Empfehlung mit Vorbehalt

Georgien

Irgendwas mit Hunden. Und den Sardinen und den Fischern mit ihren Angeln und sonst nicht viel zu tun. Das wär Batumi gewesen.

Da steht sie, die Medea. Quasi noch daheim, bevor man sie über s Schwarze Meer in die Fremde mitgenommen hat. Und weil sie wusste, dass es drüben kühl wird, nimmt sie sich ein Fleece mit. (Im Gegensatz zu mir/Der ich frier.)

Und dann das Nicht-Schlafen-Können, das nächtliche Aufwachen und die Geschichte mit den Gelsen in der Nacht. Wo ich dann nicht einfach zum Buch greifen kann, weil ich hab mich zwar im Großen und Ganzen an den Stephen K. gewöhnt, aber ich bin immer noch nicht wirklich bereit, mitten in der Nacht mich auf IT einzulassen. Da kann ja irgendwas kommen. Und wenn das jetzt auch schon ein bisschen her ist, dass etwas war, was mich wirklich gegruselt hat, hinterlässt mich s manchmal doch in einer Stimmung, in der ich dann nicht besser einschlafen kann als ohne.

Letztlich war s wahrscheinlich einfach das, dass ich kein Fenster hab und da in meinem Zimmerchen sozusagen die Sinn… wie heißt das? Wenn sie einem die Reize wegnehmen und man mit seinen Sinnen nur noch ins Leere greift. Reizreduktion? Erlebnisvakuum? Erfahrungsnichts? Sinnesentzug! Da lieg ich und hab schnell kein Gefühl mehr dafür, wie spät es ist. In der Nacht hab ich eher Gelsen gejagt, weil da waren ein paar, die haben mich einfach verrückt gemacht und schnell hatte ich einen Dippel am Finger und dann hat s mich eh schon überall gejuckt. Und dann hab ich immer ein paar erwischen müssen, bis ich das Gefühl hatte, jetzt hab ich sie alle erwischt.

Wenn ich dann mal einschlaf, zwischendurch, wach ich eine Stunde später wieder auf, weil mir so ein Biest über s Ohr fliegt und bazoom! ich bin wieder wach. Und dann bin ich so wach gewesen, wie man halt wach ist, wenn man wach ist. Hab ich ein paar Gelsen erschlagen und dann bin ich irgendwann auch wieder eingeschlafen, bis sich das ganze nochmal wiederholt hat. Und dann nochmal. Und immer sofort ins volle Bewusstsein hinein. Da hab ich mir noch gedacht, ob das der Kaffee ist, den ich in dem Australischen Kaffeegeschäft getrunken hab. Aber das war dann auch schon wieder zehn Stunden her gewesen und überhaupt reagier ich doch gar nicht so auf Koffein. Vielleicht war ich aufgeregt, hab ich mir zwischendurch gedacht. Weil ich ja doch, ich mein, immerhin. Weil ich ja doch auf die Fähre und ich hab ja keine Ahnung, wie das wird.

Letzten Endes war das Hotel sehr herzig. Weil halt grad gar nicht so recht Saison zu sein scheint und Batumi ist doch auf jeden Fall eine Strandurlaubsstadt, auch wenn der Strand nicht nur Kies sondern ganz schön grober Schotter ist. Aber im Schwarzen Meer gibt s halt keine Korallenriffe und keine Papageienfische die seit dutzenden Jahrtausenden Korallen in Sand zerkleinern. Und mit ein bisschen Kommunikationsschwierigkeiten in denen ich mich dann sogar an die Übersetzungssoftware gewendet habe, hab ich mein Gepäck für den Tag im Hotel gelassen, no problem. Beim Abholen hat der junge Mann an der Rezeption sich dann wirklich lieb verabschiedet und mir eine Happy road! gewünscht.

Fähre

Das hat dann gar nicht so lang gedauert. Trotzdem war ich natürlich ein bisschen nervös dann mit der Zeit.

Es ist sehr beeindruckend, wie groß alles ist ist. Ich mein, wir haben Züge auf der Fähre. Und LKWs noch und nöcher und jetzt, wo wir unterwegs sind, endlich unterwegs sind, spürt man eigentlich gar nichts. Gut, das Meer ist auch außerordentlich still, da tut sich nichts.

Ich war etwa um fünf an der Fähre. Ich hab die Kaunas schon im Hafen liegen sehen und war deshalb am Nachmittag schon aufgeregt und vorfreudig. Um sechs hat s geheißen, dass die Passagiere eingeschifft werden. Jetzt also eine Stunde früher dort. Und dann erst einmal ein bisschen gewartet. Viele waren wir nicht, eine Bank, darauf eine Handvoll Leute. Aber viele LKWs, die sich langsam unter der Brücke durchschieben und am Schranken ihre Papiere kontrolliert bekommen. Und was das dauert! Wir paar Passagiere sind da sicherlich eher die Ausnahme gewesen und sicherlich nicht oben auf der Prioritätenliste. Die Fähre, hab ich später festgestellt, sieht sich sicherlich nicht als Konkurrenz zu anderen Fortbewegungsmethoden. Die haben ihre Nische und die Nische ist LKWs und Waggons von Georgien nach Ukraine zu bringen ohne durch Russland zu müssen. So sind wir dann erst einmal länger gesessen und weil neben mir zumindest Leute waren, die die Sprache verstanden haben, in der die Polizei ihre Bemerkungen gemacht hat, hab ich darauf vertraut, dass das schon passt. Kein Problem. Inmitten dieser — wie ich annehmen durfte — Mitreisenden, vertrau ich darauf, nicht sitzen gelassen sondern vielmehr vom gemeinsamen Aufbruch mitgetragen zu werden. Und wenn da die riesige Kaunas im Hafen steht, dann wird die schon nicht abzischen, ohne dass ich s mitbekomme.

Selbstportrait mit Rucksack und Fähre

Um dreiviertel sieben hab ich dann mal bei der Polizei gefragt, ob denn, wie denn das sei, ob wir jetzt zuerst einmal alle LKW an Bord haben wollen oder was. Und da sind sie mir schon ein bisschen ausgewichen, ich glaub mehr, weil ich da mit dem Englisch daherkomme, weil ich mach ja sonst keinen besonders bedrohlichen Eindruck, ist ein Eindruck. Aber einer hat dann zumindest gesagt one hour und ich hab mir gedacht: super. Also nicht „super“-super. Aber zumindest ein Plan, eine Perspektive. Kann ich mich hinsetzen und ein bisschen lesen. Auch wenn s dunkel ist, ich bin ja nicht allein.

Kaum eine halbe Stunde später hat s dann geheißen, tschopp-tschopp!, auf geht s. Also, nicht dass es das wirklich geheißen hat. Aber die um mich sind aufgesprungen und haben ihre Gepäcksstücke zum Schranken gezerrt. Also ich auch auf und Schranken, hallo, Pass, Ticket, Austria, ja, ja, vielen Dank. Und durch die Schranke. Aber natürlich wiederum nicht unbedingt die Passagierfähre in erster Linie und so stapf ich quasi durch s Industriegelände. Und dann neben den meterhohen Waggons vorbei, die schon in die Fähre geschoben worden sind durch zum Lift und ding! steh ich in einer Hotelrezeption, dass man fast vergessen könnte, das wir auf einem Schiff sind. Bisschen niedriger vielleicht, als man s gerne bauen würde. Aber insgesamt hübsch. Und da kriegen wir alle unsere Zimmer, wir kriegen eine Nummer auf den Pass und eben eine Schicht und einen Tisch zugeteilt.

Da liegt das Meer so vor einem, wir pflügen gleichmäßig und scheinbar anstrengungslos durch s Wasser. Die Oberfläche ist dunkel wie Tinte und es ist keine Überraschung, dass das hier den Namen Schwarzes Meer bekommen hat. Aber dann sehe ich plötzlich eine Form unter der Wasseroberfläche und zuerst ist das erstaunlichste einfach, wie klar das Wasser ist, das eben noch wie dicke, schwarze Flüssigkeit gewirkt hat. Das Gehirn sucht nach einer passenden Reaktion als ich die Form als Delfin identifiziere. Irgendwas mit Freude und Glück, bitte. Tatsächlich springt da ein Delfin neben dem Schiff aus dem Wasser, der von unter dem Boot heraufgetaucht ist. Mit der Rückenflosse das Wasser schneiden und dann ein Sprung aus dem Wasser, noch ein Sprung und dann verliere ich ihn schon aus den Augen, weil er dorthin abdriftet, wo die Spiegelung der Sonne einen Blick auf s Wasser fast unmöglich macht. Im letzten Moment greife ich noch nach dem Telefon, aber mein Fingerabdruck wird nicht erkannt und da ist es eh schon, wie gesagt. Ich bin immer noch etwas verwirrt, wie ich auf diesen Moment reagieren möchte. Nochmal ein Delfin, denke ich. Und: es ist schon super, auf einem Boot, was ist es es wer, das gegen Im-Büro-Sitzen einzutauschen?

Schönes Wetter, Schwarzes Meer

Der Delfin war kaum einen Meter groß und ich glaube, er hatte einen klar abgesetzten hellen Bauch. Während ich so brüte, kommen noch zwei Delfine von backbord auf die Fähre zugeschwommen. Die Rückenflosse teilt das Wasser, dann ein, zwei Sprünge und sie tauchen unter der Fähre durch. Kein Sinn zu versuchen, auf die andere Seite zu laufen, da ist zu viel Fähre dazwischen. Aber ich schau noch ein bisschen auf das Schwarze Meer und denke an die Antike oder die Zukunft. An Delfine und Tauchen und auf einem Boot sein. An die warme Sonne auf meinem Gesicht und daran, dass ich noch einmal die Flip-Flops herausgeholt hab, obwohl ich mich von denen am Flughafen in Bangkok schon für den Winter verabschiedet hab.

Das Essen ist ok. Es ist eine Überraschung in erster Linie, dass wir zu essen bekommen. Ich hab extra noch ein Geld abgehoben gehabt, aber das muss ich jetzt wohl irgendwo wechseln. Wir essen in zwei Schichten, das wird ausgerufen. Die erste Schicht wird auf russisch und englisch ausgerufen. Ich bin mir nicht sicher, ob es überhaupt eine zweite Schicht gibt, weil die wird nur noch auf russisch ausgerufen und das versteh ich nicht. Kann auch ukrainisch sein, muss ich zugeben, weil wie gesagt, ich versteh s nicht und da könnte es beides sein. Aber in der ersten Schicht sind wir vier Ausländer. Zwei Amerikaner, der Koreaner, mit dem ich das Zimmer teile und ich.

Überraschenderweise haben sie mich in ein Doppelzimmer hochgestuft. Ich hab mich aus Kostengründen für das Dreierzimmer entschieden, aber sie scheinen da die Ausländer zusammenzutun oder vielleicht liegt eine andere Motivation dahinter, die sich mir nicht erschlossen hat. Auf jeden Fall sitzt in meinem Zimmer schon L., der Koreaner, der seit März in Osteuropa unterwegs ist und Anfang Dezember wieder nach Seoul zurückfliegt. Es ist eigentlich eh ganz nett, dass sie uns da zusammengesteckt haben. Insgesamt ist es nicht unwitzig, der Koreaner, der ein halbes Jahr durch Osteuropa getingelt und der Österreicher, der ein halbes Jahr durch Ostasien getangelt ist. Wir sind nicht ständig am Quatschen, aber wenn, ist s ganz interessant, so ein bisschen gegenseitig die Eindrücke abzutesten.

Schade aber, denk ich, dass ich nicht irgendwelche koreanischen Spezialitäten einstecken habe, das hätte ihm vielleicht eine Freude gemacht. Lustig auf jeden Fall, wie KoreanerInnen oft eher mit Erstaunen darauf reagieren, wenn ich sage, dass ich in Korea war. Ich sei vorher in Japan gewesen. Ah, sagt er, dann macht das schon mehr Sinn. Als ob Korea nicht einen Besuch wert wäre. Und wie lang? Nun, kaum eine Woche in Seoul. Das reiche dann aber auch schon wieder, sagt er. Naja, sag ich, es dauert schon, dass man die Kultur verstehen lernt. Oder überhaupt erst zu erkennen.

Aber natürlich bin ich auch mit einer ähnlichen Einstellung nach Seoul geflogen, dass das reichen müsse. Und jetzt hab ich immer ein bisschen ein… nicht gerade ein schlechtes Gewissen. Aber das Gefühl, dass ich Korea nicht wirklich gesehen hab. Es ist mehr so um eine Idee zu bekommen. Aber vielleicht ist es eh nie mehr als das. Immer nur eine Vorbereitung für den nächsten Besuch.

Dank GPS hab ich ab und zu mal geschaut, wo wir uns zirka befinden und so unsere Route grob dokumentiert

Und wir haben eine eigene Schiffszeit. Das ist witzig irgendwie. Letztlich ist das Schiff, auf dem ich die meiste Zeit verbracht hab, die USS Enterprise 1701-D und immer wenn ich irgendwelche Schiffsspezifika lerne, ordne ich die in meine Raumschiffkonzeption ein, weil das immer noch die ausführlichste vergleichbare Vorstellung von so etwas ist. Natürlich braucht s eine eigene Zeit auf dem Schiff, wenn man zwischen zwei Punkten mit verschiedenen Zeiten unterwegs ist.

Um zwei in der Früh (ich glaube Schiffszeit, also vier Uhr in Batumi, da lagen wir noch im Hafen) sagt die Dame mit der netten Stimme über die Sprechanlage, dass wir bitte zur Passkontrolle in die Bar runterkommen sollen. Leicht grummelig zieh ich mir Hosen an und rutsche von meinem Stockbett herunter. Wir sind die letzten in der Schlange. Vielleicht weil die Durchsage zuerst auf russisch gemacht wird und dann auf englisch wiederholt? Oder weil unser Zimmer das letzte am Ende des Gangs ist? Oder einfach weil wir keine Ahnung haben, wie da der Ablauf ist und die anderen alle LKW-Fahrer sind, die diese Strecke regelmäßig zurücklegen?

Was wir nicht die letzten in der Schlange sind, werden wir „überholt“. Die Leute hier am Schiff, die sind irgendwie nicht so gut mit dem Anstellen, das ist irgendwie was, da fehlt ein bisschen die Disziplin oder wie man das auch nennen will. Ist oft einmal, dass sich wer vordrängt, aber dann wiederum so nonchalant dass es so scheint, als bestünde da gar kein Unrechtsbewusstsein. Zum Beispiel der ältere Herr, der sich von hinter mir in der Schlange vor mir auf die Bank setzt, denk ich mir, der will sitzen. Aber er steht dann tatsächlich auf, als die Person vor mir fertig ist und lässt seinen Pass stempeln. Das fand ich schon frech. Aber soll ich mich jetzt echauffieren über sowas? Da konnte ich schnell loslassen. Viel schneller als das eine Mal in Armenien, als mir der Typ hundert Dram zu wenig rausgegeben hat für mein Brot, was jetzt keinen Unterschied machen würde, weil der Gegenwert so gering ist, aber das Brot hat nur hundert Dram gekostet und dann war das also doppelt so teuer und er reicht mir eine Handvoll Zwanzigdrammünzen auf meinen Fünfhunderter und natürlich zähl ich die nicht, aber…

Auf der anderen Seite dauert das bei den LKW-Fahrern doppelt und dreifach so lang, weil die nicht nur einen Pass gestempelt sondern auch ihre Fahrtpapiere kontrolliert bekommen müssen. Und trotzdem gelassen, fast gleichgültig gegenüber dem Vordrängen. Nicht nur, weil da so viele große LKW-Fahrer sind, die har-har-har lachen, Jogginghosen tragen und deren säuerlicher Körpergeruch selbst Schweißfüße hat. Da komm ich ein bisschen ins Nachdenken über Männlichkeitskonzepte und darüber wie sehr anderen den Platz geben, diese anderen in dem Gefühl bestätigt, sie könnten sich schon nehmen, was sie wollen. Wer bin ich, dass ich anderen Leuten Grenzen setzen soll, wo s mir doch bei mir selbst schon so schwer fällt, hier mit Augenmaß vorzugehen, rechtfertige ich meine Passivität. Und überhaupt, wir kommen ja eh erst los, wenn alle erledigt sind. Literally: alle im selben Boot. Erst wenn der letzte Pass gestempelt ist kann die Grenzpolizei von Bord und erst dann können wir loslegen. Und ob ich jetzt in meinem Stockbett liege und warte oder irgendwo steh und warte, kommt ja auf s gleiche raus, ganz ehrlich.

Angeblich sind wir um fünf dann los, da bin ich schon längst wieder im Bett gelegen. Hab ich nichts bemerkt. Der gesprächigere von den zwei Amerikanern, die mit uns am Tisch vierzehn (erste Schicht) gesessen sind, hat das erzählt. Aber ich hab nicht gefragt, ob das Schiffszeit oder Batumizeit war. War nicht so wichtig. Wir sind jetzt erst einmal unterwegs gewesen und das hat gedauert. Am ersten Tag war s Wetter noch hübsch und die Delfine unterwegs. Am zweiten Tag war das Wetter dann schon mehr so, wie s mich dann in Odessa auch empfangen hat. Also mehr so bisschen diesig und nicht so schön, windig, bewölkt, kühl. Da bin ich aber ganz schön weiter gekommen, in meinem Stephen King.

Zwischendurch halt immer mal eine Mahlzeit. Drei Mahlzeiten am Tag! L. und ich bekennen einander, dass wir schon lange nicht mehr mit so einer Regelmäßigkeit oder vielmehr mit so einer Häufigkeit gegessen haben. Lachend und mit Schwung springe ich auf die Stimme über die Ansagenanlage von meinem Bett und schlüpfe in die Schuhe. Sicher zwei,-, dreimal mit der Bemerkung, dass es nichts anderes zu gäbe, als Essen und Schlafen. Wie bei den Großeltern. Auch das funktioniert zwischen Seoul und Wien. Wir warten immer die englische Übersetzung ab, auch wenn ich anhand einiger Schlagworte aus der russischen Durchsage bereits die Einladungen zum Essen erkenne. We wish you bon appetit. Please don’t be late.

Schlechtes Wetter, Schwarzes Meer. Sicher zwei Drittel der Decks waren auch einfach abgesperrt. Man konnte weder am Heck stehen und in die Spur starren noch im Bug stehen und sich gestreckter Arme als König der Welt ausrufen.

Am zweiten Tag, noch vor der vierzigsten Stunde, die wir auf… ab wann ist es „hohe“ See? Auf jeden Fall leuchtet uns Odessa entgegen. Also zuerst sieht man den Himmel schimmern, die nächtliche Helligkeit Odessas, die die darüberliegenden Wolken in gelb-rosa Schimmern taucht. Nehm ich an, weil wir sitzen beim Essen, als nach und nach Telefone zu Klingen beginnen. Wir kommen wieder in Reichweite der Telekommunikationsnetzwerke! Und tatsächlich leuchtet dann nicht nur der Himmel sondern bereits auch erkennbare Lichter am Horizont. Und es ist nicht Odessa, auf das wir zusteuern sondern Chornomorsk. Weil da ist der Hafen, an dem die LKWs von Bord wollen und die Waggons eine Lokomotive finden, die sie wieder durch das Bahnnetz zieht. Hurrah, sag ich, das geht sich ja super aus. Weil ich hab schon gefürchtet, erst im Morgengrauen anzukommen und dann erst recht verloren ins Land blickend am Ufer zu stehen. Aber jetzt, jetzt wird sich das locker ausgehen, dass wir um zehn im Hostel sind.

Chernomorsk am Horizont

Ukraine

Ist natürlich ein Irrtum. Als ob ich den langwierigen Eincheckprozess von vor kaum eineinhalb Tagen komplett vergessen hätte. Weil erst einmal dauert s natürlich, bis das Riesenschiff in die Hafeneinfahrt ist und dann umdrehen und rückwärts in die… Bucht. Was auch immer. Und langsam, so langsam. Das ist schon beeindruckend, da könnte ich stundenlang zuschauen und hab ich wohl dann auch. Auf dem Meer, denke ich, auf dem Meer merkt man ja nicht so, was für ein Riesentrumm diese Kaunas ist. Aber am Ufer dann, relativ zu den Hafenanlagen gleich wieder enorm riesig. Und da muss man natürlich langsam vorgehen. Ich denke wieder an Star Trek oder vielmehr an Perry Rhodan, wo die Anlegemanöver immer Stunden gedauert haben und ich mich immer gefragt hab, was die da machen, stundenlang. Weil eben in Star Trek haben sie die Zeit nicht, selbst in der Space Odysee geht das relativ flott. Aber in so einem Roman schreibt sich natürlich schnell einmal, dass sie acht Stunden später wieder terranischen Boden unter den übergroßen Mäusefüßen hatten. Mit was für einer Vorsicht und Geduld eben.

