K (*yoto nach *anazawa)

Von Osaka nach Kyoto ist es wirklich kaum eine Zugfahrt. Das ist wirklich mehr eine Art S-Bahn als eine ordentliche Eisenbahn. Eine Frau bietet mir einen Stehplatz in der Ecke an und obwohl ich in der Mitte des Stehplatzbereichs mit meinem Rucksack zwischen den Knien hin- und herschwanke, sagt der Reflex zuerst einmal sagt, dass das schon passe, vielen Dank. Aber mithilfe schierer Willenskraft korrigiere ich mich und steh dann dankbar in der Ecke. Man sieht: nicht mal einen Sitzplatz hab ich, aber nicht einmal einen Sitzplatz brauch ich. Und aus dem Fenster raus ist da auch nicht viel Landschaft zu sehen, da sind Häuser und Straßen und vielleicht einmal eine Wiese. Da bekomme ich ein hübsches Gefühl für Mega-City, die verschmolzenen Großstädte der nahen Zukunft, die den Hintergrund für Cyberpunkgeschichten darstellen. Wo Menschen ihre Sinne und Fähigkeiten mithilfe elektronischer Implantate verändern und erweitern, wo jeder Widerstand gegen die von global agierenden Riesenunternehmen gestaltete Lebenswelt von ebendiesen mit militärischer Gewalt skrupellos niedergeschlagen wird. Es ist nicht nur die Geografie, die diese Fantasie weniger abstrahiert erscheinen lässt, als durch doppelverglaste Fenster auf alte europäische Straßen blickend.

Während vor meinen Augen also die eine Stadt in die nächste greift, denke ich daran, dass ich tatsächlich kaum etwas von Osaka gesehen habe. Abgesehen von meinem ersten Spaziergang, habe ich eigentlich kaum etwas von der Stadt zu Gesicht bekommen. Vielleicht ist das der Moment, wo mir gerade alles ein bisschen zu schnell wird für die nächsten Tage. Vielleicht ist es auch nur oder vor allem, dass ich wieder einmal jemanden vermisse, wieder einmal eine konkrete Person vermisse, nicht nur die Sehnsucht, die abstrakte Leerstelle eines fehlenden Gegenübers gefüllt zu bekommen. So wie ich das Gefühl habe, dass Osaka an mir ein wenig vorbeigezogen sei, erscheinen mir in Kyoto jetzt meine Eindrücke ebenfalls gedämpft, als durch einen sanften aber dämmenden Schleier.

Und ungeduldig bin ich auch: Auf dem Weg zu meinem Hostel biege ich von der großen Straße ab, weil mir zu viel los ist und hoffe, über eine der Seitenstraßen schneller und ungestörter zu meinem Hostel zu kommen. Vielleicht auch ohne auf dem Weg den Unmengen von TouristInnen ausweichen zu müssen, die sich langsam die Straße entlangschieben. Pech gehabt, weil die Parallelstraße führt quer durch den Markt und wenn der TouristInnenstrom zuvor nur am Mäandern war, gerate ich hier in die reinste Moorlandschaft. Nicht zuletzt ist es auch der schwere graue Rucksack, der meine Agilität hemmt und mich am eleganten Durchgleiten hindert. Sorry, sorry, argh, fuck it… Aber natürlich ist das nur ein kleiner Einblick in meinen inneren Monolog und wird nicht Teil der aufgeregten Geräuschkulisse, so bin ich auch wieder nicht, dass ich mich mit so einer Sprache öffentlich erwischen lasse. Aber so bin ich immerhin, dass ich mich an TouristInnen vorbeidränge, die getrocknete Fische und eingelegtes Gemüse bewundern, und dabei vielleicht auch einmal vergessen, dass was für sie ein Stehplatz für ein kulturell-kulinarisches Schauspiel geworden ist, für andere immer noch die kürzeste Route von A nach B darstellt. Sorry, sorry, grmblrgh, beiße ich mir inmitten des lokalen Naschmarktäquivalents auf die Zunge und lasse mich von der stockenden Flut tragen: eine Querstraße, eine zweite…

Ohne Rucksack ist alles schon viel leichter und ich mach einen kleinen Spaziergang durch das abendliche Kyoto. Ich kreuze ein fröhlich bevölkertes Flussufer, wo die Menschen im Grünen sitzen und den erfrischend flott vorbeiziehenden Fluss Kamo beobachten. Immer wieder diese einfach gelungenere Integration von Flüssen in die Stadtlandschaft. Wie auch in den Gärten das Wasser eine wichtigere Rolle spielt. Bei uns versteckt man den Wienfluss unter dem Naschmarkt, hier gibt man diversen Nebenflüssen Platz die ganze Stadt zu umarmen. Es wirkt so besonders auf mich, dass ich nach Erklärungsansätzen suche: Ob damit einst ein fehlendes unterirdisches Kanalisationsnetz kompensiert wurde? Auch als Transportwege sind so Kanäle natürlich (!) praktisch. Weiter geht s durch die vergleichsweise leeren Tempellandschaften und verlassene Parks. Ab und zu zieht eine Reisegruppe an mir vorbei, aber sonst kommt es mir vor, als hätte ich in einer halben Stunde Spaziergang die ganze Stadt bereits hinter mir gelassen.

Der Yasakaschrein im Mondenschein (l.o.); tagsüber kommt man da kaum dazu ob der Massen. Wobei das nicht der Schrein ist… pardon, aber die englische Wikipedia bezeichnet das als die Bühne des Schreins, zu dem man diesen Platz bloß quert. Nachdem der Schrein ein beliebter Ort für Neujahrsfeiern ist und auch beim Kirschblütenfest eine wichtige Rolle spielt, ist anzunehmen, dass in diesem Kontext hier etwas die Bühne geboten wird.

Auf dem Weg zurück zum Hostel lauf ich durch Gion. In vielen japanischen Städten gibt s so einen Bezirk, wo man sagt, da sind oder da waren oder da kann man einen Blick auf eine Geisha werfen, mit etwas Glück höre man aus einer kleinen Gasse eine auf ihrem Shamisen üben. Aber wohl nicht um zehn in der Nacht. Und macht nicht schon das Wort Geisha einen seltsamen Eindruck? Ich werd mit dieser westlichen Miskonzeption nicht aufräumen, aber schau einer an, es gibt durchaus eine formalisierte Prostitutionstradition in Japan und schau einer an, wenn man so eine Oiran im traditionellen Outfit neben eine Geisha im vollen Getakel stellt, dann müsse man sich schon gut auskennen, dass man die eine von der anderen zu unterscheiden weiß. Und wenn man eine Gruppe pubertierender JapanerInnen an einen Kebabstand stellt, dann kommen die vielleicht vor lauter Ayran aus dem Kudern gar nicht mehr heraus.

Die Geishas nicht berühren, kein Rumlungern, kein Rauchen, kein Essen, keinen Mist fallen lassen, keine Selfies. Das sind schon viele Regeln für ein Unterhaltungsviertel.

Tags darauf hab ich möglicherweise eine Geisha auf einer Brücke stehen sehen. Aber ich hab sie nicht gefragt, meine Annahme basiert darauf, dass sie extrem unpraktische Schuhe angehabt hat, auf denen sie dem Himmel ein gutes Stück näher war. Und wen, wenn nicht einer Praktikantin althergebrachter Künste würde man derartige Schuhe verpassen. (Wieder einmal vermischen sich Moderne und Tradition in der japanischen Praxis aufs Ununterscheidbare.) Sonst hab ich mir für Kyoto noch einmal eine Handvoll Sehenswürdigkeiten aus dem Reiseführer in meinen digitalen Stadtplan geschrieben. Das ist ganz hilfreich, wenn man wo steht und sich denkt, wohin jetzt und dann schlag ich mein Telefon auf und klick mich durch die Blasen, die in meiner unmittelbaren Umgebung aus der Gegend ragen. Oder ich geh einfach noch ein bisschen eine Straße entlang. Es ist ja ganz hübsch, ein bisschen verloren zu gehen, wenn man s nicht eilig hat. Und dafür sind japanische Städte dann auch schon wieder mehr geeignet als anderswo, insbesondere in der Nacht in einer unbekannten Gegend, wo man vielleicht anderswo hinter einer Ecke eine Übeltäterin oder einen Grobian befürchten würde. Aber nicht hier. Hier fallen zwischen zehn und halb zwölf nur betrunkene Angestellte aus den Bierschuppen, die sich bis zum nächsten Tag wieder folgsame Untergebenheit annüchtern müssen.

Mehr japanische Verbotsschilder. Man sei gewarnt, dass der Schrein strikten Protest einlegen werde, gegen all jene, die an dieser heiligen Stelle ihren Mist loswerden. Und dann schaut das so aus, als würde irgendeine Schreininstitution hier selbst ihr Lager eingerichtet haben… Einmal mehr mehr Regeln als befolgt werden, nur Ramen werden so heiß gegessen wie gekocht.

Am nächsten Morgen stelle ich mehr mir als mich einer der größeren Herausforderungen, indem ich einen Abstecher ins Mangamuseum mache. Es ist ja so: Manga. Was soll denn das überhaupt sein. Und tatsächlich lerne ich schnell einmal, dass es auch gar keine besondere Definition gibt, so sehr ich mich nach einem Satz sehne, der mir sagt: so und so der Strich, so muss der Stift sein und überhaupt, dieses und jenes. Aber das ist es nicht. Die Einleitung sagt mir, dass man, wenn man will, die Geschichte von Mangas auch in der Höhlenmalerei zu finden im Stande wäre. In japanischen Höhlen versteht sich. So bekomme ich zu verstehen, dass sich Manga am ehesten über die Herkunft auf den Punkt bringen lässt. Und natürlich hat sich da ein Stil entwickelt und eine eigene Formsprache, die Mangas zu eigen ist, die sich teilweise aus der Not erklären lässt, wie so vieles in so vielen Künsten, dass man dem finanziellen Notstand entsprechend irgendwo reduzieren musste. Am deutlichsten ist mir das aus den Anime in Erinnerung, wo sie beispielsweise nur einen Bruchteil der Bilder pro Sekunde verwendet haben, als zeitgleich in westlichen Zeichentrickfilmen Usus war, woraus ein bisschen holprige Bewegungen entstanden sind, die mittlerweile einfach Teil der Technik sind. Ebenso dass es diese seltsamen Momente gibt, wo Figuren einige Sekunden in einer energiegeladenen Haltung eingefroren sind, bevor sie die Bewegung durchziehen.

Parallel zur Geschichte der Mangas waren auch die Lebensabschnitte der JapanerInnen dargestellt, also Vorschul- und Schuleintritt, Wahlrecht, Universität. Aber das ist dann weitergegangen mit Berufseintritt, Heiratsalter, erstes Kind… Zugegeben, es waren dann ab Beginn des dritten Lebensjahrzehnts vermehrt deskriptive Maßzahlen, aber das ganze hat immer noch sehr präskriptiv gewirkt: Hier ist das Leben der JapanerInnen, von der Geburt bis zum Tod, ein jeder Lebensabschnitt zum Abhakerln. Der Sinn lag darin, zu zeigen, dass es homogene Zielgruppen gibt, auf die einzelne Mangas sehr stark zugeschnitten sind. Wie sehr da Abweichungen passieren, wie sehr sechzehnjährige Frauen zu den Mangas greifen, die dezidiert für achtjährige Burschen geschrieben sind oder mittelalterliche Männer Comics konsumieren, deren AutorIn damit auf zehnjährige Mädchen gezielt hat, das würde mich schon interessieren. Tatsache ist, dass das Museum voller Menschen aller Altersgruppen war, die auf den Bänken gesessen, am Boden gelegen und mitten im Raum gestanden sind, während sie in ihre Mangas vertieft waren. Das Museum ist wirklich mehr eine Bibliothek, in der zehntausende Mangas zur Entnahme stehen. Wobei die Abteilung für fremdsprachige – nämlich: übersetzte – Mangas zwar klein ist, aber selbst da würde sich eine Jahreskarte wohl auszahlen. Aber das war wirklich schön anzusehen, wie sie da alle gesessen sind, auf Sprechblasen und Bewegungslinien konzentriert. Die Diskussion wie sehr Comics einen schädlichen Einfluss auf die Entwicklung der Jugend haben, wie sehr Comics Teil einer breiten kulturellen Identität sein sollen, hat Japan wohl bereits hinter sich und die Entscheidung ist ziemlich eindeutig ausgefallen. Eines der schönsten Bilder, das mir aus dem Museum in Erinnerung ist, ist ein großer, beplüschter und beteppichbodenter Raum, in dem selbst die Kinder bis auf einzelne Ausnahmen den Fernseher in der Ecke zugunsten ihrer Comics ignoriert haben.

Kyoto hat eineinhalb Millionen EinwohnerInnen. Während ich in der Innenstadt spazieren gehe, quere ich so einen Fluss. Wirkt das nicht erstaunlich im Sinne von Lebensqualität?

Neben einigen Jahrzehnten Mangageschichte und den Comics selbst, hab ich noch einen Raum gefunden, in dem Abgüsse der Hände von KünstlerInnen ausgestellt, die dem Museum einmal einen Besuch abgestattet hatten. Das war schon nochmal zwanzig Minuten wert. Einerseits einfach, weil da so viele unterschiedliche Handhaltungen zu sehen waren, mit denen sie ihren Bleistift gehalten haben. Einzelne Ausnahmen haben offenbar auf einen Pinsel oder – wer lustiges – einen Radiergummi beharrt. Aber auch interessant, weil ich da dem Mahler seine Hand gefunden hab. Der hat meine eben erst gefundene Sicherheit in Manga-ist-Comic-aus-Japan gleich mal wieder ins Wackeln gebracht. Zugegeben, es gab für die Nicht-JapanerInnen einen eigenen, spärlich gefüllten Schrank, neben dem Dutzend Vitrinen, in denen eine offenbare Berühmtheit der nächsten die Hand reicht. Wahrscheinlich bedeutet der Begriff in Japan einfach etwas anderes, als das, was sich die weltweite Popkulturgemeinschaft als Manga angeeignet hat.

Flaschko Goes Kyoto

Na und dann bin ich halt nochmal durch die Stadt gelaufen und dabei – Überrschung – in einem Tempel gelandet. Oder in einem Garten. Oder einem Teehaus. Es war auf jeden Fall eine sehr gemütliche, ästhetisch ansprechende Umgebung. Schlagartig die Aufregung der Straßen hinter mir gelassen… und das ist eigentlich übertrieben. Kyoto ist an der einen oder anderen Ecke sehr dicht mit Tourismus und meine Seitenstraßenidee hätte in vielen anderen Seitenstraßen tadellos funktioniert, weil man schnell einmal ein bisschen Ruhe bekommen hat, wenn man die Pfade zwischen den zentralen TouristInnenattraktionen verlassen hat. Das ist ja schon eine Überraschung manchmal, dass man die „falsche“ Abzweigung nimmt und aus dem Einkaufszentrumstrubel plötzlich auf einer leeren Wiese steht, umgeben von Bäumen, über die sich Tempelgiebel strecken. Aber der Shōren-in Monzeki (so hieß nämlich der aktuelle Tempel) hat schon eine besondere Ruhe ausgestrahlt. So, dass Leute automatisch geflüstert haben, wenn sie überhaupt miteinander geredet haben. Und selbst die Bauarbeiter, die in einem der Schreine am renovieren waren, schienen ihre Hämmer und Stichsägen mit Schalldämpfern ausgestattet haben.

Es ist die Wiederholung, durch die man sich irgendwann so einen Namen merkt. Und warum nicht ein bisschen eine Postkarte, weil grad Zeit ist. Dem Pfau oben links hätte ich ja so ein Tischchen unter die Füße gestellt, dass er nicht so schwebt. Und den Marmor unten links hab ich einfach sehr witzig gefunden.

Da sitzt man auf diesen schönen Matten und schaut durch eine Tür durch eine Tür auf den Garten. Der Wind durchs Laub, daneben plätschert ein Wasserfall. Das haben die schon gut gemacht, die Natur zu inszenieren. Der Obermönch, der über den Tempel bestimmt hat, war traditionell Teil der kaiserlichen Familie. Was auch lustig ist irgendwo, weil bei uns die Karriere in der Religion tatsächlich eher als ein Ausstieg aus dem Weltlichen zu betrachten wäre, aber die Verbindung zwischen Religion und Politik ist naturgemäß etwas enger in einer Gesellschaft, in der sich das Staatsoberhaupt über die göttliche Gnade definiert und seine Familie bis in ihre göttliche Verwandtschaft zurückverfolgen. Da besetzt man die hübschesten Tempel wohl auch mit Brüdern und Onkeln.

Eine zweite Tempelanlage hab ich mir noch gegeben, Fushimi Inari-taisha, eigentlich eine Anlage von Schreinen, an denen Inari verehrt wird, die ein kami ist, wie ich lese: eine übernatürliche Kraft, in der sich irgendwelche Konzepte im entferntesten Sinne des Wortes: manifestieren. Und Inari vertritt Reis, Sake, Tee und allgemeiner Fruchtbarkeit, aber auch Produktion und wirtschaftlichen Erfolg. Deshalb ist der Schrein wohl auch in vergangenen Jahrhunderten stets gut besucht gewesen. Dank der Tradition, sein Gebet in Form einer torii Schenkung darzubieten, stehen heute hunderte rote Tore, eines an das nächste gereiht auf dem Gelände. Was wiederum schicke Instagram-Bilder ermöglicht. Wer weiß, wie sowas dann auf wirtschaftlichen Erfolg oder gar Fruchtbarkeit zurückwirkt. Andererseits wird Inari oft durch ihre weißen Füchse vertreten, die als ihre BotInnen agieren. Und, wenn ich das richtig verstanden habe, denen werden keine Schreine gebaut sondern einfach der Wald stehengelassen, über den sie quasi kontaktierbar sind. Und deshalb steht dann auch viel Natur um den Schrein herum. Ist auch nett, wenngleich sich das wiederum in Insektenbissen auf dem Knie manifestiert.

Das ist schon ganz hübsch, wie sich dadurch, dass sie aus verschiedenen Quellen stammen, sich ein jedes torii vom nächsten etwas unterscheidet. Und zwischendurch ist dann ab und zu mal eines weggerottet, aber ich nehm an, dass die Leute den Wirtschaftsgeistern immer noch ihre Geschenke machen

Aber dann war ich auch schon wieder weg aus Kyoto und auf dem Weg nach Kanazawa. Das ist an der Westküste Honshus, am Scheitelpunkt der Innenkurve. Eine exklusive Exkursion, zu der mich meine Udonbekanntschaften motiviert haben. Mein erster Eindruck, als ich abends aus dem Bahnhof steige, ist geprägt von meiner Idee, dass es sich um eine kleine Stadt handle. Einfach, weil sie in meinem schicken Reiseführer nicht vorkommt (aber der lässt viel aus) und ich deshalb noch nie was davon gehört habe. Und erstens leben auch hier über vierhundertausend JapanerInnen und sogar etwas mehr als in Nagasaki und zweitens stimmt nicht einmal die vermeintliche absolute Unbekanntheit. Kurz darauf, bei der wiederholten Lektüre des Haus der schlafenden Schönen, stoße ich auf eine Erwähnung Kanazawas, die ich heute, wie schon vor Jahren unbemerkt überlesen hätte, wäre ich nicht diese eineinhalb Tage durch seine Straßen gelaufen.

ArbeiterInnenikone in Stöckelstiefel? Nein, nein, das schaut vielleicht ein bisschen nach Sozialismus aus, aber der Overall ist wahrscheinlich von Issey Miyake

Die breite Straßen querend, die mich gleich einmal an der Kleinstadt zweifeln lässt, finde ich flott zu meiner Jugendherberge, die mehr meinem Bild einer Jugendherberge entspricht, als die meisten anderen die ich in Japan zu sehen bekommen hab. Die Zimmer sind dann eh wieder die üblichen Holzverschläge, die mit Strom und Licht und etwas zu wenig frischer Luft ausgestattet sind, aber in den Gängen sind Postkarten aus aller Welt, Köffer und Landkarten an die Wände genagelt und hier und dort gemahnt uns ein Spruch daran, wie sehr eine Reise unsere Leben bereichert, wie froh das Bekanntschaftenschließen macht. Wenn da bloß nicht wieder die österreichische Familie gewesen wäre, deren Unterhaltungen mich wieder einmal an den eigenen Kräften zweifeln lassen, ob ich mich den Ketten der Heimat widersetzen werde können, die mich in den ungeliebten Sumpf alter Gewohnheiten zu ziehen drohen. Einen Trost bietet die Erfahrung, dass das Abenteuer Abenteuer bleibt, egal ob man sich der âventiure willen in die Welt geschmissen haben oder ob man den engen Wänden der eigenen vier entkommen wollten.

