Rückblicke

Es ist nicht so einfach mit dem Schreiben. Ich mein, es ist nicht so einfach mit dem Leben in the first place. Und die beiden hängen ja zusammen.

Ich hab mir schon vorgestellt, ich schreib dann einfach wieder. Am Abend hinsetzen und die Gedanken des Tages irgendwie unterbringen in den Worten und ein Bild dazu und irgendwie dann die Freude, was getan zu haben und irgendwie auch in Kontakt getreten zu sein. Die Bedürfnisse sind überschaubar. Aber es ging dann einfach nicht, zumindest einfach nicht so einfach.

…aber zumindest die Hoffnung, dass es jemand wert gefunden hat, es aufzuschreiben.

Segeln war gut. Und dabei so fordernd. Da hab ich mich am Abend nicht hingesetzt, da hab ich mich hingelegt am Abend, weil am nächsten Tag ging s weiter. Wenn man in zwei Wochen um die kanarischen Inseln segeln möchte, muss man sich offenbar dranhalten. Am Anfang sind wir gleich mal zweimal durch die Nacht gesegelt. Das war nur mittel ein Spaß, die Andrea hat rückblickend einmal vorsichtig formuliert: „There were moments, when I didn’t enjoy the banter.“ Das hat s ganz gut getroffen. Es war dann einfach zu viel für den Anfang: Drei Stunden Segeln, drei Stunden Schlafen… von sieben bis sieben.

Wenigstens waren wir dann einmal auf Fuerteventura und dann auf Gran Canaria. Das war der Deal: wir hatten ein Rettungsboot zum Service zu bringen. Und dann hätten wir ruhiger unterwegs sein können. Das hat auch funktioniert für ein paar Tage, da sind wir gemütlich nach Tenerifa, nach La Gomera und schließlich nach La Palma gesegelt, schöne Tagespassagen, alles fein. Der Vorteil in der Nacht, hat sich dann herausgestellt, ist das mit der Sonne. Aber das war im Grunde auch ok, ich lerne großzügig mit der Sonnencreme zu sein. Ich halte mich mittlerweile an das Credo „Wer aus dem Urlaub Sonnencreme mit heimbringt, hat zu wenig verwendet.“

Der Blick aus dem Cockpit, wenn alles festgezurrt ist. Dann darf die Luke offen sein und das Handtuch an der Reling hängen. Ist wahrscheinlich Puerto den Mógan auf Gran Canaria.

Aber dann hat sich herausgestellt, der Wind kommt jetzt von Osten. Das gibt s normalerweise überhaupt nicht, da ist immer ein Nordwind und das ist wunderbar gemütlich, da auf einem beam reach heimzufahren. Die deutschen Bezeichnungen in dem ganzen Segelbusiness sind übrigens dermaßen archaisch oder zumindest sind das auch alles Vokabeln, die man auf die eine oder andere Art auswendig lernen müsste, da kann man wirklich gleich die englischen Begriffe lernen. Aber für wer will:

A beam reach is when the true wind is at a right angle to the direction of motion.

en.wikipedia.org

Halber Wind bezeichnet einen Kurs, bei dem der Verklicker ungefähr rechtwinklig ausweht, der scheinbare Wind also mit ungefähr 90° einfällt. Die Segel werden im Vergleich zum Am-Wind-Kurs etwas geöffnet („die Schoten gefiert“). Während auf einem Halbwindkurs nach wie vor der größte Teil des Vortriebs durch Strömung am Segel hervorgerufen wird, ist ein weiterer Teil auch auf Winddruck auf das Segel zurückzuführen.

de.wikipedia.org

Also ja. Interessant ist bei den beiden aber, dass die englische Bezeichnung vom true wind ausgeht, also der Wind, der auf ein ruhendes Segelboot einwirkt. Während auf Deutsch sinnvollerweise der scheinbare Wind herangezogen wird, der sich aus dem true wind plus dem Fahrtwind ergibt. Und das ist der Wind, wie er sich letztlich auf das Boot auswirkt.

Ja, es ist jetzt nicht so, als ob ich nichts lernen würde, in meinen Kursen.

Bananen, Papayas, Landurlaub (Tazacorte, La Palma)

Na auf jeden Fall haben wir uns dann erst wieder beeilen müssen, La Palma hinter uns gelassen und in einem Mordsaufwand 48 Stunden lang die ganze Strecke wieder zurückgesegelt. Und da, muss ich sagen, hab ich stellenweise einiges nicht mehr so wirklich genossen. Zum Beispiel, wie ich mein Fensterchen nicht ganz zugemacht hab. Das ist ja so ein Ding, irgendwie, diese Luken. Die macht man ja dicht. Und dafür gibt s eben so kleine Schnapperl. Jetzt wenn die nicht offen sind, wenn man die Luke zumacht, und sagen wir, die anderen Schnapperl zumacht. Das schaut super aus, schaut aus als wär s zu. Und da ist wirklich nur ein kleiner Spalt, klitzekleiner Spalt. Aber da kommt mitunter dann so eine Welle und da passt sehr viel Wasser durch so einen kleinen Spalt, hab ich dann gemerkt, während ich eigentlich meine Schlafstunden hatte.

Ah, das fühlt sich nicht gut an. Im ersten Moment hab ich gedacht, die anderen sind schuld. Eh klar, erster Reflex. Aber während ich dann da unter Deck im Dunkeln bisschen hin- und hergeflogen bin, auf der Suche nach was, um meine Kabine trocken zu legen, hab ich die Situation wohl halbwegs rekonstruiert. Und wie ich dann ins Cockpit raufgeschaut hab, wo Andrea und Richard ihre Segelschicht verbracht haben, da war s gar nicht mehr so anklangend gemeint, wie ich gesagt hab, dass mir gerade das Wasser durch die Luke gespritzt ist. Aber natürlich: Die zwei sind da seit Stunden gesessen und haben das Wasser zwar nicht ins Bett, aber doch ständig ins Gesicht und viel zu tief, wie sich später herausgestellt hat, in die „wasserdichten“ Jacken bekommen. Insofern durchaus zurecht, dass man mir da bisschen schnippisch drauf reagiert hat. Ich hab mich wieder hingelegt, halt um das Wasser in meiner Matratze herum. Man kriegt seinen Schlaf nicht nachgereicht.

Und ja. So wie wir dann da gesegelt sind, ist der Wind so knapp wie möglich von vorne gekommen, das heißt, dass auch die Wellen in erster Linie von vorne gekommen sind und es hat dauernd swisch-swasch-swusch gemacht. Mit jeder Welle hat s das Boot hochgehoben und wieder fallen lassen. Und im schlimmeren Fall ist die nächste Welle, beim Fallengelassenwerden dann schon da und schwappt einem drüber. Man spürt richtig, wie in dem Wort noch das Gefühl drinsteckt: Schwapp.

Jetzt, so ein Sonnenaufgang ist schon schön, wenn er so flach daherkommt. Endlich, endlich…

Und dann ist es ein fröhliches Ankommen. Das Interessante beim Ankommen ist ja auch, wie lang das dauert. Weil zwischen Land-in-Sicht und das Boot festbinden ist ein halber Tag. Bei guter Sicht. Und natürlich wollten wir nicht gleich an das erste Land, das sich uns da so gezeigt hat, weil die Westküste von Fuerteventura ist offenbar eher eine Steppe. Wir wollten nach Rubicon. Rubicon ist an der Südspitze von Lanzarote und dort sind wir eingefallen, als wären wir monatelang auf See gewesen. Aber man kann sich das so ein bisschen vorstellen, wie sich das anfühlt, wenn man nach zwei Tagen ankommt und die ganzen kleinen Ärgerlichkeiten, die man am Boot schluckt, weil sie eh nur aus dem eigenen Unwohlsein stammen, die Begrenztheit, in der man nur zwischen Bett und Deck die Wahl hat, keine drei Schritte gehen kann. Ein Bad, ein Klo, eine Dusche… Aber auch: viel Bier. Zu viel Bier vielleicht. Und am zweiten Tag war die Freude dann zwar weck, aber das Upper Deck hat wieder gerufen und dann war the Scottish Bird auch wieder da. Ich hab leider ihren Namen vergessen, aber die Selbstverständlichkeit, mit der Richard sie so genannt hat, steckt mir noch in den Knochen. Ihr Mann hat sie schon am Vortag auf die Tanzfläche geholt und selbst wenn der Sänger am ersten Tag besser war, als der am zweiten, sie haben wieder die ganze Bar motiviert, zumindest für ein, zwei Nummern bisschen mit den Extremitäten zu schlenkern. Sure, mich auch. „I heard [gute Gelegenheit an dieser Stelle, einen Glaswegian Akzent einzubauen] you two were German?“ ist sie zu Andrea und mir rübergekommen. „Well,“ sag ich, „that’s not technically correct…“, aber dann denk ich mir, man kann kaum was deutscheres sagen, also lass ich s stehen.

Auch in einer Marina gibt s eine Dorfdisko. Aber mit Abstand the place to be: Upper Deck, Rubicon, Lanzarote.

Ich hab seither nur sehr wenig Alkohol getrunken. Wir haben dann am nächsten Tag noch ein paar Manöver gemacht, bojenförmige Personen über Bord fallen lassen, marokkanischen Minen ausgewichen, zwischen ankernden Segelbooten gekreuzt… very excited. Weil wir waren jetzt zu früh wieder daheim. Die Windprognose hat sich angeboten, die Rückfahrt anzutreiben, weil besser wäre es nicht geworden. Und das ist auf eine eigene Art erstaunlich, weil bis dahin, hat sich Peter (der Instructor, jetzt haben wir endlich alle beisammen) nie besonders am Windwetterbericht („Predict Wind? More like Guess Wind.“) orientiert. Aber scheinbar, wenn ein starker Ostwind angesagt ist, wo wir nach Osten wollen, da glaubt man s dann doch lieber.

Es ist einfach. Ich hab eine Phrase im Kopf und dann krieg ich sie nicht mehr raus. Und zum Glück ist da das Internet, und dann brauch ich sie auch gar nicht besonders rauskriegen, aus dem Kopf, weil sie ist ja schon draußen. Danke, Eddie, very excited.

So waren die letzten Tage aber zumindest gemütlich: In der Nach im sicheren Hafen, abends, schön essen gehen in der Marina von Puerto Calero. Und dann sogar noch ein Rugby Spiel. Weil das kann man schon auch sehen: zum letzten Rugby World Cup, war ich in Japan. Also, nicht literally zum World Cup, aber es war der World Cup in Japan und ich war in Japan. Und jetzt war ich zumindest mit einem Engländer und einem Neuseeländer unterwegs, die beide sehr interessiert waren, wie s denn da weitergeht, bei den Rugbys. Ja, und jetzt bin ich in Paris, aber psssht! Spoilers.

Dann haben wir also Rugby geschaut. Und ich muss sagen, es war schon ok. Es dauert nur 80 Minuten und irgendwie ist die Action etwas fokussierter bzw. man konnte dem allen ganz gut folgen, hat schnell gesehen, dass die eine Mannschaft halt nicht gut spielt und die andere schon. Ich glaub, das war Frankreich gegen Italien. Es hat dann irgendwie zu lange gedauert und wir hatten noch ein Bier (ja, ja, aber danach wirklich nur noch ein Bier seitdem) und dann gab s noch ein unschönes Ende, weil der Peter nicht ganz gut der Andrea zuhören wollte – nachdem er sie gefragt hat – wobei sie den Eindruck hatte, er sei mit ihr ob Gender wegen, doch anders umgegangen. Es war nicht mehr zu retten. Ich möchte sagen, ich hab s versucht, aber irgendwie bin ich mir nachher trotzdem schlecht vorgekommen, weil ich sitzengeblieben bin, als sie auf ist, mit Tränen.

Am letzten Tag haben wir noch mit dem cruising chute unterwegs, auch mit wenig Wind flott beinander. Auch spannend: ein extrem gutes System, das Ding her- und wieder wegzuräumen. All the points!

Das war so ein bisschen ein Moment, in dem ich gemerkt hab, dass ich schon gern daheim bin. Und wenn das auch nur bedeutet, mehrheitlich mit Menschen umgeben zu sein, mit denen man ein gemeinsames Wertesystem teilt. Und wo man sich nicht nachher eine Woche lang daran abarbeitet, wie die Welt einfach nicht gut ist und wo man den Strich zieht und wo man aber um der eigenen Gemütlichkeit vielleicht darauf verzichtet, ein Zeichen zu setzen und zu sagen: Du hast gefragt, du kannst ihr jetzt nicht absprechen, dass sie das gefühlt hat. Nur zum Beispiel.

Und so hat das alles irgendwie unverdient ein rasches, etwas ungutes Ende genommen, schlechter Nachgeschmack inklusive. So bin ich mit diesen Gedanken noch eine Woche in Puerto del Carmen gesessen, wieder in einem etwas zu großzügigen Apartment, aber günstiger, weil 20 Minuten zum Strand und 10 Minuten zum Supermarkt. Hab mir Papayas gegessen, Brettspiele am Handy gespielt und war Tauchen mit den spanischen Tourist*innen. Aber so dieses Gefühl, wie gut das mit dem Segeln gelaufen ist, das hab ich mir diesmal nicht mitgenommen. Im Gegenteil. Das Rucken und Zucken in der Nacht, das mühsame Aufstehen um fünf in der Früh, selbst wenn s die Sonnenaufgangsschicht ist. Und halt auch das Gefühl, dass ich vielleicht immer noch eine vergleichsweise lustige Gruppe erwischt hab, mit der ich diese zwei Wochen gemeinsam geteilt habe. Aber selbst eine lustige Gruppe ist nicht dasselbe wie, sagen wir: Wohlfühlen.

Vorbereitungen für den Night Dive, Playa Chica, Puerto del Carmen, Lanzarote. Ich hab diesmal die Unterwasserkamera gar nicht mit, ich muss sagen, bis jetzt ist das eine Erleichterung.

Zusammengenommen hat die Idee, jetzt zwei, drei Wochen nach Amerika zu segeln einfach an Sexyness verloren gehabt. Ich segel schon gern. Aber vielleicht lieber mal mit Leuten, die ich gern hab und für die Freude. Weil es war schön. Ich find s super, zu lernen, wie sich das Boot verhält, sich lenken lässt und wo ich ein bisschen über meinen Schatten steigen muss, weil das Boot gehört so schief, sonst läuft s nicht gut. Und dann in einer Bucht zu ankern und ins Wasser zu springen – nachdem man sich versichert hat, dass der Anker hält. Vielleicht schwimmt der Richard – „last one at the beach is a rotten apple!“ – zum Strand und nach längerem Überlegen denk ich mir dann, ja, sure, why not. Und es ist ein super Gefühl, einen Strand vom Meer her zu betreten, bisschen im Sand sitzend zu Atem kommen und dann wieder zurück. Und „Wale“ zu sehen, zwei, drei Meter am Boot vorbei und Delphine, die uns begleiten und Schildkröten, die an der Wasseroberfläche herumgeworfen werden. Das sind schöne, aufregende Erfahrungen. Es ist nur schade, dass die Leute auf eine wohl ganz alltäglich Art manchmal bisserl ungut sind.

Stadtspaziergänge

Es ist viel zu schnell, viel zu kurz und vielleicht auch zu unstrukturiert und mittlerweile vielleicht einfach auch schon zu lange her. Aber wir erkunden Seoul ein bisschen so nebenher, schnell mal von Tokio nach Seoul gejettet, mit unserer super-kurzfristigen Buchung. Immerhin war der Plan das zu tun schon länger mal angedacht. Aber viel mehr Plan war dann auch gar nicht. Und dann passiert halt so was, dass wir am Flughafen Incheon ankommen und feststellen, dass das Hostel, in das ich uns Tags zuvor hineinbestellt hatte, antwortet, dass, sorry, aber nein. Und das, nachdem ich gerade erst die Kontaktadresse auf den Immigrationszettel ausgefüllt hatte. Das ist ein Pech und es würde mich vielleicht weniger stressen, wäre ich allein unterwegs. Aber so ist es ein bisschen eher ein Problem. Ich mein, nicht eines, das sich nicht lösen lässt. Weil wir haben von D eine Nachbarschaft empfohlen bekommen, das macht alles schon etwas einfacher. Insbesondere, weil mein präferiertes Kartenprogramm nicht so gut funktioniert in Korea, also nicht gut in der Republik. Ich sag einfach einmal Korea und mein damit nicht die Volksrepublik Korea sondern die Republik Korea, vulgo Südkorea. Aber da fängt das irgendwie schon an damit, dass diese ganze politische Identität von Korea sich mir gar nicht so einfach darstellt.

Jetzt bin ich aber am Flughafen und tatsächlich ein bisschen in einem emotionalen Ungleichgewicht, in die schlechte Laune tendierend, weil das Alternative-Hostel-Buchen nicht funktionieren will, weil ich von den einen wiederum Absagen bekomme und andere mich dazu zwingen, koreanische Software zu verwenden, die ich dann nur mit Mühe irgendwie auf Englisch zu laufen bekomme. Und der M ist auch nervös, weil das nicht funktioniert und es stimmt ja auch, es wäre ganz gut, einmal anzukommen. Wir kriegen dann ein Hostel gebucht, das nicht supersympathisch ausschaut, also, nämlich nicht einmal in dem, wie s sich präsentiert, aber was soll s, es liegt für uns günstig und es ist preislich, na ja, das passt auch. Immerhin gibt s ein Frühstück mit dabei.

Und dann stehen wir erst einmal ziemlich lange im Zug. Vielleicht ist das rückblickend ein wenig verzerrt, ich hab den Eindruck, wir sind schon viel mit der U-Bahn unterwegs gewesen. Aber das ist eh ganz nett, ostasiatisches U-Bahnfahren. Ich finde die Leute sind schon immer sehr ordentlich, wie sie stehen und sitzen und halt warten, bis sie ankommen. Ja, das klingt irgendwie jetzt nicht nach der großen Beobachtung, das geb ich schon zu. Ich glaub, was ich interessant finde, ist, wie die Leute in eine Nähe gerückt werden, dadurch, dass links und rechts im Waggon jeweils eine lange Bank ist, natürlich von den Türbereichen unterbrochen, an denen die Leute nebeneinander sitzen. Es und davor sind jeweils die Haltegriffe so angeordnet, dass man mehr oder weniger der Person gegenübersteht, die vor einem sitzt. Dann bleibt in der Mitte noch ein Gang frei, durch den andere PassagierInnen mehr oder weniger ungehindert den Waggon entlang gehen können. Es ist eine ziemlich effiziente Art und Weise, Plätze in einem Waggon anzuordnen. Aber dadurch sitzt sich niemand für ein Gespräch gegenüber, quasi niemand, der nicht neben einer Fremden sitzt, kaum jemand, der nicht einem Unbekannten gegenüber seine Reisezeit verbringt. Auf jeden Fall hab ich nicht viele Leute beobachtet, die die Zeit in der U-Bahn für eine Unterhaltung nutzen. Und vielleicht fördert die ganze Sitzplatzeinteilung noch die Telefonnutzung, weil viele, wirklich viele Leute sitzen halt mit ihren Telefonen da und lesen Mangas oder nutzen die Zeit, um Charaktere hochzuleveln oder virtuelle Bauernhöfe zu verwalten.

Ich mein, es ist nicht alles nur diszipliniertes U-Bahnfahren. Es gibt auch hier Schilder, mit denen das Dönerverbot durchgesetzt wird und Leute daran erinnert werden, dass laute Musik auch in den Kopfhörern die Mitfahrenden stören mag.

Nachdem wir nach einmal Umsteigen bei unserer Station ankommen, will uns die Maschine erst einmal nicht aus der Station lassen und nach einigen Versuchen und einigerem Zögern drücken wir den Bitte-wir-brauchen-Hilfe-Knopf, der an der Maschine angebracht ist. Prompt flötet Beethoven durch die Station und eine Dame kommt, lässt uns durch die Schranke, nimmt uns unsere Fahrscheine ab und wirft sie in einen Automaten. Wir rechnen damit, dass wir was nachzahlen müssen, vielleicht für die Kernzone oder wie auch immer das System funktioniert. Aber die Maschine wirft Geld aus und die Dame drückt uns die paar Münzen in die Hand und gebietet uns, uns auf den Weg zu machen. Wir scheitern daran, die angewohnte japanische Höflichkeit in koreanische Worte zu fassen – da hab ich eher noch Lesen gelernt als mit auch nur die zentralsten Begriffe auf Koreanisch zu merken – und verlassen die Station. Immerhin sind wir durch die ersten Stresssituationen und ich merke, wie ich insgesamt auch schon ein bisschen lockerer geworden bin, nachdem ich mir ein bisschen eine angespannte Schulterpartie in den ersten Stunden geholt habe, in denen nicht alles so gelaufen ist, wie ich mir das vielleicht vorgestellt habe. Und normalerweise – also: normalerweise – merk ich das nicht so, aber wenn man regelmäßig mit jemandem plaudert, dann wird das schneller augenscheinlich, dass ich da ein bisschen verzwickt bin.