Die aufregende letzte Minute des Anlegemanövers. Das Betonerne ist das Dock, das Blaue ist die Kaunas. Und ein bisschen überraschend, dass es kein Geräusch macht, wenn so ein Schiff stehen bleibt. Kein Klatschen, kein Zischen… Nicht mal das langsame Abklingen der Motoren folgt dem Stillstand.

Eben Geduld. Aber das sind mechanische Notwendigkeiten oder kann ich als solche verstehen. Dass wir dann schon wieder stundenlang Schlange stehen, weil die ukrainische Grenzmiliz natürlich auch nicht irgendwen ins Land lassen will und schon gar nicht irgendwelche LKWs, das ist eher nervig. Diesmal haben sie s nicht mal mehr auf Englisch durchgesagt und wir finden das nur zufällig heraus, während wir mit sich reduzierender Aufregung über die Decks laufen, dass die Leute da zur Passkontrolle anstehen und nicht in den Startlöchern um in ihre Autos zurückzudürfen.

Mein Milizbursche dreht und wendet meinen Pass in der Hand. Vielleicht ist das vis-a-vis Nationalstolz und sowas schwer, aber ich würde ja raten, auf die Vorderseite des Passes bereits das Wort Austria zu schreiben. Niemand weiß woher der Pass kommt. Groß Austria und Europe. Und dafür den hässlichen Feudaladler weglassen mit diesem furchtbaren Kommunismus-überwunden Relikt. Das hilft. Man muss es sich ja nicht gegenseitig schwer machen. Oder halt den jeweiligen Grenzkontrollen. Vor allem, wenn man sagt, dass das ein verhältnismäßig guter Pass ist, in dem Sinne, dass er einem viele problem- und manche visafreien Eintritte erlaubt. Dann soll man doch bitte das auch im Design vielleicht erkennbar machen.

So dreht und wendet er den Pass, fragt mich, ob ich Russisch spreche, was ich verstehe, aber auf Englisch verneine. Ich glaube, ich hab meine Russischkenntnisse sogar auf Spanisch ausgedrückt, um mich möglichst weit von einem russischen Interview zu distanzieren. (Und ja, ich verwende hier überall schon Russisch als Synonym für Ukrainisch. Ich kann s nicht unterscheiden. Und der Grenztyp hat mich sicher nach Russisch gefragt, also was soll s.) Wendet er sich an seine Kollegin, die hinter ihm irgendwas in einen Computer tippt. Die nimmt den Pass, er sagt ihr schon Austria, was er auf der zweiten Seite schon herausgefunden hat. Sie blättert den Pass durch, mit dem Daumen, so man offenbar in der internationalen Grenzadministrationsschule lernt, einen Pass durchzublättern. Schrubb-schrubb-schrubb-schrubb-schrubb. Wo ich hinfahre, fragt sie mich. Ob ich allein reise, fragt sie mich. Das versteh ich allerdings nicht sofort: You travel one? Ah, sag ich, als sie mit girlfriend, friend Beispiele für Nicht-Allein-Reisen nennt. Ja, alone. Schulterzuckend gibt sie den Pass dem Kollegen zurück, der eine leere Seite sucht und seinen Stempel setzt. Welcome to Ukraine, leidenschaftslos.

Das war noch halbwegs lustig. Dann verlassen wir das Schiff und die Pässe werden nochmal kontrolliert. Bus, werden wir zu einem Bus verwiesen. Ich bin mir sicher, dass der nur um die Ecke fahren wird, sag ich zu L. während wir im Bus auf s Losfahren warten. Nach zehn Minuten fährt der Bus nicht einmal drei Minuten um die Ecke zur nächsten Kontrollstation. Hier betreten wir ein Haus, in dem wir erst einmal wieder fünf Minuten vollkommen alleingelassen herumstehen. Mit uns wartet auch eine Familie, die wirkt, als ob sie von Georgien nach Ukraine übersiedeln würden. Zusätzlich zu ihren Koffern bringen sie säckeweise Klumpert und sogar eine in ein Plastiksackerl eingewickelte Topfpflanze mit sich. Ich weiß nicht, ob sie besser wissen, wie der Immigrationsprozess abläuft, sprachlich sind wir einander nicht erschließbar.

Ein letzter Blick zurück in den Ladebereich der Fähre. Da gehen, wie man sieht, die Geleise hinein und da waren ja auch tatsächlich Eisenbahnwaggons geladen. Darüber war noch eine zweite Ebene, auf der die LKWs gestanden sind.

Irgendwann werden wir ins nächste Zimmer geleitet und dann wieder hinausgescheucht: Bitte Abstand zu halten, hier wird geröntgt, hier arbeiten Professionelle, bitte das ernst zu nehmen. L. steht günstig und ist schnell erledigt. Ich stecke in der Familie fest (typisch!) und die Gleichgültigkeit gegenüber effizienten und geordneten Verwaltungsprozessen zeigt sich auch, wie ich finde, darin, dass niemand von ihnen sagt, da, geh vor, das geht schneller. Und ich tu ihnen unrecht. Weil einer der Söhne deutet mir kurz darauf, da, geh vor, das geht schneller. Danke, nicke ich, durchaus etwas schuldbewusst. Ich hatte gerade genug Zeit, mich in dieser diagnostizierten Gleichgültigkeit ein bisschen hochzustrudeln, dass ich mich fast geärgert habe darüber, dass sie mir nicht anbieten, doch schnell vor ihnen durch die Kontrolle zu huschen. Ohne natürlich von meiner Seite her auch nur irgendwie anzudeuten, ob ich nicht…

Na und dann stehen wir in einem Industriehafen. Oder wie auch immer man das nennen möchte. Wir stehen im Nichts. Vor uns steht ein Großraumtaxi aber wir haben beide kein Geld. Immerhin haben wir einander, denk ich mir und überlege, dass ich dank L. weiß, dass es einen Bus gibt, dank L. überhaupt einen Plan habe, weil ich vergessen habe, mir den auf s Telefon zu laden und… und was hab ich zu bieten? Auf jeden Fall ist es um halb elf in der Nacht in einem fremden Land angenehm, jemanden dabei zu haben, ob sich der jetzt auskennt oder nicht. Und wir beschließen einmal zur Busstation oder zumindest zur „großen Straße“ zu gehen, dort finden wir dann vielleicht…

Als erstes stellen wir fest, dass die „große Straße“ eine Brücke ist, auf die wir rauf müssen. Das ist ein bisschen ein Umweg, vor allem, weil wir den kurzen Weg erst von oben erkennen, erst erkennen, nachdem wir die Ziegenherde umrundet haben, die hier in der Nacht grast. Über die Brücke, den Lichtern entgegen. Das schaut ja nicht so schlecht aus. Und es ist nicht soooo kalt. Und es regnet nicht. Auch wenn s auf elf zugeht, wir sind optimistisch. Das Licht ist eine Tankstelle und dahinter ist eine Bar, die ein bisschen an From Dusk Till Dawn erinnert, aber das ist nicht überraschend, weil immerhin ist das alles eher Truckerland. Auch wenig überraschend ist, dass da heute kein Bus mehr zu fahren scheint. Zugegeben, es wirkt ein bisschen trist. Noch zur nächsten Tankstelle, frage ich? Vielleicht können wir dort ein Taxi rufen, wenn wir keins finden. Aber da hat L. schon die Hand ausgestreckt und das nächste Auto blinkt und fährt auf uns zu… um dann doch nicht stehenzubleiben. Aber schon das nächste, ein VW-Bus, ein vielleicht roter VW-Bus bleibt stehen. Odessa?, fragt L. in den Bus hinein. Sicher, sagt der Fahrer, steigt s ein. Er sagt das auf Russisch. Die Verständigung beschränkt sich auf ein Minimum, aber wir kommunizieren dank Telefon, wo wir zirka hinmöchten. Ziemlich sicher, dass der Fahrer dort nicht hinmusste, das war einfach nur eine mich nach wie vor erblassen lassende Freundlichkeit, dass uns der zum Bahnhof geschupft hat. Aber er hat uns geschupft. Und während ich anfangs mit meinem GPS ein bisschen gecheckt hab, ob uns der eh nicht auf seine Organfarm entführt, hab ich mich irgendwann auch genug entspannt um zu finden, dass die Musik im Radio genauso klingt wie die Elektropop-CD, die ich 1996 in Moskau gekauft hab. Oder vielleicht hat mir die Vertrautheit der Musik auch die Sicherheit vermittelt.

Es ist nicht mal halb zwölf und wir stehen wir dank the kindness of strangers in Odessa am Bahnhof. Und dann gibt s noch ein Internet und ich krieg die Straßenkarte von Odessa auf mein Telefon und eine Wegbeschreibung und alles picobello. Danke, sag ich, das hätte ich nicht geschafft. Und wir verabschieden uns in verschiedene Richtungen. Meine Sorge ist jetzt nur noch, ob das Hostel noch offen hat und ich beeil mich ein bisschen, um vor Mitternacht da zu sein. Oder auch, weil das alles ein bisschen märchenhaft glatt gelaufen ist und ich Gefahr laufe, dass sich meine gläsernen Schuhe in Luft auflösen. So laufe ich mit meinem Rucksack durch s nächtliche Odessa und finde alles eigentlich sehr ansprechend. Der Boden ist uneben, aber die Lichter freundlich und die Luft gerade erfrischend genug, nicht kalt zu sein. Das Monument von Peter und Gavrik weist mir den Weg nach links und wie ganz viele meiner Gespräche, die ich mit Leuten hier führe, antworte ich auch der Stimme durch die Hostelgegensprechanlage mit sorry. Weil es ist ein bisschen spät, aber ich hätte da diese Reservierung. Sicher, kein Problem.

Am nächsten Morgen wecken mich die Kinder, die im Hof in ihren Jacken und Mänteln Volleyball spielen, von einem weißhaarigen Trainer begleitet, der ab und zu in seine Pfeife bläst. Wunderbare Osteuroparomantik.

nothing like

In Thailand hab ich ja wieder relativ viel Tee getrunken, weil das am Boot das praktischste gewesen ist. Auch einmal ein Cola an so einem Tauchtag, es ist ja doch recht anstrengend. Und dementsprechend hab ich auch meinen Tee mit einem Löffel Zucker getrunken. Milch, wenn da war.

Auf den Philippinen hab ich hingegen mehr Kaffee getrunken. Und das ist jetzt auch nicht unbedingt Kaffee gewesen… also, da hab ich schon auch ein bisschen die Bandbreite erweitert, was Kaffee betrifft. Allerdings hab ich den ja meistens nicht selber angerührt, deshalb weiß ich gar nicht genau, was das war. Ich glaube, der Kaffee hat sich 3-in-1 geheißen, weil da Kaffee, Milch und Zucker praktisch gemeinsam in einem Sackerl aufgehoben werden und bei Bedarf mit dem heißen Wasser angerührt werden. Und das ist wirklich ganz ok gewesen, als Zuckergetränk und revitalisierend nach und zwischen dem Tauchen.

Allerdings hab ich versucht, in Thailand am Boot mir so ein 3-in-1 anzurühren und war immer etwas enttäuscht darüber, dass der Geschmack nicht den der Zuckermilch mit sanften Kaffeearomen erreicht hat, die ich mir auf den Philippinen langsam eingestanden habe, schmackhaft zu finden.

In Novosibirsk hatte ich einen Tee am Flughafen… ich bild mir ein, da war irgendwas, wo ich mir gedacht hab, schau an, Russland, die haben gleich wieder eher eine Ahnung, was Tee alles sein kann. Fallt mir nicht ein, wahrscheinlich war s bloß, dass sie mir fünf verschiedene Sorten zur Auswahl gegeben hat und ich dann mit meinem Assam dagesessen bin.

Das wiederum bringt mich kurz zu einem Gespräch, das der Adam Buxton mit dem Philipp Pullman geführt hat und podcästlich veröffenlicht hat. Und da sind sie zuerst auf einem Spaziergang (durch die Felder vom Herrn Pullman; um den muss man sich scheinbar keine Sorgen machen) gewesen und dann sind sie in die Casa Pullman zurückgekehrt. Und da sagt der Pullman “Would you like some tea or coffee?” und der Buxton antwortet “I’d love some tea, thank you!”. Und irgendwie fand ich das so nett, weil es, so stellt man sich zumindest von außerhalb vor, ein sehr alltäglicher Wortwechsel ist, den man in Großbritannien im Oktober wohl öfter zu hören bekommt. Aber dem Buxton sein Antwort klang fast ein wenig überrascht darüber, dass ihm jemand einen Tee anbieten würde und einfach ehrlich erfreut gegenüber der Aussicht auf eine Tasse Tee.

Minuten später haben sie sich dann noch über den Tee unterhalten und der Herr Pullman erklärt, dass das ein Teil Lapsang sei und vier Teile Assam, weil er sei eigentlich kein Fan von Lapsang, aber so eine Ahnung von der lapsang’schen Rauchigkeit habe er ganz gern in dem kräftigeren Assam. Fünf Sterne für Teegespräch.

In Armenien hab ich dann vor allem den Thymiantee getrunken, weil mein Hals einfach und dann hab ich das Gefühl, das hilft. Auf der Tagung zwischendurch mal einen Grüntee. Der Thymian, da hab ich mir im Hostel dann einfach die Thermoskanne am Heißwasserspender gefüllt, zwei Beutel hinein und wer weiß schon, wie sehr mir das geholfen hat. Aber das zählt natürlich nur so halb als Tee. Und genusshalber hab ich auch öfter einmal zum Kaffee gegriffen. Weil in Armenien machen sie etwas, das sie armenischen Kaffee nennen und was im Wesentlichen ein türkischer Kaffee ist. In den ersten Tagen hab ich bei einem der unzähligen Kaffeestandeln, die in Eriwan die Straßen säumen einen black coffee bestellt und zu meiner Überraschung einen türkischen Kaffee im Pappbecher bekommen. Das war ganz witzig, sie hatte da so eine Türkischer-Kaffee-Kanne, die sie direkt in den Strom eingesteckt hat und die dementsprechend selbst erhitzt hat. Und ratzfatz war der Kaffee fertig. Und dann auch gar nicht so schlecht tatsächlich.

Es war aber eine ziemliche Ausnahme, das zu bekommen und ich bin dann oft einmal quer durch die Innenstadt gelaufen, bis ich zu dem einen Standl gekommen bin, wo sie den verkauft haben. Allerdings war die Verkäuferin vom ersten Tag bei meinen Folgebesuchen nicht mehr da war und die anderen das nicht so gut hinbekommen haben, meinen Geschmacksknospen zufolge. Schade. Aber auf dem Weg zum Kaffee hab ich mir einen Granatapfelsaft gekauft und das war jedes Mal super und jedes Mal ein bisschen weniger verrückt, die schönen Granatäpfel durch die Presse zu jagen anstatt in stundenlanger Arbeit sorgfältig auseinander zu klauben.

Der Kaffee auf der Tagung hingegen, da haben sie leider ein bisschen die Prioritätensetzung verpasst. Weil das war ein löslicher und da sind die Damen und Herren WissenschaftlerInnen dann doch ein bisserl sensibel. Und am Nachmittag sind die Leute dann schon mit den Pappbechern herumgestanden, weil wie gesagt, Standeln gibt s genug. Nachdem ich in der Situation auch sonst einfach zum Tee greife, stell ich mir viel öfter die Frage, ob s nicht größere Häferl gäbe, weil in so einem Achter Heißwasser meinen Teebeutel zu versenken und dann warte ich drei Minuten für s Ziehen und dann warte ich noch drei Minuten darauf, dass er trinkbare Temperatur erreicht. Und dann nehm ich die zwei Schluck Tee, die ich mir da aufgebrüht und ausgekühlt hab und dann steh ich quasi schon wieder am Heißwasserspender. Ich verstehe, dass man Kaffee nicht aus den Halbliterhumpen herausschlabbert, aber wenn man beim Tee den Zubereitungsprozess „privatisiert“, die Zubereitung einzelner Teeschalen ist schlichtweg unpraktisch.

In Tbilisi heißt der Armenische Kaffee dann wieder Türkischer Kaffee

Drunter und drüber

Dann kam der Moment und der Moment brachte M. Ich bin nicht mehr allein unterwegs und das ist erfrischend. Die Welt direkt zu kommentieren, einen zweiten Blick zur Verfügung zu haben. Aber es eröffnet nicht nur Möglichkeiten, es frisst auch Zeit, frisst die Zeit, in der ich mich langweile und nach Gesellschaft sehne. Frisst die Zeit in der ich meinen Gedanken nachhänge und Zeit in der ich mich besinne und die Vergangenheit in eine Form bringe. Eine nachhaltige Form des So-ist-es-passiert. Geschichte schreiben.

Eben war ich noch in der österreichischen Botschaft und erlebe die Heimat als bürokratischen Verwaltungsapparat, wenn ich mich für den Eintritt erklären muss und dann ein dickes Kuvert überreicht bekomme. Aber mit Erleichterung stelle ich fest, dass ich nicht der einzige, dass ich nicht der letzte bin, der hier seine Wahlkarte in Empfang nimmt. Und dann viel zu viele Namen und Listen und ich mach mein Kreuz und steck meinen Wahlzettel ins Kuvert, den Rest in meine Tasche. Und jetzt liegt selber der Effekt dieser Handlung schon in der Vergangenheit. Ein paar Tage später lese ich übrigens die Listen und wunder mich, warum Parteien mehr Leute auf ihre Listen setzen als es Plätze im Parlament gibt. Ja, ja, da sind wohl irgendwelche Vorzugsstimmenwahlkämpfe versteckt, aber so die Listen durchzublättern und auch nur 183 Leute auf einer Liste zu sehen wirkt ein bisschen nach Arroganz.

Auf einen Sprung zurück in Tokio

Insgesamt gibt s für mich sonst nicht viel zu tun in der Botschaft. Ich überfliege schnell einen Prospekt über österreichische Kulturveranstaltungen August bis September und sehe, dass ich eine Klimtausstellung in Osaka verpasst habe. Aber ich bin insgesamt schnell wieder draußen und wander noch ein bisschen verloren durch die Gassen des – wie ich annehmen muss – Botschaftsviertels. Warum sonst würde ich hier so viele blonde Frauen auf Fahrrädern-mit-Kindersitz-hinten-drauf sehen. Und obwohl ich Tokio deutlich weniger fordernd finde, als vor zwei Wochen, lauf ich dann vor lauter Tokio doch noch über eine rote Ampel. Neben mir bremst ein größeres Auto, aber so sanft, dass ich es überhaupt erst bemerke, als es bereits stehengeblieben ist. Natürlich ein bisschen ein Schreck auf meiner Seite. Und sofort denke ich, dass das jetzt wirklich nicht… also natürlich war das mein Fehler. Ich hab nicht damit gerechnet, dass zwei aufeinanderfolgende Ampeln nicht gleichgeschaltet sind, selbst wenn die Verkehrsinsel zwischen den zwei zu überquerenden Straßen nur drei, vier Meter breit ist. Auf besagter Verkehrsinsel steht eine uniformierte Person und sofort bin ich als braver österreichischer Staatsbürger für eine unterwürfige Geste zu haben. Aber nichts da: die Person in Uniform schlägt selbst die Augen zu Boden, reagiert das offizielle Tokio also eher mit Enttäuschung als mit Strafe auf meine Gesetzesschramme?

Auf dem Weg zurück zum Bahnhof such ich mir noch ein schickes Kaffeehaus, in dem ich nicht nur eine Tasse indonesischen Kaffee trinke, sondern mithilfe der Möglicherweise-e-die-Besitzerin meine Postkarte an das hiroshimanesische Restaurant adressiere. Und dann heißt s mich sputen, damit M nicht allzu verloren auf dem Bahnhof herumsteht. Wir haben noch einen Zug zu erwischen und er hat elf Stunden Flug hinter sich, ich bin mir sicher, der möchte sich setzen. Ich hab noch ein Internet auf meinem Telefon, aber die freien Wifis, die in der Stadt zu finden sind, sind nicht immer einfach und ich bin nicht sicher, ob meine Beschreibungen des idealen Treffpunkts so verstanden werden, wie ich mir das erträume.

Aber alles kein Problem, da steht er schon, unerwartet frisch und munter, den Railpass in der Tasche und ein dementsprechendes Lachen im Gesicht. Es geht fast alles ein bisschen zu glatt. Ein fröhliches Hallo und auch nach acht Monaten gleich in die selbe Vertrautheit zurück, wie in die Lederhandschuhe vom vorigen Jahr. Im Shinkansen kriegen wir bloß Sitze hinter- beziehungsweise voreinander, aber mit einem Blick durch die Sitzreihen zurück stelle ich fest, dass das auch nicht so schlecht ist, weil dann kann sich M noch ein bisschen ausruhen. Ist ja doch eine lange Reise. Von Wien nach Tokio, von Tokio nach Hakodate.

