Bergschuhverwendung

Oft einmal packe ich meinen Rucksack und denke mir, die Bergschuhe… Nicht, dass man mich nicht gewarnt hätte. Ich hab die Stimme noch gut im Ohr, die mir geraten hat, vielleicht lieber keine Bergschuhe und wenn ich sie wirklich brauch schicken und sogar wieder zurückschicken. Die meiste Zeit rechtfertigen sie ihre Präsenz damit, dass ich in ihnen kleine bis mittelgroße Gegenstände auf- und vor Quetschungen durch die Verarbeitung im internationalen Flugverkehr -bewahre. Und natürlich sind sie eine gute Fokussierungsunterstützung, wenn ich meinen Gegenstandsfetisch reflektiere: Wie ich oft einmal versucht bin, meine Erfahrungen in Dinge zu projizieren anstatt – was weiß ich – die Erinnerung in mir selbst zu halten. Als ob der Schuh eigentlich das Abenteuer erleben würde, während ich mich selbst nur mitschleppe. Bisschen weniger davon und ich würde mein Leben und meinen Rucksack vielleicht weniger mit Zeug vollstopfen, zwischen dem ich kaum Platz hab.

Außerdem erinnern sie mich daran, dass ich gerade im Konsum öfter einmal einen Mittelweg gehen möge. Also: die zurückhaltendere, die weniger extreme Option zu wählen. Ich hab mich seinerzeit für jenes Modell entschieden, nicht zuletzt weil ich sie pompöser, erdiger, uriger und so für einen Bergschuh wohl archetypischer – quasi: hübscher – empfunden habe. Und in der Wirklichkeit hätte ein Modell „drunter“ für meine Ansprüche in der Regel gereicht, wäre etwas leichter, vielleicht auch in weniger extremen Situationen tragbar und insgesamt etwas flexibler einsetzbar. (Ähnliches gilt für meinen Rucksack, wo ich mich zwar eh bereits für eine Nummer kleiner entschieden hab, aber zurückblickend wäre noch eine Nummer kleiner besser gewesen.)

Alles in allem leisten sie zumindest ihr Gewicht, weil ich bin ja auch zum Nachdenken hier.

Nach den ersten paar Tagen in Tokio, bin ich also einmal raus auf s Land gefahren: Fujiyoshida. Das ist nett, ein bisschen wieder in der Kleinstadt, da sehe ich mal ein bisschen, wie das so ist. Mit den kleinen Häusern und den größeren Vorgärten und den Straßen mit Gegenverkehr.

„Die graphische Umsetzung macht die Schachtabdeckungen als archaische Gestaltungen inmitten hochtechnisierter Urbanisationen sichtbar. In diesem Sinne bedeuten diese Ferrogramme von Christoph Feichtinger ein Kulturzeugnis, das Stammesmustern unserer modernen Zivilisation entspricht.“ [X]

Nachdem ich mit der Hostelangestellten ein bisschen über die Möglichkeiten einer Fujibesteigung gelpaudert hab, schaut s so aus, als würde ich die Be- und Absteigung in einem Aufwischen erledigen. Von meiner Reiseführerinformation her, dauert der Aufstieg um die sechs Stunden, der Abstieg drei und es gibt Unmengen von Übernachtungsmöglichkeiten auf der Route. Also geht man hoch, bleibt über Nacht und sieht noch den Sonnenaufgang vom Fuji aus bevor man sich talwärts aufmacht. Oder eher noch gipfelwärt s eigentlich, weil die Übernachtungen sind ja auf der Route hinauf.

Aber ja, das sind alles Details, die ich kaum wusste. Gelernt hab ich schnell, dass ich zwei konsekutive Nächte gebucht hatte und das Hostel am Freitag dann sowieso ausgebucht sei. Und überhaupt: Wetterberichtsmäßig ist da zwar eine Gewittermöglichkeit für Donnerstag, aber für Freitag schaut s nicht besser aus mit Regen. Und sie ginge auch am Donnerstag, allein deshalb schien sie schon anzunehmen, dass das Wetter am Donnerstag besser sei. Also gut, denk ich mir nach ein bisschen Hätte-ich-echt-auch-mal-im-Vorfeld-besser-auschecken-können, geh ich halt morgen in der Früh, warum nicht. Und komm am gleichen Tag wieder runter, warum nicht. Neun Stunden Berg ist jetzt nicht so das Ding, ich muss nur schauen, dass ich nicht im Dunklen herumstolper. Aber der erste Bus geht um zwanzig nach sechs, das ist kein Aufwand, das gibt mir Zeit.

Weil es ist nämlich so. Der Fujiyama ist in mehrere Stationen unterteilt. Und an den meisten Stationen findet sich eine Übernachtungsmöglichkeit, aber vor allem geht man erst bei Station Nummer Fünf los. Es gibt insgesamt neun oder wahrscheinlich ist der Gipfel dann zehn. Aber der Bus schupft einen auf fünf und dann geht man dort los. Und ja, die Saison endet in der zweiten Septemberwoche, danach werden die Hütten eingestellt und die Sicherheitsvorkehrungen kehren sich ab und überhaupt geht der Fuji in Winterpause. Man kann schon rauf, aber es wird einem halt abgeraten.

Damit ich fit für den Aufstieg bin, der sich wie übereilt beschlossen anfühlt, geh ich eine Runde spazieren und lande in einem Soba Lokal. Und wenn man in den Neunzigern Leute mit der Idee rohen Fischs auf kaltem Reis mit Algen vielleicht verwirrt hat, so klingt die Idee kalter Buchweizennudeln jetzt auf den ersten auch nicht nach einem super Konzept. Aber natürlich ein bisschen hier, ein bisschen da und dreihundert Jahre Tradition, da ist schon was dahinter. Das witzige an dem Lokal war auch, dass es von außen fast schick ausgeschaut hat und ich einmal vorbeigelaufen bin, weil ich mir gedacht hab, nah, das ist zu schick jetzt. Und dann bin ich rein und der Eindruck von innen war gleich ganz ein anderer. Weil es wesentlich privater gewirkt hat, als erwartet. Vielleicht weil der Fernseher in der Ecke gelaufen ist, vielleicht weil neben den fünf „europäischen“ Tischen auch eine Plattform mit traditionellen Tischen gestanden ist, die den Raum ein bisschen gebrochen hat, vielleicht wegen der vertrauten Art, mit der die Gastgeberin (1) mit den drei anwesenden Gästen umgegangen ist. Letztlich war s wahrscheinlich einfach der Stapel Papier, der neben der Theke auf einem kleinen Kasterl gestanden ist, der dem ganzen so sehr eine Arbeitszimmeraura verliehen hat.

