Stadtspaziergänge

Es ist viel zu schnell, viel zu kurz und vielleicht auch zu unstrukturiert und mittlerweile vielleicht einfach auch schon zu lange her. Aber wir erkunden Seoul ein bisschen so nebenher, schnell mal von Tokio nach Seoul gejettet, mit unserer super-kurzfristigen Buchung. Immerhin war der Plan das zu tun schon länger mal angedacht. Aber viel mehr Plan war dann auch gar nicht. Und dann passiert halt so was, dass wir am Flughafen Incheon ankommen und feststellen, dass das Hostel, in das ich uns Tags zuvor hineinbestellt hatte, antwortet, dass, sorry, aber nein. Und das, nachdem ich gerade erst die Kontaktadresse auf den Immigrationszettel ausgefüllt hatte. Das ist ein Pech und es würde mich vielleicht weniger stressen, wäre ich allein unterwegs. Aber so ist es ein bisschen eher ein Problem. Ich mein, nicht eines, das sich nicht lösen lässt. Weil wir haben von D eine Nachbarschaft empfohlen bekommen, das macht alles schon etwas einfacher. Insbesondere, weil mein präferiertes Kartenprogramm nicht so gut funktioniert in Korea, also nicht gut in der Republik. Ich sag einfach einmal Korea und mein damit nicht die Volksrepublik Korea sondern die Republik Korea, vulgo Südkorea. Aber da fängt das irgendwie schon an damit, dass diese ganze politische Identität von Korea sich mir gar nicht so einfach darstellt.

Jetzt bin ich aber am Flughafen und tatsächlich ein bisschen in einem emotionalen Ungleichgewicht, in die schlechte Laune tendierend, weil das Alternative-Hostel-Buchen nicht funktionieren will, weil ich von den einen wiederum Absagen bekomme und andere mich dazu zwingen, koreanische Software zu verwenden, die ich dann nur mit Mühe irgendwie auf Englisch zu laufen bekomme. Und der M ist auch nervös, weil das nicht funktioniert und es stimmt ja auch, es wäre ganz gut, einmal anzukommen. Wir kriegen dann ein Hostel gebucht, das nicht supersympathisch ausschaut, also, nämlich nicht einmal in dem, wie s sich präsentiert, aber was soll s, es liegt für uns günstig und es ist preislich, na ja, das passt auch. Immerhin gibt s ein Frühstück mit dabei.

Und dann stehen wir erst einmal ziemlich lange im Zug. Vielleicht ist das rückblickend ein wenig verzerrt, ich hab den Eindruck, wir sind schon viel mit der U-Bahn unterwegs gewesen. Aber das ist eh ganz nett, ostasiatisches U-Bahnfahren. Ich finde die Leute sind schon immer sehr ordentlich, wie sie stehen und sitzen und halt warten, bis sie ankommen. Ja, das klingt irgendwie jetzt nicht nach der großen Beobachtung, das geb ich schon zu. Ich glaub, was ich interessant finde, ist, wie die Leute in eine Nähe gerückt werden, dadurch, dass links und rechts im Waggon jeweils eine lange Bank ist, natürlich von den Türbereichen unterbrochen, an denen die Leute nebeneinander sitzen. Es und davor sind jeweils die Haltegriffe so angeordnet, dass man mehr oder weniger der Person gegenübersteht, die vor einem sitzt. Dann bleibt in der Mitte noch ein Gang frei, durch den andere PassagierInnen mehr oder weniger ungehindert den Waggon entlang gehen können. Es ist eine ziemlich effiziente Art und Weise, Plätze in einem Waggon anzuordnen. Aber dadurch sitzt sich niemand für ein Gespräch gegenüber, quasi niemand, der nicht neben einer Fremden sitzt, kaum jemand, der nicht einem Unbekannten gegenüber seine Reisezeit verbringt. Auf jeden Fall hab ich nicht viele Leute beobachtet, die die Zeit in der U-Bahn für eine Unterhaltung nutzen. Und vielleicht fördert die ganze Sitzplatzeinteilung noch die Telefonnutzung, weil viele, wirklich viele Leute sitzen halt mit ihren Telefonen da und lesen Mangas oder nutzen die Zeit, um Charaktere hochzuleveln oder virtuelle Bauernhöfe zu verwalten.

Ich mein, es ist nicht alles nur diszipliniertes U-Bahnfahren. Es gibt auch hier Schilder, mit denen das Dönerverbot durchgesetzt wird und Leute daran erinnert werden, dass laute Musik auch in den Kopfhörern die Mitfahrenden stören mag.

Nachdem wir nach einmal Umsteigen bei unserer Station ankommen, will uns die Maschine erst einmal nicht aus der Station lassen und nach einigen Versuchen und einigerem Zögern drücken wir den Bitte-wir-brauchen-Hilfe-Knopf, der an der Maschine angebracht ist. Prompt flötet Beethoven durch die Station und eine Dame kommt, lässt uns durch die Schranke, nimmt uns unsere Fahrscheine ab und wirft sie in einen Automaten. Wir rechnen damit, dass wir was nachzahlen müssen, vielleicht für die Kernzone oder wie auch immer das System funktioniert. Aber die Maschine wirft Geld aus und die Dame drückt uns die paar Münzen in die Hand und gebietet uns, uns auf den Weg zu machen. Wir scheitern daran, die angewohnte japanische Höflichkeit in koreanische Worte zu fassen – da hab ich eher noch Lesen gelernt als mit auch nur die zentralsten Begriffe auf Koreanisch zu merken – und verlassen die Station. Immerhin sind wir durch die ersten Stresssituationen und ich merke, wie ich insgesamt auch schon ein bisschen lockerer geworden bin, nachdem ich mir ein bisschen eine angespannte Schulterpartie in den ersten Stunden geholt habe, in denen nicht alles so gelaufen ist, wie ich mir das vielleicht vorgestellt habe. Und normalerweise – also: normalerweise – merk ich das nicht so, aber wenn man regelmäßig mit jemandem plaudert, dann wird das schneller augenscheinlich, dass ich da ein bisschen verzwickt bin.

Wir gehen dann auf einen Sprung ins Café, wo wir am Automaten Matcha Latte und einen Riesenbecher Kaffee bestellen, damit wir dort ein Internet ausborgen können, mit dem wir die zweihundert Meter zu unserem Hotel finden. Einen Gehirnfrost und einen halben Becher Kaffee später machen wir uns wieder auf den Weg. Erste Auffälligkeit: jedes zweite Geschäft, an dem wir vorbeigehen, scheint ein Kaffeehaus mit eigener Rösterei und blitzenden Glasfronten zu sein. Ich freu mich da zugegebenermaßen ein bisschen, weil ich doch jetzt hinter dem Kaffee her bin. In diesem Zusammenhang vielleicht ein kleiner Exkurs zu einem Geschäft, in dem wir in Tokio Kaffee getrunken haben. Das war nämlich schon sehr dritte Welle. Also die Bedienung hat uns eine Zeitung vorbeigebracht. Das sei das aktuelle Monatsmenü. A-ha. Und dann quasi auf A3 gab s… na ja, zwanzig, dreißig? Viele halt. Es gab viele Kaffees zur Auswahl und in Kategorien, die ich mir schon schwer getan habe zu unterscheiden, während ich das Papier vor mir hatte. Da waren irgendwie die Monatsangebote und dann die Preisgewinner und dann die Spezialitäten… alles ein bisschen austauschbar. Die Preise sind halt jeweils raufgegangen, je mehr Preise ein Kaffee gewonnen hatte. Und die waren halt alle mit ihrem Land und mit ihren BäuerInnen angeschrieben. Und mit ihren Geschmacksnoten, mit denen ich hier jetzt gar nicht anfange. Im Endeffekt war dann jeder zweite Kaffee ausverkauft, aber vielleicht war da ja auch schon ein bisschen Ende des Monats oder was weiß ich. Und dann, wie auch oft, konnten wir noch zwischen Zubereitungen wählen: Siphon oder… was anderes. French Press vielleicht. Wir sind alle auf Siphon gegangen, weil irgendwie gibt s das daheim nicht. Wenn das Klumpert aufgrund dessen, dass es aus Glas ist, blöd zum Transportieren wäre und aufgrund seiner Funktionsweise auf eine spezialisierte Hitzequelle angewiesen wäre, die man in der Supermarktversion mit einer Kerze oder ähnlichem ersetzen muss (was die Coolness, aber in erster Linie wahrscheinlich die Möglichkeit konstanter Hitze deutlich reduziert)… ach was! Selbst derart vielschichtig unpraktisch hab ich mir das Spielzeug wahrscheinlich hauptsächlich aus Konsumtrotz nicht gekauft. Vom Kaffee, nun, war schon gut, also, die haben wirklich aufregenden Kaffee gemacht dort. Nicht, dass das irgendwie die sechzehn Euro aufwiegen kann, die wir dafür… also, die wir dafür pro Tasse hingelegt haben, nicht dass die durch irgendwas aufzuwiegen wären. Es ist dann eher Erlebniskaffee. Wie der Herr am Nebentisch, der der Bedienung aufgeregt erzählt hat, dass er sich seit Jahren für das Kaffeegeschäft in den Sozialen Medien interessiert und er jetzt hier ist und so viel Kaffee wie möglich trinken möchte. Also: verschiedene. Und selbst die Barista, mit der ich mich zuletzt in Tokio unterhalten habe, hat Augen gemacht, als ich ihr gesagt hab, dass ich in diesem Geschäft war. Ist wohl berühmt. Schon eher in eine Nische hineinspezialisiert, die Damen und Herren.

In Seoul jedoch treffen wir in unserem Hostel auf eine etwas aufgedrehte junge Frau, die uns unser Zimmer zuweist und das Hostel erklärt und dann sitzen wir schon in der Hostelküche und kommen ein bisschen schwer wieder weg, weil wir von allen Seiten… von zwei Seiten. Also, wir sind über kurz oder lang zu sechst in der Hotelküche gesessen und da waren zwei MitarbeiterInnen und zwei Gäste und zwei neue Gäste. Das waren wir. Und alle anderen haben mehr oder weniger begeistert erzählt, was sie machen und wo sie wie oft wie günstig trinken gehen. Weil zuerst hat s angefangen mit was es in der Umgebung so gibt und was in Seoul so zu tun ist und dass man zur Grenze fahren kann und sich aus der Demilitarisierten Zone die Volksrepublik anschauen kann. Und es ist dann schnell in Hier-sind-die-Märkte-hier-sind-die-Bars ausgeufert und irgendwie sind wir da ein bisschen sprichwörtlich mit dem Rücken zur Wand gesessen. Bis natürlich sich alles plötzlich sehr schnell aufgelöst hat, ach, ihr wollt sicherlich einmal entspannen. Ja, das wär jetzt super, tschuldigung, schönen Tag, bis später, tschüssi, macht s gut. Ich glaub, wir haben dann keine von denen jemals wieder gesehen.

Am Abend machen wir uns auf die Suche nach einem Bibimbap. Das ist so der Inbegriff koreanischen Essens für, so scheint s, uns beide. Leider hab ich weder an dem Abend noch an den zwei anderen Versuchen, die ich der Bibimbapverkostung noch gegeben habe (zugegeben, einmal hab ich s nicht einmal bis zum Bibimbap geschafft und bin vorher schon in einem anderen Lokal gesessen), ein gutes Bibimbap gegessen. Ich mein, es war ok. Aber ich hatte in Neuseeland besseres, ich hatte in Australien besseres und ich hatte auch in Japan besseres. Aufregendes Essen war s dennoch irgendwo: Tintenfisch im Kimchi, eingelegte… Blätter. Auf der Beilagenseite alle Stückeln. Und nach dem Essen sind wir plötzlich auf einer neonerleuchteten Straße gestanden, auf der M mit der Idee spielt, für einen Virtual Reality Ausflug in eine Virtual Reality… Bar? zu gehen. Aber irgendwie fehlt uns dann doch die Willenskraft um die Hemmschwelle zu überwinden und wir aalen uns nur ein bisschen in der fremden Umgebung, die blinkt und leuchtet und trotz seiner Digitalität ein bisschen geheimnisvoll ist.

Des Nachts schaut Seoul also durchaus so aus, wie man sich das mit dem Cyberpunk vorstellt: Hochhäuser, Neonsigns und der Himmel die Farbe eines Fern­sehers, der auf einen toten Kanal geschaltet ist. Es fehlen halt die fliegenden Autos.

Frühstück nächsten Tag haben wir dann auch… ich weiß nicht. Ich mein, ich hab dann auch nicht mehr gefragt, aber M hat schnell daran das Interesse verloren. Das ist vielleicht einfach so was, wo ich mich dran gewöhnt hab zu sagen: Essen ist ja auch einfach eine Energie. Und wenn ich zwei Toastbrot mit der gleichen Anzahl an Spiegeleiern ess, dann ist das ein Anfang, der bringt mich durch den halben Tag. Aber das hab ich dann die folgenden Tage allein gemacht. Und es ist auch nicht jeden Tag dem Gespräch zwischen den jungen Männern zu folgen gewesen, die einander erzählen, wie toll sie wo überall wie viel Drogen genommen haben und wie sie dann wieder schlafen gegangen sind. Aber wir sind ja dann eh jeden Tag in eine der unzähligen Kaffeegaststätten gegangen, in denen es außer Kaffee noch leicht überdimensioniertes Süßgebäck der europäischen Stoßrichtung gegeben hat, was einem auch für den Vormittag reicht, aber mein Budget ein bisschen verwirbelt hat.

Halb so schlimm. Man braucht die Energie auch für Seoul. Und ich sag, wir sind viel U-Bahn gefahren, aber wir sind auch sehr viel gegangen. In der Tourismusinformation hat man mir später gesagt, dass eine Station jeweils etwa eine Viertelstunde zu gehen ist. Und das kommt wahrscheinlich hin, wenn nicht gerade der Fluss dazwischen ist oder jemand mit meinem Orientierungsäquivalent die Gruppenführung inne hat. Im Endeffekt heißt das aber, es grad ein bisschen zu weit ist, um wirklich zu Fuß zu gehen. Und wir sind halt doch zu Fuß gegangen. Sonst sieht man ja nichts. Vielfach gibt s auch gar nicht viel zu sehen. Wir sind halt von hier nach da, von einer der zweiundvierzig Universitäten zum Palast zum Palast zu TouristInnenvierteln, zu Einkaufsstraßen, zu dem netten kleinen Fluss, den sie auch hier mitten durch die Stadt fließen haben, zum Markt, den wir nicht finden, weil es ein Kleidungsmarkt ist, den wir nicht suchen.

Seoul ist ja schon sehr hübsch gelegen, weil innerhalb einer Bergkette, die von den GründerInnen als natürlicher Verteidigungswall genutzt wurde. Heute gibt s ein schönes Panorama ab.

Und dann stehen wir erschöpft an einer Ecke und wünschen uns besseres Internet und etwas zu Essen, als uns die Zeuginnen Jehovas ansprechen. Hallo, ja, nein, nicht besonders. Danke. Und dass wir gar nicht mehr da sein werden am Samstag. Aber ob sie uns vielleicht in die Richtung weisen können, wo wir was zu essen bekommen. In dem Moment bekommt M von einem missionierenden Buddhisten ein Armband ums Gelenk geschlungen und ich glaub das war so der Moment wo s dann wurscht gewesen ist und wir sitzen drei Minuten später vor einem Standl, aus dem wir koreanisches Mittagsessen bekommen. Ein Huhn, ein Reis und ein oder zwei von den Beilagen, die was die Abenteuerlichkeit betreffen so in der Mitte der Skala liegen. Nachdem wir ein bisschen mit der chinesischen Besitzerin ins holprige Gespräch gekommen sind, schenkt sie uns noch einen Teller koreanische Fischkuchen. Sagt man Fischkuchen? (Fun Fact: es gibt keinen deutschsprachigen Wikipediaartikel zu Fischkuchen.) Das ist so eines der Hauptnahrungsmittel, scheint s. Homogene Fischmasse, die in recht stabile Formen gebracht wird. Wenn sie wie Gnocci geformt sind, hat sie M schnell erkannt, aber es gibt sie auch am Spieß und da haben wir lange gerätselt. Es hat die Form eines Fischs schon lange hinter sich gelassen.

Was es in Seoul auf jeden Fall gibt, sind sowas wie Gemeindebauten. Wenn man den Kommunismus nebenan hat, dann schaut man wohl tatsächlich auch im glorreichen Kapitalismus ein bisschen drauf, dass einem die eigenen Leute nicht auf der Straße schlafen, dass sie nicht vielleicht doch mit der Revolution sympathisieren. Links ist ein Modell aus dem Seoul-Museum mit dem man sich ein bisschen vor Augen führen kann, wie s da drin ausschaut. Ich war total begeistert davon, mit wie viel Witz und Liebe im ganzen Museum immer wieder Modelle zur Verbildlichung beigetragen haben.

Als kleinen Verdauungsspaziergang wandern wir auf den Namsan, den Berg auf dem der große Funkturm steht. Das ist natürlich kein kleiner Verdauungsspaziergang sondern wir erreichen den Gipfel gerade so zu Sonnenuntergang, gerade rechtzeitig, dass wir mit hunderten anderen die untergehende Sonne fotografieren können. Ich stolper schnell auf eine Metaebene, auch weil ohne ein optisches Teleobjektiv eine untergehende Sonne ebensoschwer zu fotografieren ist, wie andere Himmelskörper. Man kriegt einfach einen kleinen Punkt auf sein Foto und das war s dann. Deshalb wundere ich ich dann schnell einmal über die ungebremste Freude, mit der die Leute ihre Kameras gegen Westen halten. Der Ort ist allerdings auch romantisch aufgeladen, an den Gittern sind tausende Schlösser angebracht, mit denen sich hier die eine oder andere Liebeserklärung manifestiert hat. Und natürlich: Sonnenuntergang und Liebeserklärungen – das geht Hand in Hand. Ich will s jetzt niemandem vermiesen, aber ich bin maximal ein bisschen nachdenklich geworden über den Enthusiasmus, der sowohl beim Liebeserklären als auch beim Sonnenfotografieren vielleicht oft einmal ein bisschen mehr eine Geste ist, als ein Inhalt. Insbesondere, weil der Ort so durchorganisiert ist für ein spezifisches Erlebnis: Hier sei verliebt, hier schau gemeinsam der Sonne beim Untergehen zu. Da bin ich schon ein bisserl ins Grübeln gekommen. Dabei hat Korea eine äußerst liebenswerte und öffentliche Partnerschaftskultur, in der Pärchen in ihren Zwanzigern gern öffentlich als das darstellen. Dadurch hab ich schnell den Eindruck bekommen, selten so viele Paare und ihre Interaktion gesehen zu haben. Zugegeben, wir waren da ein bisschen vorgeprägt durch Ds Erfahrungen, die uns mit dem Geheimnis des Couple-Couple vertraut gemacht hat, wobei sich die PartnerInnen gleich anziehen. Und ehrlich gesagt hab ich das wider meine Erwartung dann in der Praxis eigentlich gar nicht als unerträglich erlebt. Was findet man nicht alles interessant, wenn s nicht daheim passiert…

Hier sorgt ein Schild für Emotion

Nebenan ist in der Zwischenzeit eine Konzertbühne aufgebaut worden und eine Fangemeinde hat sich davor eingefunden. Wir stehen kurz davor, unser erstes K-Popkonzert mitzubekommen und wir haben uns gar nicht darauf vorbereitet! Oder auch nur damit gerechnet. Aber wir sind letztlich beide nicht in der Stimmung nach einem anderen als einem ironischen Zugang zu einer derartigen Veranstaltung zu suchen. M ist der Band (oder eine Band) schon an der Restaurantkassa begegnet und war nicht vom Hocker, während ich den AufheizerInnen dabei zugeschaut hab, wie sie das Publikum auf den bevorstehenden Auftritt vorbereitet haben. Dabei war aus meiner Perspektive halt auch zu sehen, wie die Band außerhalb des Publikumsbereichs herumgeht, während dort alle Augen auf die Bühne gerichtet sind… Es hat einfach ebenfalls ein bisschen wirr gewirkt. Und wir haben uns dann schnell einmal an den eh beleuchteten Abstieg gemacht. Weil es ist ja nicht so wirklich ein Berg, wenn der mitten in der Stadt steht.

