verblassende Erinnerungen

Die Japanischen Eisenbahnen tragen mich von einer Insel zur anderen, zwei Tage in der einen Stadt und weiter in die nächste. Eine Woche ist das her, dass ich mich konzentriert ans Erinnern gesetzt habe, eine Woche und locker dreitausend Kilometer, dass ich jetzt wieder in Tokio sitze und versuche, im Rückblick jene Emotionen auseinanderzuklauben, die langsam aber sicher in ein relativ homogenes Japanbild zusammenschmelzen. Gut, es ist nicht so, als ob ich nicht Notizen gemacht hätte…

An Osaka erinnere ich mich mehr an das Hostel als an die Stadt selbst. „Hostelzentriert“ hab ich mir notiert. Und so ist das, es gibt einfach Städte, wo mir die Unterkünfte stärker in Erinnerung bleiben, wo die Erfahrungen dort einfach die nachhaltigeren sind. Und natürlich sind das die Begegnungen, weil das sind die Erlebnisse, die mich wirklich anstoßen. Und mit der Osakaer Jugendherberge hab ich s wirklich gut erwischt. Dabei hat s zuerst gar nicht so gut ausgeschaut, als mir die Ina am Email gesagt hat, dass sie das Zimmer nur für zwei Nächte hat und dann hab ich mir gedacht, gut, dann halt nur zwei, so sehr haut das meinen Plan auch wieder nicht durcheinander. Aber dann hat sie gemerkt, dass ich eh nur für das Schlafzimmer ein Bett such und nicht ein Dreierzimmer. Ich weiß nicht, wie sie auf die Idee gekommen ist. Aber dann hat sie gesagt, ahso, ja, nein, kein Problem: drei Nächte. Prima, sag ich, drei Nächte sind gebongt. Und dass sie eine Katze haben, nur für den Fall, dass ich damit nicht oder eine Allergie oder so. Nein, sag ich, das passt, find ich gut.

Ein japanischer Beitrag zur globalen Popkultur ist ja das Konzept von „kawaii“, was vor allem als kuschlig, herzig, knuffig, süß zu verstehen ist. Aber der Begriff beschreibt eigentlich vielmehr einen spezifischen Stil, den ich hier als die große Infantilisierung aller Lebensbereiche zusammenfassen möchte, anthropomorphe Tierbabies mit weiten Pupillen und eine picksüße Mädchenhaftigkeit unter Sonnenschirmchen.

Der Kater heißt Akubi und war letztlich ein sehr herziger. Da gehört schon einiges dazu, eine entspannte Katze in einer Jugendherberge zu sein. Und ohne ihn darauf reduzieren zu wollen, seine auffälligste Eigenschaft waren seine kurzen Beine, die vielleicht halb so lang waren, wie man erwarten möchte. Mehr ein Nilpferd als eine Giraffe, das macht einen irre herzigen Eindruck. (Dabei fällt mir ein, dass hier in Tierhandlungen immer noch Tierjungen in Glaskästen gehalten werden wo Hunde umhertollend und Katzen abgewandt schlafend auf eine KäuferIn warten. Schon gut, dass das bei uns nicht mehr durchgeht.)

Die kurzen Beine des Hostelkaters kamen in Kombination mit steilen Stufen, über die ich in den obersten Stock hinaufklettern musste. Und Schiebetüren in den Stockwerken. Was unabhängig von der Beinlänge für einen Kater bereits eine ziemliche Hürde darstellt. Wenn der Kater einmal bis hinaufgelaufen gekommen ist, dann hat er nicht wirklich selbst wieder bis runter können. Und Samstagnacht sind die Deutschen, die bei uns im Zimmer waren, spät von – wie ich am nächsten Tage erfahren hab – der Karaoke nachhause gekommen und hatten dem Kater gegenüber wohl nur berauschte Gleichgültigkeit, als der mit ihnen in den gemeinen Schlafraum geschlüpft ist. War eh super, weil ich hab schon lang nicht mehr mit einer Katze auf den Beinen geschlafen und eigentlich ist das ein leistbarer Luxus. Das war schon nett. Nur in der Früh natürlich will die Katze aufstehen, so auch dieser Kater. Und da lernen verschiedene Katzen wohl unterschiedliche Techniken. Sehr effektiv ist es, wenn man mir daheim von unten die Krallen unter die Decke schlägt, ob man dabei meinen Fuß erwischt oder nicht, da schwappt mir das Adrenalin bis unter die Schädeldecke, da gibt s kein Weiterschlafen. Dieser Kater hat einfach zugebissen. Nämlich nicht nur so bisschen geknabbert. Er hat geschnurrt dabei, also hab ich s nicht als aggressiv verstanden, aber nachdem er mir ein bisschen in die Frisur gebissen hat, hat er mir in den Hals gebissen, dass mir das Blut gekommen ist. Eh ein zarter Kratzer. Aber überraschend war das schon.

Und das war mein einer Ausflug durch Osaka. Ich hab s schon auch als hübsch in Erinnerung.

Nachdem ich am ersten Tag einen kleinen Spaziergang durch Osaka gemacht hab, hab ich mich am Abend gegenüber ins Okonomiyakilokal gesetzt. Weil da haben sie mich aus dem Hostel, das direkt gegenüber liegt, hingeschickt. Die Osaka-Okonomiyaki seien ganz anders als die Hiroshima-Okonomiyaki, sagen sie. Da bräuchte ich mich gar nicht auf meinem Ich-hatte-erst-gestern-Okonomiyaki auszuruhen. (Wir hatten ziemlich flott eine ziemliche nette Unterhaltungsebene im Hostel, wie gesagt, das Hostel, die Begegnungen, das Wohlfühlen, in diesen Punkten macht Osaka Punkte.) Und das stimmt ja auch, ganz anders, so eine Osakaokonomiyaki. Vor allem aber hab ich einmal mit einem Blick auf die Tür festgestellt, dass ich in einem Michelin ausgezeichneten Lokal sitze und das war vielleicht auch eine Premiere. Uuuuhh. Dabei hat s nicht ausgeschaut, wie ich mir ein Haubenlokal vorstell. Zuerst einmal hab ich draußen sicher eine halbe Stunde auf einen Platz gewartet. Da haben sie so Hocker auf dem Gehsteig aufgestellt gehabt, von denen man immer eins weitergerrückt ist, wenn jemand einen Platz im Lokal bekommen hat. Und bis ich dann eine Stunde später meine Okonomiyaki bekommen hab, hab mir eine Zeit lang gedacht, dass das vielleicht das beste Essen ist, das ich je gegessen hab. Aber ich hab auch ein ganzes Bier lang auf mein Essen gewartet, und ich hab nicht wirklich was gegessen gehabt, weil war ja Reisetag. Und da sitz ich dann, kann sein, dass ich schon bisschen beschickert war, wie ich dann meine Palatschinke bekommen hab.