Teil meines Jausenpakets: ein Onigiri, Wasabi-Nori Geschmack. Wie vieles hier aufwendig verpackt, aber ich freue mich zumindest, dass ich mit dem Einkauf eine cool choice getroffen hab

Jedenfalls bin ich am nächsten Morgen um fünf aufgestanden. Das ist weniger ein Problem, das ist immer weniger ein Problem. Einerseits bin ich wahrscheinlich einfach ausgeschlafener, aber ich traue mich zu sagen, es funktioniert das mit der Motivation auch besser. Mit der Verantwortungsübernahme. Vielleicht auch der Rhythmus insgesamt, ich glaub, um neun war ich am Vorabend schon abgemeldet. Zum Frühstück gibt s eine doppelte Portion aus meiner Riesenkiste Instantporridge und eine schnelle Tasse Tee. Außerdem füll ich mir Tee in die Thermosflasche, weil… ja, ist ja kalt da oben. Im nächsten Moment hab ich mir gedacht, das ist ein Blödsinn, weil in der Thermoskanne bleibt das ja heiß und das braucht wahrscheinlich meine neun Stunden, bis das so weit ausgekühlt ist, dass ich s trinken kann. Zum Glück finde ich ein paar Pappbecher, von denen ich schnell mal zwei in den Rucksack werfe. Und dann frag ich mich den halben Aufstieg lang immer wieder, ob man einen Berg so schnell hochklettern kann, dass das Wasser in der Thermoskanne zwar auskühlt, aber wegen dem Druckabfall am Gipfel tatsächlich wieder kocht. Ich denk viel mehr über Druck nach, seit ich meinen Open Water Tauchschein gemacht hab.

Der Bus ist gut und der Vorteil an Fujiyoshida im Gegensatz zum etwas größeren und etwas touristischeren Nachbarort, dass wir die erste Station sind und gut Sitzplätze bekommen. Weil als wir in Kawaguchiko ankommen, steht da eine lange Schlange an der Busstation von der tatsächlich zehn, fünfzehn Leute keinen Platz mehr im Bus bekommen. Ja, was ist denn mit denen, frage ich mich, während ich aus meinem Fenster auf sie herunterblicke und in ihren Gesichtern die selbe Frage, etwas dringlicher, geschrieben steht. Witzig ist aber auch, dass wir Fujiyoshidas erst einmal aussteigen müssen, ein Ticket kaufen und dann wieder einsteigen. Und als wir dann alle Sitze in unserem Bus besetzt haben, werden entlang der Gangreihe jeweils noch ein Sitzplatz ausgeklappt und dann gehen sich nochmal zwanzig Leute aus. Aber nicht die, die noch draußen stehen. In einer liebevollen Aufopferung deutet eine Frau, die noch in den Bus dürfen hätte auf ihren Partner, sodass auch ich hinter meinem Fenster verstehe, sie geht nicht ohne ihn. Ich glaub, sie wollte ihn mithaben. Tatsächlich ist sie halt dann dageblieben.

fünfte Station: Die transnationale ästhetische Gleichgültigkeit von Mittelstationsarchitektur

Bis zur fünften Station ist es eine Stunde Fahrt in unserem bis auf den letzten Platz und dann noch ein paar mehr gefüllten Bus. Und dann ein bisschen ein Schock, na sagen wir eine Überraschung, weil die fünfte Station wie ein ganzes alpines Feriendorf daherkommt. Oder zumindest Alpines-Feriendorf-Hauptplatz. Und gleich einmal wieder die Verführungen des Konsumismus und ich ja auch tatsächlich als erstes gleich in den Shop abgebogen. Weil aber nicht von ungefähr: Weil in Kawaguchiko stand ein junger Mann in der Schlange, der hatte einen schicken Wanderstab. Und weil wir quasi im Skandinavien Ostasiens sind, handelt es sich um einen schlichten, geraden, hellholzigen und etwas zu langen Stock. Da hab ich mir schon gedacht, oha, das gefällt. Ich steh ja sowieso auf Wandern am Stock. Und natürlich bieten die Shops am AFH-Platz mir solche Stecken hunderfach an. Mit Fahnen und mit Glocken. Aber ich widerstehe und schüttel den Instinkt zu kaufen ab. Ich find mir schon einen praktikablen Stab am Weg, denk ich mir, übersehend, dass wir halb einen aktiven Vulkan (letzter Ausbruch: 1707) hoch sind und ich nach der ersten Stunde nur noch durch Schutt und Geröll stapfen werde.

Dann zahle ich noch die obligatorische Spende von tausend Yen für die Erhaltung des Gebiets und zack-zack, jetzt muss ich langsam in die Gänge kommen. Noch dazu wo ich die vier deutschen Burschen vermeiden möchte, die bereits seit Fujiyoshida mit mir Schritt halten. Da hätte ich gerne nach vorne oder nach hinten ein bisschen einen Abstand. Bloß so! Ich hab nichts gegen deutsche Burschen, aber für s allein gehen ist es angenehmer, die nicht in Hörweite zu haben. Oder so.