Auch am nächsten Tag laufen wir noch ein bisschen zufällig. Weil eigentlich wollten wir in die Demilitarisierte Zone fahren. Aber die hat zu, sagen sie uns in der Früh am Bahnschalter. Also, zumindest, dass der Zug nicht fährt. Wegen „Schweinegrippe“. Wir sind uns insgeheim einig, dass das ein Euphemismus für die transpazifische Freundschaft sein muss. Aber ja, was soll s. Nachdem wir ein bisschen unsere Möglichkeiten durchgegangen sind, satteln wir spontan um auf einen weiteren Seoulrundgang. Und es ist ja nicht so, als ob s da nicht noch etwas für uns zu sehen gäbe. Da gibt s einen Stadtteil, in dem viele Häuser noch nach traditioneller Bauweise gebaut sind, da gibt s eine Überfahrung, die nie eröffnet worden ist und jetzt eine FußgängerInnenzone ist. Insgesamt ist Seoul irgendwie unorganisierter als die japanischen Großstädte, kommt mir vor. Es gibt auch das mit den kleinen, vertrauten Gassen, kaum dass man einige hundert Meter von den zentralen Verkehrswegen weg ist, nicht. Oder zumindest hab ich das nicht so erlebt. Es ist alles ein bisschen wilder, ein wenig offener und vielfältigter. Wir scheitern wieder daran, einen Markt zu finden, an dem wir ein Mittagessen bekommen. Oder vielleicht entspricht es nur nicht unseren Erwartungen. Als ich zwei Tage später allein in einen Streetfoodabschnitt eines Marktes stolper – nachdem ich zwanzig Minuten durch Kleider- und Stoffstände gewandert bin – bin ich auch wirklich überfordert mit dem Angebot. Es ist weniger einfach zugänglich, es gibt keine Speisekarten, keine Bilder, es gibt nur was da ist und das ist für das ausländische Auge oft nicht einfach zu identifizieren. Siehe Fischkuchen.

Abends machen wir einen Ausflug nach südlich (nam) des Flusses (gang). Gar nicht so sehr auf der Suche nach Psys Garage sondern auf dem Weg nach Lotte World, in einen Vergnügungspark. Der kürzeste Weg zur Enttäuschung. Ich mein, bravo für den Aufwand, ein generisches Disneyland zu basteln und zwar immerhin mit derartigem Erfolg, dass sich um die Figuren möglicherweise eine eigenständige Fanbase entwickelt hat. Zumindest gibt s tonnenweise Merch zu kaufen. Allerdings in einem Gang in dem jemand Knoblauchbrot verkauft, bei dem frisches Brot in einen Bottich voll Knoblauchmus getunkt wird und das ungelogen einfach den ganzen Gang vollstinkt. Das Geschäft bewirbt sein Produkt mit eine Reihe von Gesundheitsvorzügen, aber ich versteh nicht, wie das erlaubt sein kann, daneben versucht jemand Pfannkuchen zu verkaufen um Himmels Willen!

Irgendwo zwischen unheimlich und eh ok. Bisschen wie wenn in einer unspektakulären Sliders Folge in einem Paralleluniversum gelandet wären, in dem Disney statt einer Maus ein Eichhörnchen gezeichnet hätte. “Make a Miracle” indeed.

Aber ja, das wollte ich sagen: das scheint schon ein bisschen ein Ding zu sein, dass Korea seine eigenen Dinge entwickelt, aber insgesamt halt total westlich orientiert ist. Und ich mein, wie sollen sie auch nicht. In Wahrheit gibt s ja nur zwei Nachbarn, drei, wenn man sagt, dass die Volksrepublik ein Nachbar ist. Aber sonst ist da ja nur die andere Volksrepublik. Und das sind irgendwie nicht die FreundInnen, weil immerhin unterstützen die ja die… wie auch immer man das nennen mag. Die unrechtmäßige Trennung Koreas. Und dann bleibt nur Japan, als befreundetes Ausland. Aber dass Korea eine angespannte Beziehung zu Japan hat, von dem die KoreanerInnen in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts besetzt und systematisch ausgebeutet, unterdrückt, verschleppt und ermordet wurden, das kann man auch verstehen. Und das ist insgesamt interessant, das hier tatsächlich auch Geschichte passiert ist, während bei uns Geschichte passiert ist. Ich mein, das sag ich natürlich jetzt ironisch, für den Fall… aber irgendwie ist es halt schon etwas, mit dem man sich normalerweise nicht konfrontiert sieht. Grad Korea. Was weiß man davon schon.

Naja. Im Museum lern ich tags darauf, dass sich Korea grad erst im späten neunzehnten Jahrhundert ein bisschen neu erfindet. Es beginnt eine neue Dynastie, Seoul wird renoviert, die Paläste erneuert und das Land ein bisschen modernisiert. Aber kaum, dass das in Fahrt kommt und sich Korea eine Form gibt, mit der sie international auftreten können, zwischen Nationalstaat und Kaiserreich, marschiert Japan ein und annektiert Korea schließlich 1910. Und nach dem Krieg befreit und doch gleich wieder selbst wieder Kriegsschauplatz. Und während das befreite Volk im Norden kein Glück unter seinen BefreierInnen hat, so kriegt auch der Süden eine korporative Militärdiktatur ab. Auf der deutschsprachigen Wikipedia kann man dazu diesen furchtbaren Satz lesen: „Obwohl es in dieser Zeit zu schweren Menschenrechtsverletzungen kam, gelang es unter der Militärdiktatur, der Wirtschaft zu einem starken Aufstieg zu verhelfen.“ Wenn das nicht einmal ein klassisches Ende-gut-alles-gut ist.

Im Übrigen vergisst man natürlich nur so halb, dass Korea theoretisch im Krieg ist und dass es keine fünfzig Kilometer bis zur Grenze sind. Alle U-Bahnstationen dienen nebenher als Bunker, in denen auch Gasmasken und allerlei andere Ausrüstung für den Ernstfall bereitstehen.

Ich weiß nicht einmal genau, woher ich diesen Eindruck hab, vielleicht ist es nur schiere Willenskraft von meiner Seite oder das Resultat einer falschen Vorsicht, wenn ich mit KoreanerInnen über Korea geredet hab, dass ich glaub, dass für Korea Korea immer noch Korea ist. Dass das Land in Nord und Süd geteilt ist, ist für die meisten Menschen in der Welt eine Tatsache und vielleicht eine scheinbar unumstößliche Tatsache. Aber für KoreanerInnen war die Idee eines vereinten, unabhängigen Koreas schon vierzig Jahre vor der Trennung eine zentrale Ideologie im Widerstand gegen die japanische Besetzung. Und die Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen dürften nach wie vor stark sein, auch wenn sie über den 38. Breitengrad hinweggehen, an dem Korea geteilt ist. Ich glaube in Korea ist der Nationalismus immer noch ein Mittel zur Eigenständigkeit und zur Selbstbestimmung. Das ist ja überraschend für mich und gar nicht so einfach zu akzeptieren, die emanzipatorischen Aspekte von Nationalismus zu sehen. Auf jeden Fall vermute ich jetzt, es gäbe gar keinen besonders ausgeprägten südkoreanischen Nationalismus, es gibt nur Korea und das ist geteilt.

Hier ist zum Beispiel ein Relief, auf dem Koreanerinnen im Widerstand gegen die japanischen Besatzungssoldaten diesen nur mit Fahnen bewaffnet entgegentreten. Viel plakativer kann man den friedlichen Nationalismus als Mittel zur Unabhängigkeit kaum darstellen. Kann natürlich auch sein, dass sich das auf ein konkretes Ereignis bezieht…

Nachdem wir nochmal auf der Suche nach einem Abendessen, ohne so recht zu finden, was wir suchen, ein bisschen verloren gehen, auch wenn wir bald einmal beide nasse Füße haben. Es hat den ganzen Tag geregnet und wir haben zwar an verschiedenen Stellen der jeweiligen Interessenslage entsprechend Museen besucht ist, aber bei der Suche nach Streetfood patschen wir letztlich doch nochmal durch die Lacken. Es ergibt sich, dass wir einen Teil unserer Suche zwei KoreanerInnen hinterhergehen, die möglicherweise gemeinsam arbeiten…? So haben sie zirka auf mich gewirkt. Was mir aber sehr gut gefallen hat, war jedoch wie witzig es die beiden gehabt haben, wie viel sie beide gelacht haben. Da hab ich mir gedacht, ob das nicht ebenfalls etwas ist, was ich in Korea mehr gesehen habe als anderswo: dass Leute miteinander in der Öffentlichkeit lachen. So, dass man annehmen kann, dass sie was lustiges gesagt haben. Aber das ist natürlich sehr schwer nachzuvollziehen, wie sehr das ein verzerrter Eindruck ist oder etwas, was mir nach dieser Beobachtung einfach noch mehr aufgefallen ist. Aber es ist nicht so, dass sie so fröhlich wären. Oder so gut gelaunt. Es wäre wirklich, dass sie einfach viel lachen, weil sie s miteinander lustig haben.

Und jetzt ist das natürlich es schon wieder Zeit für eine Verabschiedung denn M macht sich in Richtung Flughafen auf, um noch ein paar Tage Tokio zu erleben. Und dann schon wieder nachhause. Vielleicht merke ich erst in dem Moment, unter welchen unterschiedlichen Voraussetzungen wir diese zwei Wochen miteinander herumgefahren sind. Und ich wieder das einzige Publikum meiner ungefilterten Alltagsbeobachtungen. (Nicht, dass das Publikum, dass sich über sie amüsiert hat, jemals eindeutig größer als eins gewesen ist…)

Und am Abend verirre ich mich noch einmal in jene Gegend, in der wir am Beginn unserer Seoulerkundungen von den blinkenden Lichtern so beeindruckt waren. Und ob das nur an jenem Abend war, aber auf jeden Fall ist an jeder Ecke eine Band gestanden, die dort Musik gemacht haben. Zuerst hab ich ein paar K-Pop Bands zugehört und den SängerInnen bei ihren extrem anstrengend aussehenden Tanzroutinen zugeschaut. Da war auch oft ein bisschen Interaktion mit dem Publikum, kam mir vor, dass die vielleicht ebenfalls eingeladen waren, da mitzumachen…? Ich weiß es nicht. D hat uns erzählt gehabt, dass da auch bereits bekannte Bands auftreten und so einerseits ihre Fanbase erweitern, aber es scheint auch einfach irgendwie dazuzugehören. Und bei einigen Bands standen dann auch EuropäerInnen für ein gemeinsames Foto an und natürlich weiß ich s nicht, aber das hat vielleicht schon so gewirkt, als ob die die schon vorher gekannt hätten. Ich weiß ja wirklich nicht, wie das ist, mit der modernen Musik.

Hier ist die Chinesin aus dem nächsten Absatz mit einer Nummer. Die Musik kommt wie bei allen aus dem Telefon.

An der nächsten Ecke hat ein junger Koreaner ein Gitarrensolo in die Länge gezogen, aber ich bin dann eher in die ruhigere Ecke und hab dann länger einer Chinesin zugehört, die ihr Publikum regelmäßig gebeten hat, doch näher zu kommen, weil sie sonst die Straße versperren und die Autos nicht durch können, respektive es für die ZuhörerInnen gefährlich ist, weil die Autos hinten an ihnen vorbeifahren. Das war aber nett, auch weil sie dann angefangen hat, chinesische Popmusik zu singen und ein zwanzigköpfiges Publikum mitgesungen hat. Das war irgendwie schon was schönes. Und hat mich auch daran erinnert, dass Korea halt doch so ein verhältnismäßig freies Land ist, für die Gegend dort. M und ich waren beide ein bisschen überrascht als ich gelesen habe, dass Korea das Land mit der best etablierten Pressefreiheit in Asien ist. Aber ja, auch wenig überraschend eigentlich, wenn man sich überlegt, welche Länder denn noch so in Asien liegen. Und irgendwie wirkt das unzeitgemäß, dass es da auch um persönliche Freiheiten. Vielleicht einfach um die Freiheit, Lieder zu singen, die man daheim vielleicht nicht singen darf. (Nicht dass ich dafür Evidenz hätte, das war allerdings so ein Gedanke, den ich bei der einen oder anderen Nummer hatte.) Aber immerhin wurden parallel zu meinem Ostasienaufenthalt in Hong Kong Proteste niedergeschlagen und das spielt natürlich schon mit hinein, wenn man versucht, sich ein Bild von der Gegend zu machen.

Hier hab ich mir übrigens ein Bild von der Gegend gemacht…

An meinem letzten Tag treffe ich noch Sunny. Die arbeitet im Hostel und sagt mir in der Früh, wo ich meinen Rucksack lassen kann. Und weil sie aber überraschend gar nicht überdreht ist und insgesamt sympathisch unterhalten wir uns ein bisschen und sie gibt mir noch ein paar Empfehlungen: ein nettes Viertel für Straßenspaziergänge und einen Kaffee, eine aufgeregte Ecke für ein Mittagessen und ein Freizeitareal auf der anderen Seite des Flusses. Auf ausgedehnten Spaziergängen erkundige ich die Hostelumgebung noch ein bisschen gen Westen, wo wir bis dato gar nicht hingekommen sind und bin schnell überrascht, was für eine sympathische Nachbarschaft ich dort entdecke. Die Straßen weitgehend leer und wenig Verkehr, aber auch wenig von den Neonschildern und der ganzen Feierlaune, der wir in der anderen Richtung schnell einmal begegnet sind. Ich komme noch einmal an dem kleinen Fluss vorbei, zu dem man in der Innenstadt einige Stufen hinuntersteigt und damit die laute Stadt ebenfalls schnell hinter sich gelassen hat, zugunsten von Reihern, Enten und anderen SpaziergängerInnen. Ich schau alten Männern im Park beim Schachspielen zu, nur dass es nicht Schach ist, sondern Changgi. Aber das Bild ist ja das gleiche. Und dann wandere ich noch am Südufer des Flusses entlang, wo eine Art Donauinselfeeling herrscht. Sprich: betonierte Ufer und Grünflächen. Auf den Grünflächen sitzen sie zu dutzenden, oft in mitgebrachten Zelten (diesen, die sich von selbst aufklappen) und reden, spielen, essen, trinken.

So viel Panorama, dass es sich auf einem einzelnen Panoramafoto gar nicht ausgeht!

So steig ich nach meinen letzten Stadtrundgang nochmal hoch in die Küche um mich zu verabschieden und wir haben noch eine nette Unterhaltung über meine Koreaeindrücke. Als ich dann die Stufen hinuntersteige ruft sie mir noch hinterher: “Have fun in the Philippines. Though not as much fun as in Korea!” Und ich denk mir, dass die schon witzig sind, die KoreanerInnen und wahrscheinlich ist das einfach der Grund, warum ich sie so viel lachen seh.

Bergschuhverwendung

Oft einmal packe ich meinen Rucksack und denke mir, die Bergschuhe… Nicht, dass man mich nicht gewarnt hätte. Ich hab die Stimme noch gut im Ohr, die mir geraten hat, vielleicht lieber keine Bergschuhe und wenn ich sie wirklich brauch schicken und sogar wieder zurückschicken. Die meiste Zeit rechtfertigen sie ihre Präsenz damit, dass ich in ihnen kleine bis mittelgroße Gegenstände auf- und vor Quetschungen durch die Verarbeitung im internationalen Flugverkehr -bewahre. Und natürlich sind sie eine gute Fokussierungsunterstützung, wenn ich meinen Gegenstandsfetisch reflektiere: Wie ich oft einmal versucht bin, meine Erfahrungen in Dinge zu projizieren anstatt – was weiß ich – die Erinnerung in mir selbst zu halten. Als ob der Schuh eigentlich das Abenteuer erleben würde, während ich mich selbst nur mitschleppe. Bisschen weniger davon und ich würde mein Leben und meinen Rucksack vielleicht weniger mit Zeug vollstopfen, zwischen dem ich kaum Platz hab.

Außerdem erinnern sie mich daran, dass ich gerade im Konsum öfter einmal einen Mittelweg gehen möge. Also: die zurückhaltendere, die weniger extreme Option zu wählen. Ich hab mich seinerzeit für jenes Modell entschieden, nicht zuletzt weil ich sie pompöser, erdiger, uriger und so für einen Bergschuh wohl archetypischer – quasi: hübscher – empfunden habe. Und in der Wirklichkeit hätte ein Modell „drunter“ für meine Ansprüche in der Regel gereicht, wäre etwas leichter, vielleicht auch in weniger extremen Situationen tragbar und insgesamt etwas flexibler einsetzbar. (Ähnliches gilt für meinen Rucksack, wo ich mich zwar eh bereits für eine Nummer kleiner entschieden hab, aber zurückblickend wäre noch eine Nummer kleiner besser gewesen.)

Alles in allem leisten sie zumindest ihr Gewicht, weil ich bin ja auch zum Nachdenken hier.

Nach den ersten paar Tagen in Tokio, bin ich also einmal raus auf s Land gefahren: Fujiyoshida. Das ist nett, ein bisschen wieder in der Kleinstadt, da sehe ich mal ein bisschen, wie das so ist. Mit den kleinen Häusern und den größeren Vorgärten und den Straßen mit Gegenverkehr.

„Die graphische Umsetzung macht die Schachtabdeckungen als archaische Gestaltungen inmitten hochtechnisierter Urbanisationen sichtbar. In diesem Sinne bedeuten diese Ferrogramme von Christoph Feichtinger ein Kulturzeugnis, das Stammesmustern unserer modernen Zivilisation entspricht.“ [X]

Nachdem ich mit der Hostelangestellten ein bisschen über die Möglichkeiten einer Fujibesteigung gelpaudert hab, schaut s so aus, als würde ich die Be- und Absteigung in einem Aufwischen erledigen. Von meiner Reiseführerinformation her, dauert der Aufstieg um die sechs Stunden, der Abstieg drei und es gibt Unmengen von Übernachtungsmöglichkeiten auf der Route. Also geht man hoch, bleibt über Nacht und sieht noch den Sonnenaufgang vom Fuji aus bevor man sich talwärts aufmacht. Oder eher noch gipfelwärt s eigentlich, weil die Übernachtungen sind ja auf der Route hinauf.

Aber ja, das sind alles Details, die ich kaum wusste. Gelernt hab ich schnell, dass ich zwei konsekutive Nächte gebucht hatte und das Hostel am Freitag dann sowieso ausgebucht sei. Und überhaupt: Wetterberichtsmäßig ist da zwar eine Gewittermöglichkeit für Donnerstag, aber für Freitag schaut s nicht besser aus mit Regen. Und sie ginge auch am Donnerstag, allein deshalb schien sie schon anzunehmen, dass das Wetter am Donnerstag besser sei. Also gut, denk ich mir nach ein bisschen Hätte-ich-echt-auch-mal-im-Vorfeld-besser-auschecken-können, geh ich halt morgen in der Früh, warum nicht. Und komm am gleichen Tag wieder runter, warum nicht. Neun Stunden Berg ist jetzt nicht so das Ding, ich muss nur schauen, dass ich nicht im Dunklen herumstolper. Aber der erste Bus geht um zwanzig nach sechs, das ist kein Aufwand, das gibt mir Zeit.

Weil es ist nämlich so. Der Fujiyama ist in mehrere Stationen unterteilt. Und an den meisten Stationen findet sich eine Übernachtungsmöglichkeit, aber vor allem geht man erst bei Station Nummer Fünf los. Es gibt insgesamt neun oder wahrscheinlich ist der Gipfel dann zehn. Aber der Bus schupft einen auf fünf und dann geht man dort los. Und ja, die Saison endet in der zweiten Septemberwoche, danach werden die Hütten eingestellt und die Sicherheitsvorkehrungen kehren sich ab und überhaupt geht der Fuji in Winterpause. Man kann schon rauf, aber es wird einem halt abgeraten.