Wir gehen dann auf einen Sprung ins Café, wo wir am Automaten Matcha Latte und einen Riesenbecher Kaffee bestellen, damit wir dort ein Internet ausborgen können, mit dem wir die zweihundert Meter zu unserem Hotel finden. Einen Gehirnfrost und einen halben Becher Kaffee später machen wir uns wieder auf den Weg. Erste Auffälligkeit: jedes zweite Geschäft, an dem wir vorbeigehen, scheint ein Kaffeehaus mit eigener Rösterei und blitzenden Glasfronten zu sein. Ich freu mich da zugegebenermaßen ein bisschen, weil ich doch jetzt hinter dem Kaffee her bin. In diesem Zusammenhang vielleicht ein kleiner Exkurs zu einem Geschäft, in dem wir in Tokio Kaffee getrunken haben. Das war nämlich schon sehr dritte Welle. Also die Bedienung hat uns eine Zeitung vorbeigebracht. Das sei das aktuelle Monatsmenü. A-ha. Und dann quasi auf A3 gab s… na ja, zwanzig, dreißig? Viele halt. Es gab viele Kaffees zur Auswahl und in Kategorien, die ich mir schon schwer getan habe zu unterscheiden, während ich das Papier vor mir hatte. Da waren irgendwie die Monatsangebote und dann die Preisgewinner und dann die Spezialitäten… alles ein bisschen austauschbar. Die Preise sind halt jeweils raufgegangen, je mehr Preise ein Kaffee gewonnen hatte. Und die waren halt alle mit ihrem Land und mit ihren BäuerInnen angeschrieben. Und mit ihren Geschmacksnoten, mit denen ich hier jetzt gar nicht anfange. Im Endeffekt war dann jeder zweite Kaffee ausverkauft, aber vielleicht war da ja auch schon ein bisschen Ende des Monats oder was weiß ich. Und dann, wie auch oft, konnten wir noch zwischen Zubereitungen wählen: Siphon oder… was anderes. French Press vielleicht. Wir sind alle auf Siphon gegangen, weil irgendwie gibt s das daheim nicht. Wenn das Klumpert aufgrund dessen, dass es aus Glas ist, blöd zum Transportieren wäre und aufgrund seiner Funktionsweise auf eine spezialisierte Hitzequelle angewiesen wäre, die man in der Supermarktversion mit einer Kerze oder ähnlichem ersetzen muss (was die Coolness, aber in erster Linie wahrscheinlich die Möglichkeit konstanter Hitze deutlich reduziert)… ach was! Selbst derart vielschichtig unpraktisch hab ich mir das Spielzeug wahrscheinlich hauptsächlich aus Konsumtrotz nicht gekauft. Vom Kaffee, nun, war schon gut, also, die haben wirklich aufregenden Kaffee gemacht dort. Nicht, dass das irgendwie die sechzehn Euro aufwiegen kann, die wir dafür… also, die wir dafür pro Tasse hingelegt haben, nicht dass die durch irgendwas aufzuwiegen wären. Es ist dann eher Erlebniskaffee. Wie der Herr am Nebentisch, der der Bedienung aufgeregt erzählt hat, dass er sich seit Jahren für das Kaffeegeschäft in den Sozialen Medien interessiert und er jetzt hier ist und so viel Kaffee wie möglich trinken möchte. Also: verschiedene. Und selbst die Barista, mit der ich mich zuletzt in Tokio unterhalten habe, hat Augen gemacht, als ich ihr gesagt hab, dass ich in diesem Geschäft war. Ist wohl berühmt. Schon eher in eine Nische hineinspezialisiert, die Damen und Herren.

In Seoul jedoch treffen wir in unserem Hostel auf eine etwas aufgedrehte junge Frau, die uns unser Zimmer zuweist und das Hostel erklärt und dann sitzen wir schon in der Hostelküche und kommen ein bisschen schwer wieder weg, weil wir von allen Seiten… von zwei Seiten. Also, wir sind über kurz oder lang zu sechst in der Hotelküche gesessen und da waren zwei MitarbeiterInnen und zwei Gäste und zwei neue Gäste. Das waren wir. Und alle anderen haben mehr oder weniger begeistert erzählt, was sie machen und wo sie wie oft wie günstig trinken gehen. Weil zuerst hat s angefangen mit was es in der Umgebung so gibt und was in Seoul so zu tun ist und dass man zur Grenze fahren kann und sich aus der Demilitarisierten Zone die Volksrepublik anschauen kann. Und es ist dann schnell in Hier-sind-die-Märkte-hier-sind-die-Bars ausgeufert und irgendwie sind wir da ein bisschen sprichwörtlich mit dem Rücken zur Wand gesessen. Bis natürlich sich alles plötzlich sehr schnell aufgelöst hat, ach, ihr wollt sicherlich einmal entspannen. Ja, das wär jetzt super, tschuldigung, schönen Tag, bis später, tschüssi, macht s gut. Ich glaub, wir haben dann keine von denen jemals wieder gesehen.

Am Abend machen wir uns auf die Suche nach einem Bibimbap. Das ist so der Inbegriff koreanischen Essens für, so scheint s, uns beide. Leider hab ich weder an dem Abend noch an den zwei anderen Versuchen, die ich der Bibimbapverkostung noch gegeben habe (zugegeben, einmal hab ich s nicht einmal bis zum Bibimbap geschafft und bin vorher schon in einem anderen Lokal gesessen), ein gutes Bibimbap gegessen. Ich mein, es war ok. Aber ich hatte in Neuseeland besseres, ich hatte in Australien besseres und ich hatte auch in Japan besseres. Aufregendes Essen war s dennoch irgendwo: Tintenfisch im Kimchi, eingelegte… Blätter. Auf der Beilagenseite alle Stückeln. Und nach dem Essen sind wir plötzlich auf einer neonerleuchteten Straße gestanden, auf der M mit der Idee spielt, für einen Virtual Reality Ausflug in eine Virtual Reality… Bar? zu gehen. Aber irgendwie fehlt uns dann doch die Willenskraft um die Hemmschwelle zu überwinden und wir aalen uns nur ein bisschen in der fremden Umgebung, die blinkt und leuchtet und trotz seiner Digitalität ein bisschen geheimnisvoll ist.

Des Nachts schaut Seoul also durchaus so aus, wie man sich das mit dem Cyberpunk vorstellt: Hochhäuser, Neonsigns und der Himmel die Farbe eines Fern­sehers, der auf einen toten Kanal geschaltet ist. Es fehlen halt die fliegenden Autos.

Frühstück nächsten Tag haben wir dann auch… ich weiß nicht. Ich mein, ich hab dann auch nicht mehr gefragt, aber M hat schnell daran das Interesse verloren. Das ist vielleicht einfach so was, wo ich mich dran gewöhnt hab zu sagen: Essen ist ja auch einfach eine Energie. Und wenn ich zwei Toastbrot mit der gleichen Anzahl an Spiegeleiern ess, dann ist das ein Anfang, der bringt mich durch den halben Tag. Aber das hab ich dann die folgenden Tage allein gemacht. Und es ist auch nicht jeden Tag dem Gespräch zwischen den jungen Männern zu folgen gewesen, die einander erzählen, wie toll sie wo überall wie viel Drogen genommen haben und wie sie dann wieder schlafen gegangen sind. Aber wir sind ja dann eh jeden Tag in eine der unzähligen Kaffeegaststätten gegangen, in denen es außer Kaffee noch leicht überdimensioniertes Süßgebäck der europäischen Stoßrichtung gegeben hat, was einem auch für den Vormittag reicht, aber mein Budget ein bisschen verwirbelt hat.

Halb so schlimm. Man braucht die Energie auch für Seoul. Und ich sag, wir sind viel U-Bahn gefahren, aber wir sind auch sehr viel gegangen. In der Tourismusinformation hat man mir später gesagt, dass eine Station jeweils etwa eine Viertelstunde zu gehen ist. Und das kommt wahrscheinlich hin, wenn nicht gerade der Fluss dazwischen ist oder jemand mit meinem Orientierungsäquivalent die Gruppenführung inne hat. Im Endeffekt heißt das aber, es grad ein bisschen zu weit ist, um wirklich zu Fuß zu gehen. Und wir sind halt doch zu Fuß gegangen. Sonst sieht man ja nichts. Vielfach gibt s auch gar nicht viel zu sehen. Wir sind halt von hier nach da, von einer der zweiundvierzig Universitäten zum Palast zum Palast zu TouristInnenvierteln, zu Einkaufsstraßen, zu dem netten kleinen Fluss, den sie auch hier mitten durch die Stadt fließen haben, zum Markt, den wir nicht finden, weil es ein Kleidungsmarkt ist, den wir nicht suchen.

Seoul ist ja schon sehr hübsch gelegen, weil innerhalb einer Bergkette, die von den GründerInnen als natürlicher Verteidigungswall genutzt wurde. Heute gibt s ein schönes Panorama ab.

Und dann stehen wir erschöpft an einer Ecke und wünschen uns besseres Internet und etwas zu Essen, als uns die Zeuginnen Jehovas ansprechen. Hallo, ja, nein, nicht besonders. Danke. Und dass wir gar nicht mehr da sein werden am Samstag. Aber ob sie uns vielleicht in die Richtung weisen können, wo wir was zu essen bekommen. In dem Moment bekommt M von einem missionierenden Buddhisten ein Armband ums Gelenk geschlungen und ich glaub das war so der Moment wo s dann wurscht gewesen ist und wir sitzen drei Minuten später vor einem Standl, aus dem wir koreanisches Mittagsessen bekommen. Ein Huhn, ein Reis und ein oder zwei von den Beilagen, die was die Abenteuerlichkeit betreffen so in der Mitte der Skala liegen. Nachdem wir ein bisschen mit der chinesischen Besitzerin ins holprige Gespräch gekommen sind, schenkt sie uns noch einen Teller koreanische Fischkuchen. Sagt man Fischkuchen? (Fun Fact: es gibt keinen deutschsprachigen Wikipediaartikel zu Fischkuchen.) Das ist so eines der Hauptnahrungsmittel, scheint s. Homogene Fischmasse, die in recht stabile Formen gebracht wird. Wenn sie wie Gnocci geformt sind, hat sie M schnell erkannt, aber es gibt sie auch am Spieß und da haben wir lange gerätselt. Es hat die Form eines Fischs schon lange hinter sich gelassen.

Was es in Seoul auf jeden Fall gibt, sind sowas wie Gemeindebauten. Wenn man den Kommunismus nebenan hat, dann schaut man wohl tatsächlich auch im glorreichen Kapitalismus ein bisschen drauf, dass einem die eigenen Leute nicht auf der Straße schlafen, dass sie nicht vielleicht doch mit der Revolution sympathisieren. Links ist ein Modell aus dem Seoul-Museum mit dem man sich ein bisschen vor Augen führen kann, wie s da drin ausschaut. Ich war total begeistert davon, mit wie viel Witz und Liebe im ganzen Museum immer wieder Modelle zur Verbildlichung beigetragen haben.

Als kleinen Verdauungsspaziergang wandern wir auf den Namsan, den Berg auf dem der große Funkturm steht. Das ist natürlich kein kleiner Verdauungsspaziergang sondern wir erreichen den Gipfel gerade so zu Sonnenuntergang, gerade rechtzeitig, dass wir mit hunderten anderen die untergehende Sonne fotografieren können. Ich stolper schnell auf eine Metaebene, auch weil ohne ein optisches Teleobjektiv eine untergehende Sonne ebensoschwer zu fotografieren ist, wie andere Himmelskörper. Man kriegt einfach einen kleinen Punkt auf sein Foto und das war s dann. Deshalb wundere ich ich dann schnell einmal über die ungebremste Freude, mit der die Leute ihre Kameras gegen Westen halten. Der Ort ist allerdings auch romantisch aufgeladen, an den Gittern sind tausende Schlösser angebracht, mit denen sich hier die eine oder andere Liebeserklärung manifestiert hat. Und natürlich: Sonnenuntergang und Liebeserklärungen – das geht Hand in Hand. Ich will s jetzt niemandem vermiesen, aber ich bin maximal ein bisschen nachdenklich geworden über den Enthusiasmus, der sowohl beim Liebeserklären als auch beim Sonnenfotografieren vielleicht oft einmal ein bisschen mehr eine Geste ist, als ein Inhalt. Insbesondere, weil der Ort so durchorganisiert ist für ein spezifisches Erlebnis: Hier sei verliebt, hier schau gemeinsam der Sonne beim Untergehen zu. Da bin ich schon ein bisserl ins Grübeln gekommen. Dabei hat Korea eine äußerst liebenswerte und öffentliche Partnerschaftskultur, in der Pärchen in ihren Zwanzigern gern öffentlich als das darstellen. Dadurch hab ich schnell den Eindruck bekommen, selten so viele Paare und ihre Interaktion gesehen zu haben. Zugegeben, wir waren da ein bisschen vorgeprägt durch Ds Erfahrungen, die uns mit dem Geheimnis des Couple-Couple vertraut gemacht hat, wobei sich die PartnerInnen gleich anziehen. Und ehrlich gesagt hab ich das wider meine Erwartung dann in der Praxis eigentlich gar nicht als unerträglich erlebt. Was findet man nicht alles interessant, wenn s nicht daheim passiert…

Hier sorgt ein Schild für Emotion

Nebenan ist in der Zwischenzeit eine Konzertbühne aufgebaut worden und eine Fangemeinde hat sich davor eingefunden. Wir stehen kurz davor, unser erstes K-Popkonzert mitzubekommen und wir haben uns gar nicht darauf vorbereitet! Oder auch nur damit gerechnet. Aber wir sind letztlich beide nicht in der Stimmung nach einem anderen als einem ironischen Zugang zu einer derartigen Veranstaltung zu suchen. M ist der Band (oder eine Band) schon an der Restaurantkassa begegnet und war nicht vom Hocker, während ich den AufheizerInnen dabei zugeschaut hab, wie sie das Publikum auf den bevorstehenden Auftritt vorbereitet haben. Dabei war aus meiner Perspektive halt auch zu sehen, wie die Band außerhalb des Publikumsbereichs herumgeht, während dort alle Augen auf die Bühne gerichtet sind… Es hat einfach ebenfalls ein bisschen wirr gewirkt. Und wir haben uns dann schnell einmal an den eh beleuchteten Abstieg gemacht. Weil es ist ja nicht so wirklich ein Berg, wenn der mitten in der Stadt steht.

Auch am nächsten Tag laufen wir noch ein bisschen zufällig. Weil eigentlich wollten wir in die Demilitarisierte Zone fahren. Aber die hat zu, sagen sie uns in der Früh am Bahnschalter. Also, zumindest, dass der Zug nicht fährt. Wegen „Schweinegrippe“. Wir sind uns insgeheim einig, dass das ein Euphemismus für die transpazifische Freundschaft sein muss. Aber ja, was soll s. Nachdem wir ein bisschen unsere Möglichkeiten durchgegangen sind, satteln wir spontan um auf einen weiteren Seoulrundgang. Und es ist ja nicht so, als ob s da nicht noch etwas für uns zu sehen gäbe. Da gibt s einen Stadtteil, in dem viele Häuser noch nach traditioneller Bauweise gebaut sind, da gibt s eine Überfahrung, die nie eröffnet worden ist und jetzt eine FußgängerInnenzone ist. Insgesamt ist Seoul irgendwie unorganisierter als die japanischen Großstädte, kommt mir vor. Es gibt auch das mit den kleinen, vertrauten Gassen, kaum dass man einige hundert Meter von den zentralen Verkehrswegen weg ist, nicht. Oder zumindest hab ich das nicht so erlebt. Es ist alles ein bisschen wilder, ein wenig offener und vielfältigter. Wir scheitern wieder daran, einen Markt zu finden, an dem wir ein Mittagessen bekommen. Oder vielleicht entspricht es nur nicht unseren Erwartungen. Als ich zwei Tage später allein in einen Streetfoodabschnitt eines Marktes stolper – nachdem ich zwanzig Minuten durch Kleider- und Stoffstände gewandert bin – bin ich auch wirklich überfordert mit dem Angebot. Es ist weniger einfach zugänglich, es gibt keine Speisekarten, keine Bilder, es gibt nur was da ist und das ist für das ausländische Auge oft nicht einfach zu identifizieren. Siehe Fischkuchen.

Abends machen wir einen Ausflug nach südlich (nam) des Flusses (gang). Gar nicht so sehr auf der Suche nach Psys Garage sondern auf dem Weg nach Lotte World, in einen Vergnügungspark. Der kürzeste Weg zur Enttäuschung. Ich mein, bravo für den Aufwand, ein generisches Disneyland zu basteln und zwar immerhin mit derartigem Erfolg, dass sich um die Figuren möglicherweise eine eigenständige Fanbase entwickelt hat. Zumindest gibt s tonnenweise Merch zu kaufen. Allerdings in einem Gang in dem jemand Knoblauchbrot verkauft, bei dem frisches Brot in einen Bottich voll Knoblauchmus getunkt wird und das ungelogen einfach den ganzen Gang vollstinkt. Das Geschäft bewirbt sein Produkt mit eine Reihe von Gesundheitsvorzügen, aber ich versteh nicht, wie das erlaubt sein kann, daneben versucht jemand Pfannkuchen zu verkaufen um Himmels Willen!

Irgendwo zwischen unheimlich und eh ok. Bisschen wie wenn in einer unspektakulären Sliders Folge in einem Paralleluniversum gelandet wären, in dem Disney statt einer Maus ein Eichhörnchen gezeichnet hätte. “Make a Miracle” indeed.

Aber ja, das wollte ich sagen: das scheint schon ein bisschen ein Ding zu sein, dass Korea seine eigenen Dinge entwickelt, aber insgesamt halt total westlich orientiert ist. Und ich mein, wie sollen sie auch nicht. In Wahrheit gibt s ja nur zwei Nachbarn, drei, wenn man sagt, dass die Volksrepublik ein Nachbar ist. Aber sonst ist da ja nur die andere Volksrepublik. Und das sind irgendwie nicht die FreundInnen, weil immerhin unterstützen die ja die… wie auch immer man das nennen mag. Die unrechtmäßige Trennung Koreas. Und dann bleibt nur Japan, als befreundetes Ausland. Aber dass Korea eine angespannte Beziehung zu Japan hat, von dem die KoreanerInnen in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts besetzt und systematisch ausgebeutet, unterdrückt, verschleppt und ermordet wurden, das kann man auch verstehen. Und das ist insgesamt interessant, das hier tatsächlich auch Geschichte passiert ist, während bei uns Geschichte passiert ist. Ich mein, das sag ich natürlich jetzt ironisch, für den Fall… aber irgendwie ist es halt schon etwas, mit dem man sich normalerweise nicht konfrontiert sieht. Grad Korea. Was weiß man davon schon.

Naja. Im Museum lern ich tags darauf, dass sich Korea grad erst im späten neunzehnten Jahrhundert ein bisschen neu erfindet. Es beginnt eine neue Dynastie, Seoul wird renoviert, die Paläste erneuert und das Land ein bisschen modernisiert. Aber kaum, dass das in Fahrt kommt und sich Korea eine Form gibt, mit der sie international auftreten können, zwischen Nationalstaat und Kaiserreich, marschiert Japan ein und annektiert Korea schließlich 1910. Und nach dem Krieg befreit und doch gleich wieder selbst wieder Kriegsschauplatz. Und während das befreite Volk im Norden kein Glück unter seinen BefreierInnen hat, so kriegt auch der Süden eine korporative Militärdiktatur ab. Auf der deutschsprachigen Wikipedia kann man dazu diesen furchtbaren Satz lesen: „Obwohl es in dieser Zeit zu schweren Menschenrechtsverletzungen kam, gelang es unter der Militärdiktatur, der Wirtschaft zu einem starken Aufstieg zu verhelfen.“ Wenn das nicht einmal ein klassisches Ende-gut-alles-gut ist.

Im Übrigen vergisst man natürlich nur so halb, dass Korea theoretisch im Krieg ist und dass es keine fünfzig Kilometer bis zur Grenze sind. Alle U-Bahnstationen dienen nebenher als Bunker, in denen auch Gasmasken und allerlei andere Ausrüstung für den Ernstfall bereitstehen.

Ich weiß nicht einmal genau, woher ich diesen Eindruck hab, vielleicht ist es nur schiere Willenskraft von meiner Seite oder das Resultat einer falschen Vorsicht, wenn ich mit KoreanerInnen über Korea geredet hab, dass ich glaub, dass für Korea Korea immer noch Korea ist. Dass das Land in Nord und Süd geteilt ist, ist für die meisten Menschen in der Welt eine Tatsache und vielleicht eine scheinbar unumstößliche Tatsache. Aber für KoreanerInnen war die Idee eines vereinten, unabhängigen Koreas schon vierzig Jahre vor der Trennung eine zentrale Ideologie im Widerstand gegen die japanische Besetzung. Und die Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen dürften nach wie vor stark sein, auch wenn sie über den 38. Breitengrad hinweggehen, an dem Korea geteilt ist. Ich glaube in Korea ist der Nationalismus immer noch ein Mittel zur Eigenständigkeit und zur Selbstbestimmung. Das ist ja überraschend für mich und gar nicht so einfach zu akzeptieren, die emanzipatorischen Aspekte von Nationalismus zu sehen. Auf jeden Fall vermute ich jetzt, es gäbe gar keinen besonders ausgeprägten südkoreanischen Nationalismus, es gibt nur Korea und das ist geteilt.