Weil, pass auf: Okonomiyaki werden als japanische Pfannkuchen vermarktet. Und das ist schon nicht falsch, weil es kommt ein Palatschinkenteig vor. Jetzt: Hiroshimastyle hat so ausgeschaut, dass meine Köchin eine Palatschinke gemacht hat und dann ein Kraut und die anderen Ingredienzien genommen hat und die Palatschinke wie einen Deckel auf dem Kraut verwendet hat, dass es durchgart. Ja? Also sie hat einen Haufen Kraut auf ein bisschen ein Öl gestapelt und dann die Palatschinke drauf und dann halt geschaut, dass das Kraut gar wird. Osakastyle mischt man das alles schon einmal zusammen und haut s dann als ein Ganzes auf die Kochoberfläche. Und dann haben sie einen Deckel draufgetan, was ich ein bisschen schummeln gefunden hab, aber es hat ja wie gesagt lang genug gedauert, bis es fertig war, also gut dass sie einen Deckel genommen hat. He, und dann war das einfach total gut. Da war ein Schwein drin und ein Tintenfisch und eine Jakobsmuschel und dann ein Spiegelei drauf und die Okonomiyakisauce, die so bisschen Worcestersauce ist, aber mit Datteln gestreckt und gesüßt und dann hauen sie eine Mayonnaise drauf, wie die JapanerInnen das gerne machen. Die kommt aber wirklich anders rüber, als die unsrige, ich sollte die mal pur kosten. Und dann kommen noch Nori drauf, was zuerst einmal wie Petersilie ausschaut, und Katsuobushi, also Späne von zu Holz getrocknetem Thunfisch. Und dann ist es fast wie mit Gabel und Messer essen, weil in einer ziemlichen Ausnahme kriegt man hier ein japanisches Essen, das nicht mundgerecht daherkommt. Dafür kriegt man eine kleine Version von den Spachteln, mit denen die Köche das Essen zubereiten und spaltet sich da seine Stücke von der großen Festtagstorte herunter, bis man dann endlich seine Stäbchen einsetzt.

Und dann bin ich zurück ins Hostel und die vielen Stockwerke hinauf. Beim Einchecken haben wir noch gescherzt, weil in Japan zählt man das Erdgeschoß als ersten Stock. Ich hab am Anfang tatsächlich ein bisschen gebraucht, bis ich verstanden hab, dass der Adresszusatz F4 nicht eine Hausnummer ist, sondern für Floor 4 steht. Dort hab ich gewohnt, im vierten Stock. Aber, hab ich gesagt, bei uns ist ja der F2 erst der erste Stock und dann sagen wir, gibt s noch einen Mezzanin, also bin ich auf österreichisch eh nur im zweiten Stock. Die Polin hat auf meine Erklärung des Ursprungs, des vermeintlichen Ursprungs dieser Praxis gemeint, dass man in Polen wohl einmal die Steuern auf ein Haus nach der Anzahl der Fenster bemessen hätte, woraufhin die Leute ihre Fenster zugemauert hätten. Ich mein, so Steuergesetze können schon auch Unsinn anrichten. Mir sind dazu dann noch die Gehsteige eingefallen, von denen es hier ja außer auf den großen Straßen, keine gibt. Find ich immer noch toll. Ach ja. Und die Autos parken auch nicht auf der Straße sondern müssen in einer Garage oder in einem Parkhaus Platz finden. Wenn man das mal erlebt, dann ist dieses Argument, dass jedes Auto bei uns eigentlich Miete zahlen müsste für die zehn Quadratmeter öffentlichen Raum die es einfach verstellt… also nicht das Auto soll die Miete zahlen. Da könnten wir lang warten. Aber ich mein, das ist einfach nachvollziehbarer wenn man sieht wie… man sieht einfach besser. Vielleicht muss man das so dem Handel vorschlagen, dass man dann auch von der gegenüberliegenden Straßenseite in die Schaufenster schauen kann.

Es war ein komischer Moment, als ich durch schieres Glück über diese Brücke gegangen bin und auf einen Pulk asiatischer TouristInnen gestoßen bin, die sich hier mit Werbeflächen fotografiert haben. Sicherheitshalber hab ich halt auch mal ein Foto gemacht, um später zu lernen, dass der Läufer da in der Mitte, dass das der Glico Mann ist. Der macht Werbung für ein japanisches Nahrungsmittelunternehmen, der hängt da schon seit 1935. Ach was weiß ich… Leute, die sich mit einem Werbeplakat fotografieren! Da kann einem der Konsumismus schon sauer aufstoßen.

Von meinen Krautpalatschinken zurück ins Hotel bin ich dann im Zimmer meiner Zimmerkollegin begegnet und wir haben uns vorgestellt und sind so ein bisschen ins Plaudern gekommen über dieses und jenes. Und bevor man sich s versah, war s fünf Uhr in der Früh. Das war unerwartet. Aber witzig, weil ich hab mir noch am Tag davor einmal gedacht, so in der Reflektion über das eigene Leben, wie man ein bisschen schräg wird, wenn man sich unkontrolliert in seinen Interessen spezialisiert und eines Tages merkt, wie man mit seinen Anekdoten wenig anschlussfähig ist, dass man sich da vielleicht ein bisschen isoliert hat, ohne dass es geplant war. Nicht, dass das nicht eine immer wiederkehrende Sorge ist, kann sein, dass es nur so eine selektive Wahrnehmung ist, dass ich mich jetzt erinnere, dass ich das gerade erst gedacht hätte und dann plötzlich eben treff ich auf wen, die mich gerade dort erwischt, wo ich das Gefühl hatte, dass ich ein bisschen gar esoterisch in meinen Vorlieben geworden bin. So sitz ich im Hostel in Osaka und find ausgerechnet eine Amerikanerin bestbewandt in der britischen Comedyszene. Sag ich zum Beispiel, na der Ding, den find ich gut und mir der Name nicht einfällt und ich so rumüberleg und sie sagt dann, anyway, den James Acaster fändt sie noch sehr lustig. Und ich denk mir, den hab ich gerade gesucht. Greg Davies? Zitiert sie schon Man Down. Da ist mir schon weich in den Knien geworden.