Damit ich fit für den Aufstieg bin, der sich wie übereilt beschlossen anfühlt, geh ich eine Runde spazieren und lande in einem Soba Lokal. Und wenn man in den Neunzigern Leute mit der Idee rohen Fischs auf kaltem Reis mit Algen vielleicht verwirrt hat, so klingt die Idee kalter Buchweizennudeln jetzt auf den ersten auch nicht nach einem super Konzept. Aber natürlich ein bisschen hier, ein bisschen da und dreihundert Jahre Tradition, da ist schon was dahinter. Das witzige an dem Lokal war auch, dass es von außen fast schick ausgeschaut hat und ich einmal vorbeigelaufen bin, weil ich mir gedacht hab, nah, das ist zu schick jetzt. Und dann bin ich rein und der Eindruck von innen war gleich ganz ein anderer. Weil es wesentlich privater gewirkt hat, als erwartet. Vielleicht weil der Fernseher in der Ecke gelaufen ist, vielleicht weil neben den fünf „europäischen“ Tischen auch eine Plattform mit traditionellen Tischen gestanden ist, die den Raum ein bisschen gebrochen hat, vielleicht wegen der vertrauten Art, mit der die Gastgeberin (1) mit den drei anwesenden Gästen umgegangen ist. Letztlich war s wahrscheinlich einfach der Stapel Papier, der neben der Theke auf einem kleinen Kasterl gestanden ist, der dem ganzen so sehr eine Arbeitszimmeraura verliehen hat.

Teil meines Jausenpakets: ein Onigiri, Wasabi-Nori Geschmack. Wie vieles hier aufwendig verpackt, aber ich freue mich zumindest, dass ich mit dem Einkauf eine cool choice getroffen hab

Jedenfalls bin ich am nächsten Morgen um fünf aufgestanden. Das ist weniger ein Problem, das ist immer weniger ein Problem. Einerseits bin ich wahrscheinlich einfach ausgeschlafener, aber ich traue mich zu sagen, es funktioniert das mit der Motivation auch besser. Mit der Verantwortungsübernahme. Vielleicht auch der Rhythmus insgesamt, ich glaub, um neun war ich am Vorabend schon abgemeldet. Zum Frühstück gibt s eine doppelte Portion aus meiner Riesenkiste Instantporridge und eine schnelle Tasse Tee. Außerdem füll ich mir Tee in die Thermosflasche, weil… ja, ist ja kalt da oben. Im nächsten Moment hab ich mir gedacht, das ist ein Blödsinn, weil in der Thermoskanne bleibt das ja heiß und das braucht wahrscheinlich meine neun Stunden, bis das so weit ausgekühlt ist, dass ich s trinken kann. Zum Glück finde ich ein paar Pappbecher, von denen ich schnell mal zwei in den Rucksack werfe. Und dann frag ich mich den halben Aufstieg lang immer wieder, ob man einen Berg so schnell hochklettern kann, dass das Wasser in der Thermoskanne zwar auskühlt, aber wegen dem Druckabfall am Gipfel tatsächlich wieder kocht. Ich denk viel mehr über Druck nach, seit ich meinen Open Water Tauchschein gemacht hab.

Der Bus ist gut und der Vorteil an Fujiyoshida im Gegensatz zum etwas größeren und etwas touristischeren Nachbarort, dass wir die erste Station sind und gut Sitzplätze bekommen. Weil als wir in Kawaguchiko ankommen, steht da eine lange Schlange an der Busstation von der tatsächlich zehn, fünfzehn Leute keinen Platz mehr im Bus bekommen. Ja, was ist denn mit denen, frage ich mich, während ich aus meinem Fenster auf sie herunterblicke und in ihren Gesichtern die selbe Frage, etwas dringlicher, geschrieben steht. Witzig ist aber auch, dass wir Fujiyoshidas erst einmal aussteigen müssen, ein Ticket kaufen und dann wieder einsteigen. Und als wir dann alle Sitze in unserem Bus besetzt haben, werden entlang der Gangreihe jeweils noch ein Sitzplatz ausgeklappt und dann gehen sich nochmal zwanzig Leute aus. Aber nicht die, die noch draußen stehen. In einer liebevollen Aufopferung deutet eine Frau, die noch in den Bus dürfen hätte auf ihren Partner, sodass auch ich hinter meinem Fenster verstehe, sie geht nicht ohne ihn. Ich glaub, sie wollte ihn mithaben. Tatsächlich ist sie halt dann dageblieben.

fünfte Station: Die transnationale ästhetische Gleichgültigkeit von Mittelstationsarchitektur

Bis zur fünften Station ist es eine Stunde Fahrt in unserem bis auf den letzten Platz und dann noch ein paar mehr gefüllten Bus. Und dann ein bisschen ein Schock, na sagen wir eine Überraschung, weil die fünfte Station wie ein ganzes alpines Feriendorf daherkommt. Oder zumindest Alpines-Feriendorf-Hauptplatz. Und gleich einmal wieder die Verführungen des Konsumismus und ich ja auch tatsächlich als erstes gleich in den Shop abgebogen. Weil aber nicht von ungefähr: Weil in Kawaguchiko stand ein junger Mann in der Schlange, der hatte einen schicken Wanderstab. Und weil wir quasi im Skandinavien Ostasiens sind, handelt es sich um einen schlichten, geraden, hellholzigen und etwas zu langen Stock. Da hab ich mir schon gedacht, oha, das gefällt. Ich steh ja sowieso auf Wandern am Stock. Und natürlich bieten die Shops am AFH-Platz mir solche Stecken hunderfach an. Mit Fahnen und mit Glocken. Aber ich widerstehe und schüttel den Instinkt zu kaufen ab. Ich find mir schon einen praktikablen Stab am Weg, denk ich mir, übersehend, dass wir halb einen aktiven Vulkan (letzter Ausbruch: 1707) hoch sind und ich nach der ersten Stunde nur noch durch Schutt und Geröll stapfen werde.

Dann zahle ich noch die obligatorische Spende von tausend Yen für die Erhaltung des Gebiets und zack-zack, jetzt muss ich langsam in die Gänge kommen. Noch dazu wo ich die vier deutschen Burschen vermeiden möchte, die bereits seit Fujiyoshida mit mir Schritt halten. Da hätte ich gerne nach vorne oder nach hinten ein bisschen einen Abstand. Bloß so! Ich hab nichts gegen deutsche Burschen, aber für s allein gehen ist es angenehmer, die nicht in Hörweite zu haben. Oder so.

Es gibt insgesamt vier Routen auf den Fuji rauf, für mich, von meiner Seite wären zwei in Frage gekommen und ich hab das kurz überlegt, aber nachdem der Bus zur fünften Station vom Yoshidaweg führt hab ich mich der Einfachheit halber für den, den populärsten entschieden. Und ja, man kann nicht verloren gehen. Zu Beginn steh ich einmal kurz mit Zweifeln vor einem Schild, das die Climbing Route ausweist und ich nicht sicher bin, ob ich zum Klettern hergekommen bin. Aber nachdem mir Leute mit Kindern von dort entgegenkommen, denke ich mir, so schlimm kann s nicht sein. (Die Wahrheit, die mir in der Situation verdeckt bleibt, ist natürlich, dass das der Aufstiegsweg ist und wenn jemand den Aufstiegsweg runterkommt, dann haben sie umgedreht, weil s zu schlimm geworden ist.) Also rauf.

Ich mein, das ist literally da, wo die Route anfängt. Nicht nur bereits oberhalb aller umliegender Gipfel, auch über der Hälfte der Wolken

Die Aussicht ist schon beeindruckend. Nachdem wir ja schon ein gutes Stück auf den Berg hinauf sind, stehen wir bereits höher als die umliegenden Berge. Die hohen Berge hat Japan alle in einem Eck, das die Japanischen Alpen heißt und wieso heißen die immer noch so, das gibt s doch nicht, dass das Gebirge nur diesen Kolonialnamen bekommen hat. Aber nachdem der Fujiyama ja ein Vulkan ist, steht er so allein zwischen gar nicht so hohen Bergen. Und nachdem wir auch schnell einmal aus dem Wald raus sind, ist die Aussicht mehr oder weniger alles, was man hat. Weil es ist keine schöne Wanderroute in dem Sinn. Es ist, wie gesagt, Schutt und Geröll und das ganze hat die eine oder andere Zivilingenieurin am Hang befestigt und man geht dann in einem engen Zick-Zack einfach den Berg hoch. Zwischendurch eben ab und zu eine Zwischenstation an der einem eine Bechersuppe, eine Flasche Wasser oder „Snickers“ verkauft werden – letzteres ist, wenn ich die Zeichen richtig interpretiert habe, Code für eine Handvoll Nussvariation. Außerdem gibt s an nahezu jeder Hütte auch für zwei-, dreihundert Yen einen Stempel zu kaufen. Hier beginne ich langsam die Wanderstabkultur zu verstehen und erkenne nahezu mit Dankbarkeit, was für eine gute Entscheidung es gewesen ist, ohne aufzubrechen. Auf jeder Hütte kann man sich einen Stempel – ich glaube, die werden tatsächlich in das helle Holz gebrannt – in den Stab drücken lassen. Natürlich kann man sagen: schönes Souvenir. Aber ich seh zuerst einmal, dass man hier weiterhin konsumiert. Und zwar im Halbstundentakt. Und schließlich ergeben auch die zwanzig Zentimeter langen Staberl, die man alternativ zum zwei Meter Wanderstab erstehen konnte, einen gewissen Sinn. Und natürlich könnte man auch nächtigen. Aber wenn es mir in der Planung seltsam vorgekommen ist, dass man nicht einmal in der Nähe des Gipfels übernachtet, dann steigert mein tatsächlicher Aufstieg nur dieses Unverständnis. Außerdem bin ich flott unterwegs, die Stunden verfliegen und ich fliege schneller als die Stunden, die auf den Schildern die Entfernungen angeben.

In der Situation selbst hat das viel extremer gewirkt, wie s da oben stürmt und mit welcher Geschwindigkeit der Wind da über den Fujiyama bläst. Aber schön, dass ein bisschen Himmel zu sehen ist.

Es ist schon dicht am Weg. Also, wir hängen nicht hintereinander, aber man ist nie allein. Nicht alle sind derartige Quatschköpfe, wie sich die – stellt sich heraus süddeutschen – Burschen dankbarerweise berechtigterweise herausstellen, die meisten gehen schweigsam, vor allem im Mittelfeld. Unten haben manche noch zu viel Energie und oben, oben werden viele sehr ausdrucksfreudig. Auf den letzten eineinhalb Kilometern verdichten sich die Schilder, wie weit es noch bis zum Gipfel sei, bis dass mir dann alle zweihundert Meter angegeben wird, dass es zweihundert Meter weniger sind. Das ist nicht schlecht, weil obwohl der Anstieg so linear verläuft, versteckt sich der Gipfel zumeist in einer Wolke und die Entfernung ist deshalb kaum einzuschätzen. Und es drückt jetzt schon ganz schön in den Wadeln. Ich hab von den sechs etwa eineinhalb Stunden abgezwickt, aber das hat mich schon auch gekostet. Das Ziel, stellt sich heraus, ist auch gar nicht so sehr der Gipfel sondern ein Schrein. Und so gehen wir durch ein so ein symbolisches Tor durch, in dessen Holz die Leute kleinwertige Münzen hineingedrückt haben, und durch ein zweites. Und dann sind auch die letzten zweihundert Meter geschafft und der Wind hat zugenommen und der Nebel ist auch etwas dichter und die Finger werden kalt. Und dann gehe ich nicht nach links, zum Schrein, zu den Bänken und den windfangenden Gebäuden, sondern nach rechts, weil s dort mehr nach Gipfel ausschaut. Egal ob s a berg oda-r-a madl is / aufi muass i, de’es is gwiss, singt Alfred Dorfer in meinem Kopf. Und ich weigere mich dagegen, dass es eine Bezwingermentalität ist, die die Gipfelgier in mir schürt, ich glaub, das ist nicht intrinsisch.

Stapf, stapf, durch s Tor durch. Und im Tal liegt der Tamanaka See

Und jetzt, am Gipfel, wenn man zweitausend Meter höher ist, als irgendwas anderes in der Umgebung. Da geht ein ziemlicher Wind. Und da kondensiert der halbe Himmel und es nebelt, dass es mit der Hälfte auch bald einmal genug gewesen wäre. Aber wen finde ich natürlich ebenfalls den orkanhaften Gipfelverhältnissen trotzend oberhalb des Schreins? Meine deutschen Plaudertaschen. Und so kauere ich hinter einem Felsen, zu dem ich in einer kurzen Windstille vorgeprescht bin, um einen Blick in den Krater zu werfen. Ich kann tatsächlich nicht aufstehen, weil mich der Wind mitnehmen würde und meine Finger sind bereits so durchfroren, dass ich Schwierigkeiten habe, die Clips an meinem Rucksack zu öffnen oder zu schließen. Nicht, dass ich mir einen Tee einschenken hätte wollen, bei den Verhältnissen, aber ich hab mich mit einem getrockneten Tintenfisch belohnt, den ich mir als Gipfeljause im Geschäft gekauft hab: Gewöhnungsbedarf vorhanden, aber natürlich motiviert die Situation zum Genuss.

Den asiatischen MitwandererInnen scheint die ganze Gipfelgeschichte relativ egal zu sein. Ich mein: relativ. Weil das Erreichen schon Begeisterung auslöst. Auf den letzten Metern berichterstatten immer mehr Leute ihrem Selfiesticktelefon den Höhepunkt, auf den sie sich stetig zuarbeiten. Das, denke ich mir, das ist wie diese Selfieunfälle passieren. Weil man fragt sich schon, warum doch viele Leute dabei zu Tode kommen, von sich selbst ein Foto aufzunehmen, auch wenn sie neben einer Schlucht stehen. Aber hier sehe ich, das sind wahrscheinlich eher diese Leute, die sich während der Strapaze selbst noch im Bild halten und ihrem Telefon erzählen, wie anstrengend oder super die aktuelle Situation ist. Und nachdem letzten Tor, das das Ziel des Aufstiegs symbolisiert (nicht der Gipfel), höre ich viele Ausrufe der Dankbarkeit. Aber vielleicht ist das auch das einzige, was ich verstehe. Ich mein, ich kann sagen, dass sie nicht Guten Tag gerufen haben oder Auf Wiedersehen. Oder von eins bis zehn gezählt haben. Weil das ist es mit meinem Japanisch. Aber interessant schon, denke ich mir, wie das mit der Dankbarkeit in verschiedenen kulturellen Kontexten ist. Natürlich, ich mach gleich wieder einen kulturellen Kontext daraus anstatt einem Menschen zugehört zu haben, der auf japanisch Dankbarkeit für die Wegbeendung ausgedrückt hat. Und dem stell ich die alte Frau gegenüber, die in Maria Alm gesessen ist und als man sie fragt, ob sie stolz auf ihren Sohn sei, weil der diesen oder jenen Erfolg vorzuweisen hat, hat sie gemeint, nein, nicht stolz, nie stolz. Dankbar sei sie. Weil Gott und so. Und dann denke ich mir, dass so viele Aspekte des Lebens in Europa von Institutionen vereinnahmt und beansprucht worden sind und diese Institutionen, wie man in den letzten hundert Jahren dann zunehmend kritisch feststellt, eine lange Geschichte gewissen Fehlverhaltens besitzen und wir uns vielleicht mal mehr, mal weniger davon zu distanzieren beginnen. Von einer lustfeindlichen Kirche, von einem rassistischen Imperialismus, von einem entmündigenden politischen Autoritarismus. Mehr oder weniger. Und dann leidet vielleicht auch einmal die Dankbarkeit, weil vor lauter den Patriarchen dankbar sein und den Patriarchen dankbar sein müssen vielleicht die Wertschätzung einer Situation oder eine Hilfeleistung ein bisschen aus der Übung gegangen ist. Ein schwieriges Verhältnis zur Dankbarkeit, aber zu Recht.

Nachdem ich vom Philosophieren im selbstverschuldeten Kraterrandexil zurück in den relativen Windschatten geschafft habe, hock ich noch ein bisschen in der einen oder anderen herum und versuche durch die altbewährte Methode des Teetassehaltens wieder Wärme in die Finger zu bekommen. Ich krieg nach wie vor mehr Kiesel in den Tee geblasen als Lebenskraft in die Fingerspitzen, aber es tut sich was, ich werde alle meine Finger behalten können. Und dann noch ein bisschen Tintenfisch.

Von links nach rechts: der Schotter (-) und die Aussicht (+)

Aber ja, was tut man dann, wenn man am Gipfel ist? Man belohnt sich mit dem, was man sich bis dahin vorenthalten hat und wenn es nicht so zugenebelt wäre, dann werfe man einen Blick in die Umwelt. Durch den Nebel gestarrt zeigt sich bloß, dass mich mein Kraterrandsbesuch sicher nur auf bis zu zwanzig Meter unterhalb der höchsten Kraterrandsstelle geführt hat, das sind so die Schwierigkeiten mit einem kreisrunden Gipfel. Es reicht jetzt allerdings, ich begnüge mich mit einem Blick in die Richtung des Fujihöhepunkts und folge den Abstiegspfeilen.

Es geht flott, dass man wieder aus dem Ärgsten heraus ist. Aber dann wird s halt nochmal wirklich öd. Weil hier wiederum mehr Schutt und Geröll, die Serpentinen sind großzügiger aber Einschätzung für die Wegdauer ist dafür etwas entsprechender und es sind halt drei Stunden bergab stapfen. Ich will nicht sagen, dass es erst hier ist, dass die Bergschuhe nun wirklich zu leuchten beginnen, aber natürlich sind stabile Fesseln schon etwas wunderbares, wenn man so vor sich hin stolpert. Auch die Knie machen keine Spompanadeln, da hat mir einmal das linke ein bisschen belastet gewirkt und dann kurz darauf das rechte und ich hatte vergessen, dass es vorher das linke gewesen ist und hab mir gedacht, das sei immer noch dasselbe Knie und dann hab ich mich erinnert und mir gedacht, das ist wohl nicht so schlimm für die Knie, wenn sie sich abwechseln und ich merk s nicht einmal. Und weil der Geist frei ist, begeistere ich mich jetzt noch ein bisschen für die Geologie, hebe mal hier mal da einen Stein auf und freue mich über Formen und Farben des Vulkangesteins. Weil das ist irgendwie schon was tolles, wenn man einem Stein ansieht, dass er vor nicht allzu langer Zeit noch flüssig gewesen ist.

Na und dann bin ich wieder auf der fünften Station. Von halb acht bis dreiviertel drei, sieben und eine dreiviertel Stunde. Und nachdem um kurz nach drei der Bus mich bereits wieder nach Fujiyoshida geschupft hat, war ich um fünf schon frisch geduscht, den Kies großteils aus dem Rucksack gebeutelt und sogar die Steine, die ich mir als Andenken vom Gipfel mitgenommen hab, in den Mistkübel entsorgt, so sehr hatte ich das Adrenalin bis dahin abgebaut. So vom Gehen her, war s schon recht gut, auch wenn es insgesamt ein bisschen mehr eine spirituelle Erfahrung ist, in der relativen vulkanischen Einöde in den Wind hinauf zu stapfen und dann auf dem Forststraßenäquivalent wieder runter. Vielleicht war s ein Pech, dass das Wetter oben so stürmisch gewesen ist, auf der anderen Seite war s ein Wahnsinnsglück, dass das Wetter überhaupt so gut war, weil Freitag hat s dann tatsächlich noch geregnet und das ist sicher kein Spaß.

Aber nicht alle Wolken sind schlecht. Hier ist eine hübsche Altocumulus lenticularis, die den ganzen Tag lang über unserem Aufstieg gehangen ist

Und weil s ein Vulkan ist, gibt s auch Thermalquellen in der Gegend. Und da bin ich am nächsten Tag noch hin und hab mir eine Runde Onsen gegeben. Das gehört irgendwie noch dazu, weil da sind zwar keine Bergschuhe mehr im Spiel gewesen, aber ich war schon ein wenig muskelverkatert am nächsten Tag und da ist so ein Warmbadetag gerade das richtige.

Auch hier gibt s einen Shuttlebus, der mich von der Station abholt. Ich bin allerdings ein bisschen schlecht organisiert für diesen Ausflug, stelle ich fest. Ich hab einen Bus zu erwischen, der mich nach Tokio zurückbringt und dadurch komm ich fast ein bisschen in einen Zeitdruck, weil der Shuttlebusrhythmus so ein Klumpert ist. Ich hab schon gesehen, dass der Onsen nur vierzig Minuten entfernt ist, also: zu Fuß. Was ich nicht gesehen hab, ist, dass es nur noch zwanzig von der Busstation sind und ich nicht zwanzig Minuten hätte warten und dann zwanzig Minuten in die entgegengesetzte Richtung chauffieren hätte lassen müssen, bis der Kreisverkehr mich zurück an den Onsen gebracht hat. Pfff! Ach ja, weil nachdem der Bus beim Onsen selbst gar nicht mehr gehalten hat, bin ich von der vorletzten Station dann eh nochmal zehn Minuten gegangen.