Hier ist zum Beispiel ein Relief, auf dem Koreanerinnen im Widerstand gegen die japanischen Besatzungssoldaten diesen nur mit Fahnen bewaffnet entgegentreten. Viel plakativer kann man den friedlichen Nationalismus als Mittel zur Unabhängigkeit kaum darstellen. Kann natürlich auch sein, dass sich das auf ein konkretes Ereignis bezieht…

Nachdem wir nochmal auf der Suche nach einem Abendessen, ohne so recht zu finden, was wir suchen, ein bisschen verloren gehen, auch wenn wir bald einmal beide nasse Füße haben. Es hat den ganzen Tag geregnet und wir haben zwar an verschiedenen Stellen der jeweiligen Interessenslage entsprechend Museen besucht ist, aber bei der Suche nach Streetfood patschen wir letztlich doch nochmal durch die Lacken. Es ergibt sich, dass wir einen Teil unserer Suche zwei KoreanerInnen hinterhergehen, die möglicherweise gemeinsam arbeiten…? So haben sie zirka auf mich gewirkt. Was mir aber sehr gut gefallen hat, war jedoch wie witzig es die beiden gehabt haben, wie viel sie beide gelacht haben. Da hab ich mir gedacht, ob das nicht ebenfalls etwas ist, was ich in Korea mehr gesehen habe als anderswo: dass Leute miteinander in der Öffentlichkeit lachen. So, dass man annehmen kann, dass sie was lustiges gesagt haben. Aber das ist natürlich sehr schwer nachzuvollziehen, wie sehr das ein verzerrter Eindruck ist oder etwas, was mir nach dieser Beobachtung einfach noch mehr aufgefallen ist. Aber es ist nicht so, dass sie so fröhlich wären. Oder so gut gelaunt. Es wäre wirklich, dass sie einfach viel lachen, weil sie s miteinander lustig haben.

Und jetzt ist das natürlich es schon wieder Zeit für eine Verabschiedung denn M macht sich in Richtung Flughafen auf, um noch ein paar Tage Tokio zu erleben. Und dann schon wieder nachhause. Vielleicht merke ich erst in dem Moment, unter welchen unterschiedlichen Voraussetzungen wir diese zwei Wochen miteinander herumgefahren sind. Und ich wieder das einzige Publikum meiner ungefilterten Alltagsbeobachtungen. (Nicht, dass das Publikum, dass sich über sie amüsiert hat, jemals eindeutig größer als eins gewesen ist…)

Und am Abend verirre ich mich noch einmal in jene Gegend, in der wir am Beginn unserer Seoulerkundungen von den blinkenden Lichtern so beeindruckt waren. Und ob das nur an jenem Abend war, aber auf jeden Fall ist an jeder Ecke eine Band gestanden, die dort Musik gemacht haben. Zuerst hab ich ein paar K-Pop Bands zugehört und den SängerInnen bei ihren extrem anstrengend aussehenden Tanzroutinen zugeschaut. Da war auch oft ein bisschen Interaktion mit dem Publikum, kam mir vor, dass die vielleicht ebenfalls eingeladen waren, da mitzumachen…? Ich weiß es nicht. D hat uns erzählt gehabt, dass da auch bereits bekannte Bands auftreten und so einerseits ihre Fanbase erweitern, aber es scheint auch einfach irgendwie dazuzugehören. Und bei einigen Bands standen dann auch EuropäerInnen für ein gemeinsames Foto an und natürlich weiß ich s nicht, aber das hat vielleicht schon so gewirkt, als ob die die schon vorher gekannt hätten. Ich weiß ja wirklich nicht, wie das ist, mit der modernen Musik.

Hier ist die Chinesin aus dem nächsten Absatz mit einer Nummer. Die Musik kommt wie bei allen aus dem Telefon.

An der nächsten Ecke hat ein junger Koreaner ein Gitarrensolo in die Länge gezogen, aber ich bin dann eher in die ruhigere Ecke und hab dann länger einer Chinesin zugehört, die ihr Publikum regelmäßig gebeten hat, doch näher zu kommen, weil sie sonst die Straße versperren und die Autos nicht durch können, respektive es für die ZuhörerInnen gefährlich ist, weil die Autos hinten an ihnen vorbeifahren. Das war aber nett, auch weil sie dann angefangen hat, chinesische Popmusik zu singen und ein zwanzigköpfiges Publikum mitgesungen hat. Das war irgendwie schon was schönes. Und hat mich auch daran erinnert, dass Korea halt doch so ein verhältnismäßig freies Land ist, für die Gegend dort. M und ich waren beide ein bisschen überrascht als ich gelesen habe, dass Korea das Land mit der best etablierten Pressefreiheit in Asien ist. Aber ja, auch wenig überraschend eigentlich, wenn man sich überlegt, welche Länder denn noch so in Asien liegen. Und irgendwie wirkt das unzeitgemäß, dass es da auch um persönliche Freiheiten. Vielleicht einfach um die Freiheit, Lieder zu singen, die man daheim vielleicht nicht singen darf. (Nicht dass ich dafür Evidenz hätte, das war allerdings so ein Gedanke, den ich bei der einen oder anderen Nummer hatte.) Aber immerhin wurden parallel zu meinem Ostasienaufenthalt in Hong Kong Proteste niedergeschlagen und das spielt natürlich schon mit hinein, wenn man versucht, sich ein Bild von der Gegend zu machen.

Hier hab ich mir übrigens ein Bild von der Gegend gemacht…

An meinem letzten Tag treffe ich noch Sunny. Die arbeitet im Hostel und sagt mir in der Früh, wo ich meinen Rucksack lassen kann. Und weil sie aber überraschend gar nicht überdreht ist und insgesamt sympathisch unterhalten wir uns ein bisschen und sie gibt mir noch ein paar Empfehlungen: ein nettes Viertel für Straßenspaziergänge und einen Kaffee, eine aufgeregte Ecke für ein Mittagessen und ein Freizeitareal auf der anderen Seite des Flusses. Auf ausgedehnten Spaziergängen erkundige ich die Hostelumgebung noch ein bisschen gen Westen, wo wir bis dato gar nicht hingekommen sind und bin schnell überrascht, was für eine sympathische Nachbarschaft ich dort entdecke. Die Straßen weitgehend leer und wenig Verkehr, aber auch wenig von den Neonschildern und der ganzen Feierlaune, der wir in der anderen Richtung schnell einmal begegnet sind. Ich komme noch einmal an dem kleinen Fluss vorbei, zu dem man in der Innenstadt einige Stufen hinuntersteigt und damit die laute Stadt ebenfalls schnell hinter sich gelassen hat, zugunsten von Reihern, Enten und anderen SpaziergängerInnen. Ich schau alten Männern im Park beim Schachspielen zu, nur dass es nicht Schach ist, sondern Changgi. Aber das Bild ist ja das gleiche. Und dann wandere ich noch am Südufer des Flusses entlang, wo eine Art Donauinselfeeling herrscht. Sprich: betonierte Ufer und Grünflächen. Auf den Grünflächen sitzen sie zu dutzenden, oft in mitgebrachten Zelten (diesen, die sich von selbst aufklappen) und reden, spielen, essen, trinken.

So viel Panorama, dass es sich auf einem einzelnen Panoramafoto gar nicht ausgeht!

So steig ich nach meinen letzten Stadtrundgang nochmal hoch in die Küche um mich zu verabschieden und wir haben noch eine nette Unterhaltung über meine Koreaeindrücke. Als ich dann die Stufen hinuntersteige ruft sie mir noch hinterher: “Have fun in the Philippines. Though not as much fun as in Korea!” Und ich denk mir, dass die schon witzig sind, die KoreanerInnen und wahrscheinlich ist das einfach der Grund, warum ich sie so viel lachen seh.

K (*yoto nach *anazawa)

Von Osaka nach Kyoto ist es wirklich kaum eine Zugfahrt. Das ist wirklich mehr eine Art S-Bahn als eine ordentliche Eisenbahn. Eine Frau bietet mir einen Stehplatz in der Ecke an und obwohl ich in der Mitte des Stehplatzbereichs mit meinem Rucksack zwischen den Knien hin- und herschwanke, sagt der Reflex zuerst einmal sagt, dass das schon passe, vielen Dank. Aber mithilfe schierer Willenskraft korrigiere ich mich und steh dann dankbar in der Ecke. Man sieht: nicht mal einen Sitzplatz hab ich, aber nicht einmal einen Sitzplatz brauch ich. Und aus dem Fenster raus ist da auch nicht viel Landschaft zu sehen, da sind Häuser und Straßen und vielleicht einmal eine Wiese. Da bekomme ich ein hübsches Gefühl für Mega-City, die verschmolzenen Großstädte der nahen Zukunft, die den Hintergrund für Cyberpunkgeschichten darstellen. Wo Menschen ihre Sinne und Fähigkeiten mithilfe elektronischer Implantate verändern und erweitern, wo jeder Widerstand gegen die von global agierenden Riesenunternehmen gestaltete Lebenswelt von ebendiesen mit militärischer Gewalt skrupellos niedergeschlagen wird. Es ist nicht nur die Geografie, die diese Fantasie weniger abstrahiert erscheinen lässt, als durch doppelverglaste Fenster auf alte europäische Straßen blickend.

Während vor meinen Augen also die eine Stadt in die nächste greift, denke ich daran, dass ich tatsächlich kaum etwas von Osaka gesehen habe. Abgesehen von meinem ersten Spaziergang, habe ich eigentlich kaum etwas von der Stadt zu Gesicht bekommen. Vielleicht ist das der Moment, wo mir gerade alles ein bisschen zu schnell wird für die nächsten Tage. Vielleicht ist es auch nur oder vor allem, dass ich wieder einmal jemanden vermisse, wieder einmal eine konkrete Person vermisse, nicht nur die Sehnsucht, die abstrakte Leerstelle eines fehlenden Gegenübers gefüllt zu bekommen. So wie ich das Gefühl habe, dass Osaka an mir ein wenig vorbeigezogen sei, erscheinen mir in Kyoto jetzt meine Eindrücke ebenfalls gedämpft, als durch einen sanften aber dämmenden Schleier.

Und ungeduldig bin ich auch: Auf dem Weg zu meinem Hostel biege ich von der großen Straße ab, weil mir zu viel los ist und hoffe, über eine der Seitenstraßen schneller und ungestörter zu meinem Hostel zu kommen. Vielleicht auch ohne auf dem Weg den Unmengen von TouristInnen ausweichen zu müssen, die sich langsam die Straße entlangschieben. Pech gehabt, weil die Parallelstraße führt quer durch den Markt und wenn der TouristInnenstrom zuvor nur am Mäandern war, gerate ich hier in die reinste Moorlandschaft. Nicht zuletzt ist es auch der schwere graue Rucksack, der meine Agilität hemmt und mich am eleganten Durchgleiten hindert. Sorry, sorry, argh, fuck it… Aber natürlich ist das nur ein kleiner Einblick in meinen inneren Monolog und wird nicht Teil der aufgeregten Geräuschkulisse, so bin ich auch wieder nicht, dass ich mich mit so einer Sprache öffentlich erwischen lasse. Aber so bin ich immerhin, dass ich mich an TouristInnen vorbeidränge, die getrocknete Fische und eingelegtes Gemüse bewundern, und dabei vielleicht auch einmal vergessen, dass was für sie ein Stehplatz für ein kulturell-kulinarisches Schauspiel geworden ist, für andere immer noch die kürzeste Route von A nach B darstellt. Sorry, sorry, grmblrgh, beiße ich mir inmitten des lokalen Naschmarktäquivalents auf die Zunge und lasse mich von der stockenden Flut tragen: eine Querstraße, eine zweite…

Ohne Rucksack ist alles schon viel leichter und ich mach einen kleinen Spaziergang durch das abendliche Kyoto. Ich kreuze ein fröhlich bevölkertes Flussufer, wo die Menschen im Grünen sitzen und den erfrischend flott vorbeiziehenden Fluss Kamo beobachten. Immer wieder diese einfach gelungenere Integration von Flüssen in die Stadtlandschaft. Wie auch in den Gärten das Wasser eine wichtigere Rolle spielt. Bei uns versteckt man den Wienfluss unter dem Naschmarkt, hier gibt man diversen Nebenflüssen Platz die ganze Stadt zu umarmen. Es wirkt so besonders auf mich, dass ich nach Erklärungsansätzen suche: Ob damit einst ein fehlendes unterirdisches Kanalisationsnetz kompensiert wurde? Auch als Transportwege sind so Kanäle natürlich (!) praktisch. Weiter geht s durch die vergleichsweise leeren Tempellandschaften und verlassene Parks. Ab und zu zieht eine Reisegruppe an mir vorbei, aber sonst kommt es mir vor, als hätte ich in einer halben Stunde Spaziergang die ganze Stadt bereits hinter mir gelassen.

Der Yasakaschrein im Mondenschein (l.o.); tagsüber kommt man da kaum dazu ob der Massen. Wobei das nicht der Schrein ist… pardon, aber die englische Wikipedia bezeichnet das als die Bühne des Schreins, zu dem man diesen Platz bloß quert. Nachdem der Schrein ein beliebter Ort für Neujahrsfeiern ist und auch beim Kirschblütenfest eine wichtige Rolle spielt, ist anzunehmen, dass in diesem Kontext hier etwas die Bühne geboten wird.

Auf dem Weg zurück zum Hostel lauf ich durch Gion. In vielen japanischen Städten gibt s so einen Bezirk, wo man sagt, da sind oder da waren oder da kann man einen Blick auf eine Geisha werfen, mit etwas Glück höre man aus einer kleinen Gasse eine auf ihrem Shamisen üben. Aber wohl nicht um zehn in der Nacht. Und macht nicht schon das Wort Geisha einen seltsamen Eindruck? Ich werd mit dieser westlichen Miskonzeption nicht aufräumen, aber schau einer an, es gibt durchaus eine formalisierte Prostitutionstradition in Japan und schau einer an, wenn man so eine Oiran im traditionellen Outfit neben eine Geisha im vollen Getakel stellt, dann müsse man sich schon gut auskennen, dass man die eine von der anderen zu unterscheiden weiß. Und wenn man eine Gruppe pubertierender JapanerInnen an einen Kebabstand stellt, dann kommen die vielleicht vor lauter Ayran aus dem Kudern gar nicht mehr heraus.

Die Geishas nicht berühren, kein Rumlungern, kein Rauchen, kein Essen, keinen Mist fallen lassen, keine Selfies. Das sind schon viele Regeln für ein Unterhaltungsviertel.

Tags darauf hab ich möglicherweise eine Geisha auf einer Brücke stehen sehen. Aber ich hab sie nicht gefragt, meine Annahme basiert darauf, dass sie extrem unpraktische Schuhe angehabt hat, auf denen sie dem Himmel ein gutes Stück näher war. Und wen, wenn nicht einer Praktikantin althergebrachter Künste würde man derartige Schuhe verpassen. (Wieder einmal vermischen sich Moderne und Tradition in der japanischen Praxis aufs Ununterscheidbare.) Sonst hab ich mir für Kyoto noch einmal eine Handvoll Sehenswürdigkeiten aus dem Reiseführer in meinen digitalen Stadtplan geschrieben. Das ist ganz hilfreich, wenn man wo steht und sich denkt, wohin jetzt und dann schlag ich mein Telefon auf und klick mich durch die Blasen, die in meiner unmittelbaren Umgebung aus der Gegend ragen. Oder ich geh einfach noch ein bisschen eine Straße entlang. Es ist ja ganz hübsch, ein bisschen verloren zu gehen, wenn man s nicht eilig hat. Und dafür sind japanische Städte dann auch schon wieder mehr geeignet als anderswo, insbesondere in der Nacht in einer unbekannten Gegend, wo man vielleicht anderswo hinter einer Ecke eine Übeltäterin oder einen Grobian befürchten würde. Aber nicht hier. Hier fallen zwischen zehn und halb zwölf nur betrunkene Angestellte aus den Bierschuppen, die sich bis zum nächsten Tag wieder folgsame Untergebenheit annüchtern müssen.

Mehr japanische Verbotsschilder. Man sei gewarnt, dass der Schrein strikten Protest einlegen werde, gegen all jene, die an dieser heiligen Stelle ihren Mist loswerden. Und dann schaut das so aus, als würde irgendeine Schreininstitution hier selbst ihr Lager eingerichtet haben… Einmal mehr mehr Regeln als befolgt werden, nur Ramen werden so heiß gegessen wie gekocht.

Am nächsten Morgen stelle ich mehr mir als mich einer der größeren Herausforderungen, indem ich einen Abstecher ins Mangamuseum mache. Es ist ja so: Manga. Was soll denn das überhaupt sein. Und tatsächlich lerne ich schnell einmal, dass es auch gar keine besondere Definition gibt, so sehr ich mich nach einem Satz sehne, der mir sagt: so und so der Strich, so muss der Stift sein und überhaupt, dieses und jenes. Aber das ist es nicht. Die Einleitung sagt mir, dass man, wenn man will, die Geschichte von Mangas auch in der Höhlenmalerei zu finden im Stande wäre. In japanischen Höhlen versteht sich. So bekomme ich zu verstehen, dass sich Manga am ehesten über die Herkunft auf den Punkt bringen lässt. Und natürlich hat sich da ein Stil entwickelt und eine eigene Formsprache, die Mangas zu eigen ist, die sich teilweise aus der Not erklären lässt, wie so vieles in so vielen Künsten, dass man dem finanziellen Notstand entsprechend irgendwo reduzieren musste. Am deutlichsten ist mir das aus den Anime in Erinnerung, wo sie beispielsweise nur einen Bruchteil der Bilder pro Sekunde verwendet haben, als zeitgleich in westlichen Zeichentrickfilmen Usus war, woraus ein bisschen holprige Bewegungen entstanden sind, die mittlerweile einfach Teil der Technik sind. Ebenso dass es diese seltsamen Momente gibt, wo Figuren einige Sekunden in einer energiegeladenen Haltung eingefroren sind, bevor sie die Bewegung durchziehen.

Parallel zur Geschichte der Mangas waren auch die Lebensabschnitte der JapanerInnen dargestellt, also Vorschul- und Schuleintritt, Wahlrecht, Universität. Aber das ist dann weitergegangen mit Berufseintritt, Heiratsalter, erstes Kind… Zugegeben, es waren dann ab Beginn des dritten Lebensjahrzehnts vermehrt deskriptive Maßzahlen, aber das ganze hat immer noch sehr präskriptiv gewirkt: Hier ist das Leben der JapanerInnen, von der Geburt bis zum Tod, ein jeder Lebensabschnitt zum Abhakerln. Der Sinn lag darin, zu zeigen, dass es homogene Zielgruppen gibt, auf die einzelne Mangas sehr stark zugeschnitten sind. Wie sehr da Abweichungen passieren, wie sehr sechzehnjährige Frauen zu den Mangas greifen, die dezidiert für achtjährige Burschen geschrieben sind oder mittelalterliche Männer Comics konsumieren, deren AutorIn damit auf zehnjährige Mädchen gezielt hat, das würde mich schon interessieren. Tatsache ist, dass das Museum voller Menschen aller Altersgruppen war, die auf den Bänken gesessen, am Boden gelegen und mitten im Raum gestanden sind, während sie in ihre Mangas vertieft waren. Das Museum ist wirklich mehr eine Bibliothek, in der zehntausende Mangas zur Entnahme stehen. Wobei die Abteilung für fremdsprachige – nämlich: übersetzte – Mangas zwar klein ist, aber selbst da würde sich eine Jahreskarte wohl auszahlen. Aber das war wirklich schön anzusehen, wie sie da alle gesessen sind, auf Sprechblasen und Bewegungslinien konzentriert. Die Diskussion wie sehr Comics einen schädlichen Einfluss auf die Entwicklung der Jugend haben, wie sehr Comics Teil einer breiten kulturellen Identität sein sollen, hat Japan wohl bereits hinter sich und die Entscheidung ist ziemlich eindeutig ausgefallen. Eines der schönsten Bilder, das mir aus dem Museum in Erinnerung ist, ist ein großer, beplüschter und beteppichbodenter Raum, in dem selbst die Kinder bis auf einzelne Ausnahmen den Fernseher in der Ecke zugunsten ihrer Comics ignoriert haben.

Kyoto hat eineinhalb Millionen EinwohnerInnen. Während ich in der Innenstadt spazieren gehe, quere ich so einen Fluss. Wirkt das nicht erstaunlich im Sinne von Lebensqualität?

Neben einigen Jahrzehnten Mangageschichte und den Comics selbst, hab ich noch einen Raum gefunden, in dem Abgüsse der Hände von KünstlerInnen ausgestellt, die dem Museum einmal einen Besuch abgestattet hatten. Das war schon nochmal zwanzig Minuten wert. Einerseits einfach, weil da so viele unterschiedliche Handhaltungen zu sehen waren, mit denen sie ihren Bleistift gehalten haben. Einzelne Ausnahmen haben offenbar auf einen Pinsel oder – wer lustiges – einen Radiergummi beharrt. Aber auch interessant, weil ich da dem Mahler seine Hand gefunden hab. Der hat meine eben erst gefundene Sicherheit in Manga-ist-Comic-aus-Japan gleich mal wieder ins Wackeln gebracht. Zugegeben, es gab für die Nicht-JapanerInnen einen eigenen, spärlich gefüllten Schrank, neben dem Dutzend Vitrinen, in denen eine offenbare Berühmtheit der nächsten die Hand reicht. Wahrscheinlich bedeutet der Begriff in Japan einfach etwas anderes, als das, was sich die weltweite Popkulturgemeinschaft als Manga angeeignet hat.