Am nächsten Tag war ich dann ein bisschen müde in Nara. Nara, sagt mein Reiseführer war die erste fixe Hauptstadt Japans und nachdem s mir auch meine Lokalbekanntschaften auf die Empfehlungsliste geschrieben haben, bin ich auf einen Sprung hin. Ich bin mal wieder etwas spät losgekommen, auch weil ich den Vormittag mit Blogbetreuung verbrodelt hab, das kommt ja auch nicht aus dem Nichts. Jetzt war ich wieder einmal erst um vier oder was in Nara. Das war schon nicht ganz ungeplant, weil ich wollte dort so einem Fest zuschauen gehen, das eh erst abends angefangen hat. Jetzt machen die Tempelanlagen und die historischen Gebäude aber natürlich schon wieder um fünf zu. Und so hab ich jetzt die größte bronzerne Buddhastatue der Welt verpasst, die dort in einem Haus sitzt. Das hab ich erst im Nachhinein gelesen, irgendwer hat da bei der Vorbereitung geschlampt. Aber ich hab wieder zahme Rehe gesehen und mir von ihnen auf die Hand atmen lassen und ich hab Leute gesehen die sich in einem Moment mit zahmen Rehen abfotografieren und im nächsten Moment versuchen, eine Rehnase aus ihrer Handtasche zu scheuchen. Insgesamt ist es fast ein bisschen wie Tauben am Markusplatz. Zuerst ist es lustig, dann wird s schnell zu viel, weil die Tiere nicht spielen wollen sondern gierig Essen suchen.

Ich hätte wahrscheinlich nur diese Schilder lesen müssen, um dem Buddha gegenüberzutreten. Aber ich war wohl einfach zu vertieft in meine Beobachtung der die Rehe beobachteten TouristInnen, um auch noch einen Sinn für Schilder zu haben. Schau, da liegt sogar eines mit Geweih!

Und auch das Festival war dann nicht schlecht. Da war so eine Prozession über einen See in traditionellen Gewändern und das hat wohl eine Geschichte erzählt. Da waren verkleidete Kinder und aufgeregte Mütter, die sie nach ihrem Auftritt in die Arme geschlossen haben, das war nett. Außerdem standen hunderte Leute aus aller Welt mit ihren Fotoapparaten drumrum, das hat mir das ganze ja auch schon wieder ein bisschen anstrengend gemacht. Ich könnte das vielleicht auch einmal leichter nehmen. Ich bin wohl einfach zu romantisch, dass ich mir denke, man muss das doch erleben und nicht dokumentieren. Ich hab ja dann auch schweren Herzens fotografiert, so ist s ja auch wieder nicht. Oder auch seltsam: Europäisch anmutende Männer in traditionellen japanischen Outfits. Da wird mir auch ein bisschen seltsam, wenn ich das seh. Dann wiederum stört s die Verkleideten offenbar nicht und ich glaub, die JapanerInnen sehen das auch nicht als kulturelle Aneignung.

Interessant, wie s mich oft einmal juckt, da mit der Kritik zu kommen und dann such ich wieder ein versöhnliches Bild raus. Es ist schon schön.

Bisschen schwer nachvollziehbar, was da passiert, aber die Ina hat gemeint, sie war im Jahr davor und auch wenn sie die japanischen Durchsagen wohl verstanden hat, es hätte ihr auch nicht zum allgemeinen Verständnis beigetragen, also gehört das wohl so. So sitze ich also nur den Bildern gegenüber, die da im Rahmen der Zeremonie dargestellt werden und dann kommen die zwei Boote (aus denen sich auf ZuseherInnenseite Trockeneisnebel über das Wasser ergießt!), gelenkt von zwei Steuermännern und hinten drin sitzen zehn Frauen, alle in Rot, Weiß, Schwarz angezogen und mit einem braven Lächeln in den uniform geschminkten Gesichtern, da hatte ich schnell einmal Handmaid’s Tale Assoziationen, obwohl ich s nie gesehen hab. Aber von der Aufmachung her, war s mir gleich wieder ein bisschen unheimlich, wenn Frauen in der Legende anscheinend nur die Rolle der Frauen zugewiesen wird.

Während die Mädchen über den vernebelten See geschifft worden sind, hat dazu das Orchester gespielt. Wer 7’43” Zeit hat kann hier ein Stück Zeremonienmusik mit authentischem Publikumsgeplauder haben. Manchmal ist es ein bisschen schrill, aber es zahlt sich schon aus, das ganze zum Nachhören zu haben.

Daheim haben wir noch einmal ein bisschen in die Morgenstunden hineingeplaudert, die Y. und ich, von Tolkien ausgegangen haben wir schließlich noch festgestellt, dass wir uns bei Game of Thrones von den gleichen YoutubekommentatorInnen haben begleiten lassen. Das ist wirklich eine Freude gewesen: zwei vergleichbare UserInnenprofile, aber doch so unterschiedlichen Sozialstatistiken. Wir haben allerdings zwei Deutsche ins Zimmer bekommen (die mir in der dritten Nacht dann den Kater beschert haben) und haben deshalb rücksichtsvoll gegen halb drei einen Strich gezogen. In der Früh ist sie dann auch schon weitergefahren und daraufhin hat sie einfach ein paar Tage gefehlt.

Ich bin hingegen in die andere Richtung gefahren, mit dem Zug nach Himeji. Jetzt hab ich noch herausbekommen, dass ich nicht einmal reservieren muss für meine Züge, sondern stolz den Railpass an die Brust geheftet einfach durch die Absperrung schreite. Den richtigen Zug muss ich halt finden, den richtigen Zug, den richtigen Bahnsteig. Das Telefon hilft. Und dass in der Regel alles auch in den Buchstaben zu haben ist, die ich lesen kann ohne beim dritten bereits ins Schwimmen zu kommen (mo? ke? su?), das hilft auch.