Onsenonsenonsenonsen.

Zwischen dem Onsen und Fujiyoshida liegt ein Vergnügungspark mit verrückten Hochschaubahnen. Für mich blöd, weil ich um den Park herumgehen musst, was mir zwanzig Minuten Wegzeit beschert hat. Zwanzig Minuten Wegzeit und eine halbe Minute Panikakustik. (Zu der man sich jegliche Bewegung auf der Hochschaubahn selbst vorstellen muss – es ist nur ein Foto.)

Jetzt interessant auch, dass ich schon bevor ich mir eine Eintrittskarte kauf, meine Schuhe in einer Kiste lassen muss, auf deren Schlüssel ein Chip ist, den ich beim Rausgehen lesen lassen muss und zahlen, damit ich wieder raus kann. Es handle sich alles um bargeldlosen Bereich. Was irgendwie logisch ist, weil wo soll man s denn aufbewahren. Nein, keine Taschen, keine Hosen. Ich krieg ein kleines Handtuch und das stellt sich als sehr vielseitig heraus. Sonst lasse ich alles im nächsten Spind, und während ich noch den japanischen Bademantel anziehe, den ich ebenfalls ausgeborgt bekommen hab, dreh ich nach einem Blick durch die automatische Schiebetür wieder um und zu meinem Spind zurück. Den brauch ich hier nicht.

Jetzt. Da ist schon viel Nacktheit in so einem Onsen. Wir sind natürlich nach Geschlechtern getrennt, das fängt schon vor dem Kassenbereich (obwohl dort ja keine Kassen sind, ist wohl mehr ein Informationsbereich) an, dass die Schuhkästchen für die Frauen und die Männer getrennt sind. Und dann im Bad ist nicht so schlecht, dass hier in Japan Frauen und Männer selbst auf Toiletten immer auch farbcodiert sind, also Frauen alles rosa (mit einer Tendenz zu rot, ich betrachte das als das in dieser Hinsicht progressive Japan), Männer alles blau. Und so bin ich zumindest da zielstrebig. Mit meinem ersten Schritt ins Bad bin ich mit so viel neuem konfrontiert, gleich mal Kardinalfehler. Nicht, dass ich ganz ohne mich zu waschen ins erste Becken gestiegen bin, aber ich hab mich mehr ein bisschen nur so aus einem großen Bottich überschüttet, mehr rituelle Waschung. Während direkt daneben Duschen mit Seifen und Shampoos gestanden sind. Und die sind ja nicht einmal uneinsichtig oder besonders stabil von einander getrennt. Da sitzt man ja wirklich nebeneinander. Und man ist zum Waschen da. Dafür sind nämlich dann auch die Bademäntel, weil dann macht man sich Umkleidekabinenbereich noch hübsch, nicht nur Frisieren (sind das drei Sorten Haargel?) sondern auch Rasieren.

Aber ja, die ersten Minuten verbringe ich damit, mich über meinen Faux Pas zu sorgen, während ich die verschiedenen Bäder erkunde. Von der Architektur fand ich s auch schnell einmal interessant, weil die Männer und Frauen zwar getrennt, aber unter dem gleichen Dach sind. Und die Trennwand geht nicht bis zur Decke und so hören die einen die anderen und umgekehrt. Da kam mir schon manchmal vor, dass da drüben mehr gelacht würde als bei uns herüben, wo sich Männer ehrfürchtig vom Schlafbecken, ins aromatisierte Wasser, in die Sauna, auf die Liege bewegen. Aber dann kam eine Gruppe junger Zwanziger und ich hab mir gedacht, das ist schon sehr seltsam, weil die auch gar nichts vor einander versteckt haben, wenn sie da gemeinsam durch die Becken gestiegen sind. Ja, der eine saß sogar sehr offenbeinig am Beckenrand, während seine Kumpels bis zu den Schultern im Wasser untergetaucht waren. Das sind womöglich eigene Verhältnisse, die man da zu seinen Kollegen hat, wo das nicht mal kommentiert wird (worden scheint). Na, die haben auf jeden Fall auch manchmal ein bisschen einen Wirbel gemacht und haben diese Frau-Mann-Differenzen-Beobachtung relativiert.

Gibt s doch ein Bild aus dem Onsen, halt ohne Leute

Aber selbst der freizügige Freikörperumgang gleichgeschlechtlicher Twens hat mich weniger überrascht, als einen Fernseher in der Sauna zu finden. Dass die Sauna keine Saunaofen hatte, das ist das eine, das sind einfach unterschiedliche Saunatraditionen. Aber während im ganzen Bad verhältnismäßige Stille oder generische Massagetherapiemusik gespielt wird, kann man ausgerechnet in der Sauna dann Vormittagstalkshows schauen. Das kam mir seltsam vor. Und wie timed man seine Saunazeit, sans Aufguss? Bis zur nächsten Werbeunterbrechung? Well, I guess einfach bis man genug hat.

Zwischendurch kann man sich ein bisschen mit seinem kleinen Handtuch abtrocknen oder auf dem Weg von Becken zu Becken die eigenen gentleman vegetables verdeckt halten. Oder sich damit beim Waschen abschrubben. Wichtig ist, dass es dadurch zu einem persönlichen Gegenstand wird, den man nicht mit ins Becken nimmt. Traditionell hat man s einfach auf dem Kopf, weil der geht auch nicht unter Wasser. Aber oft genug legt man s einfach auf den Beckenrand. Da ist es gut aufgehoben. Das faszinierende ist aber doch, wie das Handtuch nass funktioniert und nach dem Auswringen tatsächlich noch gut genug zum Abtrocknen ist. Das ist schon faszinierend irgendwie. Ich mein, der ganze Onsen war angenehm warm und das ist wohl nicht nur das Thermalwasser sondern auch der Spätsommer, vielleicht ist das im Winter ein bisschen kritischer mit der Lufttemperatur. Aber ich kann mir vorstellen, dass es insgesamt schon angenehm warm ist, auch wenn s draußen winterlt.

Nachdem s bisschen abgeregnet hat, hat sich der Fujiyama auch am Freitag nochmal gezeigt.

So war das. Es war weniger aufregend als die vulkanischen Bäder in Neuseeland oder Indonesien, wo dem heißen Wasser der Geruch von Schwefel und anderen Gerüchen aus den Tiefen der Erde anheften. Um es mit einer für meine Japanbeschreibungen langsam aber sicher ausdrucksschwachen Beschreibung zu sagen: es war hübsch und schlicht, durchaus gemütlich. Und auf jeden Fall praktikabel. Wie gesagt, ich bin da mit der ritualisierten Waschung hineingegangen, aber es erschien in der Praxis wirklich etwas, wo nach wie vor der Aspekt der Hygiene eine zentrale Rolle spielt. Während man sich bei uns im Bad die Chancen dafür, dass man sich was einfängt in der Regel höher wirken, als dass man sich was auskuriere.

Hat jetzt nix besonders mit was anderem zu tun, nur weil ich den in Fujiyoshida gesehen hab: Ich einen Moment sehr überrascht darüber, dass es Zigarettenautomaten gibt, dass Zigaretten so hemschwellenfrei verfügbar sind. Mir ist dann sehr schnell eingefallen, dass es das bei uns ja total viel gibt

Nachdem ich ein letztes Mal im künstlich karbonisierten Wasser gelegen bin (weniger aufregend als man denkt), hab ich mich wie selbstverständlich auf meinem Schemel gewaschen und hab mich dann mit dem gleichen Handtuch abgetrocknet, mit dem ich mich gerade gewaschlappen hab. Und dann bin ich zu Fuß ins Hostel, wo ich noch kurz mit der Rezeptionsbesetzerin über ihren Abstieg im Regen geplaudert hab und dann wieder zurück zur Busstation. Dort noch schnell eine Schüssel Udon gelöffelt und nach zwei Stunden Autobahn wieder im vertrauten Tokio. Ich lauf trotz aller Vertrautheit sofort in die falsche Richtung. Nicht einmal sofort: nach minutenlanger Überlegung und Telefonrotation marschier ich zielstrebig los um dann festzustellen, dass ich absolut in die falsche Richtung unterwegs bin. Und for the sake of Textstrukturierung ist das ein guter Punkt um festzustellen, dass es gut ist, dass man s auf einem Berg schnell einmal merkt, wenn man in die falsche Richtung unterwegs ist.

The world was young, the mountains green…

Nachdem ich Mo’orea zum ersten Mal so ausgesprochen hatte, wie die FranzösInnen das tun, den Akzent also nicht auf s e gelegt hab, sondern auf das in der Praxis zusammengezogene o’o, hab ich s nicht mehr aus dem Kopf bekommen, wie sehr das nach Durins gefallener Festung klingt. Aber es ist kaum der finstere Abgrund, den uns Tolkiens Etymologie von Moria glauben lassen möchte. Mich auf die besungene Hochzeit Khazad-Dûms beziehend, gibt es hingegen auf jeden Fall eindrucksvolle Berge und grün sind sie auch. In der Praxis sind meine Versuche, das fotografisch festzuhalten, leider bisher gescheitert. Ich bin allerdings wirklich ab und zu hingerissen genug, um auf der Straße stehen zu bleiben um an den Straßenrand zu fahren und vorsichtig anzuhalten um mich umzuschauen und festzustellen, wie toll das aussieht.

Für TahitianerInnen ist Mo’orea quasi das Abendland

Ich bin am Dienstag nach Mo’orea aufgebrochen. Das ist die Nachbarinsel von Tahiti, ein schönes Stück kleiner und auch gelassener, wie die Reiseführer gerne sagen. Ich erlebe es jetzt vor allem einmal als touristischer, aber das ist wohl einfach weil alles ein bisschen enger beieinander ist und sich auf der Straße die Einheimischen, die Hilton- und Sofitel-Leute sowie die Rucksackmenschen einfach mehr mischen. Das fällt zum Beispiel auf, wenn mir auf der Straße ein Konvoi Quadbikes mit fröhlichen TouristInnenpärchen entgegenkommt. Oder Familien die sich in Golfbuggies den Weg bahnen. Das ist ein bisschen seltsam, weil irgendwie ist dadurch die ganze Insel ein einziges Ressort, wenngleich halt so offen, dass alle in dem Ressort Platz haben.

Schau wie schön!

Ob es auch für mich ein bisschen mehr Urlaub ist, insofern, als dass ich mir hier jetzt mehr Freizeitaktivitäten organisiere als ich das auf Tahiti gemacht habe, das kann ich nach dem zweiten vollen Tag noch nicht wirklich sagen. Es gibt ein Belvedere, für das ich ein bisschen in den Berg hineinsteigen muss und dann eine kleine und eine große Runde mit schönen Aussichten und bisschen Tropen. Und es gibt Schnorcheln und Kayaken und Badestrände. Ich bin auf jeden Fall nur mit Minimalgepäck unterwegs und habe den Rucksack bei den MitbewohnerInnen auf Tahiti gelassen. Das ist schon ein ziemlicher Qualitätsunterschied! Ad Freizeitgestaltung hab ich mir jetzt einmal ein paar Tauchgänge organisiert, besonders beworben werden die ansässigen Zitronenhaie, von denen es einen Haufen geben soll. Auf Tahiti hab ich hingegen letztens einen Grauhai nur verpasst. Die Lisa hat nach mir gerufen, aber wenn ich fünf Meter entfernt bin und in die andere Richtung schau, ist es unter Wasser nicht so einfach, meine Aufmerksamkeit erregt zu bekommen. Endlich Blickkontakt hat sie mir noch in die Richtung gedeutet, aber es hat dann noch eine halbe Stunde gedauert, bis ich sie fragen konnte, was sie mir da eigentlich deutete, weil zu sehen war nichts mehr gewesen. Außer das Meer.

Und da hab ich bei einem anderen Tauchgang hineingeschaut, so, dass ich nur Blau gesehen hab, keinen Boden, keine Oberfläche. Da ist mir schon etwas schwummrig geworden und ich hab mich bemüht, meine 360° schnell fertig zu drehen, damit ich wieder die Wand im Blick hab, neben der wir entlanggetaucht sind. Es ist schon seltsam, mit so einer unspezifischen, unstrukturierten Unendlichkeit konfrontiert zu sein. Und natürlich kann man das auch schnell einmal auf das Leben ummünzen, wenn man meine Reaktion, mich schnell davon abzuwenden, in eine Form gießen möchte. Im gleichen Tauchgang hat uns übrigens auch ein Barrakuda verfolgt, der war sicher zwei Meter lang. Und hier war s dann eher ein Segen, dass wir uns unter Wasser nur schwer verständigen können, weil der Gaylord hat dann gesagt, er hätte ihn vertrieben, der sei einfach zu nahe gekommen. Unschuldslamm, das ich bin, hab ich natürlich nicht geahnt, dass es sowas gibt, wie „der Barrakuda zu nah“. Ich hatte durchaus ein bisschen Bauchmulm, als der ein paar Meter entfernt dann vorbeigeschwommen ist. Aber gleichzeitig hab ich mich an dem Gedanken festgehalten, dass alle Gefahren statistisch sicherlich unwahrscheinlich seien, zum Beispiel dass der große Fisch mit den langen Zähnen jetzt mit der Aggression anfängt. Jetzt weiß ich natürlich, dass die Wikipedia darauf hinweist, dass „[d]ie großen Unterkieferzähne der Barrakudas […] schwere Wunden [reißen], die zu großem Blutverlust führen können“. Nachsatz: „Sie beißen allerdings nur einmal zu und schwimmen dann weg“. Manchmal bin ich schon ein bisschen gespannt, was es zum Beispiel im Traunsee alternativ zu tauchen gibt.

Und ja, leider leider hab ich es in den Gegenden, wo mir ständig das Tauchgehäuse für meine Kamera angeboten worden ist, durchgehend vermieden, ein weiteres sinnloses Accessoire einzukaufen. Na, jetzt ist das natürlich nirgendwo zu kriegen und ich mach keine Fotos mehr von Unterwasser. Dabei wär ich jetzt langsam aber sicher doch in einer gewissen Routine, in der ich Auftrieb und Atmung beisammen hab und eben auch einmal ein bisschen in der Gegend herumschau, um einen Fisch oder eine Schildkröte zu beobachten. Ich darf im Logbuch ja auch Exploration anstelle von Instructional ankreuzen. So hab ich mir zur Kompensation halt einen Tauchcomputer gekauft, den ich am Samstag zum ersten Mal mit unter Wasser nehmen werde und der mir dann sagt, wie viel Stickstoff ich noch im Blut hab und wie lang ich nicht fliegen darf, dass er mir nicht Blasen im Blut wirft.

Nebenbei: Da liegt in Pape’ete also ein japanisches Kriegsschiff im Hafen. Eigentlich sind s zwei, aber das ist einerseits schwer zu erkennen und zweitens auch wurscht für den Moment. Weil was mich ein wenig überrascht hat, war, dass sie vorne schön mit ihrer Nationalflagge beflaggt sind, aber hinten herum vermeintlich die imperiale Flagge hängt. Kurze Recherche zeigt hingegen, dass sie die Sonne in der Flagge der Imperialen Armee nach dem Krieg bloß ein bisschen nach links geschoben haben und gut war s. Wenn man schaut, erkennt man das auch.

Ja, eigentlich wäre ich ja gerne auf die Tuamotus geflogen. Das ist so eine Gruppe von Atollen, etwa eineinhalb Stunden nordöstlich von Tahiti. Aber man glaubt s kaum: ich hab drei Tage vor meinem erhofften Flug keine Unterkunft gefunden. Dabei ist bloß Hochsaison. Und vielleicht hätte ich ja sogar noch was gefunden, aber nach dem unteren und ausgebuchten Preissegment kommt erst einmal länger nichts. Na, da war ich dann kurzerhand froh, dass ich meine Flüge auch nicht gekauft hatte. Schade, aber natürlich ist das in meiner Verantwortung, wäre ich die zwei Wochen nicht auf der mal helleren, mal röteren, mal fast akzeptabel gebräunten aber stets erkennbar faulen Haut gelegen, wäre sich da durchaus was ausgegangen. Next time you know, hat mir ein David gesagt und da hab ich s ihm noch nicht geglaubt, dass er recht behalten wird.

Natürlich, ich bin vor allem herumgelegen, wenn ich nicht tauchen war oder auf dem Weg zur Marina, aber es ist ein entspanntes Herumliegen. Das geht ein bisschen in die Psychologie des Getrieben-Seins, des Eigentlich-tun-Sollens. Wahrscheinlich wäre es – jetzt ein bisschen weiter zurückblickend – gut gewesen, ein wenig früher einmal aus dieser Situation herauszukommen, wo ich nicht ständig in der Lage bin, eigentlich an einer Diplomarbeit, an einer Dissertation sitzen zu müssen. Seminararbeitenschreiben, Hausübungenerledigen, Klavierüben, Großelternanrufen. Ständig hätte es was zu tun gegeben und ich mich sehr daran gewöhnt, zum täglichen Herummuddeln eine Portion schlechtes Gewissen serviert zu bekommen. Das geht dann auf Kosten der intrinsischen Motivation, wenn ich mich so häufig und vor allem stetig im Müssen-Sollen finde, anstatt im Wollen-Können. Interessanterweise würde ich sagen, dass es auch das Können-Wollen letztlich beschädigt oder zumindest dass wenn für das Können so viel Müssen notwendig scheint und sich der Widerstand gegen das Sollen aufstaut, dann entrückt das Ziel und das Wollen verliert als Ganzes ein bisschen den Anschein des Möglichen. Und, ja, dürfen hab ich mich getraut. Aber das zeigt uns auch nur, dass ich meine Probleme nicht erfunden hab. Da ist es schon auch ein Erfolg den Atollausflug sausen zu lassen und zu vielleicht einfach anerkennen, wie sehr ich auch von hier tatsächlich hingerissen bin. Alles nicht so einfach.

Ja, weil. Es ist halt wirklich schön. Weil, ich mag die ganze Strandgeschichte immer noch nicht. Ich war einmal in Australien baden, erinnere ich mich. Also. Ich bin ins Meer gestiegen, hab mich mit den Wellen geärgert, bisschen ein Unwohlsein ob dem offenen Meer bekommen und bin nach drei Minuten wieder raus. In der Zeit hab ich mir sicherlich einen Sonnenbrand geholt. Ist also nicht meins. Mich am Strand in die Sonne zu legen kommt mir immer noch etwas seltsam vor. Aber mit dem Tauchen hab ich einen ganz guten Zugang zum Meer gefunden. Und wie sehr die Tropen mir als Paradies eindoktriniert worden sind oder ob die orangengroßen Maracujas (immer wieder die Maracujas), die ich aus dem Straßengraben geklaubt habe, nicht auch einfach die Freude daran, am Wegesrand Brombeeren zu pflücken um den Volumsunterschied potenziert, ist schwer zu sagen. Aber das Licht hell ist und der Himmel blau. Die Palmen, Früchte, Blüten. Die Blumen im Haar und der ausgeprägte Vokalismus in der Sprache (nur neun Konsonantenphoneme!). Und das in Kombination damit, dass selbst die Tortillastandlerin einen Champagner im Cola-Kühlschrank stehen hat und anderswo auf der Karte mehr Wasser zur Auswahl stehen als Bier. Ich finde das charmant.

Das ist tatsächlich ein schlechtes Beispiel für die hiesige Flora. Nicht, dass das nicht durchaus die vorhandene Üppigkeit ausdrücke und es gibt auch einen hübschen Farbkontrast her. Aber es sind halt nicht die „typischen“ Blumen, von denen ich halt keine Fotos gemacht hab…

Meiner vielleicht neugefundenen Entspannung liegt natürlich auch diese sich mir langsam eröffnende Frankophilie zugrunde. Sprachlich gesehen bin ich immer noch eingeschränkt, wobei ich auf Mo’orea auch selbstbewusster Leute auf Englisch anspreche, während ich auf Tahiti mehr gefordert war, Französisch zu sprechen. Und so konnte ich mich dann in Situationen oft kaum einbringen, aber vor allem letztlich auch nicht rausreden und nicht in der Lage mich aus einer Lage herausblödeln oder einfach ins Plappern zu verfallen. Gespräche sind harte Arbeit. Und selbst wenn ich mich mit jemandem unterhalte, die französisch können, war s in der Regel eine gemäßigte Unterhaltung, weil dann halt das Englisch für mein Gegenüber oft nicht super easy war. Für mich, der ich oft mehr rede weil das Reden lustig ist, ist das eine interessante Abwechslung, mal ein bisschen meiner sozialen Fluchtoptionen beraubt zu sein.