Weil wir sind jetzt noch stundenlang unterwegs, inklusive einer unauffälligen Querung der Meerenge zwischen Honshu und Hokkaido. Weil es draußen bereits dunkel geworden ist, merken wir kaum, dass wir in einen Tunnel hinein und aus einem Tunnel wieder hinaus sind. Glücklicherweise bekommt M von seinem Sitznachbarn über gemeinsames Gestikverständnis erklärt, wie ein Tunnel funktioniert, erfahre ich später. Und eine getrocknete Jakobsmuschel, die zugegebenermaßen sehr wie ein Karamellbonbon ausschaut, und deshalb umso mehr für den eben noch aus Europa geflogenen Gaumen ein bisschen eine Überraschung darstellt.

In Hakodate finden wir zu unserem Schachtelhotel, ein kleiner Spaziergang durch unsere erste Stadt Hokkaidos. Es ist schon einmal deutlich kühler als in Tokio, mich friert s fast ein bisschen auf den von meiner Hose nur halbbedeckten Wadeln. Im Schachtelhotel werden wir enthusiastisch begrüßt und es wird uns ein Foto mit Fahne in der Hand abgenommen. Ich mein, einfach weil sie tatsächlich eine österreichische Fahne dort stehen hatten, das hat mich einen Moment lang beeindruckt. Weil zuerst hat man uns die australische Fahne angeboten und wenn ich nicht gedacht hätte, dass sie jetzt sicher keine österreichische da stehen hätten, hätte ich die ja nicht abgelehnt. Im Zweifelsfall nämlich sowieso lieber mit der australischen, nicht weil ich lieber mit einem australischen Pass herumlaufen würde, einfach weil die Abstraktion eine größere ist, wenn ich mich weniger mit der Fahne identifizier (ob ich will oder nicht), die ich in der Hand halte. Und dabei sind wir bei weitem nicht die einzigen euro-amerikanischen Gäste. Der Enthusiasmus scheint wirklich Standard zu sein.

Auf den ersten Blick gleich einmal, wofür sich Hakodate rühmt. Mein Hiragana reicht übrigens grad dafür aus, dass das, was da unterhalb von „Hakodate“ geschrieben steht, sicherlich nicht „Hakodate“ heißt!

Ein erstes japanisches Abendessen für den Freund von daheim in einem guten aber von sehr distanzierten Unternehmern geleiteten Rahmenlokal. Daheim gibt s noch einen Becher Gerstentee, bevor wir in unsere mit Rollo verschließbaren Bettkabinen kriechen. Wie Aschenbecher, sagt er und meint den Tee. Aber auch in unseren Schlafverschlägen ist es spätestens am Morgen heiß und stickig.

Wir verlassen das Hotel ohne die hunderttausend Freizeitangebote in Anspruch genommen zu haben, die uns zur Verfügung gestellt werden. Ich hab kurz die Kalligraphie ausprobiert und schnell festgestellt, dass mein Asienaufenthalt meinen plumpen Pinselstrich nicht beeinflusst hat. Am Klavier spiele ich wohl nicht einmal eine Melodie sondern tappe nur ein kurzes ping-ping um eine Idee vom Klang zu bekommen. Sofort springt jemand hinter der Rezeption auf und man deutet mir zur Motivation, ich solle doch, ich würde doch bitte. Aber wir haben schon die Rucksäcke umgeschnallt und machen uns auf den Weg zum morgendlichen Fischmarkt.

Den morgendlichen Fischmarkt haben wir um zehn natürlich längst verpasst, aber es gibt noch den, naja, den normalen Fischmarkt, I guess, auf dem die größte Attraktion ein Aquarium ist, aus dem sich KundInnen selbst ihren Tintenfisch angeln können. Das kommt mir dann doch ein bisschen gar grob vor, irgendwo hat ein Tintenfisch ja doch ein zur Empathie einladendes Goscherl und die zwei großen Augen und die eindeutige Panikreaktion, als er am Haken aus dem Wasser gezogen wird und selbst Wasser auf die AngreiferInnen spritzt. Letztlich hindert s mich aber doch nicht daran, mir in der nächsten Halle ob der begrenzten Auswahl einen gegrillten Tintenfisch zum Kaffee zum Frühstück zu bestellen. Aber der Vegetarier in mir werkt schon in derartigen Situationen und er ist in den letzten Wochen lauter geworden, stellt Ansprüche während ich „einfach nicht dazukomme“ nachzusehen, ob es der Gelbflossenthunfisch oder der Blauflossenthunfisch ist, der derart überfischt ist. Es ist einfach nicht richtig.

Das ist schon ein ziemlicher Waschl, der da im Becken auf eine KöchIn gewartet hat. Oktopus ist ja auch ganz oben auf der Liste von Tieren, die mir beim Verspeisen ein schlechtes Gewissen machen.

Nächster Halt: Asahikawa. Lustigerweise kommt da gar nicht das Bier her (Asahi), zumindest nicht, dass wir das herausgefunden hätten. Es gibt nämlich zwei, sagen wir, drei. Es gibt drei große Bier in Japan. Kirin. Sapporo. Asahi. In Japan und außerhalb. In Australien zum Beispiel gibt s kaum ein japanisches Lokal, das nicht Asahi ausschenkt. Es ist auch sonst ein beliebtes Bier, so weit ich mich erinner. Und vor einem halben Jahr hab ich noch gedacht, dass es sich bei Asahi um eine Kette japanischer Restaurants handelt, weil ich das so miteinander verbunden hatte ohne mich wirklich für s Bier zu interessieren. Und jetzt ist das ja auch nicht im Fokus, wenngleich man sagen muss, dass der Besuch von zuhause schon auch die eine oder andere Gewohnheit von daheim mitgebracht und in meinen Alltag zurückimportiert hat. Also zum Beispiel, dass ein Bier nicht nur eine Begleitung für ein Abendessen ist, sondern so einem Glas in den Zustand innerer Leere zu verhelfen auch ein abendliches Zusammensitzen begleitet. Das kommt wie von selbst und ich bin ein bisschen unzufrieden damit, wie schnell das wieder den Rang einer Selbstverständlichkeit angenommen hat. Das ist doppelt schade, weil einerseits torpedier ich mir damit ein bisschen das Zusammensitzen, wenn ich mir nicht gegen die schlechte Laune zu helfen weiß und auf der anderen Seite ist es halt auch einfach ein bisschen bedauerlich, dass das eine gemeinsame Freizeitbeschäftigung ist, zu der mir in der Situation auch keine Alternative einfällt. Ich mein, wir schießen uns ja nicht weg, aber das eine Bier, das vor ein paar Wochen noch eine erwähnenswerte Ergänzung meiner Abendessen in Japan war, das sind halt jetzt zwei.

Asahikawa. Die Architektur im Norden ist ein bisschen blockiger, ein bisschen pragmatischer, wetterfester. Vielleicht ein bisschen realsozialistischer im Stil. Den Punkt, von dem man von Japan aus nach Russland sehen kann, für den hat sich der Umweg nicht ausgezahlt.

Asahikawa ist jetzt aber wirklich schon weit im Norden und es ist kühl genug, um im Rucksack nach den Jeans zu kramen. Die Leerstelle ist schnell mit den Flipflops gefüllt, auch die brauch ich heroben nicht. Als wir in einer kleinen Gasse unsere Unterkunft gefunden haben, sagt die Besitzerin, dass sie keine Duschen hat und ich denk mir, das erklärt, warum das so billig war und sag, das sei kein Problem, es sind ja nur zwei Nächte und wenn sie sagt, nebenan gibt s ein öffentliches Bad, dann passt uns das. Ob ich mich einmal nach M hätte umdrehen sollen, bevor ich den neuen Umständen zugesagt hab – könnte sein. M ist in mehrfacher Hinsicht nicht ganz glücklich mit dem etwas urigen Ambiente. Und es stimmt schon: die Stufen sind so steil, dass sie durchaus an die Gefährlichkeit grenzen, das Klo ist drei Stockwerke entfernt und der Eingangsbereich ist eine Mischung aus Bar und Wohnzimmer, tief hinten in einer Einfahrt und bar jeglichen Sonnenlichts. Außerdem ist das Zimmer einfach nicht hoch genug, dass M aufrecht stehen kann. Und wo die Besitzerin freundlich und bemüht ist, kann man das möglicherweise auch als ein bisschen zu wenig distanziert wahrnehmen. Das ist dann auch irgendwo die Schwierigkeit zwischen meinem Driften, meinem Willen zur Sparsamkeit und dem Mann, der doch gekommen ist, um Urlaub zu machen und nicht unbedingt bereit ist, mit Komforteinschränkungen für seine Übernachtungen zu zahlen.

Aber schön, mit dieses Bedürfnisschräge werden wir die nächsten zwei Wochen zu tun haben und jetzt sind s ja nur zwei Nächte. Und jetzt sitzen wir erst einmal über einem mongolischen Grill, was einfach als Genre Dschingis Khan heißt. So wie ein Essen Fondue heißen kann oder Brettljause. Ich glaub nicht, dass das ok ist, das so zu nennen, aber es schmeckt auf jeden Fall. Und es ist das erste Mal, dass ich am Boden sitzend mein Essen einnehme. Vor ein paar Jahren bin ich mit dem Funfact herumgelaufen, dass die JapanerInnen heute (und ein paar Jahren) im Schnitt um so-und-so-viele Zentimeter größer sind als noch vierzig Jahre zuvor, weil sie die traditionelle Art des Am-Boden-Kniens-Slash-Sitzens zugunsten von Stühlen aufgegeben hätten. Natürlich ist der Fun in dem Fact eher, dass es eine Behauptung ohne Quellenangabe ist und vielleicht letztlich… es erscheint jetzt einfach nicht besonders logisch.

Am Plan steht eine Besteigung des Asahidake im Daisetsuan Nationalpark. „Spielplatz der GöttInnen“ heißt es in den Broschüren und in der Gondel, die wir letzten Endes doch den Berg rauf nehmen. Weil unten ist es gatschig und der Weg scheint, seit sie die Gondel gebaut haben, nicht mehr tip-top in Stand gehalten zu werden. Aber vielleicht war er s nie und mein impliziter Vorwurf der kapitalistischen Logik ist ungerechtfertigt. Beim Erkundschaften möglicher Besteigungsrouten haben wir immerhin zwei Herren mit Helmen im hohen Gras erspäht, die schienen den Weg zu erneuern, aber das waren nur die ersten hundert Meter und das ist zu wenig für einen Zweitausender. Außerdem hab ich im hohen Gras eine Schlange gesehen und der M hat sowieso nur seine Laufschuhe mitgebracht, also verzichten wir auf das Abenteuer durch den Busch und, ja, Gondel.

Schöne Aussicht trotz allem kalt und patschig. Und wenn das auch nicht einmal ein Wort ist, erinnert es mich an die Überlegung, ob nicht diese Wörter, die im Deutschen auf -tschig enden, nicht alle ein bisschen onomatopoetisch daherkommen. In Indonesien hab ich mal drüber nachgedacht: glitschig, matschig, gatschig, flutschig…

Leider ist die Situation oben auch nicht ideal. Oder: kommt wahrscheinlich drauf an, was man sich wünscht. Es liegen nämlich zwanzig Zentimeter Schnee und dass es noch ein bisschen zu warm für den Schnee ist, ist dann auch keine Erleichterung, weil so hat M bald die Schneeschmelze bis zu den Knöcheln, während wir mit den vielen anderen BesucherInnen gemeinsam über die engen Wege rutschen. Es ist schon schön, das lässt sich auf jeden Fall sagen und auch M vergisst die nassen Füße, als die Luft schwefeliger wird und die Begeisterung für die aus dem Berg stoßenden Dampfschwaden einsetzt. Ein Vulkan ist einfach was lässiges. Und wenn der heiße Dampf aus einer Schneedecke hervorquillt, dann ist das noch eine Stufe lässiger. Leider sind die Kontraste nicht so gut, weiß auf weiß und bewölkter Himmel. Und auch wenn s nicht Indonesien ist und deshalb schon dreißig Meter vor den Austrittslöchern eine Absperrung aufgebaut und fleißig bewarnschildert wurde, es ist halt trotzdem super. Irgendwer hat auf dem Rastplatz ein Schneeschwein geformt, das war auch super. Sonst gilt als die lokale Hauptattraktion die Ausstellung der Jahreszeiten und jetzt eben der Herbst-Winter Übergang. Daisetsu Nationalpark sei üblicherweise jene Gegend, wo sich die Blätter zuerst verfärben, wo der erste Schnee fällt und so für Japan jene Jahreszeiten einläutet. Immerhin der höchste Berg Hokkaidos. Es wirkt jedoch fast ein bisschen frühlingshaft, aber die Blumen, die da scheinbar als die ersten durch den Schnee stoßen, sind eher die letzten, die von der Kälte gerafft werden, aber das sieht ja nur, wenn man s weiß. Nur hie und da zeigt sich der Herbst auf dem Laub, das satte Grün ist vielerorts nur vom Schnee verdeckt.

Ich bin jetzt über meine Fotos fast ein bisschen erstaunt. Also einerseits, wie toll ich die Panoramafunktion zu bedienen weiß, aber auch einfach, wie schön das dort war.

Zurück im Tal gibt s einen Onsen, der die schneenassen Füße wärmt (wer s braucht) und uns außerdem die fehlende Dusche in der Unterkunft kompensiert. Wir kaufen unabsichtlich zwei Handtücher, weil Ausborgen spielt s nicht für uns, die wir nicht Gäste im Hotel sind. Aber die damit verbundenen Kosten sind so gering, dass ich nicht auf die Idee gekommen wäre, dass wir die tatsächlich erwerben. Gut vielleicht, dass wir uns mit kleinen Handtüchern zufrieden gegeben und nicht das volle Set erstanden haben.

Aber alles in allem ist alles in Ordnung. Der Bus schupft uns heim und wir machen uns ein gemütliches Abendessen in einem Ramengeschäft. Wir sind vielleicht ein bisschen irritiert über den offenbar europäischen Hintergrund der einen Kellnerin, es ist einfach sehr unüblich, die nicht-asiatischen GastarbeiterInnen in Japan. In der einen oder anderen Jugendherberge sitzt mal eine EuropäerIn an der Rezeption, aber das ist es wirklich. Und lustig, wie das von außen dann immer gleich so so ausschaut, als spräche sie ein makelloses Japanisch. Die Sprache ist so fremd, dass ich ja wirklich nichts verstehe (ab und zu mal eine der ersten drei Ziffern) aber schon gar nicht beurteilen kann, wie eloquent oder auch nur wie flüssig sich jemand auszudrücken weiß. Und selbst die Gestik und paraverbale Gesprächsanteile unterscheiden sich noch einmal merklich, sodass jemand mit ein bisschen Japanischkenntnissen dann oft schon extremst bewandt.

Nach Asahikawa sind wir nach Sapporo. Zunächst haben wir das ja anders herum geplant gehabt, dass wir zuerst einen Sprung nach Sapporo machen und von dort weiter nach Asahikawa. Aber schau an, es hat kurzfristig echt null Unterkunft für uns gegeben. Ok, nicht null, Sapporo ist ja doch recht groß. Aber in der Nähe des Zentrums und in einer recht engen Preiskategorie haben wir für den nächsten Tag nichts gefunden. Jetzt kann man sagen: Zufall. Oder man sagt: Rugbyworldcup. Hab ich mich mit meinen Befürchtungen doch ein bisschen bestätigt gefühlt. Wahrscheinlich war s so herum dann eh besser, weil wir ja auch einen Taifun mitgebracht haben und das schlechte Wetter in der Stadt sicherlich leichter zu umgehen war als draußen am Spielplatz der GöttInnen. Viel leichter nämlich, hat sich dann herausgestellt, als wir mit bereits nassen Füßen nach einer halben Stunde Stadtquerung herausgefunden haben, dass zumindest das Stadtzentrum mehr oder weniger untertunnelt ist und wir zumindest von unserem Kaffeehaus aus einfach unterirdisch herumgelaufen. Ich mein, viel gibt s nicht: Geschäfte und Lokale. Aber was braucht man schon viel mehr. Ich laufe meinen Spielkarten hinterher, die s nirgendwo gibt und für s Mittagessen sind wir dann sogar aus dem Untergrund heraufgekommen und haben uns die Füße auf dem Weg zum Fischmarkt benetzt. Essen gehen ist gemeinsam ja auch um ein vielfaches schwieriger, als allein. Ich mein, erstmal, dass die Hungerzyklen synchronisiert werden. Dass die Snacklust angepasst ist. Das ist alles nicht so einfach. Auf der anderen Seite erlaubt s halt auch ein bisschen was experimentelleres, wenn ich mein Gegenüber endlich auf Austern überredet hab, die ich mir allein nicht geben wollte. Jetzt sitzen wir auf jeden Fall über Sashimischüsseln, für die Aufregung hier verschiedenen Krebsen ans Bein zu nagen und Seesternrogen zu futtern, hab ich dann doch ganz schön auf s Wechselkurserinnern verzichtet. War dann eh auch fein, wobei ich sagen muss, dass mir nicht zuletzt in Erinnerung ist, dass ich dort den besten Reis gegessen hab.

Die Ruhe vor dem Sturm: Der Himmel über Sapporo am Vorabend des Taifun

Am Abend sitzen wir mit zwei Flascherl Sake in unserem vergleichsweise schicken Hotelzimmer. Sein Sake in den Eiswürfeln, mein Sake im Wasserkocher. Ich hab viel Zeit für ein Getränk, das sich warm und kalt trinken lässt ohne ekelhaft zu sein. Beim Aufräumen hat das Hotelpersonal mein unabsichtlich gekauftes Handtuch eingepackt und ich bin ok damit. Kurz überlege ich, dafür eines der hotellernen einzustecken. Aber erstens: nein. Und zweitens brauch ich ja kaum ein zweites Handtuch und sollte froh sein, dass mir das mit so wenig Eigeninitiative abhanden gekommen ist. Im Fernsehen gibt s Rugby und Go und eine Gesprächsrunde bei der sechs Leute um einen Tisch herumsitzen und Whisky trinken: Zwei Japanerinnen, drei Japaner und ein Ausländer, der bei uns daheim wohl nicht als solcher auffallen würde. Dann gibt s noch eine Sendung mit zwei Chinesinnen Anfang zwanzig, die durch die von einer Kamera verfolgt durch die Stadt spazieren und verschiedene Touristenattraktionen besuchen. Ehrlich gesagt kommt mir aber die Zeichentrickserie auf dem nächsten Kanal, in der die ProtagonistInnen in erster Linie Frauen mit way überzeichneten Proportionen sind, weniger sexistisch vor. Letztlich sitzen wir dann vor der zweiten Hälfte von Back to the Future Part III, die ganzen Ungenauigkeiten kritisierend, die man als Teenager gerne mal übersehen hat.

Am Vortag, unter passablen Wetterbedingungen, sind wir sogar ein bisschen an Sapporos Oberfläche herumgelaufen. Wir haben jetzt aber auch nicht irre viel für uns in der Stadt entdeckt. Ein bisschen durch die Straßen spaziert, den Fluss entlang und durch einen Park wieder zurück. Wobei wir, nicht uninteressant, auf eine Hochzeitsgesellschaft gestoßen sind. Also, zuerst war da so Krach im Park und auf dem Plan hat s ausgeschaut, als ob dort irgendein Musikhaus wäre. Interessant, hab ich gedacht, da machen sie vielleicht ein Gegenprogramm zum Rugger. Aber dann sind wir auf einer Parkbank gesessen und haben aus sicherer Entfernung (sowie des einsetzenden Abends) da wirklich einer Zeremonie zugeschaut. Dann ist die Gesellschaft plötzlich aufgebrochen und an uns vorbei und ich wollte ja die Gelegenheit gerne nutzen um „zufällig in die gleiche Richtung“ zu gehen und ein bisschen den Leuten zuzuschauen, aber da hat mir M nicht mitgespielt. Da tut man sich vielleicht allein leichter, ein bisschen in den Kontakt zu kommen oder zumindest in der Umgebung eines derartigen Ereignisses seine Kreise zu ziehen. Und ich versteh s eh, dass das schnell einmal ein bisschen herausfordernd wirken kann und rückblickend ist es schwer zu sagen, wem gegenüber ich mich hier provokanter erlebt hab. Wir sind dann zu einem unterirdischen Schnitzelwirten abgebogen.

In den kilometerlangen Gängen unterhalb Sapporos finden wir Bilder von Waldtieren und ihren japanischen Namen: Eci peci pec / Ti si mali zec / A ja mala vjeverica / Eci peci pec.

