verblassende Erinnerungen

Die Japanischen Eisenbahnen tragen mich von einer Insel zur anderen, zwei Tage in der einen Stadt und weiter in die nächste. Eine Woche ist das her, dass ich mich konzentriert ans Erinnern gesetzt habe, eine Woche und locker dreitausend Kilometer, dass ich jetzt wieder in Tokio sitze und versuche, im Rückblick jene Emotionen auseinanderzuklauben, die langsam aber sicher in ein relativ homogenes Japanbild zusammenschmelzen. Gut, es ist nicht so, als ob ich nicht Notizen gemacht hätte…

An Osaka erinnere ich mich mehr an das Hostel als an die Stadt selbst. „Hostelzentriert“ hab ich mir notiert. Und so ist das, es gibt einfach Städte, wo mir die Unterkünfte stärker in Erinnerung bleiben, wo die Erfahrungen dort einfach die nachhaltigeren sind. Und natürlich sind das die Begegnungen, weil das sind die Erlebnisse, die mich wirklich anstoßen. Und mit der Osakaer Jugendherberge hab ich s wirklich gut erwischt. Dabei hat s zuerst gar nicht so gut ausgeschaut, als mir die Ina am Email gesagt hat, dass sie das Zimmer nur für zwei Nächte hat und dann hab ich mir gedacht, gut, dann halt nur zwei, so sehr haut das meinen Plan auch wieder nicht durcheinander. Aber dann hat sie gemerkt, dass ich eh nur für das Schlafzimmer ein Bett such und nicht ein Dreierzimmer. Ich weiß nicht, wie sie auf die Idee gekommen ist. Aber dann hat sie gesagt, ahso, ja, nein, kein Problem: drei Nächte. Prima, sag ich, drei Nächte sind gebongt. Und dass sie eine Katze haben, nur für den Fall, dass ich damit nicht oder eine Allergie oder so. Nein, sag ich, das passt, find ich gut.

Ein japanischer Beitrag zur globalen Popkultur ist ja das Konzept von „kawaii“, was vor allem als kuschlig, herzig, knuffig, süß zu verstehen ist. Aber der Begriff beschreibt eigentlich vielmehr einen spezifischen Stil, den ich hier als die große Infantilisierung aller Lebensbereiche zusammenfassen möchte, anthropomorphe Tierbabies mit weiten Pupillen und eine picksüße Mädchenhaftigkeit unter Sonnenschirmchen.

Der Kater heißt Akubi und war letztlich ein sehr herziger. Da gehört schon einiges dazu, eine entspannte Katze in einer Jugendherberge zu sein. Und ohne ihn darauf reduzieren zu wollen, seine auffälligste Eigenschaft waren seine kurzen Beine, die vielleicht halb so lang waren, wie man erwarten möchte. Mehr ein Nilpferd als eine Giraffe, das macht einen irre herzigen Eindruck. (Dabei fällt mir ein, dass hier in Tierhandlungen immer noch Tierjungen in Glaskästen gehalten werden wo Hunde umhertollend und Katzen abgewandt schlafend auf eine KäuferIn warten. Schon gut, dass das bei uns nicht mehr durchgeht.)

Die kurzen Beine des Hostelkaters kamen in Kombination mit steilen Stufen, über die ich in den obersten Stock hinaufklettern musste. Und Schiebetüren in den Stockwerken. Was unabhängig von der Beinlänge für einen Kater bereits eine ziemliche Hürde darstellt. Wenn der Kater einmal bis hinaufgelaufen gekommen ist, dann hat er nicht wirklich selbst wieder bis runter können. Und Samstagnacht sind die Deutschen, die bei uns im Zimmer waren, spät von – wie ich am nächsten Tage erfahren hab – der Karaoke nachhause gekommen und hatten dem Kater gegenüber wohl nur berauschte Gleichgültigkeit, als der mit ihnen in den gemeinen Schlafraum geschlüpft ist. War eh super, weil ich hab schon lang nicht mehr mit einer Katze auf den Beinen geschlafen und eigentlich ist das ein leistbarer Luxus. Das war schon nett. Nur in der Früh natürlich will die Katze aufstehen, so auch dieser Kater. Und da lernen verschiedene Katzen wohl unterschiedliche Techniken. Sehr effektiv ist es, wenn man mir daheim von unten die Krallen unter die Decke schlägt, ob man dabei meinen Fuß erwischt oder nicht, da schwappt mir das Adrenalin bis unter die Schädeldecke, da gibt s kein Weiterschlafen. Dieser Kater hat einfach zugebissen. Nämlich nicht nur so bisschen geknabbert. Er hat geschnurrt dabei, also hab ich s nicht als aggressiv verstanden, aber nachdem er mir ein bisschen in die Frisur gebissen hat, hat er mir in den Hals gebissen, dass mir das Blut gekommen ist. Eh ein zarter Kratzer. Aber überraschend war das schon.

Und das war mein einer Ausflug durch Osaka. Ich hab s schon auch als hübsch in Erinnerung.

Nachdem ich am ersten Tag einen kleinen Spaziergang durch Osaka gemacht hab, hab ich mich am Abend gegenüber ins Okonomiyakilokal gesetzt. Weil da haben sie mich aus dem Hostel, das direkt gegenüber liegt, hingeschickt. Die Osaka-Okonomiyaki seien ganz anders als die Hiroshima-Okonomiyaki, sagen sie. Da bräuchte ich mich gar nicht auf meinem Ich-hatte-erst-gestern-Okonomiyaki auszuruhen. (Wir hatten ziemlich flott eine ziemliche nette Unterhaltungsebene im Hostel, wie gesagt, das Hostel, die Begegnungen, das Wohlfühlen, in diesen Punkten macht Osaka Punkte.) Und das stimmt ja auch, ganz anders, so eine Osakaokonomiyaki. Vor allem aber hab ich einmal mit einem Blick auf die Tür festgestellt, dass ich in einem Michelin ausgezeichneten Lokal sitze und das war vielleicht auch eine Premiere. Uuuuhh. Dabei hat s nicht ausgeschaut, wie ich mir ein Haubenlokal vorstell. Zuerst einmal hab ich draußen sicher eine halbe Stunde auf einen Platz gewartet. Da haben sie so Hocker auf dem Gehsteig aufgestellt gehabt, von denen man immer eins weitergerrückt ist, wenn jemand einen Platz im Lokal bekommen hat. Und bis ich dann eine Stunde später meine Okonomiyaki bekommen hab, hab mir eine Zeit lang gedacht, dass das vielleicht das beste Essen ist, das ich je gegessen hab. Aber ich hab auch ein ganzes Bier lang auf mein Essen gewartet, und ich hab nicht wirklich was gegessen gehabt, weil war ja Reisetag. Und da sitz ich dann, kann sein, dass ich schon bisschen beschickert war, wie ich dann meine Palatschinke bekommen hab.

Weil, pass auf: Okonomiyaki werden als japanische Pfannkuchen vermarktet. Und das ist schon nicht falsch, weil es kommt ein Palatschinkenteig vor. Jetzt: Hiroshimastyle hat so ausgeschaut, dass meine Köchin eine Palatschinke gemacht hat und dann ein Kraut und die anderen Ingredienzien genommen hat und die Palatschinke wie einen Deckel auf dem Kraut verwendet hat, dass es durchgart. Ja? Also sie hat einen Haufen Kraut auf ein bisschen ein Öl gestapelt und dann die Palatschinke drauf und dann halt geschaut, dass das Kraut gar wird. Osakastyle mischt man das alles schon einmal zusammen und haut s dann als ein Ganzes auf die Kochoberfläche. Und dann haben sie einen Deckel draufgetan, was ich ein bisschen schummeln gefunden hab, aber es hat ja wie gesagt lang genug gedauert, bis es fertig war, also gut dass sie einen Deckel genommen hat. He, und dann war das einfach total gut. Da war ein Schwein drin und ein Tintenfisch und eine Jakobsmuschel und dann ein Spiegelei drauf und die Okonomiyakisauce, die so bisschen Worcestersauce ist, aber mit Datteln gestreckt und gesüßt und dann hauen sie eine Mayonnaise drauf, wie die JapanerInnen das gerne machen. Die kommt aber wirklich anders rüber, als die unsrige, ich sollte die mal pur kosten. Und dann kommen noch Nori drauf, was zuerst einmal wie Petersilie ausschaut, und Katsuobushi, also Späne von zu Holz getrocknetem Thunfisch. Und dann ist es fast wie mit Gabel und Messer essen, weil in einer ziemlichen Ausnahme kriegt man hier ein japanisches Essen, das nicht mundgerecht daherkommt. Dafür kriegt man eine kleine Version von den Spachteln, mit denen die Köche das Essen zubereiten und spaltet sich da seine Stücke von der großen Festtagstorte herunter, bis man dann endlich seine Stäbchen einsetzt.