Mehr in ihrer Eindrücklichkeit schwer vermittelbare Berge unter Tropenwald. Und ja, es gibt schon viel von den rosa Buschblumen da links unten. Aber es sind nicht die, die man sich ins Haar steckt, deswegen wär s gewesen. Wer weiß, ob die nicht sogar importiert sind… Aber im Pflanzenbestimmen bin ich leider nicht so bewandert. Oder bemüht, sind wir sich ehrlich.

In other news hat zuletzt auch die letzte kleine Katze ein neues Zuhause gefunden und die verwirrte Katzenmutter ist zwei Tage lang rufend durch die Gegend gelaufen. Das ist schon ein bisschen herzzerreissend, wenn man sich die Biologie da anschaut. Aber so ist das wohl. Es war dann auch schnell wieder vorbei. Auf der anderen Seite leben die Kleinen zumindest, auch wenn das für die Katzenmutter natürlich nicht verständlich ist, dass das gerade gut ausgegangen ist für die nächste Generation. Mit etwas Glück – aber das ist jetzt wieder mehr meine Meinung als feline Glückseligkeit – werden sie in ihren neuen Haushalten sterilisiert. Von wegen Verantwortung für ein Haustier übernehmen war da auch noch ein Kater, der ebenfalls in der Nachbarschaft seine Runden gedreht hat. Ganz instinktiv hab ich mir immer gedacht, der würde ja auch von irgendwo kommen und irgendwohin zurückkehren, aber wenn das bei den hiesigen Hunden schon nicht immer klar ist, dann bei Katzen wohl umso weniger. Jedenfalls hat der ein kaputtes Bein oder was, und humpelt dementsprechend bereits ein wenig bemitleidenswert durch die Landschaft. Vor allem wo die Christine ihn in der Regel verscheucht, wenn er sich zum Beispiel des Essens, das sie den Kätzchen rausgestellt hat, habhaft machen wollte. Also emotional hochkomplex die emotionalen Schattierungen des Katzenalltags. Jetzt nämlich auch noch, dass der außerdem die halbe Nacht schreit. Aber was weiß man, ob das ob einem gebrochenen Bein ist oder vielleicht aufgrund der tagtäglichen Ablehnungserfahrungen. Oder ob es vielleicht gar eine Poussage ist, für die er sich in der Nachbarschaft hören lässt.

Und als ob der Verlust der Kinder bei der einen und die der Agilität bei dem anderen nicht schrecklich genug wären, bin ich anderntags dann noch einer toten Katze über den Weg gelaufen. Nachdem sie neben der Straße im Schatten eines Buschs gelegen ist, hab ich mir gedacht, dass sie wohl eine umsichtige AutofahrerIn noch auf den Straßenrand geschleudert haben wird, nachdem vielleicht ein bedauerlicher Unfall passiert ist. Am Donnerstag ist sie so dagelegen, da hätte es fast noch sein können, dass sich s da nur eine faule Katze im Schatten gemütlich gemacht hat. Freitag hat man schon gesehen, mehr faulig als faul, wie der Körper ob der Verwesung bereits ein bisschen unförmig wird. Zum Glück (?) hat sich über s Wochenende jemand die Mühe/den Spaß gemacht, der Katze eine Feuerbestattung zu organisieren, drei Meter weiter an der Straßenecke. Die Überbleibsel waren zwar durchaus noch identifizierbar und meine Lungenkapazität hat dem empfohlenen Radius des Luftanhaltens kaum Genüge getan, aber es ist viel besser, als wenn man sie dort ignoriert hätte. Also ja: so hält sich die Katzenpopulation im Gleichgewicht.

Nachdem meine Kamerasoftware keine Panoramas macht, hab ich selbst ein Panorama gemacht. Und dafür, dass ich das ich jetzt länger an diesem Absatz herumgeschrieben habe, als ich mir für die Bildbearbeitung Zeit genommen hab, ist es echt nicht so schlecht geworden. ’s Cook’s Bay, by the way.

Auf Mo’orea sind s unterdessen vor allem die HÜhner die sich aufdrängen. Also Hühner mit Binnen-Ü, weil es nicht zuletzt die Hähne sind, die einen Krach veranstalten. Sagen wir ab zirka fünf in der Früh. Mit einiger Verwirrung hab ich andererseits den hiesigen Hund gestern in der Distanz mit etwas, von dem ich sehr sicher bin, dass es ein Huhn war, aus dem Nachbarsgarten laufen kommen sehen. Begleitet von aufgeregtem Hühnergeschrei und einem etwas verdutzt dreinschauenden Nachbarshund. Aber ist das… ich mein, stiehlt ein leicht übergewichtiger Hund, der sich bei uns durchaus daran hält, dass er nicht auf die Terrasse darf, stiehl, ja: mordet so jemand ein Huhn?

Hier hört man, dass die Hühner aber schon auch was zu sagen haben in der Früh. Für die authentische Erfahrung kann man sich das ein, zwei Stunden lang in einer Schleife abspielen.

Und in bald einer Woche hab ich jetzt einen Flug nach Tokyo. Weil zwei Wochen vorher ist vielleicht nicht übertrieben, sich das zuzulegen. Noch dazu, wo ich von der Annabelle letztens den Hinweis bekommen hab, dass mir das nächste Jahrhundertereignis einen Strich in die Rechnung macht, indem der Rugbyworldcup zum ersten Mal in Asien stattfindet. Oder zumindest das erste Mal in einem Land, das nicht zu jener Handvoll Ländern zählt, in denen Rugby irgendeine Rolle spielt, also England, Frankreich, Südafrika, Australien und Neuseeland. Im Kontext der hiesigen No-Vacancy-Erfahrungen bin ich da jetzt auf jeden Fall ein bisschen unter Druck geraten. Und gar nicht so sehr, weil ich die Gelegenheit sehe, in einem Rugbystadium zur Sehnsuchtsfindung geschweige denn -erfüllung zu finden, sondern weil ich schlicht nicht mit dem Rugbytourismus um billige Hotelzimmer konkurrieren möchte.

Rugby World Cup Countries by Best Results: Wenn man sich das anschaut, es ist als ob Frankreich sich da in was sonst ziemlich Commonwealthiges einmischen würde.

#fragmente

(Nicht, dass der Text bisher besonders einer formalen Struktur entsprochen hätte…)

Witzigerweise sind auffällig viele ItalienerInnen auf Mo’orea. Und ItalienerInnen werden mir, so kommt mir manchmal vor, schon bei einer einzigen Familie auffällig. Irgendwie sind ItalienerInnen einfach nicht wer, die ich irgendwo in der Welt zu treffen erwarte und bin dementsprechend erstaunt, wenn s doch passiert. Außerdem haben sie oft eine besondere Präsenz, wohl auch, weil sie mir nur oder vielleicht auch erst auffallen, wenn sie zu mehrt sind. Schließlich hab ich ja auch das Gefühl, Italienisch eh zu verstehen. Mehr noch als SpanischsprecherInnen beim Spanischsprechen zuzuhören, die in der Regel nicht annehmen, dass ich sie verstehe, komm ich mir beim ItalienischsprecherInnenbelauschen noch ein bisschen mehr Undercover vor. Und dann sag ich trotzdem buongiorno, wenn wir einander in der Früh grüßen und hab sofort das Gefühl, mich verraten zu haben.

In Tahiti bin ich durch den Supermarkt gelaufen und hab einen Wahnsinnsappetit auf Äpfel bekommen. Kann schon mal vorkommen, aber dann hab ich gesehen, dass die wie so viel anderes halt aus Neuseeland importiert werden. Da hab ich mir natürlich ein bisschen an den Kopf gegriffen, weil ich dauernd davon schwärme, wie mir die Tropenfrüchte vom Baum vor die Füße fallen und manchmal dann schon keine Maracuja gegessen hab, obwohl ich eine Maracuja hätte essen können. Geschweige denn Sternfrüchte, von denen es einem schnell einmal langweilig wird, oder Mangos, die wirklich mehr Vogelfutter sind. Und jetzt will ich einen Apfel haben, die Eichnull des Obsts. Hab ich keinen gegessen. Aber zwei Minuten später hab ich einen neuseeländischen Apfelsaft gekauft. Ich hab nix anderes gefunden, nicht gekühlt zumindest. Und interessant da, dass es verschiedene Apfelsäfte nach Apfelsorten zur Auswahl gegeben hat.

Und am seltsamsten in drei Wochen Französisch Polynesien fand ich dann doch, dass man Marille mit B schreibt.

Ich hab das letztens mal festgehalten, dass um die Halbjahresgrenze herum jetzt langsam mein Equipment unter der Dauerbelastung nach- und aufgibt. (Stell dir eine Schublade vor, die von einem skandinavischen Schubladenroboter auf- und zugemacht wird. Unaufhörlich.) Das ist psychologisch schon ein Wendepunkt. Meine Sandalen hab ich dann kurzerhand einer Reparatur unterzogen, wobei ich endlich einmal die Ahle auf meinem Taschenmesser verwendet hab. Das war allerdings ein bisschen Mit-Kanonen-auf-die-Spatzen, wo dann eine einfache Nadel auch gereicht hat. Allerdings ist das Leder dann sowieso einfach ein paar Millimeter drunter nochmal gerissen. Und nachdem die Sohlen auch schon lange entzweigebrochen sind, hab sie der Müllabfuhr überantwortet. Dass ich sie jetzt wirklich lange gehabt habe, ich in ihnen bereits kubanische Autobahnen entlanggegschlendert bin, ist sowohl bedauerlich (Mensch-Schuh-Beziehung) als auch tröstlich (KundIn-Produkt-Beziehung). Als Ersatz schlurf ich jetzt in Flip-Flops, was persönlich auch ein großer Schritt gewesen ist und schwups! habe ich davon erst einmal links wie rechts Blasen bekommen.

Und zu hinterst noch Neuigkeiten von ebendort. Ich hab mir auf Mo’orea gleich mal ein Fahrrad gecheckt, weil ist sie mir auf Tahiti ja doch abgegangen, die Mobilität. Jetzt war ich nach meiner Ankunft in FranzPol doch ab und zu ein bisschen verwirrt, wenn ich mal wieder an einer T-Kreuzung gestanden bin, wo denn jetzt der Verkehr herkomme, weil natürlich ist das Land französisch genug, dass die Leute auf der kontinentaleuropäischen Straßenseite fahren. Aber weil das sprichwörtlich wie Radfahren ist, hinsichtlich der Verlernbarkeitsoption, hab ich mich schnell wieder daran gewöhnt und gebe meinen Selbstbewahrungsinstinkten mittlerweile bereits wieder weitgehend freie Handhabe dabei, mich sicher über die Straße zu bringen. Funktioniert auch beim Radfahren, alles kein Problem. Nein, was sich hingegen schnell einmal als eine Schwierigkeit herausgestellt hat, ist möglicherweise auf den Trainingsmangel der eigenen Beckenbodenmuskulatur zurückzuführen. Jetzt kann es natürlich sein, dass der Sattel einfach unverhältnismäßig schmal ist oder das Gelände unanständig holprig. Fakt ist, ich bin seit einem halben Jahr nicht mehr auf einem Fahrrad gesessen und ich mich jetzt auf meinem VTT (veló tout terrain) herumwinde wie ein Sängerknabe unter Harndruck.

And off again

Schon wieder auf dem Flughafen. Das war doch ein bisschen kurz, eine Woche Tasmanien… Hobart war auch sehr herzig, auch hier viel mehr so ein Charme, wie ich ihn in Neuseeland erlebt hab. Oder vielleicht, vielleicht wirklich nur, dass es eine kleinere Stadt ist. Oder dass es kalt ist und die Leute mit roten Ohren auf der Straße herumlaufen und sich mit fingerlosen Handschuhen an ihre wiederverwendbaren Bambuskaffeebecher klammern. Oder dass der Fahrer von meinem Skybus, der mich auf den Hobarter Flughafen bringt, dass der aufsteht und mich, als ich in den Bus einsteige, mir die Hand reichend, an Bord willkommen heißt. Wir sind dann auch nur zu viert im Bus gesessen, ja, war nicht viel los, Mittwochmorgens in Hobart. Das war nett. Überhaupt hatte ich kaum Zeit, mich wieder an die Freundlichkeit zu gewöhnen, die in Australien so gegenwärtig ist. Wieder, weil ich eben einerseits weniger unter Leuten gewesen bin im letzten Monat und andererseits man in der Melbourner Anonymität doch verhältnismäßig untergeht. I guess, es ist, dass ich ja weniger in Lokalen war und in Jugendherbergen und selbst in Geschäften weniger und in Museen. So war ich nicht einmal der professionellen und mich doch (oder deshalb?) berührenden Dienstleistungsfreundlichkeit ausgesetzt.

Schau, wie schön s in Hobart ist. Wie immer, ein bisschen blauer Himmel hilft, aber Arthur Circus ist wahrscheinlich bei jedem Wetter idyllisch.

Der Jonathan, mit dem ich ein Zimmer geteilt hab, der sich zum Theaterlehrer studiert und in seinen Uniferien eine Runde durch Tasmanien dreht, der ist so gut im Smalltalk, das war wirklich beeindruckend. Am ersten Abend hat der lange mit dem Brasilianer in unserem Zimmer getratscht, der seit sieben Jahren in Australien ist und jetzt nicht mehr weg kann, weil er nicht sicher ist, ob er nochmal ein Visum bekommt und wenn er draußen ist, ist er draußen. „Schau an, jetzt ist es schon halb zehn, da sind wir aber richtig ins Reden gekommen“, hab ich ihn am Ende ihrer Unterhaltung sagen hören. Auch der Brasilianer war nett, aber ich hab mit dem immer nur ein paar Worte gewechselt. Und dann hab ich mit dem Jonathan geplaudert und das ist auch schnell in einen Fluss gekommen. Und selbst am nächsten Morgen, da hat er sich mit dem vierten in unserem Zimmer unterhalten, der ihm von seinen Theorien über die Elemente und deren Repräsentation in den letzten Buchstaben unseres Alphabets erzählt, wie das W für Wasser stehe und X marks the spot, also ist das X der Erde gleichzustellen. Zuletzt habe sich ihm hier in Tasmanien das fünfte Element offenbart („revealed“): Steigung. Während die Chinesen, die hätten zwar immer schon gewusst, dass es ein fünftes Element gäbe, hätten es aber mit Holz oder Metall nicht ganz zu fassen bekommen. Also ja. Jemand, der sich ein bisschen in einen Wahnsinn verstiegen hat und ich kann ja solchen Typen kaum zuhören, weil sich mir alles zusammenzieht vor fehlenden Handlungsoptionen: wie soll ich umgehen mit so jemandem, zwischen Respekt für eine (irgendeine!) Überzeugung und meinem benevolenten Agnostizismus gegenüber transmateriellen Ideen. Jonathan hingegen souverän, vor allem zuhören, aber dann doch die eine oder andere Frage, die nicht einmal darauf hinausläuft, ihn auf das Glatteis seiner Hypothesen zu führen. Vielleicht, hab ich mir gedacht, vielleicht ist das einfach eine Notwendigkeit für eine multikulturelle Gesellschaft, für eine multikulturelle Gemeinschaft, einander zuzuhören, mit einander in Kontakt treten, ohne halt wirklich einander zu berühren, in der jeweiligen Identität. Aber halt einander doch irgendwie versichern, dass man eine Welt teilt. Vielleicht ist es auch etwas, was eine TheaterlehrerIn können muss, Leute einzubinden und dabei Platz für ihren Glauben zu lassen. Also wiederum nicht unbedingt im spirituellen Sinn, aber in der Bedeutung von belief, also im Sinne ihrer Überzeugungen, ihrer Kultur. Ich hab mich daran erinnert, wie ich in Melbourne mit V. und M. im Kino (Capernaum) gewesen bin und danach halt mit meiner Filmkritik losgelassen habe, ohne das böse zu meinen halt hier und da was auszusetzen gehabt habe oder Unverständnis gezeigt hab oder wo ich was anders gemacht hätte. Und die V., als intime Kennerin australischer Kultur mir nachher gesagt hat, dass man das einfach nicht mache, dass AustralierInnen so ausgleichsorientiert und konfliktvermeidend sind, dass so eine Kritik gleich sehr aggressiv wirkt.

Außerdem hab ich gelernt, dass insbesondere in der Primarstufe, alle australischen SchülerInnen Theater unterrichtet bekommen, was ich sehr super finde. In den höheren Jahrgängen ist es dann ein Wahlfach, aber mein Eindruck ist, dass uns das schon auch gut tun würde. Nämlich auch im Sinne von Verhalten in der Öffentlichkeit, wie man sich erlebt, wie man sich gibt, wie man in sozialen Situationen agiert und warum und ob man nicht vielleicht andere Optionen entwickeln möchte. Was ich aus dem Fernsehen vom amerikanischem Schulsystem weiß, haben die das ja auch dort. Kann natürlich sein, dass das wirklich nur als Plotelement besteht, dann hätten sie uns schön dranbekommen, mit ihrer Kulturindustrie. Und es könnte schon sein, dass das für eine Einwanderungsgesellschaft ähnlich positiv wie ordentlicher Sprachunterricht ist, ein Fach in dem praktisch der Umgang mit anderen Menschen geübt wird. Und ich glaube, dass wir in der Volksschule schon relativ viel mit Pantomime und so gemacht haben, aber das ist ja auch wieder was anderes und hat mehr mit Körperkontrolle und Feinmotorik zu tun. Und schon gar nicht mit dem Stellenwert, wo man sagt: Das ist jetzt ein eigenes Fach. Mit eigenen LehrerInnen. Und wir nennen es Theater, weil wir auch wissen, dass wir im Alltag eine Rolle spielen.

Das haben sie schon sehr schick gemacht. Da unten sind die Fenster des Restaurant „Pharos“ zu sehen.

Wenn in Hobart, geht man ins MONA, ins Museum of Old and New Art. Und da nimmt man eine Fähre (die und die fährt einen eine halbe Stunde den Fluss bergauf und dann ist da in den Berg ein Museum gegraben. Und da merkt man auch gleich wieder, dass Tasmanien bisschen mehr Neuseeland ist, wenn Neuseeland ein bisschen Skandinavien ist, weil das so skandinavisch gebaut ist ist. Mit den großflächigen, rostfarbenen Wänden, den scharfen Winkeln und den… naja. Den Säulen und den runden Fenstern und dem ganze Zusammenspiel mit der Natur, mit dem Meer und den Klippen und dem Humor, einen Tennisplatz direkt vor dem Eingang stehen zu haben. Ich bin ja jetzt auch keiner, der sich mit Architektur so gut auskennt, dass ich da jetzt die passenden Wörter für hätte. Der Hintergrund von dem Museum ist das irgendwer zu viel Geld gehabt hat und das offenbar dafür verwendet hat, dort ein schicki-micki Museum für Bobos hinzustellen. Wie ich am Anfang über das Gelände spaziert bin, hab ich ein bisschen an den André Heller denken müssen. Der Stil wäre nicht seiner, aber diese Idee, einen Raum zu schaffen, für die Kunst und für s Schlendern und für s Ausprobieren und daneben steht der Weinberg… Ein bisschen ein Größenwahn schon auch, diese Kontrolle über die Geographie, aber gleichzeitig der Rückzug… Und ich mein, das ist ja prinzipiell nicht falsch und es hat mir auch wirklich gut gefallen. Irgendwie hat s mich trotzdem angestrengt, vielleicht erschöpft mich diese Ästhetik, die postmoderne Leere. Vielleicht, hab ich mir nachher gedacht, hab ich einfach nicht genügend Kontakt mit anderen Menschen gehabt, in in den Sandstein gehauenen Museum, und dabei ein wenig professionelle Dienstleistungsfreundlichkeit vermisst.