Flaschko Goes Kyoto

Na und dann bin ich halt nochmal durch die Stadt gelaufen und dabei – Überrschung – in einem Tempel gelandet. Oder in einem Garten. Oder einem Teehaus. Es war auf jeden Fall eine sehr gemütliche, ästhetisch ansprechende Umgebung. Schlagartig die Aufregung der Straßen hinter mir gelassen… und das ist eigentlich übertrieben. Kyoto ist an der einen oder anderen Ecke sehr dicht mit Tourismus und meine Seitenstraßenidee hätte in vielen anderen Seitenstraßen tadellos funktioniert, weil man schnell einmal ein bisschen Ruhe bekommen hat, wenn man die Pfade zwischen den zentralen TouristInnenattraktionen verlassen hat. Das ist ja schon eine Überraschung manchmal, dass man die „falsche“ Abzweigung nimmt und aus dem Einkaufszentrumstrubel plötzlich auf einer leeren Wiese steht, umgeben von Bäumen, über die sich Tempelgiebel strecken. Aber der Shōren-in Monzeki (so hieß nämlich der aktuelle Tempel) hat schon eine besondere Ruhe ausgestrahlt. So, dass Leute automatisch geflüstert haben, wenn sie überhaupt miteinander geredet haben. Und selbst die Bauarbeiter, die in einem der Schreine am renovieren waren, schienen ihre Hämmer und Stichsägen mit Schalldämpfern ausgestattet haben.

Es ist die Wiederholung, durch die man sich irgendwann so einen Namen merkt. Und warum nicht ein bisschen eine Postkarte, weil grad Zeit ist. Dem Pfau oben links hätte ich ja so ein Tischchen unter die Füße gestellt, dass er nicht so schwebt. Und den Marmor unten links hab ich einfach sehr witzig gefunden.

Da sitzt man auf diesen schönen Matten und schaut durch eine Tür durch eine Tür auf den Garten. Der Wind durchs Laub, daneben plätschert ein Wasserfall. Das haben die schon gut gemacht, die Natur zu inszenieren. Der Obermönch, der über den Tempel bestimmt hat, war traditionell Teil der kaiserlichen Familie. Was auch lustig ist irgendwo, weil bei uns die Karriere in der Religion tatsächlich eher als ein Ausstieg aus dem Weltlichen zu betrachten wäre, aber die Verbindung zwischen Religion und Politik ist naturgemäß etwas enger in einer Gesellschaft, in der sich das Staatsoberhaupt über die göttliche Gnade definiert und seine Familie bis in ihre göttliche Verwandtschaft zurückverfolgen. Da besetzt man die hübschesten Tempel wohl auch mit Brüdern und Onkeln.

Eine zweite Tempelanlage hab ich mir noch gegeben, Fushimi Inari-taisha, eigentlich eine Anlage von Schreinen, an denen Inari verehrt wird, die ein kami ist, wie ich lese: eine übernatürliche Kraft, in der sich irgendwelche Konzepte im entferntesten Sinne des Wortes: manifestieren. Und Inari vertritt Reis, Sake, Tee und allgemeiner Fruchtbarkeit, aber auch Produktion und wirtschaftlichen Erfolg. Deshalb ist der Schrein wohl auch in vergangenen Jahrhunderten stets gut besucht gewesen. Dank der Tradition, sein Gebet in Form einer torii Schenkung darzubieten, stehen heute hunderte rote Tore, eines an das nächste gereiht auf dem Gelände. Was wiederum schicke Instagram-Bilder ermöglicht. Wer weiß, wie sowas dann auf wirtschaftlichen Erfolg oder gar Fruchtbarkeit zurückwirkt. Andererseits wird Inari oft durch ihre weißen Füchse vertreten, die als ihre BotInnen agieren. Und, wenn ich das richtig verstanden habe, denen werden keine Schreine gebaut sondern einfach der Wald stehengelassen, über den sie quasi kontaktierbar sind. Und deshalb steht dann auch viel Natur um den Schrein herum. Ist auch nett, wenngleich sich das wiederum in Insektenbissen auf dem Knie manifestiert.

Das ist schon ganz hübsch, wie sich dadurch, dass sie aus verschiedenen Quellen stammen, sich ein jedes torii vom nächsten etwas unterscheidet. Und zwischendurch ist dann ab und zu mal eines weggerottet, aber ich nehm an, dass die Leute den Wirtschaftsgeistern immer noch ihre Geschenke machen

Aber dann war ich auch schon wieder weg aus Kyoto und auf dem Weg nach Kanazawa. Das ist an der Westküste Honshus, am Scheitelpunkt der Innenkurve. Eine exklusive Exkursion, zu der mich meine Udonbekanntschaften motiviert haben. Mein erster Eindruck, als ich abends aus dem Bahnhof steige, ist geprägt von meiner Idee, dass es sich um eine kleine Stadt handle. Einfach, weil sie in meinem schicken Reiseführer nicht vorkommt (aber der lässt viel aus) und ich deshalb noch nie was davon gehört habe. Und erstens leben auch hier über vierhundertausend JapanerInnen und sogar etwas mehr als in Nagasaki und zweitens stimmt nicht einmal die vermeintliche absolute Unbekanntheit. Kurz darauf, bei der wiederholten Lektüre des Haus der schlafenden Schönen, stoße ich auf eine Erwähnung Kanazawas, die ich heute, wie schon vor Jahren unbemerkt überlesen hätte, wäre ich nicht diese eineinhalb Tage durch seine Straßen gelaufen.

ArbeiterInnenikone in Stöckelstiefel? Nein, nein, das schaut vielleicht ein bisschen nach Sozialismus aus, aber der Overall ist wahrscheinlich von Issey Miyake

Die breite Straßen querend, die mich gleich einmal an der Kleinstadt zweifeln lässt, finde ich flott zu meiner Jugendherberge, die mehr meinem Bild einer Jugendherberge entspricht, als die meisten anderen die ich in Japan zu sehen bekommen hab. Die Zimmer sind dann eh wieder die üblichen Holzverschläge, die mit Strom und Licht und etwas zu wenig frischer Luft ausgestattet sind, aber in den Gängen sind Postkarten aus aller Welt, Köffer und Landkarten an die Wände genagelt und hier und dort gemahnt uns ein Spruch daran, wie sehr eine Reise unsere Leben bereichert, wie froh das Bekanntschaftenschließen macht. Wenn da bloß nicht wieder die österreichische Familie gewesen wäre, deren Unterhaltungen mich wieder einmal an den eigenen Kräften zweifeln lassen, ob ich mich den Ketten der Heimat widersetzen werde können, die mich in den ungeliebten Sumpf alter Gewohnheiten zu ziehen drohen. Einen Trost bietet die Erfahrung, dass das Abenteuer Abenteuer bleibt, egal ob man sich der âventiure willen in die Welt geschmissen haben oder ob man den engen Wänden der eigenen vier entkommen wollten.

Ich bin einige Stunden mit Haushalten beschäftigt (Wäsche gewaschen, Erinnerungen aufgezeichnet), als es plötzlich elf Uhr ist und ich dem Hunger nachgebe, der mich noch einmal aus dem Haus und in Richtung Zentrum lockt. Hinter der Tür des von mir angestrebten Izakayalokals ist gerade eine private Feier im Gang und ich stehe einen Moment einer Gruppe JapanerInnen gegenüber, die Biergläser und Musikinstrumente in den Händen halten, bis sich die Gastgeberin mir mit einem closed zuwendet und ich mich entschuldigend rückwärts aus der Tür schiebe. Gegenüber finde ich noch einen Platz in einer Ramenhandlung. Die zwei anderen Gäste haben offensichtlich ebenfalls bereits die eine oder andere Stunde gefeiert und stolpern bald nach meiner Ankuft aus dem Beisl. Ich schlürfe meine Ramen während die EigentümerInnen bereits die Küche putzen, also noch einmal schneller als es ja sonst oft einmal schon die Mode ist. Trotzdem schaffen es die zwei irgendwie, dass ich das Gefühl habe, ich hätte mir wirklich etwas mehr Zeit lassen können, als ich mich einige Minuten später in die Richtung der Tür hieve, mein neugewonnenes Völlegfühl im Schlepptau.

Abends in Kanazawa

Um halb drei erwache ich aus einem Albtraum. Ich war ein Kind und seine Eltern, als die ich eben dabei war, ein halbes Bett glatt zu streichen, in dem ich als Kind scheinbar zuvor jemanden im Schlaf erschlagen hatte. Als Kind war ich zunächst nur ein Körper ohne Gliedmaßen, aber ich schien vor kurzem einen Cyborgkörper erhalten haben, spezifischerweise war ich in die Lage versetzt, mithilfe von Kraftfeldern meine Umgebung zu manipulieren. Jedenfalls war das Kind diese Ohnmacht gewohnt und hatte die unerhörten Kräfte des künstlichen Körpers bei weitem nicht unter Kontrolle: Die mithilfe der Maschine nun in die Realität wirkenden Bewegungen meiner Phantomgliedmaßen äußerten sich als weitläufige Gewaltausbrüche. Als Eltern stand ich dem aber ebenfalls hilflos gegenüber, dem Kind die Freiheit der eigenen Mobilität zu nehmen und weiterhin in der Unbeweglichkeit einzusperren, erschien uns nicht als Option. Letztlich bin ich aber aufgewacht, weil das Gefühl der Leere zwischen den Eltern so erschreckend war, die über die furchtbaren Erfahrungen des gemeinsamen Kinds jeweils in die eigene Entfremdung gerutscht sind.

Immerhin ein kreativer Alptraum und auch der psychologische Horror eigentlich ganz interessant, der sich da gesponnen hat. Trotzdem lieber keine Ramen mehr spät in der Nacht.

Am nächsten Morgen mach ich mich zu meinem Spaziergang auf. Kanazawa ist immerhin klein genug, dass ich keine Ewigkeiten unterwegs bin, bis ich vor der ersten Attraktion stehe, die ich mir auserkoren habe: der ehemaligen Wohnung eines Samurai. Wieder einmal stehe ich barfuß auf Tatamimatten und schaue an einer papiernernen Schiebetür vorbei in einen Garten. Diesmal gibt s aber eine Audiotour, die mir aus versteckten Lautsprechern etwas über die Samuraifamilie erzählt, wenn man s eine Tour nennen kann, die sich auf ein Zimmer beschränkt. Und „Samuraifamilie“ ist eher eine Väter-Söhne Geschichte, auch wenn die Vorstellung einer traditionellen Vater-Mutter-Tochter-Sohn Familie in Samurairüstungen ein herziges Bild abgibt. Der Garten ist besonders, weil auf Wasser verzichtet wurde. Dafür bleibe ich ein-, zweimal nur knapp vor einem Spinnennetz stehen, das sich über den Weg spannt. Spinnen eben durchaus positiv besetzt, bisschen Glücksbringer. Oder aber, das Samuraihaus ist nicht so gut besucht, wie man meinen möchte.

Die dürften schon ein bisschen zwänglich gewesen sein in Sachen Ordnung, mit ihren geraden Linien, die Herrschaften Samurai

Als nächstes schlendere ich gleich einmal wieder durch einen Park, in dem alle paar Meter eine Bronzestatue steht. Keine Buddhas sondern Mädchen und Frauen, nur ab und zu ein männlicher Körper. Vielleicht ist es ein falscher Eindruck, aber mir kommt vor, dass die nackt abgebildeten öfter europäische Gesichtszüge aufweisen, während die mit asiatischen Gesichtern tendenziell angezogen sind. Ich bin auf dem Weg zu einem Museum, das an das Leben Daisetsu Teitaro Suzukis erinnert. Das war wohl ein japanischer Theologe… Philosoph? Auf jeden Fall wohl ein Lehrer und Autor, der dazu beigetragen hat, Zen Buddhismus einem westlichen Publikum zugänglich zu machen. Ein hübsches Museum, das nur ein bisschen ein Museum ist. Und – ganz offensichtlich Tag der Audioguides – ein guter Audioguide, der mir Schritt für Schritt Details ins Ohr flüstert: Der Baum, den du hier durch das Fenster siehst, ist um die zweihunderfünfzig Jahre alt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ein junger Daisetsu an einem warmen Sommertag durch seine Äste geklettert ist… Im einzigen Ausstellungsraum verweist die Stimme in meinem Ohr dann jedoch auf die schriftlichen Erklärungen, weil die ausgestellten Spruchbänder und Bücher des Herrn Suzuki oft wechseln. Ich sitze neben einem japanischen Mädchen wir schauen uns gemeinsam Fotos von Suzuki im mexikanischen Garten von Erich Fromm an.

Um die nächste Ecke mache ich einen neuen Eintrag auf der Liste des Museumsangestellten, der die Herkunftsländer der BesucherInnen dokumentiert. Austria: 1. Dann sitze ich über zen-buddhistische Kinderbücher gebeugt in der Bibliothek. Und dann ist da noch der große, flache Teich, dessen Spiegel alle paar Minuten durch ein konzentrische Kreise werfendes Blubbern unterbrochen wird. Im Kontemplationswürfel sitzen TouristInnen aus aller Welt und checken ihre Telefone nach neuen Nachrichten. Ich habe gelernt, dass die Suzukis generationenlang die Ärzte der Familie Honda gewesen sind und weder die einen noch die anderen sind ein Auto. Dafür hat der T.D. Suzuki in den Dreißigern den japanischen Imperialismus gerechtfertigt und zwar „einzelne Individuen“ bedauert, die Opfer der nationalen Politik damaligen Deutschlands wurden, aber prinzipiell sei das zu unterstützen, wenn es die nationale Identität Deutschlands stärke. Na ja, auch ein Zen Buddhist ist nur ein Mensch und kann sich irren.

Von der Reinheit der geraden Linien im Suzukimuseum mache ich mich auf in den berühmten Garten von Kanazawa, einer von nur drei „perfekten Gärten“ die es in Japan gibt. Ich bin nicht dazu gekommen, mir die Kriterien anzusehen, die der Garten alle erfüllt, aber ich hoffe stark, dass es irgendwo eine Liste gibt. Natürlich ist der Garten schön, aber er ist so groß und wir schlendern Kieswege entlang und so erinnert er mehr an einen französischen Garten. Ich vermisse die Intimität, die mir an vielen japanischen Gärten gefällt, aber hier gehe ich eher in der Weite verloren statt im Detail. Natürlich gibt es auch hier die eine oder andere Ecke, in der man ein kleines Geheimnis entdecken mag, eine hübsche Laterne oder eine beeindruckende Brücke, eine schöne Aussicht. Und es gibt Geschäfte, Eiscreme und Ansichtskarten. Ich kaufe eine Ansichtskarte für die BesitzerInnen meines Udongeschäfts um tags darauf damit konfrontiert zu sein, dass ich ja die Adresse gar nicht auf die Karte schreiben kann.

Hier haben sogar eine Statue eines Prinzen in den Park… tsk! Ich mein natürlich „in den Garten“ gestellt.

Am Abend versuche ich es nochmal im Izakaya, in dem ich am Vorabend die Feier unterbrochen hab. Irgendeine Bewertung hat mich da so beeindruckt gehabt, dass ich das nochmal versuchen wollte. Außerdem lag mein Hostel einfach auf der weniger aufregenden Seite der Stadt und so viel Auswahl war da nicht. Zuerst sind die GastgeberInnen ein bisschen zurückhaltend, als ich hereingekomme. Sie geben mir zu verstehen, dass sie keine englischsprachige Karte für mich hätten und insgesamt nur wenige Worte zur Kommunikation. Aber mit meiner Bestellung des most popular komme ich ihnen wohl etwas entgegen und schon habe ich mein Bier und ein paar Vorspeisen vor mir stehen, während der Koch an meinem Sashimiteller bastelt. Nicht nur die Situation ist aufregend, auch mein Essen. Ich habe eine dunkle, stachelige Seeschnecke bekommen, die ich als ganze aus ihrem Schneckenhaus ziehe. Die steck ich mir schnell in den Mund, ich merke, dass ich über die nicht lange nachdenken möchte, weil es mich doch ein bisschen ekelt. Ich bin mir jetzt gar nicht mehr sicher, irgendwie muss die wohl schon zubereitet gewesen sein, weil sonst hätte sie sich kaum so leicht aus dem Haus ziehen lassen… sie schmeckt auf jeden Fall etwas modrig, leicht bitter, aber insgesamt eigentlich ganz gut. Neben der Schnecke ist eine Art Salat, den ich zuerst für Quallensalat halte, relativ feste, leicht nach Meer schmeckende, lichtdurchlässige Streifen in einer Marinade. Die hilfsbereiten Japaner neben mir, mit denen ich mittlerweile ins Gespräch gekommen bin erklären mir aber, dass es sich um Fugu handelt. Da hab ich den Salat schon aufgegessen. Fugu also, sag ich ungläubig. Aber ja, es ist Fugu bestätigt auch die Gastgeberin. Allerdings sei das nur die Haut. Für die eigene psychische Gesundheit nehme ich an, dass man das tödliche Nervengift nur im Fleisch serviert bekommt und nicht als gleichgültige Vorspeise.

Mit meinem Sashimiteller bleibt das Essen aufregend. Das spannendste ist eine weitere Schnecke, etwas größer im Durchmesser, sodass auch die Schnecke hier aufgeschnitten serviert wird. Das Stück, das ganz offenbar zuhinterst im Schneckenhaus war enthält, so erklärt man mir, die Organe. Das Stück ist deutlich dünkler und schmeckt angenehm nach Leber. Verschiedene Fische sind auf meinem Teller sowie zwei dünne Scheiben rohen Rindfleischs für das ich bitte Sojasauce mit Ingwer anrühren soll. Wasabi und Sojasauce bliebe dem Fisch vorenthalten. Meine zwei Nachbarn sind mittlerweile beim zweiten Gang gelandet und vor ihnen steht ein Topf, in dem Kraut mit allerhand Gemüse, Tofu und einigen Stücken Fleisch eingekocht wird. Aus dem Topf wird das Gargut dann noch in ein rohes Ei getunkt, bevor sie sich s in den Mund schieben. Ich bin zum Kosten eingeladen, das schmeckt schon. Damit ich nicht vor meinem leeren Teller sitze, stellt mir die Gastgeberin noch einen Salat hin und eine halbe Stunde später hab ich noch ein Saketrio bestellt, durch das ich mich durchkoste.

Mittlerweile sitzt auf der anderen Seite ein weiterer Stammgast und der Gastgeber hat angefangen, uns mit Zaubertricks zu unterhalten. Das klingt jetzt sicherlich nicht weniger absurd, als es sich in der Situation angefühlt hat. Eine Menge verblüffender Kartentricks später, bekomme ich einige kleine Zaubereien geschenkt und während die Gitarre aus dem Gang zum Klo geholt wird, bezahle ich und verabschiede mich vergleichsweise herzlich auf den Heimweg. Wieder einmal bin ich beeindruckt davon, wie freundlich ich aufgenommen werde und wie wenig gemeinsame Sprache uns genügt, um eine Art Freundschaft zu schließen.

Und während ich mich hier zurückerinnere, setzt sich der Robert neben mich, den ich damit kennenlerne und wir reden ein wenig darüber, wie nett das ist, wenn man durch Japan reist – insbesondere allein durch Japan reist – und sich irgendwo reinsetzt, wenn man dann ins „Gespräch“ kommt, obwohl man kaum Wörter hat, mit Hilfe derer man sich unterhalten kann. Wie unerwartet das ist, wie Japan einen damit überrascht, dass es neben den TouristInnenströmen und den Bilderspeisekarten mit den lustigen englischen Übersetzungen so viele kleine Ecken hat, die zu beschreiben man vielleicht doch zu dem schwierigen Wort authentisch greifen muss. In die man ohne gröbere Probleme hineinstolpert und so schnell einmal einen unvergesslichen Abend verbringt, weil man wie ein satter Koi in der Glückseligkeit von Abendessen, Gast- und Alltagsfreundlichkeit schwimmt.

Aber ich bin schon wieder unterwegs und auf dem Weg nach Tokio um meine Wahlkarte in der Botschaft auszufüllen. Nicht vergessen…

verblassende Erinnerungen

Die Japanischen Eisenbahnen tragen mich von einer Insel zur anderen, zwei Tage in der einen Stadt und weiter in die nächste. Eine Woche ist das her, dass ich mich konzentriert ans Erinnern gesetzt habe, eine Woche und locker dreitausend Kilometer, dass ich jetzt wieder in Tokio sitze und versuche, im Rückblick jene Emotionen auseinanderzuklauben, die langsam aber sicher in ein relativ homogenes Japanbild zusammenschmelzen. Gut, es ist nicht so, als ob ich nicht Notizen gemacht hätte…

An Osaka erinnere ich mich mehr an das Hostel als an die Stadt selbst. „Hostelzentriert“ hab ich mir notiert. Und so ist das, es gibt einfach Städte, wo mir die Unterkünfte stärker in Erinnerung bleiben, wo die Erfahrungen dort einfach die nachhaltigeren sind. Und natürlich sind das die Begegnungen, weil das sind die Erlebnisse, die mich wirklich anstoßen. Und mit der Osakaer Jugendherberge hab ich s wirklich gut erwischt. Dabei hat s zuerst gar nicht so gut ausgeschaut, als mir die Ina am Email gesagt hat, dass sie das Zimmer nur für zwei Nächte hat und dann hab ich mir gedacht, gut, dann halt nur zwei, so sehr haut das meinen Plan auch wieder nicht durcheinander. Aber dann hat sie gemerkt, dass ich eh nur für das Schlafzimmer ein Bett such und nicht ein Dreierzimmer. Ich weiß nicht, wie sie auf die Idee gekommen ist. Aber dann hat sie gesagt, ahso, ja, nein, kein Problem: drei Nächte. Prima, sag ich, drei Nächte sind gebongt. Und dass sie eine Katze haben, nur für den Fall, dass ich damit nicht oder eine Allergie oder so. Nein, sag ich, das passt, find ich gut.