Ich bin einige Stunden mit Haushalten beschäftigt (Wäsche gewaschen, Erinnerungen aufgezeichnet), als es plötzlich elf Uhr ist und ich dem Hunger nachgebe, der mich noch einmal aus dem Haus und in Richtung Zentrum lockt. Hinter der Tür des von mir angestrebten Izakayalokals ist gerade eine private Feier im Gang und ich stehe einen Moment einer Gruppe JapanerInnen gegenüber, die Biergläser und Musikinstrumente in den Händen halten, bis sich die Gastgeberin mir mit einem closed zuwendet und ich mich entschuldigend rückwärts aus der Tür schiebe. Gegenüber finde ich noch einen Platz in einer Ramenhandlung. Die zwei anderen Gäste haben offensichtlich ebenfalls bereits die eine oder andere Stunde gefeiert und stolpern bald nach meiner Ankuft aus dem Beisl. Ich schlürfe meine Ramen während die EigentümerInnen bereits die Küche putzen, also noch einmal schneller als es ja sonst oft einmal schon die Mode ist. Trotzdem schaffen es die zwei irgendwie, dass ich das Gefühl habe, ich hätte mir wirklich etwas mehr Zeit lassen können, als ich mich einige Minuten später in die Richtung der Tür hieve, mein neugewonnenes Völlegfühl im Schlepptau.

Abends in Kanazawa

Um halb drei erwache ich aus einem Albtraum. Ich war ein Kind und seine Eltern, als die ich eben dabei war, ein halbes Bett glatt zu streichen, in dem ich als Kind scheinbar zuvor jemanden im Schlaf erschlagen hatte. Als Kind war ich zunächst nur ein Körper ohne Gliedmaßen, aber ich schien vor kurzem einen Cyborgkörper erhalten haben, spezifischerweise war ich in die Lage versetzt, mithilfe von Kraftfeldern meine Umgebung zu manipulieren. Jedenfalls war das Kind diese Ohnmacht gewohnt und hatte die unerhörten Kräfte des künstlichen Körpers bei weitem nicht unter Kontrolle: Die mithilfe der Maschine nun in die Realität wirkenden Bewegungen meiner Phantomgliedmaßen äußerten sich als weitläufige Gewaltausbrüche. Als Eltern stand ich dem aber ebenfalls hilflos gegenüber, dem Kind die Freiheit der eigenen Mobilität zu nehmen und weiterhin in der Unbeweglichkeit einzusperren, erschien uns nicht als Option. Letztlich bin ich aber aufgewacht, weil das Gefühl der Leere zwischen den Eltern so erschreckend war, die über die furchtbaren Erfahrungen des gemeinsamen Kinds jeweils in die eigene Entfremdung gerutscht sind.

Immerhin ein kreativer Alptraum und auch der psychologische Horror eigentlich ganz interessant, der sich da gesponnen hat. Trotzdem lieber keine Ramen mehr spät in der Nacht.

Am nächsten Morgen mach ich mich zu meinem Spaziergang auf. Kanazawa ist immerhin klein genug, dass ich keine Ewigkeiten unterwegs bin, bis ich vor der ersten Attraktion stehe, die ich mir auserkoren habe: der ehemaligen Wohnung eines Samurai. Wieder einmal stehe ich barfuß auf Tatamimatten und schaue an einer papiernernen Schiebetür vorbei in einen Garten. Diesmal gibt s aber eine Audiotour, die mir aus versteckten Lautsprechern etwas über die Samuraifamilie erzählt, wenn man s eine Tour nennen kann, die sich auf ein Zimmer beschränkt. Und „Samuraifamilie“ ist eher eine Väter-Söhne Geschichte, auch wenn die Vorstellung einer traditionellen Vater-Mutter-Tochter-Sohn Familie in Samurairüstungen ein herziges Bild abgibt. Der Garten ist besonders, weil auf Wasser verzichtet wurde. Dafür bleibe ich ein-, zweimal nur knapp vor einem Spinnennetz stehen, das sich über den Weg spannt. Spinnen eben durchaus positiv besetzt, bisschen Glücksbringer. Oder aber, das Samuraihaus ist nicht so gut besucht, wie man meinen möchte.

Die dürften schon ein bisschen zwänglich gewesen sein in Sachen Ordnung, mit ihren geraden Linien, die Herrschaften Samurai

Als nächstes schlendere ich gleich einmal wieder durch einen Park, in dem alle paar Meter eine Bronzestatue steht. Keine Buddhas sondern Mädchen und Frauen, nur ab und zu ein männlicher Körper. Vielleicht ist es ein falscher Eindruck, aber mir kommt vor, dass die nackt abgebildeten öfter europäische Gesichtszüge aufweisen, während die mit asiatischen Gesichtern tendenziell angezogen sind. Ich bin auf dem Weg zu einem Museum, das an das Leben Daisetsu Teitaro Suzukis erinnert. Das war wohl ein japanischer Theologe… Philosoph? Auf jeden Fall wohl ein Lehrer und Autor, der dazu beigetragen hat, Zen Buddhismus einem westlichen Publikum zugänglich zu machen. Ein hübsches Museum, das nur ein bisschen ein Museum ist. Und – ganz offensichtlich Tag der Audioguides – ein guter Audioguide, der mir Schritt für Schritt Details ins Ohr flüstert: Der Baum, den du hier durch das Fenster siehst, ist um die zweihunderfünfzig Jahre alt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ein junger Daisetsu an einem warmen Sommertag durch seine Äste geklettert ist… Im einzigen Ausstellungsraum verweist die Stimme in meinem Ohr dann jedoch auf die schriftlichen Erklärungen, weil die ausgestellten Spruchbänder und Bücher des Herrn Suzuki oft wechseln. Ich sitze neben einem japanischen Mädchen wir schauen uns gemeinsam Fotos von Suzuki im mexikanischen Garten von Erich Fromm an.

Um die nächste Ecke mache ich einen neuen Eintrag auf der Liste des Museumsangestellten, der die Herkunftsländer der BesucherInnen dokumentiert. Austria: 1. Dann sitze ich über zen-buddhistische Kinderbücher gebeugt in der Bibliothek. Und dann ist da noch der große, flache Teich, dessen Spiegel alle paar Minuten durch ein konzentrische Kreise werfendes Blubbern unterbrochen wird. Im Kontemplationswürfel sitzen TouristInnen aus aller Welt und checken ihre Telefone nach neuen Nachrichten. Ich habe gelernt, dass die Suzukis generationenlang die Ärzte der Familie Honda gewesen sind und weder die einen noch die anderen sind ein Auto. Dafür hat der T.D. Suzuki in den Dreißigern den japanischen Imperialismus gerechtfertigt und zwar „einzelne Individuen“ bedauert, die Opfer der nationalen Politik damaligen Deutschlands wurden, aber prinzipiell sei das zu unterstützen, wenn es die nationale Identität Deutschlands stärke. Na ja, auch ein Zen Buddhist ist nur ein Mensch und kann sich irren.

Von der Reinheit der geraden Linien im Suzukimuseum mache ich mich auf in den berühmten Garten von Kanazawa, einer von nur drei „perfekten Gärten“ die es in Japan gibt. Ich bin nicht dazu gekommen, mir die Kriterien anzusehen, die der Garten alle erfüllt, aber ich hoffe stark, dass es irgendwo eine Liste gibt. Natürlich ist der Garten schön, aber er ist so groß und wir schlendern Kieswege entlang und so erinnert er mehr an einen französischen Garten. Ich vermisse die Intimität, die mir an vielen japanischen Gärten gefällt, aber hier gehe ich eher in der Weite verloren statt im Detail. Natürlich gibt es auch hier die eine oder andere Ecke, in der man ein kleines Geheimnis entdecken mag, eine hübsche Laterne oder eine beeindruckende Brücke, eine schöne Aussicht. Und es gibt Geschäfte, Eiscreme und Ansichtskarten. Ich kaufe eine Ansichtskarte für die BesitzerInnen meines Udongeschäfts um tags darauf damit konfrontiert zu sein, dass ich ja die Adresse gar nicht auf die Karte schreiben kann.

Hier haben sogar eine Statue eines Prinzen in den Park… tsk! Ich mein natürlich „in den Garten“ gestellt.

Am Abend versuche ich es nochmal im Izakaya, in dem ich am Vorabend die Feier unterbrochen hab. Irgendeine Bewertung hat mich da so beeindruckt gehabt, dass ich das nochmal versuchen wollte. Außerdem lag mein Hostel einfach auf der weniger aufregenden Seite der Stadt und so viel Auswahl war da nicht. Zuerst sind die GastgeberInnen ein bisschen zurückhaltend, als ich hereingekomme. Sie geben mir zu verstehen, dass sie keine englischsprachige Karte für mich hätten und insgesamt nur wenige Worte zur Kommunikation. Aber mit meiner Bestellung des most popular komme ich ihnen wohl etwas entgegen und schon habe ich mein Bier und ein paar Vorspeisen vor mir stehen, während der Koch an meinem Sashimiteller bastelt. Nicht nur die Situation ist aufregend, auch mein Essen. Ich habe eine dunkle, stachelige Seeschnecke bekommen, die ich als ganze aus ihrem Schneckenhaus ziehe. Die steck ich mir schnell in den Mund, ich merke, dass ich über die nicht lange nachdenken möchte, weil es mich doch ein bisschen ekelt. Ich bin mir jetzt gar nicht mehr sicher, irgendwie muss die wohl schon zubereitet gewesen sein, weil sonst hätte sie sich kaum so leicht aus dem Haus ziehen lassen… sie schmeckt auf jeden Fall etwas modrig, leicht bitter, aber insgesamt eigentlich ganz gut. Neben der Schnecke ist eine Art Salat, den ich zuerst für Quallensalat halte, relativ feste, leicht nach Meer schmeckende, lichtdurchlässige Streifen in einer Marinade. Die hilfsbereiten Japaner neben mir, mit denen ich mittlerweile ins Gespräch gekommen bin erklären mir aber, dass es sich um Fugu handelt. Da hab ich den Salat schon aufgegessen. Fugu also, sag ich ungläubig. Aber ja, es ist Fugu bestätigt auch die Gastgeberin. Allerdings sei das nur die Haut. Für die eigene psychische Gesundheit nehme ich an, dass man das tödliche Nervengift nur im Fleisch serviert bekommt und nicht als gleichgültige Vorspeise.

Mit meinem Sashimiteller bleibt das Essen aufregend. Das spannendste ist eine weitere Schnecke, etwas größer im Durchmesser, sodass auch die Schnecke hier aufgeschnitten serviert wird. Das Stück, das ganz offenbar zuhinterst im Schneckenhaus war enthält, so erklärt man mir, die Organe. Das Stück ist deutlich dünkler und schmeckt angenehm nach Leber. Verschiedene Fische sind auf meinem Teller sowie zwei dünne Scheiben rohen Rindfleischs für das ich bitte Sojasauce mit Ingwer anrühren soll. Wasabi und Sojasauce bliebe dem Fisch vorenthalten. Meine zwei Nachbarn sind mittlerweile beim zweiten Gang gelandet und vor ihnen steht ein Topf, in dem Kraut mit allerhand Gemüse, Tofu und einigen Stücken Fleisch eingekocht wird. Aus dem Topf wird das Gargut dann noch in ein rohes Ei getunkt, bevor sie sich s in den Mund schieben. Ich bin zum Kosten eingeladen, das schmeckt schon. Damit ich nicht vor meinem leeren Teller sitze, stellt mir die Gastgeberin noch einen Salat hin und eine halbe Stunde später hab ich noch ein Saketrio bestellt, durch das ich mich durchkoste.

Mittlerweile sitzt auf der anderen Seite ein weiterer Stammgast und der Gastgeber hat angefangen, uns mit Zaubertricks zu unterhalten. Das klingt jetzt sicherlich nicht weniger absurd, als es sich in der Situation angefühlt hat. Eine Menge verblüffender Kartentricks später, bekomme ich einige kleine Zaubereien geschenkt und während die Gitarre aus dem Gang zum Klo geholt wird, bezahle ich und verabschiede mich vergleichsweise herzlich auf den Heimweg. Wieder einmal bin ich beeindruckt davon, wie freundlich ich aufgenommen werde und wie wenig gemeinsame Sprache uns genügt, um eine Art Freundschaft zu schließen.

Und während ich mich hier zurückerinnere, setzt sich der Robert neben mich, den ich damit kennenlerne und wir reden ein wenig darüber, wie nett das ist, wenn man durch Japan reist – insbesondere allein durch Japan reist – und sich irgendwo reinsetzt, wenn man dann ins „Gespräch“ kommt, obwohl man kaum Wörter hat, mit Hilfe derer man sich unterhalten kann. Wie unerwartet das ist, wie Japan einen damit überrascht, dass es neben den TouristInnenströmen und den Bilderspeisekarten mit den lustigen englischen Übersetzungen so viele kleine Ecken hat, die zu beschreiben man vielleicht doch zu dem schwierigen Wort authentisch greifen muss. In die man ohne gröbere Probleme hineinstolpert und so schnell einmal einen unvergesslichen Abend verbringt, weil man wie ein satter Koi in der Glückseligkeit von Abendessen, Gast- und Alltagsfreundlichkeit schwimmt.

Aber ich bin schon wieder unterwegs und auf dem Weg nach Tokio um meine Wahlkarte in der Botschaft auszufüllen. Nicht vergessen…

verblassende Erinnerungen

Die Japanischen Eisenbahnen tragen mich von einer Insel zur anderen, zwei Tage in der einen Stadt und weiter in die nächste. Eine Woche ist das her, dass ich mich konzentriert ans Erinnern gesetzt habe, eine Woche und locker dreitausend Kilometer, dass ich jetzt wieder in Tokio sitze und versuche, im Rückblick jene Emotionen auseinanderzuklauben, die langsam aber sicher in ein relativ homogenes Japanbild zusammenschmelzen. Gut, es ist nicht so, als ob ich nicht Notizen gemacht hätte…

An Osaka erinnere ich mich mehr an das Hostel als an die Stadt selbst. „Hostelzentriert“ hab ich mir notiert. Und so ist das, es gibt einfach Städte, wo mir die Unterkünfte stärker in Erinnerung bleiben, wo die Erfahrungen dort einfach die nachhaltigeren sind. Und natürlich sind das die Begegnungen, weil das sind die Erlebnisse, die mich wirklich anstoßen. Und mit der Osakaer Jugendherberge hab ich s wirklich gut erwischt. Dabei hat s zuerst gar nicht so gut ausgeschaut, als mir die Ina am Email gesagt hat, dass sie das Zimmer nur für zwei Nächte hat und dann hab ich mir gedacht, gut, dann halt nur zwei, so sehr haut das meinen Plan auch wieder nicht durcheinander. Aber dann hat sie gemerkt, dass ich eh nur für das Schlafzimmer ein Bett such und nicht ein Dreierzimmer. Ich weiß nicht, wie sie auf die Idee gekommen ist. Aber dann hat sie gesagt, ahso, ja, nein, kein Problem: drei Nächte. Prima, sag ich, drei Nächte sind gebongt. Und dass sie eine Katze haben, nur für den Fall, dass ich damit nicht oder eine Allergie oder so. Nein, sag ich, das passt, find ich gut.

Ein japanischer Beitrag zur globalen Popkultur ist ja das Konzept von „kawaii“, was vor allem als kuschlig, herzig, knuffig, süß zu verstehen ist. Aber der Begriff beschreibt eigentlich vielmehr einen spezifischen Stil, den ich hier als die große Infantilisierung aller Lebensbereiche zusammenfassen möchte, anthropomorphe Tierbabies mit weiten Pupillen und eine picksüße Mädchenhaftigkeit unter Sonnenschirmchen.

Der Kater heißt Akubi und war letztlich ein sehr herziger. Da gehört schon einiges dazu, eine entspannte Katze in einer Jugendherberge zu sein. Und ohne ihn darauf reduzieren zu wollen, seine auffälligste Eigenschaft waren seine kurzen Beine, die vielleicht halb so lang waren, wie man erwarten möchte. Mehr ein Nilpferd als eine Giraffe, das macht einen irre herzigen Eindruck. (Dabei fällt mir ein, dass hier in Tierhandlungen immer noch Tierjungen in Glaskästen gehalten werden wo Hunde umhertollend und Katzen abgewandt schlafend auf eine KäuferIn warten. Schon gut, dass das bei uns nicht mehr durchgeht.)

Die kurzen Beine des Hostelkaters kamen in Kombination mit steilen Stufen, über die ich in den obersten Stock hinaufklettern musste. Und Schiebetüren in den Stockwerken. Was unabhängig von der Beinlänge für einen Kater bereits eine ziemliche Hürde darstellt. Wenn der Kater einmal bis hinaufgelaufen gekommen ist, dann hat er nicht wirklich selbst wieder bis runter können. Und Samstagnacht sind die Deutschen, die bei uns im Zimmer waren, spät von – wie ich am nächsten Tage erfahren hab – der Karaoke nachhause gekommen und hatten dem Kater gegenüber wohl nur berauschte Gleichgültigkeit, als der mit ihnen in den gemeinen Schlafraum geschlüpft ist. War eh super, weil ich hab schon lang nicht mehr mit einer Katze auf den Beinen geschlafen und eigentlich ist das ein leistbarer Luxus. Das war schon nett. Nur in der Früh natürlich will die Katze aufstehen, so auch dieser Kater. Und da lernen verschiedene Katzen wohl unterschiedliche Techniken. Sehr effektiv ist es, wenn man mir daheim von unten die Krallen unter die Decke schlägt, ob man dabei meinen Fuß erwischt oder nicht, da schwappt mir das Adrenalin bis unter die Schädeldecke, da gibt s kein Weiterschlafen. Dieser Kater hat einfach zugebissen. Nämlich nicht nur so bisschen geknabbert. Er hat geschnurrt dabei, also hab ich s nicht als aggressiv verstanden, aber nachdem er mir ein bisschen in die Frisur gebissen hat, hat er mir in den Hals gebissen, dass mir das Blut gekommen ist. Eh ein zarter Kratzer. Aber überraschend war das schon.

Und das war mein einer Ausflug durch Osaka. Ich hab s schon auch als hübsch in Erinnerung.

Nachdem ich am ersten Tag einen kleinen Spaziergang durch Osaka gemacht hab, hab ich mich am Abend gegenüber ins Okonomiyakilokal gesetzt. Weil da haben sie mich aus dem Hostel, das direkt gegenüber liegt, hingeschickt. Die Osaka-Okonomiyaki seien ganz anders als die Hiroshima-Okonomiyaki, sagen sie. Da bräuchte ich mich gar nicht auf meinem Ich-hatte-erst-gestern-Okonomiyaki auszuruhen. (Wir hatten ziemlich flott eine ziemliche nette Unterhaltungsebene im Hostel, wie gesagt, das Hostel, die Begegnungen, das Wohlfühlen, in diesen Punkten macht Osaka Punkte.) Und das stimmt ja auch, ganz anders, so eine Osakaokonomiyaki. Vor allem aber hab ich einmal mit einem Blick auf die Tür festgestellt, dass ich in einem Michelin ausgezeichneten Lokal sitze und das war vielleicht auch eine Premiere. Uuuuhh. Dabei hat s nicht ausgeschaut, wie ich mir ein Haubenlokal vorstell. Zuerst einmal hab ich draußen sicher eine halbe Stunde auf einen Platz gewartet. Da haben sie so Hocker auf dem Gehsteig aufgestellt gehabt, von denen man immer eins weitergerrückt ist, wenn jemand einen Platz im Lokal bekommen hat. Und bis ich dann eine Stunde später meine Okonomiyaki bekommen hab, hab mir eine Zeit lang gedacht, dass das vielleicht das beste Essen ist, das ich je gegessen hab. Aber ich hab auch ein ganzes Bier lang auf mein Essen gewartet, und ich hab nicht wirklich was gegessen gehabt, weil war ja Reisetag. Und da sitz ich dann, kann sein, dass ich schon bisschen beschickert war, wie ich dann meine Palatschinke bekommen hab.