Und dann bin ich zurück ins Hostel und die vielen Stockwerke hinauf. Beim Einchecken haben wir noch gescherzt, weil in Japan zählt man das Erdgeschoß als ersten Stock. Ich hab am Anfang tatsächlich ein bisschen gebraucht, bis ich verstanden hab, dass der Adresszusatz F4 nicht eine Hausnummer ist, sondern für Floor 4 steht. Dort hab ich gewohnt, im vierten Stock. Aber, hab ich gesagt, bei uns ist ja der F2 erst der erste Stock und dann sagen wir, gibt s noch einen Mezzanin, also bin ich auf österreichisch eh nur im zweiten Stock. Die Polin hat auf meine Erklärung des Ursprungs, des vermeintlichen Ursprungs dieser Praxis gemeint, dass man in Polen wohl einmal die Steuern auf ein Haus nach der Anzahl der Fenster bemessen hätte, woraufhin die Leute ihre Fenster zugemauert hätten. Ich mein, so Steuergesetze können schon auch Unsinn anrichten. Mir sind dazu dann noch die Gehsteige eingefallen, von denen es hier ja außer auf den großen Straßen, keine gibt. Find ich immer noch toll. Ach ja. Und die Autos parken auch nicht auf der Straße sondern müssen in einer Garage oder in einem Parkhaus Platz finden. Wenn man das mal erlebt, dann ist dieses Argument, dass jedes Auto bei uns eigentlich Miete zahlen müsste für die zehn Quadratmeter öffentlichen Raum die es einfach verstellt… also nicht das Auto soll die Miete zahlen. Da könnten wir lang warten. Aber ich mein, das ist einfach nachvollziehbarer wenn man sieht wie… man sieht einfach besser. Vielleicht muss man das so dem Handel vorschlagen, dass man dann auch von der gegenüberliegenden Straßenseite in die Schaufenster schauen kann.

Es war ein komischer Moment, als ich durch schieres Glück über diese Brücke gegangen bin und auf einen Pulk asiatischer TouristInnen gestoßen bin, die sich hier mit Werbeflächen fotografiert haben. Sicherheitshalber hab ich halt auch mal ein Foto gemacht, um später zu lernen, dass der Läufer da in der Mitte, dass das der Glico Mann ist. Der macht Werbung für ein japanisches Nahrungsmittelunternehmen, der hängt da schon seit 1935. Ach was weiß ich… Leute, die sich mit einem Werbeplakat fotografieren! Da kann einem der Konsumismus schon sauer aufstoßen.

Von meinen Krautpalatschinken zurück ins Hotel bin ich dann im Zimmer meiner Zimmerkollegin begegnet und wir haben uns vorgestellt und sind so ein bisschen ins Plaudern gekommen über dieses und jenes. Und bevor man sich s versah, war s fünf Uhr in der Früh. Das war unerwartet. Aber witzig, weil ich hab mir noch am Tag davor einmal gedacht, so in der Reflektion über das eigene Leben, wie man ein bisschen schräg wird, wenn man sich unkontrolliert in seinen Interessen spezialisiert und eines Tages merkt, wie man mit seinen Anekdoten wenig anschlussfähig ist, dass man sich da vielleicht ein bisschen isoliert hat, ohne dass es geplant war. Nicht, dass das nicht eine immer wiederkehrende Sorge ist, kann sein, dass es nur so eine selektive Wahrnehmung ist, dass ich mich jetzt erinnere, dass ich das gerade erst gedacht hätte und dann plötzlich eben treff ich auf wen, die mich gerade dort erwischt, wo ich das Gefühl hatte, dass ich ein bisschen gar esoterisch in meinen Vorlieben geworden bin. So sitz ich im Hostel in Osaka und find ausgerechnet eine Amerikanerin bestbewandt in der britischen Comedyszene. Sag ich zum Beispiel, na der Ding, den find ich gut und mir der Name nicht einfällt und ich so rumüberleg und sie sagt dann, anyway, den James Acaster fändt sie noch sehr lustig. Und ich denk mir, den hab ich gerade gesucht. Greg Davies? Zitiert sie schon Man Down. Da ist mir schon weich in den Knien geworden.

Am nächsten Tag war ich dann ein bisschen müde in Nara. Nara, sagt mein Reiseführer war die erste fixe Hauptstadt Japans und nachdem s mir auch meine Lokalbekanntschaften auf die Empfehlungsliste geschrieben haben, bin ich auf einen Sprung hin. Ich bin mal wieder etwas spät losgekommen, auch weil ich den Vormittag mit Blogbetreuung verbrodelt hab, das kommt ja auch nicht aus dem Nichts. Jetzt war ich wieder einmal erst um vier oder was in Nara. Das war schon nicht ganz ungeplant, weil ich wollte dort so einem Fest zuschauen gehen, das eh erst abends angefangen hat. Jetzt machen die Tempelanlagen und die historischen Gebäude aber natürlich schon wieder um fünf zu. Und so hab ich jetzt die größte bronzerne Buddhastatue der Welt verpasst, die dort in einem Haus sitzt. Das hab ich erst im Nachhinein gelesen, irgendwer hat da bei der Vorbereitung geschlampt. Aber ich hab wieder zahme Rehe gesehen und mir von ihnen auf die Hand atmen lassen und ich hab Leute gesehen die sich in einem Moment mit zahmen Rehen abfotografieren und im nächsten Moment versuchen, eine Rehnase aus ihrer Handtasche zu scheuchen. Insgesamt ist es fast ein bisschen wie Tauben am Markusplatz. Zuerst ist es lustig, dann wird s schnell zu viel, weil die Tiere nicht spielen wollen sondern gierig Essen suchen.

Ich hätte wahrscheinlich nur diese Schilder lesen müssen, um dem Buddha gegenüberzutreten. Aber ich war wohl einfach zu vertieft in meine Beobachtung der die Rehe beobachteten TouristInnen, um auch noch einen Sinn für Schilder zu haben. Schau, da liegt sogar eines mit Geweih!

Und auch das Festival war dann nicht schlecht. Da war so eine Prozession über einen See in traditionellen Gewändern und das hat wohl eine Geschichte erzählt. Da waren verkleidete Kinder und aufgeregte Mütter, die sie nach ihrem Auftritt in die Arme geschlossen haben, das war nett. Außerdem standen hunderte Leute aus aller Welt mit ihren Fotoapparaten drumrum, das hat mir das ganze ja auch schon wieder ein bisschen anstrengend gemacht. Ich könnte das vielleicht auch einmal leichter nehmen. Ich bin wohl einfach zu romantisch, dass ich mir denke, man muss das doch erleben und nicht dokumentieren. Ich hab ja dann auch schweren Herzens fotografiert, so ist s ja auch wieder nicht. Oder auch seltsam: Europäisch anmutende Männer in traditionellen japanischen Outfits. Da wird mir auch ein bisschen seltsam, wenn ich das seh. Dann wiederum stört s die Verkleideten offenbar nicht und ich glaub, die JapanerInnen sehen das auch nicht als kulturelle Aneignung.

Interessant, wie s mich oft einmal juckt, da mit der Kritik zu kommen und dann such ich wieder ein versöhnliches Bild raus. Es ist schon schön.

Bisschen schwer nachvollziehbar, was da passiert, aber die Ina hat gemeint, sie war im Jahr davor und auch wenn sie die japanischen Durchsagen wohl verstanden hat, es hätte ihr auch nicht zum allgemeinen Verständnis beigetragen, also gehört das wohl so. So sitze ich also nur den Bildern gegenüber, die da im Rahmen der Zeremonie dargestellt werden und dann kommen die zwei Boote (aus denen sich auf ZuseherInnenseite Trockeneisnebel über das Wasser ergießt!), gelenkt von zwei Steuermännern und hinten drin sitzen zehn Frauen, alle in Rot, Weiß, Schwarz angezogen und mit einem braven Lächeln in den uniform geschminkten Gesichtern, da hatte ich schnell einmal Handmaid’s Tale Assoziationen, obwohl ich s nie gesehen hab. Aber von der Aufmachung her, war s mir gleich wieder ein bisschen unheimlich, wenn Frauen in der Legende anscheinend nur die Rolle der Frauen zugewiesen wird.

Während die Mädchen über den vernebelten See geschifft worden sind, hat dazu das Orchester gespielt. Wer 7’43” Zeit hat kann hier ein Stück Zeremonienmusik mit authentischem Publikumsgeplauder haben. Manchmal ist es ein bisschen schrill, aber es zahlt sich schon aus, das ganze zum Nachhören zu haben.

Daheim haben wir noch einmal ein bisschen in die Morgenstunden hineingeplaudert, die Y. und ich, von Tolkien ausgegangen haben wir schließlich noch festgestellt, dass wir uns bei Game of Thrones von den gleichen YoutubekommentatorInnen haben begleiten lassen. Das ist wirklich eine Freude gewesen: zwei vergleichbare UserInnenprofile, aber doch so unterschiedlichen Sozialstatistiken. Wir haben allerdings zwei Deutsche ins Zimmer bekommen (die mir in der dritten Nacht dann den Kater beschert haben) und haben deshalb rücksichtsvoll gegen halb drei einen Strich gezogen. In der Früh ist sie dann auch schon weitergefahren und daraufhin hat sie einfach ein paar Tage gefehlt.

Ich bin hingegen in die andere Richtung gefahren, mit dem Zug nach Himeji. Jetzt hab ich noch herausbekommen, dass ich nicht einmal reservieren muss für meine Züge, sondern stolz den Railpass an die Brust geheftet einfach durch die Absperrung schreite. Den richtigen Zug muss ich halt finden, den richtigen Zug, den richtigen Bahnsteig. Das Telefon hilft. Und dass in der Regel alles auch in den Buchstaben zu haben ist, die ich lesen kann ohne beim dritten bereits ins Schwimmen zu kommen (mo? ke? su?), das hilft auch.