Ich hab schon ein anderes Gefühl gehabt in den Städten da oben im Norden. Ein bisschen wilder ist es mir erschienen, weniger aufgeräumt, weniger streng. Vielleicht insgesamt etwas weniger von dieser japanischen Kultur, wie ich sie archetypisch zwischen Osaka und Tokio erlebt habe. Japan halt auch nur ein Nationalstaat, in dem von einem kulturellen Zentrum heraus die Peripherie kolonisiert wurde. Sowohl in Hokkaido als auch auf den Inseln im Süden flockt der kulturelle Einfluss halt auch ein bisschen aus: An beiden „Enden“ gibt s eigenständige ethnische Gruppen, die bis heute überlebt haben, die Ainu auf Hokkaido und die Ryukyuan auf den südlichen Inseln um Okinawa. Von den Ainu sind nur wenige übrig, die nicht bereits in die japanische Leitkultur assimiliert wurden. Aber man scheint noch Feste zu feiern und in den U-Bahnstationen gibt es Schmuck mit Ainu Designs zu kaufen.

Abends schauen wir uns ein paar Minuten Rugby in der Fanzone an. Das hat uns beide ein bisschen Überwindung gekostet, aber ich hab letztlich darauf bestanden, wenn wir schon hier sind, wo sich hunderttausende die Finger danach abschlecken. Es war dann besagten Hunderttausenden zum Trotz wenig los in der Fanzone. Und auch im Stadion, hat man uns einmal gesagt. Ich wollte ja tatsächlich einmal Karten kaufen, aber wir hätten die wohl auch einfach vor dem Stadion noch geschenkt bekommen. Man sieht s dann auch auf den großen Schirmen in der Fanzone, dass die Stadien halbleer sind. Aber wir erwischen s ganz gut, mit zwanzig Minuten die Togo noch gegen England durchhalten muss. Das ist gerade genug Zeit für uns, dass wir die Regeln ein bisschen aus dem ableiten können, was vor unseren Augen passiert. Vor allem aber ist es ganz amüsant, ein bisschen zuzuschauen, mit was für einem Körpereinsatz sich diese Spieler ihrem Sport hingeben. Noch dazu in einer Situation wo das Match bereits dermaßen entschieden war. Das kann ich nicht leugnen, dass das eindrucksvoll ist. Aber natürlich ist eine halbe Stunde dann auch schon genug.

Dabei sein mal wieder alles gewesen

Wir sitzen schon wieder im Zug und sind auf dem Weg nach Tokio. M macht einen kleinen Umweg, den mir mein ablaufender Railpass nicht erlaubt, aber ein bisschen freue ich mich ja auch darauf, einen Tag allein im Kaffeehaus zu sitzen. In Tokio treffen wir dann noch D, die gerade aus Seoul auf einen Abstecher nach Tokio kommt. Klar, wenn man schon in der Gegend ist. Und wir laufen ein bisschen zu dritt durch die Stadt, erstes Ziel: Das Café in dem man nicht reden darf. Im Leon haben sie nämlich große Boxen aufgestellt, durch die den ganzen Tag von Schallplatten aus klassische Musik gespielt wird. Dazu gibt s mittelmäßigen Kaffee. Ein schönes Konzept, natürlich. Ich mein, man kann nicht direkt sagen, dass sie da unprätenziös an die Sache herangehen. Aber es ist angenehm in einem unscheinbaren Haus versteckt, es hat eine angenehme Heruntergekommenheit und die paar Leute, die drin sitzen, scheinen mehrheitlich zum Arbeiten hergekommen zu sein. Es wirkt also tatsächlich nicht nur wie das überdrehte Geisteskind einer Anerkennung heischenden Hipsterverbindung. Dass man weniger hierher kommt um, wie (ich glaube) Joseph Roth über die Architektur des Burgtheaters sagt, von den anderen ZuseherInnen gesehen zu werden, wird dadurch verstärkt, dass die Sitzplätze größtenteils in die Richtung der gigantischen Lautsprecher gerichtet sind und man schon deshalb still sitzt, weil jede Bewegung ein Knarzen und Rascheln zur Folge hat. Und der als Deejay doublierende Kellner sagt seine nächste Schallplatte so entschuldigend und zurückhaltend an, dass es das schon einen Besuch wert war. was so die richtige Stimmung ist, um durch die vielen Abteilungen des Geschäfts zu laufen, das nicht Super Hans heißt. Tokyu Hands, das ist es. Da gibt s alles und in jedem zweiten Stock muss sich der eine oder die andere von irgendwas losreißen. Oder auch nicht, auch einkaufen ist erlaubt, warum nicht. Nur in der Kleintierabteilung beschränkt man sich bitte auf fassungsloses Starren.

Letzte Blicke aus dem Zug auf Hokkaido bevor wir wieder unbemerkt in den Tunnel nach Honshu schleichen.

Das war s dann auch fast schon wieder. Weil ich bin in Tokio dann tatsächlich mehr im Kaffeehaus gesessen und in der unmittelbaren Nachbarschaft des Hostels abgehangen. Das war eine angenehme Abwechslung im Gegenzug zur Überforderung, mit der mir Tokio ja doch ab und zu zugesetzt hat. Und wiederum: es ist schon auch eine Leistung, wie es in der Stadt gelingt, dass neben einem vollkommen überdrehten, touristisch überanspruchtem Viertel, nicht nur tote, ausgelaugte Gegend liegt, sondern sympathische Nachbarschaften, mit ihren eigenen kleinen Straßenlokalen, in denen schon wieder kaum jemand Englisch spricht. Ich verbringe meinen interessantesten Nachmittag allerdings in einem Kaffee, in dem sie durchaus Englisch sprechen. Es ist mal wieder so etwas, wo man mir einen Platz an der Bar anbietet und ich sitze dann neben einer, die gerade ihre Schicht vorbei hatte und wir plaudern die nächsten vier Kaffee (in vielen der Cafés, die Single Origin Kaffees zubereiten, kriegt man die zweite Tasse desselben Kaffees für kaum die Hälfte der ersten…) über Kaffee, über das Café, über Japanisch, über Japan und die Welt.

Das hat mir die Barista aufgeschrieben. In einer meiner Zen-Recherchen (ich nenne das jetzt so nach Dirk Gentlys „Zen-Navigation“, wo er einem Auto folgt, das aussieht, als wüsste es, wo es hinfahre) bin ich ja darauf gestoßen, dass das Wort für Deutschland im japanischen lautmalerisch geschrieben wird, also aus zwei Kanjis besteht (ich _glaub_ die zwei links oben), die den Klang von „Deutsch“ (doitsu) imitieren, aber eine andere Bedeutung haben. Und dieses eine, das als einzelnes Kanji heute für „deutsch“ verwendet wird, bedeutet, wenn man es in seiner eigentlich Bedeutung liest, „allein“. Das hat mir sehr gut gefallen, die Messerfrau in Kyoto hat mir allerdings bedauert, dass sie nur in Katakana graviert.

Und das ist eigentlich die schönste Erinnerung, die ich aus Japan mitgenommen habe: wie schön ich oft mit JapanerInnen ins Gespräch gekommen bin, meistens über ein Essen oder halt einen Kaffee. Aber dass der Zugang irgendwie so schnell da war und das Interesse und die Lust am Plaudern und dass das alles nur sehr wenig eingeschränkt war von irgendwelchen Vorannahmen über wie man sich zu verhalten hätte. Wenn ich Japan insgesamt immer wieder als das erlebt habe, als eine Gesellschaft, die ihren BürgerInnen viele Vorgaben macht, wie man sich im Alltag zu verhalten habe, wo man jeden Tag tausenden uniformierten Salary-Men gegenübersteht, den Angestellten, die tagsüber durch die Straßen hetzen, abends in der U-Bahn an ihren Telefonen hängen oder des nachts betrunken aus einem Isakaya herausstolpern, hab ich gleichzeitig nirgendwo so schnell freundschaftliche Kontakte geknüpft, wie in Japan. Und jetzt war diese Barista, mit der ich in Tokio zuletzt noch geplaudert hab, dann sogar noch kritisch gegenüber Japan. Nämlich über das politische Desinteresse der JapanerInnen oder zumindest ihrer Generation oder halt auf jeden Fall über ihr eigenes, da ist sie schon unzufrieden gewesen, das sagen zu müssen. Und dass ihr Gefühl sei, dass sich Japan so blind gegenüber der Welt verhalte, dass insbesondere China einfach bewusst ignoriert werde. Stattdessen gebe es halt nur Europa und Amerika, dorthin blicke man. Aber den Stolz auf Japan, das war trotzdem da: Als ich gesagt habe, dass ich auf mein Heimatland einfach nicht stolz bin, da war sie schon ein bisschen erstaunt, quasi: wie das sein könne. Nun, hab ich gesagt, es sei vielleicht eher, dass auf Dinge, auf die ich in meinem Heimatland stolz wäre, mein offizielles Heimatland einfach nicht stolz ist. Aber das ist natürlich kryptisch und ich glaube, ich hab s einfach dabei belassen, dass mir da kaum etwas dazu einfalle, auf das ich stolz sein würde.

In Tokio aber eigentlich überall in der Ecke stellen sich Fischrestaurants gerne einige Aquarien vor die Tür, in denen die Fische lebendig gehalten werden. Oft sind sie schon ein bisschen am Abkratzen. Hier hingegen relativ fit: wahrscheinlich Turbo cornutus vor Sardinella zunasi.

Zweimal haben wir unseren Abflug nach Korea vor uns hergeschoben, es war uns dann immer ein bisschen zu kurzfristig, zwei Tage vorher zu buchen. Aber wir haben s dann geschafft, gleichzeitig zu verlängern und zu buchen, und uns selbst so ein Schnippchen geschlagen.

verblassende Erinnerungen

Die Japanischen Eisenbahnen tragen mich von einer Insel zur anderen, zwei Tage in der einen Stadt und weiter in die nächste. Eine Woche ist das her, dass ich mich konzentriert ans Erinnern gesetzt habe, eine Woche und locker dreitausend Kilometer, dass ich jetzt wieder in Tokio sitze und versuche, im Rückblick jene Emotionen auseinanderzuklauben, die langsam aber sicher in ein relativ homogenes Japanbild zusammenschmelzen. Gut, es ist nicht so, als ob ich nicht Notizen gemacht hätte…

An Osaka erinnere ich mich mehr an das Hostel als an die Stadt selbst. „Hostelzentriert“ hab ich mir notiert. Und so ist das, es gibt einfach Städte, wo mir die Unterkünfte stärker in Erinnerung bleiben, wo die Erfahrungen dort einfach die nachhaltigeren sind. Und natürlich sind das die Begegnungen, weil das sind die Erlebnisse, die mich wirklich anstoßen. Und mit der Osakaer Jugendherberge hab ich s wirklich gut erwischt. Dabei hat s zuerst gar nicht so gut ausgeschaut, als mir die Ina am Email gesagt hat, dass sie das Zimmer nur für zwei Nächte hat und dann hab ich mir gedacht, gut, dann halt nur zwei, so sehr haut das meinen Plan auch wieder nicht durcheinander. Aber dann hat sie gemerkt, dass ich eh nur für das Schlafzimmer ein Bett such und nicht ein Dreierzimmer. Ich weiß nicht, wie sie auf die Idee gekommen ist. Aber dann hat sie gesagt, ahso, ja, nein, kein Problem: drei Nächte. Prima, sag ich, drei Nächte sind gebongt. Und dass sie eine Katze haben, nur für den Fall, dass ich damit nicht oder eine Allergie oder so. Nein, sag ich, das passt, find ich gut.

Ein japanischer Beitrag zur globalen Popkultur ist ja das Konzept von „kawaii“, was vor allem als kuschlig, herzig, knuffig, süß zu verstehen ist. Aber der Begriff beschreibt eigentlich vielmehr einen spezifischen Stil, den ich hier als die große Infantilisierung aller Lebensbereiche zusammenfassen möchte, anthropomorphe Tierbabies mit weiten Pupillen und eine picksüße Mädchenhaftigkeit unter Sonnenschirmchen.

Der Kater heißt Akubi und war letztlich ein sehr herziger. Da gehört schon einiges dazu, eine entspannte Katze in einer Jugendherberge zu sein. Und ohne ihn darauf reduzieren zu wollen, seine auffälligste Eigenschaft waren seine kurzen Beine, die vielleicht halb so lang waren, wie man erwarten möchte. Mehr ein Nilpferd als eine Giraffe, das macht einen irre herzigen Eindruck. (Dabei fällt mir ein, dass hier in Tierhandlungen immer noch Tierjungen in Glaskästen gehalten werden wo Hunde umhertollend und Katzen abgewandt schlafend auf eine KäuferIn warten. Schon gut, dass das bei uns nicht mehr durchgeht.)

Die kurzen Beine des Hostelkaters kamen in Kombination mit steilen Stufen, über die ich in den obersten Stock hinaufklettern musste. Und Schiebetüren in den Stockwerken. Was unabhängig von der Beinlänge für einen Kater bereits eine ziemliche Hürde darstellt. Wenn der Kater einmal bis hinaufgelaufen gekommen ist, dann hat er nicht wirklich selbst wieder bis runter können. Und Samstagnacht sind die Deutschen, die bei uns im Zimmer waren, spät von – wie ich am nächsten Tage erfahren hab – der Karaoke nachhause gekommen und hatten dem Kater gegenüber wohl nur berauschte Gleichgültigkeit, als der mit ihnen in den gemeinen Schlafraum geschlüpft ist. War eh super, weil ich hab schon lang nicht mehr mit einer Katze auf den Beinen geschlafen und eigentlich ist das ein leistbarer Luxus. Das war schon nett. Nur in der Früh natürlich will die Katze aufstehen, so auch dieser Kater. Und da lernen verschiedene Katzen wohl unterschiedliche Techniken. Sehr effektiv ist es, wenn man mir daheim von unten die Krallen unter die Decke schlägt, ob man dabei meinen Fuß erwischt oder nicht, da schwappt mir das Adrenalin bis unter die Schädeldecke, da gibt s kein Weiterschlafen. Dieser Kater hat einfach zugebissen. Nämlich nicht nur so bisschen geknabbert. Er hat geschnurrt dabei, also hab ich s nicht als aggressiv verstanden, aber nachdem er mir ein bisschen in die Frisur gebissen hat, hat er mir in den Hals gebissen, dass mir das Blut gekommen ist. Eh ein zarter Kratzer. Aber überraschend war das schon.

Und das war mein einer Ausflug durch Osaka. Ich hab s schon auch als hübsch in Erinnerung.

Nachdem ich am ersten Tag einen kleinen Spaziergang durch Osaka gemacht hab, hab ich mich am Abend gegenüber ins Okonomiyakilokal gesetzt. Weil da haben sie mich aus dem Hostel, das direkt gegenüber liegt, hingeschickt. Die Osaka-Okonomiyaki seien ganz anders als die Hiroshima-Okonomiyaki, sagen sie. Da bräuchte ich mich gar nicht auf meinem Ich-hatte-erst-gestern-Okonomiyaki auszuruhen. (Wir hatten ziemlich flott eine ziemliche nette Unterhaltungsebene im Hostel, wie gesagt, das Hostel, die Begegnungen, das Wohlfühlen, in diesen Punkten macht Osaka Punkte.) Und das stimmt ja auch, ganz anders, so eine Osakaokonomiyaki. Vor allem aber hab ich einmal mit einem Blick auf die Tür festgestellt, dass ich in einem Michelin ausgezeichneten Lokal sitze und das war vielleicht auch eine Premiere. Uuuuhh. Dabei hat s nicht ausgeschaut, wie ich mir ein Haubenlokal vorstell. Zuerst einmal hab ich draußen sicher eine halbe Stunde auf einen Platz gewartet. Da haben sie so Hocker auf dem Gehsteig aufgestellt gehabt, von denen man immer eins weitergerrückt ist, wenn jemand einen Platz im Lokal bekommen hat. Und bis ich dann eine Stunde später meine Okonomiyaki bekommen hab, hab mir eine Zeit lang gedacht, dass das vielleicht das beste Essen ist, das ich je gegessen hab. Aber ich hab auch ein ganzes Bier lang auf mein Essen gewartet, und ich hab nicht wirklich was gegessen gehabt, weil war ja Reisetag. Und da sitz ich dann, kann sein, dass ich schon bisschen beschickert war, wie ich dann meine Palatschinke bekommen hab.

Weil, pass auf: Okonomiyaki werden als japanische Pfannkuchen vermarktet. Und das ist schon nicht falsch, weil es kommt ein Palatschinkenteig vor. Jetzt: Hiroshimastyle hat so ausgeschaut, dass meine Köchin eine Palatschinke gemacht hat und dann ein Kraut und die anderen Ingredienzien genommen hat und die Palatschinke wie einen Deckel auf dem Kraut verwendet hat, dass es durchgart. Ja? Also sie hat einen Haufen Kraut auf ein bisschen ein Öl gestapelt und dann die Palatschinke drauf und dann halt geschaut, dass das Kraut gar wird. Osakastyle mischt man das alles schon einmal zusammen und haut s dann als ein Ganzes auf die Kochoberfläche. Und dann haben sie einen Deckel draufgetan, was ich ein bisschen schummeln gefunden hab, aber es hat ja wie gesagt lang genug gedauert, bis es fertig war, also gut dass sie einen Deckel genommen hat. He, und dann war das einfach total gut. Da war ein Schwein drin und ein Tintenfisch und eine Jakobsmuschel und dann ein Spiegelei drauf und die Okonomiyakisauce, die so bisschen Worcestersauce ist, aber mit Datteln gestreckt und gesüßt und dann hauen sie eine Mayonnaise drauf, wie die JapanerInnen das gerne machen. Die kommt aber wirklich anders rüber, als die unsrige, ich sollte die mal pur kosten. Und dann kommen noch Nori drauf, was zuerst einmal wie Petersilie ausschaut, und Katsuobushi, also Späne von zu Holz getrocknetem Thunfisch. Und dann ist es fast wie mit Gabel und Messer essen, weil in einer ziemlichen Ausnahme kriegt man hier ein japanisches Essen, das nicht mundgerecht daherkommt. Dafür kriegt man eine kleine Version von den Spachteln, mit denen die Köche das Essen zubereiten und spaltet sich da seine Stücke von der großen Festtagstorte herunter, bis man dann endlich seine Stäbchen einsetzt.

Und dann bin ich zurück ins Hostel und die vielen Stockwerke hinauf. Beim Einchecken haben wir noch gescherzt, weil in Japan zählt man das Erdgeschoß als ersten Stock. Ich hab am Anfang tatsächlich ein bisschen gebraucht, bis ich verstanden hab, dass der Adresszusatz F4 nicht eine Hausnummer ist, sondern für Floor 4 steht. Dort hab ich gewohnt, im vierten Stock. Aber, hab ich gesagt, bei uns ist ja der F2 erst der erste Stock und dann sagen wir, gibt s noch einen Mezzanin, also bin ich auf österreichisch eh nur im zweiten Stock. Die Polin hat auf meine Erklärung des Ursprungs, des vermeintlichen Ursprungs dieser Praxis gemeint, dass man in Polen wohl einmal die Steuern auf ein Haus nach der Anzahl der Fenster bemessen hätte, woraufhin die Leute ihre Fenster zugemauert hätten. Ich mein, so Steuergesetze können schon auch Unsinn anrichten. Mir sind dazu dann noch die Gehsteige eingefallen, von denen es hier ja außer auf den großen Straßen, keine gibt. Find ich immer noch toll. Ach ja. Und die Autos parken auch nicht auf der Straße sondern müssen in einer Garage oder in einem Parkhaus Platz finden. Wenn man das mal erlebt, dann ist dieses Argument, dass jedes Auto bei uns eigentlich Miete zahlen müsste für die zehn Quadratmeter öffentlichen Raum die es einfach verstellt… also nicht das Auto soll die Miete zahlen. Da könnten wir lang warten. Aber ich mein, das ist einfach nachvollziehbarer wenn man sieht wie… man sieht einfach besser. Vielleicht muss man das so dem Handel vorschlagen, dass man dann auch von der gegenüberliegenden Straßenseite in die Schaufenster schauen kann.

Es war ein komischer Moment, als ich durch schieres Glück über diese Brücke gegangen bin und auf einen Pulk asiatischer TouristInnen gestoßen bin, die sich hier mit Werbeflächen fotografiert haben. Sicherheitshalber hab ich halt auch mal ein Foto gemacht, um später zu lernen, dass der Läufer da in der Mitte, dass das der Glico Mann ist. Der macht Werbung für ein japanisches Nahrungsmittelunternehmen, der hängt da schon seit 1935. Ach was weiß ich… Leute, die sich mit einem Werbeplakat fotografieren! Da kann einem der Konsumismus schon sauer aufstoßen.