Weil, pass auf: Okonomiyaki werden als japanische Pfannkuchen vermarktet. Und das ist schon nicht falsch, weil es kommt ein Palatschinkenteig vor. Jetzt: Hiroshimastyle hat so ausgeschaut, dass meine Köchin eine Palatschinke gemacht hat und dann ein Kraut und die anderen Ingredienzien genommen hat und die Palatschinke wie einen Deckel auf dem Kraut verwendet hat, dass es durchgart. Ja? Also sie hat einen Haufen Kraut auf ein bisschen ein Öl gestapelt und dann die Palatschinke drauf und dann halt geschaut, dass das Kraut gar wird. Osakastyle mischt man das alles schon einmal zusammen und haut s dann als ein Ganzes auf die Kochoberfläche. Und dann haben sie einen Deckel draufgetan, was ich ein bisschen schummeln gefunden hab, aber es hat ja wie gesagt lang genug gedauert, bis es fertig war, also gut dass sie einen Deckel genommen hat. He, und dann war das einfach total gut. Da war ein Schwein drin und ein Tintenfisch und eine Jakobsmuschel und dann ein Spiegelei drauf und die Okonomiyakisauce, die so bisschen Worcestersauce ist, aber mit Datteln gestreckt und gesüßt und dann hauen sie eine Mayonnaise drauf, wie die JapanerInnen das gerne machen. Die kommt aber wirklich anders rüber, als die unsrige, ich sollte die mal pur kosten. Und dann kommen noch Nori drauf, was zuerst einmal wie Petersilie ausschaut, und Katsuobushi, also Späne von zu Holz getrocknetem Thunfisch. Und dann ist es fast wie mit Gabel und Messer essen, weil in einer ziemlichen Ausnahme kriegt man hier ein japanisches Essen, das nicht mundgerecht daherkommt. Dafür kriegt man eine kleine Version von den Spachteln, mit denen die Köche das Essen zubereiten und spaltet sich da seine Stücke von der großen Festtagstorte herunter, bis man dann endlich seine Stäbchen einsetzt.

Und dann bin ich zurück ins Hostel und die vielen Stockwerke hinauf. Beim Einchecken haben wir noch gescherzt, weil in Japan zählt man das Erdgeschoß als ersten Stock. Ich hab am Anfang tatsächlich ein bisschen gebraucht, bis ich verstanden hab, dass der Adresszusatz F4 nicht eine Hausnummer ist, sondern für Floor 4 steht. Dort hab ich gewohnt, im vierten Stock. Aber, hab ich gesagt, bei uns ist ja der F2 erst der erste Stock und dann sagen wir, gibt s noch einen Mezzanin, also bin ich auf österreichisch eh nur im zweiten Stock. Die Polin hat auf meine Erklärung des Ursprungs, des vermeintlichen Ursprungs dieser Praxis gemeint, dass man in Polen wohl einmal die Steuern auf ein Haus nach der Anzahl der Fenster bemessen hätte, woraufhin die Leute ihre Fenster zugemauert hätten. Ich mein, so Steuergesetze können schon auch Unsinn anrichten. Mir sind dazu dann noch die Gehsteige eingefallen, von denen es hier ja außer auf den großen Straßen, keine gibt. Find ich immer noch toll. Ach ja. Und die Autos parken auch nicht auf der Straße sondern müssen in einer Garage oder in einem Parkhaus Platz finden. Wenn man das mal erlebt, dann ist dieses Argument, dass jedes Auto bei uns eigentlich Miete zahlen müsste für die zehn Quadratmeter öffentlichen Raum die es einfach verstellt… also nicht das Auto soll die Miete zahlen. Da könnten wir lang warten. Aber ich mein, das ist einfach nachvollziehbarer wenn man sieht wie… man sieht einfach besser. Vielleicht muss man das so dem Handel vorschlagen, dass man dann auch von der gegenüberliegenden Straßenseite in die Schaufenster schauen kann.

Es war ein komischer Moment, als ich durch schieres Glück über diese Brücke gegangen bin und auf einen Pulk asiatischer TouristInnen gestoßen bin, die sich hier mit Werbeflächen fotografiert haben. Sicherheitshalber hab ich halt auch mal ein Foto gemacht, um später zu lernen, dass der Läufer da in der Mitte, dass das der Glico Mann ist. Der macht Werbung für ein japanisches Nahrungsmittelunternehmen, der hängt da schon seit 1935. Ach was weiß ich… Leute, die sich mit einem Werbeplakat fotografieren! Da kann einem der Konsumismus schon sauer aufstoßen.

Von meinen Krautpalatschinken zurück ins Hotel bin ich dann im Zimmer meiner Zimmerkollegin begegnet und wir haben uns vorgestellt und sind so ein bisschen ins Plaudern gekommen über dieses und jenes. Und bevor man sich s versah, war s fünf Uhr in der Früh. Das war unerwartet. Aber witzig, weil ich hab mir noch am Tag davor einmal gedacht, so in der Reflektion über das eigene Leben, wie man ein bisschen schräg wird, wenn man sich unkontrolliert in seinen Interessen spezialisiert und eines Tages merkt, wie man mit seinen Anekdoten wenig anschlussfähig ist, dass man sich da vielleicht ein bisschen isoliert hat, ohne dass es geplant war. Nicht, dass das nicht eine immer wiederkehrende Sorge ist, kann sein, dass es nur so eine selektive Wahrnehmung ist, dass ich mich jetzt erinnere, dass ich das gerade erst gedacht hätte und dann plötzlich eben treff ich auf wen, die mich gerade dort erwischt, wo ich das Gefühl hatte, dass ich ein bisschen gar esoterisch in meinen Vorlieben geworden bin. So sitz ich im Hostel in Osaka und find ausgerechnet eine Amerikanerin bestbewandt in der britischen Comedyszene. Sag ich zum Beispiel, na der Ding, den find ich gut und mir der Name nicht einfällt und ich so rumüberleg und sie sagt dann, anyway, den James Acaster fändt sie noch sehr lustig. Und ich denk mir, den hab ich gerade gesucht. Greg Davies? Zitiert sie schon Man Down. Da ist mir schon weich in den Knien geworden.

Am nächsten Tag war ich dann ein bisschen müde in Nara. Nara, sagt mein Reiseführer war die erste fixe Hauptstadt Japans und nachdem s mir auch meine Lokalbekanntschaften auf die Empfehlungsliste geschrieben haben, bin ich auf einen Sprung hin. Ich bin mal wieder etwas spät losgekommen, auch weil ich den Vormittag mit Blogbetreuung verbrodelt hab, das kommt ja auch nicht aus dem Nichts. Jetzt war ich wieder einmal erst um vier oder was in Nara. Das war schon nicht ganz ungeplant, weil ich wollte dort so einem Fest zuschauen gehen, das eh erst abends angefangen hat. Jetzt machen die Tempelanlagen und die historischen Gebäude aber natürlich schon wieder um fünf zu. Und so hab ich jetzt die größte bronzerne Buddhastatue der Welt verpasst, die dort in einem Haus sitzt. Das hab ich erst im Nachhinein gelesen, irgendwer hat da bei der Vorbereitung geschlampt. Aber ich hab wieder zahme Rehe gesehen und mir von ihnen auf die Hand atmen lassen und ich hab Leute gesehen die sich in einem Moment mit zahmen Rehen abfotografieren und im nächsten Moment versuchen, eine Rehnase aus ihrer Handtasche zu scheuchen. Insgesamt ist es fast ein bisschen wie Tauben am Markusplatz. Zuerst ist es lustig, dann wird s schnell zu viel, weil die Tiere nicht spielen wollen sondern gierig Essen suchen.

Ich hätte wahrscheinlich nur diese Schilder lesen müssen, um dem Buddha gegenüberzutreten. Aber ich war wohl einfach zu vertieft in meine Beobachtung der die Rehe beobachteten TouristInnen, um auch noch einen Sinn für Schilder zu haben. Schau, da liegt sogar eines mit Geweih!

Und auch das Festival war dann nicht schlecht. Da war so eine Prozession über einen See in traditionellen Gewändern und das hat wohl eine Geschichte erzählt. Da waren verkleidete Kinder und aufgeregte Mütter, die sie nach ihrem Auftritt in die Arme geschlossen haben, das war nett. Außerdem standen hunderte Leute aus aller Welt mit ihren Fotoapparaten drumrum, das hat mir das ganze ja auch schon wieder ein bisschen anstrengend gemacht. Ich könnte das vielleicht auch einmal leichter nehmen. Ich bin wohl einfach zu romantisch, dass ich mir denke, man muss das doch erleben und nicht dokumentieren. Ich hab ja dann auch schweren Herzens fotografiert, so ist s ja auch wieder nicht. Oder auch seltsam: Europäisch anmutende Männer in traditionellen japanischen Outfits. Da wird mir auch ein bisschen seltsam, wenn ich das seh. Dann wiederum stört s die Verkleideten offenbar nicht und ich glaub, die JapanerInnen sehen das auch nicht als kulturelle Aneignung.

Interessant, wie s mich oft einmal juckt, da mit der Kritik zu kommen und dann such ich wieder ein versöhnliches Bild raus. Es ist schon schön.

Bisschen schwer nachvollziehbar, was da passiert, aber die Ina hat gemeint, sie war im Jahr davor und auch wenn sie die japanischen Durchsagen wohl verstanden hat, es hätte ihr auch nicht zum allgemeinen Verständnis beigetragen, also gehört das wohl so. So sitze ich also nur den Bildern gegenüber, die da im Rahmen der Zeremonie dargestellt werden und dann kommen die zwei Boote (aus denen sich auf ZuseherInnenseite Trockeneisnebel über das Wasser ergießt!), gelenkt von zwei Steuermännern und hinten drin sitzen zehn Frauen, alle in Rot, Weiß, Schwarz angezogen und mit einem braven Lächeln in den uniform geschminkten Gesichtern, da hatte ich schnell einmal Handmaid’s Tale Assoziationen, obwohl ich s nie gesehen hab. Aber von der Aufmachung her, war s mir gleich wieder ein bisschen unheimlich, wenn Frauen in der Legende anscheinend nur die Rolle der Frauen zugewiesen wird.

Während die Mädchen über den vernebelten See geschifft worden sind, hat dazu das Orchester gespielt. Wer 7’43” Zeit hat kann hier ein Stück Zeremonienmusik mit authentischem Publikumsgeplauder haben. Manchmal ist es ein bisschen schrill, aber es zahlt sich schon aus, das ganze zum Nachhören zu haben.

Daheim haben wir noch einmal ein bisschen in die Morgenstunden hineingeplaudert, die Y. und ich, von Tolkien ausgegangen haben wir schließlich noch festgestellt, dass wir uns bei Game of Thrones von den gleichen YoutubekommentatorInnen haben begleiten lassen. Das ist wirklich eine Freude gewesen: zwei vergleichbare UserInnenprofile, aber doch so unterschiedlichen Sozialstatistiken. Wir haben allerdings zwei Deutsche ins Zimmer bekommen (die mir in der dritten Nacht dann den Kater beschert haben) und haben deshalb rücksichtsvoll gegen halb drei einen Strich gezogen. In der Früh ist sie dann auch schon weitergefahren und daraufhin hat sie einfach ein paar Tage gefehlt.

Ich bin hingegen in die andere Richtung gefahren, mit dem Zug nach Himeji. Jetzt hab ich noch herausbekommen, dass ich nicht einmal reservieren muss für meine Züge, sondern stolz den Railpass an die Brust geheftet einfach durch die Absperrung schreite. Den richtigen Zug muss ich halt finden, den richtigen Zug, den richtigen Bahnsteig. Das Telefon hilft. Und dass in der Regel alles auch in den Buchstaben zu haben ist, die ich lesen kann ohne beim dritten bereits ins Schwimmen zu kommen (mo? ke? su?), das hilft auch.

Und jetzt, in Himeji, das ist schon beeindruckend. Weil man kommt aus der Station raus und dann ist da eine lange Straße, die direkt bis zur Burg führt. Und: Burg. Eine japanische Burg ist bei weitem eine elegantere Einrichtung, als was einem zu dem Begriff so durch das mitteleuropäische Kopflexikon flattert. Zum einen ist beim Gebäude selber wieder sehr viel Holz im Spiel. Deshalb ziehen wir uns auch alle brav die Schuhe aus, wenn sie in die Burg steigen. Die Befestigung selber ist allerdings schon mit Steinen gebaut. Und das ist ja auch beeindruckend, diese steilen meterhohen Wände, die eine Ebene von der nächsten trennen. Da muss schon wahnsinnig viel Stein verwendet worden sein dafür, das muss wirklich viel Arbeit gewesen sein. Zum Glück für die Fürsten, hat die Bevölkerung sich brav und unterwürfig verhalten: An einer Stelle wird die Legende einer alten Frau erzählt, die gehört habe, wie knapp der Fürst beim Bau seiner Burg schon an Steinen ist und so hat sie ihren Mühlstein geschenkt. Weil besser der Fürst hat eine gute Wand als sie was zu essen. Aber ihr Vorbild habe auch noch NachahmerInnen aus der ganzen Gegend inspiriert. Schon schön, wenn die sozialen Hierarchien auch denen, auf deren Schultern sie gebaut sind, so viel Identität verleihen, dass sie sich gern opfern.

Schau, wie ich meine Panoramafunktion mittlerweile unter Kontrolle hab!

Die Burg (ich will ständig das Schloss schreiben, weil s doch so eindrucksvoll war) wird in der Broschüre schnell einmal als das schönste Gebäude der Welt bezeichnet. Das find ich vielleicht ein bisschen eine heftige Bemerkung. Dann wiederum tu ich mir auf jeder Skala schwer, Extremwerte anzukreuzen und vielleicht ist das auch ok, wenn man sagt: das da. Das ist das schönste Gebäude der Welt. Man muss sich seine Superlative ja nicht unbedingt aufheben. Der Vorteil der Perfektion ist ja vielleicht dann auch, dass man die BesucherInnen einfach durchschleusen kann, weil niemand jetzt großartig selbst die Schönheiten entdecken muss. Der Rundgang ist relativ klar abgesteckt, die Burg selbst ist auch nicht besonders aufregend, weil großteils leer oder leergeräumt. Die Wirtschaftsgebäude (Küche, Bäder, Wohnungen der Frauen) liegen sowieso außerhalb und jetzt läuft man drinnen durch die sieben, immer kleiner werdenden Stockwerke. Da haben sie nämlich einen Trick gemacht, weil von außen schaut s nur aus wie fünf. Und war wahrscheinlich nicht für Steuervorteile sondern eher, dass die erobernden Soldaten dann im fünften Stockwerk stehen und sagen Waaaas? Noch zwei Stockwerke? Sicher nicht in der schweren Rüstung!

Naja, was soll man sagen. Ein gut geschmiertes feudales System mit Sinn für Ästhetik. Und schönes Wetter war auch.

Während sich die Belagerten immer höher in ihren Burgturm zurückziehen, haben sie die Möglichkeit, Steine auf die Feinde zu werfen. In einem Fall sogar aus einem Fenster, in dem geheime Steinwurflöcher eingebaut sind. Das haben die Hinweise, die man über einen QR-Code (!) in jedem Stock auf sein Telefon laden könnte, extra hervorgehoben, dass die feindlichen Soldaten wohl vorsichtig gewesen sein müssen, nicht unter den Steinwurfschlitzen zu stehen, aber in dem einen Fall, seien die eben geheim in den Fensterrahmen eingelassen gewesen und da hat dann niemand gerechnet, plötzlich Steine auf den Helm zu bekommen. Wie seltsam, hab ich mir gedacht, dass man nicht damit rechnen würde, dass man sich darauf verlassen konnte, dass der Feind nicht ein Fenster zweckentfremden würde, um daraus direkt Steine auf die Eindringlinge zu werfen.

Leider hab ich ja in der Burg schon wieder ein bisserl stressen müssen, weil ich zwischen Burg und Bahnhof zu viel Zeit in die Suche nach einem guten Kaffee investiert hab. Aber ich war dann tatsächlich in einem wahnsinnig netten kleinen Café. Das war so klein und so versteckt, dass der Gastgeber richtig erstaunt gewirkt hat, dass er einen Gast hat um zwei am Nachmittag. Aber so hatten wir die Gelegenheit ein bisschen zu plaudern und er hat mir erzählt, dass er eigentlich in einer Behindertenwerktstätte arbeitet, aber sich jetzt schon lange für Kaffee begeistert und er röstet selbst in einer selbstgebastelten Röstvorrichtung. Und zwar über Kohlen. Sei das nicht schwer, da die Variablen konstant zu halten? Ja, lacht er und zeigt mir sein Buch, in dem er minutiös verschiedene Variablen und ihre Ausprägungen bei hunderten Röstvorgängen dokumentiert hat. Ich staune und nippe an meinem Kaffee. Es ist guter Kaffee, aber ob sich die Mühe auszahlt ist immer so eine Frage. In diesem Fall vielleicht weniger, weil er es doch vor allem für sich zu tun scheint, das ist schon länger her, dass ich jemanden so enthusiastisch über seinen Job reden hab hören. Aber ja, es ist mehr ein verwirklichter Traum, den er immer noch stark mit seinem Brotberuf subventionieren muss. Und dann schenkt er mir noch einen kalten Kaffee ein, weil während man bei uns auf das ja traditionell aber vor allem sprichwörtlich herabgeblickt hat, so hat sich das unter KaffeetrinkerInnen in der Welt ja mittlerweile zu einem Trendgetränk gemausert. Vor allem in den wärmeren Gegenden, die mir in den letzten Monaten die Gastfreundschaft erwiesen haben. War auch wirklich gut, bisschen stärker die Bitterkeit, aber, hat er gemeint, das kann auch sein, weil er die Bohnen, die er für meinen Heißkaffee gemahlen hat, gerade erst am Tag davor geröstet hat und der Geschmack brauche manchmal eine halbe Woche oder so, um sich zu entfalten.

Dann haben wir noch ein bisschen über die Scotchwhiskies geredet, die er außerdem in seiner Kaffeebar ausschenkt und dann hat er einen Anruf bekommen, dass sich jemand gerne einen Kaffee abholen kommen möchte. Und weil mein Herr Gastwirt einen sehr langsamen, manuellen Tropfkaffee macht, ist so eine Vorbestellung nicht das schlechteste. Er erzählt mir noch ein bisschen über die Koi, die in einem der Burgteiche gehalten werden, und seinen eigenen Erfahrungen von als er in einer Koizucht gearbeitet hat, die ihre Fische international verschickt haben. Und ein bisschen darüber, wie teuer so ein Koi sein kann. Aber auch, wie schön so ein Koi sein kann.

Außerdem hab ich ein bisschen gehudelt, dass ich noch in den Burggarten komm, weil für den haben sie mir ein Doppelticket angedreht noch bevor ich überrissen hatte, dass ich schon für die Burg meine Schlendergemütlichkeit verkauft hatte und vom Wechselgeld die Taschen voller Zügigkeit bekommen hab. Ich mein, das waren nur hundert Yen mehr, das war eine sehr sanfte Verführungstechnik, die zur Andrehung geführt hat. Dennoch, in for a penny… Nachdem ich aus der Burg von oben in alle Himmelsrichtungen geschaut hab, hab ich mich in die Abstiegsschlange gereiht und war mit zehn Minuten Zeit noch im Garten. Dann hab ich festgestellt, dass ich mich nur für den Einlass bemühen musste und hab meine Spaziergangsgeschwindigkeit wiedergefunden.

Einmal entlang des Kieswegs im Teegarten (geschlossen)

Und weil ich damit immer noch nicht genug erlebt hab, hab ich am Rückweg zum Bahnhof noch zwei Onigiri gekauft und mich auf eine sommerlich veranlagte Bank gesetzt. Von dort hab ich dann einem japanischen Straßenkünstler zugeschaut, wie er sein Publikum entfremdet hat. Ich hab ja nicht ganz verstanden, was so sein shtick ist, er hat viel geredet und sein Outfit war irgendwo zwischen Zirkusdirektor und Steampunk, zwischen Charlie Chaplin und Michael Jackson. Vielleicht gibt s da auch naheliegendere Vorbilder, die sich meiner kulturellen Engstirnigkeit nicht erschlossen hat. Als erstes hat er sein Territorium auf der Straße mit einer Schnur abgesteckt. Während seinen Vorbereitungen hat sich ein Pärchen vor ihm hingestellt, die ihn erst einmal beim Werkeln beobachten. Aber über kurz oder lang beginnt er bereits über sein Mikrophon irgendwelche Geschichten zu erzählen und die Gestik versucht ein bisschen, seine beiden offensichtlichsten BeobachterInnen zur Teil- oder zumindest Anteilnahme zu motivieren. Die beiden steigen einige Schritte zurück und bleiben aber tapfer in der BeobachterInnenrolle, auch wenn ihre Körpersprache sich bereits etwas stärker von dem Straßenkünstler distanziert. Die meisten anderen ZuseherInnen haben übrigens von vornherein in etwas größerer Distanz gehalten. Er hat sicherlich ein Dutzend bis zwanzig ZuseherInnen, aber nur drei oder vier, die sich ohne weiteres als solche zu erkennen geben. Eine kurze Interaktion mit einem vielleicht fünfjährigen Mädchen und ich weiß immer noch nicht, was der Kern seiner Darbietung ist. Vielleicht erzählt er nur Geschichten, auch wenn er sich zumindest wie ein Zauberkünstler verhält.