Und jetzt, in Himeji, das ist schon beeindruckend. Weil man kommt aus der Station raus und dann ist da eine lange Straße, die direkt bis zur Burg führt. Und: Burg. Eine japanische Burg ist bei weitem eine elegantere Einrichtung, als was einem zu dem Begriff so durch das mitteleuropäische Kopflexikon flattert. Zum einen ist beim Gebäude selber wieder sehr viel Holz im Spiel. Deshalb ziehen wir uns auch alle brav die Schuhe aus, wenn sie in die Burg steigen. Die Befestigung selber ist allerdings schon mit Steinen gebaut. Und das ist ja auch beeindruckend, diese steilen meterhohen Wände, die eine Ebene von der nächsten trennen. Da muss schon wahnsinnig viel Stein verwendet worden sein dafür, das muss wirklich viel Arbeit gewesen sein. Zum Glück für die Fürsten, hat die Bevölkerung sich brav und unterwürfig verhalten: An einer Stelle wird die Legende einer alten Frau erzählt, die gehört habe, wie knapp der Fürst beim Bau seiner Burg schon an Steinen ist und so hat sie ihren Mühlstein geschenkt. Weil besser der Fürst hat eine gute Wand als sie was zu essen. Aber ihr Vorbild habe auch noch NachahmerInnen aus der ganzen Gegend inspiriert. Schon schön, wenn die sozialen Hierarchien auch denen, auf deren Schultern sie gebaut sind, so viel Identität verleihen, dass sie sich gern opfern.

Schau, wie ich meine Panoramafunktion mittlerweile unter Kontrolle hab!

Die Burg (ich will ständig das Schloss schreiben, weil s doch so eindrucksvoll war) wird in der Broschüre schnell einmal als das schönste Gebäude der Welt bezeichnet. Das find ich vielleicht ein bisschen eine heftige Bemerkung. Dann wiederum tu ich mir auf jeder Skala schwer, Extremwerte anzukreuzen und vielleicht ist das auch ok, wenn man sagt: das da. Das ist das schönste Gebäude der Welt. Man muss sich seine Superlative ja nicht unbedingt aufheben. Der Vorteil der Perfektion ist ja vielleicht dann auch, dass man die BesucherInnen einfach durchschleusen kann, weil niemand jetzt großartig selbst die Schönheiten entdecken muss. Der Rundgang ist relativ klar abgesteckt, die Burg selbst ist auch nicht besonders aufregend, weil großteils leer oder leergeräumt. Die Wirtschaftsgebäude (Küche, Bäder, Wohnungen der Frauen) liegen sowieso außerhalb und jetzt läuft man drinnen durch die sieben, immer kleiner werdenden Stockwerke. Da haben sie nämlich einen Trick gemacht, weil von außen schaut s nur aus wie fünf. Und war wahrscheinlich nicht für Steuervorteile sondern eher, dass die erobernden Soldaten dann im fünften Stockwerk stehen und sagen Waaaas? Noch zwei Stockwerke? Sicher nicht in der schweren Rüstung!

Naja, was soll man sagen. Ein gut geschmiertes feudales System mit Sinn für Ästhetik. Und schönes Wetter war auch.

Während sich die Belagerten immer höher in ihren Burgturm zurückziehen, haben sie die Möglichkeit, Steine auf die Feinde zu werfen. In einem Fall sogar aus einem Fenster, in dem geheime Steinwurflöcher eingebaut sind. Das haben die Hinweise, die man über einen QR-Code (!) in jedem Stock auf sein Telefon laden könnte, extra hervorgehoben, dass die feindlichen Soldaten wohl vorsichtig gewesen sein müssen, nicht unter den Steinwurfschlitzen zu stehen, aber in dem einen Fall, seien die eben geheim in den Fensterrahmen eingelassen gewesen und da hat dann niemand gerechnet, plötzlich Steine auf den Helm zu bekommen. Wie seltsam, hab ich mir gedacht, dass man nicht damit rechnen würde, dass man sich darauf verlassen konnte, dass der Feind nicht ein Fenster zweckentfremden würde, um daraus direkt Steine auf die Eindringlinge zu werfen.

Leider hab ich ja in der Burg schon wieder ein bisserl stressen müssen, weil ich zwischen Burg und Bahnhof zu viel Zeit in die Suche nach einem guten Kaffee investiert hab. Aber ich war dann tatsächlich in einem wahnsinnig netten kleinen Café. Das war so klein und so versteckt, dass der Gastgeber richtig erstaunt gewirkt hat, dass er einen Gast hat um zwei am Nachmittag. Aber so hatten wir die Gelegenheit ein bisschen zu plaudern und er hat mir erzählt, dass er eigentlich in einer Behindertenwerktstätte arbeitet, aber sich jetzt schon lange für Kaffee begeistert und er röstet selbst in einer selbstgebastelten Röstvorrichtung. Und zwar über Kohlen. Sei das nicht schwer, da die Variablen konstant zu halten? Ja, lacht er und zeigt mir sein Buch, in dem er minutiös verschiedene Variablen und ihre Ausprägungen bei hunderten Röstvorgängen dokumentiert hat. Ich staune und nippe an meinem Kaffee. Es ist guter Kaffee, aber ob sich die Mühe auszahlt ist immer so eine Frage. In diesem Fall vielleicht weniger, weil er es doch vor allem für sich zu tun scheint, das ist schon länger her, dass ich jemanden so enthusiastisch über seinen Job reden hab hören. Aber ja, es ist mehr ein verwirklichter Traum, den er immer noch stark mit seinem Brotberuf subventionieren muss. Und dann schenkt er mir noch einen kalten Kaffee ein, weil während man bei uns auf das ja traditionell aber vor allem sprichwörtlich herabgeblickt hat, so hat sich das unter KaffeetrinkerInnen in der Welt ja mittlerweile zu einem Trendgetränk gemausert. Vor allem in den wärmeren Gegenden, die mir in den letzten Monaten die Gastfreundschaft erwiesen haben. War auch wirklich gut, bisschen stärker die Bitterkeit, aber, hat er gemeint, das kann auch sein, weil er die Bohnen, die er für meinen Heißkaffee gemahlen hat, gerade erst am Tag davor geröstet hat und der Geschmack brauche manchmal eine halbe Woche oder so, um sich zu entfalten.

Dann haben wir noch ein bisschen über die Scotchwhiskies geredet, die er außerdem in seiner Kaffeebar ausschenkt und dann hat er einen Anruf bekommen, dass sich jemand gerne einen Kaffee abholen kommen möchte. Und weil mein Herr Gastwirt einen sehr langsamen, manuellen Tropfkaffee macht, ist so eine Vorbestellung nicht das schlechteste. Er erzählt mir noch ein bisschen über die Koi, die in einem der Burgteiche gehalten werden, und seinen eigenen Erfahrungen von als er in einer Koizucht gearbeitet hat, die ihre Fische international verschickt haben. Und ein bisschen darüber, wie teuer so ein Koi sein kann. Aber auch, wie schön so ein Koi sein kann.

Außerdem hab ich ein bisschen gehudelt, dass ich noch in den Burggarten komm, weil für den haben sie mir ein Doppelticket angedreht noch bevor ich überrissen hatte, dass ich schon für die Burg meine Schlendergemütlichkeit verkauft hatte und vom Wechselgeld die Taschen voller Zügigkeit bekommen hab. Ich mein, das waren nur hundert Yen mehr, das war eine sehr sanfte Verführungstechnik, die zur Andrehung geführt hat. Dennoch, in for a penny… Nachdem ich aus der Burg von oben in alle Himmelsrichtungen geschaut hab, hab ich mich in die Abstiegsschlange gereiht und war mit zehn Minuten Zeit noch im Garten. Dann hab ich festgestellt, dass ich mich nur für den Einlass bemühen musste und hab meine Spaziergangsgeschwindigkeit wiedergefunden.

Einmal entlang des Kieswegs im Teegarten (geschlossen)

Und weil ich damit immer noch nicht genug erlebt hab, hab ich am Rückweg zum Bahnhof noch zwei Onigiri gekauft und mich auf eine sommerlich veranlagte Bank gesetzt. Von dort hab ich dann einem japanischen Straßenkünstler zugeschaut, wie er sein Publikum entfremdet hat. Ich hab ja nicht ganz verstanden, was so sein shtick ist, er hat viel geredet und sein Outfit war irgendwo zwischen Zirkusdirektor und Steampunk, zwischen Charlie Chaplin und Michael Jackson. Vielleicht gibt s da auch naheliegendere Vorbilder, die sich meiner kulturellen Engstirnigkeit nicht erschlossen hat. Als erstes hat er sein Territorium auf der Straße mit einer Schnur abgesteckt. Während seinen Vorbereitungen hat sich ein Pärchen vor ihm hingestellt, die ihn erst einmal beim Werkeln beobachten. Aber über kurz oder lang beginnt er bereits über sein Mikrophon irgendwelche Geschichten zu erzählen und die Gestik versucht ein bisschen, seine beiden offensichtlichsten BeobachterInnen zur Teil- oder zumindest Anteilnahme zu motivieren. Die beiden steigen einige Schritte zurück und bleiben aber tapfer in der BeobachterInnenrolle, auch wenn ihre Körpersprache sich bereits etwas stärker von dem Straßenkünstler distanziert. Die meisten anderen ZuseherInnen haben übrigens von vornherein in etwas größerer Distanz gehalten. Er hat sicherlich ein Dutzend bis zwanzig ZuseherInnen, aber nur drei oder vier, die sich ohne weiteres als solche zu erkennen geben. Eine kurze Interaktion mit einem vielleicht fünfjährigen Mädchen und ich weiß immer noch nicht, was der Kern seiner Darbietung ist. Vielleicht erzählt er nur Geschichten, auch wenn er sich zumindest wie ein Zauberkünstler verhält.