Und jetzt, in Himeji, das ist schon beeindruckend. Weil man kommt aus der Station raus und dann ist da eine lange Straße, die direkt bis zur Burg führt. Und: Burg. Eine japanische Burg ist bei weitem eine elegantere Einrichtung, als was einem zu dem Begriff so durch das mitteleuropäische Kopflexikon flattert. Zum einen ist beim Gebäude selber wieder sehr viel Holz im Spiel. Deshalb ziehen wir uns auch alle brav die Schuhe aus, wenn sie in die Burg steigen. Die Befestigung selber ist allerdings schon mit Steinen gebaut. Und das ist ja auch beeindruckend, diese steilen meterhohen Wände, die eine Ebene von der nächsten trennen. Da muss schon wahnsinnig viel Stein verwendet worden sein dafür, das muss wirklich viel Arbeit gewesen sein. Zum Glück für die Fürsten, hat die Bevölkerung sich brav und unterwürfig verhalten: An einer Stelle wird die Legende einer alten Frau erzählt, die gehört habe, wie knapp der Fürst beim Bau seiner Burg schon an Steinen ist und so hat sie ihren Mühlstein geschenkt. Weil besser der Fürst hat eine gute Wand als sie was zu essen. Aber ihr Vorbild habe auch noch NachahmerInnen aus der ganzen Gegend inspiriert. Schon schön, wenn die sozialen Hierarchien auch denen, auf deren Schultern sie gebaut sind, so viel Identität verleihen, dass sie sich gern opfern.

Schau, wie ich meine Panoramafunktion mittlerweile unter Kontrolle hab!

Die Burg (ich will ständig das Schloss schreiben, weil s doch so eindrucksvoll war) wird in der Broschüre schnell einmal als das schönste Gebäude der Welt bezeichnet. Das find ich vielleicht ein bisschen eine heftige Bemerkung. Dann wiederum tu ich mir auf jeder Skala schwer, Extremwerte anzukreuzen und vielleicht ist das auch ok, wenn man sagt: das da. Das ist das schönste Gebäude der Welt. Man muss sich seine Superlative ja nicht unbedingt aufheben. Der Vorteil der Perfektion ist ja vielleicht dann auch, dass man die BesucherInnen einfach durchschleusen kann, weil niemand jetzt großartig selbst die Schönheiten entdecken muss. Der Rundgang ist relativ klar abgesteckt, die Burg selbst ist auch nicht besonders aufregend, weil großteils leer oder leergeräumt. Die Wirtschaftsgebäude (Küche, Bäder, Wohnungen der Frauen) liegen sowieso außerhalb und jetzt läuft man drinnen durch die sieben, immer kleiner werdenden Stockwerke. Da haben sie nämlich einen Trick gemacht, weil von außen schaut s nur aus wie fünf. Und war wahrscheinlich nicht für Steuervorteile sondern eher, dass die erobernden Soldaten dann im fünften Stockwerk stehen und sagen Waaaas? Noch zwei Stockwerke? Sicher nicht in der schweren Rüstung!

Naja, was soll man sagen. Ein gut geschmiertes feudales System mit Sinn für Ästhetik. Und schönes Wetter war auch.

Während sich die Belagerten immer höher in ihren Burgturm zurückziehen, haben sie die Möglichkeit, Steine auf die Feinde zu werfen. In einem Fall sogar aus einem Fenster, in dem geheime Steinwurflöcher eingebaut sind. Das haben die Hinweise, die man über einen QR-Code (!) in jedem Stock auf sein Telefon laden könnte, extra hervorgehoben, dass die feindlichen Soldaten wohl vorsichtig gewesen sein müssen, nicht unter den Steinwurfschlitzen zu stehen, aber in dem einen Fall, seien die eben geheim in den Fensterrahmen eingelassen gewesen und da hat dann niemand gerechnet, plötzlich Steine auf den Helm zu bekommen. Wie seltsam, hab ich mir gedacht, dass man nicht damit rechnen würde, dass man sich darauf verlassen konnte, dass der Feind nicht ein Fenster zweckentfremden würde, um daraus direkt Steine auf die Eindringlinge zu werfen.

Leider hab ich ja in der Burg schon wieder ein bisserl stressen müssen, weil ich zwischen Burg und Bahnhof zu viel Zeit in die Suche nach einem guten Kaffee investiert hab. Aber ich war dann tatsächlich in einem wahnsinnig netten kleinen Café. Das war so klein und so versteckt, dass der Gastgeber richtig erstaunt gewirkt hat, dass er einen Gast hat um zwei am Nachmittag. Aber so hatten wir die Gelegenheit ein bisschen zu plaudern und er hat mir erzählt, dass er eigentlich in einer Behindertenwerktstätte arbeitet, aber sich jetzt schon lange für Kaffee begeistert und er röstet selbst in einer selbstgebastelten Röstvorrichtung. Und zwar über Kohlen. Sei das nicht schwer, da die Variablen konstant zu halten? Ja, lacht er und zeigt mir sein Buch, in dem er minutiös verschiedene Variablen und ihre Ausprägungen bei hunderten Röstvorgängen dokumentiert hat. Ich staune und nippe an meinem Kaffee. Es ist guter Kaffee, aber ob sich die Mühe auszahlt ist immer so eine Frage. In diesem Fall vielleicht weniger, weil er es doch vor allem für sich zu tun scheint, das ist schon länger her, dass ich jemanden so enthusiastisch über seinen Job reden hab hören. Aber ja, es ist mehr ein verwirklichter Traum, den er immer noch stark mit seinem Brotberuf subventionieren muss. Und dann schenkt er mir noch einen kalten Kaffee ein, weil während man bei uns auf das ja traditionell aber vor allem sprichwörtlich herabgeblickt hat, so hat sich das unter KaffeetrinkerInnen in der Welt ja mittlerweile zu einem Trendgetränk gemausert. Vor allem in den wärmeren Gegenden, die mir in den letzten Monaten die Gastfreundschaft erwiesen haben. War auch wirklich gut, bisschen stärker die Bitterkeit, aber, hat er gemeint, das kann auch sein, weil er die Bohnen, die er für meinen Heißkaffee gemahlen hat, gerade erst am Tag davor geröstet hat und der Geschmack brauche manchmal eine halbe Woche oder so, um sich zu entfalten.