Bye-bye, Himeji, schön habt s ehs.

Aber auch ich hab irgendwann meine Reisbällchen gegessen (die waren übrigens ausgezeichnet und ich hab seither wenig Lust, wieder zu jenen zurückzukehren, die ich in an jeder zweiten Straßenecke im Snackshop bekomme, die sind einfach deutlich weniger aufregend), und ich gehe zurück zu meinem Zug. Straßenkunst ist kein besonders etabliertes Genre in Japan. Ich glaube durchaus, dass das Potenzial der Publikumsbeteiligung ein wenig als Bedrohung wahrgenommen wird. Oder der Eindruck ist nur ein aus meinen eigenen Angststörungen gewuzelter Apsekt vermeindlich japanischer Kultur, wer kann das schon sagen. Während mein Eindruck schon ist, dass man hier recht viel Wert darauf legt, in der Öffentlichkeit in Frieden gelassen zu werden. Und vielleicht denke ich deshalb jetzt daran, aber ich hab in den Städten auch kaum Obdachlosigkeit erlebt. Wirklich nur in Osaka, dass mir bei meinem ersten Spaziergang zwei, drei offensichtlich verwahrloste, bettelnde Personen aufgefallen sind. Einer auch merklich über dem Durst. Kann man sicherlich mal nachschauen, wie in Japan mit der Obdachlosigkeit umgegangen wird. Intuitiv würde ich glauben, dass da nicht unbedingt liberale Methoden zum Einsatz kommen, mit dem Ziel, Betroffene zu größerer Selbstbestimmung anzuleiten.

Wait, there’s more!

Wie ich am letzten Abend in Hiroshima nach meiner Abenddusche vor dem Spiegel steh und mir die Haare mach, schaut mich ein Gast so schräg von der Seite an. Ich sag mal, der war so Mitte zwanzig vielleicht, ein junger Mann mit langen schwarzen Haaren und möglicherweise ein bisschen einem Bart um den Mund herum oder auch nicht. Er hat ein bisschen was verwegenes gehabt, aber mehr so wie jemand, der sich ein bisschen gehen hat lassen, nicht unbedingt wie jemand, der viel erlebt hat. Aber was bedeutet das schon in dem Alter, da hat man ja sein Leben noch vor sich. Sagen wir, er hat ein Metal T-Shirt angehabt, natürlich verwaschen, roter Schriftzug, irgendwie bisschen zackig die Buchstaben, ein überflüssiger Umlaut, darunter vielleicht ein Turm Totenschädel auf dem sich eine Frau erkältet, während ihr der Höllenwind durchs Haar fährt. Oder ein grünhäutiges Ungetüm, dass sich über eine E-Gitarre beugt aus der Blitze fahren. Sowas in der Art. Schwarze Jeans und schwere Schuhe. Jemand, der ein bisschen in seiner Teenagermode hängengeblieben ist, und immer noch ernst nimmt.

Der schaut mich so an, während ich mir den Kamm durch s Haar zieh und fragt mich aus dem Nichts heraus, wo ich her bin. Und ich sag halt Austria. Auch wenn ich schon einmal gar keine Lust hab, mich jetzt hier mit jemandem unterhalten, der mir so ein Gespräch anzettelt. Aber er antwortet wie üblich, ob denn Austria or Australia. Wie ein alter Geheimagent, dem das Spiel mit den Passphrasen schon ein bisschen langweilig geworden ist, wiederhole ich, dass Austria. Und er sagt, ah wirklich. Und bis zum Hals in steirischem Akzent. Ich hab ja nichts gegen einen steirischen Akzent im speziellen. Ich will gar keinen österreichischen Akzent hören, nicht so nah, und schon gar nicht an mich gerichtet. Aber so sind wir plötzlich in einem Gespräch und während ich weiterhin konzentriert in meinen Spiegel schau, versuche ich s mit einer unverbindlichen Bemerkung: Schau an, die Langhaarigen sind aus Österreich. Und er beginnt eine Geschichte darüber, dass er schon befürchte, hier jemandem zu begegnen, den er gar nicht sehen will, es gäbe da einen, den er im Sinn habe, von dem er nur darauf warte, dass er ihm hier den Weg kreuze. Was für eine seltsame Erzählung von jemandem, dem ich gerne aus dem Weg gegangen wäre. Nein, nein, sagt er, das wäre gerade sein Pech, dass ihm der hier über den Weg laufe. Ich sag jetzt gar nichts mehr. Da lässt sich schon eine Grenze zur Paranoia ziehen, wenn man allgemein einer Gruppe von Menschen nicht unbedingt begegnen möchte oder aber fürchtet, dass einem eine konkrete Person bis nach Japan gefolgt ist.

Was ich denn heut noch so vorhab, fragt er mich unvorbereitet. Ich sag, ich ginge jetzt was essen. Ob du s glaubst oder nicht: Ich tätert da mitkommen. Uff. Uff oder brrrr. Das ist doch unmöglich. Weil wir unsere Steuern in das gleiche Umverteilungssystem einzahlen, muss ich jetzt FreundInnen mit jemandem sein? Woher kommt dieser Umgang sonst. Ich mein ja, der war schon auch ein bisserl besonders und es gibt ja so Leute, die sagen, Ablehnung ist mir wurscht, wenn ich oft genug einmal jemanden frag, dann komm ich auch unter. Aber ich, ich hab jetzt lügen müssen, wenn ich sag ah, hm, na, ich treff jetzt Freunde. Lügen und nicht mal gegendert. Aber damit war die Sache wenigstens gegessen. Das hat er akzeptiert. Und wahrscheinlich war für ihn die Sache damit auch erledigt, ich hab halt noch tagelang drüber nachgedacht, woher das kommt, dass mich jemand mit dem Verdacht anspricht, dass ich ein Österreicher bin. Hab ich gar die Bundeshymne vor mich hingesummt? Schien mir das Bundesadlertattoo durch s Trägerleiberl? Hat sich mein Telefon auf den die rot-weiß-rote Fahne wehen lassenden Bildschirmschoner umgeschaltet? Oder sind mir Muttererde und Vaterland gar garstig ins Gesicht geschrieben?

Hier haben mir meine UdonladenfreundInnen eine Liste mit Dingen gemacht, die ich mir in Japan anschauen soll. Ist das nicht total herzig, wie viel Mühe sie sich mit dem Einleitungstext gemacht haben? Und dann vier Punkte von ihrer eigenen Zehnerliste ausgefüllt. Mehr ist ihnen nicht eingefallen, haben sie lachen gesagt. Eh. Und ich merk grad, dass ich heute aus Osaka raus bin, ohne in Sakai gewesen zu sein. Aber immerhin bin ich jetzt in Kanazawa, auf die Idee wäre ich von allein nicht gekommen.

Es war dann gar nicht so gelogen, hab ich mir zurechtgelegt, weil ich bin wieder in meine Udonbar gewandert. Und das waren ja durchaus FreundInnen, hab ich dem Echo des seltsamen Steirers in meinem Kopf gegenüber gerechtfertigt. Bloß, die Udonbar war zu, schaumaleineran. Wie ungut, nicht nur weil ich doch gerne noch einmal Hallo gesagt hätte, sondern auch weil mich dieser Öffnungszeitenfauxpas doch jetzt erst recht ein bisschen in die Unwahrheitsecke stellen würde. Na denn, sag ich mir: new friends it is. Bin ich nebenan in eine Ramenhandlung gestiegen, wo ich mir Ramen in der Salzsuppe mit Shrimpsöl bestellt hab, nachdem mir der Besitzer ein Kleingeld gewechselt hat und mich beim Automatenbedienen betreut hat. War ein bisschen salzig, leider, leider, aber dafür war der Besitzer umso freundlicher. Es ist schon immer ganz interessant, welche Assoziationen die Menschen bei Österreich haben. Hier bin ich dem Klassiker begegnet, hat er eine GeigenspielerIn gemimt und die schöne Musik gelobt. In Osaka hat mir die Hostelbesitzerin von der Seite ein beer! ins Gespräch geworfen, das ich mit der Eincheckerin geführt hab. Aber ja, Osaka. Davon wusste ich ja noch gar nichts, während ich mit meinem neuen Freund der Ecuadorianerin zugeschaut hab, die gegen die Thailänderin in der Karaoke Talentshow gewonnen hat. Ja, das hab ich nicht ganz verstanden, aber das japanische Fernsehen ist ja berühmt dafür, von Nicht-JapanerInnen nicht verstanden zu werden. Das Programm war schon am Ende und sie war dann auch die einzige, die ich noch gehört hab. Sie hat schon gut gesungen, aber ich würde mir ja schwer tun, jemandes Karaokegesang zu bewerten. Aber deshalb gibt s natürlich eine ganze Handvoll professionell begeisterbarer JujorInnen, da bleibt das so oder so nicht an einer allein hängen. Und dann hat sie zwei Punkte mehr gehabt oder was. Die Thailänderin war nicht glücklich, aber sie hat ihr Gesicht einen Moment später wieder unter Kontrolle gehabt und sich gemeinsam mit ihrer Bezwingerin über deren Sieg gefreut.

Ich bin dann wieder ins Hostel zurück. Man glaubt s nicht, aber ich hab dabei schon wieder einen Fächer geschwungen, den mir diesmal der Herr Gastgeber persönlich zum Abschied verehrt hat. Das ist schon erstaunlich, weil das ist ja zentral gelegen und in Hiroshima steigen doch viele TouristInnen ab. Hab ich mich gefreut und mich dankend verabschiedet. Daheim bin ich dann schnell in meine Kapsel geschlupft. Früher Zug und so. Sicher, ich wollte mich auch nicht mit meinem Metalhaberer ob auf Basis unserer Herkunftsverwandtschaft zusammensetzen. Bin doch nicht blöd, mir jetzt noch den schönen Abend und die feinen Hiroshimaerinnerungen zu riskieren!

Go Carps!

Na gut, let’s do this. Ich hab für Hiroshima jetzt ein paar Mal versucht das in Worte zu fassen. Vergleiche, die man nicht anstellen kann. Aber irgendwie steht man halt vor einem Kriegsverbrechen und denkt an die Kriegsverbrechen und vielmehr noch an die Verbrechen, die auch jenseits vom Krieg stattgefunden haben. Und eigentlich will ich ja doch nur die Erinnerungskultur vergleichen, aber irgendwie drängt da sofort die Schuldfrage mit hinein. Und so widmet sich auch Hiroshima dem Frieden und der Abschaffung von Atomwaffen.

Das ist gut gelungen. Und ich weiß nicht, ob das anderen Leuten auch so geht, aber ich finde der Museumsrundgang endet damit irgendwie positiv. Also nicht dass alles gut wäre, aber dass es etwas zu tun gibt. Und auch bei einem zweiten Punkt, weiß ich nicht, ob das nicht vielleicht mehr ich bin: Zuerst hab ich mich ein bisschen gewundert, dass Leute ihre Kinder mit ins Museum bringen. Und dann hab ich gesehen, dass – wie in jedem Museum – sich die Kinder für manche Sachen interessieren und für andere Sachen nicht interessieren und das passt dann schon. Und wenn Kinder dann vielleicht anfangen, zu spielen oder meinetwegen auch aus Hunger oder Langeweile zu weinen, weil sie vielleicht auch sogar noch Babies sind… Dann stört das nicht. Ich finde ja dass da schon einiges dazu gehört, dass Hiroshima so eine lebendige Stadt ist, in der Leute leben und ich glaube gerne leben. Eine Stadt, die ich nämlich auch als lebenswert kennengelernt hab. Und da sind die Geräusche der nächsten Generation ja etwas willkommenes, gegenüber dem Wahnsinn, der in dem Museum dokumentiert ist. Wie gesagt, vielleicht ist das auch eine Biologie, die mir das in den Sinn gesetzt hat.

Kraniche zum Gedenken

Na gut. Auf jeden Fall bietet das Museum die Gelegenheit, ein bisschen eine andere Perspektive einzunehmen. Weil man sieht ja oft einmal so einen Atombombenpilz und ganz ehrlich: viel zu selten hab ich daran gedacht, was das für die Gegend unter diesem Pilz bedeutet. In einem Umkreis von zwei bis zweieinhalb Kilometern ist kaum ein Haus gestanden. Man kann sich das wirklich kaum vorstellen, aber wenn man die Luftaufnahmen der alliierten Aufklärungsflugzeuge sieht, dann muss man sich das nicht vorstellen. Und natürlich, selbst Überlebende müssen da in einem brennenden Chaos gelegen sein, in das von außerhalb wohl tagelang keine Rettungskräfte dazugekommen sind. Im Gegensatz zu Nagasaki ist die Atombombe in Hiroshima auch einfach mitten über der Stadt abgeworfen worden. Da war wohl eine Kaserne auch betroffen, aber halt auch ein Mädchenpensionat. Und dann komm ich natürlich ins Vergleichen, wie ein Blinder von der Farbe. Aber weil eine Atombombe halt doch einfach etwas anderes ist, rein qualitativ. Man muss sich das vorstellen, dass die Stadt ja nicht im Alarmzustand gewesen ist. Keine Warnung, niemand im Bunker, niemand in Deckung. Im Museum haben sie die Hand von einem gezeigt, der die aus dem Fenstern hat hängen lassen um 8:15 und wo einfach eine Linie ist, bis wohin die Finger verbrannt sind. Insgesamt fokussiert man sehr auf Einzelschicksale und das hat mich schon immer wieder zu Tränen gerührt, die Bilder zu sehen von Familien, von Schulklassen, von einzelnen Personen mit Hut und Schirm, Straßenszenen vom Tag davor. In dem Wissen, dass viele der Leute auf den Fotos nicht einmal einen Leichnam hinterlassen haben.

Ich fand das eine schöne Warnung und vor allem einen guten Hinweis für Begleitpersonen. Es sind auch tatsächlich viele Schulklassen, die Hiroshima besuchen.

Man muss auch sehen, dass viele Leute nach den Dokumenten der atomaren Verwüstung, der Vorgeschichte, die danach ein bisschen aufgearbeitet ist oder sogar am Ende, wo dann noch die Nachgeschichte und wie danach die atomare Aufrüstung einfach vollkommen aus dem Ruder gelaufen ist, dass viele Leute dafür kaum noch Zeit haben. Auch in Hiroshima wird die Rolle Japans kaum hinterfragt. Dass das faschistische Japan nach Hiroshima – weil das hab ich mich schon gefragt – nicht reagiert hat und der Meinung gewesen ist, das lässt sich aussitzen, das hab ich anderswo nachgelesen. Und das ist wirklich ein harter Brocken. Auf der anderen Seite waren scheinbar schon zwei Atombomben geplant, weil das war ja waren ja auch zwei verschiedene Modelle, Uran in Hiroshima und Plutonium mit noch einmal eineinhalb so viel Sprengkraft in Nagasaki. Und die WissenschaftlerInnen waren auch sehr schnell vor Ort, die japanischen, aber dann auch die alliierten, um die Auswirkungen zu dokumentieren. Die Rolle der Wissenschaft in der ganzen Geschichte ist sicherlich noch ein bis zwei genauere Betrachtungen wert. Aber es war auf jeden Fall die Entscheidung einer Politik, auch der Sowjetunion, die sich in der Gestaltung des Nachkriegseuropas bereits deutlich als Widersacher der Alliierten abzeichnete, zu zeigen, wer hier die Fäden in der Hand hält. Und eine bedingungslose Kapitulation Japans hätte man wohl auch erwartet und deshalb auch keinerlei Ankündigung des atomaren Angriffs gemacht.

Ein Bild zur technischen Seite: Rechts ist Nagasaki, links Hiroshima. Im roten Bereich sind die Gebäude komplett verbrannt und eingestürzt. Beide Karten haben einen Durchmesser von 6km.

Und dann leitet das Museum eben über auf die Hintergründe der Atomwaffenentwicklung, auf das Rennen, das sofort anschließend ausgebrochen ist, Wasserstoffbomben, Interkontinentalraketen, Indien, Pakistan, Nordkorea und die Drohung strategischer Atomwaffen im Handkoffer. Und die mal mehr mal weniger bemühten Versuche, auf beiden Seiten ein bisschen runter zu kommen. Ein amerikanischer Tourist hat hinter mir vom Erfolg der Drohung der gegenseitigen Vernichtung, naja, geschwärmt ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Und vielleicht ist da was dran, dass der Wahnsinn für eine relativ friedliche zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gesorgt hat. Auf jeden Fall muss man schon um die halbe Welt fliegen, um daran erinnert zu werden, dass die Weiterentwicklung und -verbreitung von Atomwaffen, dass die Bemühungen Nordkoreas und des Irans in diese Richtung keinesfalls Ausreißer in einem stabilen System sind sondern die lineare Fortsetzung eines Prozesses, der seit siebzig Jahren vor sich hin entwickelt.

Am schrägsten ist aber vielleicht, dass es in Hiroshima bis in die Fünfziger gedauert hat, bis das Gelände geräumt und wieder aufgebaut wurde, bis die Menschen, die an den Nachfolgen der Bombe gelitten haben, versorgt wurden, bis überhaupt die Forschung sich mit den Auswirkungen der Strahlung auf die Menschen ordentlich auseinandergesetzt hat. Und länger noch, bis sich eine Gesellschaft wieder in eine Normalität zurückgefunden hat.

Natürlich steht trotzdem vieles im Kontext der Atombome, so hat sich eines der Museen zum Ziel gesetzt, den Menschen eine Möglichkeit zum Durchatmen zu bieten. Dafür haben sie eine hübsche Sammlung von ImpressionistInnen: Hier haben sie mir Gaugins Tahiti aufgehängt.

Es ist wirklich schwierig zu verstehen, wie man hier damit umgegangen ist, einerseits der Aggressor in einem imperialistischen Krieg gewesen zu sein und andererseits das Opfer eines furchtbaren Gegenschlags geworden ist. Und ich kann das nur durch die Augen eines auf die Taten der imperialistischen Verbrecher fokussierten, humanistisch veranlagten Mitteleuropäers sehen. Und da fehlt mir einfach etwas. Aber vielleicht ist das auch das katholische Erbe, das mich zur Schuldfrage zieht. Ich halte den Aufruf für den Frieden, den Hiroshima und Nagasaki glaubhaft formulieren, für einen positiven Schluss aus der Erfahrung. Aber basiert das auf der Verdrängung der Verbrechen des imperialistischen Japans? Mir geht das Video nicht aus dem Kopf, in dem eine alte Frau erzählt und sagt, dass sie es nach wie vor bereut, dass Japan so zum Frieden gezwungen worden ist, aber dass sie heute dankbar für den Frieden ist, in dem ihre Kinder und Enkel aufgewachsen sind. Da steckt eine Ambivalenz drin, die ich aus den Untertiteln heraus nicht entschlüsseln konnte.

Aber auch in Hiroshima ist das Leben weitergegangen. Lass mich mit ein paar allgemeinen Bemerkungen ein bisschen Luft schnappen: Es ist eine schöne Stadt. Ich hab das in Fukuoka kurz gesehen, wo ich am Weg von Nagasaki nach Hiroshima einen kurzen Stopp eingelegt hab, wie schön japanische Städte in ein Flussdelta hineingelegt sind. Die Stadt ist so von mehren Flussarmen gekreuzt und verteilt sich quasi auf mehrere Inseln. Das ist wirklich schön, aber hat mir gar nicht zur Orientierung geholfen. Oft einmal hab ich mich auf der übernächsten Insel gewähnt und hab dann erst wieder mit dem Telefon meine Position herausfinden müssen. Weil es ist auch nicht klein. Eine Million wohnen in Hiroshima und ich hab natürlich nicht viel mehr als das Zentrum gesehen, aber vielleicht dadurch, dass diese Inseln existieren, kommt man doch schnell einmal in verschiedene Gegenden.

Und wenn man einen Ausflug macht, dann kann man schnell einmal mit dem Schiff auf Miyajima fahren, das ist so eine kleine vorgelagerte Insel, wo man relativ zahmen Rehen begegnet und dann gibt s natürlich wieder Tempel und Schreine und ein großes Tor, das im Wasser steht und vor lauter Berühmtheit gerade einer Renovierung unterzogen wird. Aber das macht nichts, weil wie ich dort angekommen bin, war das Licht gerade so gut, dass der blaue Himmel, die grünen Bäume und die roten Tempelanlagen an sich schon so gut ausgeschaut haben, dass ich den scheinbar auf dem Wasser schwimmenden Itsukushima Schrein gar nicht auch noch gebraucht hab.