Ein japanischer Beitrag zur globalen Popkultur ist ja das Konzept von „kawaii“, was vor allem als kuschlig, herzig, knuffig, süß zu verstehen ist. Aber der Begriff beschreibt eigentlich vielmehr einen spezifischen Stil, den ich hier als die große Infantilisierung aller Lebensbereiche zusammenfassen möchte, anthropomorphe Tierbabies mit weiten Pupillen und eine picksüße Mädchenhaftigkeit unter Sonnenschirmchen.

Der Kater heißt Akubi und war letztlich ein sehr herziger. Da gehört schon einiges dazu, eine entspannte Katze in einer Jugendherberge zu sein. Und ohne ihn darauf reduzieren zu wollen, seine auffälligste Eigenschaft waren seine kurzen Beine, die vielleicht halb so lang waren, wie man erwarten möchte. Mehr ein Nilpferd als eine Giraffe, das macht einen irre herzigen Eindruck. (Dabei fällt mir ein, dass hier in Tierhandlungen immer noch Tierjungen in Glaskästen gehalten werden wo Hunde umhertollend und Katzen abgewandt schlafend auf eine KäuferIn warten. Schon gut, dass das bei uns nicht mehr durchgeht.)

Die kurzen Beine des Hostelkaters kamen in Kombination mit steilen Stufen, über die ich in den obersten Stock hinaufklettern musste. Und Schiebetüren in den Stockwerken. Was unabhängig von der Beinlänge für einen Kater bereits eine ziemliche Hürde darstellt. Wenn der Kater einmal bis hinaufgelaufen gekommen ist, dann hat er nicht wirklich selbst wieder bis runter können. Und Samstagnacht sind die Deutschen, die bei uns im Zimmer waren, spät von – wie ich am nächsten Tage erfahren hab – der Karaoke nachhause gekommen und hatten dem Kater gegenüber wohl nur berauschte Gleichgültigkeit, als der mit ihnen in den gemeinen Schlafraum geschlüpft ist. War eh super, weil ich hab schon lang nicht mehr mit einer Katze auf den Beinen geschlafen und eigentlich ist das ein leistbarer Luxus. Das war schon nett. Nur in der Früh natürlich will die Katze aufstehen, so auch dieser Kater. Und da lernen verschiedene Katzen wohl unterschiedliche Techniken. Sehr effektiv ist es, wenn man mir daheim von unten die Krallen unter die Decke schlägt, ob man dabei meinen Fuß erwischt oder nicht, da schwappt mir das Adrenalin bis unter die Schädeldecke, da gibt s kein Weiterschlafen. Dieser Kater hat einfach zugebissen. Nämlich nicht nur so bisschen geknabbert. Er hat geschnurrt dabei, also hab ich s nicht als aggressiv verstanden, aber nachdem er mir ein bisschen in die Frisur gebissen hat, hat er mir in den Hals gebissen, dass mir das Blut gekommen ist. Eh ein zarter Kratzer. Aber überraschend war das schon.

Und das war mein einer Ausflug durch Osaka. Ich hab s schon auch als hübsch in Erinnerung.

Nachdem ich am ersten Tag einen kleinen Spaziergang durch Osaka gemacht hab, hab ich mich am Abend gegenüber ins Okonomiyakilokal gesetzt. Weil da haben sie mich aus dem Hostel, das direkt gegenüber liegt, hingeschickt. Die Osaka-Okonomiyaki seien ganz anders als die Hiroshima-Okonomiyaki, sagen sie. Da bräuchte ich mich gar nicht auf meinem Ich-hatte-erst-gestern-Okonomiyaki auszuruhen. (Wir hatten ziemlich flott eine ziemliche nette Unterhaltungsebene im Hostel, wie gesagt, das Hostel, die Begegnungen, das Wohlfühlen, in diesen Punkten macht Osaka Punkte.) Und das stimmt ja auch, ganz anders, so eine Osakaokonomiyaki. Vor allem aber hab ich einmal mit einem Blick auf die Tür festgestellt, dass ich in einem Michelin ausgezeichneten Lokal sitze und das war vielleicht auch eine Premiere. Uuuuhh. Dabei hat s nicht ausgeschaut, wie ich mir ein Haubenlokal vorstell. Zuerst einmal hab ich draußen sicher eine halbe Stunde auf einen Platz gewartet. Da haben sie so Hocker auf dem Gehsteig aufgestellt gehabt, von denen man immer eins weitergerrückt ist, wenn jemand einen Platz im Lokal bekommen hat. Und bis ich dann eine Stunde später meine Okonomiyaki bekommen hab, hab mir eine Zeit lang gedacht, dass das vielleicht das beste Essen ist, das ich je gegessen hab. Aber ich hab auch ein ganzes Bier lang auf mein Essen gewartet, und ich hab nicht wirklich was gegessen gehabt, weil war ja Reisetag. Und da sitz ich dann, kann sein, dass ich schon bisschen beschickert war, wie ich dann meine Palatschinke bekommen hab.

Weil, pass auf: Okonomiyaki werden als japanische Pfannkuchen vermarktet. Und das ist schon nicht falsch, weil es kommt ein Palatschinkenteig vor. Jetzt: Hiroshimastyle hat so ausgeschaut, dass meine Köchin eine Palatschinke gemacht hat und dann ein Kraut und die anderen Ingredienzien genommen hat und die Palatschinke wie einen Deckel auf dem Kraut verwendet hat, dass es durchgart. Ja? Also sie hat einen Haufen Kraut auf ein bisschen ein Öl gestapelt und dann die Palatschinke drauf und dann halt geschaut, dass das Kraut gar wird. Osakastyle mischt man das alles schon einmal zusammen und haut s dann als ein Ganzes auf die Kochoberfläche. Und dann haben sie einen Deckel draufgetan, was ich ein bisschen schummeln gefunden hab, aber es hat ja wie gesagt lang genug gedauert, bis es fertig war, also gut dass sie einen Deckel genommen hat. He, und dann war das einfach total gut. Da war ein Schwein drin und ein Tintenfisch und eine Jakobsmuschel und dann ein Spiegelei drauf und die Okonomiyakisauce, die so bisschen Worcestersauce ist, aber mit Datteln gestreckt und gesüßt und dann hauen sie eine Mayonnaise drauf, wie die JapanerInnen das gerne machen. Die kommt aber wirklich anders rüber, als die unsrige, ich sollte die mal pur kosten. Und dann kommen noch Nori drauf, was zuerst einmal wie Petersilie ausschaut, und Katsuobushi, also Späne von zu Holz getrocknetem Thunfisch. Und dann ist es fast wie mit Gabel und Messer essen, weil in einer ziemlichen Ausnahme kriegt man hier ein japanisches Essen, das nicht mundgerecht daherkommt. Dafür kriegt man eine kleine Version von den Spachteln, mit denen die Köche das Essen zubereiten und spaltet sich da seine Stücke von der großen Festtagstorte herunter, bis man dann endlich seine Stäbchen einsetzt.

Und dann bin ich zurück ins Hostel und die vielen Stockwerke hinauf. Beim Einchecken haben wir noch gescherzt, weil in Japan zählt man das Erdgeschoß als ersten Stock. Ich hab am Anfang tatsächlich ein bisschen gebraucht, bis ich verstanden hab, dass der Adresszusatz F4 nicht eine Hausnummer ist, sondern für Floor 4 steht. Dort hab ich gewohnt, im vierten Stock. Aber, hab ich gesagt, bei uns ist ja der F2 erst der erste Stock und dann sagen wir, gibt s noch einen Mezzanin, also bin ich auf österreichisch eh nur im zweiten Stock. Die Polin hat auf meine Erklärung des Ursprungs, des vermeintlichen Ursprungs dieser Praxis gemeint, dass man in Polen wohl einmal die Steuern auf ein Haus nach der Anzahl der Fenster bemessen hätte, woraufhin die Leute ihre Fenster zugemauert hätten. Ich mein, so Steuergesetze können schon auch Unsinn anrichten. Mir sind dazu dann noch die Gehsteige eingefallen, von denen es hier ja außer auf den großen Straßen, keine gibt. Find ich immer noch toll. Ach ja. Und die Autos parken auch nicht auf der Straße sondern müssen in einer Garage oder in einem Parkhaus Platz finden. Wenn man das mal erlebt, dann ist dieses Argument, dass jedes Auto bei uns eigentlich Miete zahlen müsste für die zehn Quadratmeter öffentlichen Raum die es einfach verstellt… also nicht das Auto soll die Miete zahlen. Da könnten wir lang warten. Aber ich mein, das ist einfach nachvollziehbarer wenn man sieht wie… man sieht einfach besser. Vielleicht muss man das so dem Handel vorschlagen, dass man dann auch von der gegenüberliegenden Straßenseite in die Schaufenster schauen kann.

Es war ein komischer Moment, als ich durch schieres Glück über diese Brücke gegangen bin und auf einen Pulk asiatischer TouristInnen gestoßen bin, die sich hier mit Werbeflächen fotografiert haben. Sicherheitshalber hab ich halt auch mal ein Foto gemacht, um später zu lernen, dass der Läufer da in der Mitte, dass das der Glico Mann ist. Der macht Werbung für ein japanisches Nahrungsmittelunternehmen, der hängt da schon seit 1935. Ach was weiß ich… Leute, die sich mit einem Werbeplakat fotografieren! Da kann einem der Konsumismus schon sauer aufstoßen.

Von meinen Krautpalatschinken zurück ins Hotel bin ich dann im Zimmer meiner Zimmerkollegin begegnet und wir haben uns vorgestellt und sind so ein bisschen ins Plaudern gekommen über dieses und jenes. Und bevor man sich s versah, war s fünf Uhr in der Früh. Das war unerwartet. Aber witzig, weil ich hab mir noch am Tag davor einmal gedacht, so in der Reflektion über das eigene Leben, wie man ein bisschen schräg wird, wenn man sich unkontrolliert in seinen Interessen spezialisiert und eines Tages merkt, wie man mit seinen Anekdoten wenig anschlussfähig ist, dass man sich da vielleicht ein bisschen isoliert hat, ohne dass es geplant war. Nicht, dass das nicht eine immer wiederkehrende Sorge ist, kann sein, dass es nur so eine selektive Wahrnehmung ist, dass ich mich jetzt erinnere, dass ich das gerade erst gedacht hätte und dann plötzlich eben treff ich auf wen, die mich gerade dort erwischt, wo ich das Gefühl hatte, dass ich ein bisschen gar esoterisch in meinen Vorlieben geworden bin. So sitz ich im Hostel in Osaka und find ausgerechnet eine Amerikanerin bestbewandt in der britischen Comedyszene. Sag ich zum Beispiel, na der Ding, den find ich gut und mir der Name nicht einfällt und ich so rumüberleg und sie sagt dann, anyway, den James Acaster fändt sie noch sehr lustig. Und ich denk mir, den hab ich gerade gesucht. Greg Davies? Zitiert sie schon Man Down. Da ist mir schon weich in den Knien geworden.

Am nächsten Tag war ich dann ein bisschen müde in Nara. Nara, sagt mein Reiseführer war die erste fixe Hauptstadt Japans und nachdem s mir auch meine Lokalbekanntschaften auf die Empfehlungsliste geschrieben haben, bin ich auf einen Sprung hin. Ich bin mal wieder etwas spät losgekommen, auch weil ich den Vormittag mit Blogbetreuung verbrodelt hab, das kommt ja auch nicht aus dem Nichts. Jetzt war ich wieder einmal erst um vier oder was in Nara. Das war schon nicht ganz ungeplant, weil ich wollte dort so einem Fest zuschauen gehen, das eh erst abends angefangen hat. Jetzt machen die Tempelanlagen und die historischen Gebäude aber natürlich schon wieder um fünf zu. Und so hab ich jetzt die größte bronzerne Buddhastatue der Welt verpasst, die dort in einem Haus sitzt. Das hab ich erst im Nachhinein gelesen, irgendwer hat da bei der Vorbereitung geschlampt. Aber ich hab wieder zahme Rehe gesehen und mir von ihnen auf die Hand atmen lassen und ich hab Leute gesehen die sich in einem Moment mit zahmen Rehen abfotografieren und im nächsten Moment versuchen, eine Rehnase aus ihrer Handtasche zu scheuchen. Insgesamt ist es fast ein bisschen wie Tauben am Markusplatz. Zuerst ist es lustig, dann wird s schnell zu viel, weil die Tiere nicht spielen wollen sondern gierig Essen suchen.

Ich hätte wahrscheinlich nur diese Schilder lesen müssen, um dem Buddha gegenüberzutreten. Aber ich war wohl einfach zu vertieft in meine Beobachtung der die Rehe beobachteten TouristInnen, um auch noch einen Sinn für Schilder zu haben. Schau, da liegt sogar eines mit Geweih!

Und auch das Festival war dann nicht schlecht. Da war so eine Prozession über einen See in traditionellen Gewändern und das hat wohl eine Geschichte erzählt. Da waren verkleidete Kinder und aufgeregte Mütter, die sie nach ihrem Auftritt in die Arme geschlossen haben, das war nett. Außerdem standen hunderte Leute aus aller Welt mit ihren Fotoapparaten drumrum, das hat mir das ganze ja auch schon wieder ein bisschen anstrengend gemacht. Ich könnte das vielleicht auch einmal leichter nehmen. Ich bin wohl einfach zu romantisch, dass ich mir denke, man muss das doch erleben und nicht dokumentieren. Ich hab ja dann auch schweren Herzens fotografiert, so ist s ja auch wieder nicht. Oder auch seltsam: Europäisch anmutende Männer in traditionellen japanischen Outfits. Da wird mir auch ein bisschen seltsam, wenn ich das seh. Dann wiederum stört s die Verkleideten offenbar nicht und ich glaub, die JapanerInnen sehen das auch nicht als kulturelle Aneignung.

Interessant, wie s mich oft einmal juckt, da mit der Kritik zu kommen und dann such ich wieder ein versöhnliches Bild raus. Es ist schon schön.

Bisschen schwer nachvollziehbar, was da passiert, aber die Ina hat gemeint, sie war im Jahr davor und auch wenn sie die japanischen Durchsagen wohl verstanden hat, es hätte ihr auch nicht zum allgemeinen Verständnis beigetragen, also gehört das wohl so. So sitze ich also nur den Bildern gegenüber, die da im Rahmen der Zeremonie dargestellt werden und dann kommen die zwei Boote (aus denen sich auf ZuseherInnenseite Trockeneisnebel über das Wasser ergießt!), gelenkt von zwei Steuermännern und hinten drin sitzen zehn Frauen, alle in Rot, Weiß, Schwarz angezogen und mit einem braven Lächeln in den uniform geschminkten Gesichtern, da hatte ich schnell einmal Handmaid’s Tale Assoziationen, obwohl ich s nie gesehen hab. Aber von der Aufmachung her, war s mir gleich wieder ein bisschen unheimlich, wenn Frauen in der Legende anscheinend nur die Rolle der Frauen zugewiesen wird.

Während die Mädchen über den vernebelten See geschifft worden sind, hat dazu das Orchester gespielt. Wer 7’43” Zeit hat kann hier ein Stück Zeremonienmusik mit authentischem Publikumsgeplauder haben. Manchmal ist es ein bisschen schrill, aber es zahlt sich schon aus, das ganze zum Nachhören zu haben.

Daheim haben wir noch einmal ein bisschen in die Morgenstunden hineingeplaudert, die Y. und ich, von Tolkien ausgegangen haben wir schließlich noch festgestellt, dass wir uns bei Game of Thrones von den gleichen YoutubekommentatorInnen haben begleiten lassen. Das ist wirklich eine Freude gewesen: zwei vergleichbare UserInnenprofile, aber doch so unterschiedlichen Sozialstatistiken. Wir haben allerdings zwei Deutsche ins Zimmer bekommen (die mir in der dritten Nacht dann den Kater beschert haben) und haben deshalb rücksichtsvoll gegen halb drei einen Strich gezogen. In der Früh ist sie dann auch schon weitergefahren und daraufhin hat sie einfach ein paar Tage gefehlt.

Ich bin hingegen in die andere Richtung gefahren, mit dem Zug nach Himeji. Jetzt hab ich noch herausbekommen, dass ich nicht einmal reservieren muss für meine Züge, sondern stolz den Railpass an die Brust geheftet einfach durch die Absperrung schreite. Den richtigen Zug muss ich halt finden, den richtigen Zug, den richtigen Bahnsteig. Das Telefon hilft. Und dass in der Regel alles auch in den Buchstaben zu haben ist, die ich lesen kann ohne beim dritten bereits ins Schwimmen zu kommen (mo? ke? su?), das hilft auch.

Und jetzt, in Himeji, das ist schon beeindruckend. Weil man kommt aus der Station raus und dann ist da eine lange Straße, die direkt bis zur Burg führt. Und: Burg. Eine japanische Burg ist bei weitem eine elegantere Einrichtung, als was einem zu dem Begriff so durch das mitteleuropäische Kopflexikon flattert. Zum einen ist beim Gebäude selber wieder sehr viel Holz im Spiel. Deshalb ziehen wir uns auch alle brav die Schuhe aus, wenn sie in die Burg steigen. Die Befestigung selber ist allerdings schon mit Steinen gebaut. Und das ist ja auch beeindruckend, diese steilen meterhohen Wände, die eine Ebene von der nächsten trennen. Da muss schon wahnsinnig viel Stein verwendet worden sein dafür, das muss wirklich viel Arbeit gewesen sein. Zum Glück für die Fürsten, hat die Bevölkerung sich brav und unterwürfig verhalten: An einer Stelle wird die Legende einer alten Frau erzählt, die gehört habe, wie knapp der Fürst beim Bau seiner Burg schon an Steinen ist und so hat sie ihren Mühlstein geschenkt. Weil besser der Fürst hat eine gute Wand als sie was zu essen. Aber ihr Vorbild habe auch noch NachahmerInnen aus der ganzen Gegend inspiriert. Schon schön, wenn die sozialen Hierarchien auch denen, auf deren Schultern sie gebaut sind, so viel Identität verleihen, dass sie sich gern opfern.

Schau, wie ich meine Panoramafunktion mittlerweile unter Kontrolle hab!

Die Burg (ich will ständig das Schloss schreiben, weil s doch so eindrucksvoll war) wird in der Broschüre schnell einmal als das schönste Gebäude der Welt bezeichnet. Das find ich vielleicht ein bisschen eine heftige Bemerkung. Dann wiederum tu ich mir auf jeder Skala schwer, Extremwerte anzukreuzen und vielleicht ist das auch ok, wenn man sagt: das da. Das ist das schönste Gebäude der Welt. Man muss sich seine Superlative ja nicht unbedingt aufheben. Der Vorteil der Perfektion ist ja vielleicht dann auch, dass man die BesucherInnen einfach durchschleusen kann, weil niemand jetzt großartig selbst die Schönheiten entdecken muss. Der Rundgang ist relativ klar abgesteckt, die Burg selbst ist auch nicht besonders aufregend, weil großteils leer oder leergeräumt. Die Wirtschaftsgebäude (Küche, Bäder, Wohnungen der Frauen) liegen sowieso außerhalb und jetzt läuft man drinnen durch die sieben, immer kleiner werdenden Stockwerke. Da haben sie nämlich einen Trick gemacht, weil von außen schaut s nur aus wie fünf. Und war wahrscheinlich nicht für Steuervorteile sondern eher, dass die erobernden Soldaten dann im fünften Stockwerk stehen und sagen Waaaas? Noch zwei Stockwerke? Sicher nicht in der schweren Rüstung!

Naja, was soll man sagen. Ein gut geschmiertes feudales System mit Sinn für Ästhetik. Und schönes Wetter war auch.

Während sich die Belagerten immer höher in ihren Burgturm zurückziehen, haben sie die Möglichkeit, Steine auf die Feinde zu werfen. In einem Fall sogar aus einem Fenster, in dem geheime Steinwurflöcher eingebaut sind. Das haben die Hinweise, die man über einen QR-Code (!) in jedem Stock auf sein Telefon laden könnte, extra hervorgehoben, dass die feindlichen Soldaten wohl vorsichtig gewesen sein müssen, nicht unter den Steinwurfschlitzen zu stehen, aber in dem einen Fall, seien die eben geheim in den Fensterrahmen eingelassen gewesen und da hat dann niemand gerechnet, plötzlich Steine auf den Helm zu bekommen. Wie seltsam, hab ich mir gedacht, dass man nicht damit rechnen würde, dass man sich darauf verlassen konnte, dass der Feind nicht ein Fenster zweckentfremden würde, um daraus direkt Steine auf die Eindringlinge zu werfen.