Bye-bye, Himeji, schön habt s ehs.

Aber auch ich hab irgendwann meine Reisbällchen gegessen (die waren übrigens ausgezeichnet und ich hab seither wenig Lust, wieder zu jenen zurückzukehren, die ich in an jeder zweiten Straßenecke im Snackshop bekomme, die sind einfach deutlich weniger aufregend), und ich gehe zurück zu meinem Zug. Straßenkunst ist kein besonders etabliertes Genre in Japan. Ich glaube durchaus, dass das Potenzial der Publikumsbeteiligung ein wenig als Bedrohung wahrgenommen wird. Oder der Eindruck ist nur ein aus meinen eigenen Angststörungen gewuzelter Apsekt vermeindlich japanischer Kultur, wer kann das schon sagen. Während mein Eindruck schon ist, dass man hier recht viel Wert darauf legt, in der Öffentlichkeit in Frieden gelassen zu werden. Und vielleicht denke ich deshalb jetzt daran, aber ich hab in den Städten auch kaum Obdachlosigkeit erlebt. Wirklich nur in Osaka, dass mir bei meinem ersten Spaziergang zwei, drei offensichtlich verwahrloste, bettelnde Personen aufgefallen sind. Einer auch merklich über dem Durst. Kann man sicherlich mal nachschauen, wie in Japan mit der Obdachlosigkeit umgegangen wird. Intuitiv würde ich glauben, dass da nicht unbedingt liberale Methoden zum Einsatz kommen, mit dem Ziel, Betroffene zu größerer Selbstbestimmung anzuleiten.

Selamat Waisak

Am Samstag um drei Uhr aufstehen um einen Sonnenaufgang anzuschauen – das ist etwas, was man im Urlaub macht. Das passiert einem sonst nicht, nicht wenn man allein ist. Am Freitag bin ich dafür auf einen Sprung in so einem Geschäft gewesen. Mein Hotel ist zwar super gelobt worden dafür, wie viel Unterstützung man vom Besitzer für Planungen und für Ausflüge bekommt, aber weil grad nicht so Saison ist, war meistens nur einer, der darauf aufpasst, dass die Wasserlieferung im richtigen Gebäude ankommt. Ich bin also hier in der Nebenstraße dann in eine Tourismusinformation gegangen. Das ist ja auch interessant, dass das bei uns ein Qualitätssiegel hat, quasi: was offizielles. Und da bekommt man dann eben das. Aber hier schreibt sich das natürlich jede auf die Tür, die Programme für AusländerInnen parat hält. Also, wenn man zum Beispiel Ausflüge und Touren zu verkaufen hat. Beim Spazierengehen in den Tagen davor hab ich schon immer einmal Ausschau gehalten und dabei eine entdeckt, die mir sympathisch gewirkt hat und da bin ich dann also hin.

Dort hab ich als erstes gelernt, dass Waisak schon am Samstag gefeiert wird und zwar in den Sonntag hinein. Waisak, das hat mir noch L. gesagt, was ich für ein Glück hätte, weil da eben gerade dieses Fest gefeiert werden würde, wenn ich in Yogyakarta (Jogja) bin, irgendwas mit BuddhistInnen und Laternen. Natürlich hab ich mir eine Reihe von Nonnen und Mönchen vorgestellt, die Ich gehe mit meiner Laterne singen. Tatsächlich wird der Geburts-, Todes- und oder aber vor allem der Erleuchtungstag Buddhas gefeiert. Und dazu schreiben wir Wünsche auf Lampions, die wir dann in den Himmel steigen lassen. Ich weiß nicht, ob die Nonnen und Mönche das auch machen, aber das machen wir, die wir noch stärker im Weltlichen verhaftetet sind. Und ich hab mich gefragt, wer denn diese Wünsche liest – weil natürlich mit meinem kulturellen Hintergrund ist Wünsche formulieren und Hoffnung darauf haben, dass man diese Wünsche erfüllt bekommt sehr nah bei einander. Quasi dasselbe. Aber jetzt denk ich mir, vielleicht ist es eher was mit loslassen und die Wünsche gehen lassen. Dann hätte ich natürlich total die falschen Sachen draufgeschrieben…

Nun, ich hatte gedacht, Waisak sei erst am Sonntag. Was es ja auch ist, aber man feiert wohl hinein, nachdem es sich um eine Nacht-Sache handelt mit den Lampions und so. Als nächstes hab ich dann erfahren, dass der Ausflug, der mich das Fest nach Borobudur bringt, mich abends hinbringt und der Tempel selbst für die Zeremonie gesperrt ist. Na bravo. Also erst einmal: wie komm ich nach Borobudur und nach Prambanan, damit ich die Tempel tatsächlich anschauen kann. Im zweiten gibt s außerdem ein, aber nur Samstag, Dienstag und Donnerstag… Und wie schaut s aus mit den Ausflügen zum Vulkan. Und zum anderen Vulkan?

Ich bin lange in der Tourismusinformation gesessen. Aber es war nett, ich hatte eine nette Unterhaltung mit den TourismusinformantInnen und das hat ein bisschen geholfen, dass ich diese ganzen Überlegungen nicht nur im Kopf durchführen musste, sondern ein bisschen drüber reden konnte um meine Optionen abzuwägen. Allein Entscheidungen treffen, wo die Kosten plötzlich in den Millionenbereich schießen… das muss ich nicht haben. Aber natürlich, der Nachteil, wenn man sich diese Sachen mit Leuten durchdenkt, die einem diese Sachen auch verkaufen wollen: Ich hab dann einfach alles genommen und mich für beide Touren entschieden: Tempel und Tempel und dann nochmal den Tempel am Abend mit Lampions. Ja, ich mein, rechnet man s runter sind s ja trotzdem nur sechzig Euro, das ist e ok.

Eine von diesen Seitenstraßen in Yogyakarta

Das ist insgesamt ein Problem, weil man ja gewohnt ist, ein bisschen knausrig zu sein, einfach aus Prinzip. Und dann hat der Taxifahrer gestern mit Hundeaugen gesagt, er kann mir keine zweitausend auf meine zwanzigtausend rausgeben. Und ich denk mir, du Hund! und ärger mich darüber, hier beschissen zu werden. Vielleicht ist es auch mehr das, dass es unangenehm ist, betrogen zu werden. Aber dann denkt man drüber nach und irgendwie ist es sofort etwas beschämend, für zwölf Cents doch etwas aufgewühlt zu sein. Das ist wahrscheinlich eine ganz gute Übung für den Umgang mit Geld allgemein.

Auf jeden Fall werde ich für das Geld von daheim abgeholt, zum Sonnenaufgang geführt, und darauf geschaut, dass ich nicht nur Borobudur – zu dem ich schon weiß, dass es um dreißigtausend auch einen öffentlichen Bus gibt – sondern auch Prambanan zu sehen bekomme, ist auch. Und Waisak von mittendrin erleben und alles das. Und zwischendurch sitz ich dafür etwa – warte einmal – neun Stunden im Bus. Natürlich, sag ich, natürlich machen wir das. Und dann nehm ich mir die Broschüre bitte noch mit, weil vielleicht will ich ja doch noch das blaue Feuer anschauen (nur in Java und in Irland – wird vielleicht eher Irland werden), dass dabei entsteht, wenn irgendwas mit Schwefel brennt unter irgendwelchen bestimmen Umständen. Die Vulkane sind, nun, der Bromo, der ist zugesperrt, weil da weiß man nicht so genau. Der raucht seit zwei Wochen, Touristen dürfen zehn Kilometer ran. Wenn das so gesagt wird, hab ich immer den Eindruck, dass da noch einige Einheimische dabei sind, die nach wie vor an den Hängen wohnen. Und der Mount Merapi der ist sowieso seit Jahren eigentlich gesperrt. Kann man trotzdem raufgehen, aber mit Guide und dauert wohl zwei Tage für rauf und runter. Skip.

Also steh ich auf um drei in der Früh. Es ist ein bisschen später geworden als gehofft mit dem Hinlegen, weil ich noch im Computer rumgetippt hab und dann hat der mal wieder das gemacht, wo er sagt, tut mir leid, ich hab null Bytes frei auf der Festplatte und wenn du was löschst, dann ist mir das egal, mach ich keinen Speicherplatz frei oder den freien Speicherplatz sofort wieder voll – kommt ja auf s selbe raus. Was machen wir denn da, ich kann nix speichern, nix auslagern, ich stürz jetzt einfach mal ab und beim Neustarten lass ich dich dann nicht mehr ins Betriebssystem hinein, weil dafür brauch ich auch irgendeinen Cache oder was, den ich nicht anlegen kann. Und dafür brauch ich dann zwei Stunden, dass ich das wieder fixe. Addio, Rocky I-IV, ihr habt mir dann doch noch Speicherplatz freigemacht. Na, war s auch halb zwölf.