Ein interessanter Text aus dem Impressionismusmuseum hat festgestellt, dass ImpressionistInnen wie Boudin und Sisley in ihren Bildern die Offenheit der Landschaft ausgedrückt haben, indem sie Himmel viel Platz eingeräumt haben. Monet sei zunächst stark von Boudin beeinflusst gewesen, aber dann sei die Horizontlinie in seinen Bildern immer weiter nach oben gewandert, um Platz für Wasser und den Spiegelungen darin zu machen. Ich bin hier offenbar noch stärker von Boudin beeinflusst.

Außerdem war ich müde, weil ich auf den Berg rauf bin. Ach, in der Anreise bin ich irgendwie derart in den TouristInnenstrom geraten, dass ich, wie ich von der Fähre runter bin, gleich einmal in die andere Richtung los bin und das war schon nett, weil da waren diese Rehe und dann war da ein bisschen ein Hügel und dann bin ich über kurz oder lang vor einem Schild gestanden, wo mir die lokalen Wanderwege aufgezeichnet waren und da hab ich gesehen, der geht auf den Berg, bin ich auf den Berg. Und ich war halt wirklich nicht gut ausgerüstet, mit meinem kleinen Wasserflascherl und der Müsliriegelabsenz in meiner Tasche. Zumindest war ich nicht in Sandalen, wie die, die mir da teilweise entgegengekommen sind. Also, hab ich mir gedacht, so schlimm wird s schon nicht sein. War s ja auch nicht, nur lang hat s trotzdem gedauert, bis ich da oben war. Und oben gab s ein Internet, aber kein Trinkwasser. So schlimm kann s mit mir nicht gestanden sein, weil bei dem einen Schrein unterhalb des Gipfels hätt s Wasser im Automaten gegeben, aber ich war nicht bereit, zweihundert Yen dafür zu zahlen. Das hat die Hälfte zu kosten! Dabei hab ich mich beim Runtergehen dann noch einmal verirrt, weil ich den gleichen Weg runter bin, den ich rauf bin und dann erst an der nächsten Kreuzung festgestellt hab, dass ich eigentlich auf der anderen Seite vom Berg runter wollte. Also zurück. Immerhin wird am Berg freundlich gegrüßt und mein Konichiwa kam fast mit Selbstsicherheit. Bis ich dann am Abstieg einen Herren dergestalt gegrüßt hab und der mir ein akzentfreies Hello entgegnet hat und ich mir gedacht hab, o-em-dschie, hab ich da gerade einen Touristen auf Japanisch begrüßt. Ich bin da ja schon ein bisschen sensibel mit dem ganzen Ding. Mit den Begrüßungsformeln. Weißt, weil irgendwie geht man als von Gott abgewandte ÖsterreicherIn ja durch die Phase, wo man sich denkt, das ganze Grüß Gott ist doch eigentlich ein Unsinn und dann hab ich drauf geschaut, mir das aus dem Sprachgebrauch rauszuholen. Und wenn mir jetzt am Berg einer ein Grüß Gott sagt, dann denk ich mir womöglich, dass da jemand eine Phrase gelernt hat, die für mich ein bisschen ideologisch aufgeladen ist und das weiß die wahrscheinlich gar nicht, weil sie, nachdem sie beim Aufstieg dreimal so begrüßt worden ist, das jetzt einfach verwendet. Und so frag ich mich natürlich, wie kontextabhängig sind meine Begrüßungsformeln.

Das Reh schnaubt mir zur Begrüßung nur ein bisschen warme Luft auf die ausgestreckte Hand. Zahm heißt ja nur, dass sie den Vorteil des Gefüttert-Werdens als wichtiger bewerten als das Risiko des Gewürgt-Werdens.

In meinem Lokal, das ich mir in Hiroshima gefunden hab, hat die Gastgeberin einen Gast einmal mit einem Oyasuminasai! verabschiedet. Und das weiß ich noch von früher, dass ist Gute Nacht. Aber natürlich hab ich mich nie des Abends aus einem Geschäft oder Lokal mit so einer familiären Formel verabschiedet. Und anderswo hab ich dann vom Hostelstaff ein Ohaio! bekommen. Und das, weiß ich aus meinem Duolingo heißt Guten Morgen. Aber ist das vielleicht auch eher was, was man seiner PartnerIn ins Ohr flüstert als seiner KasernenkommandantIn entgegenruft?

Oh ja, ich hab ein Lokal in Hiroshima gefunden. Das war das mit dem Fritz-San (siehe Folge so-und-so). Das war wirklich nett. Weil ich bin da hin, an meinem ersten Abend. Oft einmal, wenn ich spät ankomm, dann lass ich s dabei und verzichte auf mein Abendessen. Aber ich hatte da irgendwie Lust, nochmal raus und das hat vielleicht damit zu tun, dass in meinem Schlafsaal achtzehn Betten gestanden sind. Gut, nein, ganz so kann man sich das nicht vorstellen. Das war so ein bisschen schon ein Kapselhotel, wo man seine fünf Wände hat und an einem Ende ist das durch einen Vorhang verschließbar und drinnen hab ich Licht und einen Rauchmelder und mein eigenes kleines Zuhause. Das ich mit meinen Rucksäcken geteilt hab, aber es war trotzdem ok Platz. Man soll ein bisschen auf seine Verdauung schauen, weil die Luftzirkulation nicht ganz top notch ist und ein schlechter Geruch bleibt da eine Zeit lang hängen. Wandersocken sind auch nicht ideal.

Nochmal Miyajima: Oben Schreine, die mir den Gipfel angezeigt haben, unten ein Tempel, der mir anzeigt, dass ich wieder in der Ebene angekommen bin. War ein bisschen eine Überwindung, mich mit dem komplett durchgeschwitzen T-Shirt ins Lokal zu setzen, aber ich hatte einen ziemlichen Hunger und es waren eh kaum Gäste außer mir. Meine Hiroshima Okonimiyaki hab ich nämlich in Wahrheit gar nicht in Hiroshi- sondern auf Miyajima gegessen.

Also hab ich mein Telefon aufgeschlagen und hab dinner eingegeben und dann hab ich zwei, drei Sachen in der Umgebung angeschaut, beschlossen, dass ich meinem Udongusto gerne nachgeben möchte und hab mich auf den Weg gemacht. Dann bin ich ins Lokal und hab mit meinem Zeigefinger gesagt, dass ich eine Person bin. Da hat mir die Gastgeberin einen Platz an der Theke zugewiesen, neben den bereits dort sitzenden Gästen. Und bevor sie das getan hat, hat sie kurz überlegt. Und während sie das getan hat, hat sie ein Gesicht gemacht, wie man macht, wenn man jemandem das Gefühl vermitteln möchte, dass man keine Verantwortung darüber übernimmt, wie gut die andere das findet, dort zu sitzen. Aber freundlich. So: Das ist der Platz den ich hab, aber ich weiß, dass das nicht der beste Platz ist. Hm, immer noch nicht ganz. Hier kann jetzt alles passieren. Auch nicht wirklich. Schau mal, was passiert, wenn du dich hier hinsetzt.

Turns out dass die drei neben mir Stammgäste sind und der neben mir hat heute Geburtstag. Warum der, der Geburtstag hat, nicht in der Mitte gesessen ist, hab ich mich nachher mal gefragt. Na ja, weil sonst nicht mehr viel los war, sind wir schnell einmal ins Gespräch gekommen und die Gastgeberin hat mich schnell einmal bei den Runden mitinkludiert. Da gab s zum Beispiel eine gebratene Wurst als Spezialität. Das hab ich nicht ganz verstanden, wie das eine Spezialität ist, eine Scheibe Knacker in der Pfanne gebraten. Aber die Wurst hatte die Form einer Blume, also vielleicht doch was besonderes. Und dann hat sie gesagt, es tät ihr leid, aber sie hätte jetzt vergessen, wollte ich meine Udon warm oder kalt. Und dann hat sie mir meiner Antwort zum Trotz warme und kalte Udon gebracht und ich hatte vorher schon Sashimi und Tempura. Das war so als Abendmenü angeboten und da hat sie nicht gelogen: Das war ein guter Deal. Und dann hat mir das Geburtstagskind einen Sake eingeschenkt und ich hab ihm scherzhaft zum Fünfundzwanzigsten gratuliert und dann waren wir eigentlich alle schon FreundInnen.

Irgendwie schaff ich s oft erst am Abend dann in die Gärten, da bringen alle meine Fotos so eine Abenddämmerung mit. Durch den hab ich ganz schön hetzen müssen, Punkt sechs bin ich als letzter durch die Tür wieder auf die Straße getreten.

Da bin ich dann am nächsten Abend wieder hin, weil ich hab einerseits gewusst, dass ich kalte Udon jetzt lieber hab und zweitens war s halt wirklich ein guter Deal mit dem Menü. Da waren die Stammgäste dann aber gar nicht da oder war s schon so spät, dass die halt nicht mehr da waren. Weil man kann auch nicht jeden Abend Geburtstag feiern und am nächsten Tag wieder brav helles Hemd mit dunkler Hose tragen. Aber ich hab mich ein bisschen mit den zweien hinter der Theke unterhalten und dann kamen zwei Herren herein, die sich über das Ergebnis des gerade zu Ende gegangenen Baseballmatches gefreut haben, auf ein kleines Bier und eine Schale Udon und die haben sich dann ihr weniges Englisch mit großen Enthusiasmus kompensiert und mir gerne auf die Schulter geklopft, mein braves Udonessen bejubelt und mir zum Abschied einen Fächer geschenkt. Und zwischendurch ist die ganze Fritz-San Geschichte passiert und es war dann fast ein bisschen traurig, mich da zu verabschieden.

Diavortragsgegenentwurf

Klack-ack!

Wie überall auf der Welt ist auch in Japan Englisch eine Sprache über die Modernität und Zeitgeistigkeit ausgedrückt wird. Und vielleicht ist es, dass die Sprache doch etwas weiter vom Japanischen entfernt ist, dass manche Slogans einfach ein bisschen daneben gehen. Hier in Nagasaki.

Klack-ack!

Das die JapanerInnen auf Katzen stehen, das ist ja zirka Allgemeinwissen. Es gibt immerhin diese Katzencafés, wo man sich hineinsetzt um einen Kaffee zu trinken und eine Katze zu streicheln. Und hier ist das Logo von einem japanischen Zustelldienst, von dem japanischen Zustelldienst wahrscheinlich. Das ist schon herzig.

Klack-ack!

Es gibt wirklich viele Schreine und Tempel in Japan. Auf jedem Berg hab ich bisher mehrere gesehen, in den Städten auch einmal wie eine kleine graue Katze, zwischen Häuser eingeklemmt. Aber oft auch groß und wichtig und dann wiederum mit einem halben Dutzend Schreinen in einer Anlange. Hier haben sich wohl rumänische Mönche versteckt und glauben, ich merk s nicht!

Klack-ack!

Aber ja, oft einmal steh ich in so einem Tempel und merke schon, dass ich nichts damit anzufangen weiß. Witzig ist es schon, wie die Menschen mehr an diese Geister glauben und diese verschiedenen Aspekte, die hier möglicherweise dargestellt werden mit Lämmern und Pferdeköpfen. Und natürlich, dass man den Statuen diese Mützen häkelt. Das ist sehr weit verbreitet, dass auch den Buddhas und Shivas und den igelverwandten Geisterwesen Mützen gehäkelt und Jacken umgewickelt werden. Vor allem wenn s derart schwül ist andauernd.

Klack-ack!

In Wirklichkeit ist das auch aus der Serie Fotografien-die-mich-bei-der-allfälligen-Gartengestaltung-inspirieren. Deshalb ist es auch nicht besonders elegant oder schön anzuschauen, weil es mehr eine Erinnerung ist. Hier hat jemand einen Betonteich gegossen, die blaue Farbe ist schon etwas verblichen. Und dabei hat sie Plastikfische eingebaut. Aber ich überlege auch, wie sich ein echter Teich möglicherweise unterbringen lässt…

Klack-ack!

Oha!

Klack-ack!

Moment…

Klack-ack!

So: jetzt aber. Und schau, wie schön das ist, wenn man das gut umsetzt. Also, mit Wasser arbeiten, das kriegt die japanische Gartentradition auf jeden Fall besser hin, als die französische oder auch die englische. Auf der anderen Seite ist auch ganz witzig, dass ich sehr oft in diesen Gartenanlagen schon auch Nutzgärtenteile zu finden sind. Vielleicht ist das auch nur Spiel für den Fürsten, dass der da seine drei Quadratmeter Reisfeld angelegt hat. Aber wichtig sind auf jeden Fall die Obstbäume, die alten Zwetschgen und Granatäpfel und Kakis. Aber das gibt s ja bei den EngländerInnen auch.

Klack-ack!

Hier macht offensichtlich eine ÄrztIn für sich Werbung. Aber für den Rest brauch ich immer noch… Dr. Ke… tsu… pe… ki… hu-n. Darüber hinaus hat sich mir halbwegs erschlossen, wie japanische Tastaturen funktionieren. Ich mein, in this day and age ist das wirklich kein unlösbares Rätsel, wenn s einen interessiert, stellt man halt schnell einmal die Tastatur auf dem eigenen Telefon auf Japanisch um. Und selbst Kanji, wo die chinesischen Zeichen hergenommen werden, werden in der Regel jetzt mit Hiragana buchstabiert und man kriegt dann sozusagen den Autokorrekturvorschlag in Kanji vom Telefon. Deswegen, so heißt s, ist Kanji bei vielen jungen oft schon nicht mehr so parat.

Klack-ack!

Oh, na gut. Hier ist ein bisschen Nachbearbeitung nicht zu übersehen. Der Puppe bin ich einem wirklich super Museum in Tokio begegnet. Super, weil es ein Museum für moderne Kunst gewesen ist, das eigentlich schon für Erwachsene war, aber ganz gezielt auf Kinder und die Betrachtung der Werke durch Kinder abgezielt hat. Es war wirklich gut gemacht. Und nicht einmal wirklich ein Museum für moderne Kunst, es war eigentlich ein Handwerksmuseum, also: Crafts. Und eine Sache, die bei japanischer Handwerkskunst ja auffällt, dass man nicht wirklich sagen kann, ist das vierhundert oder vier Jahre alt. Das ist schon faszinierend. Weil die Materialien so zeitlos sind, der Ton und seine Glasuren, Lack, Holz. Und die Formen genauso. Und so kann ich auch das Alter dieser Puppe nicht mehr sagen, hab ich schlecht dokumentiert. Fotografiert hab ich sie, weil sie so einen unheimlichen Blick hat. Und dann hab ich gemerkt, dass sie mich an die Daphne erinnert.

Klack-ack!

In Hiroshima hab ich dann einmal ein bisschen ein Baseballmatch gesehen. Nicht wirklich. ich mein, ich bin in meinem Udonrestaurant gesessen und es ist das Match im Fernsehen gelaufen. Und dann haben sie einen Punkt gemacht und dann war das Match eh schon vorbei. Ich hab also nur die letzten zehn Minuten gesehen und da haben die Hiroshima Carps schon gewonnen gehabt. Was genau das 3:0 bedeutet, hab ich nicht verstanden. Kommt einem vor, als würde da gar nicht so viel passieren in dem Sport, wenn man die vielen Innings sieht, die ganz oft einfach 0:0 ausgegangen sind. Aber die HiroshimaserInnen waren zufrieden mit dem Ergebnis und am Heimweg sind mir sehr viele in Dressen, Teeshirts und Schals aus der Ubahn entgegengekommen. Kinder, Mütter, Väter, alte und junge. Und dann ist das schon auch was schönes, wenn man das so sieht.

Klack-ack!

Und auch dieses Foto sprengt letztlich die Illusion des Diavortrags. Mein Telefon kann jetzt nämlich doch Panorama. Ich mein, ich kann offensichtlich noch nicht so wirklich mit der Funktion umgehen (die s wahrscheinlich schon lange in meiner Fotoapplikation gibt, ohne dass ich sie entdeckt hab). Hier also der erste Versuch ins Panorama von Hiroshima, auf der linken Seite ist der Peace Dome zu erkennen, ein Gebäude, das kaum zweihundert Meter vom Hypozentrum entfernt war, das die Explosion aber überstanden hat und als Mahnmal so erhalten wurde.

Klack-ack!

Das war s auch schon wieder es für diesmal.

Fritz-San, I was wondering…

…what do you miss most, in Japan?

Du meinst jetzt insbesondere in Japan? Das ist nicht schwer: Ich hab die ersten zehn bis vierzehn Tage in Japan einfach kein Obst gegessen. Weil es gab irgendwie einfach keins. Wer sich erinnert, erinnert sich, dass ich auf Tahiti dauernd ein Obst gegessen hab, weil s da war. Das ist quasi das Plädoyer für den Obstkorb, für den Apfeltag. Stattdessen hab ich auffällig mehr Lust auf Wegwerfgetränke gehabt, sprich: Fanta Pflaume und gesüssten Tee. Und was auch immer Calpis Soda ist. Irgendwoher brauch ich meinen Zucker.
Das ist natürlich nicht ganz richtig, dass es kein Obst gibt, weil es gibt Obst. Was mich aber so sehr irritiert, dass es mich abgeschreckt hat, war, dass das Obst erstens anders ausschaut als bei uns und zweitens mehrfach verpackt ist. Und wenn ich sag „anders ausschaut“ dann mein ich, dass es größer ist. Ungelogen: die Weintrauben haben jede zirka die Größe von Golfbällen, die Pfirsiche haben den Durchmesser von einer Kaisersemmel. Und die Äpfel sind auch zehn bis zwanzig Prozent größer. Aber zehn bis zwanzig Prozent von den größten Äpfeln, die s bei uns gibt und bei denen bin ich ja oft schon skeptisch. Und wenn die jetzt in Orangengröße (Navelinas!) daherkommen, dann ist das unheimlich. Und das große Obst ist großteils in so weißen Kunststoffnetzen verpackt. Wie… wie Nashi-Birnen. Oder Weinflaschen manchmal. Wo die Kunststofffäden des Kunststoffnetzes so Udondicke haben. Ja! Irgendwie vergeht s einem da.
In Nagasaki hab ich mir dann einmal vier Feigen gekauft. Die waren nur in so einer Schale und in Plastik eingeschweißt. Wie Schweinefleisch oder vier Limetten beim Spar. Die Feigen waren dann ziemlich gut, aber ich hab mich ein bisschen sehr gierig über sie hergemacht, hab ich mich beobachtet. Bisschen wie die sprichwörtlichen Verdurstenden. Da hab ich gemerkt: das geht mir schon ab.

…what experience do you keep avoiding?

Auch auf das hab ich spontan eine relativ einfache Antwort: die Vielfalt der Getränkekarte, insbesondere Sour- und Highballgetränke. Es ist-a-so. In Japan trinke ich mehr Alkohol, als ich in den Monaten zuvor an Alkohol getrunken hab. Wiederum: weil er verfügbar ist. In jeder dieser Antworten ist eine kleine Public-Health-Message versteckt. Bier ist teuer, aber nichts besonderes. Wir finden Bier im Supermarkt, ich fand Bier in Nagasaki im Automaten. Restaurants werben mit Bier und überhaupt kriegt man oft einmal eine eigene Speisekarte für Getränke oder eben: Getränkekarte. Und auf der Getränkekarte gibt s oft zwei Bier zur Auswahl (mittel und klein) und dann eine Vielzahl von Sour-Getränken und vor allem Highballs. Es ist nämlich so, dass es vollkommen normal ist, zum Essen einen Whisky Soda zu trinken. (Nota bene: ich bin nicht sicher, ob der japanische Whisky nicht vielleicht ein Whiskey ist, aber nachdem er sich mehr nach dem schottischen orientiert, sagen wir mal, es handle sich eher um Whisky.) Und muss nicht unbedingt ein Whisky sein, darf auch was anderes Hochprozentiges sein, aber nachdem Japan ja durchaus auf seinen Whisky stolz sein kann ist es doch vor allem Whisky. Und das kriegt man dann auch zum Beispiel im Supermarkt fertig in der Dose.
Die Sour-Getränke wiederum sind nicht Zitrone und Zuckersirup geschwenktes Hochprozentiges, sondern in verschiedenen Geschmacksrichtungen gefärbter Shochu. Von Zitrone bis Kirsch, von Calpis bis Macha und noch viel, viel geheimnisvollerem finden sich auf den meisten Getränkekarten zumindest fünf solche Geschmäcker zur Auswahl.
Und das hab ich bisher einfach ein bisschen vermieden. Ich trink tatsächlich quasi unüberlegt ein Bier zum Abendessen, nachdem meine Augen die Vielfalt der jeweiligen Getränkekarte überflogen haben. Einmal hab ich ein derartiges Sour-Getränk bestellt, schlagmichtot, ich könnte dir nicht einmal sagen, was das für ein Geschmack war. So wie ich mich kenne irgendwas exotisches. Es war wahrscheinlich auch nicht schlecht, aber es hat mich nicht dazu bewegt, mich in die Untiefen des Regenbogenshochu zu stürzen.