Leider hab ich ja in der Burg schon wieder ein bisserl stressen müssen, weil ich zwischen Burg und Bahnhof zu viel Zeit in die Suche nach einem guten Kaffee investiert hab. Aber ich war dann tatsächlich in einem wahnsinnig netten kleinen Café. Das war so klein und so versteckt, dass der Gastgeber richtig erstaunt gewirkt hat, dass er einen Gast hat um zwei am Nachmittag. Aber so hatten wir die Gelegenheit ein bisschen zu plaudern und er hat mir erzählt, dass er eigentlich in einer Behindertenwerktstätte arbeitet, aber sich jetzt schon lange für Kaffee begeistert und er röstet selbst in einer selbstgebastelten Röstvorrichtung. Und zwar über Kohlen. Sei das nicht schwer, da die Variablen konstant zu halten? Ja, lacht er und zeigt mir sein Buch, in dem er minutiös verschiedene Variablen und ihre Ausprägungen bei hunderten Röstvorgängen dokumentiert hat. Ich staune und nippe an meinem Kaffee. Es ist guter Kaffee, aber ob sich die Mühe auszahlt ist immer so eine Frage. In diesem Fall vielleicht weniger, weil er es doch vor allem für sich zu tun scheint, das ist schon länger her, dass ich jemanden so enthusiastisch über seinen Job reden hab hören. Aber ja, es ist mehr ein verwirklichter Traum, den er immer noch stark mit seinem Brotberuf subventionieren muss. Und dann schenkt er mir noch einen kalten Kaffee ein, weil während man bei uns auf das ja traditionell aber vor allem sprichwörtlich herabgeblickt hat, so hat sich das unter KaffeetrinkerInnen in der Welt ja mittlerweile zu einem Trendgetränk gemausert. Vor allem in den wärmeren Gegenden, die mir in den letzten Monaten die Gastfreundschaft erwiesen haben. War auch wirklich gut, bisschen stärker die Bitterkeit, aber, hat er gemeint, das kann auch sein, weil er die Bohnen, die er für meinen Heißkaffee gemahlen hat, gerade erst am Tag davor geröstet hat und der Geschmack brauche manchmal eine halbe Woche oder so, um sich zu entfalten.

Dann haben wir noch ein bisschen über die Scotchwhiskies geredet, die er außerdem in seiner Kaffeebar ausschenkt und dann hat er einen Anruf bekommen, dass sich jemand gerne einen Kaffee abholen kommen möchte. Und weil mein Herr Gastwirt einen sehr langsamen, manuellen Tropfkaffee macht, ist so eine Vorbestellung nicht das schlechteste. Er erzählt mir noch ein bisschen über die Koi, die in einem der Burgteiche gehalten werden, und seinen eigenen Erfahrungen von als er in einer Koizucht gearbeitet hat, die ihre Fische international verschickt haben. Und ein bisschen darüber, wie teuer so ein Koi sein kann. Aber auch, wie schön so ein Koi sein kann.

Außerdem hab ich ein bisschen gehudelt, dass ich noch in den Burggarten komm, weil für den haben sie mir ein Doppelticket angedreht noch bevor ich überrissen hatte, dass ich schon für die Burg meine Schlendergemütlichkeit verkauft hatte und vom Wechselgeld die Taschen voller Zügigkeit bekommen hab. Ich mein, das waren nur hundert Yen mehr, das war eine sehr sanfte Verführungstechnik, die zur Andrehung geführt hat. Dennoch, in for a penny… Nachdem ich aus der Burg von oben in alle Himmelsrichtungen geschaut hab, hab ich mich in die Abstiegsschlange gereiht und war mit zehn Minuten Zeit noch im Garten. Dann hab ich festgestellt, dass ich mich nur für den Einlass bemühen musste und hab meine Spaziergangsgeschwindigkeit wiedergefunden.

Einmal entlang des Kieswegs im Teegarten (geschlossen)

Und weil ich damit immer noch nicht genug erlebt hab, hab ich am Rückweg zum Bahnhof noch zwei Onigiri gekauft und mich auf eine sommerlich veranlagte Bank gesetzt. Von dort hab ich dann einem japanischen Straßenkünstler zugeschaut, wie er sein Publikum entfremdet hat. Ich hab ja nicht ganz verstanden, was so sein shtick ist, er hat viel geredet und sein Outfit war irgendwo zwischen Zirkusdirektor und Steampunk, zwischen Charlie Chaplin und Michael Jackson. Vielleicht gibt s da auch naheliegendere Vorbilder, die sich meiner kulturellen Engstirnigkeit nicht erschlossen hat. Als erstes hat er sein Territorium auf der Straße mit einer Schnur abgesteckt. Während seinen Vorbereitungen hat sich ein Pärchen vor ihm hingestellt, die ihn erst einmal beim Werkeln beobachten. Aber über kurz oder lang beginnt er bereits über sein Mikrophon irgendwelche Geschichten zu erzählen und die Gestik versucht ein bisschen, seine beiden offensichtlichsten BeobachterInnen zur Teil- oder zumindest Anteilnahme zu motivieren. Die beiden steigen einige Schritte zurück und bleiben aber tapfer in der BeobachterInnenrolle, auch wenn ihre Körpersprache sich bereits etwas stärker von dem Straßenkünstler distanziert. Die meisten anderen ZuseherInnen haben übrigens von vornherein in etwas größerer Distanz gehalten. Er hat sicherlich ein Dutzend bis zwanzig ZuseherInnen, aber nur drei oder vier, die sich ohne weiteres als solche zu erkennen geben. Eine kurze Interaktion mit einem vielleicht fünfjährigen Mädchen und ich weiß immer noch nicht, was der Kern seiner Darbietung ist. Vielleicht erzählt er nur Geschichten, auch wenn er sich zumindest wie ein Zauberkünstler verhält.

Bye-bye, Himeji, schön habt s ehs.

Aber auch ich hab irgendwann meine Reisbällchen gegessen (die waren übrigens ausgezeichnet und ich hab seither wenig Lust, wieder zu jenen zurückzukehren, die ich in an jeder zweiten Straßenecke im Snackshop bekomme, die sind einfach deutlich weniger aufregend), und ich gehe zurück zu meinem Zug. Straßenkunst ist kein besonders etabliertes Genre in Japan. Ich glaube durchaus, dass das Potenzial der Publikumsbeteiligung ein wenig als Bedrohung wahrgenommen wird. Oder der Eindruck ist nur ein aus meinen eigenen Angststörungen gewuzelter Apsekt vermeindlich japanischer Kultur, wer kann das schon sagen. Während mein Eindruck schon ist, dass man hier recht viel Wert darauf legt, in der Öffentlichkeit in Frieden gelassen zu werden. Und vielleicht denke ich deshalb jetzt daran, aber ich hab in den Städten auch kaum Obdachlosigkeit erlebt. Wirklich nur in Osaka, dass mir bei meinem ersten Spaziergang zwei, drei offensichtlich verwahrloste, bettelnde Personen aufgefallen sind. Einer auch merklich über dem Durst. Kann man sicherlich mal nachschauen, wie in Japan mit der Obdachlosigkeit umgegangen wird. Intuitiv würde ich glauben, dass da nicht unbedingt liberale Methoden zum Einsatz kommen, mit dem Ziel, Betroffene zu größerer Selbstbestimmung anzuleiten.

Wait, there’s more!

Wie ich am letzten Abend in Hiroshima nach meiner Abenddusche vor dem Spiegel steh und mir die Haare mach, schaut mich ein Gast so schräg von der Seite an. Ich sag mal, der war so Mitte zwanzig vielleicht, ein junger Mann mit langen schwarzen Haaren und möglicherweise ein bisschen einem Bart um den Mund herum oder auch nicht. Er hat ein bisschen was verwegenes gehabt, aber mehr so wie jemand, der sich ein bisschen gehen hat lassen, nicht unbedingt wie jemand, der viel erlebt hat. Aber was bedeutet das schon in dem Alter, da hat man ja sein Leben noch vor sich. Sagen wir, er hat ein Metal T-Shirt angehabt, natürlich verwaschen, roter Schriftzug, irgendwie bisschen zackig die Buchstaben, ein überflüssiger Umlaut, darunter vielleicht ein Turm Totenschädel auf dem sich eine Frau erkältet, während ihr der Höllenwind durchs Haar fährt. Oder ein grünhäutiges Ungetüm, dass sich über eine E-Gitarre beugt aus der Blitze fahren. Sowas in der Art. Schwarze Jeans und schwere Schuhe. Jemand, der ein bisschen in seiner Teenagermode hängengeblieben ist, und immer noch ernst nimmt.

Der schaut mich so an, während ich mir den Kamm durch s Haar zieh und fragt mich aus dem Nichts heraus, wo ich her bin. Und ich sag halt Austria. Auch wenn ich schon einmal gar keine Lust hab, mich jetzt hier mit jemandem unterhalten, der mir so ein Gespräch anzettelt. Aber er antwortet wie üblich, ob denn Austria or Australia. Wie ein alter Geheimagent, dem das Spiel mit den Passphrasen schon ein bisschen langweilig geworden ist, wiederhole ich, dass Austria. Und er sagt, ah wirklich. Und bis zum Hals in steirischem Akzent. Ich hab ja nichts gegen einen steirischen Akzent im speziellen. Ich will gar keinen österreichischen Akzent hören, nicht so nah, und schon gar nicht an mich gerichtet. Aber so sind wir plötzlich in einem Gespräch und während ich weiterhin konzentriert in meinen Spiegel schau, versuche ich s mit einer unverbindlichen Bemerkung: Schau an, die Langhaarigen sind aus Österreich. Und er beginnt eine Geschichte darüber, dass er schon befürchte, hier jemandem zu begegnen, den er gar nicht sehen will, es gäbe da einen, den er im Sinn habe, von dem er nur darauf warte, dass er ihm hier den Weg kreuze. Was für eine seltsame Erzählung von jemandem, dem ich gerne aus dem Weg gegangen wäre. Nein, nein, sagt er, das wäre gerade sein Pech, dass ihm der hier über den Weg laufe. Ich sag jetzt gar nichts mehr. Da lässt sich schon eine Grenze zur Paranoia ziehen, wenn man allgemein einer Gruppe von Menschen nicht unbedingt begegnen möchte oder aber fürchtet, dass einem eine konkrete Person bis nach Japan gefolgt ist.

Was ich denn heut noch so vorhab, fragt er mich unvorbereitet. Ich sag, ich ginge jetzt was essen. Ob du s glaubst oder nicht: Ich tätert da mitkommen. Uff. Uff oder brrrr. Das ist doch unmöglich. Weil wir unsere Steuern in das gleiche Umverteilungssystem einzahlen, muss ich jetzt FreundInnen mit jemandem sein? Woher kommt dieser Umgang sonst. Ich mein ja, der war schon auch ein bisserl besonders und es gibt ja so Leute, die sagen, Ablehnung ist mir wurscht, wenn ich oft genug einmal jemanden frag, dann komm ich auch unter. Aber ich, ich hab jetzt lügen müssen, wenn ich sag ah, hm, na, ich treff jetzt Freunde. Lügen und nicht mal gegendert. Aber damit war die Sache wenigstens gegessen. Das hat er akzeptiert. Und wahrscheinlich war für ihn die Sache damit auch erledigt, ich hab halt noch tagelang drüber nachgedacht, woher das kommt, dass mich jemand mit dem Verdacht anspricht, dass ich ein Österreicher bin. Hab ich gar die Bundeshymne vor mich hingesummt? Schien mir das Bundesadlertattoo durch s Trägerleiberl? Hat sich mein Telefon auf den die rot-weiß-rote Fahne wehen lassenden Bildschirmschoner umgeschaltet? Oder sind mir Muttererde und Vaterland gar garstig ins Gesicht geschrieben?

Hier haben mir meine UdonladenfreundInnen eine Liste mit Dingen gemacht, die ich mir in Japan anschauen soll. Ist das nicht total herzig, wie viel Mühe sie sich mit dem Einleitungstext gemacht haben? Und dann vier Punkte von ihrer eigenen Zehnerliste ausgefüllt. Mehr ist ihnen nicht eingefallen, haben sie lachen gesagt. Eh. Und ich merk grad, dass ich heute aus Osaka raus bin, ohne in Sakai gewesen zu sein. Aber immerhin bin ich jetzt in Kanazawa, auf die Idee wäre ich von allein nicht gekommen.

Es war dann gar nicht so gelogen, hab ich mir zurechtgelegt, weil ich bin wieder in meine Udonbar gewandert. Und das waren ja durchaus FreundInnen, hab ich dem Echo des seltsamen Steirers in meinem Kopf gegenüber gerechtfertigt. Bloß, die Udonbar war zu, schaumaleineran. Wie ungut, nicht nur weil ich doch gerne noch einmal Hallo gesagt hätte, sondern auch weil mich dieser Öffnungszeitenfauxpas doch jetzt erst recht ein bisschen in die Unwahrheitsecke stellen würde. Na denn, sag ich mir: new friends it is. Bin ich nebenan in eine Ramenhandlung gestiegen, wo ich mir Ramen in der Salzsuppe mit Shrimpsöl bestellt hab, nachdem mir der Besitzer ein Kleingeld gewechselt hat und mich beim Automatenbedienen betreut hat. War ein bisschen salzig, leider, leider, aber dafür war der Besitzer umso freundlicher. Es ist schon immer ganz interessant, welche Assoziationen die Menschen bei Österreich haben. Hier bin ich dem Klassiker begegnet, hat er eine GeigenspielerIn gemimt und die schöne Musik gelobt. In Osaka hat mir die Hostelbesitzerin von der Seite ein beer! ins Gespräch geworfen, das ich mit der Eincheckerin geführt hab. Aber ja, Osaka. Davon wusste ich ja noch gar nichts, während ich mit meinem neuen Freund der Ecuadorianerin zugeschaut hab, die gegen die Thailänderin in der Karaoke Talentshow gewonnen hat. Ja, das hab ich nicht ganz verstanden, aber das japanische Fernsehen ist ja berühmt dafür, von Nicht-JapanerInnen nicht verstanden zu werden. Das Programm war schon am Ende und sie war dann auch die einzige, die ich noch gehört hab. Sie hat schon gut gesungen, aber ich würde mir ja schwer tun, jemandes Karaokegesang zu bewerten. Aber deshalb gibt s natürlich eine ganze Handvoll professionell begeisterbarer JujorInnen, da bleibt das so oder so nicht an einer allein hängen. Und dann hat sie zwei Punkte mehr gehabt oder was. Die Thailänderin war nicht glücklich, aber sie hat ihr Gesicht einen Moment später wieder unter Kontrolle gehabt und sich gemeinsam mit ihrer Bezwingerin über deren Sieg gefreut.

Ich bin dann wieder ins Hostel zurück. Man glaubt s nicht, aber ich hab dabei schon wieder einen Fächer geschwungen, den mir diesmal der Herr Gastgeber persönlich zum Abschied verehrt hat. Das ist schon erstaunlich, weil das ist ja zentral gelegen und in Hiroshima steigen doch viele TouristInnen ab. Hab ich mich gefreut und mich dankend verabschiedet. Daheim bin ich dann schnell in meine Kapsel geschlupft. Früher Zug und so. Sicher, ich wollte mich auch nicht mit meinem Metalhaberer ob auf Basis unserer Herkunftsverwandtschaft zusammensetzen. Bin doch nicht blöd, mir jetzt noch den schönen Abend und die feinen Hiroshimaerinnerungen zu riskieren!

Fritz-San, I was wondering…

…what do you miss most, in Japan?

Du meinst jetzt insbesondere in Japan? Das ist nicht schwer: Ich hab die ersten zehn bis vierzehn Tage in Japan einfach kein Obst gegessen. Weil es gab irgendwie einfach keins. Wer sich erinnert, erinnert sich, dass ich auf Tahiti dauernd ein Obst gegessen hab, weil s da war. Das ist quasi das Plädoyer für den Obstkorb, für den Apfeltag. Stattdessen hab ich auffällig mehr Lust auf Wegwerfgetränke gehabt, sprich: Fanta Pflaume und gesüssten Tee. Und was auch immer Calpis Soda ist. Irgendwoher brauch ich meinen Zucker.
Das ist natürlich nicht ganz richtig, dass es kein Obst gibt, weil es gibt Obst. Was mich aber so sehr irritiert, dass es mich abgeschreckt hat, war, dass das Obst erstens anders ausschaut als bei uns und zweitens mehrfach verpackt ist. Und wenn ich sag „anders ausschaut“ dann mein ich, dass es größer ist. Ungelogen: die Weintrauben haben jede zirka die Größe von Golfbällen, die Pfirsiche haben den Durchmesser von einer Kaisersemmel. Und die Äpfel sind auch zehn bis zwanzig Prozent größer. Aber zehn bis zwanzig Prozent von den größten Äpfeln, die s bei uns gibt und bei denen bin ich ja oft schon skeptisch. Und wenn die jetzt in Orangengröße (Navelinas!) daherkommen, dann ist das unheimlich. Und das große Obst ist großteils in so weißen Kunststoffnetzen verpackt. Wie… wie Nashi-Birnen. Oder Weinflaschen manchmal. Wo die Kunststofffäden des Kunststoffnetzes so Udondicke haben. Ja! Irgendwie vergeht s einem da.
In Nagasaki hab ich mir dann einmal vier Feigen gekauft. Die waren nur in so einer Schale und in Plastik eingeschweißt. Wie Schweinefleisch oder vier Limetten beim Spar. Die Feigen waren dann ziemlich gut, aber ich hab mich ein bisschen sehr gierig über sie hergemacht, hab ich mich beobachtet. Bisschen wie die sprichwörtlichen Verdurstenden. Da hab ich gemerkt: das geht mir schon ab.

…what experience do you keep avoiding?

Auch auf das hab ich spontan eine relativ einfache Antwort: die Vielfalt der Getränkekarte, insbesondere Sour- und Highballgetränke. Es ist-a-so. In Japan trinke ich mehr Alkohol, als ich in den Monaten zuvor an Alkohol getrunken hab. Wiederum: weil er verfügbar ist. In jeder dieser Antworten ist eine kleine Public-Health-Message versteckt. Bier ist teuer, aber nichts besonderes. Wir finden Bier im Supermarkt, ich fand Bier in Nagasaki im Automaten. Restaurants werben mit Bier und überhaupt kriegt man oft einmal eine eigene Speisekarte für Getränke oder eben: Getränkekarte. Und auf der Getränkekarte gibt s oft zwei Bier zur Auswahl (mittel und klein) und dann eine Vielzahl von Sour-Getränken und vor allem Highballs. Es ist nämlich so, dass es vollkommen normal ist, zum Essen einen Whisky Soda zu trinken. (Nota bene: ich bin nicht sicher, ob der japanische Whisky nicht vielleicht ein Whiskey ist, aber nachdem er sich mehr nach dem schottischen orientiert, sagen wir mal, es handle sich eher um Whisky.) Und muss nicht unbedingt ein Whisky sein, darf auch was anderes Hochprozentiges sein, aber nachdem Japan ja durchaus auf seinen Whisky stolz sein kann ist es doch vor allem Whisky. Und das kriegt man dann auch zum Beispiel im Supermarkt fertig in der Dose.
Die Sour-Getränke wiederum sind nicht Zitrone und Zuckersirup geschwenktes Hochprozentiges, sondern in verschiedenen Geschmacksrichtungen gefärbter Shochu. Von Zitrone bis Kirsch, von Calpis bis Macha und noch viel, viel geheimnisvollerem finden sich auf den meisten Getränkekarten zumindest fünf solche Geschmäcker zur Auswahl.
Und das hab ich bisher einfach ein bisschen vermieden. Ich trink tatsächlich quasi unüberlegt ein Bier zum Abendessen, nachdem meine Augen die Vielfalt der jeweiligen Getränkekarte überflogen haben. Einmal hab ich ein derartiges Sour-Getränk bestellt, schlagmichtot, ich könnte dir nicht einmal sagen, was das für ein Geschmack war. So wie ich mich kenne irgendwas exotisches. Es war wahrscheinlich auch nicht schlecht, aber es hat mich nicht dazu bewegt, mich in die Untiefen des Regenbogenshochu zu stürzen.

…what made you change your mind, like, generally about Japan, it seemed you were not having the best of times in the first couple of days?