Es gibt insgesamt vier Routen auf den Fuji rauf, für mich, von meiner Seite wären zwei in Frage gekommen und ich hab das kurz überlegt, aber nachdem der Bus zur fünften Station vom Yoshidaweg führt hab ich mich der Einfachheit halber für den, den populärsten entschieden. Und ja, man kann nicht verloren gehen. Zu Beginn steh ich einmal kurz mit Zweifeln vor einem Schild, das die Climbing Route ausweist und ich nicht sicher bin, ob ich zum Klettern hergekommen bin. Aber nachdem mir Leute mit Kindern von dort entgegenkommen, denke ich mir, so schlimm kann s nicht sein. (Die Wahrheit, die mir in der Situation verdeckt bleibt, ist natürlich, dass das der Aufstiegsweg ist und wenn jemand den Aufstiegsweg runterkommt, dann haben sie umgedreht, weil s zu schlimm geworden ist.) Also rauf.

Ich mein, das ist literally da, wo die Route anfängt. Nicht nur bereits oberhalb aller umliegender Gipfel, auch über der Hälfte der Wolken

Die Aussicht ist schon beeindruckend. Nachdem wir ja schon ein gutes Stück auf den Berg hinauf sind, stehen wir bereits höher als die umliegenden Berge. Die hohen Berge hat Japan alle in einem Eck, das die Japanischen Alpen heißt und wieso heißen die immer noch so, das gibt s doch nicht, dass das Gebirge nur diesen Kolonialnamen bekommen hat. Aber nachdem der Fujiyama ja ein Vulkan ist, steht er so allein zwischen gar nicht so hohen Bergen. Und nachdem wir auch schnell einmal aus dem Wald raus sind, ist die Aussicht mehr oder weniger alles, was man hat. Weil es ist keine schöne Wanderroute in dem Sinn. Es ist, wie gesagt, Schutt und Geröll und das ganze hat die eine oder andere Zivilingenieurin am Hang befestigt und man geht dann in einem engen Zick-Zack einfach den Berg hoch. Zwischendurch eben ab und zu eine Zwischenstation an der einem eine Bechersuppe, eine Flasche Wasser oder „Snickers“ verkauft werden – letzteres ist, wenn ich die Zeichen richtig interpretiert habe, Code für eine Handvoll Nussvariation. Außerdem gibt s an nahezu jeder Hütte auch für zwei-, dreihundert Yen einen Stempel zu kaufen. Hier beginne ich langsam die Wanderstabkultur zu verstehen und erkenne nahezu mit Dankbarkeit, was für eine gute Entscheidung es gewesen ist, ohne aufzubrechen. Auf jeder Hütte kann man sich einen Stempel – ich glaube, die werden tatsächlich in das helle Holz gebrannt – in den Stab drücken lassen. Natürlich kann man sagen: schönes Souvenir. Aber ich seh zuerst einmal, dass man hier weiterhin konsumiert. Und zwar im Halbstundentakt. Und schließlich ergeben auch die zwanzig Zentimeter langen Staberl, die man alternativ zum zwei Meter Wanderstab erstehen konnte, einen gewissen Sinn. Und natürlich könnte man auch nächtigen. Aber wenn es mir in der Planung seltsam vorgekommen ist, dass man nicht einmal in der Nähe des Gipfels übernachtet, dann steigert mein tatsächlicher Aufstieg nur dieses Unverständnis. Außerdem bin ich flott unterwegs, die Stunden verfliegen und ich fliege schneller als die Stunden, die auf den Schildern die Entfernungen angeben.

In der Situation selbst hat das viel extremer gewirkt, wie s da oben stürmt und mit welcher Geschwindigkeit der Wind da über den Fujiyama bläst. Aber schön, dass ein bisschen Himmel zu sehen ist.

Es ist schon dicht am Weg. Also, wir hängen nicht hintereinander, aber man ist nie allein. Nicht alle sind derartige Quatschköpfe, wie sich die – stellt sich heraus süddeutschen – Burschen dankbarerweise berechtigterweise herausstellen, die meisten gehen schweigsam, vor allem im Mittelfeld. Unten haben manche noch zu viel Energie und oben, oben werden viele sehr ausdrucksfreudig. Auf den letzten eineinhalb Kilometern verdichten sich die Schilder, wie weit es noch bis zum Gipfel sei, bis dass mir dann alle zweihundert Meter angegeben wird, dass es zweihundert Meter weniger sind. Das ist nicht schlecht, weil obwohl der Anstieg so linear verläuft, versteckt sich der Gipfel zumeist in einer Wolke und die Entfernung ist deshalb kaum einzuschätzen. Und es drückt jetzt schon ganz schön in den Wadeln. Ich hab von den sechs etwa eineinhalb Stunden abgezwickt, aber das hat mich schon auch gekostet. Das Ziel, stellt sich heraus, ist auch gar nicht so sehr der Gipfel sondern ein Schrein. Und so gehen wir durch ein so ein symbolisches Tor durch, in dessen Holz die Leute kleinwertige Münzen hineingedrückt haben, und durch ein zweites. Und dann sind auch die letzten zweihundert Meter geschafft und der Wind hat zugenommen und der Nebel ist auch etwas dichter und die Finger werden kalt. Und dann gehe ich nicht nach links, zum Schrein, zu den Bänken und den windfangenden Gebäuden, sondern nach rechts, weil s dort mehr nach Gipfel ausschaut. Egal ob s a berg oda-r-a madl is / aufi muass i, de’es is gwiss, singt Alfred Dorfer in meinem Kopf. Und ich weigere mich dagegen, dass es eine Bezwingermentalität ist, die die Gipfelgier in mir schürt, ich glaub, das ist nicht intrinsisch.