…what made you change your mind, like, generally about Japan, it seemed you were not having the best of times in the first couple of days?

Nu, das ist eine treffende Beobachtung. Ich hab mir am Anfang wirklich etwas schwer getan und ich bin jetzt an einem Punkt, wo s mir wirklich gut gefällt. Erzähl s nicht weiter, aber unter uns denk ich mir manchmal, dass Japan doch vielleicht ein bisschen das ist, wo mich meine Reisen hingeführt haben. Also nicht nur faktisch, dass ich jetzt da bin, sondern dass es so ein Ziel gewesen ist, das mir nicht bewusst war. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass Japan so eine Fantasie war, die ich in jungen Jahren gehabt hab und die ich irgendwann zwischendurch abgeschrieben hab, als zu weit, zu teuer, zu fremd und alles was ich über Japan denke, eh auch viel zu romantisch. So in einer Zeit wo mir vielleicht viele Träume ein bisschen entglitten sind, als mich das Hier-und-Jetzt vielleicht ein bisschen erschlagen hat. Und dann ist Japan irgendwie Anime und Mangas geworden und damit hab ich ja auch nicht wirklich angefangen beziehungsweise was anfangen können. Grad so die erste Staffel Sailor Moon, das geht noch. Aber das zählt ja gar nicht wirklich, bin ich sicher. Ich mein, wie oft hab ich Cowboy Bebop empfohlen bekommen von Leuten, die ich schätze. Wie oft hab ich mir gedacht, dass ich mich nochmal vor Prinzessin Mononoke setzen soll. Aber selbst Ghibli ist für mich Nausicaä und der Nachbar Totoro geblieben. Und dann noch eine kurze Go-Phase, in der eine Begeisterung Platz gehabt hätte, aber nein, hab ich Japan Japan sein lassen. Und vielleicht ist es das ein bisschen, dass ich an was anschließen kann, das ich aufgegeben habe. Oder es ist etwas, wo ich auf eine Gesellschaft treffe, die in vieler Hinsicht so ähnlich funktioniert, wie meine, die aber dann doch wieder ganz fremd ist. Vielleicht ist es aber auch ganz was anderes, dass ich mich jetzt langsam doch beim Reisen souverän empfinde, dass ich, aus Tokio heraußen, mit meinen HostelvermieterInnen Kontakt schließe und auch mit der einen oder dem anderen JapanerIn eine kurze Unterhaltung habe. Dass ich entdecke, dass sich Leute auf der Straße in die Augen schauen. Dass JapanerInnen überraschend herzlich, hilfsbereit und… naja, die Aliteration stößt mich hier auf „heteronormativ“. Aber das biegt mein Argument ein bisschen in die falsche Richtung. Ja, es gibt auch Sachen, die ich gerade weil mir die Modernität, die Westlichkeit und mehr noch der Touch einer skandinavischen Fortschrittlichkeit so im Fokus sind, die mir deshalb besonders gegen den Strich gehen. Zugegeben, ich hab mittlerweile auch junge Männer in ihre Hand lachen sehen, aber ich hab auch von JapanerInnen bestätigt bekommen, wie konservativ die Geschlechterrollen vielerorts gehandhabt werden. Und ja, das sind meine größten Probleme und ich beschwer mich am ehesten über Geschlechterverhältnisse im von mir zu beobachtbaren Alltag und von mir als rücksichtslos empfundene Plastiksackerlverwendung und scheinbar mangelnde Mülltrennung, ausgerechnet. Dann wiederum hat mir die wahlkabine.at letztens empfohlen die Grünen zu wählen, also vielleicht doch nicht so überraschend, dass das meine Themen sind. (Zum ersten Mal seit Beginn der Aufzeichnungen nämlich, ich bin bisher immer etwas mehr mit bekennender linken Formationen assoziiert worden.)
Ja, nein. Ich bin ein bisschen mehr angekommen in Japan, als ich gedacht habe, dass es sich ausgehen wird. Und das hat mit mir zu tun und das hat mit Japan zu tun, das anders ist, als ich es nach den ersten Tagen in Tokio befürchtet hab.

so, I know that technically, following the rules laid out by Alex Horne, this game is played only for three questions, but the Fritz-San, literally the first words on this page, is that strictly necessary, seems a bit weird.

Ja. Eh. Aber erstens, wenn du weißt, dass es technically three questions sein sollen, dann solltest du auch wissen, dass es über meine Antworten eigentlich leichte Musikuntermalung geben sollte und dass das Spiel halt so geht, dass man den Namen vorher sagt. Und weißt du was, ich bin so genannt worden und das war nett. Und dann hab ich gemerkt, wie sehr ich mich freu darüber, so genannt zu werden. Und dass mir das auch ein bisschen bedeutet hat, wie gut ich hier angekommen bin. Ich mein, das soll eigentlich in den Hiroshimaaufsatz, weil der ist finster genug. Aber ich war in Hiroshima am ersten Abend in einem sehr netten Lokal, wirklich mehr zufällig. Und dann war das so nett, dass ich am zweiten Abend wieder hin bin und dann haben sie mich gefragt wie ich heiß und ich hab s ihnen gesagt und ein paar Minuten später hat sie irgendwas zu ihm gesagt, was wahrscheinlich geheißen hat, dass sie mir jetzt diesen Teller bringt, auf jeden Fall hat sie dabei Fritz-San gesagt und das hab ich nett gefunden und ich muss wohl ein bisschen viel gegrinst haben darüber, dass es ihr aufgefallen ist, dass sie das gesagt hat und ich das verstanden hab und zurückgelächelt hat. Und das ist irgendwie auch die ganze Freude über Japan zusammengefasst, dass ich eine wechselseitige Beziehung mit JapanerInnen wahrnehme.

Die Überraschungen von Nagasaki

Zuerst einmal hab ich festgestellt, dass Nagasaki die schönsten Straßenbahnen hat, die ich je gesehen hab. Nicht nur Parkett am Boden ist und Bleiglasfenster in den Fenster, wenn s wie gestern einmal heiß ist, wird schnell einmal ein Bambusrollo heruntergelassen, damit die Leute auf ihren gepolsterten, bunten Sitzplätzen nicht in der Sonne sitzen müssen. Und Straßenbahnfahren geht so: Man steigt hinten ein und dann ist da ein Automat und ich war sehr hilflos gegenüber dem Automaten und hab dann eine Mitfahrerin gefragt, ob sie mir helfen kann und die war ausgesprochen nett, wie ich s jetzt doch schon ein paar Mal erlebt hab. Hilfsbereit und bisschen mit Englisch und sonst einfach auf Japanisch weiterreden und sich entschuldigend, lachend. Über kurz oder lang hab ich dann verstanden, dass der Automat nur dafür da ist, Geld zu wechseln, damit man, wenn man beim Aussteigen bei der FahrerIn bezahlt, das Wechselgeld parat hat. So bin ich dann die ganze Fahrt mit meinem Wechselgeld in der Hand dagesessen und dann schmeißt man s vorne erst nur in eine Maschine hinein. Aber sowohl der Wechselautomat als auch die Bezahlmaschine hat beides so eine Klobigkeit, da merkt man die Mechanik noch, wenn das rattert. Und der Fahrer hat sich tatsächlich bei jeder einzelnen Person beim Aussteigen bedankt.

Dieser Bach, der da durch die Stadt fließt, das ist einfach so schön. Und oft einmal hab ich darin einen Reiher stehen sehen und einmal sogar einen Eisvogel. Kann bitte jemand den Wienfluss so umgestalten und zwar bis in die Stadt hinein?

Die JapanerInnen haben s sehr mit der Automatisierung. So sagt man. Das sei etwas, was den JapanerInnen aus aller Welt zugeschrieben werde, hab ich irgendwo gelesen. Das interessante ist, dass wirklich viele Automaten herumstehen, für Fahrkarten, für Getränke, für Zigaretten, für Museumstickets. Aber gleichzeitig sehe ich nicht, dass deswegen weniger Leute angestellt sind. Für alle zwei Museumsticketsautomaten gibt s einen Schalter an dem eine Person sitzt, dann gibt s zumindest eine Person, die mich darauf hinweist, wo die Automaten sind und wie sie funktionieren, vorher bin ich schon zwei Personen begegnet, die mir den Weg weisen und dann gibt s noch zwei Leute, die darauf schauen, dass ich mein Ticket hab oder aber, die mich dabei unterstützen, wenn ich mein Ticket durch einen weiteren Automaten auf seine Gültigkeit überprüfen lasse.

Am wildesten hab ich das empfunden, als ich in Tokio auf den Zug gewartet hab und an jeder Tür Frauen in einer rosa Uniform gestanden sind (na gut, es war so ein bisschen ein Lachston, aber es macht s nicht viel besser) und an jedem Waggonende noch jeweils zwei Männer in blauen Uniformen (jetzt aber wirklich). Und dann ist der Zug gekommen und die Leute sind ausgestiegen und bevor man einsteigen durfte (wir haben uns derweil schön dort angestellt, wo am Boden angezeichnet ist, dass und in welche Richtung man sich anzustellen hat), sind die Damen und Herren in den Zug gesprungen. Die Frauen haben geputzt, die Männer haben repariert. Fünf Minuten später sind alle aus dem Zug raus, abgehakerlte Checklisten in den Händen und fertig war er für die neuen PassagierInnen.

Über Geschlechterverhältnisse gäb s sicherlich einiges zu sagen. Der Absatz gibt eh schon den schlimmsten Eindruck wieder. Was mir allerdings noch aufgefallen ist, dass sich Frauen oft einmal die Hand vor den Mund halten, wenn sie lachen. Und das ist sehr inkonsistent, ist mir mittlerweile aufgefallen, aber es gibt das und das kommt in allen möglichen Situationen vor: wenn sie zu zweit nebeneinander gehen, wenn man gemeinsam am Tisch sitzt, auch mir gegenüber, aber tatsächlich kann das in einem Gespräch zweimal Handvorhalten, zweimal Nichthandvorhalten sein. (Jaja, viermal Lachen ist keine Seltenheit, ich bin sehr amüsant.) Und jetzt kann ich mich vielleicht auch gar nicht gut erinnern, Männer überhaupt viel lachen gesehen zu haben, aber auf jeden Fall nicht, dass sie sich dabei die Hand vorhalten würden. Jedenfalls hab ich unlängst zwei Kinder miteinander spielen sehen und ohne da mit meinen Geschlechtszuschreibungen übergriffig werden zu wollen: Es war ein Mädchen und ein Bub. Und sie war vielleicht zweieinhalb und er war fünf oder so. Und sie laufen so herum und als sie dann lacht, hat sie sich die Hand vor den Mund gehalten. Das hat mir ein bisschen das Herz gebrochen, hab ich gemerkt.

Aus der Serie „Fotos die zur Gartengestaltung inspirieren“. Die machen das schon schön mit den Steinen, hier in einem kleinen Park. Nagasaki liegt in die andere Richtung, aber die Fotos sind dementsprechend alle gegen das Licht und komplett zu vergessen. Ein bisschen hab ich mir gedacht, ich steh am nächsten Tag früh auf, weil das eine wirklich schöne Aussicht war. Aber bin ich dann natürlich nicht.

Nagasaki ist jedenfalls ganz herzig. Zum Beispiel bin ich plötzlich in einem Chinatown gestanden und da hab ich mir zuerst gedacht… ja? Aber warum nicht. Man lernt ja überhaupt ein bisschen mehr, dass Asien vielfältig ist. Und Nagasaki war über viele hundert Jahre tatsächlich so das Tor zu Welt für Japan. Es gibt eine große chinesische Gemeinschaft und Nagasaki war der einzige Hafen, an dem europäische Schiffe andocken konnten. Deshalb sind auch immer schon relativ viele europäische Bauten Teil des Panoramas gewesen. Es gab so eine Insel, auf der immer noch diese europäische Häuser stehen und auf der die EuropäerInnen interniert waren, solange sie sich in Nagasaki aufgehalten haben. (Mal wieder vor allem die NiederländerInnen, was irgendwie ganz interessant ist, was die in der Welt herumgekommen sind, seinerzeit.) Und das war, so sagt die Tafel, damit das Christentum sich nicht verbreitet. Hat dann auch gar nicht so gut funktioniert und es gibt eine relativ große christliche Gemeinde in Nagasaki. Es war auch eine der größten, wenn nicht die größte Kirche in Japan, die unter der Atombombe zerbröselt ist.

Es ist ja zuerst einmal überraschend, dass man hier überhaupt sein kann. Dass man an der Stelle stehen kann, wo fünfhundert Meter darüber vor nicht so langer Zeit eine Atombombe explodiert ist. Weil zum Beispiel ist meine Geburt vom Atombombenabwurf weniger weit entfernt als ich heute von meiner Geburt entfernt bin. Oh ja. Dadurch, dass die Bombe so weit über der Oberfläche explodiert ist, ist viel von der Alpha- und Betastrahlung gar nicht wirklich bis zum Boden durchgekommen. Und trotzdem sind die Zahlen unvorstellbar und während man nach dem Museumseingang vor allem geschmolzene Flaschen, verbogene Stahlträger und angeschmolzene Dachziegel sehen kann, wo die technische Seite ja durchaus noch faszinierend sein kann, geht s dann sehr schnell um menschliche Opfer, um Verbrennungen, Verstrahlungen und sehr viele Aufzeichnungen, persönlicher Erfahrungen. Und dabei ist es sehr gut gestaltet, fand ich. Ich hab mir allerdings schon ein paar Mal gedacht, ob da mal jemand mit einem Geigerzähler durchgeht, insbesondere nachdem ich Sätze gelesen habe, wie dass die tatsächliche Wirkung radioaktiver Strahlung nicht letztlich verstanden werde. Da sind mir so Sätze eingefallen, wie in Fukushima angeblich die politische Führung ziemlich schlecht mit Aufklärung gewesen sei und überhaupt die ganze Sache mit der Radioaktivität nur mittel behandelt werde, von offizieller Seite. Im Museum gab s hingegen schon auch Videoaufzeichnungen von Menschen, die sozusagen sekundären Schaden durch die Atomindustrie erlitten haben, Menschen die in der Nähe von Versuchsgeländen leben, Menschen, die im Uranabbau gearbeitet haben und so. Aber irgendwie kam mir das ein bisschen unterrepräsentiert vor, was denn da Langzeitwirkungen sind.

Das Monument am Hypozentrum

Auch interessant, weil unterrepräsentiert, dass die Geschichte, die zum Abwurf der Atombombe geführt hat, im ersten Raum mit 1943 beginnt. Für den japanischen Imperialismus ist auch nicht viel Platz gewesen. Und dann wiederum hab ich mir gedacht, das wäre schon ok, die Atombomben sind ein historischer Moment, ein Verbrechen für sich und müssen, können nicht als (zu rechtfertigende) Konsequenz von irgendwas gesehen werden. Aber ein bisschen ist mein Verdacht halt, dass das insgesamt eine Zeit ist, die nicht gut aufgearbeitet ist. Ich hab dann einen kleinen Fernseher gefunden, auf dem ein paar Videos abgespielt wurden über die Eroberung Koreas und der Mandschurei, über die Eskalation, die Streiterei mit den Vereinigten Staaten und dann irgendwann einmal The Rise of Fascism. Wie gesagt, vielleicht bin das ich, der ich das wissen möchte und es ist gut, dass der Fokus auf der Atombombe und der aktuellen Bedrohung liegt.

Am Ende der Ausstellung war noch ein Aufruf, den der Bürgermeister von Nagasaki getätigt hat, ich glaub, vor den Vereinten Nationen und da nimmt er auch Japan mit in die Verantwortung, sich stärker für die Nicht-Herstellung, Nicht-Lagerung und Nicht-Verbreitung von Atomwaffen einzusetzen. Auch das fand ich interessant, weil es mir erschien, als ob die Erfahrung, atomar bombardiert worden zu sein, nur bedingt Teil des gesamtjapanischen Selbstverständnisses ist, sondern sehr spezifisch und lokal. In einem der ausgestellten Texte von Überlebenden hat die Person davon gesprochen, dass sie mit einem Stigma lebt, mit dem Stigma der atomaren Krankheit, die nicht zu heilen sei. Es hat auf mich so seltsam gewirkt, viele Texte sprechen von der großen Solidarität nach der Explosion, von der gegenseitigen Unterstützung und Hilfeleistung. Aber diese Bemerkung über das Stigma hat bei mir den Eindruck hinterlassen, dass man sich auf gesellschaftlicher Ebene nicht mehr damit auseinandersetzen wollte, dass die Überlebenden mit ihren Traumata, ihren Verletzungen und Erinnerungen doch weitgehend alleingelassen wurden.

Neben dem Museum liegt das Hypozentrum, ein Park, in dem die Stelle markiert ist, über der die Atombombe explodiert ist. Das ist vielleicht überhaupt der große Unterschied, den es hier zu erleben gibt: Man kennt den Pilz einer Atombombe, wahrscheinlich begegnet man dem Bild öfter, als man glaubt. Aber die Aufnahmen sind, notgedrungen, in der Regel von oben, aus der Sicht der Abwerfenden. In Nagasaki stehe ich an der Stelle, die unterhalb des Pilzes liegt, ich sehe die Häuser, die Straßen, die Spiel- und Sportplätze. Das ist schon berührend, da so mittendrin zu stehen, aber auch unheimlich.

Interessant ist schon, wie die Dokumentation von damals uns die Namen der Piloten und des Flugzeugs und der Bombe selbst hinterlassen hat. Es macht das Ganze so spezifisch und fast ein bisschen surreal. Und natürlich die Rolle der Piloten, die zwar ein primäres und ein sekundäres Ziel hatten, also relativ wenig Entscheidung ihnen selbst überlassen worden ist, aber trotzdem. Nagasaki hätte zuerst gar nicht das Ziel für die zweite Atombombe sein sollen. Aber über Kokura lag eine Wolkendecke und auch über Nagasaki hätte der Bomber bald abgedreht, hätten sie nicht durch die Wolken dann die Munitionsfabrik entdeckt. Aber natürlich wussten sie auch, dass da auch eine Schule und eine Kirche und ein Kriegsgefangenenlager und eine ganze Stadt drumrum ist.

Auf der anderen Seite des Hypozentrums liegt der Peace Park. Das ist ein Gelände auf dem diverse Skulpturen stehen, die den Willen für Frieden repräsentieren, die von verschiedenen Ländern, Städten und Regionen überreicht wurden. Naturgemäß tragen viele davon die Inschrift von Ländern, die es nicht mehr gibt, als es den Sozialismus noch in echt gab, war die ganze atomare Bedrohung noch greifbarer. So viele der Statuen stellen Frauen und Kinder dar, so sehr, dass es mich schon wieder einmal ein bisschen nachdenklich gemacht hat. Es wirkt dann so, als ob Männer keinen Platz unter den Opfern hätten. Letztlich erscheint mir das nicht wirklich als ein Aufruf für eine friedliche Gesellschaft, wenn die Repräsentation des Friedens sich nur auf eine Hälfte der Bevölkerung bezieht. Gerade auch die sozialistischen, mit ihrer damals doch oft fortschrittlicheren Geschlechterpolitik und dann sind s erst wieder die Mütter und der Nachwuchs, der die Männer daran gemahnen soll, dass Bomben bauen nicht alles ist. Zugegeben, die Plastik aus der DDR war übersät mit sozialistischer Ikonografie: Bauern, Arbeiter und Frauen gemahnen hier an eine friedliche Welt.

A word from the Sculptor
After experiencing that nightmarish war,
that blood-curdling carnage,
that unendurable horror,
who could walk away without praying for peace?
This statue was created as a herald
for the struggle for global harmony.
Standing ten meters tall,
it conveys the profundity of knowledge and
the beauty of health and virility.
The right had points to the atomic bomb,
the left hand points to peace,
and the face is in solemn prayer for the victims of the war.
Transcending the barriers of race
and evoking the qualities of both Buddha and God,
it is a symbol of the greatest determination
ever known in the history of Nagasaki
and of the highest hope of all mankind.

