und dann gehe ich nicht nach links, zum Schrein, zu den Bänken und den windfangenden Gebäuden, sondern nach rechts, weil s dort mehr nach Gipfel ausschaut. Egal ob s a berg oda-r-a madl is / aufi muass i, de’es is gwiss, singt Alfred Dorfer in meinem Kopf. Und ich weigere mich dagegen, dass es eine Bezwingermentalität ist, die die Gipfelgier in mir schürt, ich glaub, das ist nicht intrinsisch.

Stapf, stapf, durch s Tor durch. Und im Tal liegt der Tamanaka See

Und jetzt, am Gipfel, wenn man zweitausend Meter höher ist, als irgendwas anderes in der Umgebung. Da geht ein ziemlicher Wind. Und da kondensiert der halbe Himmel und es nebelt, dass es mit der Hälfte auch bald einmal genug gewesen wäre. Aber wen finde ich natürlich ebenfalls den orkanhaften Gipfelverhältnissen trotzend oberhalb des Schreins? Meine deutschen Plaudertaschen. Und so kauere ich hinter einem Felsen, zu dem ich in einer kurzen Windstille vorgeprescht bin, um einen Blick in den Krater zu werfen. Ich kann tatsächlich nicht aufstehen, weil mich der Wind mitnehmen würde und meine Finger sind bereits so durchfroren, dass ich Schwierigkeiten habe, die Clips an meinem Rucksack zu öffnen oder zu schließen. Nicht, dass ich mir einen Tee einschenken hätte wollen, bei den Verhältnissen, aber ich hab mich mit einem getrockneten Tintenfisch belohnt, den ich mir als Gipfeljause im Geschäft gekauft hab: Gewöhnungsbedarf vorhanden, aber natürlich motiviert die Situation zum Genuss.

Den asiatischen MitwandererInnen scheint die ganze Gipfelgeschichte relativ egal zu sein. Ich mein: relativ. Weil das Erreichen schon Begeisterung auslöst. Auf den letzten Metern berichterstatten immer mehr Leute ihrem Selfiesticktelefon den Höhepunkt, auf den sie sich stetig zuarbeiten. Das, denke ich mir, das ist wie diese Selfieunfälle passieren. Weil man fragt sich schon, warum doch viele Leute dabei zu Tode kommen, von sich selbst ein Foto aufzunehmen, auch wenn sie neben einer Schlucht stehen. Aber hier sehe ich, das sind wahrscheinlich eher diese Leute, die sich während der Strapaze selbst noch im Bild halten und ihrem Telefon erzählen, wie anstrengend oder super die aktuelle Situation ist. Und nachdem letzten Tor, das das Ziel des Aufstiegs symbolisiert (nicht der Gipfel), höre ich viele Ausrufe der Dankbarkeit. Aber vielleicht ist das auch das einzige, was ich verstehe. Ich mein, ich kann sagen, dass sie nicht Guten Tag gerufen haben oder Auf Wiedersehen. Oder von eins bis zehn gezählt haben. Weil das ist es mit meinem Japanisch. Aber interessant schon, denke ich mir, wie das mit der Dankbarkeit in verschiedenen kulturellen Kontexten ist. Natürlich, ich mach gleich wieder einen kulturellen Kontext daraus anstatt einem Menschen zugehört zu haben, der auf japanisch Dankbarkeit für die Wegbeendung ausgedrückt hat. Und dem stell ich die alte Frau gegenüber, die in Maria Alm gesessen ist und als man sie fragt, ob sie stolz auf ihren Sohn sei, weil der diesen oder jenen Erfolg vorzuweisen hat, hat sie gemeint, nein, nicht stolz, nie stolz. Dankbar sei sie. Weil Gott und so. Und dann denke ich mir, dass so viele Aspekte des Lebens in Europa von Institutionen vereinnahmt und beansprucht worden sind und diese Institutionen, wie man in den letzten hundert Jahren dann zunehmend kritisch feststellt, eine lange Geschichte gewissen Fehlverhaltens besitzen und wir uns vielleicht mal mehr, mal weniger davon zu distanzieren beginnen. Von einer lustfeindlichen Kirche, von einem rassistischen Imperialismus, von einem entmündigenden politischen Autoritarismus. Mehr oder weniger. Und dann leidet vielleicht auch einmal die Dankbarkeit, weil vor lauter den Patriarchen dankbar sein und den Patriarchen dankbar sein müssen vielleicht die Wertschätzung einer Situation oder eine Hilfeleistung ein bisschen aus der Übung gegangen ist. Ein schwieriges Verhältnis zur Dankbarkeit, aber zu Recht.