Dann haben wir noch ein bisschen über die Scotchwhiskies geredet, die er außerdem in seiner Kaffeebar ausschenkt und dann hat er einen Anruf bekommen, dass sich jemand gerne einen Kaffee abholen kommen möchte. Und weil mein Herr Gastwirt einen sehr langsamen, manuellen Tropfkaffee macht, ist so eine Vorbestellung nicht das schlechteste. Er erzählt mir noch ein bisschen über die Koi, die in einem der Burgteiche gehalten werden, und seinen eigenen Erfahrungen von als er in einer Koizucht gearbeitet hat, die ihre Fische international verschickt haben. Und ein bisschen darüber, wie teuer so ein Koi sein kann. Aber auch, wie schön so ein Koi sein kann.

Außerdem hab ich ein bisschen gehudelt, dass ich noch in den Burggarten komm, weil für den haben sie mir ein Doppelticket angedreht noch bevor ich überrissen hatte, dass ich schon für die Burg meine Schlendergemütlichkeit verkauft hatte und vom Wechselgeld die Taschen voller Zügigkeit bekommen hab. Ich mein, das waren nur hundert Yen mehr, das war eine sehr sanfte Verführungstechnik, die zur Andrehung geführt hat. Dennoch, in for a penny… Nachdem ich aus der Burg von oben in alle Himmelsrichtungen geschaut hab, hab ich mich in die Abstiegsschlange gereiht und war mit zehn Minuten Zeit noch im Garten. Dann hab ich festgestellt, dass ich mich nur für den Einlass bemühen musste und hab meine Spaziergangsgeschwindigkeit wiedergefunden.

Einmal entlang des Kieswegs im Teegarten (geschlossen)

Und weil ich damit immer noch nicht genug erlebt hab, hab ich am Rückweg zum Bahnhof noch zwei Onigiri gekauft und mich auf eine sommerlich veranlagte Bank gesetzt. Von dort hab ich dann einem japanischen Straßenkünstler zugeschaut, wie er sein Publikum entfremdet hat. Ich hab ja nicht ganz verstanden, was so sein shtick ist, er hat viel geredet und sein Outfit war irgendwo zwischen Zirkusdirektor und Steampunk, zwischen Charlie Chaplin und Michael Jackson. Vielleicht gibt s da auch naheliegendere Vorbilder, die sich meiner kulturellen Engstirnigkeit nicht erschlossen hat. Als erstes hat er sein Territorium auf der Straße mit einer Schnur abgesteckt. Während seinen Vorbereitungen hat sich ein Pärchen vor ihm hingestellt, die ihn erst einmal beim Werkeln beobachten. Aber über kurz oder lang beginnt er bereits über sein Mikrophon irgendwelche Geschichten zu erzählen und die Gestik versucht ein bisschen, seine beiden offensichtlichsten BeobachterInnen zur Teil- oder zumindest Anteilnahme zu motivieren. Die beiden steigen einige Schritte zurück und bleiben aber tapfer in der BeobachterInnenrolle, auch wenn ihre Körpersprache sich bereits etwas stärker von dem Straßenkünstler distanziert. Die meisten anderen ZuseherInnen haben übrigens von vornherein in etwas größerer Distanz gehalten. Er hat sicherlich ein Dutzend bis zwanzig ZuseherInnen, aber nur drei oder vier, die sich ohne weiteres als solche zu erkennen geben. Eine kurze Interaktion mit einem vielleicht fünfjährigen Mädchen und ich weiß immer noch nicht, was der Kern seiner Darbietung ist. Vielleicht erzählt er nur Geschichten, auch wenn er sich zumindest wie ein Zauberkünstler verhält.

Bye-bye, Himeji, schön habt s ehs.

Aber auch ich hab irgendwann meine Reisbällchen gegessen (die waren übrigens ausgezeichnet und ich hab seither wenig Lust, wieder zu jenen zurückzukehren, die ich in an jeder zweiten Straßenecke im Snackshop bekomme, die sind einfach deutlich weniger aufregend), und ich gehe zurück zu meinem Zug. Straßenkunst ist kein besonders etabliertes Genre in Japan. Ich glaube durchaus, dass das Potenzial der Publikumsbeteiligung ein wenig als Bedrohung wahrgenommen wird. Oder der Eindruck ist nur ein aus meinen eigenen Angststörungen gewuzelter Apsekt vermeindlich japanischer Kultur, wer kann das schon sagen. Während mein Eindruck schon ist, dass man hier recht viel Wert darauf legt, in der Öffentlichkeit in Frieden gelassen zu werden. Und vielleicht denke ich deshalb jetzt daran, aber ich hab in den Städten auch kaum Obdachlosigkeit erlebt. Wirklich nur in Osaka, dass mir bei meinem ersten Spaziergang zwei, drei offensichtlich verwahrloste, bettelnde Personen aufgefallen sind. Einer auch merklich über dem Durst. Kann man sicherlich mal nachschauen, wie in Japan mit der Obdachlosigkeit umgegangen wird. Intuitiv würde ich glauben, dass da nicht unbedingt liberale Methoden zum Einsatz kommen, mit dem Ziel, Betroffene zu größerer Selbstbestimmung anzuleiten.

Go Carps!

Na gut, let’s do this. Ich hab für Hiroshima jetzt ein paar Mal versucht das in Worte zu fassen. Vergleiche, die man nicht anstellen kann. Aber irgendwie steht man halt vor einem Kriegsverbrechen und denkt an die Kriegsverbrechen und vielmehr noch an die Verbrechen, die auch jenseits vom Krieg stattgefunden haben. Und eigentlich will ich ja doch nur die Erinnerungskultur vergleichen, aber irgendwie drängt da sofort die Schuldfrage mit hinein. Und so widmet sich auch Hiroshima dem Frieden und der Abschaffung von Atomwaffen.

Das ist gut gelungen. Und ich weiß nicht, ob das anderen Leuten auch so geht, aber ich finde der Museumsrundgang endet damit irgendwie positiv. Also nicht dass alles gut wäre, aber dass es etwas zu tun gibt. Und auch bei einem zweiten Punkt, weiß ich nicht, ob das nicht vielleicht mehr ich bin: Zuerst hab ich mich ein bisschen gewundert, dass Leute ihre Kinder mit ins Museum bringen. Und dann hab ich gesehen, dass – wie in jedem Museum – sich die Kinder für manche Sachen interessieren und für andere Sachen nicht interessieren und das passt dann schon. Und wenn Kinder dann vielleicht anfangen, zu spielen oder meinetwegen auch aus Hunger oder Langeweile zu weinen, weil sie vielleicht auch sogar noch Babies sind… Dann stört das nicht. Ich finde ja dass da schon einiges dazu gehört, dass Hiroshima so eine lebendige Stadt ist, in der Leute leben und ich glaube gerne leben. Eine Stadt, die ich nämlich auch als lebenswert kennengelernt hab. Und da sind die Geräusche der nächsten Generation ja etwas willkommenes, gegenüber dem Wahnsinn, der in dem Museum dokumentiert ist. Wie gesagt, vielleicht ist das auch eine Biologie, die mir das in den Sinn gesetzt hat.