Von meinen Krautpalatschinken zurück ins Hotel bin ich dann im Zimmer meiner Zimmerkollegin begegnet und wir haben uns vorgestellt und sind so ein bisschen ins Plaudern gekommen über dieses und jenes. Und bevor man sich s versah, war s fünf Uhr in der Früh. Das war unerwartet. Aber witzig, weil ich hab mir noch am Tag davor einmal gedacht, so in der Reflektion über das eigene Leben, wie man ein bisschen schräg wird, wenn man sich unkontrolliert in seinen Interessen spezialisiert und eines Tages merkt, wie man mit seinen Anekdoten wenig anschlussfähig ist, dass man sich da vielleicht ein bisschen isoliert hat, ohne dass es geplant war. Nicht, dass das nicht eine immer wiederkehrende Sorge ist, kann sein, dass es nur so eine selektive Wahrnehmung ist, dass ich mich jetzt erinnere, dass ich das gerade erst gedacht hätte und dann plötzlich eben treff ich auf wen, die mich gerade dort erwischt, wo ich das Gefühl hatte, dass ich ein bisschen gar esoterisch in meinen Vorlieben geworden bin. So sitz ich im Hostel in Osaka und find ausgerechnet eine Amerikanerin bestbewandt in der britischen Comedyszene. Sag ich zum Beispiel, na der Ding, den find ich gut und mir der Name nicht einfällt und ich so rumüberleg und sie sagt dann, anyway, den James Acaster fändt sie noch sehr lustig. Und ich denk mir, den hab ich gerade gesucht. Greg Davies? Zitiert sie schon Man Down. Da ist mir schon weich in den Knien geworden.

Am nächsten Tag war ich dann ein bisschen müde in Nara. Nara, sagt mein Reiseführer war die erste fixe Hauptstadt Japans und nachdem s mir auch meine Lokalbekanntschaften auf die Empfehlungsliste geschrieben haben, bin ich auf einen Sprung hin. Ich bin mal wieder etwas spät losgekommen, auch weil ich den Vormittag mit Blogbetreuung verbrodelt hab, das kommt ja auch nicht aus dem Nichts. Jetzt war ich wieder einmal erst um vier oder was in Nara. Das war schon nicht ganz ungeplant, weil ich wollte dort so einem Fest zuschauen gehen, das eh erst abends angefangen hat. Jetzt machen die Tempelanlagen und die historischen Gebäude aber natürlich schon wieder um fünf zu. Und so hab ich jetzt die größte bronzerne Buddhastatue der Welt verpasst, die dort in einem Haus sitzt. Das hab ich erst im Nachhinein gelesen, irgendwer hat da bei der Vorbereitung geschlampt. Aber ich hab wieder zahme Rehe gesehen und mir von ihnen auf die Hand atmen lassen und ich hab Leute gesehen die sich in einem Moment mit zahmen Rehen abfotografieren und im nächsten Moment versuchen, eine Rehnase aus ihrer Handtasche zu scheuchen. Insgesamt ist es fast ein bisschen wie Tauben am Markusplatz. Zuerst ist es lustig, dann wird s schnell zu viel, weil die Tiere nicht spielen wollen sondern gierig Essen suchen.

Ich hätte wahrscheinlich nur diese Schilder lesen müssen, um dem Buddha gegenüberzutreten. Aber ich war wohl einfach zu vertieft in meine Beobachtung der die Rehe beobachteten TouristInnen, um auch noch einen Sinn für Schilder zu haben. Schau, da liegt sogar eines mit Geweih!

Und auch das Festival war dann nicht schlecht. Da war so eine Prozession über einen See in traditionellen Gewändern und das hat wohl eine Geschichte erzählt. Da waren verkleidete Kinder und aufgeregte Mütter, die sie nach ihrem Auftritt in die Arme geschlossen haben, das war nett. Außerdem standen hunderte Leute aus aller Welt mit ihren Fotoapparaten drumrum, das hat mir das ganze ja auch schon wieder ein bisschen anstrengend gemacht. Ich könnte das vielleicht auch einmal leichter nehmen. Ich bin wohl einfach zu romantisch, dass ich mir denke, man muss das doch erleben und nicht dokumentieren. Ich hab ja dann auch schweren Herzens fotografiert, so ist s ja auch wieder nicht. Oder auch seltsam: Europäisch anmutende Männer in traditionellen japanischen Outfits. Da wird mir auch ein bisschen seltsam, wenn ich das seh. Dann wiederum stört s die Verkleideten offenbar nicht und ich glaub, die JapanerInnen sehen das auch nicht als kulturelle Aneignung.

Interessant, wie s mich oft einmal juckt, da mit der Kritik zu kommen und dann such ich wieder ein versöhnliches Bild raus. Es ist schon schön.

Bisschen schwer nachvollziehbar, was da passiert, aber die Ina hat gemeint, sie war im Jahr davor und auch wenn sie die japanischen Durchsagen wohl verstanden hat, es hätte ihr auch nicht zum allgemeinen Verständnis beigetragen, also gehört das wohl so. So sitze ich also nur den Bildern gegenüber, die da im Rahmen der Zeremonie dargestellt werden und dann kommen die zwei Boote (aus denen sich auf ZuseherInnenseite Trockeneisnebel über das Wasser ergießt!), gelenkt von zwei Steuermännern und hinten drin sitzen zehn Frauen, alle in Rot, Weiß, Schwarz angezogen und mit einem braven Lächeln in den uniform geschminkten Gesichtern, da hatte ich schnell einmal Handmaid’s Tale Assoziationen, obwohl ich s nie gesehen hab. Aber von der Aufmachung her, war s mir gleich wieder ein bisschen unheimlich, wenn Frauen in der Legende anscheinend nur die Rolle der Frauen zugewiesen wird.

Während die Mädchen über den vernebelten See geschifft worden sind, hat dazu das Orchester gespielt. Wer 7’43” Zeit hat kann hier ein Stück Zeremonienmusik mit authentischem Publikumsgeplauder haben. Manchmal ist es ein bisschen schrill, aber es zahlt sich schon aus, das ganze zum Nachhören zu haben.

Daheim haben wir noch einmal ein bisschen in die Morgenstunden hineingeplaudert, die Y. und ich, von Tolkien ausgegangen haben wir schließlich noch festgestellt, dass wir uns bei Game of Thrones von den gleichen YoutubekommentatorInnen haben begleiten lassen. Das ist wirklich eine Freude gewesen: zwei vergleichbare UserInnenprofile, aber doch so unterschiedlichen Sozialstatistiken. Wir haben allerdings zwei Deutsche ins Zimmer bekommen (die mir in der dritten Nacht dann den Kater beschert haben) und haben deshalb rücksichtsvoll gegen halb drei einen Strich gezogen. In der Früh ist sie dann auch schon weitergefahren und daraufhin hat sie einfach ein paar Tage gefehlt.

Ich bin hingegen in die andere Richtung gefahren, mit dem Zug nach Himeji. Jetzt hab ich noch herausbekommen, dass ich nicht einmal reservieren muss für meine Züge, sondern stolz den Railpass an die Brust geheftet einfach durch die Absperrung schreite. Den richtigen Zug muss ich halt finden, den richtigen Zug, den richtigen Bahnsteig. Das Telefon hilft. Und dass in der Regel alles auch in den Buchstaben zu haben ist, die ich lesen kann ohne beim dritten bereits ins Schwimmen zu kommen (mo? ke? su?), das hilft auch.

Und jetzt, in Himeji, das ist schon beeindruckend. Weil man kommt aus der Station raus und dann ist da eine lange Straße, die direkt bis zur Burg führt. Und: Burg. Eine japanische Burg ist bei weitem eine elegantere Einrichtung, als was einem zu dem Begriff so durch das mitteleuropäische Kopflexikon flattert. Zum einen ist beim Gebäude selber wieder sehr viel Holz im Spiel. Deshalb ziehen wir uns auch alle brav die Schuhe aus, wenn sie in die Burg steigen. Die Befestigung selber ist allerdings schon mit Steinen gebaut. Und das ist ja auch beeindruckend, diese steilen meterhohen Wände, die eine Ebene von der nächsten trennen. Da muss schon wahnsinnig viel Stein verwendet worden sein dafür, das muss wirklich viel Arbeit gewesen sein. Zum Glück für die Fürsten, hat die Bevölkerung sich brav und unterwürfig verhalten: An einer Stelle wird die Legende einer alten Frau erzählt, die gehört habe, wie knapp der Fürst beim Bau seiner Burg schon an Steinen ist und so hat sie ihren Mühlstein geschenkt. Weil besser der Fürst hat eine gute Wand als sie was zu essen. Aber ihr Vorbild habe auch noch NachahmerInnen aus der ganzen Gegend inspiriert. Schon schön, wenn die sozialen Hierarchien auch denen, auf deren Schultern sie gebaut sind, so viel Identität verleihen, dass sie sich gern opfern.

Schau, wie ich meine Panoramafunktion mittlerweile unter Kontrolle hab!

Die Burg (ich will ständig das Schloss schreiben, weil s doch so eindrucksvoll war) wird in der Broschüre schnell einmal als das schönste Gebäude der Welt bezeichnet. Das find ich vielleicht ein bisschen eine heftige Bemerkung. Dann wiederum tu ich mir auf jeder Skala schwer, Extremwerte anzukreuzen und vielleicht ist das auch ok, wenn man sagt: das da. Das ist das schönste Gebäude der Welt. Man muss sich seine Superlative ja nicht unbedingt aufheben. Der Vorteil der Perfektion ist ja vielleicht dann auch, dass man die BesucherInnen einfach durchschleusen kann, weil niemand jetzt großartig selbst die Schönheiten entdecken muss. Der Rundgang ist relativ klar abgesteckt, die Burg selbst ist auch nicht besonders aufregend, weil großteils leer oder leergeräumt. Die Wirtschaftsgebäude (Küche, Bäder, Wohnungen der Frauen) liegen sowieso außerhalb und jetzt läuft man drinnen durch die sieben, immer kleiner werdenden Stockwerke. Da haben sie nämlich einen Trick gemacht, weil von außen schaut s nur aus wie fünf. Und war wahrscheinlich nicht für Steuervorteile sondern eher, dass die erobernden Soldaten dann im fünften Stockwerk stehen und sagen Waaaas? Noch zwei Stockwerke? Sicher nicht in der schweren Rüstung!

Naja, was soll man sagen. Ein gut geschmiertes feudales System mit Sinn für Ästhetik. Und schönes Wetter war auch.

Während sich die Belagerten immer höher in ihren Burgturm zurückziehen, haben sie die Möglichkeit, Steine auf die Feinde zu werfen. In einem Fall sogar aus einem Fenster, in dem geheime Steinwurflöcher eingebaut sind. Das haben die Hinweise, die man über einen QR-Code (!) in jedem Stock auf sein Telefon laden könnte, extra hervorgehoben, dass die feindlichen Soldaten wohl vorsichtig gewesen sein müssen, nicht unter den Steinwurfschlitzen zu stehen, aber in dem einen Fall, seien die eben geheim in den Fensterrahmen eingelassen gewesen und da hat dann niemand gerechnet, plötzlich Steine auf den Helm zu bekommen. Wie seltsam, hab ich mir gedacht, dass man nicht damit rechnen würde, dass man sich darauf verlassen konnte, dass der Feind nicht ein Fenster zweckentfremden würde, um daraus direkt Steine auf die Eindringlinge zu werfen.

Leider hab ich ja in der Burg schon wieder ein bisserl stressen müssen, weil ich zwischen Burg und Bahnhof zu viel Zeit in die Suche nach einem guten Kaffee investiert hab. Aber ich war dann tatsächlich in einem wahnsinnig netten kleinen Café. Das war so klein und so versteckt, dass der Gastgeber richtig erstaunt gewirkt hat, dass er einen Gast hat um zwei am Nachmittag. Aber so hatten wir die Gelegenheit ein bisschen zu plaudern und er hat mir erzählt, dass er eigentlich in einer Behindertenwerktstätte arbeitet, aber sich jetzt schon lange für Kaffee begeistert und er röstet selbst in einer selbstgebastelten Röstvorrichtung. Und zwar über Kohlen. Sei das nicht schwer, da die Variablen konstant zu halten? Ja, lacht er und zeigt mir sein Buch, in dem er minutiös verschiedene Variablen und ihre Ausprägungen bei hunderten Röstvorgängen dokumentiert hat. Ich staune und nippe an meinem Kaffee. Es ist guter Kaffee, aber ob sich die Mühe auszahlt ist immer so eine Frage. In diesem Fall vielleicht weniger, weil er es doch vor allem für sich zu tun scheint, das ist schon länger her, dass ich jemanden so enthusiastisch über seinen Job reden hab hören. Aber ja, es ist mehr ein verwirklichter Traum, den er immer noch stark mit seinem Brotberuf subventionieren muss. Und dann schenkt er mir noch einen kalten Kaffee ein, weil während man bei uns auf das ja traditionell aber vor allem sprichwörtlich herabgeblickt hat, so hat sich das unter KaffeetrinkerInnen in der Welt ja mittlerweile zu einem Trendgetränk gemausert. Vor allem in den wärmeren Gegenden, die mir in den letzten Monaten die Gastfreundschaft erwiesen haben. War auch wirklich gut, bisschen stärker die Bitterkeit, aber, hat er gemeint, das kann auch sein, weil er die Bohnen, die er für meinen Heißkaffee gemahlen hat, gerade erst am Tag davor geröstet hat und der Geschmack brauche manchmal eine halbe Woche oder so, um sich zu entfalten.

Dann haben wir noch ein bisschen über die Scotchwhiskies geredet, die er außerdem in seiner Kaffeebar ausschenkt und dann hat er einen Anruf bekommen, dass sich jemand gerne einen Kaffee abholen kommen möchte. Und weil mein Herr Gastwirt einen sehr langsamen, manuellen Tropfkaffee macht, ist so eine Vorbestellung nicht das schlechteste. Er erzählt mir noch ein bisschen über die Koi, die in einem der Burgteiche gehalten werden, und seinen eigenen Erfahrungen von als er in einer Koizucht gearbeitet hat, die ihre Fische international verschickt haben. Und ein bisschen darüber, wie teuer so ein Koi sein kann. Aber auch, wie schön so ein Koi sein kann.

Außerdem hab ich ein bisschen gehudelt, dass ich noch in den Burggarten komm, weil für den haben sie mir ein Doppelticket angedreht noch bevor ich überrissen hatte, dass ich schon für die Burg meine Schlendergemütlichkeit verkauft hatte und vom Wechselgeld die Taschen voller Zügigkeit bekommen hab. Ich mein, das waren nur hundert Yen mehr, das war eine sehr sanfte Verführungstechnik, die zur Andrehung geführt hat. Dennoch, in for a penny… Nachdem ich aus der Burg von oben in alle Himmelsrichtungen geschaut hab, hab ich mich in die Abstiegsschlange gereiht und war mit zehn Minuten Zeit noch im Garten. Dann hab ich festgestellt, dass ich mich nur für den Einlass bemühen musste und hab meine Spaziergangsgeschwindigkeit wiedergefunden.

Einmal entlang des Kieswegs im Teegarten (geschlossen)

Und weil ich damit immer noch nicht genug erlebt hab, hab ich am Rückweg zum Bahnhof noch zwei Onigiri gekauft und mich auf eine sommerlich veranlagte Bank gesetzt. Von dort hab ich dann einem japanischen Straßenkünstler zugeschaut, wie er sein Publikum entfremdet hat. Ich hab ja nicht ganz verstanden, was so sein shtick ist, er hat viel geredet und sein Outfit war irgendwo zwischen Zirkusdirektor und Steampunk, zwischen Charlie Chaplin und Michael Jackson. Vielleicht gibt s da auch naheliegendere Vorbilder, die sich meiner kulturellen Engstirnigkeit nicht erschlossen hat. Als erstes hat er sein Territorium auf der Straße mit einer Schnur abgesteckt. Während seinen Vorbereitungen hat sich ein Pärchen vor ihm hingestellt, die ihn erst einmal beim Werkeln beobachten. Aber über kurz oder lang beginnt er bereits über sein Mikrophon irgendwelche Geschichten zu erzählen und die Gestik versucht ein bisschen, seine beiden offensichtlichsten BeobachterInnen zur Teil- oder zumindest Anteilnahme zu motivieren. Die beiden steigen einige Schritte zurück und bleiben aber tapfer in der BeobachterInnenrolle, auch wenn ihre Körpersprache sich bereits etwas stärker von dem Straßenkünstler distanziert. Die meisten anderen ZuseherInnen haben übrigens von vornherein in etwas größerer Distanz gehalten. Er hat sicherlich ein Dutzend bis zwanzig ZuseherInnen, aber nur drei oder vier, die sich ohne weiteres als solche zu erkennen geben. Eine kurze Interaktion mit einem vielleicht fünfjährigen Mädchen und ich weiß immer noch nicht, was der Kern seiner Darbietung ist. Vielleicht erzählt er nur Geschichten, auch wenn er sich zumindest wie ein Zauberkünstler verhält.

Bye-bye, Himeji, schön habt s ehs.

Aber auch ich hab irgendwann meine Reisbällchen gegessen (die waren übrigens ausgezeichnet und ich hab seither wenig Lust, wieder zu jenen zurückzukehren, die ich in an jeder zweiten Straßenecke im Snackshop bekomme, die sind einfach deutlich weniger aufregend), und ich gehe zurück zu meinem Zug. Straßenkunst ist kein besonders etabliertes Genre in Japan. Ich glaube durchaus, dass das Potenzial der Publikumsbeteiligung ein wenig als Bedrohung wahrgenommen wird. Oder der Eindruck ist nur ein aus meinen eigenen Angststörungen gewuzelter Apsekt vermeindlich japanischer Kultur, wer kann das schon sagen. Während mein Eindruck schon ist, dass man hier recht viel Wert darauf legt, in der Öffentlichkeit in Frieden gelassen zu werden. Und vielleicht denke ich deshalb jetzt daran, aber ich hab in den Städten auch kaum Obdachlosigkeit erlebt. Wirklich nur in Osaka, dass mir bei meinem ersten Spaziergang zwei, drei offensichtlich verwahrloste, bettelnde Personen aufgefallen sind. Einer auch merklich über dem Durst. Kann man sicherlich mal nachschauen, wie in Japan mit der Obdachlosigkeit umgegangen wird. Intuitiv würde ich glauben, dass da nicht unbedingt liberale Methoden zum Einsatz kommen, mit dem Ziel, Betroffene zu größerer Selbstbestimmung anzuleiten.

_y___y (1/2)

Also gleich vorweg bin ich schon froh, auch Sydney noch besucht zu haben. Es gibt da ja so eine Konkurrenz zwischen SydneyerInnen und MelbournerInnen, wer aus der besseren Stadt kommt. Und nachdem ich so viel Zeit in Melbourne verbracht hab und eindeutig mehr MelbournerInnen kennengelernt hab, als SydneyerInnen, tendiere ich natürlich zu Melbourne, wenn ich mich da für was entscheiden sollen muss. Je mehr ich merke, dass das was ernstes ist, desto unsinniger kommt s mir natürlich gleich wieder vor. Aber ich hab zwei Vergleiche angestellt: Sydney ist schön zum Besuchen, Melbourne ist womöglich schöner zum Dort-Leben. Sydney ist eine Stadt des zwanzigsten Jahrhunderts, Melbourne vielleicht eine Stadt des einundzwanzigsten…? „Das versteh ich nicht,“ sagt V. und ich muss ihr zustimmen: Ja, nein, ist vielleicht ein blöder Vergleich.

Sydney ist jedenfalls pompöser, die haben dort diese Brücke, die ich aus der Nähe betrachtet tatsächlich sehr viel eindrucksvoller finde, als ich das zunächst von den Bildern, die ich von ihr gesehen habe, angenommen hätte. Aber das ist einfach eine enorme Brücke! Und erstaunlich, hab ich den anderen Tag nachgedacht, dass diese Brücke diesen Verkehr aushält. Weil die ist – wenn ich das kurz nachschau – vor sechsundneunzig Jahren gebaut, vor siebenundachtzig Jahren eröffnet worden. Und dass man da schon so gebaut hat, dass der heutige Massenverkehr drüberbrettert. Aber dann wiederum sei „[b]etween December 2006 and March 2010 the bridge […] subject to works designed to ensure its longevity [gewesen]. The work included some strengthening1. Und Entlastungstunnel haben sie auch gegraben. Also wunder ich mich schon zurecht, aber nicht als erster.

Ein Beispiel imposanter Architektur. Zugegeben, ein Kriegsdenkmal. Aber schaut aus wie direkt aus Metropolis. Letztlich eigentlich auch interessant, dass ich da durchaus gedenkend drin stehe, als Vertreter eines der Nachfolgestaaten, gegen die die Leute, denen da drinnen so art-nouveau gedacht wird. Die Architektur sagt ja schon: es geht hier um den Ersten Weltkrieg. Und trotzdem ist es einfacher, jenen zu gedenken, die jenes demokratische System in Europa etabliert haben, in dem ich aufgewachsen bin.