„At first, only I saw it as a tower. I don’t know why the word tower came to me, given that it tunneled into the ground. I could as easily have considered it a bunker or a submerged building. Yet as soon as I saw the staircase, I remembered the lighthouse on the coast and had a sudden vision of the […] ground shifting in a uniform and preplanned way to leave the lighthouse standing where it had always been but depositing this underground part of it inland.“ (Annihilation, Jeff Vandermeer)

Dann geht s den Schacht runter und ich bekomme einen iPod in die Hand: wenn ich was wissen will, drückt ich auf den Knopf und dann zeigt s mir die Kunstwerke, die um mich herum sind und dann such ich mir dort eins aus und dann gibt s Namen der KünstlerIn und Namen des Objekts und was man alles an Info haben möchte. Manchmal gibt s Hintergründe zum Prozess oder zur Idee dahinter. (Und in selbstkritischer Unentschlossenheit wird das dann mit Art Wank überschrieben, der Kunstwichserei. Oh mei.) Oder speziell für Kinder aufbereitete Informationen, die meistens auch als Audio vorhanden sind, Interviews mit der KünstlerIn, was mir immer besonders gut gefallen hat. Und wenn man in einen Bereich geht, wo jetzt sagen wir, vielleicht mal eine Brust zu sehen ist oder ein Stroboskoplicht, dann sagt einem das Gerät auch: Vorsicht jetzt bei Kindern und/oder EpileptikerInnen. Oder dann auch wieder, dass das Gerät einem einen Bezug zur tasmanischen Gegenwartskultur herstellt, insbesondere halt bei lokalen KünstlerInnen. (Die können aber ruhig auch zugezogen sein.) Das ist schon sehr interessant, ich hör ja KünstlerInnen gerne zu, wenn sie über den Prozess reden oder über ihr Verhältnis zur Rezeption oder zur Rolle der Kunst in der Gesellschaft. Und um so schöner ist es dann, wenn sie sagen, ja, weiß nicht, überbewertet wahrscheinlich.

Und dann wiederum, muss ausgerechnet der österreichische Vertreter so unsympathisch rüberkommen, oder bin das nur ich? Jetzt zum Beispiel mit dem Roman Signer verglichen, einem Schweizer, für den die Tochter übersetzt, der so leicht vor sich hin philosophiert, der mir von der Befreiung aus dem Erklären-Müssen spricht, die Loslösung aus dem Nützlichkeitszwang. Unverbindlichkeit und Krise mit dem Selbstbild. Und da steht dann sein Fahrrad mit Farbe, das direkt übersehen wird, weil es eigentlich nur der Schatten einer Aktion ist. Während der Erwin Wurm mit seinem dicken Porsche in so vieler Hinsicht das Gegenteil darstellt. Nachdem er im Interview auf die Gierigkeit der Welt geschimpft hat, drückt er dann noch seine Missgunst gegenüber den Leuten aus, die sein Objekt sehen und es mit „haha, a fat car“ abtun.

Also kurz ein paar Sachen, die ich gut gefunden hab: Da war ein Deutscher, der hat so Wörter aus Wasser gemacht, die von der Decke fallen, die nach irgendeinem Algorithmus aus den Nachrichten gefischt werden. Und der hat im Interview davon erzählt, wie diese Maschine, die er erfunden und gebaut hat, halt mittlerweile zu Werbezwecken eingesetzt wird und wie sich das verselbstständigt hat. Das Objekt selbst ist auch quasi banal, insbesondere durch diese Entwicklung und Verkommerzialisierung seiner Kunst, aber ich finde den Prozess, durch den er da gegangen ist, das hab ich interessant gefunden. Mehr seine Reflektion als bit.fall selbst.

Zwischendurch ist ja auch Platz für die Old Art, die der Name verspricht

Da war eine Zeichnung von einer Russin, auf der alles drunter und drüber geht, aber zentral sind ein paar Frauen, die auf ein Förderband kacken und überall auf dem Bild wird sitzen Leute herum, die die Scheiße essen. Das war schon mal witzig, weil doch der Vladimir Sorokin in Norma eine Gesellschaft beschreibt, in der die Leute ihre monatliche Ration Scheiße zugesendet bekommen, feine Kinderkacke, wenn ich mich richtig erinner, die sie essen müssen. Ist das schon ein russisches Thema? Wiederum interessanter ist es durch das Interview geworden in der sie davon erzählt, wie schwer sie sich tut, ihre Kunst auszustellen, herzuzeigen und überhaupt, sich als Künstlerin zu erleben. Leider hab ich mir nie ihren Namen gemerkt, weil wenn man ein digitales Gerät mit allumfassendem Wissen bei der Hand hat, dann merkt man sich nichts vor lauter Kann-ich-ja-nachschauen. Nix kann ich nachschauen, weil die Museumsguide-App kann ich mir zwar auch auf s eigene Telefon laden, aber natürlich für Mäckers only.

Es gab dann einen Bereich, der der Hypothese gewidmet war, dass Vermeer eine bestimmte Technik angewandt hätte, irgendwas mit Camera Obscura und einem Spiegel. Und da waren nicht nur die Ergebnisse, die ein Amateur damit erreicht hat ausgestellt, sondern auch ein Tisch zum Ausprobieren, wo BesucherInnen mit der Technik ziemlich gute Ergebnisse erzielt haben.

An anderer Stelle sind ein paar Kurzfilme von einem Reynold Reynolds gelaufen, die ich ganz spannend gefunden hab, wie sie mit Zeit und Bewegung und so umgehen.

Unten ist halt eine Bar gewesen, wo sie sehr schöne würfelförmige Eiswürfel gehabt haben, schicke Kupfershaker, tätowierte, vollbärtige Barkeeper, lokalen Gin. Oben offener Kamin und guten Kaffee und selbstgemachter Kuchen. Ich mein, das ist schon alles sehr klar auf eine Zielgruppe zugeschnitten und ich hab mich wohl gefühlt und gefordert und unterhalten.

Allerdings hat das MONA am Dienstag zu und so stand ich am Dienstagmorgen bisschen verloren an der Fähre (ahja, man kann auf der Fähre auch zwanzig Dollar drauflegen und dafür in der Posh Pit reisen, wo s schick ist und wo getanzt wird und überhaupt: Partyabteilung) und hab kurzerhand mein rudimentäres Mittwochprogramm vorgezogen. Das war eh ein Glück, weil das Wetter einfach besser war am Dienstag. Und wenn die Sonne scheint, dann sind auch die zehn Grad sehr schön. Und so hab ich zuerst einmal ein teures Frühstück genossen, schicken French Toast und eine Kanne Darjeeling. Ich bin ja wieder auf Grüntee, seit ich Melbourne verlassen hab, da geb ich auch mal ein Geld für einen Tee aus. Dann bin ich zum botanischen Garten spaziert, gut unterhaltend, ich würde sagen, regelmäßig kichernd, weil mit der Horne Section in den Kopfhörern. Ich glaub, ein wichtiger Aspekt des Erfolgs von Podcasts ist dieses Zugehörigkeitsgefühl, das Gefühl da bei etwas dabei zu sein, in einer Gruppe, die Spaß miteinander hat. Es gibt eine gute Sendung von der Lindsay Ellis zur Authentizität von YouTubern, ich mein, ja, das ist alles ein bisschen ein Schmäh und nicht ganz neu. Witzig ist dann halt, wenn die Leute, die zu Gast sind, sagen, dass sie nicht gehen wollen, weil es so nett ist und eigentlich sind sie ja alle irgendwie ständig zuhause und allein und jetzt sind sie mal raus und eigentlich ist das ganz wunderbar, hier zu sein.

So ein schönes großes Schiff, das da im Hobarter Hafen steht. Und die leider die einzige Aurora Australis, die ich zu sehen bekommen hab. Ich hab mich auch nicht besonders bemüht, stimmt schon.

Anyway. Ich hab dann die Kopfhörer aus den Ohren getan, weil ich Papageien krächzen gehört hab. Und dann saß da einen Handvoll in der Wiese und ich bin ihnen ein bisschen nachgelaufen und plötzlich fliegt so ein riesiger schwarzer Kakadu vor mir auf und auf den nächsten Nadelbaum. Und dann höre ich plötzlich aus dem Wind heraus, wie s da knächzt und knuspert und da sitzen sie zu dutzenden in den Fichten oder Lärchen und knacken die Zapfen auf. Das hat mich ziemlich am Faszinationsfuß erwischt, dass ich da stehe, auf einer Wiese mit ein paar Nadelbäumen, fünfzig Meter von der Straße und da sitzen die Vögel und knacken Tannenzapfen bei fünf Grad. Weil die Tropen haben hier irgendwo ein Ende. Mount Wellington – auch namenstechnisch verschwimmen Tasmanien und Neuseeland, wo auch viel vom Herrn Tasman zu hören gewesen ist – liegt schneebedeckt am anderen Ende von Hobart, während neben mir ein Tannenzapfen aus zehn Meter Höhe einschlägt und ich mir denke, dass diese Vögel doch nicht so ungefährlich sind. Weil als ich den Papageien über die Wiese nachgelaufen bin hab ich mir noch gedacht, dass ich das kaum bei anderen Tieren machen würde, ihnen in der Wildbahn einfach so nachlaufen. Säugetiere, Reptilien, Spinnentiere… alle ein bisschen bewundern und dann Distanz halten. Bei Vögeln allerdings… ich denke es ist einfach das Bewusstsein, dass ich kaum je in der Lage sein werde, einen Vogel in eine Ecke zu drängen, sodass er nicht nur mit dem Rücken zur Wand stehen, sondern eben auch mit dem Kopf an die Decke stoßen würde. Aber wenn dann so ein Zapfen einschlägt, dann gehe ich doch ein paar Schritte zur Seite.

Der bewusstseinschaffende Zapfen verfehlt mich ca. zweiundvierzigste Sekunde.

Und dann hab ich ein totes Wallaby am Straßenrand gesehen und da ist der Spaß gleich ein bisschen gedämpft gewesen. Ich hab mir, bereits ein paar Schritte entfernt noch gedacht, da war doch was mit in den Beutel greifen, ob da nicht ein Joey drinsteckt. Aber hab ich auch gelassen. (Nachdem mein Wordprozessor nach wie vor das Wort „Wallaby“ unterwellt, hab ich dafür jetzt nachgeschaut und festgestellt, dass es e einen Dudeneintrag gibt, in der deutsch Wikipedia gibt s allerdings nur unter dem Plural – wobei der deutsche Plural „Wallabys“ nicht konsistent durchgehalten wird – einen Artikel, der noch dazu nur mit einem italienischen Artikel verlinkt ist und beispielsweise von der englischsprachigen Wallaby-Seite nicht zu finden ist. Witzig.)

Dann eine Stunde im Botanischen Garten spazieren gegangen und das ist vielleicht ein bisschen die falsche Jahreszeit, aber insgesamt halt schön. Wieder einmal nicht nur die Pflanzen selbst sondern auch Tafeln mit Informationen über den Prozess des Gartengestaltens und Pflanzensammelns und so. Ich war zum Beispiel überrascht zu lesen, dass die Rose aus China stammt. Also ihre Urform und die ist dann halt in den letzten zweihundert Jahren zu unseren Rosen gezüchtet worden. Oder dass die ganze Blumengartengeschichte ein Produkt des neunzehnten Jahrhunderts ist, also in England, wo einerseits der Reichtum, der durch die Industrialisierung breitere Menschengruppen erreicht hat, und die Menschen nicht mehr jedes Stück Land dafür genutzt haben, um Gemüse anzubauen, und andererseits eben die Welterkundungen des Empires neue Pflanzen und Blumen nach Großbritannien gebracht haben und sich so die Idee des Blumengartens entwickelt hat. Es ist naheliegend, aber man muss diese Überlegung schon auch einmal anstellen. Und dafür wird man mit einem schärferen Bild des Bürgertums belohnt.

Hier ist die Arthur Wall im botanischen Garten, das Original 1829 gebaut. Die Idee ist, dass vor allem früchtetragende Pflanzen in der Nähe der durch mehrere Kamine beheizbaren Wand früher im Jahr zu sprießen beginnen: „a popular and effective English garden technology of the era“. Und angeblich sind hier die ersten Ananas auf Tasmanien gewachsen.

Auf dem Rückweg bin ich dann noch schnell ins Museum geschlüpft. Das war auch gut, wirklich, wobei ich zugeben muss, dass ich s bisschen überflogen bin. Museumsfatigue? Maybe. Es war aber sehr gut aufgearbeitet, die Aborigines Sachen sind, wie mein brasilianischer Zimmerkollege oft einmal betont hat, sehr gut, das stimmt. Auch interaktiv und was zum Angreifen und Videos und alles drum und dran. Interessant fand ich dann aber insbesondere, dass die Kunst… Also eigentlich waren da zwei Sachen: da war zum einen eine Ausstellung zur Australischen Identität anhand von Keramik. Das find ich super, das war wirklich eine ganz interessante Sache. Weil einerseits war das historisch aufbereitet, quasi das letzte Jahrhundert durch und auf der anderen Seite halt verschiedene Einflüsse diskutiert, ob jetzt die Aborigines selbst oder die Inanspruchnahme von Aboriginesdesigns durch Europäischstämmige und eine eigene Diskussion von Begriffen wie appropriation und so… das ist Bildungsauftrag wahrnehmen. Bei freiem Eintritt.

Hier wird die Gleichheit vor dem Gesetzt von Aborigines und EuropäerInnen dargestellt. Wird immer noch dran gearbeitet, soweit ich das verstanden habe.

Und dann in der Galerie ist halt offensichtlich gewesen, dass Kunst auch Realität schafft, da waren halt auch vor allem Landschaftsmalerei von Tasmanien und einige Aborigines, die gemalt waren und auch Bronzestatuen und so, wirklich ganz interessant, wie so das Bild quasi vom Land und von den Leuten erfasst und gemacht wurde. Es gibt ein interessantes, wo im Hintergrund Hobart ist, mit dem Mount Wellington und so und man sieht ein bisschen den Rauch vielleicht aus der Industrie aufsteigen und die ordentlichen Häuser und Segelschiffe. Und im Vordergrund ist eine Gruppe nackter Aborigines, die um ein Feuer herumsitzen und tanzen und spielen und baden und zwei kommen von der Jagd und bringen tote Tiere. Und es macht diesen Gegensatz auf. Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass es entscheidet, welches Leben das lebenswertere ist…

Das linke Bild ist The Onlooker von E. Philipp Fox (1905). Kommt mir aus irgendeinem Grund total bekannt vor, aber ich könnte jetzt nicht sagen woher…

Außerdem gibt s ab einem gewissen Breitengrad dann auch gerne einmal eine Antarktisabteilung in den Museen. Das hat mir gleich total Lust gemacht, dorthin zu fahren. Nicht nur die Interviews mit den begeisterten ForscherInnen, und dem netten älteren Pärchen, die im Video als Polar Tourists unterschrieben waren. An einem Punkt waren sie sich so lieb einig, was für schönes Wetter sie an dem einen Tag gehabt haben, weil es hat nicht gestürmt und überhaupt kein Wind ist gegangen und man musste gar nicht alles anziehen, was man mit hatte.

Hier kann man schauen, wie groß der siebte Kontinent im Vergleich zu anderen ist. Und aus irgendeinem Grund helfen hier London und Wien, sich in Europa zu orientieren. (Von mir aus der achte Kontinent, wenn ich Zealandia mitrechne. Ein achter Kontinent der uns ein bisschen über den Verlust des neunten Planeten hinwegtröstet?)

Abends hab ich mir dann noch ein aufregendes Abendessen in einer schicken japanischen Bar geleistet. Schweinebacke. Da sagt die Kellnerin zu mir, dass das ein bisschen eine trennende Speise ist, wo einige Leute nur dafür herkommen, andere können es nicht leiden. Bisschen fatty, sagt sie. Ist ok, sag ich, das ist ja gut mit den pickles, die ich dazu bestelle. Da muss sie mir zustimmen. Es war dann wirklich gut und ich hab gemerkt, dass es einen Unterschied zwischen fatty und greasy gibt. Quasi fettig und ölig, aber irgendwie erwischt das das auch nicht besonders, weil wenn ich das so schreibe, nun, fettig ist schon besser als ölig, aber es kann kaum als gut beschrieben werden. Vielleicht hat fatty auch kaum was positives, aber hier war s gut. Mehr seidig als fettig.

Und das war s dann schon wieder mit Tasmanien. Das ist direkt schade gewesen, hab ich gemerkt, weil ich gerne noch auf den Berg gestiegen wäre oder einen Ausflug mit dem Schiff gemacht hätte, runter zum südlichen Leuchtturm, zu den Delphinen, den Robben und den Pinguinen. Und wenn man den Kreis ein bisschen weiter ziehen möchte, wenn man ins Auto steigen würde, dann gibt s die Strände und die Wälder und die Seen und die Berge und vieles davon auch mit Wildnis. Aber ich sitze schon wieder am Flughafen und warte auf meinen Flug nach Sydney. Jetstar hat ein bisschen Verspätung, aber das ist nicht ungewöhnlich. Der Warteraum zeigt Tasmanien nochmal von seiner skandinavischen Seite, selbst die Kaffeebars geben sich schick und individuell und in der Ecke ist ein großer Kinderspielplatz mit Klettergerüst und Bildern tasmanischer Fauna. Und der Humor steckt einfach darin, dass man am International Airport Hobart nur Flüge nach Australien bekommt. Vielleicht versteckt man seine Anstrebungen zur Unabhängigkeit hier einfach dort, wo alle hinsehen.

Get Packing

Und so mache ich mich wieder auf den Weg. Die (sechs!) Wochen in Melbourne sind schnell vergangen und während ich zum dritten und voraussichtlich vorerst letzten Mal im SkyBus zum Melbourner Flughafen fahre, denke ich daran, wie gemütlich die letzten Wochen waren. Nämlich nicht nur eben die Faule Haut in Melbourne, wo ich in Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeit stellenweise untergegangen bin, auch in Indonesien hatte ich immer noch den Einzelzimmerluxus. Ja, daran denke ich vor allem, dass ich jetzt wieder in Stockbetten schlafen werde, auf jeden Fall solange ich noch in Australien unterwegs bin.

Einmal werd ich hier noch wach: Der Blick aus meinem Melbourner Schlafzimmer auf den unerwartet blauen Himmel und einen Hinweis auf eine zeitlicher aufstehende KranlenkerIn.

Ich mache mich auf den Weg für ein paar Tage Tasmanien und dann noch ein bisschen Sydney, bevor ich Australien insgesamt hinter mir lassen werde. Hat s mich doch noch gelockt, die Empfehlungen, mir doch unbedingt noch Tassie anschauen zu müssen und danach noch einen Blick auf die zwei meistfotografierten TouristInnenattraktionen Australiens zu werfen, praktischerweise direkt nebeneinander: Sydneyer Opernhaus und selbigens Harbour Bridge. Ich bin etwas besser vorbereitet als sonst, hab nochmal den dicken Australien Lonely Planet hergenommen und mir ein bisschen eine Reiseroute zurechtgelegt. Ich hab zwar auch meine Fehler gemacht und einen Flug gleich mal verfallen lassen, weil umbuchen einfach teuer gekommen wäre. Aber das hat man halt, wenn man einen Plan macht. Nur wer nicht plant, verplant sich nicht.

Sonst zeigen die Vorbereitungen, dass es insbesondere auf Tasmanien wieder einmal am gschicktesten wäre, ich würde mir ein Auto nehmen, weil es ja hier auch um ein bisschen Wildnis geht, die man sucht. Ich aber plane meine Route wieder entlang des öffentlichen Verkehrs, ich mein, ja, besser als nicht und ich bin eh kaum eine Woche da. Meine Lieblingszeile im Reiseführer bezieht sich auf den Mole Creek, wo geschrieben steht, dass man mit etwas Glück in der Morgen- und Abenddämmerung Schnabeltiere in den Wasserwegen beobachten kann. Hm… Wasserweg? Da ist schnell einmal mein Interesse geweckt, nachdem ich Anfang der Woche eine halbe Stunde in der Dunkelheit des Schnabeltierhaus im Zoo gestanden bin und dort erlebt hab, wie herzig, wie unglaublich herzig, diese Tiere sind. Was auch witzig war, dass ich halt doch lange in dem dunklen Zimmer gestanden bin und die Augen sich immer mehr an die Dunkelbheit gewöhnt haben. Und dann kommen neue BesucherInnen herein und suchen das Schnabeltier in seinem Aquarium, während ich sehe, dass es direkt vor ihnen schwimmt. Das sind fast ein bisschen SuperheldInnenfähigkeiten, die ich da erlebt hab. Und so klein sind sie! Ich glaub, dass ich mir die immer zumindest einen Meter lang vorgestellt habe. Vielleicht dass meine Kinderaugen da irgendwo ein Bild in einem Buch gesehen habe oder dass in Videoaufnahmen die Größenverhältnisse nur so schwer feststellbar sind. Aber sie sind ja nur dreissig, vierzig Zentimeter lang. Und so der Körper von einem Otter (ich mein, nein, aber am ehesten), mit den Watschelfüssen und der Entenschnabel, das ist schon sehr süß von den Voraussetzungen her.