Kraniche zum Gedenken

Na gut. Auf jeden Fall bietet das Museum die Gelegenheit, ein bisschen eine andere Perspektive einzunehmen. Weil man sieht ja oft einmal so einen Atombombenpilz und ganz ehrlich: viel zu selten hab ich daran gedacht, was das für die Gegend unter diesem Pilz bedeutet. In einem Umkreis von zwei bis zweieinhalb Kilometern ist kaum ein Haus gestanden. Man kann sich das wirklich kaum vorstellen, aber wenn man die Luftaufnahmen der alliierten Aufklärungsflugzeuge sieht, dann muss man sich das nicht vorstellen. Und natürlich, selbst Überlebende müssen da in einem brennenden Chaos gelegen sein, in das von außerhalb wohl tagelang keine Rettungskräfte dazugekommen sind. Im Gegensatz zu Nagasaki ist die Atombombe in Hiroshima auch einfach mitten über der Stadt abgeworfen worden. Da war wohl eine Kaserne auch betroffen, aber halt auch ein Mädchenpensionat. Und dann komm ich natürlich ins Vergleichen, wie ein Blinder von der Farbe. Aber weil eine Atombombe halt doch einfach etwas anderes ist, rein qualitativ. Man muss sich das vorstellen, dass die Stadt ja nicht im Alarmzustand gewesen ist. Keine Warnung, niemand im Bunker, niemand in Deckung. Im Museum haben sie die Hand von einem gezeigt, der die aus dem Fenstern hat hängen lassen um 8:15 und wo einfach eine Linie ist, bis wohin die Finger verbrannt sind. Insgesamt fokussiert man sehr auf Einzelschicksale und das hat mich schon immer wieder zu Tränen gerührt, die Bilder zu sehen von Familien, von Schulklassen, von einzelnen Personen mit Hut und Schirm, Straßenszenen vom Tag davor. In dem Wissen, dass viele der Leute auf den Fotos nicht einmal einen Leichnam hinterlassen haben.

Ich fand das eine schöne Warnung und vor allem einen guten Hinweis für Begleitpersonen. Es sind auch tatsächlich viele Schulklassen, die Hiroshima besuchen.

Man muss auch sehen, dass viele Leute nach den Dokumenten der atomaren Verwüstung, der Vorgeschichte, die danach ein bisschen aufgearbeitet ist oder sogar am Ende, wo dann noch die Nachgeschichte und wie danach die atomare Aufrüstung einfach vollkommen aus dem Ruder gelaufen ist, dass viele Leute dafür kaum noch Zeit haben. Auch in Hiroshima wird die Rolle Japans kaum hinterfragt. Dass das faschistische Japan nach Hiroshima – weil das hab ich mich schon gefragt – nicht reagiert hat und der Meinung gewesen ist, das lässt sich aussitzen, das hab ich anderswo nachgelesen. Und das ist wirklich ein harter Brocken. Auf der anderen Seite waren scheinbar schon zwei Atombomben geplant, weil das war ja waren ja auch zwei verschiedene Modelle, Uran in Hiroshima und Plutonium mit noch einmal eineinhalb so viel Sprengkraft in Nagasaki. Und die WissenschaftlerInnen waren auch sehr schnell vor Ort, die japanischen, aber dann auch die alliierten, um die Auswirkungen zu dokumentieren. Die Rolle der Wissenschaft in der ganzen Geschichte ist sicherlich noch ein bis zwei genauere Betrachtungen wert. Aber es war auf jeden Fall die Entscheidung einer Politik, auch der Sowjetunion, die sich in der Gestaltung des Nachkriegseuropas bereits deutlich als Widersacher der Alliierten abzeichnete, zu zeigen, wer hier die Fäden in der Hand hält. Und eine bedingungslose Kapitulation Japans hätte man wohl auch erwartet und deshalb auch keinerlei Ankündigung des atomaren Angriffs gemacht.

Ein Bild zur technischen Seite: Rechts ist Nagasaki, links Hiroshima. Im roten Bereich sind die Gebäude komplett verbrannt und eingestürzt. Beide Karten haben einen Durchmesser von 6km.

Und dann leitet das Museum eben über auf die Hintergründe der Atomwaffenentwicklung, auf das Rennen, das sofort anschließend ausgebrochen ist, Wasserstoffbomben, Interkontinentalraketen, Indien, Pakistan, Nordkorea und die Drohung strategischer Atomwaffen im Handkoffer. Und die mal mehr mal weniger bemühten Versuche, auf beiden Seiten ein bisschen runter zu kommen. Ein amerikanischer Tourist hat hinter mir vom Erfolg der Drohung der gegenseitigen Vernichtung, naja, geschwärmt ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Und vielleicht ist da was dran, dass der Wahnsinn für eine relativ friedliche zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gesorgt hat. Auf jeden Fall muss man schon um die halbe Welt fliegen, um daran erinnert zu werden, dass die Weiterentwicklung und -verbreitung von Atomwaffen, dass die Bemühungen Nordkoreas und des Irans in diese Richtung keinesfalls Ausreißer in einem stabilen System sind sondern die lineare Fortsetzung eines Prozesses, der seit siebzig Jahren vor sich hin entwickelt.

Am schrägsten ist aber vielleicht, dass es in Hiroshima bis in die Fünfziger gedauert hat, bis das Gelände geräumt und wieder aufgebaut wurde, bis die Menschen, die an den Nachfolgen der Bombe gelitten haben, versorgt wurden, bis überhaupt die Forschung sich mit den Auswirkungen der Strahlung auf die Menschen ordentlich auseinandergesetzt hat. Und länger noch, bis sich eine Gesellschaft wieder in eine Normalität zurückgefunden hat.

Natürlich steht trotzdem vieles im Kontext der Atombome, so hat sich eines der Museen zum Ziel gesetzt, den Menschen eine Möglichkeit zum Durchatmen zu bieten. Dafür haben sie eine hübsche Sammlung von ImpressionistInnen: Hier haben sie mir Gaugins Tahiti aufgehängt.