Nu, das ist eine treffende Beobachtung. Ich hab mir am Anfang wirklich etwas schwer getan und ich bin jetzt an einem Punkt, wo s mir wirklich gut gefällt. Erzähl s nicht weiter, aber unter uns denk ich mir manchmal, dass Japan doch vielleicht ein bisschen das ist, wo mich meine Reisen hingeführt haben. Also nicht nur faktisch, dass ich jetzt da bin, sondern dass es so ein Ziel gewesen ist, das mir nicht bewusst war. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass Japan so eine Fantasie war, die ich in jungen Jahren gehabt hab und die ich irgendwann zwischendurch abgeschrieben hab, als zu weit, zu teuer, zu fremd und alles was ich über Japan denke, eh auch viel zu romantisch. So in einer Zeit wo mir vielleicht viele Träume ein bisschen entglitten sind, als mich das Hier-und-Jetzt vielleicht ein bisschen erschlagen hat. Und dann ist Japan irgendwie Anime und Mangas geworden und damit hab ich ja auch nicht wirklich angefangen beziehungsweise was anfangen können. Grad so die erste Staffel Sailor Moon, das geht noch. Aber das zählt ja gar nicht wirklich, bin ich sicher. Ich mein, wie oft hab ich Cowboy Bebop empfohlen bekommen von Leuten, die ich schätze. Wie oft hab ich mir gedacht, dass ich mich nochmal vor Prinzessin Mononoke setzen soll. Aber selbst Ghibli ist für mich Nausicaä und der Nachbar Totoro geblieben. Und dann noch eine kurze Go-Phase, in der eine Begeisterung Platz gehabt hätte, aber nein, hab ich Japan Japan sein lassen. Und vielleicht ist es das ein bisschen, dass ich an was anschließen kann, das ich aufgegeben habe. Oder es ist etwas, wo ich auf eine Gesellschaft treffe, die in vieler Hinsicht so ähnlich funktioniert, wie meine, die aber dann doch wieder ganz fremd ist. Vielleicht ist es aber auch ganz was anderes, dass ich mich jetzt langsam doch beim Reisen souverän empfinde, dass ich, aus Tokio heraußen, mit meinen HostelvermieterInnen Kontakt schließe und auch mit der einen oder dem anderen JapanerIn eine kurze Unterhaltung habe. Dass ich entdecke, dass sich Leute auf der Straße in die Augen schauen. Dass JapanerInnen überraschend herzlich, hilfsbereit und… naja, die Aliteration stößt mich hier auf „heteronormativ“. Aber das biegt mein Argument ein bisschen in die falsche Richtung. Ja, es gibt auch Sachen, die ich gerade weil mir die Modernität, die Westlichkeit und mehr noch der Touch einer skandinavischen Fortschrittlichkeit so im Fokus sind, die mir deshalb besonders gegen den Strich gehen. Zugegeben, ich hab mittlerweile auch junge Männer in ihre Hand lachen sehen, aber ich hab auch von JapanerInnen bestätigt bekommen, wie konservativ die Geschlechterrollen vielerorts gehandhabt werden. Und ja, das sind meine größten Probleme und ich beschwer mich am ehesten über Geschlechterverhältnisse im von mir zu beobachtbaren Alltag und von mir als rücksichtslos empfundene Plastiksackerlverwendung und scheinbar mangelnde Mülltrennung, ausgerechnet. Dann wiederum hat mir die wahlkabine.at letztens empfohlen die Grünen zu wählen, also vielleicht doch nicht so überraschend, dass das meine Themen sind. (Zum ersten Mal seit Beginn der Aufzeichnungen nämlich, ich bin bisher immer etwas mehr mit bekennender linken Formationen assoziiert worden.)
Ja, nein. Ich bin ein bisschen mehr angekommen in Japan, als ich gedacht habe, dass es sich ausgehen wird. Und das hat mit mir zu tun und das hat mit Japan zu tun, das anders ist, als ich es nach den ersten Tagen in Tokio befürchtet hab.

so, I know that technically, following the rules laid out by Alex Horne, this game is played only for three questions, but the Fritz-San, literally the first words on this page, is that strictly necessary, seems a bit weird.

Ja. Eh. Aber erstens, wenn du weißt, dass es technically three questions sein sollen, dann solltest du auch wissen, dass es über meine Antworten eigentlich leichte Musikuntermalung geben sollte und dass das Spiel halt so geht, dass man den Namen vorher sagt. Und weißt du was, ich bin so genannt worden und das war nett. Und dann hab ich gemerkt, wie sehr ich mich freu darüber, so genannt zu werden. Und dass mir das auch ein bisschen bedeutet hat, wie gut ich hier angekommen bin. Ich mein, das soll eigentlich in den Hiroshimaaufsatz, weil der ist finster genug. Aber ich war in Hiroshima am ersten Abend in einem sehr netten Lokal, wirklich mehr zufällig. Und dann war das so nett, dass ich am zweiten Abend wieder hin bin und dann haben sie mich gefragt wie ich heiß und ich hab s ihnen gesagt und ein paar Minuten später hat sie irgendwas zu ihm gesagt, was wahrscheinlich geheißen hat, dass sie mir jetzt diesen Teller bringt, auf jeden Fall hat sie dabei Fritz-San gesagt und das hab ich nett gefunden und ich muss wohl ein bisschen viel gegrinst haben darüber, dass es ihr aufgefallen ist, dass sie das gesagt hat und ich das verstanden hab und zurückgelächelt hat. Und das ist irgendwie auch die ganze Freude über Japan zusammengefasst, dass ich eine wechselseitige Beziehung mit JapanerInnen wahrnehme.

Die Überraschungen von Nagasaki

Zuerst einmal hab ich festgestellt, dass Nagasaki die schönsten Straßenbahnen hat, die ich je gesehen hab. Nicht nur Parkett am Boden ist und Bleiglasfenster in den Fenster, wenn s wie gestern einmal heiß ist, wird schnell einmal ein Bambusrollo heruntergelassen, damit die Leute auf ihren gepolsterten, bunten Sitzplätzen nicht in der Sonne sitzen müssen. Und Straßenbahnfahren geht so: Man steigt hinten ein und dann ist da ein Automat und ich war sehr hilflos gegenüber dem Automaten und hab dann eine Mitfahrerin gefragt, ob sie mir helfen kann und die war ausgesprochen nett, wie ich s jetzt doch schon ein paar Mal erlebt hab. Hilfsbereit und bisschen mit Englisch und sonst einfach auf Japanisch weiterreden und sich entschuldigend, lachend. Über kurz oder lang hab ich dann verstanden, dass der Automat nur dafür da ist, Geld zu wechseln, damit man, wenn man beim Aussteigen bei der FahrerIn bezahlt, das Wechselgeld parat hat. So bin ich dann die ganze Fahrt mit meinem Wechselgeld in der Hand dagesessen und dann schmeißt man s vorne erst nur in eine Maschine hinein. Aber sowohl der Wechselautomat als auch die Bezahlmaschine hat beides so eine Klobigkeit, da merkt man die Mechanik noch, wenn das rattert. Und der Fahrer hat sich tatsächlich bei jeder einzelnen Person beim Aussteigen bedankt.

Dieser Bach, der da durch die Stadt fließt, das ist einfach so schön. Und oft einmal hab ich darin einen Reiher stehen sehen und einmal sogar einen Eisvogel. Kann bitte jemand den Wienfluss so umgestalten und zwar bis in die Stadt hinein?

Die JapanerInnen haben s sehr mit der Automatisierung. So sagt man. Das sei etwas, was den JapanerInnen aus aller Welt zugeschrieben werde, hab ich irgendwo gelesen. Das interessante ist, dass wirklich viele Automaten herumstehen, für Fahrkarten, für Getränke, für Zigaretten, für Museumstickets. Aber gleichzeitig sehe ich nicht, dass deswegen weniger Leute angestellt sind. Für alle zwei Museumsticketsautomaten gibt s einen Schalter an dem eine Person sitzt, dann gibt s zumindest eine Person, die mich darauf hinweist, wo die Automaten sind und wie sie funktionieren, vorher bin ich schon zwei Personen begegnet, die mir den Weg weisen und dann gibt s noch zwei Leute, die darauf schauen, dass ich mein Ticket hab oder aber, die mich dabei unterstützen, wenn ich mein Ticket durch einen weiteren Automaten auf seine Gültigkeit überprüfen lasse.

Am wildesten hab ich das empfunden, als ich in Tokio auf den Zug gewartet hab und an jeder Tür Frauen in einer rosa Uniform gestanden sind (na gut, es war so ein bisschen ein Lachston, aber es macht s nicht viel besser) und an jedem Waggonende noch jeweils zwei Männer in blauen Uniformen (jetzt aber wirklich). Und dann ist der Zug gekommen und die Leute sind ausgestiegen und bevor man einsteigen durfte (wir haben uns derweil schön dort angestellt, wo am Boden angezeichnet ist, dass und in welche Richtung man sich anzustellen hat), sind die Damen und Herren in den Zug gesprungen. Die Frauen haben geputzt, die Männer haben repariert. Fünf Minuten später sind alle aus dem Zug raus, abgehakerlte Checklisten in den Händen und fertig war er für die neuen PassagierInnen.

Über Geschlechterverhältnisse gäb s sicherlich einiges zu sagen. Der Absatz gibt eh schon den schlimmsten Eindruck wieder. Was mir allerdings noch aufgefallen ist, dass sich Frauen oft einmal die Hand vor den Mund halten, wenn sie lachen. Und das ist sehr inkonsistent, ist mir mittlerweile aufgefallen, aber es gibt das und das kommt in allen möglichen Situationen vor: wenn sie zu zweit nebeneinander gehen, wenn man gemeinsam am Tisch sitzt, auch mir gegenüber, aber tatsächlich kann das in einem Gespräch zweimal Handvorhalten, zweimal Nichthandvorhalten sein. (Jaja, viermal Lachen ist keine Seltenheit, ich bin sehr amüsant.) Und jetzt kann ich mich vielleicht auch gar nicht gut erinnern, Männer überhaupt viel lachen gesehen zu haben, aber auf jeden Fall nicht, dass sie sich dabei die Hand vorhalten würden. Jedenfalls hab ich unlängst zwei Kinder miteinander spielen sehen und ohne da mit meinen Geschlechtszuschreibungen übergriffig werden zu wollen: Es war ein Mädchen und ein Bub. Und sie war vielleicht zweieinhalb und er war fünf oder so. Und sie laufen so herum und als sie dann lacht, hat sie sich die Hand vor den Mund gehalten. Das hat mir ein bisschen das Herz gebrochen, hab ich gemerkt.

Aus der Serie „Fotos die zur Gartengestaltung inspirieren“. Die machen das schon schön mit den Steinen, hier in einem kleinen Park. Nagasaki liegt in die andere Richtung, aber die Fotos sind dementsprechend alle gegen das Licht und komplett zu vergessen. Ein bisschen hab ich mir gedacht, ich steh am nächsten Tag früh auf, weil das eine wirklich schöne Aussicht war. Aber bin ich dann natürlich nicht.

Nagasaki ist jedenfalls ganz herzig. Zum Beispiel bin ich plötzlich in einem Chinatown gestanden und da hab ich mir zuerst gedacht… ja? Aber warum nicht. Man lernt ja überhaupt ein bisschen mehr, dass Asien vielfältig ist. Und Nagasaki war über viele hundert Jahre tatsächlich so das Tor zu Welt für Japan. Es gibt eine große chinesische Gemeinschaft und Nagasaki war der einzige Hafen, an dem europäische Schiffe andocken konnten. Deshalb sind auch immer schon relativ viele europäische Bauten Teil des Panoramas gewesen. Es gab so eine Insel, auf der immer noch diese europäische Häuser stehen und auf der die EuropäerInnen interniert waren, solange sie sich in Nagasaki aufgehalten haben. (Mal wieder vor allem die NiederländerInnen, was irgendwie ganz interessant ist, was die in der Welt herumgekommen sind, seinerzeit.) Und das war, so sagt die Tafel, damit das Christentum sich nicht verbreitet. Hat dann auch gar nicht so gut funktioniert und es gibt eine relativ große christliche Gemeinde in Nagasaki. Es war auch eine der größten, wenn nicht die größte Kirche in Japan, die unter der Atombombe zerbröselt ist.

Es ist ja zuerst einmal überraschend, dass man hier überhaupt sein kann. Dass man an der Stelle stehen kann, wo fünfhundert Meter darüber vor nicht so langer Zeit eine Atombombe explodiert ist. Weil zum Beispiel ist meine Geburt vom Atombombenabwurf weniger weit entfernt als ich heute von meiner Geburt entfernt bin. Oh ja. Dadurch, dass die Bombe so weit über der Oberfläche explodiert ist, ist viel von der Alpha- und Betastrahlung gar nicht wirklich bis zum Boden durchgekommen. Und trotzdem sind die Zahlen unvorstellbar und während man nach dem Museumseingang vor allem geschmolzene Flaschen, verbogene Stahlträger und angeschmolzene Dachziegel sehen kann, wo die technische Seite ja durchaus noch faszinierend sein kann, geht s dann sehr schnell um menschliche Opfer, um Verbrennungen, Verstrahlungen und sehr viele Aufzeichnungen, persönlicher Erfahrungen. Und dabei ist es sehr gut gestaltet, fand ich. Ich hab mir allerdings schon ein paar Mal gedacht, ob da mal jemand mit einem Geigerzähler durchgeht, insbesondere nachdem ich Sätze gelesen habe, wie dass die tatsächliche Wirkung radioaktiver Strahlung nicht letztlich verstanden werde. Da sind mir so Sätze eingefallen, wie in Fukushima angeblich die politische Führung ziemlich schlecht mit Aufklärung gewesen sei und überhaupt die ganze Sache mit der Radioaktivität nur mittel behandelt werde, von offizieller Seite. Im Museum gab s hingegen schon auch Videoaufzeichnungen von Menschen, die sozusagen sekundären Schaden durch die Atomindustrie erlitten haben, Menschen die in der Nähe von Versuchsgeländen leben, Menschen, die im Uranabbau gearbeitet haben und so. Aber irgendwie kam mir das ein bisschen unterrepräsentiert vor, was denn da Langzeitwirkungen sind.

Das Monument am Hypozentrum

Auch interessant, weil unterrepräsentiert, dass die Geschichte, die zum Abwurf der Atombombe geführt hat, im ersten Raum mit 1943 beginnt. Für den japanischen Imperialismus ist auch nicht viel Platz gewesen. Und dann wiederum hab ich mir gedacht, das wäre schon ok, die Atombomben sind ein historischer Moment, ein Verbrechen für sich und müssen, können nicht als (zu rechtfertigende) Konsequenz von irgendwas gesehen werden. Aber ein bisschen ist mein Verdacht halt, dass das insgesamt eine Zeit ist, die nicht gut aufgearbeitet ist. Ich hab dann einen kleinen Fernseher gefunden, auf dem ein paar Videos abgespielt wurden über die Eroberung Koreas und der Mandschurei, über die Eskalation, die Streiterei mit den Vereinigten Staaten und dann irgendwann einmal The Rise of Fascism. Wie gesagt, vielleicht bin das ich, der ich das wissen möchte und es ist gut, dass der Fokus auf der Atombombe und der aktuellen Bedrohung liegt.

Am Ende der Ausstellung war noch ein Aufruf, den der Bürgermeister von Nagasaki getätigt hat, ich glaub, vor den Vereinten Nationen und da nimmt er auch Japan mit in die Verantwortung, sich stärker für die Nicht-Herstellung, Nicht-Lagerung und Nicht-Verbreitung von Atomwaffen einzusetzen. Auch das fand ich interessant, weil es mir erschien, als ob die Erfahrung, atomar bombardiert worden zu sein, nur bedingt Teil des gesamtjapanischen Selbstverständnisses ist, sondern sehr spezifisch und lokal. In einem der ausgestellten Texte von Überlebenden hat die Person davon gesprochen, dass sie mit einem Stigma lebt, mit dem Stigma der atomaren Krankheit, die nicht zu heilen sei. Es hat auf mich so seltsam gewirkt, viele Texte sprechen von der großen Solidarität nach der Explosion, von der gegenseitigen Unterstützung und Hilfeleistung. Aber diese Bemerkung über das Stigma hat bei mir den Eindruck hinterlassen, dass man sich auf gesellschaftlicher Ebene nicht mehr damit auseinandersetzen wollte, dass die Überlebenden mit ihren Traumata, ihren Verletzungen und Erinnerungen doch weitgehend alleingelassen wurden.

Neben dem Museum liegt das Hypozentrum, ein Park, in dem die Stelle markiert ist, über der die Atombombe explodiert ist. Das ist vielleicht überhaupt der große Unterschied, den es hier zu erleben gibt: Man kennt den Pilz einer Atombombe, wahrscheinlich begegnet man dem Bild öfter, als man glaubt. Aber die Aufnahmen sind, notgedrungen, in der Regel von oben, aus der Sicht der Abwerfenden. In Nagasaki stehe ich an der Stelle, die unterhalb des Pilzes liegt, ich sehe die Häuser, die Straßen, die Spiel- und Sportplätze. Das ist schon berührend, da so mittendrin zu stehen, aber auch unheimlich.

Interessant ist schon, wie die Dokumentation von damals uns die Namen der Piloten und des Flugzeugs und der Bombe selbst hinterlassen hat. Es macht das Ganze so spezifisch und fast ein bisschen surreal. Und natürlich die Rolle der Piloten, die zwar ein primäres und ein sekundäres Ziel hatten, also relativ wenig Entscheidung ihnen selbst überlassen worden ist, aber trotzdem. Nagasaki hätte zuerst gar nicht das Ziel für die zweite Atombombe sein sollen. Aber über Kokura lag eine Wolkendecke und auch über Nagasaki hätte der Bomber bald abgedreht, hätten sie nicht durch die Wolken dann die Munitionsfabrik entdeckt. Aber natürlich wussten sie auch, dass da auch eine Schule und eine Kirche und ein Kriegsgefangenenlager und eine ganze Stadt drumrum ist.

Auf der anderen Seite des Hypozentrums liegt der Peace Park. Das ist ein Gelände auf dem diverse Skulpturen stehen, die den Willen für Frieden repräsentieren, die von verschiedenen Ländern, Städten und Regionen überreicht wurden. Naturgemäß tragen viele davon die Inschrift von Ländern, die es nicht mehr gibt, als es den Sozialismus noch in echt gab, war die ganze atomare Bedrohung noch greifbarer. So viele der Statuen stellen Frauen und Kinder dar, so sehr, dass es mich schon wieder einmal ein bisschen nachdenklich gemacht hat. Es wirkt dann so, als ob Männer keinen Platz unter den Opfern hätten. Letztlich erscheint mir das nicht wirklich als ein Aufruf für eine friedliche Gesellschaft, wenn die Repräsentation des Friedens sich nur auf eine Hälfte der Bevölkerung bezieht. Gerade auch die sozialistischen, mit ihrer damals doch oft fortschrittlicheren Geschlechterpolitik und dann sind s erst wieder die Mütter und der Nachwuchs, der die Männer daran gemahnen soll, dass Bomben bauen nicht alles ist. Zugegeben, die Plastik aus der DDR war übersät mit sozialistischer Ikonografie: Bauern, Arbeiter und Frauen gemahnen hier an eine friedliche Welt.

A word from the Sculptor
After experiencing that nightmarish war,
that blood-curdling carnage,
that unendurable horror,
who could walk away without praying for peace?
This statue was created as a herald
for the struggle for global harmony.
Standing ten meters tall,
it conveys the profundity of knowledge and
the beauty of health and virility.
The right had points to the atomic bomb,
the left hand points to peace,
and the face is in solemn prayer for the victims of the war.
Transcending the barriers of race
and evoking the qualities of both Buddha and God,
it is a symbol of the greatest determination
ever known in the history of Nagasaki
and of the highest hope of all mankind.

Seibo Kitamura
Spring 1955

Der Peace Park enthält außerdem einen Springbrunnen im Gedenken daran, dass es für viele, die durch die Atombombe verbrannt und verstrahlt wurden, kein Wasser gab und sie zumeist um Wasser bittend gestorben sind. An vielen Gedenkstellen stehen wohl deshalb neben Blumen auch oft Wasserflaschen. Das hat schon eine besondere Wirkung, wenn im Gedenken so konkret auf das Leiden vor dem Tod Bezug nimmt.

Neben Blumen und Wasser werden Origamikraniche zum Gedenken aufgehängt. Sadako Sasaki war ein Mädchen in Hiroshima, die den Atombombenabwurf zunächst überlebt hat, aber als Teenager dann Leukämie bekommen hat. Einer alten japanischen Geschichte zufolge, lassen eintausend Origamikraniche einen Wunsch in Erfüllung gehen und sie hat dann auch hunderte gefalten. Gestorben ist sie natürlich trotzdem. Aber sie und die Kraniche sind so zum Symbol geworden, für die Kinder, die Opfer der Atombomben wurden und Leute bringen gefaltene Kraniche, tausende, oft in bunten Schlangen zusammengenäht, manchmal in Reliefe geklebt. Ich finde das eine wirklich schön, weil es doch dauert, so einen Kranich zu falten. Interessanterweise habe ich festgestellt, dass ich seit einigen Jahren meinen Kranich etwas anders falte, als ich hier erinnert worden bin. Aber so oder so brauche ich durchaus fünf Minuten für einen, vielleicht könnte ich etwas präziser sein, wenn jeder Falz beim ersten Mal sitzt, dann ging s etwas schneller. Aber so bin ich fünf Minuten beschäftigt, leicht meditativ und danach habe ich ein Objekt in der Hand, als Zeichen meiner Versenkung und das dann wo abzustellen: es schenkt im wahrsten Sinne Zeit, das unschenkbare Geschenk.

Eine Statue Sadakos vor dem Friedensmuseum, daneben Kranichschlangen.