Kinder und Erwachsener kommentieren ihren Erfolg, das nachtaktive Schnabeltier im dunklen Aquarium zu finden.

Jetzt denk ich aber auch ein bisschen daran, was Melbourne mit mir gemacht hat, dass ich, kaum, dass ich am Weg zum Flughafen bin, mich wieder an die Klaviatur meines Notebooks setze, während mir das jetzt geschlagene sechs Wochen lang einfach nicht in den Sinn gekommen ist, ja mich mit Überwindung konfrontiert hat, die ich nicht aufgebracht hab. Letztlich ist das schwierig, aber ein Kernproblem. Es hat irgendwas mit Sinnhaftigkeit zu tun, mit Perspektive und so. Aber auch mit dem Gefühl einfach untertauchen zu können und aus der Welt in mein Zuhause verschwinden zu können, in der Unübersichtlichkeit der ungreifbaren Endlichkeit. In dem Moment, wo ich anfangen habe, mich wieder damit auseinanderzusetzen, nur noch zehn Tage, eine Woche, achtundvierzig Stunden hier zu sein, habe ich wieder eine Dringlichkeit gespürt, die mir dazwischen abgegangen ist. Das Gefühl, von der Welt eine Pause nehmen zu wollen – und trügerischerweise das begleitende Gefühl, das auch tun zu können – ist ja etwas, was ich aus dem Wiener Rhythmus gut kenne und was eines der Hauptmotive war, mich in den Flieger zu setzen. Und wenn ich von Busfahrt zu Busfahrt denke, dann läuft das auch gut. Mit den zur Hand seienden Rückzugs- und Auseinandersetzungsverweigerungsmöglichkeiten verantwortungsvoll umzugehen, das hat mich vielleicht ein wenig überfordert. Wenn ich dann doch einmal einen Ausflug in die Stadt oder eben in den Zoo gemacht habe, hat sich das schnell gelegt. Mit Menschen in Kontakt sein, das ist da eigentlich immer hilfreich. Aber wenn der Zweifel nagt, dann ist das leichteresagtalsgetan…

Na, wenn ich den Zoo nochmal erwähne, dann leg ich da gern auch noch ein Zoobild bei. Bei dem blauen Himmel darf man nicht Kausalität und Korrelation verwechseln! Ich hab das Bild hochgeladen, weil das Licht gut ist. Ausnahmsweise einmal. Und: Ich hab schon so lang keine Giraffen mehr gesehen, ist mir aufgefallen, sind die Schönbrunnernen schon in ihr neues Haus gezogen?

Anyway. Ich hab mir neue Schuhe gekauft und weil fünf Paar Schuhe zu viel sind – I guess das war auch irgendwo Teil der Überlegung als ich in Indonesien so lange gezögert habe, mir Flip-Flops zu kaufen bis ich dann keine gekauft habe – habe ich die Sportschuhe in Coburg gelassen. Das ist ein Euphemismus für Weggeschmissen. In Wirklichkeit haben die auch schon derart gerochen, dass es mir teilweise unangenehm war, sie in der Gegenwart von anderen auszuziehen. Und wenn man, siehe oben, in Hostels wohnt, dann wird viel vor anderen Leuten ausgezogen. Vor allem auch Schuhe. Und selbst Schuhe kaufen ist nett. Ich hab das auch mit der V. besprochen, die Leute sind ein bisschen bewanderter darin, das ganze Verkaufen nicht zu einer mühsamen Erfahrung zu machen, weil sie… nun. Ich weiß natürlich nicht wirklich, wie das ist. Sie sind einfach besser im miteinander reden, kommt mir vor und die Schuhverkäuferin ist mir so auch authentischer vorgekommen. Natürlich: vorgekommen. Ich hab da noch ein bisschen nachgedacht, weil sie, als ich mich dann entschieden hatte und es mit dem Zahlen ans Ende der Transaktion gegangen ist, gesagt hat, ja, auch ihr gefallen die olivgrünen besser als die schwarzen, gegen die ich mich zugunsten der olivgrünen entschieden hab. Und sagt sie das vielleicht einfach so, weil man das sagt, um die KäuferIn in dem Gefühl zu bestärken, sie habe da gerade eine gute Entscheidung getroffen? Weil oft kippt man ja schnell einmal in eine Post-Konsum-Depression, dass man schon wieder Geld ausgegeben hat und schon wieder ein Klumpert mehr hat. Und dann hilft das, ob authentisch oder freundlich ist in der Wirkung recht ähnlich.

Too many shoes on the dance floor!

Meine Sorge ist mehr, dass die olivgrünen Schuhe mit der beigen Hose und dem sandfarbenen Sakko um Aufmerksamkeit ringen, wer wohl den Ton am besten getroffen hätte, weil alle drei können nicht recht haben. Da hab ich auf jeden Fall eine Lektion gelernt, weil meine Garderobe nur beschränkt intern kompatibel ist: Da sind die Brauntöne, die ich nicht miteinander kombinieren kann und dann gibt s auf der anderen Seite die Jeans und den Pullover, die mich gemeinsam in Dunkelblau tunken. Was blöd ist, weil beides zusammen einfach mein wärmstes Outfit darstellt und ich bin schon wieder so weit im Süden, dass es hier so kühl ist, dass ich immer noch jedes Mal überrascht bin, wenn ich feststelle, welches Monat ist. Jetzt schau ich drauf, dass ich den Pullover mit der beigen Hose trage, dann tendiere ich aber zur weniger warmen Jacke… es ist alles nicht so einfach. Es ist etwas besser, wenn s warm ist. Das Grün meiner kurzen Hose schlagt sich nur mit zwei, drei T-Shirts aber da hab ich zum Glück eines meiner wenigen schwarzen Kleidungsstücke zur Alternative.

Wie dem auch sei, ich hab neue Schuhe und die sollen halbwegs wasserdicht sein, sie sind angenehm zu tragen, hübscher als die schwarzen und außerdem etwas leichter und weil sie insgesamt doch weniger stabil als die Laufschuhe sind, sind sie auch etwas besser einzupacken weil besser flachzudrücken, was ja auch kein Fehler ist. Eigentlich könnte ich fast auf die rauhledernen verzichten… aber dann wiederum hab ich im Südpazifikreiseführer einen Satz über französische Cafés gelesen, in denen ich auf Tahiti sitzen werde und dem regen Treiben im Hafen zuschauen werde. Dafür sind die rauhledernen vielleicht nicht schlecht.

Den Rucksack neu zu packen hat mir doch ein bisschen zu denken gegeben. Ich würde das wohl heute anders machen als vor einem halben Jahr. Da hab ich zumindest was gelernt. Gestern ist mir der Rucksack dann zunächst auch so leer vorgekommen, grad halb voll mit meinem Gewand und so… Am Weg zum Flughafen heute hab ich dann gemerkt, dass ich auch mein Handtuch in Coburg gelassen hab, was jetzt allerdings kein Euphemismus ist, sondern ein Unglück, das mich mental die Hände über dem Kopf zusammenschlagen lässt. Ausgerechnet das Handtuch vergisst er… Es ist so komisch, weil ich heute in der Früh noch die Zimmer kontrolliert habe, ob ich irgendwo was liegen gelassen habe: Strategisches Ausziehen, ein Zimmer nach dem anderen: Schlafzimmer – Check!, Badezimmer – Check!, Wohnzimmer – … mnja, bisschen komplizierter, weil ich da noch den Mist rausbringen muss. Aber als ich nach dem Badezimmercheck die Stufen ins Erdgeschoss runtergestiegen bin, hab ich mir echt gedacht, es ist so seltsam, dass ich das so mache, weil ich seh doch gar nicht richtig, was ich da anschaue, weil mir diese Zimmer so vertraut geworden sind, sie so von mir in Beschlag genommen worden sind, dass ich das gar nicht wirklich sehe, wie sie anders sein sollten, ohne mich. Oder was in der Art, ganz genau kann ich den Gedankengang jetzt nicht mehr rekonstruieren. Aber ich hab auf jeden Fall darauf reflektiert, dass ich hier die Zimmer checke und irgendwie muss ich auf irgendeiner Ebene festgestellt haben, dass ich das nicht ordentlich mache, weil ich da gerade mein hängendes Handtuch übersehe, während ich glaube, kontrolliert zu haben, nichts vergessen zu haben.

They didn’t even call the flight, did you hear them call the flight?“ Nicht nur, dass der Flug nicht ausgerufen wurde, das Gate war auch gesperrt, während wir geboarded sind. Haben. Eingestiegen sind.

Und jetzt bin ich sans Handtuch in Tassie. Auf der anderen Seite, abgesehen davon, dass das Handtuch liegen zu lassen für einen Reisenden schon ein schlechtes Omen ist, ich hatte auch schon seit einiger Zeit vor, mir ein anderes Handtuch zu kaufen. Weil es da diese leichten Handtücher gibt und während ich zwar oft einmal finde, dass ein Handtuch gar nicht so schwer ist, vor allem ein trockenes, sind diese leichten Handtücher doch deutlich, naja, leichter und insgesamt platzsparender. Und trocknen tun sie letztlich auch flotter. Als doch recht konservativer Adopteur von Innovation, hab ich halt einfach irgendwo ein normales Handtuch lieber als so eines aus irgendwelchen Weltraumfasern und halte sie deshalb ein bisschen für Unfug, eine Spielerei für überausgerüstete, ein Accessoire für Am-Puls-der-Zeit-Reisende, ein Gimmick.

Ausgerechnet das Handtuch.

Nevertheless. Ich werde jetzt einmal in den Outdoorshop gehen und mich nach einem Spaceagehandtuch umsehen.

Fields of Tea

Solo hinter mir gelassen, bin ich in Bandung. Was wirklich empfehlenswert ist, ist eine Zugfahrt, zum Beispiel von Surakarta nach Bandung. Weil der Zug ist super, ich mein, gut, ich bin in der Eksekutif Klasse gesessen, und immerhin hab ich dreissig Euro für die acht Stunden gezahlt. Aber dafür ist es urschön, wenn man aus dem Fenster schaut. Ich hab nämlich kurz einmal einen Nachtzug kontempliert, aber schnell einmal verworfen. Weil acht Stunden durch die javanesische Landschaft tuckern, da will ich schon zuschauen können. Und es ist dann wirklich einfach traumhaft, abwechselnd und ineinandergreifend Regenwald und Reisanbau.

Ich hab mal wieder die GoPro entstaubt. Dabei hab ich festgestellt, dass das Klumpert beim Urwaldraften nicht ordentlich funktioniert, also nicht aufgenommen hat. Hier hab ich mit dem Zeitrafferdings rumprobiert, das die Kamera anbietet. Mir wird ein bisschen schlecht dabei, muss ich sagen. Die Audiospur ist übrigens in normaler Geschwindigkeit und zehn Kilometer weiter aufgenommen. The Magic of Cinema™.

Und dann halt Bandung. Bandung ist mal wieder superbusy und ich hab mich mehr oder weniger gegenüber vom Bahnhof eingenistet, damit auch ziemlich im Zentrum. Ich steh schon immer wieder einmal ein paar Minuten, bevor ich über die Straße komm, das ist der Verkehr. Tatsächlich kann ich nur wenig sagen, am Anfang immer noch ein bisschen der Kulturschock, weil halt alles laut und schmutzig. Und zum ersten Mal sehe ich jemanden, von dem ich glaub, dass er bettelt. Weil das wollte ich schon seit Wochen einmal sagen: so arm die Gegend vielleicht ist, ich hab nie Leute betteln gesehen. Und jetzt vielleicht eben doch noch. Über die Obdachlosigkeit ist schwieriger zu urteilen, ich glaub, da sind die Übergänge auch flüssig. Es wird schon Leute geben, die mit ihren Familien unter zusammengelöteten Metalldächern leben. Und vielleicht dann auch mal jemand ohne Dach. Ich mein, die Becakfahrer – die lokale Rikscha – liegen selbst oft auf dem Passagiersitz ihres Gefährts, während sie darauf warten, dass es kühler wird oder Kundschaft daherkommt. Und da schlaft der eine oder andere (ich hab echt nur Männer in dem Job gesehen) gern auch einmal ein bisschen ein. Ich mein, die Leute schlafen auch so gern einmal quer über ihr Moped oder irgendwo in einer ruhigen Ecke und schlafen durch die Nachmittagshitze. Ist nur vernünftig.

Heute hab ich mir jedenfalls einen Ausflug organisiert. Weil ich noch nicht genug Kraterseen gesehen hab und überhaupt wollte ich auch gern noch auf einen Vulkan, weil auf Vulkane steigen ist immer lässig und das geht leichter dort, wo s auch Vulkane hat. Quasi: Voraussetzung. Ich hab ehrlich nicht gewusst, dass Indonesien so viele Vulkane hat. Nämlich sogar Krakatoa. Never would have thought. Ich mein, der Name klingt schon so nach Hawaii, nicht?

In diesem Gebäude hat neunzehnfünfundfünfzig die erste Afrika-Asien Konferenz stattgefunden. Deswegen heißen die teilnehmenden Staaten auch Bandung-Staaten: „In späteren Jahren wurde die Solidarität durch Differenzen unter den teilnehmenden Ländern zunehmend erschüttert, so dass die Vereinigung keine Rolle mehr spielte.“ Schade.

Das hab ich mir organisiert. Und weil ich gerade genug von Hot Springs hab, hab ich die ausgelassen. Naja. Ich hab wenig Lust daran, allein in einer heißen Quelle zu sitzen, das ist irgendwie schon eine soziale Beschäftigung. Also nur den „weißen Krater“ für mich, danke schön: Kawah Putih. Kratersee in einem aktiven Vulkan. Tatsächlich hab ich viel daran gedacht, dass dieser See eine neue Errungenschaft für meine Sammlung von Seen, die eine Farbe haben, die man von einem See nicht erwarten würde, ist.

Nach eineinhalb Stunden sind wir schon am Krater (nachdem ich in der Früh angerufen worden bin, dass mein Fahrer „five to seven minutes late“ sei. Aber es stimmt, dass die Fahrer allesamt total pünktlich waren. Am Krater dann ein bisschen eine Überraschung, weil ich noch hunderttausend Eintritt zahle und dann in einen orangen (die Niederländer schon wieder?) Bus zum Warten verwiesen werde. Weil wir warten jetzt noch, bis der Bus wirklich voll ist. Ich mein: wirklich voll. Interessanterweise gibt s ein Schild, das das Eigengewicht vom Bus mit neunhunderneunzig Kilo bezeichnet und als maximale Passagierzahl elf ausweist. Ein idealer Passagier hat in Indonesien übrigens nur sechzig Kilo. Tatsächlich sind wir dann dreizehn Leute im Bus. Neben mir sind ein paar malayische TouristInnen, drei IndonesierInnen, ein Libanese und noch zwei, die aber vorne beim Fahrer im Hütterl sitzen und sich nicht vorstellen. Ich glaub, wir sind immer noch unter Busgewicht, aber nicht viel und das lässt sich der Bus auch anhören. Wir kurven noch neun Kilometer auf den Berg hinauf und manch eine Kurve nimmt der Fahrer mit etwas mehr Schwung als ich ideal finden würde. Und es geht ja nicht nur mir so. So bei der Hälfte rasen wir mal in einer Kurve knapp an einem uns entgegenkommenden Auto vorbei und es gibt einen Moment kollektives Ausatmens gefolgt von einer Runde nervösem Kichern all around.

Oben ist der See und ich bin total überrascht, wie hier alles total aufgeräumt und touristisch durchgecheckt ist. Mit Geländern und Treppen und Absperrungen und Verbotsschildern. Mein Lieblingsverbotsschild macht darauf aufmerksam, dass man seinen Müll nicht liegen lassen soll. Ich weiß natürlich nicht genau, wie das auf Indonesisch formuliert ist, aber auf Englisch haben sie sich für No Littering! Litterbugs Are the Trash Itself entschieden. Bussi!

Und das Wetter war auch super.

Der Kratersee ist unwirklich. Mehr kann ich kaum sagen. Wie schon im Bus rauf sind vor allem asiatische TouristInnen da, ein niederländisches Pärchen grüßt mich mal wieder vor lauter Fremdheit drumrum, und dann seh ich sogar noch eine ganze Reisegruppe junger EuropäerInnen. Interessant fand ich dann doch, dass die meisten Gäste so im Zugangsbereich des Kratersees bleiben und von dort ihre Bilder machen. Das ist auch eine schöne Stelle, kein Zweifel. Ich selbst habe aber schon das Bedürfnis, bisschen weiter zu schauen und kletter am Ufer herum, bis ich hier und da auf das Bis-hierher-und-nicht-weiter-Schild komme.

Am Kratersee hat man alle paar Meter auch die Möglichkeit für zusätzliches Geld auf einen Steg oder einen Skywalk zu gehen.

Nach einer Stunde oder so gehe ich wieder zurück zum Bus. Ich muss gestehen, dass die Warnschilder, die sagen, dass man aus Gesundheitsgründen maximal eine Viertelstunde am See verbringen soll, weitgehend ignoriert habe. Mein Gefühl war, ich hab jetzt genug Schwefel geatmet und das hat mir nie wirklich was getan. Außerdem hat ein Blogeintrag im Internet gesagt, dass das nicht wirklich schädlich ist. Und ich mein… eben. Nach vierzig Minuten ist mir aber doch etwas schwummrig geworden, ich hatte bisschen Hustenreiz und insgesamt, ja, es war Zeit für ein Ende. Der Schwefel ist übrigens warum der See so milchig wirkt, da ist halt massiv Schwefel gelöst drin. Unter niederländischer Besetzung ist hier Schwefel abgebaut worden und dann noch ein bisschen unter japanischer.

Am Heimweg bleiben wir noch an einem Teefeld stehen. Weil ich hab kein Interesse an heißen Quellen, aber eine Teeplantage find ich schon interessant. Es ist total schön. Es ist wirklich irrsinnig herzig, weil Tee – das wusst ich nicht – auf Bäumchen wächst, die halt abgeerntet werden, aber es bleibt dabei eine Art Rebe stehen. Aber ja, man kann s sicherlich einfach auch als Bäumchen bezeichnen, ohne die Weinassoziation. Ich stehl mir ein paar Blätter und koste. Es ist zuerst etwas langweilig und dann schnell sehr bitter. Aber es kommt schon ein Teegeschmack durch, der bleibt dann auch noch einige Zeit, nachdem ich die Blätter mal ausgespuckt habe. Aber kurz darauf nehm ich noch ein paar. Weil: doch gut, irgendwie.

Angeblich (!) gehören irgendwelche Plantagen hier in der Gegend auch der Königin von England, sagt mein Fahrer. Aber in feinster Gerüchtemanier ergänzt er, dass er das längst schon mal hätte nachschauen sollen, anstatt es andauernd ungecheckt rumzuerzählen.

Wir sind dann drei Stunden oder so im Auto gesessen, weil der Verkehr in Bandung ist ungut, wenn am Sonntag die ganzen LokaltouristInnen auch rein oder raus wollen, ich weiß nicht. Wir fahren auch ein bisschen im Kreis. Im Radio hör ich eine Nummer, die ich ganz gut finde, bis ich jetzt zuhause gemerkt habe, dass Julia Michaels way nicht so underground ist, wie ich beim Hören gedacht hab. Überhaupt steht im Wikipedia nichts über sie persönlich sondern nur ihre MTV Music Awards und so Zeug. Halt trotzdem, ein sensibles Lied über soziale Angst. Es ist ja, so nebenbei, nicht so einfach, für social anxiety einen deutschen Begriff zu finden, der das Thema ernst genug nimmt – ich finde ja, dass „Angst“ da ein wenig versagt – und zweitens aber auch nicht so klinisch wie Angststörung klingt, damit kann ich mich im Alltag auch schwer identifizieren.