Nach den dreieinhalb Stunden Schlaf steh ich also auf und setz mich ins Auto hinten rein. Ich hab einen schönen Rucksack gepackt mit Jause und Jacke und Kapperl und Sonnencreme. (Die Sonnencreme – by the way – ist mir unlängst im Rucksack ausgeronnen, war aber kein größeres Malheur.) Wir fahren noch ein bisschen in Jogja herum, ein paar Leute abholen, ein paar NiederländerInnen, immer diese NiederländerInnen, ein paar Deutsche. München. Das ist wohl auch so eine Stadt, wo man die Stadt sagt, wenn man gefragt wird, wo man herkommt. Oh ja, zwei FranzösInnen waren auch dabei. Und zwei – sorry – AsiatInnen. Ich stell mich hier nicht hin und sag mit irgendeinem Quantum an Selbstsicherheit: das waren ChinesInnen, wie ich das in Australien gemacht habe. Dafür ist hier zu viel los. Und es ist nur fair, dass beim Waisakfest am Abend die Mistress of Ceremony gefragt hat, ob Leute aus Indien da sind? Jaaaa! und aus China? Jaaaaa! Japan? Jaaaaa! Australien? Jaaa! Und dann Europa einfach als Europa? zusammengefasst hat. Man ist schon irgendwo anders unterwegs im Kopf, wenn man aus Europa kommt. Da vergisst man manchmal schon, dass es sehr viele andere Leute gibt.

Den Sonnenaufgang selbst kann man ja nicht hören, aber hier ruft ein Muezzin möglicherweise zum Morgengebet und/oder dazu auf, mit dem Frühstück aufzuhören. Außerdem Grillen und ein früh aufgestandener Aufkehrer.

Aber ja, wo war ich? Im Bus. Im Bus Richtung Westen, halb vier. Um dreiviertel fünf stehen wir in Borobudur. Und ich weiß, ich hab nicht den Sonnenaufgang im Tempel gekauft, weil sie mir gesagt haben, das geht nicht für eine Person beziehungsweise schon, aber dafür schicken sie kein Auto, ich müssert hinten auf einem Moped sitzen für die eineinhalb Stunden raus und die eineinhalb Stunden zurück. Insofern, thank you m’am. Aber jetzt um zehn vor fünf steigen alle aus nur ich krieg ein Not you vom Fahrer. Not me, then. Ich werde nämlich auf einen Hügel geführt, der eine Aussichtsplattform ist und der es geschafft hat, Eintritt dafür zu verlangen, dass man in die Richtung von Borobudur schauen kann und die Sonne mehr oder weniger dahinter aufgeht. Ich solle nicht glauben, dass ich von dort die ganzen Details des Tempels erkennen werde, haben sie schon zu mir in der Tourismusinformation gesagt. Nachdem meine Kenntnis des Tempels überhaupt minimal ist, hab ich ihn gar nicht so recht entdeckt von meiner Aussichtsplattform. Aber immerhin bin ich um fünf der erste und nehm mir den Sitzplatz, den mir der Standorterklärer nahelegt. Und der Sonnenaufgang ist tatsächlich sehr schön. Die Sonne geht weniger hinter dem Tempel auf, oder was ich, als es heller wird vermute, dass der Tempel sein könnte, sondern hinter dem Mount Merapi, was e super ist. Mit dem Fernglas (!) sehe ich (glaube ich zu sehen), dass Rauch aus dem Krater aufsteigt und auch an manchen Stellen der Hänge sehe ich Schwaden in den Morgenhimmel aufsteigen. Kann auch einfach ein Morgennebel oder so was gewesen sein, aber tatsächlich ist der ganz gut aktiv. Und die gute Venus tut ihrem Namen total die Ehre und rast ebenfalls über Merapi hinaus in den Himmel. Wohl: rast, so schnell ist die auch schon wieder in den Wolken verschwunden. Und natürlich im vermehrten Tageslicht.

Ich mein, ich hab die Einstellungen in meiner Kamera-App eindeutig nicht gut unter Kontrolle. Wenn ich an dem Tag was gelernt hab, dann auf jeden Fall, dass ein Telefon als Fotoapparat seine Grenzen hat. Trotzdem schön: Venus über Vulkan.

Es ist schön, weil es so Klischeebilder vom Regenwald erzeugt, der im Morgennebel steht. Ich glaub ja, am glücklichsten sind wir, die UrlauberInnen, wenn wir Fotos von Dingen machen können, die den Fotos, die wir von den Dingen bereits einmal gesehen haben, möglichst ähnlich sind. Anders lässt es sich nicht erklären, dass ich unlängst dutzende Fotos von Reihern gemacht habe, die auf den Schultern von Wasserbüffeln balancieren, die ihrerseits im Reisfeld stehen. Und an diesem Samstag habe ich mehr als zweihundert Fotos von Tempeln und Regenwald im Morgendunst gemacht. Zurückgehalten habe ich mich bei den betenden BuddhistInnen in ihren orangen Roben. Das ist auch so Klischee und die Nonnen und Mönchen stört das auch nicht wirklich, auf jeden Fall haben da ein paar Leute wie wild geklickert, von so zwei Handlang entfernt, als der eine Mönch in Borobudur eine Stupa angefasst hat. Das ist auch so Klischee, aber mir zu viel. Das bekopftuchte Mädchen, die mit vor zwei Wochen lachend auf ihrem Pferd entgegengekommen ist, da hab ich mir auch gedacht, das wär schon ein Foto wert gewesen, irgendwie. Auch wenn s halt ultra-klischee ist, aber so lernt man s halt bei der World Press Photo.

Classic morgendlicher Urwald

Aber ja, alles nicht so einfach. Wenn man so einem Sonnenaufgang zuschaut kommt man halt manchmal ein bisschen ins Nachdenken. Oft weiß man ja gar nicht, was man tun soll mit so etwas einfachem, so etwas alltäglichem. Wie man dem die Bedeutung verleiht, die man ihm ja bereits gegeben hat, indem man um drei in der Früh aus dem Bett gestiegen ist. Am besten noch ein paar Fotos machen.

Um sechs herum werde ich dann auch schnell nach Borobudur geschupft. Jetzt, ein bisschen ein Hintergrund: Buddhistische Tempelanlage – die größte, wie gerne betont wird – ihrer Art. Im neunten Jahrhundert zirka ist das erbaut worden und aber relativ schnell wieder stehengelassen worden. Wie gesagt, kaum sechs- bis siebenhundert Jahre später gab s ja gar keine BuddhistInnen mehr in Java. Und jetzt ist die ganze Gegend aber vorher schon weitgehend verlassen worden, vermutet wird der eine oder andere Vulkanausbruch, wegen dem die BewohnerInnen das Land weitgehend aufgegeben hätten. Im neunzehnten Jahrhundert haben dann verschiedene europäische Expeditionen den Tempel entdeckt, freigelegt (von Dschungel und Vulkanasche) und zu dokumentieren begonnen. Und halt auch renoviert oder wiederhergestellt. Man sieht das ein bisschen, wie manche Teile einfach neuer sind als andere.

Und manche Stellen sind auch offensichtlich nur provisorisch wiederhergestellt. Interessant ist aber auf jeden Fall, dass die Borobudur’schen Reliefe eine seltene Quelle für die Kleidung der javanesischen Nobilität im neunten Jahrhundert sind.
Am Morgen dreht eine Gruppe BuddhistInnen ihre Runde um den Tempel. Eine Gruppe TouristInnen wartet geduldig, bis sie durchgezogen sind und den Zugang zum Tempel freigeben.

Also, der Tempel hat drei Ebenen, sagt die Broschüre, die den drei äh… die Kāmadhātu, Rūpadhātu und Ārūpyadhātu entsprechen. Um ehrlich zu sein, erschließt sich mir das jetzt nicht ohne weiteres, nicht aus der Broschüre, aber auch nicht wirklich aus der Wikipedia. Die Ebenen repräsentieren verschiedene „Welten“, in denen der Mensch mehr oder weniger seinen Sinnen unterworfen ist bis zur Befreiung durch die Erleuchtung in Ārūpyadhātu. Dementsprechend ist diese auch die letzte, oberste Ebene, wo nur noch Stupas und Buddhastatuen stehen. Die Zwischenebene fand ich am interessantesten, weil da sind viele Reliefs, die verschiedene Geschichten aus dem Ramayana zeigen. Also, da gibt s zum Beispiel diese Geschichte wo der gegen den Affenkönig kämpft. Oder wo der Krishna was besonders cleveres macht. Aber ich hab keine FührerIn und bin in diesen Geschichten ja nicht besonders bewandert. Aber ich mag den Stil der Darstellungen ganz gern, in denen die Szenen doch oft ganz lebendig werden, auch wenn ich die Geschichte nicht genau kenne.

Statuen, Stupas und Reliefe auf der Ostseite von Borobudur. Man sieht, dass die Sonne langsam hochkommt.