Nachdem ich vom Philosophieren im selbstverschuldeten Kraterrandexil zurück in den relativen Windschatten geschafft habe, hock ich noch ein bisschen in der einen oder anderen herum und versuche durch die altbewährte Methode des Teetassehaltens wieder Wärme in die Finger zu bekommen. Ich krieg nach wie vor mehr Kiesel in den Tee geblasen als Lebenskraft in die Fingerspitzen, aber es tut sich was, ich werde alle meine Finger behalten können. Und dann noch ein bisschen Tintenfisch.

Von links nach rechts: der Schotter (-) und die Aussicht (+)

Aber ja, was tut man dann, wenn man am Gipfel ist? Man belohnt sich mit dem, was man sich bis dahin vorenthalten hat und wenn es nicht so zugenebelt wäre, dann werfe man einen Blick in die Umwelt. Durch den Nebel gestarrt zeigt sich bloß, dass mich mein Kraterrandsbesuch sicher nur auf bis zu zwanzig Meter unterhalb der höchsten Kraterrandsstelle geführt hat, das sind so die Schwierigkeiten mit einem kreisrunden Gipfel. Es reicht jetzt allerdings, ich begnüge mich mit einem Blick in die Richtung des Fujihöhepunkts und folge den Abstiegspfeilen.

Es geht flott, dass man wieder aus dem Ärgsten heraus ist. Aber dann wird s halt nochmal wirklich öd. Weil hier wiederum mehr Schutt und Geröll, die Serpentinen sind großzügiger aber Einschätzung für die Wegdauer ist dafür etwas entsprechender und es sind halt drei Stunden bergab stapfen. Ich will nicht sagen, dass es erst hier ist, dass die Bergschuhe nun wirklich zu leuchten beginnen, aber natürlich sind stabile Fesseln schon etwas wunderbares, wenn man so vor sich hin stolpert. Auch die Knie machen keine Spompanadeln, da hat mir einmal das linke ein bisschen belastet gewirkt und dann kurz darauf das rechte und ich hatte vergessen, dass es vorher das linke gewesen ist und hab mir gedacht, das sei immer noch dasselbe Knie und dann hab ich mich erinnert und mir gedacht, das ist wohl nicht so schlimm für die Knie, wenn sie sich abwechseln und ich merk s nicht einmal. Und weil der Geist frei ist, begeistere ich mich jetzt noch ein bisschen für die Geologie, hebe mal hier mal da einen Stein auf und freue mich über Formen und Farben des Vulkangesteins. Weil das ist irgendwie schon was tolles, wenn man einem Stein ansieht, dass er vor nicht allzu langer Zeit noch flüssig gewesen ist.

Na und dann bin ich wieder auf der fünften Station. Von halb acht bis dreiviertel drei, sieben und eine dreiviertel Stunde. Und nachdem um kurz nach drei der Bus mich bereits wieder nach Fujiyoshida geschupft hat, war ich um fünf schon frisch geduscht, den Kies großteils aus dem Rucksack gebeutelt und sogar die Steine, die ich mir als Andenken vom Gipfel mitgenommen hab, in den Mistkübel entsorgt, so sehr hatte ich das Adrenalin bis dahin abgebaut. So vom Gehen her, war s schon recht gut, auch wenn es insgesamt ein bisschen mehr eine spirituelle Erfahrung ist, in der relativen vulkanischen Einöde in den Wind hinauf zu stapfen und dann auf dem Forststraßenäquivalent wieder runter. Vielleicht war s ein Pech, dass das Wetter oben so stürmisch gewesen ist, auf der anderen Seite war s ein Wahnsinnsglück, dass das Wetter überhaupt so gut war, weil Freitag hat s dann tatsächlich noch geregnet und das ist sicher kein Spaß.

Aber nicht alle Wolken sind schlecht. Hier ist eine hübsche Altocumulus lenticularis, die den ganzen Tag lang über unserem Aufstieg gehangen ist

Und weil s ein Vulkan ist, gibt s auch Thermalquellen in der Gegend. Und da bin ich am nächsten Tag noch hin und hab mir eine Runde Onsen gegeben. Das gehört irgendwie noch dazu, weil da sind zwar keine Bergschuhe mehr im Spiel gewesen, aber ich war schon ein wenig muskelverkatert am nächsten Tag und da ist so ein Warmbadetag gerade das richtige.