Es ist wirklich schwierig zu verstehen, wie man hier damit umgegangen ist, einerseits der Aggressor in einem imperialistischen Krieg gewesen zu sein und andererseits das Opfer eines furchtbaren Gegenschlags geworden ist. Und ich kann das nur durch die Augen eines auf die Taten der imperialistischen Verbrecher fokussierten, humanistisch veranlagten Mitteleuropäers sehen. Und da fehlt mir einfach etwas. Aber vielleicht ist das auch das katholische Erbe, das mich zur Schuldfrage zieht. Ich halte den Aufruf für den Frieden, den Hiroshima und Nagasaki glaubhaft formulieren, für einen positiven Schluss aus der Erfahrung. Aber basiert das auf der Verdrängung der Verbrechen des imperialistischen Japans? Mir geht das Video nicht aus dem Kopf, in dem eine alte Frau erzählt und sagt, dass sie es nach wie vor bereut, dass Japan so zum Frieden gezwungen worden ist, aber dass sie heute dankbar für den Frieden ist, in dem ihre Kinder und Enkel aufgewachsen sind. Da steckt eine Ambivalenz drin, die ich aus den Untertiteln heraus nicht entschlüsseln konnte.

Aber auch in Hiroshima ist das Leben weitergegangen. Lass mich mit ein paar allgemeinen Bemerkungen ein bisschen Luft schnappen: Es ist eine schöne Stadt. Ich hab das in Fukuoka kurz gesehen, wo ich am Weg von Nagasaki nach Hiroshima einen kurzen Stopp eingelegt hab, wie schön japanische Städte in ein Flussdelta hineingelegt sind. Die Stadt ist so von mehren Flussarmen gekreuzt und verteilt sich quasi auf mehrere Inseln. Das ist wirklich schön, aber hat mir gar nicht zur Orientierung geholfen. Oft einmal hab ich mich auf der übernächsten Insel gewähnt und hab dann erst wieder mit dem Telefon meine Position herausfinden müssen. Weil es ist auch nicht klein. Eine Million wohnen in Hiroshima und ich hab natürlich nicht viel mehr als das Zentrum gesehen, aber vielleicht dadurch, dass diese Inseln existieren, kommt man doch schnell einmal in verschiedene Gegenden.

Und wenn man einen Ausflug macht, dann kann man schnell einmal mit dem Schiff auf Miyajima fahren, das ist so eine kleine vorgelagerte Insel, wo man relativ zahmen Rehen begegnet und dann gibt s natürlich wieder Tempel und Schreine und ein großes Tor, das im Wasser steht und vor lauter Berühmtheit gerade einer Renovierung unterzogen wird. Aber das macht nichts, weil wie ich dort angekommen bin, war das Licht gerade so gut, dass der blaue Himmel, die grünen Bäume und die roten Tempelanlagen an sich schon so gut ausgeschaut haben, dass ich den scheinbar auf dem Wasser schwimmenden Itsukushima Schrein gar nicht auch noch gebraucht hab.

Ein interessanter Text aus dem Impressionismusmuseum hat festgestellt, dass ImpressionistInnen wie Boudin und Sisley in ihren Bildern die Offenheit der Landschaft ausgedrückt haben, indem sie Himmel viel Platz eingeräumt haben. Monet sei zunächst stark von Boudin beeinflusst gewesen, aber dann sei die Horizontlinie in seinen Bildern immer weiter nach oben gewandert, um Platz für Wasser und den Spiegelungen darin zu machen. Ich bin hier offenbar noch stärker von Boudin beeinflusst.

Außerdem war ich müde, weil ich auf den Berg rauf bin. Ach, in der Anreise bin ich irgendwie derart in den TouristInnenstrom geraten, dass ich, wie ich von der Fähre runter bin, gleich einmal in die andere Richtung los bin und das war schon nett, weil da waren diese Rehe und dann war da ein bisschen ein Hügel und dann bin ich über kurz oder lang vor einem Schild gestanden, wo mir die lokalen Wanderwege aufgezeichnet waren und da hab ich gesehen, der geht auf den Berg, bin ich auf den Berg. Und ich war halt wirklich nicht gut ausgerüstet, mit meinem kleinen Wasserflascherl und der Müsliriegelabsenz in meiner Tasche. Zumindest war ich nicht in Sandalen, wie die, die mir da teilweise entgegengekommen sind. Also, hab ich mir gedacht, so schlimm wird s schon nicht sein. War s ja auch nicht, nur lang hat s trotzdem gedauert, bis ich da oben war. Und oben gab s ein Internet, aber kein Trinkwasser. So schlimm kann s mit mir nicht gestanden sein, weil bei dem einen Schrein unterhalb des Gipfels hätt s Wasser im Automaten gegeben, aber ich war nicht bereit, zweihundert Yen dafür zu zahlen. Das hat die Hälfte zu kosten! Dabei hab ich mich beim Runtergehen dann noch einmal verirrt, weil ich den gleichen Weg runter bin, den ich rauf bin und dann erst an der nächsten Kreuzung festgestellt hab, dass ich eigentlich auf der anderen Seite vom Berg runter wollte. Also zurück. Immerhin wird am Berg freundlich gegrüßt und mein Konichiwa kam fast mit Selbstsicherheit. Bis ich dann am Abstieg einen Herren dergestalt gegrüßt hab und der mir ein akzentfreies Hello entgegnet hat und ich mir gedacht hab, o-em-dschie, hab ich da gerade einen Touristen auf Japanisch begrüßt. Ich bin da ja schon ein bisschen sensibel mit dem ganzen Ding. Mit den Begrüßungsformeln. Weißt, weil irgendwie geht man als von Gott abgewandte ÖsterreicherIn ja durch die Phase, wo man sich denkt, das ganze Grüß Gott ist doch eigentlich ein Unsinn und dann hab ich drauf geschaut, mir das aus dem Sprachgebrauch rauszuholen. Und wenn mir jetzt am Berg einer ein Grüß Gott sagt, dann denk ich mir womöglich, dass da jemand eine Phrase gelernt hat, die für mich ein bisschen ideologisch aufgeladen ist und das weiß die wahrscheinlich gar nicht, weil sie, nachdem sie beim Aufstieg dreimal so begrüßt worden ist, das jetzt einfach verwendet. Und so frag ich mich natürlich, wie kontextabhängig sind meine Begrüßungsformeln.