Auf der obersten Ebene laufen ein paar Europäerinnen in weißen Hemden mit Blumen in der Hand ihre Runden, andere sitzen im Lotus und schauen auf den Urwald oder die Innenseite ihrer Augenlider. Ein einzelner Mönch zieht die Aufmerksamkeit eines Spiegelreflexkamerabesitzers auf sich, der das wiederum ruhig mit sich geschehen lässt, obwohl scheinbar niemand mehr ein Foto macht sondern es gleich vier, fünf Mal klickern lässt, bevor er den Finger wieder vom Auslöser nimmt. Andere wecken die Aufmerksamkeit von SchülerInnen, die von ihren LehrerInnen geschickt werden, um ihr Englisch an TouristInnen auszuprobieren. Das ist mir hier mittlerweile auch schon öfter passiert ist aber in der Regel ganz nett. Ich hätte ein, zwei Tipps zur Fragengestaltung und Interviewführung, aber ist ja nicht mein Job. Nein, die machen das super und in irgendwelchen Englischklassen laufen jetzt Videos von mir, wie ich davon erzähle, wie nett ich die IndonesierInnen finde, wie fröhlich und offenherzig. Sama sama.

In ihrer Repetitivität und Schlichtheit wirkt eine buddhistische Tempelanlage auch tausend Jahre später zeitgemäß. Dazwischen ein Hinweisschild, sich nicht auf die Stupas zu setzen.

Interessant ist, dass ich hier am Eingang einen Sarong bekomme, weil ich in kurzen Hosen unterwegs bin und es warad wegen dem Respekt. Ich mein, interessant, weil ich das sonst nur aus Kirchen und Moscheen kenne (war ich überhaupt jemals in einer Synagoge?) und da sind s dann eher die Frauen, die ein Tuch für um die Schultern oder für über den Kopf bekommen. Aber hier sind die Männerwaden nicht gerne gesehen und das entspricht in Wahrheit ja eh meiner üblichen Herangehensweise an Shorts, insofern hab ich echt kein Problem damit. Dann wiederum muss das auch nicht einfach umgedrehter Sexismus sein, kann ja auch sein, dass Frauenwaden gar nicht besonders als der Respektlosigkeit im Stande betrachtet werden. Man weiß ja nie so recht bei den Religiösen. Nachdem ich mit einer Tour unterwegs bin, muss ich mich ein bisschen am Riemen halten und auch wenn ich gerne ein Stündchen mehr gehabt hätte, vielleicht um einen Sprung ins archäologische Museum zu schauen, muss ich mich letztlich sputen, mach noch zwei Fotos von den Elefanten und dann sitzen wir schon wieder im Bus auf dem Weg nach Prambanan.

Ein langer Weg nach Prambanan

Prambanan ist ein weniger gut in Schuss als Borobudur. Auf den zweiten Blick. Auf den erste ist es viel eindrucksvoller und löst mir gleich einmal eine Gänsehaut aus. Dabei ist es ja schon elf oder so und es wird langsam richtig warm. Der Broschüre nach ist Prambanan ebenfalls im neunten Jahrhundert gebaut worden. Ich hab irgendwo gelesen, dass es besonders sei, dass er als Hindutempel gleich drei Göttern geweiht ist, wo die angeblich sonst auf eine Gottheit fokussieren. Aber hier stehen drei Tempel für Brahma, Vishnu und Shiva. Schöpfer, Erhalter und Zerstörer. Und das ist doch sehr gewöhnungsbedürftig, wenngleich die Notwendigkeit vom Ende, das kann ich schon auch ein bisschen anerkennen, und dass Shiva damit so eine Neutralität besitzt zeugt von einer sehr unterschiedlichen Weltsicht. Nicht nur das, Shivas Tempel ist tatsächlich der große in der Mitte. Außerdem stehen den großen Tempeln noch drei kleinere gegenüber, die den Vehikeln der drei Gottheiten geweiht sind. Es ist alles sehr fremd. Aber auf den Tempeln der drei Götter sind wieder Geschichten in Reliefs erzählt und an die halte ich mich. Außerdem bin ich, ähnlich wie in Borobudur, schon fasziniert von den Steinen, von diesen riesigen Anlagen aus rohem Stein, der hier seit über tausend Jahren im Urwald steht. Und ja, auch diese Anlage ist schnell einmal verlassen worden, nachdem sie erbaut wurde und erst in den letzten hundert Jahren wieder aufgebaut worden. Um die Haupttempel herum stehen hunderte kleine Tempel, die nahezu alle komplett zerstört sind und deren Wiederaufbau ein fortlaufender Prozess ist. Außerdem war da vor nicht all zu langer Zeit ein Erdbeben, das hat auch in den großen Tempeln nochmal einiges ins Wanken gebracht.

Schneller, aber mit einer ähnlichen Regelmäßigkeit wie die buddhistischen Klanghölzer, fallen hier die Hämmerchen. Es klingt insgesamt mehr nach Wiederaufbau als nach Renovierung.

Die Tempel sind jetzt nicht ganz anders als Borobudur. Ein bisschen extravaganter von der Architektur, so gibt s zum Beispiel Dächer. Aber sonst laufen auch hier hinduistische Sagen in Reliefen ab. Außerdem gibt s die Geschichte von einer Prinzessin oder was, die mit einem Prinzen oder was wettet, dass er nicht tausend Tempel in einer Nacht bauen kann. Und er kriegt dann Hilfe von Dämonen – und steigt trotzdem irgendwie als der Held aus. Als die Nacht nahezu vorbei ist, merkt sie, dass sich das ausgehen wird und macht irgendwie ein Licht und dadurch wachen die Hähne auf und fangen zum Krähen an und da denken die Dämonen „Hoppala, ist schon Morgenstund“ und vertschüssen sich. Und er verwandelt sie dann noch in den tausendsten Tempel. Irgendwie so. Ich krieg das ja nur nebenher mit, von denen, die sich am Eingang eine Tourguide gekauft haben.

Schnelle Zusammenfassung: Von der Ästhetik unverkennbare Ähnlichkeiten. In der untersten Reihe Brahma, Shiva und Vishnu (v.l.n.r., und dass von denen tatsächlich zwei nach links und zwei nach rechts schauen war total unabsichtlich).

In der Umgebung von Prambanan beziehungsweise auf dem Gelände, das man mit seiner Eintrittskarte betreten kann, sind noch drei andere Tempelanlagen zu finden, zwei davon sind sicher buddhistisch, bei der dritten weiß ich jetzt nicht auswendig… aber durch die bin ich schon nahezu am durchlaufen, weil zwei Stunden schon wieder knapp sind. Interessant vielleicht, dass im Sewu Tempel, der ebenfalls von vielen dutzenden kleinen, sich im Wiederaufbau befindlichen Tempeln umgeben ist, keine einzige Buddhastatue findet, wenngleich einige Stellen eindeutig dafür gedacht sind. Auch hier wird bereits eine Bühne für Weisak aufgebaut und die Tänzerinnen proben gerade ihren Auftritt als ich Richtung Ausgang haste. Für die zwei Kasuare bleib ich nochmal stehen, aber so richtig foto opportunity ergibt sich nicht.

Und wenn Prambanan schlechter beisammen ist als Borobudur, dann ist trotzdem Sewu nachmal schlechter beisammen als Prambanan.

Und dann geht s heim. Ich schlaf wohl schon ein bisschen im Bus. Als ich im Hotel abgesetzt werde ist es halb eins, ich bin seit zehn Stunden wach und merke, dass ich eigentlich nichts gegessen habe. Ich dusch mich kurz und schau dann, dass ich ein Mittagessen finde. Das ist nicht so leicht, im Ramadan, vor allem, weil ich mich ein bisschen ziere in die Lokale zu gehen, in denen Nasi Goreng bereits vierzigtausend kostet. Fünfundzwanzig zahle ich dann in einem seltsamen Lokal, in dem ich der einzige Gast bin und die beiden BesitzerInnen so überschwänglich freundlich über meinen Besuch sind, dass ich kurz an ihrer Gesundheit zweifel. Während ich esse setzen sie sich wieder an ihren Fernseher. Wie so oft ist der Übergang zwischen Wohn- und Geschäftsbereich nicht ganz deutlich gezogen, das ganze Vorderbühne-Hinterbühne Konzept ist hier weniger deutlich ausgeprägt.

Um drei sitze ich wieder im Bus und werde wieder nach Borobudur geschupft. Das dauert jetzt etwas länger, weil der Verkehr am Nachmittag deutlich intensiver ist als in der Früh. Ich nicke an meinem Fensterplatz immer wieder ein. O, wie sind mir die BackpackerInnengeschichten nicht abgegangen in den letzten Wochen: Um mich herum unterhalten sich Deutsche und HolländerInnen über ihre Abenteuer, unterstreichen, wie lange sie schon unterwegs sind, wie unglaublich Nepal gewesen ist, wie superbillig sie gestern gegessen hätten und wie sehr sie sich auf Bali freuen. Wegen Nepal mache ich mir ein paar Notizen und stöpsel mich dann in meine sowieso vernachlässigten Podcasts ein. Das schlimmste am Reisen sind die anderen Reisenden. Zumindest hier im Bus habe ich keine Lust, mit irgendjemandem in Kontakt zu treten.

In Adam Buxtons Podcast empfiehlt James Acaster beispielsweise Surface to Air Missive.