Auch hier gibt s einen Shuttlebus, der mich von der Station abholt. Ich bin allerdings ein bisschen schlecht organisiert für diesen Ausflug, stelle ich fest. Ich hab einen Bus zu erwischen, der mich nach Tokio zurückbringt und dadurch komm ich fast ein bisschen in einen Zeitdruck, weil der Shuttlebusrhythmus so ein Klumpert ist. Ich hab schon gesehen, dass der Onsen nur vierzig Minuten entfernt ist, also: zu Fuß. Was ich nicht gesehen hab, ist, dass es nur noch zwanzig von der Busstation sind und ich nicht zwanzig Minuten hätte warten und dann zwanzig Minuten in die entgegengesetzte Richtung chauffieren hätte lassen müssen, bis der Kreisverkehr mich zurück an den Onsen gebracht hat. Pfff! Ach ja, weil nachdem der Bus beim Onsen selbst gar nicht mehr gehalten hat, bin ich von der vorletzten Station dann eh nochmal zehn Minuten gegangen.

Onsenonsenonsenonsen.

Zwischen dem Onsen und Fujiyoshida liegt ein Vergnügungspark mit verrückten Hochschaubahnen. Für mich blöd, weil ich um den Park herumgehen musst, was mir zwanzig Minuten Wegzeit beschert hat. Zwanzig Minuten Wegzeit und eine halbe Minute Panikakustik. (Zu der man sich jegliche Bewegung auf der Hochschaubahn selbst vorstellen muss – es ist nur ein Foto.)

Jetzt interessant auch, dass ich schon bevor ich mir eine Eintrittskarte kauf, meine Schuhe in einer Kiste lassen muss, auf deren Schlüssel ein Chip ist, den ich beim Rausgehen lesen lassen muss und zahlen, damit ich wieder raus kann. Es handle sich alles um bargeldlosen Bereich. Was irgendwie logisch ist, weil wo soll man s denn aufbewahren. Nein, keine Taschen, keine Hosen. Ich krieg ein kleines Handtuch und das stellt sich als sehr vielseitig heraus. Sonst lasse ich alles im nächsten Spind, und während ich noch den japanischen Bademantel anziehe, den ich ebenfalls ausgeborgt bekommen hab, dreh ich nach einem Blick durch die automatische Schiebetür wieder um und zu meinem Spind zurück. Den brauch ich hier nicht.

Jetzt. Da ist schon viel Nacktheit in so einem Onsen. Wir sind natürlich nach Geschlechtern getrennt, das fängt schon vor dem Kassenbereich (obwohl dort ja keine Kassen sind, ist wohl mehr ein Informationsbereich) an, dass die Schuhkästchen für die Frauen und die Männer getrennt sind. Und dann im Bad ist nicht so schlecht, dass hier in Japan Frauen und Männer selbst auf Toiletten immer auch farbcodiert sind, also Frauen alles rosa (mit einer Tendenz zu rot, ich betrachte das als das in dieser Hinsicht progressive Japan), Männer alles blau. Und so bin ich zumindest da zielstrebig. Mit meinem ersten Schritt ins Bad bin ich mit so viel neuem konfrontiert, gleich mal Kardinalfehler. Nicht, dass ich ganz ohne mich zu waschen ins erste Becken gestiegen bin, aber ich hab mich mehr ein bisschen nur so aus einem großen Bottich überschüttet, mehr rituelle Waschung. Während direkt daneben Duschen mit Seifen und Shampoos gestanden sind. Und die sind ja nicht einmal uneinsichtig oder besonders stabil von einander getrennt. Da sitzt man ja wirklich nebeneinander. Und man ist zum Waschen da. Dafür sind nämlich dann auch die Bademäntel, weil dann macht man sich Umkleidekabinenbereich noch hübsch, nicht nur Frisieren (sind das drei Sorten Haargel?) sondern auch Rasieren.

Aber ja, die ersten Minuten verbringe ich damit, mich über meinen Faux Pas zu sorgen, während ich die verschiedenen Bäder erkunde. Von der Architektur fand ich s auch schnell einmal interessant, weil die Männer und Frauen zwar getrennt, aber unter dem gleichen Dach sind. Und die Trennwand geht nicht bis zur Decke und so hören die einen die anderen und umgekehrt. Da kam mir schon manchmal vor, dass da drüben mehr gelacht würde als bei uns herüben, wo sich Männer ehrfürchtig vom Schlafbecken, ins aromatisierte Wasser, in die Sauna, auf die Liege bewegen. Aber dann kam eine Gruppe junger Zwanziger und ich hab mir gedacht, das ist schon sehr seltsam, weil die auch gar nichts vor einander versteckt haben, wenn sie da gemeinsam durch die Becken gestiegen sind. Ja, der eine saß sogar sehr offenbeinig am Beckenrand, während seine Kumpels bis zu den Schultern im Wasser untergetaucht waren. Das sind womöglich eigene Verhältnisse, die man da zu seinen Kollegen hat, wo das nicht mal kommentiert wird (worden scheint). Na, die haben auf jeden Fall auch manchmal ein bisschen einen Wirbel gemacht und haben diese Frau-Mann-Differenzen-Beobachtung relativiert.