Stapf, stapf, durch s Tor durch. Und im Tal liegt der Tamanaka See

Und jetzt, am Gipfel, wenn man zweitausend Meter höher ist, als irgendwas anderes in der Umgebung. Da geht ein ziemlicher Wind. Und da kondensiert der halbe Himmel und es nebelt, dass es mit der Hälfte auch bald einmal genug gewesen wäre. Aber wen finde ich natürlich ebenfalls den orkanhaften Gipfelverhältnissen trotzend oberhalb des Schreins? Meine deutschen Plaudertaschen. Und so kauere ich hinter einem Felsen, zu dem ich in einer kurzen Windstille vorgeprescht bin, um einen Blick in den Krater zu werfen. Ich kann tatsächlich nicht aufstehen, weil mich der Wind mitnehmen würde und meine Finger sind bereits so durchfroren, dass ich Schwierigkeiten habe, die Clips an meinem Rucksack zu öffnen oder zu schließen. Nicht, dass ich mir einen Tee einschenken hätte wollen, bei den Verhältnissen, aber ich hab mich mit einem getrockneten Tintenfisch belohnt, den ich mir als Gipfeljause im Geschäft gekauft hab: Gewöhnungsbedarf vorhanden, aber natürlich motiviert die Situation zum Genuss.

Den asiatischen MitwandererInnen scheint die ganze Gipfelgeschichte relativ egal zu sein. Ich mein: relativ. Weil das Erreichen schon Begeisterung auslöst. Auf den letzten Metern berichterstatten immer mehr Leute ihrem Selfiesticktelefon den Höhepunkt, auf den sie sich stetig zuarbeiten. Das, denke ich mir, das ist wie diese Selfieunfälle passieren. Weil man fragt sich schon, warum doch viele Leute dabei zu Tode kommen, von sich selbst ein Foto aufzunehmen, auch wenn sie neben einer Schlucht stehen. Aber hier sehe ich, das sind wahrscheinlich eher diese Leute, die sich während der Strapaze selbst noch im Bild halten und ihrem Telefon erzählen, wie anstrengend oder super die aktuelle Situation ist. Und nachdem letzten Tor, das das Ziel des Aufstiegs symbolisiert (nicht der Gipfel), höre ich viele Ausrufe der Dankbarkeit. Aber vielleicht ist das auch das einzige, was ich verstehe. Ich mein, ich kann sagen, dass sie nicht Guten Tag gerufen haben oder Auf Wiedersehen. Oder von eins bis zehn gezählt haben. Weil das ist es mit meinem Japanisch. Aber interessant schon, denke ich mir, wie das mit der Dankbarkeit in verschiedenen kulturellen Kontexten ist. Natürlich, ich mach gleich wieder einen kulturellen Kontext daraus anstatt einem Menschen zugehört zu haben, der auf japanisch Dankbarkeit für die Wegbeendung ausgedrückt hat. Und dem stell ich die alte Frau gegenüber, die in Maria Alm gesessen ist und als man sie fragt, ob sie stolz auf ihren Sohn sei, weil der diesen oder jenen Erfolg vorzuweisen hat, hat sie gemeint, nein, nicht stolz, nie stolz. Dankbar sei sie. Weil Gott und so. Und dann denke ich mir, dass so viele Aspekte des Lebens in Europa von Institutionen vereinnahmt und beansprucht worden sind und diese Institutionen, wie man in den letzten hundert Jahren dann zunehmend kritisch feststellt, eine lange Geschichte gewissen Fehlverhaltens besitzen und wir uns vielleicht mal mehr, mal weniger davon zu distanzieren beginnen. Von einer lustfeindlichen Kirche, von einem rassistischen Imperialismus, von einem entmündigenden politischen Autoritarismus. Mehr oder weniger. Und dann leidet vielleicht auch einmal die Dankbarkeit, weil vor lauter den Patriarchen dankbar sein und den Patriarchen dankbar sein müssen vielleicht die Wertschätzung einer Situation oder eine Hilfeleistung ein bisschen aus der Übung gegangen ist. Ein schwieriges Verhältnis zur Dankbarkeit, aber zu Recht.

Nachdem ich vom Philosophieren im selbstverschuldeten Kraterrandexil zurück in den relativen Windschatten geschafft habe, hock ich noch ein bisschen in der einen oder anderen herum und versuche durch die altbewährte Methode des Teetassehaltens wieder Wärme in die Finger zu bekommen. Ich krieg nach wie vor mehr Kiesel in den Tee geblasen als Lebenskraft in die Fingerspitzen, aber es tut sich was, ich werde alle meine Finger behalten können. Und dann noch ein bisschen Tintenfisch.

Von links nach rechts: der Schotter (-) und die Aussicht (+)

Aber ja, was tut man dann, wenn man am Gipfel ist? Man belohnt sich mit dem, was man sich bis dahin vorenthalten hat und wenn es nicht so zugenebelt wäre, dann werfe man einen Blick in die Umwelt. Durch den Nebel gestarrt zeigt sich bloß, dass mich mein Kraterrandsbesuch sicher nur auf bis zu zwanzig Meter unterhalb der höchsten Kraterrandsstelle geführt hat, das sind so die Schwierigkeiten mit einem kreisrunden Gipfel. Es reicht jetzt allerdings, ich begnüge mich mit einem Blick in die Richtung des Fujihöhepunkts und folge den Abstiegspfeilen.

Es geht flott, dass man wieder aus dem Ärgsten heraus ist. Aber dann wird s halt nochmal wirklich öd. Weil hier wiederum mehr Schutt und Geröll, die Serpentinen sind großzügiger aber Einschätzung für die Wegdauer ist dafür etwas entsprechender und es sind halt drei Stunden bergab stapfen. Ich will nicht sagen, dass es erst hier ist, dass die Bergschuhe nun wirklich zu leuchten beginnen, aber natürlich sind stabile Fesseln schon etwas wunderbares, wenn man so vor sich hin stolpert. Auch die Knie machen keine Spompanadeln, da hat mir einmal das linke ein bisschen belastet gewirkt und dann kurz darauf das rechte und ich hatte vergessen, dass es vorher das linke gewesen ist und hab mir gedacht, das sei immer noch dasselbe Knie und dann hab ich mich erinnert und mir gedacht, das ist wohl nicht so schlimm für die Knie, wenn sie sich abwechseln und ich merk s nicht einmal. Und weil der Geist frei ist, begeistere ich mich jetzt noch ein bisschen für die Geologie, hebe mal hier mal da einen Stein auf und freue mich über Formen und Farben des Vulkangesteins. Weil das ist irgendwie schon was tolles, wenn man einem Stein ansieht, dass er vor nicht allzu langer Zeit noch flüssig gewesen ist.