Es ist schon dunkel geworden, aber wir kurven immer noch ganz schön in Borobudur herum, drehen ein paar Mal um, steigen aus und wieder ein. Die BackpackerInnen lachen, wünschen sich Bier und lästern über schlechte Organisation. Auch in meinen Augen könnten sie uns auch ein bisschen auf dem Laufenden halten, ich hab Verständnis dafür, dass hier improvisiert wird, dass wir andere Leute treffen sollen, dass es dunkel ist und viel los und überhaupt findet das einmal im Jahr statt und dieses Jahr haben sie auch noch ein neues Programm gestaltet, bei dem die TouristInnen ihre eigene Veranstaltung bekommen bevor die echten BuddhistInnen dann ihre eigene Feier um Mitternacht begehen. Und dann natürlich Stress, weil s nicht so läuft wie s soll. Ich habe Verständnis und überhaupt gehen mir die lachenden EuropäerInnen mehr auf die Nerven als nicht und natürlich solidarisiere ich mich im Stillen mit den OrganisatorInnen aus der Tourismusinformation.

Wir haben s dann irgendwann geschafft, bekommen unsere Snacks und das angekündigte Wasser. Um uns herum ist Kirtagsstimmung, Leute verkaufen (und kaufen) Fastfood, Getränke und Spielzeug. Unsere Snacks sind weitgehend unidentifizierbar, auch beim Essen selbst kann ich nicht wirklich sagen, was es ist, Reis, Fleisch, Fisch, Gemüse… keine Ansatzpunkte. Nachdem wir aufgegessen haben gehen wir gemeinsam in die Festivalzone. Hier sind schön schon die Reihen für uns vorbereitet und lassen wir uns auf dem Boden nieder, jede bekommt ihr Platzerl auf ausgelegtem Plastik. Ich glaub kurz, dass das schon die Lampions sind, irgendwie, aber dann sehe ich doch alle auf ihrem Plastik sitzen und außerdem die Lampions, die neben mir in der Wiese wie riesige Tortillas aussehen. Jetzt: Am Boden sitzen tu ich nicht viel und dafür braucht man Übung. Ich sitze lange – und wie ich sagen möchte: mutig – im Schneidersitz auf meinem Plastik, strecke meinen Scheitel zum Himmel und dann atme ich in den Schmerz. Ich weiß nicht genau, wo das herkommt, aber ohne besonderen Kontext würde ich an dieser Stelle sagen, dass ich in einem katholischen Land aufgewachsen bin und selbst, wenn ich das familiär nicht wirklich miterlebt habe, schon gar nicht katholisch, ist für mich offenbar diese ganze Zeremoniegeschichte stark mit Disziplinierung assoziiert. Vielleicht ist es nur der Satz, den ein Professor mal gesagt hat, über die Leistung der katholischen Kirche, dass sie den MitteleuropäerInnen über Jahrhunderte beigebracht hat, still zu sitzen. Und dann denk ich mir eben: muss so sein. Brav sitzen und das bisschen Schmerz, das, hm, naja, das mache sich noch belohnt irgendwie. Irgendwas mit Fokus oder mit… was weiß ich schon. Ganz furchtbar eigentlich. Gleichzeitig bin ich überrascht aber auch irgendwie stolz, wie lange mir das gelingt, doch konzentriert zu sitzen, während irgendwo vor mir aber unersichtlich für mich, ein Mann und eine Frau songcontestartig die Zeremonie einleiten. Also das waren jetzt erst einmal keine BuddhistInnen da vorne sondern eben UnterhalterInnen. Aber nach der ihrer überschwenglichen Begrüßung (s.o.) und einigen einführenden Worten zum Ablauf des Abends, haben sie dann auch an den buddhistischen Mönch übergeben, der jetzt dann eine zwanzigminütige Meditation anleitet. Und an der ersten Anleitung, die er mit dem feinsten Cary Grant Akzent ins Mikrophon spricht, scheitere ich: sitze gemütlich, sodass du nicht angespannt bist, dass dir nichts weh tut, frei von Belastungen. Ich bin von meinem Sitzen leider schon etwas überspannt, und rutsche die ersten Minuten ein bisschen herum, ob da noch was zu retten ist, aber in Wahrheit finde ich gar nicht erst in eine lockere Haltung hinein. Den Mond zu visualisieren und meine Gedanken ruhig zu stellen geht sich dementsprechend auch nicht wirklich aus. Und dann wünschen wir allen lebenden Wesen, dass sie erfolgreich und zufrieden sein mögen, bevor wir uns selbst auch alles gute wünschen und da denk ich dann daran, dass ich auf mein Wunschpickerl, dass wir dann mit den Lampions in den Himmel steigen lassen werden, natürlich nur Dinge geschrieben habe, die ich mir für mich selbst wünsche und nicht auch nur daran gedacht habe, mir für andere etwas zu wünschen. Pffff. Dabei bin ich mir schon erwachsen vorgekommen, weil ich nicht Gelddruckerei, Waschmaschine oder Unendlich viele Wünsche geschrieben hab.

Wie aufgefädelt warten wir auf Waisak.

Na und als dann alle wieder zu sich kommen bekommen wir noch dreimal gesagt, wie das mit den Lampions funktioniert. Die Lampions sind große Papierröhren, die oben rechteckig zugeklebt sind und unten einen runden Metallring haben, in dessen Mitte eine Kerze aufgespannt ist. Erster Schritt ist den Lampion auf Löcher zu überprüfen. Zweitens, Kerze anzünden. Die Frau, die uns von vorne die Anleitung gibt, mahnt uns zur Vorsicht, because we are playing with fire. Nein, denke ich, we are not playing with fire. Wir verwenden ein Feuer und wir sind sehr vorsichtig dabei. (Es brennt dann auch tatsächlich weniger ab, als ich gedacht habe.) Dritter Punkt: Laterne halten, während sie sich mit der heißen Luft füllt. Zwei Personen halten oben, zwei unten. Das tun wir nicht wirklich, aber er kippt uns trotzdem nicht um. Wir haben aber auch eine von den TourismusinformiererInnen bei uns, die hat das letztes Jahr schon gemacht, quasi Profi. Und dann sollen wir den Lampion noch eine Minute länger halten als wir glauben, dass es notwendig sei und dann zählt die Lautsprecherstimme auf null runter. Leider auf Indonesisch und ich hab mir so oft gedacht, ich sollte die Zahlen von eins bis zehn zumindest einmal angeschaut haben. Nachdem wir nicht einmal sicher sind, ob sie von zehn runterzählt und unsere Informiererin irgendwo strawanzen ist, müssen wir warten, bis um uns herum die ersten Lampions aufsteigen und lassen dann auch unseren los.

Ma!, die Hintergrundmusik, die hätte ich schon wieder komplett vergessen gehabt. Öffentliche Veranstaltungen laufen überall nach dem gleichen, anstrengenden Schema ab.

Eine Zeitlang stehe ich einfach da und denke mir, dass das wirklich ganz hübsch ist, auch wenn Borobudur wirklich nur entfernt eine Rolle spielt – quite literally ist Borobudur so weit weg, dass ich von meinem Platz aus nur die Spitze, die Erleuchtungsebene sehe. Es ist hübsch. Dann gestehe ich mir leise ein, dass ich ja wohl auch kein Herz aus Stein habe und hole mein Telefon um auch ein paar Fotos zu machen. Natürlich hab ich den Moment ein bisschen verpasst und überhaupt sind meine Einstellungen nicht ideal dafür, in der Nacht zu fotografieren. Da schallt es über die Lautsprecher, dass wir einen zweiten Lampion steigen lassen werden, nachdem das das erste Mal schon so gut funktioniert hat. Überraschung! Die Tourismusinformiererin meint, das sei wohl, weil die Regierung Leute vorbeigeschickt hat, die da drüben mit der Drohne filmen und die haben vielleicht auch erst ihre Kameraeinstellungen an die Situation anpassen müssen. So hat sie s nicht gesagt, weil sie wusste ja nicht, dass ich diese Schwierigkeiten hatte. Also Nummer zwei. Jetzt acht Leute an einen Lampion, heißt es, aber niemand hält sich daran. Wir finden ein Loch an unserem Lampion, neuer Lampion, alles kein Problem. Ich hoffe, die BuddhistInnen hatten dann später noch genügend Lampions.

Als die Regierung dann ihre Aufnahmen im Kasten hat und ich ob in den Himmel steigenden Lichtern doch ein bisschen schwummrig bin (das war schon schön), erklingt, offensichtlich von schlechtem Weihnachtspop inspiriert, Happy Weisak Day aus den Lautsprechern und wir verlassen das Festivalgelände: Vor den BuddhistInnen hat noch eine zweite Gruppe TouristInnen einen Platz zum Lampions-steige-Lassen gekauft. Hunderttausend hat das pro Person gekostet. Da kriegt der Borobudurpark ganz schön was zusammengesponsort an dem Abend.