Gibt s doch ein Bild aus dem Onsen, halt ohne Leute

Aber selbst der freizügige Freikörperumgang gleichgeschlechtlicher Twens hat mich weniger überrascht, als einen Fernseher in der Sauna zu finden. Dass die Sauna keine Saunaofen hatte, das ist das eine, das sind einfach unterschiedliche Saunatraditionen. Aber während im ganzen Bad verhältnismäßige Stille oder generische Massagetherapiemusik gespielt wird, kann man ausgerechnet in der Sauna dann Vormittagstalkshows schauen. Das kam mir seltsam vor. Und wie timed man seine Saunazeit, sans Aufguss? Bis zur nächsten Werbeunterbrechung? Well, I guess einfach bis man genug hat.

Zwischendurch kann man sich ein bisschen mit seinem kleinen Handtuch abtrocknen oder auf dem Weg von Becken zu Becken die eigenen gentleman vegetables verdeckt halten. Oder sich damit beim Waschen abschrubben. Wichtig ist, dass es dadurch zu einem persönlichen Gegenstand wird, den man nicht mit ins Becken nimmt. Traditionell hat man s einfach auf dem Kopf, weil der geht auch nicht unter Wasser. Aber oft genug legt man s einfach auf den Beckenrand. Da ist es gut aufgehoben. Das faszinierende ist aber doch, wie das Handtuch nass funktioniert und nach dem Auswringen tatsächlich noch gut genug zum Abtrocknen ist. Das ist schon faszinierend irgendwie. Ich mein, der ganze Onsen war angenehm warm und das ist wohl nicht nur das Thermalwasser sondern auch der Spätsommer, vielleicht ist das im Winter ein bisschen kritischer mit der Lufttemperatur. Aber ich kann mir vorstellen, dass es insgesamt schon angenehm warm ist, auch wenn s draußen winterlt.

Nachdem s bisschen abgeregnet hat, hat sich der Fujiyama auch am Freitag nochmal gezeigt.

So war das. Es war weniger aufregend als die vulkanischen Bäder in Neuseeland oder Indonesien, wo dem heißen Wasser der Geruch von Schwefel und anderen Gerüchen aus den Tiefen der Erde anheften. Um es mit einer für meine Japanbeschreibungen langsam aber sicher ausdrucksschwachen Beschreibung zu sagen: es war hübsch und schlicht, durchaus gemütlich. Und auf jeden Fall praktikabel. Wie gesagt, ich bin da mit der ritualisierten Waschung hineingegangen, aber es erschien in der Praxis wirklich etwas, wo nach wie vor der Aspekt der Hygiene eine zentrale Rolle spielt. Während man sich bei uns im Bad die Chancen dafür, dass man sich was einfängt in der Regel höher wirken, als dass man sich was auskuriere.

Hat jetzt nix besonders mit was anderem zu tun, nur weil ich den in Fujiyoshida gesehen hab: Ich einen Moment sehr überrascht darüber, dass es Zigarettenautomaten gibt, dass Zigaretten so hemschwellenfrei verfügbar sind. Mir ist dann sehr schnell eingefallen, dass es das bei uns ja total viel gibt

Nachdem ich ein letztes Mal im künstlich karbonisierten Wasser gelegen bin (weniger aufregend als man denkt), hab ich mich wie selbstverständlich auf meinem Schemel gewaschen und hab mich dann mit dem gleichen Handtuch abgetrocknet, mit dem ich mich gerade gewaschlappen hab. Und dann bin ich zu Fuß ins Hostel, wo ich noch kurz mit der Rezeptionsbesetzerin über ihren Abstieg im Regen geplaudert hab und dann wieder zurück zur Busstation. Dort noch schnell eine Schüssel Udon gelöffelt und nach zwei Stunden Autobahn wieder im vertrauten Tokio. Ich lauf trotz aller Vertrautheit sofort in die falsche Richtung. Nicht einmal sofort: nach minutenlanger Überlegung und Telefonrotation marschier ich zielstrebig los um dann festzustellen, dass ich absolut in die falsche Richtung unterwegs bin. Und for the sake of Textstrukturierung ist das ein guter Punkt um festzustellen, dass es gut ist, dass man s auf einem Berg schnell einmal merkt, wenn man in die falsche Richtung unterwegs ist.