Na und dann bin ich wieder auf der fünften Station. Von halb acht bis dreiviertel drei, sieben und eine dreiviertel Stunde. Und nachdem um kurz nach drei der Bus mich bereits wieder nach Fujiyoshida geschupft hat, war ich um fünf schon frisch geduscht, den Kies großteils aus dem Rucksack gebeutelt und sogar die Steine, die ich mir als Andenken vom Gipfel mitgenommen hab, in den Mistkübel entsorgt, so sehr hatte ich das Adrenalin bis dahin abgebaut. So vom Gehen her, war s schon recht gut, auch wenn es insgesamt ein bisschen mehr eine spirituelle Erfahrung ist, in der relativen vulkanischen Einöde in den Wind hinauf zu stapfen und dann auf dem Forststraßenäquivalent wieder runter. Vielleicht war s ein Pech, dass das Wetter oben so stürmisch gewesen ist, auf der anderen Seite war s ein Wahnsinnsglück, dass das Wetter überhaupt so gut war, weil Freitag hat s dann tatsächlich noch geregnet und das ist sicher kein Spaß.

Aber nicht alle Wolken sind schlecht. Hier ist eine hübsche Altocumulus lenticularis, die den ganzen Tag lang über unserem Aufstieg gehangen ist

Und weil s ein Vulkan ist, gibt s auch Thermalquellen in der Gegend. Und da bin ich am nächsten Tag noch hin und hab mir eine Runde Onsen gegeben. Das gehört irgendwie noch dazu, weil da sind zwar keine Bergschuhe mehr im Spiel gewesen, aber ich war schon ein wenig muskelverkatert am nächsten Tag und da ist so ein Warmbadetag gerade das richtige.

Auch hier gibt s einen Shuttlebus, der mich von der Station abholt. Ich bin allerdings ein bisschen schlecht organisiert für diesen Ausflug, stelle ich fest. Ich hab einen Bus zu erwischen, der mich nach Tokio zurückbringt und dadurch komm ich fast ein bisschen in einen Zeitdruck, weil der Shuttlebusrhythmus so ein Klumpert ist. Ich hab schon gesehen, dass der Onsen nur vierzig Minuten entfernt ist, also: zu Fuß. Was ich nicht gesehen hab, ist, dass es nur noch zwanzig von der Busstation sind und ich nicht zwanzig Minuten hätte warten und dann zwanzig Minuten in die entgegengesetzte Richtung chauffieren hätte lassen müssen, bis der Kreisverkehr mich zurück an den Onsen gebracht hat. Pfff! Ach ja, weil nachdem der Bus beim Onsen selbst gar nicht mehr gehalten hat, bin ich von der vorletzten Station dann eh nochmal zehn Minuten gegangen.

Onsenonsenonsenonsen.

Zwischen dem Onsen und Fujiyoshida liegt ein Vergnügungspark mit verrückten Hochschaubahnen. Für mich blöd, weil ich um den Park herumgehen musst, was mir zwanzig Minuten Wegzeit beschert hat. Zwanzig Minuten Wegzeit und eine halbe Minute Panikakustik. (Zu der man sich jegliche Bewegung auf der Hochschaubahn selbst vorstellen muss – es ist nur ein Foto.)

Jetzt interessant auch, dass ich schon bevor ich mir eine Eintrittskarte kauf, meine Schuhe in einer Kiste lassen muss, auf deren Schlüssel ein Chip ist, den ich beim Rausgehen lesen lassen muss und zahlen, damit ich wieder raus kann. Es handle sich alles um bargeldlosen Bereich. Was irgendwie logisch ist, weil wo soll man s denn aufbewahren. Nein, keine Taschen, keine Hosen. Ich krieg ein kleines Handtuch und das stellt sich als sehr vielseitig heraus. Sonst lasse ich alles im nächsten Spind, und während ich noch den japanischen Bademantel anziehe, den ich ebenfalls ausgeborgt bekommen hab, dreh ich nach einem Blick durch die automatische Schiebetür wieder um und zu meinem Spind zurück. Den brauch ich hier nicht.

Jetzt. Da ist schon viel Nacktheit in so einem Onsen. Wir sind natürlich nach Geschlechtern getrennt, das fängt schon vor dem Kassenbereich (obwohl dort ja keine Kassen sind, ist wohl mehr ein Informationsbereich) an, dass die Schuhkästchen für die Frauen und die Männer getrennt sind. Und dann im Bad ist nicht so schlecht, dass hier in Japan Frauen und Männer selbst auf Toiletten immer auch farbcodiert sind, also Frauen alles rosa (mit einer Tendenz zu rot, ich betrachte das als das in dieser Hinsicht progressive Japan), Männer alles blau. Und so bin ich zumindest da zielstrebig. Mit meinem ersten Schritt ins Bad bin ich mit so viel neuem konfrontiert, gleich mal Kardinalfehler. Nicht, dass ich ganz ohne mich zu waschen ins erste Becken gestiegen bin, aber ich hab mich mehr ein bisschen nur so aus einem großen Bottich überschüttet, mehr rituelle Waschung. Während direkt daneben Duschen mit Seifen und Shampoos gestanden sind. Und die sind ja nicht einmal uneinsichtig oder besonders stabil von einander getrennt. Da sitzt man ja wirklich nebeneinander. Und man ist zum Waschen da. Dafür sind nämlich dann auch die Bademäntel, weil dann macht man sich Umkleidekabinenbereich noch hübsch, nicht nur Frisieren (sind das drei Sorten Haargel?) sondern auch Rasieren.