Das Reh schnaubt mir zur Begrüßung nur ein bisschen warme Luft auf die ausgestreckte Hand. Zahm heißt ja nur, dass sie den Vorteil des Gefüttert-Werdens als wichtiger bewerten als das Risiko des Gewürgt-Werdens.

In meinem Lokal, das ich mir in Hiroshima gefunden hab, hat die Gastgeberin einen Gast einmal mit einem Oyasuminasai! verabschiedet. Und das weiß ich noch von früher, dass ist Gute Nacht. Aber natürlich hab ich mich nie des Abends aus einem Geschäft oder Lokal mit so einer familiären Formel verabschiedet. Und anderswo hab ich dann vom Hostelstaff ein Ohaio! bekommen. Und das, weiß ich aus meinem Duolingo heißt Guten Morgen. Aber ist das vielleicht auch eher was, was man seiner PartnerIn ins Ohr flüstert als seiner KasernenkommandantIn entgegenruft?

Oh ja, ich hab ein Lokal in Hiroshima gefunden. Das war das mit dem Fritz-San (siehe Folge so-und-so). Das war wirklich nett. Weil ich bin da hin, an meinem ersten Abend. Oft einmal, wenn ich spät ankomm, dann lass ich s dabei und verzichte auf mein Abendessen. Aber ich hatte da irgendwie Lust, nochmal raus und das hat vielleicht damit zu tun, dass in meinem Schlafsaal achtzehn Betten gestanden sind. Gut, nein, ganz so kann man sich das nicht vorstellen. Das war so ein bisschen schon ein Kapselhotel, wo man seine fünf Wände hat und an einem Ende ist das durch einen Vorhang verschließbar und drinnen hab ich Licht und einen Rauchmelder und mein eigenes kleines Zuhause. Das ich mit meinen Rucksäcken geteilt hab, aber es war trotzdem ok Platz. Man soll ein bisschen auf seine Verdauung schauen, weil die Luftzirkulation nicht ganz top notch ist und ein schlechter Geruch bleibt da eine Zeit lang hängen. Wandersocken sind auch nicht ideal.

Nochmal Miyajima: Oben Schreine, die mir den Gipfel angezeigt haben, unten ein Tempel, der mir anzeigt, dass ich wieder in der Ebene angekommen bin. War ein bisschen eine Überwindung, mich mit dem komplett durchgeschwitzen T-Shirt ins Lokal zu setzen, aber ich hatte einen ziemlichen Hunger und es waren eh kaum Gäste außer mir. Meine Hiroshima Okonimiyaki hab ich nämlich in Wahrheit gar nicht in Hiroshi- sondern auf Miyajima gegessen.

Also hab ich mein Telefon aufgeschlagen und hab dinner eingegeben und dann hab ich zwei, drei Sachen in der Umgebung angeschaut, beschlossen, dass ich meinem Udongusto gerne nachgeben möchte und hab mich auf den Weg gemacht. Dann bin ich ins Lokal und hab mit meinem Zeigefinger gesagt, dass ich eine Person bin. Da hat mir die Gastgeberin einen Platz an der Theke zugewiesen, neben den bereits dort sitzenden Gästen. Und bevor sie das getan hat, hat sie kurz überlegt. Und während sie das getan hat, hat sie ein Gesicht gemacht, wie man macht, wenn man jemandem das Gefühl vermitteln möchte, dass man keine Verantwortung darüber übernimmt, wie gut die andere das findet, dort zu sitzen. Aber freundlich. So: Das ist der Platz den ich hab, aber ich weiß, dass das nicht der beste Platz ist. Hm, immer noch nicht ganz. Hier kann jetzt alles passieren. Auch nicht wirklich. Schau mal, was passiert, wenn du dich hier hinsetzt.

Turns out dass die drei neben mir Stammgäste sind und der neben mir hat heute Geburtstag. Warum der, der Geburtstag hat, nicht in der Mitte gesessen ist, hab ich mich nachher mal gefragt. Na ja, weil sonst nicht mehr viel los war, sind wir schnell einmal ins Gespräch gekommen und die Gastgeberin hat mich schnell einmal bei den Runden mitinkludiert. Da gab s zum Beispiel eine gebratene Wurst als Spezialität. Das hab ich nicht ganz verstanden, wie das eine Spezialität ist, eine Scheibe Knacker in der Pfanne gebraten. Aber die Wurst hatte die Form einer Blume, also vielleicht doch was besonderes. Und dann hat sie gesagt, es tät ihr leid, aber sie hätte jetzt vergessen, wollte ich meine Udon warm oder kalt. Und dann hat sie mir meiner Antwort zum Trotz warme und kalte Udon gebracht und ich hatte vorher schon Sashimi und Tempura. Das war so als Abendmenü angeboten und da hat sie nicht gelogen: Das war ein guter Deal. Und dann hat mir das Geburtstagskind einen Sake eingeschenkt und ich hab ihm scherzhaft zum Fünfundzwanzigsten gratuliert und dann waren wir eigentlich alle schon FreundInnen.

Irgendwie schaff ich s oft erst am Abend dann in die Gärten, da bringen alle meine Fotos so eine Abenddämmerung mit. Durch den hab ich ganz schön hetzen müssen, Punkt sechs bin ich als letzter durch die Tür wieder auf die Straße getreten.

Da bin ich dann am nächsten Abend wieder hin, weil ich hab einerseits gewusst, dass ich kalte Udon jetzt lieber hab und zweitens war s halt wirklich ein guter Deal mit dem Menü. Da waren die Stammgäste dann aber gar nicht da oder war s schon so spät, dass die halt nicht mehr da waren. Weil man kann auch nicht jeden Abend Geburtstag feiern und am nächsten Tag wieder brav helles Hemd mit dunkler Hose tragen. Aber ich hab mich ein bisschen mit den zweien hinter der Theke unterhalten und dann kamen zwei Herren herein, die sich über das Ergebnis des gerade zu Ende gegangenen Baseballmatches gefreut haben, auf ein kleines Bier und eine Schale Udon und die haben sich dann ihr weniges Englisch mit großen Enthusiasmus kompensiert und mir gerne auf die Schulter geklopft, mein braves Udonessen bejubelt und mir zum Abschied einen Fächer geschenkt. Und zwischendurch ist die ganze Fritz-San Geschichte passiert und es war dann fast ein bisschen traurig, mich da zu verabschieden.