Wie dem auch sei. Da ist eine eindrucksvolle Brücke, da ist ein schickes Opernhaus, da sind protzige Gebäude, die in die Kolonialzeit zurückreichen, da sind riesige Gärten, ich mein, das halbe Zentrum ist im Wesentlichen der botanische Garten. Und ich mein, Melbourne hat auch viel Grün, wirklich, aber – und das mein ich ansatzweise mit dieser Jahrhundertsache – Melbourne kam mir so viel dezentraler vor. Hingegen liegt Sydney so viel mehr am Meer und vor allem ist das Meer im Zentrum, nachdem Sydney in dieser tollen Bucht liegt. Was sie beide haben, sind ihre CBDs, ihre Central Business Districts, wo die Hochhäuser stehen und Bankenlogos einander ausblenden. Wo in die Höhe gebaut wird, mit Glas und Stahl. Aber das ist einfach Spätkapitalismus, das ist halt so. Aber wer will das schon, da gibt s die Markenshops und das ganze Luxusgedings. Im Grunde ist das auch dasselbe wie das Einkaufszentrum in Jakarta, nur dass hier der Unterschied nicht so ins Auge sticht. Im Gegenteil wird hier ja so getan, als hätten alle Zutritt zum Luxus, weil man sich hier halt einmal ins Guylian Caféhaus setzt. Ich kann dir nicht mal sagen, wie teuer dort eine heiße Schokolade ist, weil ich mich nicht ins Guylian Caféhaus gesetzt hab. Nein, nein, wo ich meinen Kaffee trinke, das wird noch zu sehen sein.

Aber ja: Sydney find ich schon gut. Am ersten Abend bin ich gleich einmal die Stadt entlang gelaufen, weil wie gesagt, es gibt ja ein Zentrum oder sowas in der Art, was auch interessant anzuschauen ist. Dabei bin ich an einem Eislaufplatz vorbeigekommen, den sie hier angeeist haben. Ist ja Winter, auch wenn ich die fünfzehn Grad herzlich willkommen geheißen habe. War schön, in der lauen Nachtluft spazieren zu gehen. Am Eislaufplatz sind die AustralierInnen (?) herumgestakst, das war ganz lustig. Dazwischen war ein offensichtlich russisches Pärchen (sie mit Plusterjacke inklusive bepelzter Kaputze, er mit Dreimillimiterfrisur und diesem so beiläufigen no-nonsense Gesichtsausdruck, der auf russischen Gesichtern so richtig zur Geltung kommt), die sich mit fast aggressiver Leichtigkeit zwischen den leicht vorübergebeugten GleichgewichtsbewahrerInnen durchgeschlängelt haben, gleichgültig im Vorwärts- wie im Rückwärtsgang.

Und dann halt der erste Blick auf die Brücke. Das hat schon Eindruck hinterlassen. Und das Opernhaus. Das ist halt so ein klassischer Moment, wo man etwas sieht, was man schon so oft auf Bildern gesehen hat, dass es fast ein bisschen unwirklich ist. Eine halbe Stunde, würde ich sagen, habe ich mich gegen das Fotos-Machen gesträubt, bis ich dem nachgegeben hab. Aus der Entfernung ist das Opernhaus schon eindrucksvoll, und aus der Nähe sind die Details beeindruckend, weil die kennt man ja auch noch nicht so in und auswendig wie die das Große und Ganze. Nicht schlecht.

Sydney/Bucht/Nacht/Brücke.png

Aber eines nach dem anderen.

Am Freitag bin ich erst einmal in die Schnellbahn gestiegen und hab mich auf die Suche nach Wendy Whiteley’s Secret Garden2 gemacht. Das war noch eine Hinterlassenschaft von Jonathan, der gesagt hat, das sei sein Lieblingsplatz in Sydney, der repräsentiere für ihn so viel, was Sydney für ihn bedeute. Also bin ich zu der Station zurückgewatschelt, bei der ich Tags zuvor vom Flughafen angekommen bin und hab mich in den Zug über die Brücke nach Nord-Sydney gesetzt. Und dann bin ich in der Brücke einen Kaffee trinken gegangen. Das war von außen ein bisschen unscheinbar, aber drinnen, o mei, drinnen ist die Hipsterpost abgegangen. Also, das kann man sich ein bisschen wie die Stadtbahnbögen in Wien vorstellen: Da sind einfach Räume unter der Auffahrt auf diese massive Brücke und die sind so ein bisschen Lagerhallen oder was auch immer. Ich hatte ja dann das Glück, dass sich einer der Besitzer oder Manager oder was halt mit einem anderen auf die lange Bank neben mich gesetzt hat und dem dann die Geschichte vom Oberchef erzählt hat und davon, wie der das umgesetzt hat. Weil geplant, hat er gesagt, geplant ist da nicht so wirklich. Das sei mehr so organisch gewachsen. Also der hat nämlich sich diesen Raum gecheckt und dann hat ein anderer Freud von ihm irgendwie günstig ausrangierte Schiffscontainer organisiert und dann hat er da – und da ist mir das dann erst aufgefallen – einen Container schwarz angestrichen in der Mitte des Lagers als Kaffeebar hingestellt. Und auf der einen Seite saß ich auf einem der langen Tische und einer der dazugehörigen Bänken. Auf der Seite waren so Zweiertischchen und am fernen Ende ist einer mit einer Gitarre auf einer Bühne gestanden (über ihm sind zwei Fahrräder von der Decke gehangen) und hat dort vor sich hin gesungen. Freitagvormittag und die machen sich einfach einen lässigen Sonntagsbrunch! Ich hatte ein Stück Bananenbrot mit salziger Butter und das war eigentlich auch schon ziemlich ok. Und dann natürlich der Typ, der mich an der Bar bedient hat, locker-flockig, mit einem Akzent, den ich für Queensländisch halte.

Ich mein: schau wie cool die sind! Da fährt einer mit dem Rad durch s Kaffeehaus!!! Und das hat fix keine Gangschaltung auch nicht!!!!11! Aber dann wiederum war der Kaffee halt auch wirklich gut.

Na jedenfalls hat der Chef mit dem coolen Café noch nicht genug gehabt, hat den Künstler von nebenan rausgekauft (der Gegend beim Gentrifizieren zuschauen, möchte man meinen) und dort mehr Schiffscontainer reingestellt, die er als Büros für – nehm ich an – irgendwelche Crowdfundis oder Kickstars oder Starter-Uppers vermietet. Und dann natürlich gab s noch bisschen Galerie in der dritten Lagerhalle. Also: schon schön. Aber gleich mit der vollen Hipsterwumme, dass sich Melbourne ins Zeug legen muss, um als die hippere Stadt der kaffetrinkenden AppleprodukteverwenderInnen gelten zu können. So, der Unterschied, den ich im Artikel über die Rivalitäten verschiedener australischer Städte gelesen habe, ist, dass vor der Föderation der verschiedenen Kolonialterritorien, Victoria (Melbourne) und New South Wales (Sydney) einfach verschiedene wirtschaftliche Politiken gefahren sind. Das überrascht ein wenig, wenn man dem aus der Perspektive eines modernen Nationalstaates gegenübersteht, dass man in seinen Kolonien nicht ein einheitliches System verwendet. Ein Traum natürlich für die WirtschaftsprofessorInnen, die da die verrücktesten Experimente beobachten hätten können. New South Wales hat mehr auf freien Markt gesetzt, während in Victoria protektionistisch vorgegangen wurde. Und natürlich, nachdem ich so einen Satz gelesen hab, denke ich sofort: ahja, sieht man ja quasi immer noch: neoliberales Sydney mit seiner bombastischen Architektur und das Melbourne, das auf seine KünstlerInnen schaut. Ganz so einfach ist das natürlich auch wieder nicht. Heute dürfte die Differenz mehr darin liegen, dass die einen Australian Rules Football spielen und die anderen Rugby League und sonst halt so tun, als wären sie jeweils die allgemein wichtigeren.

Aber Wendey Whiteley’ Secret Garden ist einfach herzig. Das schaut auf dem Plan wirklich nach nicht viel aus, weil das ganze über einen Hang verteilt ist, aber da ist fast ein bisschen ein Urwald gepflanzt. Da steht man plötzlich zwischen Bäumen und in einer verhältnismäßigen Stille, dass es eine Freude ist. Ab und zu stehen kleine Statuen herum und am Fuß des Hügels stehen dann weit verteilt auch einige Tische und Bänke und andere Sitzgelegenheiten. Dazwischen staksen ein paar so Art Truthühner oder Pfaue, relativ unbeeindruckt von den paar europäischen und asiatischen BesucherInnen, die ihre Hälse winden um sich in alle Richtungen umzusehen. Und wenn man Glück hat, dann sieht man Freiwillige, die mühsam eine volle Schubkarre den steilen Hang hinaufhieven.

Immer gegen die Sonne fotografieren. Aber ich bin, wie dieses Bild beweist, nicht der einzige. Schwacher Trost für all jene, die lieber ein ordentliches Bild vom Wendy Whiteley’s Secret Garden gesehen hätten.

Unterhalb von WWSG setze ich mich ein bisschen ans Ufer und schau den Leuten beim Sporteln, Spazierengehen und Hundausführen zu. Die sind alle so aktiv! Und dennoch ist es immer noch still und gemütlich. Lauter wird s dann, als ich am Ufer entlang zur Brücke zurückgehe und dabei den Luna Park quere. Und ich geh jetzt nicht direkt durch, weil das Geschrei und das Gekreische und die weichen Pommes Frites und das schmierige Ketchup… das lass ich heute aus und gehe außerhalb den Steg entlang wo ich über die Beine hunderter jugendlicher TouristInnen (?) steige, die frittierte Hühnerteile teilen. Weil es ist Mittag und das ist eine Gelegenheit, bei netter Aussicht mit FreundInnen ein Mittagessen zu teilen.

Ich brauche dann ein bisschen, bis ich den Weg auf die Brücke hinauf gefunden habe. Weil ich annehme, dass die Brücke zirka dort anfängt, wo die Bucht ist. Aber das ist ein Irrtum, weil ich muss ein ganz hübsches Stück ins Land hineingehen, bis die Brückenauffahrt niedrig genug ist, dass sie eine Treppe hinauf gebaut haben. Und dann geh ich über die Brücke und wundere mich, dass die die Autos aushält.

Ich mein! Einer der beiden Pfosten auf der Nordseite der Brücke. Die auf der Südseite genauso imposant, also same-same. Dazwischen hängen 503 Meter Brücke.

Über die Brücke gehen ist gratis und schon ein bisschen aufregend. Also, nicht dass die Brücke schwankt oder sowas. Aber bei mir löst so ein Blick, der an meinen Füßen vorbei hundert Meter in die Tiefe geht schon ein Gefühl besonderer Mulmigkeit in meinem Bauch aus, das ich sonst nicht wirklich hab und auch nicht wirklich brauche. Auch wenn überall Zaun ist und Stacheldraht und Verbotsschilder und Sicherheitskameras. Und sogar Personal in Warnwesten herumsteht, die schnell einmal zur Stelle sind, wenn was passieren sollte, also: falls sich jemand nicht passend verhält. Ich mein, man kann dazu stehen wie man will, da gibt s sicherlich mehr als nur eine Perspektive. Aber ich finde, in Sachen ziviler Bevölkerungskontrolle und nämlich auch Sicherheits- und nicht zuletzt Hilfsservices sind die BritInnen und die Systeme in dem einen oder anderen Nachfolgestaat des Empires ziemlich gut aufgestellt. Und da denk ich immer sofort an die im Alltag unbewaffnete Polizei in Großbritannien. Aber in dem speziellen Fall meine ich auch, dass man mit Mobilitätseinschränkungen besser herum kommt als anders in der Welt. Und nicht nur, weil überall Rampen sind, sondern auch weil es in meinen Augen – und zugegeben, das sind nur die Augen – weitgehend enttabuisiert ist, Hilfe entgegenzunehmen. Sicherlich nicht total. Aber zum Beispiel kann sich eine Telefonfirma auch mit einer Werbung etablieren, in der ein junger Mann in einem Kleid und Ohrringen auf der Couch sitzt und zu einer unsichtbaren InterviewerIn sagt, dass er das für wichtig halte, dass die Leute unterschiedlich sein können, weil es sonst langweilig wäre (oder sowas). Das ist klingt jetzt wieder ein bisschen nach was anderem, aber das geht nicht überall, dass man Vielfalt so betont. Und Vielfalt heißt, dass Unterstützung auch verschiedene Formen annehmen muss. Und das wird am besten durch menschliches Personal geleistet, die in der Situation reagieren können. Gut. Großbritannien hat auch das dichteste Netz an Überwachungskameras… ja eh. Ist bei weitem nicht alles gut.

Auf der Südseite angekommen folge ich dem Stadtspaziergang über The Rocks, den mir der Lonely Planet ans Herz legt. Das ist quasi das historische Zentrum des kolonialen Sydneys. Hier steht das älteste Haus und der Zollverein und hier ist das Terminal für die internationalen Cruiseliner, die den Blick auf das Opernhaus blockieren. Zum Glück bricht die Pacific Explorer gerade auf. Und nicht, weil ich das Opernhaus sehen muss, aber weil das einfach imposant ist, wenn dieses riesige Schiff ausparkt. Hinten ist das kleine Lotsenboot angebunden, das weiß ich noch aus Oil Imperium, dass man sich ein Lotsenboot zukaufen kann, wenn man in einem schwierigen Hafen anlegen muss. Das ganze dauert vielleicht eine halbe Stunde oder was, bis sich die Pacific Explorer in Richtung Buchtausgang gerichtet auf den Weg macht und ich meinen The Rocks Spaziergang fortsetze.

Like No Place On Earth

Na ja, auf der anderen Seite der Hafenbucht wird gentrifiziert, was das Zeug hält, da reihen sich zunächst die Austernbars aneinander und die schicken Restaurants haben beheizte Plastikblasen am Kai aufgestellt, in denen sich während ich vorbeischlendere, launige Gruppen niederlassen, die ein bisschen nach After-Work-Trinkgelagen aussehen. Dahinter sind in die alte Lagerhallen bereits vermutlich elegant-rustikale Wohnungen hineingeschlichtet worden, in den Spielplätzen der Umgebung passen junge Väter darauf auf, dass ihre Kinder nicht von den Klettergerüsten fallen. Außerdem ist hier das… älteste Pub Sydneys? Es wirkt tatsächlich recht authentisch für diesen Titel. Ich aber vorbei und schau mir umgeben von Pärchen aus aller Welt den Sonnenuntergang vom Observatoriumshügel aus an. Dann langsam der Abstieg durch die „Altstadt“, wobei das aufregendste noch der Suez Canal ist, eine steile, immer enger werdende Gasse, die am unteren Ende nur noch knapp einen Meter breit ist. Der Name ist ein bisschen ein Wortwitz auf Sewers, weil hier wohl einiges zusammengelaufen ist. Nachteil des Systems war, dass hier regelmäßig Leute überfallen worden sind, die in solchen Gassen quasi ins Eck gedrängt wurden. Aber das dürfte im alten Sydney insgesamt ein Problem gewesen sein.

Der Observatoriumshügel beherbergt nicht nur das Observatorium sondern er überrascht auch mit dieser H.C. Andersen Büste. Nicht im Bild ist folgender Begleittext: „If ever a man preached justice and mercy and love of humanity, it was he. He wrote for the man in the child as no one else has ever done. -Dame Mary Gilmore“ Mein Mann im Kind war mit der kleinen Meerjungfrau und all der dort gepredigten Gerechtigkeit, Gnade und Menschenliebe seinerzeit ein bisschen überfordert.

Samstag war ich faul und nachmittags im Museum of Contemporary Art. Das ist nie so einfach, wie man denkt. Manchmal ist das gut und man sieht was, was witzig oder originell ist. Aber ein bisschen ist das dann auch gar nicht das, was Kunst vielleicht soll: witzig und originell. Die Sonderausstellung im MCA war Shaun Gladwell und da sind schon ein paar – wie gesagt – originelle Sachen ausgestellt. Aber ich denk mir dann: ich glaub ich brauch da mehr Kontext um zu verstehen, warum der gefördert wird, warum der ausgestellt wird, welche Beitrag der liefert und wen er wie beeinflusst oder provoziert oder so… Wem schafft er welche Einsicht oder zumindest Perspektive? Und wenn ich ein bisschen auf andere Leute schau, ich glaub, da geht s ja manchen ähnlich. (Wahrscheinlich brauch ich diesen Eindruck sogar, um meine Meinung so zu formulieren…) Schau: Was das Programm sagt, ist der Shaun Gladwell zum Beispiel mit so Videos geworden, zum Beispiel wie ausgestellt, wo er jemanden filmt, der auf einem Surfbrett sitzt, aber so, dass er unter Wasser ist. Und das wird dann in Zeitlupe abgespielt. Und es ist ganz witzig, weil zuerst weiß man ja gar nicht, was da passiert, das Wasser spiegelt unten genauso wie oben und dann merkt man erst, dass der unter Wasser ist, weil er zum Beispiel Luft holt indem er neben dem Surfbrett seinen Kopf durch die Wasseroberfläche steckt, aber eben nicht ins Wasser sondern aus dem Wasser hinaus. Und das schaut ganz witzig aus, wie er in den Wellen das Gleichgewicht hält.

So. Jetzt… Mein momentaner Go-to-Gedanke ist: wie ist der Prozess, bis jemand mit sowas in eine Ausstellung kommt? Weil der Shaun Gladwell hat zum Beispiel auch bei der Biennale mal den Australischen Dings gestaltet, Pavillion. Und ich lese hier, der Elton John sammelt seine Sachen. Also durchaus von Weltrang. Wie kommt er in diese Situation… aber ich wiederhole mich bereits. Die Frage erscheint nicht so kompliziert und trotzdem schwer auf den Punkt zu bringen. Vielleicht: Welche Rahmenbedingungen machen aus dem Banalen Kunst? Und es ist nicht einmal, dass ich s nicht gut finde, ich würde sogar sagen, ich kann damit was anfangen. Ich bin da zum Beispiel sehr dahinter, dass er seinen Skaterhintegrund einbringt und einbaut und bisweilen ins Zentrum stellt.

Dass bei sowas dann dabeisteht, dass die Form an den da Vincis Vitruvianischen Menschen gemahnt, das kam mir fast wie eine etwas zwängliche Distanzierung von einem ab und zu einmal zitierten Kreuzigungsbildnis vor. Aber muss man den Shaun fragen.

Und in dem oben zitierten Wikipediaartikel hab ich jetzt noch den folgenden Absatz gelesen: „John McDonald [The Sydney Morning Herald], wrote a piece recently that questioned his appeal: ’Watching the inexorable rise of Shaun Gladwell during the past decade makes me feel like the only teetotaller at a drunken party.’“ Und so boshaft das klingt und all meiner oben formulierten Anerkennung zum Trotz, I can see where he’s coming from.

Was irgendwie dann auch immer interessant ist, ist die Ausstellung von KünstlerInnen, die sich als Aborigines oder Torres Strait Islanders identifizieren. Also, bisschen auf der Metaebene: weil die mir kommt vor, an den „traditionellen“ Sachen laufen die Leute oft einmal schnell vorbei. Auf der anderen Seite gab s im MCA auch ein paar KünstlerInnen, die mit viel deutlicheren Objekten ausgestellt waren. Da war beispielsweise eine Videoinstallation, in der die Ereignisse einer Ausschreitung anlässlich des Tods eines Aborigines in Polizeigewahrsam gezeigt wurden. Relativ linear, ein bisschen überschneidend, weil 2004 schon viele private Videokameras unterwegs waren und zusammen mit den Bodycams der Polizei lässt das einerseits die Wut der Bevölkerung und andererseits den Stress der Polizei gut zur Geltung kommen.

Im Erdgeschoß war dann noch ein kenyanischer Künstler ausgestellt und da hab ich schon auch wieder gemerkt, wie sehr der Kunstbegriff (mein Kunstbegriff?) an der Leinwand, und noch nicht einmal der Kinoleinwand, festgemacht ist. Das hat lustigerweise auch der Roman Signer im MONA-Interview gesagt: dass in seiner Jugend ein Künstler jemand war, der gut malen hat können. Ja, da hab ich einiges daran zu kiefeln, hier ein bisschen ein breiteres Verständnis zu entwickeln als alteingesessene SchweizerInnen aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts… Der Michael Armitage jedenfalls, malt zwar auf einem Material, das einen Bezug zu seiner Herkunftskultur herstellt (wo es traditionell als Leichentuch in Verwendung war), aber darauf ist Öl und es schaut mitunter auch ein bisschen aus wie ein Klimt. Easy.