Aber ja, die ersten Minuten verbringe ich damit, mich über meinen Faux Pas zu sorgen, während ich die verschiedenen Bäder erkunde. Von der Architektur fand ich s auch schnell einmal interessant, weil die Männer und Frauen zwar getrennt, aber unter dem gleichen Dach sind. Und die Trennwand geht nicht bis zur Decke und so hören die einen die anderen und umgekehrt. Da kam mir schon manchmal vor, dass da drüben mehr gelacht würde als bei uns herüben, wo sich Männer ehrfürchtig vom Schlafbecken, ins aromatisierte Wasser, in die Sauna, auf die Liege bewegen. Aber dann kam eine Gruppe junger Zwanziger und ich hab mir gedacht, das ist schon sehr seltsam, weil die auch gar nichts vor einander versteckt haben, wenn sie da gemeinsam durch die Becken gestiegen sind. Ja, der eine saß sogar sehr offenbeinig am Beckenrand, während seine Kumpels bis zu den Schultern im Wasser untergetaucht waren. Das sind womöglich eigene Verhältnisse, die man da zu seinen Kollegen hat, wo das nicht mal kommentiert wird (worden scheint). Na, die haben auf jeden Fall auch manchmal ein bisschen einen Wirbel gemacht und haben diese Frau-Mann-Differenzen-Beobachtung relativiert.

Gibt s doch ein Bild aus dem Onsen, halt ohne Leute

Aber selbst der freizügige Freikörperumgang gleichgeschlechtlicher Twens hat mich weniger überrascht, als einen Fernseher in der Sauna zu finden. Dass die Sauna keine Saunaofen hatte, das ist das eine, das sind einfach unterschiedliche Saunatraditionen. Aber während im ganzen Bad verhältnismäßige Stille oder generische Massagetherapiemusik gespielt wird, kann man ausgerechnet in der Sauna dann Vormittagstalkshows schauen. Das kam mir seltsam vor. Und wie timed man seine Saunazeit, sans Aufguss? Bis zur nächsten Werbeunterbrechung? Well, I guess einfach bis man genug hat.

Zwischendurch kann man sich ein bisschen mit seinem kleinen Handtuch abtrocknen oder auf dem Weg von Becken zu Becken die eigenen gentleman vegetables verdeckt halten. Oder sich damit beim Waschen abschrubben. Wichtig ist, dass es dadurch zu einem persönlichen Gegenstand wird, den man nicht mit ins Becken nimmt. Traditionell hat man s einfach auf dem Kopf, weil der geht auch nicht unter Wasser. Aber oft genug legt man s einfach auf den Beckenrand. Da ist es gut aufgehoben. Das faszinierende ist aber doch, wie das Handtuch nass funktioniert und nach dem Auswringen tatsächlich noch gut genug zum Abtrocknen ist. Das ist schon faszinierend irgendwie. Ich mein, der ganze Onsen war angenehm warm und das ist wohl nicht nur das Thermalwasser sondern auch der Spätsommer, vielleicht ist das im Winter ein bisschen kritischer mit der Lufttemperatur. Aber ich kann mir vorstellen, dass es insgesamt schon angenehm warm ist, auch wenn s draußen winterlt.

Nachdem s bisschen abgeregnet hat, hat sich der Fujiyama auch am Freitag nochmal gezeigt.

So war das. Es war weniger aufregend als die vulkanischen Bäder in Neuseeland oder Indonesien, wo dem heißen Wasser der Geruch von Schwefel und anderen Gerüchen aus den Tiefen der Erde anheften. Um es mit einer für meine Japanbeschreibungen langsam aber sicher ausdrucksschwachen Beschreibung zu sagen: es war hübsch und schlicht, durchaus gemütlich. Und auf jeden Fall praktikabel. Wie gesagt, ich bin da mit der ritualisierten Waschung hineingegangen, aber es erschien in der Praxis wirklich etwas, wo nach wie vor der Aspekt der Hygiene eine zentrale Rolle spielt. Während man sich bei uns im Bad die Chancen dafür, dass man sich was einfängt in der Regel höher wirken, als dass man sich was auskuriere.

Hat jetzt nix besonders mit was anderem zu tun, nur weil ich den in Fujiyoshida gesehen hab: Ich einen Moment sehr überrascht darüber, dass es Zigarettenautomaten gibt, dass Zigaretten so hemschwellenfrei verfügbar sind. Mir ist dann sehr schnell eingefallen, dass es das bei uns ja total viel gibt

Nachdem ich ein letztes Mal im künstlich karbonisierten Wasser gelegen bin (weniger aufregend als man denkt), hab ich mich wie selbstverständlich auf meinem Schemel gewaschen und hab mich dann mit dem gleichen Handtuch abgetrocknet, mit dem ich mich gerade gewaschlappen hab. Und dann bin ich zu Fuß ins Hostel, wo ich noch kurz mit der Rezeptionsbesetzerin über ihren Abstieg im Regen geplaudert hab und dann wieder zurück zur Busstation. Dort noch schnell eine Schüssel Udon gelöffelt und nach zwei Stunden Autobahn wieder im vertrauten Tokio. Ich lauf trotz aller Vertrautheit sofort in die falsche Richtung. Nicht einmal sofort: nach minutenlanger Überlegung und Telefonrotation marschier ich zielstrebig los um dann festzustellen, dass ich absolut in die falsche Richtung unterwegs bin. Und for the sake of Textstrukturierung ist das ein guter Punkt um festzustellen, dass es gut ist, dass man s auf einem Berg schnell einmal merkt, wenn man in die falsche Richtung unterwegs ist.

Fields of Tea

Solo hinter mir gelassen, bin ich in Bandung. Was wirklich empfehlenswert ist, ist eine Zugfahrt, zum Beispiel von Surakarta nach Bandung. Weil der Zug ist super, ich mein, gut, ich bin in der Eksekutif Klasse gesessen, und immerhin hab ich dreissig Euro für die acht Stunden gezahlt. Aber dafür ist es urschön, wenn man aus dem Fenster schaut. Ich hab nämlich kurz einmal einen Nachtzug kontempliert, aber schnell einmal verworfen. Weil acht Stunden durch die javanesische Landschaft tuckern, da will ich schon zuschauen können. Und es ist dann wirklich einfach traumhaft, abwechselnd und ineinandergreifend Regenwald und Reisanbau.