Natürlich ist es nicht das erste Mal, dass ich mit einer Seite der Menschheit konfrontiert, wo ich mich wunder, wie die Leute drumherum mit der ständigen Gegenüberstellung zurechtkommen, wie Normalität dem gegenüber möglich ist. Wie da ein Friseur sein kann, zweihundert Meter vom Hypozentrum entfernt. Aber es geht natürlich einfach so. Zehn Minuten später kommen mir lachende Taxifahrer entgegen (siehst, doch lachende Männer, ohne Hände vor dem Mund), Teenager vor dem Einkaufszentrum und dann beobachte ich schon wieder Graureiher und Schwarzmilane, die in den Kanälen waten respektive über der Stadt ihre Runden drehen. Heute hab ich mein Fernglas mit.

Tagesausflug und nächtliche Begegnung

Es ist fast ein bisschen enttäuschend, dass der Lonely Planet sagt, dass Kagoshima sowieso und gleich einmal die netteste Stadt in Japan ist. Hat s es damit schon wieder oder was? Auf jeden Fall hatte ich gestern ein Gespräch mit der einen Restaurantbesitzerin oder -angestellten, ist ja auch egal, die aus dem Lokal gekommen ist, nachdem ich ein bisschen davor gestanden bin und mit mir zu reden angefangen hat. Und das bin ich nicht gewohnt, bin ich nicht mehr gewohnt, hätte ich mir nicht erwartet. Und ich weiß nicht genau, was das war, weil sie hatte eh keinen Platz und dann haben wir aber ein bisschen geredet und vor allem war s interessant, um zu sehen, wie manche Laute einfach nicht ins Japanische passen. Da war natürlich eine R-L Sache, die nicht so einfach war, aber insbesondere die Geschichte mit dem H und dem F. Das ist für jemanden, der so heißt wie ich, nicht so einfach. Und wenn sie mir sagt, dass das Lokal hurr ist, dann hab ich mir wirklich etwas schwergetan, abgesehen davon, dass ich schon verstanden hab, dass sie keinen Sitzplatz mehr hat. Und der vermeindliche bread train, mit dem ich in der Regel unterwegs bin, das ist ein bullet train, ein Shikansen. Weil wenn man mal keinen Vokal zwischen zwei Konsonanten braucht (und einer von den beiden kein N oder M ist, jaja, so einfach ist das auch wieder nicht), dann macht man halt ein U. Deshalb hab ich für meinen Namen damals im Karatekurs auch ein Hu Ri Tsu auf den Gürtel geschrieben bekommen.

Kagoshima hat seinen eigenen Vulkan vor der Tür. Say hello, Sakurajima.

Und in der Nacht war dann der Typ, der am Code meiner Zimmertür gescheitert ist. Also, meine Schlafsaalzimmertür. In Wahrheit war s erst Abend, als jemand also ein paar Mal daran gescheitert ist, den Code richtig in die Tür zu tippen. Ich hab mir gedacht, dass sind die von nebenan, die stehen einfach an der falschen Tür: Falsche Tür oder falscher Code, das Ergebnis ist ein ähnliches.

Sir, said I, or Madam truly your forgiveness I implore
But the fact is, I was napping
And so gently you came rapping
And so faintly you came tapping

Tapping at my chamber door that I scarce was sure I heard you
Here I opened wide the door…

Er war dann immerhin betrunken und seine Frau ist ein bisschen genervt am Küchentisch gesessen. Ich dachte ja, der wohnt mit ihr im Nebenzimmer, aber in dem Hostel war streng getrennt, die Bubenschlafsäle und die Mädchenschlafsäle. Dementsprechend hab ich ihm dann auch gedeutet, dass er wohl an der falschen Tür sei. Und er hat mir auch durchaus zugestimmt, also zumindest hat er meine Gestik imitiert, aber seine Handlungen sprachen eine andere Sprache! Jaja, hat er gesagt und hat mich ins Zimmer zurückgedrängt ist an mir vorbei und hat sich in das leere Bett gelegt. Na gut, hab ich gedacht, dann schlafst dich halt aus. Und ich hab bis in der Früh gedacht, der wollte sich einfach nur hinlegen, weil das halt manchmal notwendig ist, dass man sich hinlegt, ab einem gewissen Punkt. Ich bin dann draufgekommen, der hat wirklich hier sein Bett gehabt, als er am nächsten Tag beim Ausziehen sein Rollwagerl mitgenommen hat. Und das hat auch erklärt warum der dritte in unserem Zimmer, sich das Bett über mir genommen hat, was ich eine seltsame Entscheidung gefunden hab, wenn man annimmt, es sind nur zwei Personen, die sich zwei Stockbetten teilen. Ach ja, Hostelleben.

Heute wissen wir, dass man seinen Dinosaurierpark nicht auf einem aktiven Vulkan bauen soll, aber man sieht, das sind etwas ältere Modelle. Ich hab den wirklich gern, weil er ein bisschen so ausschaut, als sei er absichtlich so gemacht, dass er im Sumpf steht. So hat man sich das früher einmal vorgestellt.

Auf jeden Fall hat ist er schnell eingeschlafen, aber er hat auch im Schlaf noch sehr viel geredet und geschnauft, der Herr Kollege vom Bett nebenan. Und ich hab mir noch gedacht, das tut mir urleid gegenüber dem, der da im Bett über mir liegt, weil dem hab ich da jetzt einfach so eine Schnarchnase ins Zimmer gelassen, anstatt ihn irgendwie abzuwehren und was weiß man schon. Natürlich hab ich auch für mich ein bisschen gedacht, blöd, dass ich jetzt nicht schlafen kann. Aber als ich dann mein Buch weggelegt hab, es war ja wirklich kaum erst zehn, wie der betrunken heimgekommen ist, bin ich tatsächlich schnell einmal eingeschlafen. Ich erinnere mich zwar, zumindest das Gefühl gehabt zu haben, Ewigkeiten lang nicht einzuschlafen, weil ich die Geräusche von nebenan dauernd im Ohr gehabt hab. Aber in Wahrheit war das insgesamt eh eine erholsame Nacht, würde ich sagen.

Am nächsten Morgen steig ich in die Gemeinschaftsküche und da sitzt schon die Frau Gattin und entschuldigt sich bei mir, so wie sie sich auch in der Nacht bereits immer wieder entschuldigt hat. Ebenso er, darf man nicht vergessen, entschuldigen hat auf jeden Fall funktioniert. Aber jetzt drückt sie mir noch ein Sackerl in die Hand, während sie sich entschuldigt für noisy. Die kennt ihren Mann. Ah wo!, sag ich, das wäre nicht nötig. Interessant, denk ich mir, dass ich auf Englisch rede, wenn ich weiß, dass sie mich nicht versteht und sie im selben Wissen auf Japanisch redet. Natürlich, die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass sie was versteht. Aber wir kommunizieren eh vor allem über Tonfall. Na gut, sag ich, vielen Dank.

Mehr Sauropoden! Hier zumindest der am Boden liegende Schwanz, ist auch schon lang nicht mehr, wie wir uns Dinosaurier vorstellen. Im Hintergrund gibt s eine lange Rutsche, die leider dem Wetter entsprechend leider in einer ziemlichen Lacke endet.

Als er dann aufsteht, entschuldigt auch er sich nochmal bei mir, obwohl ich glaub, dass ihn die Frau geschickt hat. Und dann bringt auch er mir noch ein Geschenk zur Entschuldigung. Sehr nett, wäre nicht notwendig gewesen, das passt schon, vielen Dank, war überhaupt kein Problem. Ich denk die ganze Zeit daran, dass der Typ im Bett über mir das ganze Leid mit mir geteilt hat und ich hier mit Geschenken beschüttet werde, da empfinde ich eine gewisse Schieflage.

Dazu zwei Dinge. Einerseits find ich es eh ganz ok, was da passiert ist. Das klingt jetzt irgendwie nach einer komischen Feststellung. Aber ich mein so unterm Strich, weil ich mich über den Kontakt einfach gefreut hab. Ich hab mich natürlich ein bisschen geärgert über das Rattern und Poltern im Nebenbett, aber vielleicht hab ich jetzt lang genug in Schlafsälen geschlafen, dass ich darüber wirklich mehr oder weniger gleichgültig hinwegschlafe, wenn sich in unmittelbarer Nähe jemand wälzt und plagt. Aber insbesondere das dahinterliegende Ich-muss-mich-jetzt-mal-hinlegen-alles-andere-später und später dann tatsächlich ein bis zwei authentische Entschuldigungen, wo ich nicht das Gefühl hatte, dass die von Scham überwältigt waren. Also schon gewissermaßen eine Peinlichkeit, aber etwas, worüber man reden kann. Ein Danebentreten und Bereuen und dann mit mehr Sozialkompetenz gelöst, als das gefühlt daheim gelöst werden würde. (Insbesondere, weil mein Verhalten, des Durchtauchens so gut damit funktioniert hat.) Das war schon gewissermaßen beeindruckend und ich hab so auch eine sehr echte Begegnung gehabt, kam mir vor. Wir haben uns dann wieder und wieder verabschiedet, weil wir sozusagen den gleichen Weg von der Gemeinschaftsküche (aus der sie sich verabschiedet haben) hinunter in die Café-Restaurant-Co-Working-Space-Area hatten (aus der ich mich dann wiederum verabschiedet hab). Und wenn sich so eine Ärgerlichkeit in zwischenmenschlichen Kontakt auflöst, das ist super.

Sakurajima hat außerdem einen Geopark und ein öffentlichesFußbad, wo man nebeinander einmal seine Füße ins Thermalwasser stecken kann. Aber wichtiger, dass der Regen auch die eine oder andere Katze unter die sporadischen Dächer des Onsen getrieben hat.

Der zweite Punkt ist das mit den Plastiksackerln. Ich mein, einen Moment war ich schon überfordert, wie ich jetzt ein Geschenk ablehnen kann, als das-ist-wirklich-nicht-notwendig. Und ich bin eh grad am Ausmisten gewesen, die letzte Woche. Das klingt jetzt total undankbar, aber dann kommt das wieder in einem Plastiksackerl. Ich hab in zwei Wochen Japan mehr Plastiksackerl weggeschmissen als im ganzen bisherigen Jahr, muss ich leider sagen. Ich mein, das sind vielleicht fünf oder sechs, also nur mittel-tragisch. Aber trotzdem! Das wird ja noch mehr. Im Geschäft gelingt es mir schon ab und zu rechtzeitig zu sagen, dass ich das in meinen Hippiebeutel tu, danke vielmals. (Und dann kleben sie mit so einem Tixo den Strichcode ab, was war ich darüber verwirrt!) Aber es ist so selbstverständlich, dass selbst wenn ich ein einziges Klumpert kauf, dass es schon in einem Sackerl ist, während ich noch versuche, meine Münzen in mein Münzfach zu schieben. Sie haben sehr elegante Münzen, find ich. Hab ich mich schnell dran gewöhnt. Kann sein, dass der Fünfhunderter und der Hunderter, wie auch der Fünfer und der Fünfziger haptisch schwierig auseinanderzuhalten sind – von wegen barrierefreiem Bargeld. Aber die Hunderter sind auf jeden Fall sehr schön und alles ist handlich und man braucht s ja auch dauernd, weil überall die Automaten rumstehen. Und jetzt die Automaten, da kriegt man natürlich kein Sackerl. Aber dann hab ich schon wieder mehr Plastikflaschen durch die Hände gehen gehabt als in den vergangenen Monaten. Was ich auf meine Kappe nehm, das ist einfach weil die Neugier manchmal sagt, kauf die ein Fanta White Peach statt da aus der Wasserfontäne daneben zu trinken. Hast eh so viele Hunderter im Geldbörsel. Kauf dir ein Pepsi Japan Edition. Kauf dir einen Grapefruitsaft in der Dose. Kauf dir das! Na, ich bin ja auch nur ein Konsument.

Three Degrees of Chicken

Ich bin heute den halben Tag im Zug gesessen, von Tokio bis ans untere Ende von Kyushu. Von Insel zu Insel ohne dass ich s gemerkt hätte. Das sind irgendwo um die tausendvierhundert Kilometer und das ist sich in sieben Stunden ausgegangen. Das lob ich mir schon. Ich find s auch faszinierend, dass in Japan tatsächlich nach wie vor daran gearbeitet wird, das Streckennetz auszubauen, also vor allem für den Shinkansen, den flotten Zug, mit dem ich heute unterwegs war. Das ist schon toll. Und gemütlich ist es auch, weil es ist wesentlich mehr Beinfreiheit verfügbar und am allersteilsten finde ich mal wieder, dass es Raucherzonen im Zug gibt. Irgendwie sind sie da ganz wo anders als Mitteleuropa. Mit schelmischer Freude hab ich nach meiner Ankunft in Kagoshima (Ka-Gosch-Imma) einen Bierautomaten gefunden, aus dem man sich möglicherweise vierundzwanzig Stunden jederzeit eine bis mehrere Dosen Bier ziehen kann.

Aber auch sonst habe ich mich in Kagoshima gleich einmal ein bisschen mehr willkommen gefühlt. Ich mag Tokio schon, aber ich war zu oft einfach nur verloren und irritiert weil ich es als wahnsinnig konsumistisch erlebt habe. Und das beste Beispiel ist vielleicht wie diese ganze Anime-Subkultur in einem klassisch-kapitalistischen Schachzug vollkommen aufgesogen wurde und als enorme Geschäftemacherei explodiert ist. Gut, ich mein, das sag ich auch, weil ich den Inhalt nicht versteh und die Begeisterung darüber schon gar nicht.

Zur Verteidigung des japanischen Widerstandsgeistes ist zu ergänzen, dass teilweise durchaus ein ungezwungener Zugang zur Regelbefolgung zu beobachten ist.

Anyway. Kagoshima hat schon gut angefangen, weil ich die Hosteldame ein bisschen überrascht hab. Ich war unabsichtlicherweise ausgesprochen leise beim Hostelbetreten, während sie gerade irgendwo hinter der Kaffeemaschine am Wischen war. Und dann ist es mir schon unangenehm aufgefallen, aber das mit dem Räuspern ist mir erst nachher eingefallen. Und da war sie etwas überrascht, als sie mich plötzlich einen Meter vor ihr erblickt hat. Und das hat uns eine gute Ebene gegeben, weil wir beide wussten, was sie sagen möchte, aber ihr Hostelvermietungsenglisch hat ihr dabei nicht geholfen und mein Japanisch, ich mein… eben. Aber manchmal ist so ein ungesagter Satz ganz hilfreich, weil er uns trotzdem eine Gesprächsebene geboten hat, auf der wir zwar einander nichts sagen konnten, aber doch wiederholten mit hilflosen Gesten und ratlosem Lachen einander zu verstehen gegeben haben, dass wir wissen, was wir sagen würden, wenn wir wüssten wie. Da war ich schon einmal gerne hier.

Und in meiner abendlichen Erkundung der Stadt hab ich dann doch ein bisschen mehr Blickkontakte aufgefangen als ich das in einer Woche Tokio zusammenaddieren hätte können. Das hat mich immer ein bisschen bedrückt, die letzten Tage, dass die Leute so ernst herumlaufen, niemand lacht und keine lächelt und nicht nur, dass viele auf ihre Telefone kucken (ich muss ja, weil ich sonst nicht meinen Weg find!), die anderen schauen jetzt auch nicht gerade anderen Leuten ins Gesicht und wenn, dann sicher nicht einem abgerissenem Goyim wie mir. Nein, das ist das andere: Gaijin. Aber hier hab ich möglicherweise sogar ein Good Evening nachgerufen bekommen, während ich durch den Park spaziert bin. Aber erstens ist weder sicher, dass es an mich gerichtet war oder dass es überhaupt Good Evening geheißen hat. Aber bis ich das überhaupt in Erwägung gezogen hatte, war ich schon wieder drei Schritte weiter und dann natürlich ist das ja immer auch etwas unangenehm, Begrüßungsformeln an den Hinterkopf gerufen zu bekommen. Aber im Gegensatz zur Tokioer Schweigsamkeit war auch das eine willkommene Abwechslung.

Nachdem ich ein bisschen herumgeirrt bin, hab ich mich dann kurzerhand in ein kleines Lokal hineingeschwungen. Ich weiß nicht genau, was da ausschlaggebend war, ich glaub, der Typ der vor dem Lokal für s Lokal geworben hat, hat mich mit seiner Schlacksigkeit und seinem Kapperl an einen jungen Keanu Reeves erinnert. Und ich wusste gar nicht so genau, was ich da jetzt zur Auswahl hab, stellt sich heraus, es ist eine Yakitoriarei. Ich hab das jetzt immer ein bisschen vermieden, mich in so ein Spießchenlokal hineinzusetzen, weil irgendwie ist das nicht so aufregend. Da hab ich doch sogar so eine Colawerbung unlängst irgendwo gesehen, wo multikulturelle FreundInnen bei einer Grillparty zusammensitzen und eine jede leicht-aber-nicht-bis-zur-Undeutlichlichkeit-vom-Klischee-abweichende VertreterIn verschiedener Nationalitäten sagt, wie sie Fleischspieße nennt und dass die jeweils eigenen nationalen Grillspießchen natürlich denen der anderen, minderwertigen Nationalitäten überlegen sei. Also alles fröhlich und mit einem Lächeln über den blitzenden Modelzähnen. Ein neckischer Nationalismus. (Bis eine weint!) Zum Glück gibt s Cocacola, weil darauf einigen sie sich dann noch, dass Hauptsache die große post-nationale MegaCorp. Peace by Brand-Identity.

Ich glaub, das Pferd ist ein Fisch, weil es in der Speisekarte neben dem anderen Fisch gewesen ist. Aber es kann auch einfach ein Pferd Carpaccio sein. Und vielleicht ist ein Horse Toy dann Pony-Sashimi?

Ich bin dann ein bisschen ins Bestellen gekommen. Angefangen hab ich mit einer leicht eingelegten Gurke. Geschmeckt hat es, als wäre sie in einem Schinkenwasser gelegen. Ist das Absicht?, frag ich mich und knusper mich durch die Gurkenstückchen. Ist das gut?, frag ich mich dann noch. Aber da war ich schon fertig. Und dann hatte ich frittierte Hühnerhaut bestellt, aber bekommen hab ich Hühnerknorpel. Und ich weiß noch, wie ich auf das Bild im Menüheft gedeutet hab und ich sag Chicken Skin. Und sie sagt Chicken Skin und tippt in ihr Telefon. Und dann sind s halt die Knorpel geworden, die waren in der Speisekarte direkt daneben. Aber warum auch immer, ich freu mich eh, weil ich war jetzt schon ein paar mal zu feig mir die interessantere Option (Salted Squid Guts!) zu bestellen. Und dann hab ich dank des Misserfolgs einer japanischen EnglischlehrerIn halt doch einmal das aufregendere bekommen. Frittierte Hühnergelenke. Und das war ebenfalls nicht so schlecht, auch wenn ich sagen muss, dass es vor allem für die Haptik ist, also für die Textur. Nach viel schmecken tut s nicht. Aber es kracht halt lustig, wenn man Glück hat. Und kalt werden sollt man s nicht lassen, wie das meiste aus der Fritteuse, werden auch die Knorpel nicht besser. Dann hab ich einen Reis bestellt, weil ich ein bisschen mit Hunger angekommen bin. Einen Reis mit rohem Ei, stand auf der Karte. Da war dann noch ein bisschen Hühnerfleisch drin und Zwiebel und das Ei war sogar schon ein bisschen erhitzt, das war gar nicht mehr ganz roh, als ich s in die Schüssel bekommen hab. Und dann meine Yakitori: Ich hab bekommen ein Huhn, eine Hühnerleber, ein Hühnerherz, einen Schweinebauch (hat ein bisschen mit dem Thema gebrochen) und einen grünen Paprika. War alles gut. Das Huhn war tatsächlich nur angegart und innen roh. Und das war total mit Absicht, da hat er mich noch vorgewarnt. Sie hätten nämlich sogar auch ein Hühnersashimi auf der Karte gehabt. Aber das war dann so zart und butterweich, dass ich gar nicht sagen kann, was die da tolles mit dem Huhn angestellt haben, dass das so daherkommt. Vor der Salmonelle darf man sich halt nicht fürchten in Kagoshima.

Weit unten auf der Aufregendes-Essen-Skala: Small Fish in der Kombination mit Mandelsplittern. Hundert Punkte für den Serviervorschlag im Aschenbecher, den würde ich sofort in einem Museum für Moderne Kunst an die Wand hängen.

Und zum Abschluss hab ich dann noch den lokalen Wein getrunken. Also ist kein Wein in dem Sinn, ist ja gebrannt. Mit seinen 25% will der Shōchū aber nur spielen. Ich hab zuerst gedacht, hm, schmeckt ein bisschen nach einem Tequila, aber ich glaub es hat einfach nur nach ein bisschen fuseligem Alkohol geschmeckt. Jetzt war das nicht der einzige Grund, warum ich den Heimweg lang mit einem Ohrwurm zu kämpfen hatte. Ich glaub, dass sich der John Lennon seinerzeit vielleicht auch einmal einen Becher von diesem Sommergetränk gegönnt hat und sich daraufhin den Refrain für Come Together hat einfallen lassen: Shōchū!, d’d’d’dmm-dmm. Shōchū, d’d’d’dmm-dmm…