Mangroves Dip (2015) „Sex Tourism is widespread along the coast of Kenya. Mangroves Dip is an image that can be read in multiple ways a tender portrait of a man dipping a woman into water or a reflexion on the sex industry.“ (aus dem Katalog)

Nun, es ufert jetzt schon ein bisschen über jedweden Beckenrand und ich bin erst den zweiten Tag in Sydney. Ja, so Städtetourismus braucht halt ein bisschen Reflexion. Ja, wahrscheinlich bin ich wirklich einfach ein bisschen zu viel Kopf…

Checking out Jakarta

Also ich bin ganz hin und weg von Jakarta. Das kann gut einfach sein, weil ich jetzt noch damit angefangen habe, Indonesien total super zu finden und jetzt gar nicht so recht wegfahren zu wollen. Und dann ist Jakarta auch gar nicht das, was ich befürchtet hab: die Stadt erschlägt mich nicht mit ihrer Größe, weil selbst wenn hier über zehn Millionen Menschen wohnen und gerade noch hinter Tokyo auf Platz zwei der größten Ballungszentren der Welt liegt, die seh ich ja nicht alle. Ich wohn zwar quasi an der Grenze zum Stadtzentrum, wenn nicht überhaupt eh im Stadtzentrum und bin heute halt durch das Stadtzentrum gelaufen, aber trotzdem: geh ich von der fünfspurigen Stadtautobahn in eine Seitenstraße, finde ich dort die selben kleinen Standeln, die selben Leute, die selben Häuser wie in jeder anderen Stadt, in der ich hier gewesen bin. Es herrscht dort schlagartig eine andere Stimmung, auch wenn sich der Verkehr manchmal ein bisschen auch dort den Weg durchbahnt, wenn sonst alles stockt. Es ist natürlich schwierig, etwas über eine Stadt zu sagen, nachdem man sie einen Tag lang gesehen hat.

Weil gestern bin ich ja um viertel fünf am Bahnhof in Bandung gesessen und hab darauf gewartet, dass ich auf den Bahnsteig darf. Weil da hat er mich nicht durchlassen. Ich bin dann etwa um halb auf dem Bahnsteig gewesen und da waren grob geschätzt schon hunderttausend Leute, also ich weiß nicht genau, warum ich nicht hab dürfen aber um ehrlich zu sein bin ich froh, wenn man mir irgendwas sagt. In einem Café in Bandung hab ich gefragt ob sie open oder closed sind und hinter der Budl war nicht so viel Englisch vorhanden oder ich weiß nicht, hat er einfach eines von den beiden ausgesucht und wiederholt, auf jeden Fall hatte ich den Eindruck es wär offen und hab schon die Karte angeschaut und dann hat er ganz bemüht versucht wieder meinen Blick zu bekommen um mir zu deuten, dass nein, doch closed. Und wie gesagt, ich bin wirklich dankbar für alle Informationen die ich dann letztlich bekomm, weil wegen mir muss niemand Englisch lernen. Na und in Jakarta ratz-fatz von dem einen Bahnhof zu meinem Bahnhof, zweimal umsteigen, alles kein Problem, die Sicherheitsleute am Bahnsteig total hilfreich, wissen was ich mein, wenn ich die Stationsnamen ausspreche und der eine hat sich sogar nochmal um mich gekümmert, als sie meinen Zug auf den anderen Bahnsteig umgeleitet hatten. Da hat er mich nochmal gesucht und mir das gesagt. Total nett. Erwartet man das in einer Großstadt? Nicht unbedingt.

Mein Fahrer in Bandung hat ein paar Mal den Kopf geschüttelt über wie verrückt der Verkehr in Jakarta sei. Es ist auf jeden Fall keine Stadt für FußgängerInnen. (Ist mir aber egal.)

Im Hotel hat man mir an der Rezeption gesagt, ich könne erst um zwei einchecken. Natürlich, ich hab ja auch geplant erst um zwei da zu sein… Aber sie ist so lieb und nimmt meinen Rucksack. Ob s ein Café gibt irgendwo oder irgendwas, frag ich. Mall?, fragt sie mich. Ja, warum nicht, Mall. Also geh ich zum Great Indonesian. Leider hat das zu. Ich glaub, weil ein Feiertag war, wie ich später gelesen hab. Aber zuerst glaub ich ja, dass es wegen Demonstrationen oder irgendwas ist. Und ich war mir nicht ganz sicher, ob der Polizeischutz, der das Einkaufszentrum umstellt, ob der immer da ist oder halt heute, quasi Ausnahmezustand.

Für mich aber blöd, ich lauf herum und weiß nicht so recht warum. Es ist nicht mal zehn, das ist mein Problem, wo soll ich meine vier Stunden hier versandeln. Ein bisschen ist mir schon noch unwohl, dass ich mit meinem ganzen Geld (sechzig Euro mindestens waren das) und dem Notebook und so unterwegs bin. Ich glaub ja, es ist Ausnahmezustand. Glücklicherweise hab ich die Karte ja auf dem Telefon und das funktioniert auch offline gut genug und ich schau bei dem einen oder anderen Café vorbei, die ich auf meiner Karte finde. Hinter der deutschen Botschaft finde ich dann eins, das auf den ersten Blick schon ein bisschen komisch ausschaut, aber sie haben offen und ich denk mir, gut, das schaut schon ok aus. Komisch mein ich, dass es total eine AusländerInnenabsteige war. Ganz einfach preislich gesteuert. Ich hab dort quasi Wien-Preise gezahlt. Aber dafür bin ich auch drei Stunden dort gesessen mit meinem Tabbuleh mit Chorizo und meinen zwei Kaffees. Weil ich hab jetzt ein bisschen angefangen, Kaffee zu trinken. Das ist für jetzt, weil das einfach, auch wenn ich grad noch bis zum Hals in Tee gestanden bin, ein Kaffeeland ist. Und er ist gut, was soll ich sagen.

Cup of coffee.

Weil ich in der Früh so irre müde gewesen bin, wollte ich mich dann am Nachmittag ein bisschen hinlegen. Aber die zwei Kaffee, naja, war nicht. Aber ich bin im Hotel herumgelegen und zum ersten Mal in Indonesien amerikanisches Fernsehen gehabt. Ist auch nicht wirklich was gewesen, aber ich hab meine Stadterkundung für heute aufgehoben.

Blöde Idee war das. Blöde Idee weil gestern war vielleicht Feiertag, aber heute ist Montag und anscheinend ist Montag alles zu. Mein Ausflug hat mich zirka sieben Kilometer nach Norden geführt – erm, Luftlinie. Und da waren allerhand Attraktionen aufgelistet. Als erstes führ ich mich in einen großen Park mit einem großen Ständer in der Mitte, stellvertretend für die Kraft, die für die indonesische Unabhängigkeit aufgewandt wurde. Aber als ich den Park betreten möchte, höre ich ein Mister! und der Sicherheitsbeamte sagt mir, dass heute leider der Park zu ist. Maintenance. Maintenance?, denk ich. Vielleicht wird der Park sauber gemacht. Und ich mein, das muss man schon sagen: Indonesien hat ein massives Problem mit dem Mist. Jakarta ist relativ sauber, ganz ehrlich, so wie ich auch in Yogyakarta oft, gefragt wie ich s finde, gesagt hab: sauber. Und die Leute sind freundlich und yaddah-yaddah. Aber das ist halt relativ. Während ich hier war hab ich auch diese Schlagzeile mal gelesen, dass sich die Länder der Welt relativ einig sind, dass es keine gute Idee ist, den Mist der Reichen in die Geographie der Armen zu exportieren. Weil es offenbar usus ist, dass Privatpersonen in Südostasien sich die Müllentsorgung abkaufen lassen und dann einfach tonnenweise Mist in die Landschaft kippen und sich eine zweite Yacht kaufen. Guter alter Kapitalismus.

…aber ich schaff es einfach nicht.

Also der Park zu, das Museum zu, das andere Museum zu. Was offen hat, und was ich besuche ist die Moschee. Die Große Moschee von Jakarta. Und ich mein, das ist nicht untertrieben, die hat schon irre viel Platz. Ich weiß ja zu wenig über Moscheen, warum da so viel Platz draußen ist, zum Beispiel. Weiß ich nicht. Und sie hat halt keine Bänke drinnen, das ist mehr so frei gestaltbarer Raum. Multi-Purpose. Außer dass die Frauen und Kinder halt bisschen auf der einen Seite sitzen müssen, weil die Männer den meisten Platz brauchen. Und jetzt will ich das nicht kleinreden, da ist eine Geschlechterdifferenz tief eingegraben in dieser Architektur. Wobei, in der Architektur, es ist ja nur ein Zaun in der, nun, nicht ganz in der Mitte. Mehr so zwei Drittel eben. Brauchen halt mehr Platz. Aber wie hier Menschen einfach Zeit verbringen, das finde ich immer wieder erstaunlich. Weil ein bisschen ist eine Moschee auch einfach ein Jugendzentrum für Erwachsene. Da kommen die Leute hin, nicht zuletzt, damit sie keinen Blödsinn anstellen und drin werden sie halt ein bisschen indoktriniert, aber auf der andren Seite lernen sie auch Arabisch. Und so liegen die meisten einfach so herum, spielen auf ihrem Handy oder schlafen. Dazwischen beten einige in dieser so seltsam anmutenden physischen Form mit dem Aufstehen und dem Niederknien. Und es ist ganz besonders irgendwie, wenn das einer allein macht oder drei nebeneinander. Na ja, und dadurch, dass dieser Raum so alltäglich genutzt wird, ist es letztlich gar keine schlechte Idee, finde ich, dass es auch einen Damenbereich gibt und einen Herrenbereich. Aber natürlich würde ich den Großteil meiner eigenen Tempel schon als Begegnungszone gestalten und gemeinsam feiern.

Die große Kugel in der Mitte hängt übrigens direkt in der Mitte der großen Kuppel, die nicht im Bild ist, weil ich schon zurückhaltend am Rand gesessen bin und nicht mittendurch marschiert bin.

Aber ja, es ist Ramadan und vielleicht ist es sonst ganz anders. Aber ich hätte gerne mal, dass wenn bei uns irgendwo eine Sendung ist und man braucht ein Symbolvideo für „den Islam“, dass man dann nicht immer diese uniform wippenden Reihen alter Männer zeigt sondern mal so einen großen Teppich, auf dem sich Asiaten in der Mittagshitze ausruhen, während einer in der Ecke sitzt und langsam mit dem Finger im Koran einer Zeile folgt und seine Lippen lautlos den Text nachahmen.

Gegenüber von der Moschee ist die Kathedrale, die hat auch nicht zu gehabt. Die Stimmung in einer Kathedrale ist schon was anderes, als in einer Moschee. Hier, so kommt mir vor, ist nichts mit einfach mal bisschen Zeit verbringen. Ich mein, ja: die TouristInnen sitzen hier auf den hinteren Bänken und genießen die Stille und die Kühle. Aber grad das vorne einer vor einer Marienstatue kniet. Es ist lustig, denke ich, während im Westen der Islam so viel mit seinem Jenseitskonzept assoziiert wird und man sich vor der scheinbar klaren Anleitung für den Märtyrertod fürchtet, dafür erscheint mir die Moschee viel mehr ein Ort des Lebens zu sein, als die Kirche.

Vor der Kathedrale kann man sich mit einem Pappendeckel-Franziskus fotografieren lassen

Was auch nicht zu hat, ist der Kim Tek Ie Tempel. Und o wow bin ich hier überfordert. Also, ich hab mittlerweile das lokale China Town erreicht. Ich muss sagen, ich erzähle wenig darüber, wie aufregend die Straßen einfach sind. Oft sind die Straßen so wie oben in dem Video. Mehrspurig und relativ frei interpretiert von Autos und Mopeds. Selten gibt s einen Übergang, von dem ich dann den Verkehr filmen kann. Öfter steh ich einfach zwei Minuten an der Straße und stürze mich dann in den Verkehr, den dem auf mich zukommenden Verkehr zugewandten Arm ausgestreckt, die flache Hand den FahrerInnen entgegen, als ob ich sie damit abbremsen oder auch nur besänftigen könnte. Zwischendurch steh ich auch mal in der Mitte der Straße und denk mir, ha!, daheim gibt s das nicht. Glücklicherweise gibt s viele Einbahnen und das macht s etwas einfacher. Oft hau ich mich dann aber in irgendwelche Seitengassen, die schnell nur einen, eineinhalb Meter breit sind. Da sitzen die Leute auf der Straße und gehen ihrer Arbeit nach. Richten irgendwas, kochen irgendwas, sortieren irgendwas aus. Dazwischen spielen Kinder und Katzen liegen in der Sonne. Vögel jammern in ihren Käfigen und ab und zu läuft ein Fernseher irgendwo. Und in den Straßen krieg ich dann auch eher mal Blickkontakt und Leute grüßen mich und ich grüße zurück und es fühlt sich gut an, dass mich diese Leute in ihrer Gasse willkommen heißen. Weil ich hab manchmal eh das Gefühl, ich laufe eher durch ihr Wohnzimmer als durch ihre Straße.

Also der Tempel. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Ausschauen tut s chinesisch, von der Architektur. Und im Hintergrund läuft, nun ja, so chinesische Musik halt, wie man sich das vorstellt. Und es gibt dutzende von Schreinen und in jedem stehen Statuen und viele der Statuen haben sogar Namensschilder. Überall brennen Kerzen und Säulen voll Öl in denen ein Docht hängt. Tatsächlich gehen auch Menschen herum, in den Händen ein Bündel Räucherstäbchen, das sie der einen oder anderen Statue widmen, vor ihr so ein bisschen wippen und sich verbeugen und solche Sachen. Es ist… ich will sagen, es ist wie man sich das vielleicht vorstellt. Aber dann wiederum ist es auch wieder gar nicht, wie man sich das vorstellt. Wer sind diese vielen Menschen und möglicherweise GöttInnen und HalbgöttInnen und Dämonen oder… ich hab gedacht, das sei ein buddhistischer Tempel, aber hier sind so viele verschieden Leute.

Braucht noch wer ein Räucherstäbchen?

Ich verlasse den Tempel und China Town und finde mich alsbald wieder unter den vertrauen IndonesierInnen. Ein gutes Stück weiter komme ich dann in der Altstadt an. Hier sind noch einige herausfordernde Straßen zu überqueren, ein Busfahrer schaut mir aus seinem Fenster zu und spornt mich dabei an. Die Altstadt ist ein großer Platz mit Kaffeehäusern drumherum und dem alten Kolonialverwaltungsgebäude. Warte, nur, dass ich das richtig hab. Ja, also, der Sitz des Gouverneurs der Vereenigde Oostindische Compagnie. Der niederländischen Ostindiengesellschaft. Wiederum, man muss den Kapitalismus nicht lieben, aber immerhin haben sie einen hübschen Platz gestaltet und Jakarta ein Rathaus hingestellt. Auf dem Platz rufen mir noch einmal Mädchen nach und wir machen eine Handvoll Selfies, also in Wirklichkeit machen wir einfach Fotos auf denen ich mit drauf bin. Ich habe in den letzten zwei Tagen links im Mund eine Aphthe entwickelt, die mir das Lächeln ein bisschen schmerzhaft macht. Vielleicht, so denke ich, ist es eine Reaktion, eine Abnutzungserscheinung, weil ich hier meine Mundwinkel so viel mehr bemühe als in den Jahren zuvor.

Ich fahr dann mit der Schnellbahn heim. Weil ich war natürlich ganz schön lange unterwegs für das bisschen Luftlinie. Mir klebt das T-Shirt am Körper, alle Kleidungsstücke, die ich mitgebracht hab, verdunkeln sich immens, sobald der Schweiß kommt. Und der Schweiß kommt. Es ist heiß und die Luft ist sicher auch feucht und ich geh so viel, wie sonst niemand in dieser Stadt. Aber auch trocken pickt mir die Haut von Schweiß und Schmutz und… ja, nein. Schweiß und Schmutz, das ist es wahrscheinlich. Ich hatte ein Papaya-Calippo, also einfach eine Spalte Papaya, die mir der Obsthändler in einem Plastiksackerl serviert hat. Es ist ja nicht so, dass das Müllproblem nur importiert wäre. Aber vielleicht kleben meine Hände auch davon noch ein bisschen. Und so geh ich dann ins Mall.

Durchsage im Zug, vielen Dank für die englische Version. Am besten gefällt mir aber, dass Vorsicht auf Indonesisch Hati-hati heißt.

Weil ich wollte eigentlich ins größte Mall von Jakarta gehen, so als Abschluss nach der größten Moschee, der größten Kirche, vielleicht des größten chinesisch-buddhistischen Tempels und des größten erhaltenen Gouverneurssitzes einer niederländischen Multicorp hatte ich ja schon. Aber das Einkaufszentrum war mir dann zu weit entfernt und ich bin deshalb in das Great Indonesia, das ich gestern besuchen wollte. Das war heute offen und es dürfte nicht der Ausnahmezustand gewesen sein: Heute gehe ich an vielleicht hundert Polizisten vorbei, die auf der Straße herumliegen (ja, wirklich, die ruhen sich auch aus wenn s heiß ist), ich mein, de facto steig ich über einige drüber. An der Wand stehen dutzende Plastikschilder für besagte Polizisten. Am unheimlichsten sind jedoch die Granatwerfer, die einige der Polizisten umgehängt haben oder neben den sich ausruhenden (Ruhe vor dem Sturm und so) liegen. Ich kenn sowas nur aus Computerspielen, vor allem das Geräusch, das ich damit assoziiere (ein hohles plopp!) habe ich sicher noch nie in echt gehört. Nebelgranaten? Tränengas? Was weiß man, ich bin im Einkaufszentrum!

Ein paar Polizisten und ihre Deeskalationsausrüstung. Jetzt seh ich grad, dass auf dem Sonnendach Polantas steht, auch irgendwie witzig.

Ja, es ist wirklich ekelhaft. Es ist wie eine andere Welt zu betreten, hier lebt das andere Drittel oder Achtel oder Hundertstel. Hier haben alle Labels ihre Outlets und sie reihen sich alle aneinander. Sportzeugs und Mode, das ist, was die Leute wollen. Gut ausschauen. Und es schaut auch gut aus im Mall, alles ist hell und glatt und diesmal wirklich sauber. Glatt und kalt ist es außerdem. Unter der Kategorie Toys, Children and Maternity finde ich ein paar Spielegeschäfte, aber über Jenga und Vier Gewinnt sehe ich keine Brettspiele. Dann gibt s vier Geschäfte für Books and Stationary. Ich erschrecke ein wenig über mich, als ich feststelle, wie wohl ich mich fühle, von Blöcken, Heften und Kugelschreibern umgeben. Umgeben von einer unnötigen Auswahl an Papier, wird mein lästerndes Kritikerherz auch schon ruhiger. Es dauert lange, bis ich mich für ein Heft entscheide, aber es ist ja auch ein schöner Prozess, in dieser Auswahl zu schwelgen. Ich krieg dann zuerst eine Rechnung von der Abteilungsbetreuerin, mit der ich darauf zur Kassa gehe, wo der Preis nochmal von einer anderen Kassiererin in eine zweite Kassa eingetippt wird. Ich weiß nicht, ob das als extra Service verkauft wird, eine Sicherheits- oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ist. Ich geh dann noch teuer Ramen essen, weil ich schon da bin und der ist auch gut, was soll man sagen. Kapitalismus schafft mir ein hübsches Notizheft und gutes japanisches Essen in sauberer Atmosphäre, das passt schon. Zwischendurch denke ich, ob draußen gerade mit Tränengasgranaten auf DemonstrantInnen geschossen wird, während ich hier in scheinbarer Auswahl und neutraler Hintergrundmusik eingelullt vor mich hin schlender.

Abgeschirmt von der Außenwelt, hab ich im Mall heute sogar den Aufruf zum Fastenbrechen verpasst.

Wieder draußen bin ich nochmal ein bisschen euphorisch, wieder im echten Jakarta zu sein. Aber in Wahrheit gehören die ja eh zusammen. Es ist vielleicht ganz gut, den Kapitalismus so in einem zu sehen, die zwei Aspekte so nebeneinander, nicht wie bei uns, wo es so relativ mittig ist. Sondern wo die einen ihre Schubkarrenläden vor sich herschieben, auf der Straße schlafen und sich immer nur eine Handvoll Shampoo kaufen, weil sie das Geld für eine ganze Flasche in ihrem Haushalt nicht aufbringen. Und auf der anderen Seite der Spiegelpalast, in dem sich Menschen abkapseln, buchstäblich gegen die zunehmend verschmutzte Umwelt, gegen Hitze und Klimawandel, in dem sie sich amerikanische Sportschuhe kaufen, japanische Notizbücher und deutsches Bier. Und hier spüre ich dann auch, zu dem einen globalen Prozent zu gehören. Ich bin vielleicht zögerlicher und unwilliger, aber vielleicht ist das nur hinderlich beim Genuss meiner Privilegien. Natürlich bin ich froh, problemlos Zugang zum Luxusleben zu bekommen, auch wenn ich verschwitzt und schmutzig bin. Ich hab Geld, ich hab eine Hautfarbe, die hier ebenfalls Privileg bedeutet – ich weiß nicht, wie heruntergekommen ich daherkommen müsste, dass mir der Eintritt verwehrt werden würde.