Ich hab mal wieder die GoPro entstaubt. Dabei hab ich festgestellt, dass das Klumpert beim Urwaldraften nicht ordentlich funktioniert, also nicht aufgenommen hat. Hier hab ich mit dem Zeitrafferdings rumprobiert, das die Kamera anbietet. Mir wird ein bisschen schlecht dabei, muss ich sagen. Die Audiospur ist übrigens in normaler Geschwindigkeit und zehn Kilometer weiter aufgenommen. The Magic of Cinema™.

Und dann halt Bandung. Bandung ist mal wieder superbusy und ich hab mich mehr oder weniger gegenüber vom Bahnhof eingenistet, damit auch ziemlich im Zentrum. Ich steh schon immer wieder einmal ein paar Minuten, bevor ich über die Straße komm, das ist der Verkehr. Tatsächlich kann ich nur wenig sagen, am Anfang immer noch ein bisschen der Kulturschock, weil halt alles laut und schmutzig. Und zum ersten Mal sehe ich jemanden, von dem ich glaub, dass er bettelt. Weil das wollte ich schon seit Wochen einmal sagen: so arm die Gegend vielleicht ist, ich hab nie Leute betteln gesehen. Und jetzt vielleicht eben doch noch. Über die Obdachlosigkeit ist schwieriger zu urteilen, ich glaub, da sind die Übergänge auch flüssig. Es wird schon Leute geben, die mit ihren Familien unter zusammengelöteten Metalldächern leben. Und vielleicht dann auch mal jemand ohne Dach. Ich mein, die Becakfahrer – die lokale Rikscha – liegen selbst oft auf dem Passagiersitz ihres Gefährts, während sie darauf warten, dass es kühler wird oder Kundschaft daherkommt. Und da schlaft der eine oder andere (ich hab echt nur Männer in dem Job gesehen) gern auch einmal ein bisschen ein. Ich mein, die Leute schlafen auch so gern einmal quer über ihr Moped oder irgendwo in einer ruhigen Ecke und schlafen durch die Nachmittagshitze. Ist nur vernünftig.

Heute hab ich mir jedenfalls einen Ausflug organisiert. Weil ich noch nicht genug Kraterseen gesehen hab und überhaupt wollte ich auch gern noch auf einen Vulkan, weil auf Vulkane steigen ist immer lässig und das geht leichter dort, wo s auch Vulkane hat. Quasi: Voraussetzung. Ich hab ehrlich nicht gewusst, dass Indonesien so viele Vulkane hat. Nämlich sogar Krakatoa. Never would have thought. Ich mein, der Name klingt schon so nach Hawaii, nicht?

In diesem Gebäude hat neunzehnfünfundfünfzig die erste Afrika-Asien Konferenz stattgefunden. Deswegen heißen die teilnehmenden Staaten auch Bandung-Staaten: „In späteren Jahren wurde die Solidarität durch Differenzen unter den teilnehmenden Ländern zunehmend erschüttert, so dass die Vereinigung keine Rolle mehr spielte.“ Schade.

Das hab ich mir organisiert. Und weil ich gerade genug von Hot Springs hab, hab ich die ausgelassen. Naja. Ich hab wenig Lust daran, allein in einer heißen Quelle zu sitzen, das ist irgendwie schon eine soziale Beschäftigung. Also nur den „weißen Krater“ für mich, danke schön: Kawah Putih. Kratersee in einem aktiven Vulkan. Tatsächlich hab ich viel daran gedacht, dass dieser See eine neue Errungenschaft für meine Sammlung von Seen, die eine Farbe haben, die man von einem See nicht erwarten würde, ist.

Nach eineinhalb Stunden sind wir schon am Krater (nachdem ich in der Früh angerufen worden bin, dass mein Fahrer „five to seven minutes late“ sei. Aber es stimmt, dass die Fahrer allesamt total pünktlich waren. Am Krater dann ein bisschen eine Überraschung, weil ich noch hunderttausend Eintritt zahle und dann in einen orangen (die Niederländer schon wieder?) Bus zum Warten verwiesen werde. Weil wir warten jetzt noch, bis der Bus wirklich voll ist. Ich mein: wirklich voll. Interessanterweise gibt s ein Schild, das das Eigengewicht vom Bus mit neunhunderneunzig Kilo bezeichnet und als maximale Passagierzahl elf ausweist. Ein idealer Passagier hat in Indonesien übrigens nur sechzig Kilo. Tatsächlich sind wir dann dreizehn Leute im Bus. Neben mir sind ein paar malayische TouristInnen, drei IndonesierInnen, ein Libanese und noch zwei, die aber vorne beim Fahrer im Hütterl sitzen und sich nicht vorstellen. Ich glaub, wir sind immer noch unter Busgewicht, aber nicht viel und das lässt sich der Bus auch anhören. Wir kurven noch neun Kilometer auf den Berg hinauf und manch eine Kurve nimmt der Fahrer mit etwas mehr Schwung als ich ideal finden würde. Und es geht ja nicht nur mir so. So bei der Hälfte rasen wir mal in einer Kurve knapp an einem uns entgegenkommenden Auto vorbei und es gibt einen Moment kollektives Ausatmens gefolgt von einer Runde nervösem Kichern all around.

Oben ist der See und ich bin total überrascht, wie hier alles total aufgeräumt und touristisch durchgecheckt ist. Mit Geländern und Treppen und Absperrungen und Verbotsschildern. Mein Lieblingsverbotsschild macht darauf aufmerksam, dass man seinen Müll nicht liegen lassen soll. Ich weiß natürlich nicht genau, wie das auf Indonesisch formuliert ist, aber auf Englisch haben sie sich für No Littering! Litterbugs Are the Trash Itself entschieden. Bussi!

Und das Wetter war auch super.