Seibo Kitamura
Spring 1955

Der Peace Park enthält außerdem einen Springbrunnen im Gedenken daran, dass es für viele, die durch die Atombombe verbrannt und verstrahlt wurden, kein Wasser gab und sie zumeist um Wasser bittend gestorben sind. An vielen Gedenkstellen stehen wohl deshalb neben Blumen auch oft Wasserflaschen. Das hat schon eine besondere Wirkung, wenn im Gedenken so konkret auf das Leiden vor dem Tod Bezug nimmt.

Neben Blumen und Wasser werden Origamikraniche zum Gedenken aufgehängt. Sadako Sasaki war ein Mädchen in Hiroshima, die den Atombombenabwurf zunächst überlebt hat, aber als Teenager dann Leukämie bekommen hat. Einer alten japanischen Geschichte zufolge, lassen eintausend Origamikraniche einen Wunsch in Erfüllung gehen und sie hat dann auch hunderte gefalten. Gestorben ist sie natürlich trotzdem. Aber sie und die Kraniche sind so zum Symbol geworden, für die Kinder, die Opfer der Atombomben wurden und Leute bringen gefaltene Kraniche, tausende, oft in bunten Schlangen zusammengenäht, manchmal in Reliefe geklebt. Ich finde das eine wirklich schön, weil es doch dauert, so einen Kranich zu falten. Interessanterweise habe ich festgestellt, dass ich seit einigen Jahren meinen Kranich etwas anders falte, als ich hier erinnert worden bin. Aber so oder so brauche ich durchaus fünf Minuten für einen, vielleicht könnte ich etwas präziser sein, wenn jeder Falz beim ersten Mal sitzt, dann ging s etwas schneller. Aber so bin ich fünf Minuten beschäftigt, leicht meditativ und danach habe ich ein Objekt in der Hand, als Zeichen meiner Versenkung und das dann wo abzustellen: es schenkt im wahrsten Sinne Zeit, das unschenkbare Geschenk.

Eine Statue Sadakos vor dem Friedensmuseum, daneben Kranichschlangen.

Natürlich ist es nicht das erste Mal, dass ich mit einer Seite der Menschheit konfrontiert, wo ich mich wunder, wie die Leute drumherum mit der ständigen Gegenüberstellung zurechtkommen, wie Normalität dem gegenüber möglich ist. Wie da ein Friseur sein kann, zweihundert Meter vom Hypozentrum entfernt. Aber es geht natürlich einfach so. Zehn Minuten später kommen mir lachende Taxifahrer entgegen (siehst, doch lachende Männer, ohne Hände vor dem Mund), Teenager vor dem Einkaufszentrum und dann beobachte ich schon wieder Graureiher und Schwarzmilane, die in den Kanälen waten respektive über der Stadt ihre Runden drehen. Heute hab ich mein Fernglas mit.

Tagesausflug und nächtliche Begegnung

Es ist fast ein bisschen enttäuschend, dass der Lonely Planet sagt, dass Kagoshima sowieso und gleich einmal die netteste Stadt in Japan ist. Hat s es damit schon wieder oder was? Auf jeden Fall hatte ich gestern ein Gespräch mit der einen Restaurantbesitzerin oder -angestellten, ist ja auch egal, die aus dem Lokal gekommen ist, nachdem ich ein bisschen davor gestanden bin und mit mir zu reden angefangen hat. Und das bin ich nicht gewohnt, bin ich nicht mehr gewohnt, hätte ich mir nicht erwartet. Und ich weiß nicht genau, was das war, weil sie hatte eh keinen Platz und dann haben wir aber ein bisschen geredet und vor allem war s interessant, um zu sehen, wie manche Laute einfach nicht ins Japanische passen. Da war natürlich eine R-L Sache, die nicht so einfach war, aber insbesondere die Geschichte mit dem H und dem F. Das ist für jemanden, der so heißt wie ich, nicht so einfach. Und wenn sie mir sagt, dass das Lokal hurr ist, dann hab ich mir wirklich etwas schwergetan, abgesehen davon, dass ich schon verstanden hab, dass sie keinen Sitzplatz mehr hat. Und der vermeindliche bread train, mit dem ich in der Regel unterwegs bin, das ist ein bullet train, ein Shikansen. Weil wenn man mal keinen Vokal zwischen zwei Konsonanten braucht (und einer von den beiden kein N oder M ist, jaja, so einfach ist das auch wieder nicht), dann macht man halt ein U. Deshalb hab ich für meinen Namen damals im Karatekurs auch ein Hu Ri Tsu auf den Gürtel geschrieben bekommen.

Kagoshima hat seinen eigenen Vulkan vor der Tür. Say hello, Sakurajima.

Und in der Nacht war dann der Typ, der am Code meiner Zimmertür gescheitert ist. Also, meine Schlafsaalzimmertür. In Wahrheit war s erst Abend, als jemand also ein paar Mal daran gescheitert ist, den Code richtig in die Tür zu tippen. Ich hab mir gedacht, dass sind die von nebenan, die stehen einfach an der falschen Tür: Falsche Tür oder falscher Code, das Ergebnis ist ein ähnliches.

Sir, said I, or Madam truly your forgiveness I implore
But the fact is, I was napping
And so gently you came rapping
And so faintly you came tapping

Tapping at my chamber door that I scarce was sure I heard you
Here I opened wide the door…

Er war dann immerhin betrunken und seine Frau ist ein bisschen genervt am Küchentisch gesessen. Ich dachte ja, der wohnt mit ihr im Nebenzimmer, aber in dem Hostel war streng getrennt, die Bubenschlafsäle und die Mädchenschlafsäle. Dementsprechend hab ich ihm dann auch gedeutet, dass er wohl an der falschen Tür sei. Und er hat mir auch durchaus zugestimmt, also zumindest hat er meine Gestik imitiert, aber seine Handlungen sprachen eine andere Sprache! Jaja, hat er gesagt und hat mich ins Zimmer zurückgedrängt ist an mir vorbei und hat sich in das leere Bett gelegt. Na gut, hab ich gedacht, dann schlafst dich halt aus. Und ich hab bis in der Früh gedacht, der wollte sich einfach nur hinlegen, weil das halt manchmal notwendig ist, dass man sich hinlegt, ab einem gewissen Punkt. Ich bin dann draufgekommen, der hat wirklich hier sein Bett gehabt, als er am nächsten Tag beim Ausziehen sein Rollwagerl mitgenommen hat. Und das hat auch erklärt warum der dritte in unserem Zimmer, sich das Bett über mir genommen hat, was ich eine seltsame Entscheidung gefunden hab, wenn man annimmt, es sind nur zwei Personen, die sich zwei Stockbetten teilen. Ach ja, Hostelleben.

Heute wissen wir, dass man seinen Dinosaurierpark nicht auf einem aktiven Vulkan bauen soll, aber man sieht, das sind etwas ältere Modelle. Ich hab den wirklich gern, weil er ein bisschen so ausschaut, als sei er absichtlich so gemacht, dass er im Sumpf steht. So hat man sich das früher einmal vorgestellt.

Auf jeden Fall hat ist er schnell eingeschlafen, aber er hat auch im Schlaf noch sehr viel geredet und geschnauft, der Herr Kollege vom Bett nebenan. Und ich hab mir noch gedacht, das tut mir urleid gegenüber dem, der da im Bett über mir liegt, weil dem hab ich da jetzt einfach so eine Schnarchnase ins Zimmer gelassen, anstatt ihn irgendwie abzuwehren und was weiß man schon. Natürlich hab ich auch für mich ein bisschen gedacht, blöd, dass ich jetzt nicht schlafen kann. Aber als ich dann mein Buch weggelegt hab, es war ja wirklich kaum erst zehn, wie der betrunken heimgekommen ist, bin ich tatsächlich schnell einmal eingeschlafen. Ich erinnere mich zwar, zumindest das Gefühl gehabt zu haben, Ewigkeiten lang nicht einzuschlafen, weil ich die Geräusche von nebenan dauernd im Ohr gehabt hab. Aber in Wahrheit war das insgesamt eh eine erholsame Nacht, würde ich sagen.

Am nächsten Morgen steig ich in die Gemeinschaftsküche und da sitzt schon die Frau Gattin und entschuldigt sich bei mir, so wie sie sich auch in der Nacht bereits immer wieder entschuldigt hat. Ebenso er, darf man nicht vergessen, entschuldigen hat auf jeden Fall funktioniert. Aber jetzt drückt sie mir noch ein Sackerl in die Hand, während sie sich entschuldigt für noisy. Die kennt ihren Mann. Ah wo!, sag ich, das wäre nicht nötig. Interessant, denk ich mir, dass ich auf Englisch rede, wenn ich weiß, dass sie mich nicht versteht und sie im selben Wissen auf Japanisch redet. Natürlich, die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass sie was versteht. Aber wir kommunizieren eh vor allem über Tonfall. Na gut, sag ich, vielen Dank.

Mehr Sauropoden! Hier zumindest der am Boden liegende Schwanz, ist auch schon lang nicht mehr, wie wir uns Dinosaurier vorstellen. Im Hintergrund gibt s eine lange Rutsche, die leider dem Wetter entsprechend leider in einer ziemlichen Lacke endet.

Als er dann aufsteht, entschuldigt auch er sich nochmal bei mir, obwohl ich glaub, dass ihn die Frau geschickt hat. Und dann bringt auch er mir noch ein Geschenk zur Entschuldigung. Sehr nett, wäre nicht notwendig gewesen, das passt schon, vielen Dank, war überhaupt kein Problem. Ich denk die ganze Zeit daran, dass der Typ im Bett über mir das ganze Leid mit mir geteilt hat und ich hier mit Geschenken beschüttet werde, da empfinde ich eine gewisse Schieflage.

Dazu zwei Dinge. Einerseits find ich es eh ganz ok, was da passiert ist. Das klingt jetzt irgendwie nach einer komischen Feststellung. Aber ich mein so unterm Strich, weil ich mich über den Kontakt einfach gefreut hab. Ich hab mich natürlich ein bisschen geärgert über das Rattern und Poltern im Nebenbett, aber vielleicht hab ich jetzt lang genug in Schlafsälen geschlafen, dass ich darüber wirklich mehr oder weniger gleichgültig hinwegschlafe, wenn sich in unmittelbarer Nähe jemand wälzt und plagt. Aber insbesondere das dahinterliegende Ich-muss-mich-jetzt-mal-hinlegen-alles-andere-später und später dann tatsächlich ein bis zwei authentische Entschuldigungen, wo ich nicht das Gefühl hatte, dass die von Scham überwältigt waren. Also schon gewissermaßen eine Peinlichkeit, aber etwas, worüber man reden kann. Ein Danebentreten und Bereuen und dann mit mehr Sozialkompetenz gelöst, als das gefühlt daheim gelöst werden würde. (Insbesondere, weil mein Verhalten, des Durchtauchens so gut damit funktioniert hat.) Das war schon gewissermaßen beeindruckend und ich hab so auch eine sehr echte Begegnung gehabt, kam mir vor. Wir haben uns dann wieder und wieder verabschiedet, weil wir sozusagen den gleichen Weg von der Gemeinschaftsküche (aus der sie sich verabschiedet haben) hinunter in die Café-Restaurant-Co-Working-Space-Area hatten (aus der ich mich dann wiederum verabschiedet hab). Und wenn sich so eine Ärgerlichkeit in zwischenmenschlichen Kontakt auflöst, das ist super.

Sakurajima hat außerdem einen Geopark und ein öffentlichesFußbad, wo man nebeinander einmal seine Füße ins Thermalwasser stecken kann. Aber wichtiger, dass der Regen auch die eine oder andere Katze unter die sporadischen Dächer des Onsen getrieben hat.

Der zweite Punkt ist das mit den Plastiksackerln. Ich mein, einen Moment war ich schon überfordert, wie ich jetzt ein Geschenk ablehnen kann, als das-ist-wirklich-nicht-notwendig. Und ich bin eh grad am Ausmisten gewesen, die letzte Woche. Das klingt jetzt total undankbar, aber dann kommt das wieder in einem Plastiksackerl. Ich hab in zwei Wochen Japan mehr Plastiksackerl weggeschmissen als im ganzen bisherigen Jahr, muss ich leider sagen. Ich mein, das sind vielleicht fünf oder sechs, also nur mittel-tragisch. Aber trotzdem! Das wird ja noch mehr. Im Geschäft gelingt es mir schon ab und zu rechtzeitig zu sagen, dass ich das in meinen Hippiebeutel tu, danke vielmals. (Und dann kleben sie mit so einem Tixo den Strichcode ab, was war ich darüber verwirrt!) Aber es ist so selbstverständlich, dass selbst wenn ich ein einziges Klumpert kauf, dass es schon in einem Sackerl ist, während ich noch versuche, meine Münzen in mein Münzfach zu schieben. Sie haben sehr elegante Münzen, find ich. Hab ich mich schnell dran gewöhnt. Kann sein, dass der Fünfhunderter und der Hunderter, wie auch der Fünfer und der Fünfziger haptisch schwierig auseinanderzuhalten sind – von wegen barrierefreiem Bargeld. Aber die Hunderter sind auf jeden Fall sehr schön und alles ist handlich und man braucht s ja auch dauernd, weil überall die Automaten rumstehen. Und jetzt die Automaten, da kriegt man natürlich kein Sackerl. Aber dann hab ich schon wieder mehr Plastikflaschen durch die Hände gehen gehabt als in den vergangenen Monaten. Was ich auf meine Kappe nehm, das ist einfach weil die Neugier manchmal sagt, kauf die ein Fanta White Peach statt da aus der Wasserfontäne daneben zu trinken. Hast eh so viele Hunderter im Geldbörsel. Kauf dir ein Pepsi Japan Edition. Kauf dir einen Grapefruitsaft in der Dose. Kauf dir das! Na, ich bin ja auch nur ein Konsument.

im flaschengrünen, tiefen See

Heute war ich im Aquarium von Kagoshima und das hat natürlich gleich einmal was problematisches. Ich bin ja ein großer Verteidiger von Zoos, weil abgesehen davon, dass dort heutzutage ja viel Forschung passiert,die in der Natur schwierig bis unmöglich wäre, find ich auch, dass es wichtig ist, heutzutage einmal ein Nilpferd in echt gesehen zu haben, bevor man in die Pubertät kommt. Oder einen Pinguin oder vor allem einen Tapir. Auf der anderen Seite geben Menschenaffen hinter Gittern mitunter ein trauriges Bild ab und da zieh ich ein bisschen meine Linie, die andere wo anders ziehen mögen. Und so bin ich heute in einer Delfinshow gesessen und das war schon interessant, aber gleichzeitig auch etwas deprimierend. Spätestens seit Free Willy schaut man ja einer Walverwandten auf die Rückenflosse um zu sehen, wie deprimiert sie vom Leben in Gefangenschaft ist und von den fünf, die da in dem Becken ihre Runden gedreht haben, waren alle ein bisschen geknickt. Immerhin muss ich sagen, war auch viel Information dabei (glaub ich, ich hab s ja nicht verstanden), das rechtfertigt s für mich durchaus ein bisschen. Es ist nicht nur Zirkus. Aber der Moderator hat viel geredet und soweit ich verstanden hab, ging s um die Fähigkeiten von Delfinen, verschiedene Formen und Größen zu unterscheiden. Und auch, dass sie fünf Meter aus dem Wasser springen können um ein Dingserl anzustoßen, das von der Decke hängt, dass sie synchrone Saltos machen können und dass sie quaken, wenn die Trainerin das richtige Handzeichen gibt. Und dass sie entweder so ins Wasser eintauchen können, dass es kaum spritzt oder so, dass ich nachher vollkommen nass war.

Kann man etwas gegen die Haltung von Quallen haben? Sehr aufregend und nur mittelmäßig auf dem Foto feststellbar, dass sie mit ihren fadendünnen Tentakel tatsächlich die Urzeitkrebse, die sie als Futter bekommen, gefangen und zur Unterseite von ihrem Körperdingsda geführt haben.

Noch deprimierender war allerdings, dass sie einen Walhai in einem Becken haben. Damit wird das Aquarium stark beworben und ich hab s mir kaum vorstellen können, dass das wirklich so ist. Ich hab mir gedacht, ok, das ist vielleicht ein Fenster ins Meer irgendwie, wo ein Zaun ist… Nein. Ich mein, ein kleiner, der war nicht länger als vier Meter. Aber er war in einem Becken, noch dazu im ersten Stock, aber dafür gibt s mehr logistische Anerkennung. Es war halt kaum Platz, dass er was anderes hat tun können, als ständig im Kreis zu schwimmen. Sein Blick ist vom Vorüberziehen der Stäbe… Dann ist eine Kindergruppe reingekommen und die waren alle wahnsinnig begeistert und dann frag ich mich, ob ich da für den armen Walhai nicht auch den Punkt machen soll, den ich für Meerkatzen, Pinguine und Gnus mache: Dass die Begeisterung von dreißig Kindern nicht irgendwo mehr wiegt. Und dass die BegleiterInnen vielleicht den Text vorgelesen haben, wo steht, dass man das Meer nicht verschmutzen soll, weil sonst die Fische alle sterben. Die Weißspitzenhaie, neben denen ich vor zwei Wochen noch geschwommen bin, sind in ihrem Becken überhaupt nur am Boden gelegen.

Keine einfachen Antworten

Ich bin ja schon allein deshalb ein bisschen auf der Seite, die die Kinder (und Erwachsenen) ihre Erfahrungen auf Kosten des großen Fischs machen lässt, damit mein Tauchhobby nicht nur elitär rüberkommt. Logistisch schwierig und ökologisch schlimmer, wenn wir unsere Haifische alle in ihrem Habitat sehen wollen würden. Hauptsache ich hab mir jetzt noch ein bisschen Tauchurlaub geplant, formulierte er einen holprigen Übergang mit moralisch zweifelhaftem Nachgeschmack. Und weil sich die Gelegenheit geboten hat, hab ich mir dafür auch gleich in einem der hiesigen riesigen Elektronikfachmärkten die Schutzschale für meine Kamera gekauft. Fünfzehn Tauchgänge hab ich gemacht, insgesamt ziemlich genau zwölf Stunden unter Wasser. Und kaum das lousy T-shirt vorzuweisen.

Aber damit ich s nicht vergesse und weil wir hier im Internet sind: Hier sind meine fünf besten Taucherinnerungen.

(5) Zuerst einmal eine Taucherinnerung, die gar nicht unter Wasser stattgefunden hat. Tahiti hab ich ziemlich gut erwischt, was die Walsaison betrifft. Man würde eigentlich bereits mit mehr Walaction rechnen, hat es immer wieder geheißen, aber so richtig wollten sie sich nicht zeigen. Vielleicht, hat s einmal geheißen, sei das Wasser zu warm, weil es wäre wohl ein Grad wärmer als üblich und deshalb würden die Wale noch ein wenig in ihren antarktischen Gewässern abwarten. Wale sind ja auch eher individualistische Tiere und jetzt nicht Gänse, die im Schwarm migrieren, deshalb war schon ab und zu mal einer zu sehen. Einmal sind wir auf dem Weg zu Tauchstelle sogar einem begegnet, von dem wir ein bisschen Schwanzflosse zu sehen bekommen haben. Die Möglichkeit sei gegeben gewesen, dass uns der beim Tauchen überrasche, hieß es, weil die Tauchstelle läge auf dem Weg. War aber nicht. Aber immerhin einen Wal gesehen ohne dass ich zwei Stunden Seekrankheit erleiden musste. Und die Hoffnung, beim Tauchen vielleicht von einem Wal besucht zu werden, die hat den ganzen Tauchgang ziemlich aufregend gemacht.