Übrigens könnte ich nicht mal sagen, ob s überhaupt eine Demo gegeben hat heute. Zumindest nichts, was international berichtet würde.

Salan, salan…

Ich bin auf Java angekommen. Ich hab mir von J. und L. noch eine Handvoll Tipps geholt, was hier zu tun ist und dann hab ich mich auf den Weg gemacht. Nochmal Medan zum Abschied und da hab ich schon gemerkt, dass ich an meinem Kulturschock gearbeitet hab und dass ich Indonesien nach zwei Wochen durchaus besser vertrage. Da war auch eine gewisse Vorbildwirkung oder Initiation durch J. und L., das würde ich nie leugnen. Die beiden gehen mit einer Souveränität durch Indonesien, von der ich mir durchaus ein bisschen was abgeschnitten hab.

So hab ich also am Flughafen in Medan mehr oder weniger ruhig gewartet, während der Lionair Flieger, der für zehn vor eins am gleichen Gate wie mein Airasia Flieger (zwanzig nach eins) um eins immer noch nicht mit dem Boarding begonnen hatte. Ist halt so. Im Flugzeug bin ich erste Reihe Gang gesessen, neben mir ein Herr, der sich bereits seiner Schuhe (und Socken sowieso) entledigt hatte, neben ihm ein Herr, der den ganzen Flug in seinem Koran geblättert gelesen hat. Gegenüber am Gang eine Reisegruppe, die alle so bunte Jacken tragen, nebst allerlei Stickerei auch mit einem großen, goldenen Hakenkreuz (linksdrehend) am Rücken. Ja, ich bin weit von zuhause weg.

Final Call… wir sind dann auf der Hinterbühne quasi noch ein oder zwei Gates weitergeleitet worden, ich nehme an, es ist einfacher gewesen, als uns das neue Gate über die Lautsprecher durchzusagen.

Zu den kleineren Unannehmlichkeiten gehört,
(eins) dass es im Flugzeug vor lauter Ramadan nicht einmal Nüsschen oder einen Joghurtbecher Wasser gegeben hat.
(zwei) dass ich im Hotel gemerkt habe, dass ich eine kleine Schabe in meiner Seifendose eingesperrt hatte, die sich beim Holterdipolter der vergangenen zwei Tage (in Medan hab ich zur Hotelseife gegriffen, just so you know) in einen unappetitlichen Scrub verwandelt hat. Hab ich aber schnell aus der Seife gespült gehabt.
(drei) dass sich um drei des Nachts (ist das eigentlich ein doppelter Genitiv? Von wegen der Genitiv von die Nacht sei der Nacht und von der Nacht dementsprechend des Nachts?) jemand in der Tür geirrt hat, sag ich jetzt einmal, und gerne in mein Zimmer kommen wollte. Ich nehme an, bereits als ich das Licht angemacht habe, hat sich die Person draußen korrigiert, als ich dann die Tür aufgemacht habe, war niemand zu sehen. Es kann natürlich auch sein, dass die Wände so dünn sind, dass ich wirklich den Schlüssel in der Nachbartür gehört habe, kann durchaus sein. Ich hab dann noch den Riegel vorgeschoben und weitergeschlafen.

Naja und heute hatte ich eigentlich einen ganz gemütlichen Tag in Yogyakarta, or as the cool kids are calling it: Jogja. Ich hab immer noch etwas gebraucht, um aus dem Haus zu gehen… Es gibt ja nicht so richtig ein Frühstück in Indonesien. Die Leute fangen gleich einmal mit einem Curry oder einer Hühnersuppe an. Und ich bin ganz ehrlich ein bisschen damit überfordert, wenn das nicht im Hotel irgendwo mit inbegriffen ist, mir in der Früh bereits was frittiertes zu bestellen. Es ist – glaub ich zu recht zu behaupten – mehr das Bestellen als das Essen.

Wer ist wieder da…?

Aber ich bin dann bisschen spazieren gegangen und es ist schon etwas touristischer als Medan. Aber der Tourismus ist viel asiatischer Tourismus, die EuropäerInnen sieht man wirklich nur vereinzelt, also selten tatsächlich vereinzelt, ab und zu zwei Mädels, immer wieder mal ein Pärchen, selten mehrere. Dafür in allen möglichen Alterskategorien. Und ab und zu grüßen wir uns, wenn wir irgendwo aneinander vorbeigehen. Es ist sicher eine zweiseitige Sache, wo ich mich in zwei Wochen doch etwas an Indonesien gewöhnt hab, aber Jogja ist auch ein bisschen aufgeräumter und insgesamt weniger überrascht mich zu sehen. Heute wurde ich nicht ein einziges mal darum gebeten, den Selfiehintergrund zu machen.

Die beste Begegnung des Tages hatte ich mit einer älteren Frau, in deren Standl ich mich auf der Suche nach Ronde niedergelassen hatte. (Keine Ahnung was Ronde ist, ich hab halt die Empfehlung… ist es eine Empfehlung oder eine Mutprobe, ich hab den Kontext ein bisschen vergessen.) Sie hat mir mit einem Wort und nach meinem Unverständnis mit einem Wort und einer Handbewegung vermittelt, dass Ronde aus ist. Aber weil ich jetzt schon da war, hab ich mir dann einen Kopi gekauft und dabei quasi mein ganzes Indonesisch an die Frau gebracht. Panas? fragt sie mich. Panas, sag ich. Das hab ich bei den heißen Quellen gelernt, die wir in der Zwischenzeit einmal besucht hatten: Air Panas – heißes Wasser. Das Air Wasser heißt ist ja besonders lustig, wenn man zum Beispiel ein Air Tonic bekommt. Hätten sie direkt in Space Balls verwenden können. Jedenfalls hat sie mir dann einen picksüßen Instantkaffee gemacht. Aber war nicht so schlecht. Ich hab mir nur gedacht: erstens würde ich das Zeugt zuhause aber sowas von nicht trinken. Und zweitens sitz ich hier in einem Land, in dem super Kaffee angebaut wird, in dem ich frische Kaffeebohnen vom Strauch genascht habe (und ich hab das ganz gut gefunden, fast schade, dass niemand Kaffee auf dickeres Fruchtfleisch hingezüchtet hat) und, naja, Instantkopi. Aber gut war er halt doch irgendwie. Und dann hat sie viertausend verlangt und das ist wirklich ok, weil immerhin hat sie einen guten Standort gleich neben dem Sultanspalast. Und lernen tu ich auch noch was: Sie fragt mich was ich tu und antwortet sich selbst mit salan, salan – walking, walking.

Ich hab das auch bei den Schmetterlingen mal gesagt: ich versteh das schon, dass man von der Schönheit angetan ist und sich das irgendwie einfangen möchte, aber daraus entstehen dann halt so Sammelkästen mit toten Insekten. Und so ähnlich ist es damit, dass hier überall Vögel in Käfigen gehalten werden. Das macht eine schöne Geräuschkulisse, aber es hat auch was trauriges.

Der Sultanspalast war allerdings schon zu. Ich war dafür in einer Kunstgalerie, in der Batik ausgestellt war. Und jetzt, nicht dass du glaubst, Hippieteeshirts. Neinein, das ist eine Technik, die hab ich mir dort erklären lassen und dann hab ich nichts gekauft und da war der Galerist nicht ganz glücklich mit mir, das hab ich schon gemerkt. Aber das war schon klar, weil mich auf der Straße echt drei Leute zu der Galerie geschickt haben. Und ich war eh schon skeptisch und voller Verdacht, dass einem hier die Leute, die einen auf der Straße ansprechen, tatsächlich nur gute Tipps geben, wo gibt s denn sowas? Aber scheinbar hält man mich für einen Künstler, wegen den langen Haaren. Long hair, long life ist ein Spruch, den ich schon ein paar Mal gehört hab. Das ist nicht ganz ernst gemeint, so viel hör ich schon raus. Aber was genau dahinter steckt, bin ich mir nicht ganz sicher. Es gibt schon Männer mit langen Haaren, so ist das nicht, aber irgendwie ist es nicht gewöhnlich und wenn, dann ist man damit wohl ein Künstler. Und so war ich dann trotzdem in der Galerie und das war auch interessant, weil es ist-a-so, dass da mit Bienenwachs auf Baumwolle das Bild quasi aufgetragen wird und dann wird drüber gemalt, von hell nach dunkel und wer will, der kann zwischen den Farben auch neu mit Wachs arbeiten und am Ende wird das ganze in kochend heißes Wasser getunkt und das Wachs schmilzt davon und übrig bleibt das Bild. Besonders interessant – aber das machen nur die wirklich guten – fand ich die Technik, wo das ganze Tuch schwarz gefärbt wird und dann wird wiederum mit Wachs gemalt und dann wird gebleicht und übrig bleibt schwarz. Fotografieren wäre wohl etwas frech gewesen zu dem Zeitpunkt.

Ausblick auf den Verkehr. Selbst auf GoogleMaps wird neben der Wegdauer mit dem Auto, dem öffentlichem Verkehr oder zu Fuß auch eine Moped als Option angeboten.

Und dann bin ich in den Wasserpalast gegangen, wo ich alle paar Meter einen selbsternannten Guide abgeschüttelt hab. Eigentlich sind sie echt nicht besonders aufdringlich, jetzt, überhaupt. Manchmal fragt mich einer, ob ich transport brauch, aber ein einziges Nein tut s in der Regel. Ab und zu fragt halt einer wo ich herkomm und sag dann ah, Vienna oder ah, Australia, je nach meiner Aussprache. Der eine hat mich gleich einmal als einen Deutschen erkannt, an meinen Sandalen oder an meinem Hipsterssackerl, das hat mir ein bisschen zu denken gegeben. Aber natürlich. Für einen Niederländer fehlt mir ein halber Meter Körpergröße und irgendwie gibt s sonst nicht so viel europäischen Tourismus. Am Lake Tabo waren noch ein paar RussInnen, also, das war auffällig. Aber sonst, ja Deutsche. Vielleicht muss ich mir da gar nicht so viel Gedanken drüber machen. Nicht, dass ich was dagegen hab, dass ich als Deutscher identifiziert werde, wirklich nicht. Ich mein, ich bedaure halt am ehesten, dass mein Französisch-Sein ausgeschlossen wird…

Der unterirdische Eingang in den Wasserpalast. Die Wände sind sichtlich renovierungsbedürftig.

Egal. Was? Ja, Wasserpalast. War ok. Da gibt s Eintritt und irgendwie ist es ein bisschen unübersichtlich und außerdem wird gerade renoviert und entweder ich hab eine Tür verpasst oder Teile sind abgesperrt, auf jeden Fall waren in meiner Broschüre mehr Räume als ich gesehen habe, aber dann wiederum darf man durch manche Durchgänge nur in eine Richtung und nicht mehr zurück und was man dann verpasst hat, hat man halt verpasst. Ich hab mir gedacht, schade, dass sie nicht diesen javanischen Stil für Dorne verwendet haben (Game of Thrones Referenz), weil im Grunde ist das eins zu eins der eine Ort gewesen, an dem Doran Martell gezeigt wurde. Es wäre schön gewesen, wenn die Rhoynar sich so deutlich im Architekturstil von den Andals und der First Men absetzen. Aber nachdem Dorne letztlich eh keine Rolle gespielt hat, wäre das auch vergebene Liebesmüh gewesen. Der hiesige Wasserpalast war ebenfalls nur ein Schatten von dem, was er mal gewesen ist. Aber es gibt auf jeden Fall eine Idee davon, dass das recht eindrucksvoll gewesen sein muss. Interessant auch, dass drumherum einfach Stadt ist, also an den Außenmauern quasi schon die nächsten Häuser angebaut sind. Sowas tät s bei uns nicht geben.

Über dem Tor ist das, was ich im nächsten Absatz als javanesischen Löwen bezeichne. Leider ist mir da die Sonne von der Seite ins Bild gesprungen…

Vom Stil eigentlich sehr schön. Es ist dieses Javanesische, mit den Löwen, die die Zunge herausstrecken und ich hab das vorher auch schon in der Galerie gesehen, bei denen, die traditioneller gemalt haben und hab mich daran erinnert, dass ich als Kind das schon interessant gefunden habe. Ich weiß nicht, war das im Naturhistorischen Museum? Wäre eigentlich seltsam… Aber ich erinnere mich an javanesisches Schattenpuppentheater und dass ich das toll gefunden habe. Nämlich wahrscheinlich leicht gruselig, aber faszinierend. Ich kann mich wahrlich kaum erinnern, aber es ist nicht komplett negativ besetzt.

Und dann hab ich mich in ein Hipstercafé gesetzt. Also, wirklich. Das hätte so auch in Melbourne stehen können. Dort hab ich einen Burger gegessen und einen Kaffee getrunken, einen echten jetzt. Der war auch ziemlich gut, hat mir aber auch echt ein bisschen den Kreislauf zusammengehaut. Hundertfünfzig Milliliter, sans Zucker, ich hab nicht zugeschaut, aber Bamboo Drip, durch oder zumindest mithilfe von Bambus gefiltert. Dort bin ich endlich dazu gekommen, mir ein bisschen indonesische Geschichte anzulesen…

Entkolonialisierung

Also, Indonesien war ja niederländische Kolonie. Im sechzehnten Jahrhundert sind die niederländischen HändlerInnen gekommen und zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts hat sich eine nationale Bewegung in Indonesien entwickelt. Weil eigentlich natürlich irgendwie nahezu hundert Ethnien, die auf den vielen Inseln halt leben. Und die Niederländer haben natürlich, für Verwaltung und alles selbst ein bisschen drauf geschaut, dass das zusammenkommt. Aber dann hat halt der Nationalismus auch hier begonnen und vielleicht ganz interessant, weil es schon ein bisschen eine andere Facette auch zeigt und man muss wohl vorsichtig sein, wenn man alles über einen Kamm schert tut man wohl auch dem einen oder anderen unrecht. Jetzt, das vorausgeschickt ist die Unabhängigkeit Indonesiens jetzt nicht nur vom Nationalismus sondern vielmehr vom Faschismus auch befördert worden. Weil die Niederlande sind ja schnell einmal besetzt gewesen, als das Deutsche Reich in Richtung Paris marschiert ist. Also, jetzt vor allem im zweiten Weltkrieg, aus dem ersten – wieder was gelernt – haben sich die Niederlande militärisch nicht beteiligt bzw. wurden auch nicht beteiligt. Indonesien ist dann nicht Teil des Deutschen Reichs geworden, wie ich einmal spekuliert hatte, die NiederländerInnen (ich mein, technisch gesehen, waren die Niederlande eine Demokratie, da ist auch die Kolonialpolitik durch den Volkswillen getragen) haben sich noch ein bisschen gehalten, bis Indonesien dann von Japan besetzt worden ist. Die haben in zwei, drei Jahren die niederländischen Verwaltungsstrukturen dekonstruiert und spätestens als es ihnen nicht mehr so gut gegangen ist, haben sie selbst den indonesischen Nationalismus gefördert. Nachdem Japan kapituliert hatte waren sie angehalten einerseits die Waffen niederzulegen, andererseits Indonesien weiterhin zu verwalten. Daraufhin haben sie – zumindest teilweise – einfach die nationalistischen Indonesier(Innen), die hinter Japan standen, bewaffnet. Irgendwann ist dann noch die britische Armee gekommen, auf die Bitte der NiederländerInnen, die da einfach kolonial weitermachen wollten, aber einfach nicht die Ressourcen hatten, um da ein Volk zu unterdrücken. Großbritannien hatte aber auch nicht gerade Lust, da jetzt stellvertretend einen Kolonialkrieg für die Niederlande zu führen und pi-pa-po hat Indonesien noch fünfundvierzig die Unabhängigkeit ausgerufen. Drei bis vier Jahre hat der Imperialismus gegen den Nationalismus gekämpft und etwa eine Viertelmillion Tote verursacht, größtenteils IndonesierInnen, Militär und Zivile. Aber dann haben die NiederländerInnen gesagt, ok, dann halt nicht, macht s euren Scheiß doch selber, wir wollen gar nicht wirklich Kolonialpersonen sein.

Weil es gibt hier schon viele Statuen, mehr oder weniger hässlich, muss man leider sagen, die einen militärischen Sieg feiern und oft haben die neunzehnfünfundvierzig draufstehen. Da hab ich mich oft gefragt, aber jetzt weiß ich s.

Der Islam in Indonesien

Das war das zweite Thema, das mich schon länger interessiert hat. Interessanterweise gibt s dazu angeblich einfach nur wenig Informationen. Es ist einfach nicht klar, wann und wie sich der Islam in Indonesien durchgesetzt hat, auf jeden Fall hat er das. Als die europäischen HändlerInnen im sechzehnten Jahrhundert hier groß angekommen sind, gab s praktisch keinen Buddhismus und keinen Hinduismus mehr. Und dabei mag der Islam tatsächlich nur hundertfünfzig Jahre vorher so wirklich angekommen sein. Aber wie ja oben schon angedeutet, gab s statt Indonesien ja einen ganzen Haufen an Völkern, die in unterschiedlichen Systemen gelebt und beherrscht wurden. Es ist ein bisschen ein Rätsel und, wie die Wikipedia schön sagt, der indonesische Staat ist mehr daran interessiert, neue Moscheen zu bauen als alte auszugraben.

Halbe Stunde noch bis Fastenbrechen!

Als nächstes wäre es interessant, den südostasiatischen Islam ein bisschen mehr ins Bewusstsein zu rücken. Bzw. auch besser zu verstehen. Schon auch, um zu zeigen, dass Islam Nuancen besitzt und dass man in Europa halt an den arabischen Raum denkt, wenn man Islam sagt und man kann gerne die Stellung der Frau, männliche Ehrenkodexe oder den Umgang mit Hunden diskutieren, aber vielleicht muss man da kulturell ein bisschen aufpassen und das nicht per se dem Islam in die Schuhe schieben. Ich bin nie so vielen, nämlich größtenteils total entspannten, umgänglichen Hunden wie hier, dem viertbevölkerungsreichsten Staat der Welt mit der größten muslimischen Bevölkerung begegnet. Auch wenn das nur mein kleiner Erfahrungsschatz ist.

Nelson is Nice

Alles ist ein bisschen holter-di-polter in Neuseeland. In meinem Neuseeland. Weil ich dauernd unterwegs bin und nirgendwo mal länger als zwei Nächte schlafe. Das ist nicht schlecht, weil es gibt viel zu sehen. Aber in Nelson bin ich jetzt doch ein bisschen angekommen. Angekommen insofern, als dass ich keine Erwartungen an Nelson stelle, weil ich vor allem hier bin um meinen Flug nach Auckland zu nehmen.

Aber dann ist Nelson überraschend. Weil es gemütlicher ist oder vielleicht bin s nur ich. Aber es gibt einen Bridgeclub gegenüber vom Croquetfeld. Und die liebe Obstundgemüseverkäuferin ergänzt mein Wie-überraschend-schön-ich-Nelson-finde mit der Beobachtung, dass hier viele alte Leute leben. Und vielleicht macht das eine gewisse Gemütlichkeit aus.

„Short black“ gegenüber von meinem Hostel. Man glaubt es nicht, wie oft ich einen Espresso bestelle (wenn ein solcher nämlich auf der Tafel angeschrieben steht) und die BestellungenentgegennehmerIn sich um Unterstützung umsieht, die ihr den Espresso in Short Black übersetzt. Der abgebildete war dann auf jeden Fall der beste von dreien, die ich in Nelson getrunken hab.

Jedenfalls habe ich keine Pläne für Nelson. Die Hauptattraktion ist, dass man von hier zum Abel-Tasman-Walk kommt, der der wahrscheinlich populärste der Great Walks ist. Der geht über mehrere Tage und am Strand entlang und in den Wald und außerdem historisch. Spielt alle Stückel. Aber das hab ich ja jetzt erst einmal hinter mir. Meine Bergschuhe sind schon geschrubbt und wieder ganz unten in meinem Rucksack verstaut. Insgesamt fühlt es sich ein bisschen an, als hätte ich erst einmal etwas erledigt, was ich mir vorgenommen hatte. Das ist schön. Aber es wirft auch ein wenig die Frage auf, was jetzt kommt…

Noch dazu, möchte ich ergänzen, wo ich heute auch meine erste Kiwi in Neuseeland gegessen hab. Verrückt, ich geb s gern zu. Aber es hat offenbar etwas gedauert, das Obstundgemüsegeschäft meines Vertrauens zu finden… Ich hab außerdem Passionsfrüchte gekauft, das Kilo um zwölf Euro. Das ist fast so gut, wie Papageien in den Bäumen.