Der Kratersee ist unwirklich. Mehr kann ich kaum sagen. Wie schon im Bus rauf sind vor allem asiatische TouristInnen da, ein niederländisches Pärchen grüßt mich mal wieder vor lauter Fremdheit drumrum, und dann seh ich sogar noch eine ganze Reisegruppe junger EuropäerInnen. Interessant fand ich dann doch, dass die meisten Gäste so im Zugangsbereich des Kratersees bleiben und von dort ihre Bilder machen. Das ist auch eine schöne Stelle, kein Zweifel. Ich selbst habe aber schon das Bedürfnis, bisschen weiter zu schauen und kletter am Ufer herum, bis ich hier und da auf das Bis-hierher-und-nicht-weiter-Schild komme.

Am Kratersee hat man alle paar Meter auch die Möglichkeit für zusätzliches Geld auf einen Steg oder einen Skywalk zu gehen.

Nach einer Stunde oder so gehe ich wieder zurück zum Bus. Ich muss gestehen, dass die Warnschilder, die sagen, dass man aus Gesundheitsgründen maximal eine Viertelstunde am See verbringen soll, weitgehend ignoriert habe. Mein Gefühl war, ich hab jetzt genug Schwefel geatmet und das hat mir nie wirklich was getan. Außerdem hat ein Blogeintrag im Internet gesagt, dass das nicht wirklich schädlich ist. Und ich mein… eben. Nach vierzig Minuten ist mir aber doch etwas schwummrig geworden, ich hatte bisschen Hustenreiz und insgesamt, ja, es war Zeit für ein Ende. Der Schwefel ist übrigens warum der See so milchig wirkt, da ist halt massiv Schwefel gelöst drin. Unter niederländischer Besetzung ist hier Schwefel abgebaut worden und dann noch ein bisschen unter japanischer.

Am Heimweg bleiben wir noch an einem Teefeld stehen. Weil ich hab kein Interesse an heißen Quellen, aber eine Teeplantage find ich schon interessant. Es ist total schön. Es ist wirklich irrsinnig herzig, weil Tee – das wusst ich nicht – auf Bäumchen wächst, die halt abgeerntet werden, aber es bleibt dabei eine Art Rebe stehen. Aber ja, man kann s sicherlich einfach auch als Bäumchen bezeichnen, ohne die Weinassoziation. Ich stehl mir ein paar Blätter und koste. Es ist zuerst etwas langweilig und dann schnell sehr bitter. Aber es kommt schon ein Teegeschmack durch, der bleibt dann auch noch einige Zeit, nachdem ich die Blätter mal ausgespuckt habe. Aber kurz darauf nehm ich noch ein paar. Weil: doch gut, irgendwie.

Angeblich (!) gehören irgendwelche Plantagen hier in der Gegend auch der Königin von England, sagt mein Fahrer. Aber in feinster Gerüchtemanier ergänzt er, dass er das längst schon mal hätte nachschauen sollen, anstatt es andauernd ungecheckt rumzuerzählen.

Wir sind dann drei Stunden oder so im Auto gesessen, weil der Verkehr in Bandung ist ungut, wenn am Sonntag die ganzen LokaltouristInnen auch rein oder raus wollen, ich weiß nicht. Wir fahren auch ein bisschen im Kreis. Im Radio hör ich eine Nummer, die ich ganz gut finde, bis ich jetzt zuhause gemerkt habe, dass Julia Michaels way nicht so underground ist, wie ich beim Hören gedacht hab. Überhaupt steht im Wikipedia nichts über sie persönlich sondern nur ihre MTV Music Awards und so Zeug. Halt trotzdem, ein sensibles Lied über soziale Angst. Es ist ja, so nebenbei, nicht so einfach, für social anxiety einen deutschen Begriff zu finden, der das Thema ernst genug nimmt – ich finde ja, dass „Angst“ da ein wenig versagt – und zweitens aber auch nicht so klinisch wie Angststörung klingt, damit kann ich mich im Alltag auch schwer identifizieren.

Aber ja, drei Stunden im Auto, zwei Stunden im Stau. Heute sei es schon besonders schlimm, er wisse auch nicht, was da los sei, heißt s vom Fahrersessel. Ich krieg aber derweil ein bisschen Nervosität zusammen, weil ich gestern am Bahnschalter so stehengelassen wurde: Als ich um halb eins dort war, hat s geheißen, er macht erst um eins auf. Dann war ich spazieren und um halb fünf wieder dort, hieß es: sorry, wir machen um vier zu. Und ich fahr morgen nach Jakarta, das war schon fix, weil ich ein Hotel gebucht hab. Zumindest hab ich gestern aber erfahren, dass der Zug um halb zwölf schon voll sei, es gäbe noch einen um vier, um fünf und einen um sechs in der Früh. Na gut, denke ich resigniert, dann also heute. Und natürlich machen sie heute ebenfalls um vier zu, wie immer. Deswegen bin ich langsam nervös geworden, als wir um drei noch zweieinhalb Kilometer entfernt waren.

So klingt s im Bandunger Bahnhof um halb eins, während ich überlege, ob ich jetzt ein halbe Stunde warten oder halt am Abend wiederkommen soll. Dabei stehen übrigens nicht gerade sechzig Leute am Schalter zwei und weitere sechzig am Schalter drei an.

Ich bin dann auch tatsächlich ausgestiegen. Jetzt: keine Überraschung, dass sich der Verkehr fünfhundert Meter weiter aufgelöst hat. Ich hab leider den Moment verpasst, ich war wohl zu konzentriert beim Mich-durch-den-Verkehr-schlängeln-ohne-angefahren-zu-Werden. Und gut so. Und eine halbe Stunde später stand ich in der Station. Zuerst hat mir die junge Frau gesagt, dass ich an Schalter fünf mein Ticket gleich kaufen kann. Ich brauch wohl keine Reservierung mehr dafür. Ok, Schalter fünf ist nicht, wie ich zuerst gedacht hab, der Schalter an dem sechzig Leute anstehen. Puh. Allerdings sagt der junge Mann an Schalter fünf, dass es nur noch Plätze im Zug um vier und in dem um fünf gibt. Argl. Na gut. Na gut… ok. Dann halt um fünf. Morgen Früh um fünf in den Zug nach Jakarta. Einmal bitte, Eksekutif.