(4) Meinen ersten Hai hab ich leider gar nicht gesehen. Das war auf meinem ersten Ausflug, meinem ersten explorativen, meinem ersten Freizeittauchgang. Da war ich schon ein bisschen enttäuscht, als ich an der Oberfläche gehört hab, dass ich in die falsche Richtung geschaut hab, als da ein Grauer Riffhai (Carcharhinus amblyrhynchos) auf einen Sprung aus dem Blau des Meeres bei uns vorbeigeschaut hat. Auf Mo’orea bin ich dann immer wieder Haien begegnet, immerhin hat sich mein Tauchverein auch als Haispezialisten identifiziert und das Haienbegegnen war so ein bisschen das Ziel. Also, alles Riffhaie, da muss man sich nicht besonders fürchten. Ich mein, nicht, dass man überhaupt muss. Alles in allem, war der eine Barracuda, der uns da mal verfolgt hat, wesentlich unheimlicher als alle meine Haibegegnungen. Zu sehen gibt s insbesondere Weißspitzenhai (Triaenodon obesus) und Schwarzspitzenhai (Carcharhinus melanopterus), aber besonders sind eine Handvoll Zitronenhaie (Negaprion acutidens) die in einem Katalog durchnummeriert sind, mit ihren Erkennungszeichen und ihren Charaktereigenschaften. Und dann war da noch einer, bei dem man ein bisschen aufpassen sollte, weil die eigentlich aus tieferen Gewässern sind und ihre Unsicherheit so knapp unter der Oberfläche gerne einmal mit ein bisschen Fremdaggression kompensieren. Hat man uns erklärt. Während so ein Schwarzspitzenhai gerade einmal zwei Meter lang wird und der Weißspitzenhai noch etwas kleiner bleibt, wird so ein Zitronenhai fast drei Meter lang und das kann einen schon ein bisschen schrecken, wenn einem so einer plötzlich ins Blickfeld gerät. Wie man für seinen Open Water Diver lernt, wirken Objekte unter Wasser wegen der Lichtbrechung auch noch etwa ein Drittel größer und Viertel näher. Da hab ich mich schon ein bisschen so gedreht, dass ich ihm nicht den Rücken zuwende. Mehr erschreckt hab ich mich tatsächlich, als mich ein Schwarzspitzenhai rechts überholt hat und tatsächlich einfach einmal so in mein Blickfeld hineingeschwommen ist. Und dann noch ein zweiter. Und wieder zurück auf Tahiti war ich dann nochmal im Vallée Blanche, da wo wir im Boot vom Wal überrascht wurden. Das weiße Tal ist so ein bisschen ironisch für ein Stückchen Sandstrand unter Wasser zwischen der Lagune und dem bisschen Meer zwischen Tahiti und Mo’orea. Und warum das so attraktiv für die Riffhaie ist, das weiß ich auch nicht. Ein Grund ist sicherlich, weil dort ab und zu mal ein Tauchverein eine Kiste mit Fischstückchen deponiert und die zum Naschen vorbeischauen. Aber ob die Haie nur für einen free lunch vorbeikommen oder ob die nicht auch vorher schon lieber über weißen Sand geschwommen sind als graues Riff, kann ich nicht beantworten. Ähnliches Hairepertoire wie auf Mo’orea, aber durch die Anfütterung halt wirklich dicht. Fast ein bisschen weniger beeindruckend, wenn sie einem links und rechts so um die Ohren sausen. Aber schön sind sie schon. Lemonshark dudududu-dudu…

(3) Haie sind mit ihrer glatten Eleganz mehr so die Dobermänner des Meeres. Wobei die Ähnlichkeit wahrscheinlich eher andersherum zu erklären ist. Kalt und stromlinienförmig sind sie. Man sieht sich irgendwie satt an ihnen, wenn man nicht ein Zehnjähriger mit Gewaltsublimationsbedarf ist. Auf der anderen Seite haben mich die Schildkröten immer mehr durch ihr Verhalten beeindruckt. Und das wiederum hat wohl mehr damit zu tun, dass sie einen Hals haben und sowas wie Arme und sowas wie Beine und wenn man an Land nicht unbedingt eine Schildkröte als seinen nächsten Verwandten identifizieren würde, so gibt s unter Wasser weniger Auswahl. Und dann sieht man einmal eine Schildkröte, die sich mit ihrer Flosse am Riff abstößt, während sie nach irgendwas schnappt, das dort wächst. Eine andere hat sich vielleicht für auf ein Nickerchen in eine kleine Riffeinbuchtung hineingekuschelt. Und sie haben einen sympathischen, wenngleich extrem gleichgültig wirkenden Blick. Und eine himmlische Leichtigkeit, mit der sie sich durch s Wasser bewegen. Ich mein, „Eleganz“ ist vielleicht ein Begriff, den ich etwas überstrapaziere, wenn ich mich an meine Taucherlebnisse erinnere. Aber es gibt einfach nicht genügend Varianz in der Begrifflichkeit! Unter Wasser wirken alle Bewegungen ein bisschen präziser, ein bisschen bedachter. Ohne die Haftung an einem Boden merkt man schnell einmal die physikalische Wahrheit, dass jeder Impuls einen Gegenimpuls auslöst, am eigenen Körper. Um so mehr Bewunderung hab ich deshalb übrig für jene Lebewesen, die ihre Energie so einzusetzen wissen, dass es sie nicht bei jeder Drehung fire– und daunehaut.

(2) Als TaucherIn ist man zu Gast unter Wasser. Nicht nur, dass man das wegen der oben angemerkten Plumpheit schnell einmal am eigenen Körper merkt, aber die Oberste Direktive ist: wir sind zum Schauen da. Wir schauen drauf, dass wir nicht auf die Korallen treten, wir schauen drauf, dass wir keine Muscheln mitnehmen, wir schauen drauf, dass wir nichts berühren, dass wir nichts füttern, dass wir keinen Mist hinterlassen. Jetzt ist das wie bei allen Regeln, dass man auch einmal eine Ausnahme macht, ohne, dass man die ganze Regel sofort kübeln muss. Und während ich das stille Schweben im Wasser als die größte Herausforderung sehe und ich diesem Status der Nichteinmischung meine größte Aufmerksamkeit widme, muss ich zugeben, dass die eine oder andere haptische Erfahrung zu den besten Erinnerungen gehört, die ich unter Wasser gemacht hab. Auf dem einen Tauchgang sind wir besonders vielen Seeanemonen begegnet und ich hab den Tauchlehrer gesehen, wie er immer wieder einmal mit dem Finger durch die Anemone gestrichen hat. Ich hab mir einerseits natürlich gedacht, n-n-n: macht man nicht und auf der anderen Seite aber natürlich die Neugier, weil ich von den Seeanemonen doch nur weiß, dass sie doch irgendeine Verteidigungsgiftigkeit besitzen, weil sie doch den dagegen immunen Clownfisch beschützen, der sich in ihnen versteckt. Also Rätsel über Rätsel und die löst man am besten durch Experimentation. Hab ich bei der nächsten Gelegenheit also vorsichtig meinen Finger in die Seeanemone gesteckt und siehe da: es war ein bisschen wie wenn dutzende kleine Saugnäpfe von meiner Haut naschen. Also, das war nicht „ein bisschen wie“ sondern das war ziemlich genau, was passiert ist, das Gefühl ist so fremd, dass ein Gleichnis nicht viel weiterhilft. Nach einem anderen Tauchgang hat ein Sohn seiner Mutter die Erfahrung als weird but nice beschrieben und besser könnt ich s auch nicht sagen.

Aus dem Aquarium in Kagoshima. Vielleicht ist die Technik der Seeanemone ähnlich wie bei dem Seestern, der sich mit seinen Saugnäpfchen von der Aquariumswand nascht. Die biologische Verwandtschaft hört, wie ich eben nachgeschaut hab, bei den „Gewebetieren“ auf. Die Verwandtschaft zur Seeanemone ist also nicht näher als zu mir…

(1) Und ganz oben auf der Hitliste der Taucherfahrungen die akustische Erfahrung: hab ich einen Wal singen gehört. Es hat niemand besonders damit gerechnet, es wurde zwar immer wieder von Walen geredet, einfach weil Saison ist, aber zwanzig Minuten unter Wasser deutet mir der Tauchanführer, ich solle mal ins Meer hören und nachdem ich seine Gestik entziffert hab, hab ich tatsächlich sanft den Walgesang gehört. Der müsse so ein bis zwei Kilometer entfernt gewesen sein, hat s nachher geheißen. Aber ich war einfach überrascht, dass ich das so hören kann. Ich erinnere mich noch, als ich das erste Mal Walgesang gehört hab (das war auf einer Schallplatte, die einem Micky Maus Heft beigelegt war) und ich mir gedacht hab, dass das doch sicher irgendwie behandelt sein muss, damit man das hören kann. Diesen Gedanken hab ich nie so wirklich relativiert. Bis jetzt. Und jetzt hab ich mir noch gedacht, dass da sicher irgendwo der Ursprung für Sirenengesang drin steckt. Weil irgendeine alte GriechIn wird mal versucht haben, irgendwo einen Krebs hochzutauchen und dabei einen Wal gehört haben. Natürlich ohne ihn zu sehen. Ja, wer singt denn da so schön?, wird man sich gefragt haben. Na, das wird ja wohl eine halbnackte Frau mit einem Fischschwanz sein, war die naheliegende Antwort. Für mich kam der Gedanke vor allem, weil es ja durchaus gefährlich ist, in die Stille des Meeres hineinzuhören: Dafür muss man nämlich die Luft anhalten, weil sonst hat man die Ohren ständig mit dem eigenen Geblubber voll. Und was sie einem sagen, andauernd einbläuen ist, dass man nicht mit dem Atmen aufhören soll unter Wasser. Das hat vor allem damit zu tun, dass es einem die Lunge nicht zerreißt, wenn man sich in der Vertikalen bewegt und sich die Luft dort aufgrund des abfallenden Drucks im Quadrat aufbläht. Und natürlich ersticken, aber da kann man sich vielleicht eher auf den Instinkt verlassen. Jetzt liege ich also im Meer und halte meine Luft, um nochmal diesen Walgesang zu erwischen, weil das wirklich sehr schön ist, in so einer akustisch sonst eher unaufregenden Stunde, jemanden singen zu hören. Ich hab auch nichts mehr gehört.

Die Regeln der Internethitparaden geben mir die Möglichkeit, hier noch ein honorable mention unterzubringen: In der Tauchschule auf Tahiti waren die coolsten Mädels und Jungs und ich bin ja doch viel mit denen abgehangen, also jetzt nicht privat, aber so vorher/nachher ein bisschen auf dem Gelände rumsitzen, wenn grad Zeit ist. Und manche haben ein passables Englisch gesprochen und mit denen hatte ich auch nette Unterhaltungen. Und andere hatten weniger Englisch parat und da war alles ein wenig schwieriger. Die Lisa zum Beispiel, die hat gerade die Ausbildung zur Ausbildnerin gemacht und hat die schwierige Aufgabe bekommen, einen auszubilden, mit dem sie nicht viel gemeinsame Sprache teilt. Abgesehen davon, dass ich die ganze Tauchterminologie eh nicht kannte und von mir aus wäre es wurscht gewesen, ob ich jetzt den französischen oder den englischen Begriff für den Schlauch der von der Flasche zum Mundstück führt lerne. Aber so war da zu Beginn auf jeden Fall einmal wenig optionales Geplauder. Und auch wenn es unter Wasser überhaupt erst einmal etwas einfacher erscheint, weil man da ja eh nicht miteinander reden kann, setzt sich da mitunter die mangelnde Einschätzung des Gegenüber von der Oberfläche fort und dann ist man vielleicht weiterhin ein bisschen komisch. Es ist dann ein bisschen besser geworden, wenn man einander ein wenig einzuschätzen lernt und man sich nicht mehr so viel über die Fehler Sorgen macht, die man beim Reden vielleicht macht. Und dann gab s einen Moment, mein erster explorativer Tauchgang, wo sie mein Buddy gewesen ist und ich weiß nicht mehr was ich gedeutet hab, aber sie hat auf jeden Fall lachen müssen und das war einfach ein guter Moment, und ich hab mir gedacht, wie praktisch, dass ich mir das nonverbale Tauchen als Hobby ausgesucht hab. Abgesehen davon, dass es lustig ist, jemanden unter Wasser lachen zu sehen.

Three Degrees of Chicken

Ich bin heute den halben Tag im Zug gesessen, von Tokio bis ans untere Ende von Kyushu. Von Insel zu Insel ohne dass ich s gemerkt hätte. Das sind irgendwo um die tausendvierhundert Kilometer und das ist sich in sieben Stunden ausgegangen. Das lob ich mir schon. Ich find s auch faszinierend, dass in Japan tatsächlich nach wie vor daran gearbeitet wird, das Streckennetz auszubauen, also vor allem für den Shinkansen, den flotten Zug, mit dem ich heute unterwegs war. Das ist schon toll. Und gemütlich ist es auch, weil es ist wesentlich mehr Beinfreiheit verfügbar und am allersteilsten finde ich mal wieder, dass es Raucherzonen im Zug gibt. Irgendwie sind sie da ganz wo anders als Mitteleuropa. Mit schelmischer Freude hab ich nach meiner Ankunft in Kagoshima (Ka-Gosch-Imma) einen Bierautomaten gefunden, aus dem man sich möglicherweise vierundzwanzig Stunden jederzeit eine bis mehrere Dosen Bier ziehen kann.

Aber auch sonst habe ich mich in Kagoshima gleich einmal ein bisschen mehr willkommen gefühlt. Ich mag Tokio schon, aber ich war zu oft einfach nur verloren und irritiert weil ich es als wahnsinnig konsumistisch erlebt habe. Und das beste Beispiel ist vielleicht wie diese ganze Anime-Subkultur in einem klassisch-kapitalistischen Schachzug vollkommen aufgesogen wurde und als enorme Geschäftemacherei explodiert ist. Gut, ich mein, das sag ich auch, weil ich den Inhalt nicht versteh und die Begeisterung darüber schon gar nicht.

Zur Verteidigung des japanischen Widerstandsgeistes ist zu ergänzen, dass teilweise durchaus ein ungezwungener Zugang zur Regelbefolgung zu beobachten ist.

Anyway. Kagoshima hat schon gut angefangen, weil ich die Hosteldame ein bisschen überrascht hab. Ich war unabsichtlicherweise ausgesprochen leise beim Hostelbetreten, während sie gerade irgendwo hinter der Kaffeemaschine am Wischen war. Und dann ist es mir schon unangenehm aufgefallen, aber das mit dem Räuspern ist mir erst nachher eingefallen. Und da war sie etwas überrascht, als sie mich plötzlich einen Meter vor ihr erblickt hat. Und das hat uns eine gute Ebene gegeben, weil wir beide wussten, was sie sagen möchte, aber ihr Hostelvermietungsenglisch hat ihr dabei nicht geholfen und mein Japanisch, ich mein… eben. Aber manchmal ist so ein ungesagter Satz ganz hilfreich, weil er uns trotzdem eine Gesprächsebene geboten hat, auf der wir zwar einander nichts sagen konnten, aber doch wiederholten mit hilflosen Gesten und ratlosem Lachen einander zu verstehen gegeben haben, dass wir wissen, was wir sagen würden, wenn wir wüssten wie. Da war ich schon einmal gerne hier.

Und in meiner abendlichen Erkundung der Stadt hab ich dann doch ein bisschen mehr Blickkontakte aufgefangen als ich das in einer Woche Tokio zusammenaddieren hätte können. Das hat mich immer ein bisschen bedrückt, die letzten Tage, dass die Leute so ernst herumlaufen, niemand lacht und keine lächelt und nicht nur, dass viele auf ihre Telefone kucken (ich muss ja, weil ich sonst nicht meinen Weg find!), die anderen schauen jetzt auch nicht gerade anderen Leuten ins Gesicht und wenn, dann sicher nicht einem abgerissenem Goyim wie mir. Nein, das ist das andere: Gaijin. Aber hier hab ich möglicherweise sogar ein Good Evening nachgerufen bekommen, während ich durch den Park spaziert bin. Aber erstens ist weder sicher, dass es an mich gerichtet war oder dass es überhaupt Good Evening geheißen hat. Aber bis ich das überhaupt in Erwägung gezogen hatte, war ich schon wieder drei Schritte weiter und dann natürlich ist das ja immer auch etwas unangenehm, Begrüßungsformeln an den Hinterkopf gerufen zu bekommen. Aber im Gegensatz zur Tokioer Schweigsamkeit war auch das eine willkommene Abwechslung.

Nachdem ich ein bisschen herumgeirrt bin, hab ich mich dann kurzerhand in ein kleines Lokal hineingeschwungen. Ich weiß nicht genau, was da ausschlaggebend war, ich glaub, der Typ der vor dem Lokal für s Lokal geworben hat, hat mich mit seiner Schlacksigkeit und seinem Kapperl an einen jungen Keanu Reeves erinnert. Und ich wusste gar nicht so genau, was ich da jetzt zur Auswahl hab, stellt sich heraus, es ist eine Yakitoriarei. Ich hab das jetzt immer ein bisschen vermieden, mich in so ein Spießchenlokal hineinzusetzen, weil irgendwie ist das nicht so aufregend. Da hab ich doch sogar so eine Colawerbung unlängst irgendwo gesehen, wo multikulturelle FreundInnen bei einer Grillparty zusammensitzen und eine jede leicht-aber-nicht-bis-zur-Undeutlichlichkeit-vom-Klischee-abweichende VertreterIn verschiedener Nationalitäten sagt, wie sie Fleischspieße nennt und dass die jeweils eigenen nationalen Grillspießchen natürlich denen der anderen, minderwertigen Nationalitäten überlegen sei. Also alles fröhlich und mit einem Lächeln über den blitzenden Modelzähnen. Ein neckischer Nationalismus. (Bis eine weint!) Zum Glück gibt s Cocacola, weil darauf einigen sie sich dann noch, dass Hauptsache die große post-nationale MegaCorp. Peace by Brand-Identity.

Ich glaub, das Pferd ist ein Fisch, weil es in der Speisekarte neben dem anderen Fisch gewesen ist. Aber es kann auch einfach ein Pferd Carpaccio sein. Und vielleicht ist ein Horse Toy dann Pony-Sashimi?

Ich bin dann ein bisschen ins Bestellen gekommen. Angefangen hab ich mit einer leicht eingelegten Gurke. Geschmeckt hat es, als wäre sie in einem Schinkenwasser gelegen. Ist das Absicht?, frag ich mich und knusper mich durch die Gurkenstückchen. Ist das gut?, frag ich mich dann noch. Aber da war ich schon fertig. Und dann hatte ich frittierte Hühnerhaut bestellt, aber bekommen hab ich Hühnerknorpel. Und ich weiß noch, wie ich auf das Bild im Menüheft gedeutet hab und ich sag Chicken Skin. Und sie sagt Chicken Skin und tippt in ihr Telefon. Und dann sind s halt die Knorpel geworden, die waren in der Speisekarte direkt daneben. Aber warum auch immer, ich freu mich eh, weil ich war jetzt schon ein paar mal zu feig mir die interessantere Option (Salted Squid Guts!) zu bestellen. Und dann hab ich dank des Misserfolgs einer japanischen EnglischlehrerIn halt doch einmal das aufregendere bekommen. Frittierte Hühnergelenke. Und das war ebenfalls nicht so schlecht, auch wenn ich sagen muss, dass es vor allem für die Haptik ist, also für die Textur. Nach viel schmecken tut s nicht. Aber es kracht halt lustig, wenn man Glück hat. Und kalt werden sollt man s nicht lassen, wie das meiste aus der Fritteuse, werden auch die Knorpel nicht besser. Dann hab ich einen Reis bestellt, weil ich ein bisschen mit Hunger angekommen bin. Einen Reis mit rohem Ei, stand auf der Karte. Da war dann noch ein bisschen Hühnerfleisch drin und Zwiebel und das Ei war sogar schon ein bisschen erhitzt, das war gar nicht mehr ganz roh, als ich s in die Schüssel bekommen hab. Und dann meine Yakitori: Ich hab bekommen ein Huhn, eine Hühnerleber, ein Hühnerherz, einen Schweinebauch (hat ein bisschen mit dem Thema gebrochen) und einen grünen Paprika. War alles gut. Das Huhn war tatsächlich nur angegart und innen roh. Und das war total mit Absicht, da hat er mich noch vorgewarnt. Sie hätten nämlich sogar auch ein Hühnersashimi auf der Karte gehabt. Aber das war dann so zart und butterweich, dass ich gar nicht sagen kann, was die da tolles mit dem Huhn angestellt haben, dass das so daherkommt. Vor der Salmonelle darf man sich halt nicht fürchten in Kagoshima.

Weit unten auf der Aufregendes-Essen-Skala: Small Fish in der Kombination mit Mandelsplittern. Hundert Punkte für den Serviervorschlag im Aschenbecher, den würde ich sofort in einem Museum für Moderne Kunst an die Wand hängen.

Und zum Abschluss hab ich dann noch den lokalen Wein getrunken. Also ist kein Wein in dem Sinn, ist ja gebrannt. Mit seinen 25% will der Shōchū aber nur spielen. Ich hab zuerst gedacht, hm, schmeckt ein bisschen nach einem Tequila, aber ich glaub es hat einfach nur nach ein bisschen fuseligem Alkohol geschmeckt. Jetzt war das nicht der einzige Grund, warum ich den Heimweg lang mit einem Ohrwurm zu kämpfen hatte. Ich glaub, dass sich der John Lennon seinerzeit vielleicht auch einmal einen Becher von diesem Sommergetränk gegönnt hat und sich daraufhin den Refrain für Come Together hat einfallen lassen: Shōchū!, d’d’d’dmm-dmm. Shōchū, d’d’d’dmm-dmm…