Dabei, ich fand schon am Vormittag witzig, als ich gesehen hab, dass es einen Einheimischeneingang und einen TouristInneneingang gibt. Der eine Eintritt kostet fünfundzwanzig Dollar, der andere fünfzehntausend Rupien, das ist etwa ein Euro. Das find ich aber total ok, ich finde das schön, dass man sagt: wir wollen das auch für unsere Bevölkerung erschwinglich machen, die sollen das auch sehen. Jetzt ist Borobudur nicht unbedingt ein nationales Symbol, weil tausend Jahre alter Buddhismus ist nicht wirklich etwas, auf dem der Indonesische Staat aufbaut. Aber es ist die meistbesuchteste Attraktion in Indonesien und da ist es nur fair, wenn die IndonesierInnen das auch einmal gesehen haben. Fix. Das ist als wie wenn der ORF mal seinen Bildungsauftrag wahrnehmen würde und im Kulturprogramm eine kommentierte Version von Sound of Music spielen würde, mit international besetztem Diskussionsgremium nachher.

Und beides zweisprachig angeschrieben.

Dabei, ein bisschen skeptisch war ich schon, als unser Busfahrer gesagt hat: gebt s mir das Geld, dann muss sich niemand anstellen, ich hol euch die Tickets für alle gemeinsam. Aber in Wahrheit wird der nur ein bisschen vom Wechselkurs mitgeschnitten haben und nicht wirklich Einheimischentickets für uns bekommen haben. Weil wir haben in beiden Parks auch Willkommensdrinks bekommen (Tee, Kaffee, Wasser – ich vergesse immer, dass man hier am gern schwarzen Jasmintee trinkt, der mit Milch nicht viel besser ist als ohne) und die sind in den fünfzehntausend nicht mit inbegriffen.

Jedenfalls sitzen wir schnell wieder im Bus und sind schon am Heimweg. Die Heimfahrt vergeht wie im Flug, aber ich bin auch schon wirklich recht müde und schlaf sicher mal ein halbes Stündchen oder so. Auch die NiederländerInnen und Deutschen sind still, vielleicht besinnlich, vielleicht müde. Bisschen schnell vorbei war s, bisschen schnell sind wir wieder weg, aber ich verstehe auch, dass man sich das nicht antun will, zwanzig Mid-Zwanziger in dem nächtlichen Kirtag wieder einsammeln zu müssen.

Beim Aussteigen entschuldigt sich die eine der VeranstalterInnen bei mir für die Verspätung und das vermeintliche Chaos im Ablauf. Ich frag mich, ob sie das nur bei mir macht oder bei allen, aber auf jeden Fall versichere ich ihr, dass das nicht notwendig sei, ich fand s super, sag ich. Und das stimmt schon. Ich tu mir schwer mit diesen Touren, ich kann mich nie ganz mit der Rolle des Herumgeführten identifizieren und bin immer den LeiterInnen ein bisschen näher. Vielleicht ist das eine Arroganz oder die Erfahrung, die ich bei AFS als Organisator von so Unternehmungen gemacht habe, wo ich immer bisschen drauf schau, wie machen die das, was machen die und dementsprechend auch die Toleranz für, ja das Interesse an den Verzögerungen und Missgeschicken habe.

Bisschen foto opportunity ist sich aber schon ausgegangen: endlich eigene Kasuarbilder.

Melbourne Comedy Festival II: Exfreundinnen und Agenten

Beim James Acaster waren sicher tausend Leute. Im Internet steht, dass die Veranstaltungshalle bis zu über zweitausend Leuten Platz bietet, je nach Bestuhlung. Das ist schon viel. Dass man von der Comedy reich werden kann hätte sie sich nicht gedacht, sagt die V. in meiner Begleitung. Wird der James auch nicht, glaub ich. Der spielt fünf mal vor den zweitausend Leuten in Melbourne und dann geht er wieder zurück und macht seine Runden in Großbritannien. Und auch für Mock the Week kriegt man keine Millionen.

Aber gut war er, das Programm für mich ein bisschen überraschend, weil erstens flucht er jetzt, wie der Eröffnungsgag zeigt, zweitens bekommen wir nicht die elaborierten Wortspielereien und die Metaebene von Bringing-an-Apple-to-an-Orchyard Routine sondern ziemlich privates, ziemlich schmerzhaftes, ziemlich persönliches über vergangene Beziehungen, einen unsensiblen Agenten und eine irritierende Psychotherapeutin. Er kriegt das ganz gut hin, find ich, das distanziert zu erzählen und nicht in die Falle des beleidigten Mannes, der sich darüber aufregt, dass die Welt nicht so läuft, wie er sich das vorstellt, tappt. Das war schon ganz ok. Und letztlich auch ein gutes Anschauungsbeispiel um V. darzustellen, was ich an der britischen Comedy so schätze bzw. warum das ein bisschen ein Sehnsuchtsort für mich ist: Weil ich dort so viele Leute sehe, die es schaffen, ihre psychischen Probleme auszudrücken, darzustellen und in gewisser Weise zu überwinden. Zumindest so weit, dass sie darüber öffentlich sprechen können. Und das ist ja immer schon was: Sich öffentlich hinzustellen und eine Wahrheit zu sagen, eine Empfindung auszudrücken, einen Standpunkt einzunehmen und sich definieren, als diese bisschen verbogene Person, als die man sich vielleicht wahrnimmt. Und zusätzlich noch ein Geschäft zu machen.

Da war die Fern Brady nicht viel anders, für die ich mir am letzten Tag des Festivals noch schnell eine Karte gekauft hab. Damit hab ich zwar nur europäische Comedians gesehen, aber ich war zumindest noch ein bei einer Frau. Von den Männer hat übrigens jeder einzelne zumindest eine Bemerkung über ihr jeweiliges privilege gemacht, über den Fakt, dass sie hier als weiße, middle-classed Männer auftreten. Und Melbourne ist da sehr sensibel, sie haben bspw. den Barry Humphrey Preis für das beste Programm umbenannt, nachdem der namengebende Barry, der seinerzeit die Gründung des Comedy Festivals maßgeblich unterstützt hat, seine Meinung zu Transgender ausgedrückt hat, die das Comedy Festival, bei dem gerade Cassie Workman, eine Transgenderperson, für den eben den Preis nominiert wurde, nicht unterstützen wollte.

Bei Fern Brady waren knapp hundertfünfzig Leute, aber es war ausverkauft. Es war auch das Programm, das am ehesten Stand-Up war. Weil sie stand halt da vorne und das Publikum saß vor ihr es war übersichtlich genug, dass sie immer wieder auf Reaktionen aus dem Publikum reagiert hat. Das Publikum direkt ansprechen, das hat sie sich auch nicht gegeben, aber das hat sie auch dazugesagt, dass sie sich das nicht geben will. Weil auch die Fern stellt sich vorne hin und sagt, dass sie Ängste und Unsicherheiten hat und mit Menschen in der Regel überfordert ist. Aber dann sagt sie auch, dass sie es satt hat, die britische Höflichkeit und die katholische Gesprächsverweigerung ihrer Familie. Daraus ergeben sich natürlich diverse Kapriolen. Und dann redet sie viel über ihre Sexualität und das find ich schwierig, find ich als Comedy schwierig. Oft ist das dann billiger Tabubruchhumor und nicht so aufregend. Ganz so schlimm war das jetzt auch gar nicht, insgesamt hat sie auch dabei eine gute Interaktion mit dem Publikum gehabt. Man hat gemerkt, dass sie aufgeregt und auch einfach schon müde war, vom Festival oder was auch immer. Sie hat zum Beispiel das Telefon liegen gehabt, auf dem sie presumably die verstrichene Zeit gecheckt hat. Und manchmal hat sie sich ein bisschen verirrt in ihren Routinen. Und sie hatte da „weniger Professionalität“, wenn man so will, als die anderen, die ich gesehen hab. So hat sie das alles ins Programm eingebaut und das hat dem ganzen eine gute Lebendigkeit gegeben.

Symbolfoto, weil von 2014. Aber vor der Town Hall ist eine Tafel, auf der jeden Abend in zwei solchen Spalten alle der an dem Tag stattfindenden Programme aufgelistet sind. Für den Überblick, wie viel hier tatsächlich los ist.

Der James Acaster hat übrigens den Preis für s beste Programm gewonnen. Und das find ich ok, auch aus meiner eigenen Auswahl. Ich hab den David O’Doherty zwar jetzt mindestens so gut gefunden wie den James, aber das Programm selbst war vom James Acaster wahrscheinlich das bessere. Es war stringenter und es war interessanter von der Balance aus Privatem und Öffentlichem. Ist das, frag ich mich natürlich, soll das ausschlaggebend sein in der Bewertung eines Comedyprogramms? Er hat auch Brexit nicht erwähnt, zumindest nicht wortwörtlich. Den David fand ich sympathischer von den beiden und seine Routinen, nicht zuletzt die Songs, liebevoller. Insgesamt hab ich s aber auf jeden Fall aufregend gefunden, wie viel los ist in Melbourne um das Festival herum und wie viele Leute sich dafür interessieren. Beneidenswert. Da werde ich s jetzt doch einmal auch nach Edinburgh müssen… Natürlich bedauer ich, keine AustralierInnen gesehen zu haben. Und überhaupt, nur die letzten vier Tage erlebt zu haben. Aber natürlich überwiegt die Freude, gesehen zu haben, was ich gesehen hab. Es ist ja normalerweise mehr eine virtuelle Begeisterung, wenn ich die Leute im Fernsehen und im Radio bekomme, da ist es schon eine besondere Freude die ich hier entwickeln kann. Wie gesagt, bisschen Sehnsuchtsort.