Aber ja, drei Stunden im Auto, zwei Stunden im Stau. Heute sei es schon besonders schlimm, er wisse auch nicht, was da los sei, heißt s vom Fahrersessel. Ich krieg aber derweil ein bisschen Nervosität zusammen, weil ich gestern am Bahnschalter so stehengelassen wurde: Als ich um halb eins dort war, hat s geheißen, er macht erst um eins auf. Dann war ich spazieren und um halb fünf wieder dort, hieß es: sorry, wir machen um vier zu. Und ich fahr morgen nach Jakarta, das war schon fix, weil ich ein Hotel gebucht hab. Zumindest hab ich gestern aber erfahren, dass der Zug um halb zwölf schon voll sei, es gäbe noch einen um vier, um fünf und einen um sechs in der Früh. Na gut, denke ich resigniert, dann also heute. Und natürlich machen sie heute ebenfalls um vier zu, wie immer. Deswegen bin ich langsam nervös geworden, als wir um drei noch zweieinhalb Kilometer entfernt waren.

So klingt s im Bandunger Bahnhof um halb eins, während ich überlege, ob ich jetzt ein halbe Stunde warten oder halt am Abend wiederkommen soll. Dabei stehen übrigens nicht gerade sechzig Leute am Schalter zwei und weitere sechzig am Schalter drei an.

Ich bin dann auch tatsächlich ausgestiegen. Jetzt: keine Überraschung, dass sich der Verkehr fünfhundert Meter weiter aufgelöst hat. Ich hab leider den Moment verpasst, ich war wohl zu konzentriert beim Mich-durch-den-Verkehr-schlängeln-ohne-angefahren-zu-Werden. Und gut so. Und eine halbe Stunde später stand ich in der Station. Zuerst hat mir die junge Frau gesagt, dass ich an Schalter fünf mein Ticket gleich kaufen kann. Ich brauch wohl keine Reservierung mehr dafür. Ok, Schalter fünf ist nicht, wie ich zuerst gedacht hab, der Schalter an dem sechzig Leute anstehen. Puh. Allerdings sagt der junge Mann an Schalter fünf, dass es nur noch Plätze im Zug um vier und in dem um fünf gibt. Argl. Na gut. Na gut… ok. Dann halt um fünf. Morgen Früh um fünf in den Zug nach Jakarta. Einmal bitte, Eksekutif.

Selamat Waisak

Am Samstag um drei Uhr aufstehen um einen Sonnenaufgang anzuschauen – das ist etwas, was man im Urlaub macht. Das passiert einem sonst nicht, nicht wenn man allein ist. Am Freitag bin ich dafür auf einen Sprung in so einem Geschäft gewesen. Mein Hotel ist zwar super gelobt worden dafür, wie viel Unterstützung man vom Besitzer für Planungen und für Ausflüge bekommt, aber weil grad nicht so Saison ist, war meistens nur einer, der darauf aufpasst, dass die Wasserlieferung im richtigen Gebäude ankommt. Ich bin also hier in der Nebenstraße dann in eine Tourismusinformation gegangen. Das ist ja auch interessant, dass das bei uns ein Qualitätssiegel hat, quasi: was offizielles. Und da bekommt man dann eben das. Aber hier schreibt sich das natürlich jede auf die Tür, die Programme für AusländerInnen parat hält. Also, wenn man zum Beispiel Ausflüge und Touren zu verkaufen hat. Beim Spazierengehen in den Tagen davor hab ich schon immer einmal Ausschau gehalten und dabei eine entdeckt, die mir sympathisch gewirkt hat und da bin ich dann also hin.

Dort hab ich als erstes gelernt, dass Waisak schon am Samstag gefeiert wird und zwar in den Sonntag hinein. Waisak, das hat mir noch L. gesagt, was ich für ein Glück hätte, weil da eben gerade dieses Fest gefeiert werden würde, wenn ich in Yogyakarta (Jogja) bin, irgendwas mit BuddhistInnen und Laternen. Natürlich hab ich mir eine Reihe von Nonnen und Mönchen vorgestellt, die Ich gehe mit meiner Laterne singen. Tatsächlich wird der Geburts-, Todes- und oder aber vor allem der Erleuchtungstag Buddhas gefeiert. Und dazu schreiben wir Wünsche auf Lampions, die wir dann in den Himmel steigen lassen. Ich weiß nicht, ob die Nonnen und Mönche das auch machen, aber das machen wir, die wir noch stärker im Weltlichen verhaftetet sind. Und ich hab mich gefragt, wer denn diese Wünsche liest – weil natürlich mit meinem kulturellen Hintergrund ist Wünsche formulieren und Hoffnung darauf haben, dass man diese Wünsche erfüllt bekommt sehr nah bei einander. Quasi dasselbe. Aber jetzt denk ich mir, vielleicht ist es eher was mit loslassen und die Wünsche gehen lassen. Dann hätte ich natürlich total die falschen Sachen draufgeschrieben…

Nun, ich hatte gedacht, Waisak sei erst am Sonntag. Was es ja auch ist, aber man feiert wohl hinein, nachdem es sich um eine Nacht-Sache handelt mit den Lampions und so. Als nächstes hab ich dann erfahren, dass der Ausflug, der mich das Fest nach Borobudur bringt, mich abends hinbringt und der Tempel selbst für die Zeremonie gesperrt ist. Na bravo. Also erst einmal: wie komm ich nach Borobudur und nach Prambanan, damit ich die Tempel tatsächlich anschauen kann. Im zweiten gibt s außerdem ein, aber nur Samstag, Dienstag und Donnerstag… Und wie schaut s aus mit den Ausflügen zum Vulkan. Und zum anderen Vulkan?

Ich bin lange in der Tourismusinformation gesessen. Aber es war nett, ich hatte eine nette Unterhaltung mit den TourismusinformantInnen und das hat ein bisschen geholfen, dass ich diese ganzen Überlegungen nicht nur im Kopf durchführen musste, sondern ein bisschen drüber reden konnte um meine Optionen abzuwägen. Allein Entscheidungen treffen, wo die Kosten plötzlich in den Millionenbereich schießen… das muss ich nicht haben. Aber natürlich, der Nachteil, wenn man sich diese Sachen mit Leuten durchdenkt, die einem diese Sachen auch verkaufen wollen: Ich hab dann einfach alles genommen und mich für beide Touren entschieden: Tempel und Tempel und dann nochmal den Tempel am Abend mit Lampions. Ja, ich mein, rechnet man s runter sind s ja trotzdem nur sechzig Euro, das ist e ok.

Eine von diesen Seitenstraßen in Yogyakarta

Das ist insgesamt ein Problem, weil man ja gewohnt ist, ein bisschen knausrig zu sein, einfach aus Prinzip. Und dann hat der Taxifahrer gestern mit Hundeaugen gesagt, er kann mir keine zweitausend auf meine zwanzigtausend rausgeben. Und ich denk mir, du Hund! und ärger mich darüber, hier beschissen zu werden. Vielleicht ist es auch mehr das, dass es unangenehm ist, betrogen zu werden. Aber dann denkt man drüber nach und irgendwie ist es sofort etwas beschämend, für zwölf Cents doch etwas aufgewühlt zu sein. Das ist wahrscheinlich eine ganz gute Übung für den Umgang mit Geld allgemein.

Auf jeden Fall werde ich für das Geld von daheim abgeholt, zum Sonnenaufgang geführt, und darauf geschaut, dass ich nicht nur Borobudur – zu dem ich schon weiß, dass es um dreißigtausend auch einen öffentlichen Bus gibt – sondern auch Prambanan zu sehen bekomme, ist auch. Und Waisak von mittendrin erleben und alles das. Und zwischendurch sitz ich dafür etwa – warte einmal – neun Stunden im Bus. Natürlich, sag ich, natürlich machen wir das. Und dann nehm ich mir die Broschüre bitte noch mit, weil vielleicht will ich ja doch noch das blaue Feuer anschauen (nur in Java und in Irland – wird vielleicht eher Irland werden), dass dabei entsteht, wenn irgendwas mit Schwefel brennt unter irgendwelchen bestimmen Umständen. Die Vulkane sind, nun, der Bromo, der ist zugesperrt, weil da weiß man nicht so genau. Der raucht seit zwei Wochen, Touristen dürfen zehn Kilometer ran. Wenn das so gesagt wird, hab ich immer den Eindruck, dass da noch einige Einheimische dabei sind, die nach wie vor an den Hängen wohnen. Und der Mount Merapi der ist sowieso seit Jahren eigentlich gesperrt. Kann man trotzdem raufgehen, aber mit Guide und dauert wohl zwei Tage für rauf und runter. Skip.

Also steh ich auf um drei in der Früh. Es ist ein bisschen später geworden als gehofft mit dem Hinlegen, weil ich noch im Computer rumgetippt hab und dann hat der mal wieder das gemacht, wo er sagt, tut mir leid, ich hab null Bytes frei auf der Festplatte und wenn du was löschst, dann ist mir das egal, mach ich keinen Speicherplatz frei oder den freien Speicherplatz sofort wieder voll – kommt ja auf s selbe raus. Was machen wir denn da, ich kann nix speichern, nix auslagern, ich stürz jetzt einfach mal ab und beim Neustarten lass ich dich dann nicht mehr ins Betriebssystem hinein, weil dafür brauch ich auch irgendeinen Cache oder was, den ich nicht anlegen kann. Und dafür brauch ich dann zwei Stunden, dass ich das wieder fixe. Addio, Rocky I-IV, ihr habt mir dann doch noch Speicherplatz freigemacht. Na, war s auch halb zwölf.

Nach den dreieinhalb Stunden Schlaf steh ich also auf und setz mich ins Auto hinten rein. Ich hab einen schönen Rucksack gepackt mit Jause und Jacke und Kapperl und Sonnencreme. (Die Sonnencreme – by the way – ist mir unlängst im Rucksack ausgeronnen, war aber kein größeres Malheur.) Wir fahren noch ein bisschen in Jogja herum, ein paar Leute abholen, ein paar NiederländerInnen, immer diese NiederländerInnen, ein paar Deutsche. München. Das ist wohl auch so eine Stadt, wo man die Stadt sagt, wenn man gefragt wird, wo man herkommt. Oh ja, zwei FranzösInnen waren auch dabei. Und zwei – sorry – AsiatInnen. Ich stell mich hier nicht hin und sag mit irgendeinem Quantum an Selbstsicherheit: das waren ChinesInnen, wie ich das in Australien gemacht habe. Dafür ist hier zu viel los. Und es ist nur fair, dass beim Waisakfest am Abend die Mistress of Ceremony gefragt hat, ob Leute aus Indien da sind? Jaaaa! und aus China? Jaaaaa! Japan? Jaaaaa! Australien? Jaaa! Und dann Europa einfach als Europa? zusammengefasst hat. Man ist schon irgendwo anders unterwegs im Kopf, wenn man aus Europa kommt. Da vergisst man manchmal schon, dass es sehr viele andere Leute gibt.

Den Sonnenaufgang selbst kann man ja nicht hören, aber hier ruft ein Muezzin möglicherweise zum Morgengebet und/oder dazu auf, mit dem Frühstück aufzuhören. Außerdem Grillen und ein früh aufgestandener Aufkehrer.

Aber ja, wo war ich? Im Bus. Im Bus Richtung Westen, halb vier. Um dreiviertel fünf stehen wir in Borobudur. Und ich weiß, ich hab nicht den Sonnenaufgang im Tempel gekauft, weil sie mir gesagt haben, das geht nicht für eine Person beziehungsweise schon, aber dafür schicken sie kein Auto, ich müssert hinten auf einem Moped sitzen für die eineinhalb Stunden raus und die eineinhalb Stunden zurück. Insofern, thank you m’am. Aber jetzt um zehn vor fünf steigen alle aus nur ich krieg ein Not you vom Fahrer. Not me, then. Ich werde nämlich auf einen Hügel geführt, der eine Aussichtsplattform ist und der es geschafft hat, Eintritt dafür zu verlangen, dass man in die Richtung von Borobudur schauen kann und die Sonne mehr oder weniger dahinter aufgeht. Ich solle nicht glauben, dass ich von dort die ganzen Details des Tempels erkennen werde, haben sie schon zu mir in der Tourismusinformation gesagt. Nachdem meine Kenntnis des Tempels überhaupt minimal ist, hab ich ihn gar nicht so recht entdeckt von meiner Aussichtsplattform. Aber immerhin bin ich um fünf der erste und nehm mir den Sitzplatz, den mir der Standorterklärer nahelegt. Und der Sonnenaufgang ist tatsächlich sehr schön. Die Sonne geht weniger hinter dem Tempel auf, oder was ich, als es heller wird vermute, dass der Tempel sein könnte, sondern hinter dem Mount Merapi, was e super ist. Mit dem Fernglas (!) sehe ich (glaube ich zu sehen), dass Rauch aus dem Krater aufsteigt und auch an manchen Stellen der Hänge sehe ich Schwaden in den Morgenhimmel aufsteigen. Kann auch einfach ein Morgennebel oder so was gewesen sein, aber tatsächlich ist der ganz gut aktiv. Und die gute Venus tut ihrem Namen total die Ehre und rast ebenfalls über Merapi hinaus in den Himmel. Wohl: rast, so schnell ist die auch schon wieder in den Wolken verschwunden. Und natürlich im vermehrten Tageslicht.

Ich mein, ich hab die Einstellungen in meiner Kamera-App eindeutig nicht gut unter Kontrolle. Wenn ich an dem Tag was gelernt hab, dann auf jeden Fall, dass ein Telefon als Fotoapparat seine Grenzen hat. Trotzdem schön: Venus über Vulkan.

Es ist schön, weil es so Klischeebilder vom Regenwald erzeugt, der im Morgennebel steht. Ich glaub ja, am glücklichsten sind wir, die UrlauberInnen, wenn wir Fotos von Dingen machen können, die den Fotos, die wir von den Dingen bereits einmal gesehen haben, möglichst ähnlich sind. Anders lässt es sich nicht erklären, dass ich unlängst dutzende Fotos von Reihern gemacht habe, die auf den Schultern von Wasserbüffeln balancieren, die ihrerseits im Reisfeld stehen. Und an diesem Samstag habe ich mehr als zweihundert Fotos von Tempeln und Regenwald im Morgendunst gemacht. Zurückgehalten habe ich mich bei den betenden BuddhistInnen in ihren orangen Roben. Das ist auch so Klischee und die Nonnen und Mönchen stört das auch nicht wirklich, auf jeden Fall haben da ein paar Leute wie wild geklickert, von so zwei Handlang entfernt, als der eine Mönch in Borobudur eine Stupa angefasst hat. Das ist auch so Klischee, aber mir zu viel. Das bekopftuchte Mädchen, die mit vor zwei Wochen lachend auf ihrem Pferd entgegengekommen ist, da hab ich mir auch gedacht, das wär schon ein Foto wert gewesen, irgendwie. Auch wenn s halt ultra-klischee ist, aber so lernt man s halt bei der World Press Photo.

Classic morgendlicher Urwald

Aber ja, alles nicht so einfach. Wenn man so einem Sonnenaufgang zuschaut kommt man halt manchmal ein bisschen ins Nachdenken. Oft weiß man ja gar nicht, was man tun soll mit so etwas einfachem, so etwas alltäglichem. Wie man dem die Bedeutung verleiht, die man ihm ja bereits gegeben hat, indem man um drei in der Früh aus dem Bett gestiegen ist. Am besten noch ein paar Fotos machen.

Um sechs herum werde ich dann auch schnell nach Borobudur geschupft. Jetzt, ein bisschen ein Hintergrund: Buddhistische Tempelanlage – die größte, wie gerne betont wird – ihrer Art. Im neunten Jahrhundert zirka ist das erbaut worden und aber relativ schnell wieder stehengelassen worden. Wie gesagt, kaum sechs- bis siebenhundert Jahre später gab s ja gar keine BuddhistInnen mehr in Java. Und jetzt ist die ganze Gegend aber vorher schon weitgehend verlassen worden, vermutet wird der eine oder andere Vulkanausbruch, wegen dem die BewohnerInnen das Land weitgehend aufgegeben hätten. Im neunzehnten Jahrhundert haben dann verschiedene europäische Expeditionen den Tempel entdeckt, freigelegt (von Dschungel und Vulkanasche) und zu dokumentieren begonnen. Und halt auch renoviert oder wiederhergestellt. Man sieht das ein bisschen, wie manche Teile einfach neuer sind als andere.

Und manche Stellen sind auch offensichtlich nur provisorisch wiederhergestellt. Interessant ist aber auf jeden Fall, dass die Borobudur’schen Reliefe eine seltene Quelle für die Kleidung der javanesischen Nobilität im neunten Jahrhundert sind.
Am Morgen dreht eine Gruppe BuddhistInnen ihre Runde um den Tempel. Eine Gruppe TouristInnen wartet geduldig, bis sie durchgezogen sind und den Zugang zum Tempel freigeben.

Also, der Tempel hat drei Ebenen, sagt die Broschüre, die den drei äh… die Kāmadhātu, Rūpadhātu und Ārūpyadhātu entsprechen. Um ehrlich zu sein, erschließt sich mir das jetzt nicht ohne weiteres, nicht aus der Broschüre, aber auch nicht wirklich aus der Wikipedia. Die Ebenen repräsentieren verschiedene „Welten“, in denen der Mensch mehr oder weniger seinen Sinnen unterworfen ist bis zur Befreiung durch die Erleuchtung in Ārūpyadhātu. Dementsprechend ist diese auch die letzte, oberste Ebene, wo nur noch Stupas und Buddhastatuen stehen. Die Zwischenebene fand ich am interessantesten, weil da sind viele Reliefs, die verschiedene Geschichten aus dem Ramayana zeigen. Also, da gibt s zum Beispiel diese Geschichte wo der gegen den Affenkönig kämpft. Oder wo der Krishna was besonders cleveres macht. Aber ich hab keine FührerIn und bin in diesen Geschichten ja nicht besonders bewandert. Aber ich mag den Stil der Darstellungen ganz gern, in denen die Szenen doch oft ganz lebendig werden, auch wenn ich die Geschichte nicht genau kenne.

Statuen, Stupas und Reliefe auf der Ostseite von Borobudur. Man sieht, dass die Sonne langsam hochkommt.

Auf der obersten Ebene laufen ein paar Europäerinnen in weißen Hemden mit Blumen in der Hand ihre Runden, andere sitzen im Lotus und schauen auf den Urwald oder die Innenseite ihrer Augenlider. Ein einzelner Mönch zieht die Aufmerksamkeit eines Spiegelreflexkamerabesitzers auf sich, der das wiederum ruhig mit sich geschehen lässt, obwohl scheinbar niemand mehr ein Foto macht sondern es gleich vier, fünf Mal klickern lässt, bevor er den Finger wieder vom Auslöser nimmt. Andere wecken die Aufmerksamkeit von SchülerInnen, die von ihren LehrerInnen geschickt werden, um ihr Englisch an TouristInnen auszuprobieren. Das ist mir hier mittlerweile auch schon öfter passiert ist aber in der Regel ganz nett. Ich hätte ein, zwei Tipps zur Fragengestaltung und Interviewführung, aber ist ja nicht mein Job. Nein, die machen das super und in irgendwelchen Englischklassen laufen jetzt Videos von mir, wie ich davon erzähle, wie nett ich die IndonesierInnen finde, wie fröhlich und offenherzig. Sama sama.

In ihrer Repetitivität und Schlichtheit wirkt eine buddhistische Tempelanlage auch tausend Jahre später zeitgemäß. Dazwischen ein Hinweisschild, sich nicht auf die Stupas zu setzen.

Interessant ist, dass ich hier am Eingang einen Sarong bekomme, weil ich in kurzen Hosen unterwegs bin und es warad wegen dem Respekt. Ich mein, interessant, weil ich das sonst nur aus Kirchen und Moscheen kenne (war ich überhaupt jemals in einer Synagoge?) und da sind s dann eher die Frauen, die ein Tuch für um die Schultern oder für über den Kopf bekommen. Aber hier sind die Männerwaden nicht gerne gesehen und das entspricht in Wahrheit ja eh meiner üblichen Herangehensweise an Shorts, insofern hab ich echt kein Problem damit. Dann wiederum muss das auch nicht einfach umgedrehter Sexismus sein, kann ja auch sein, dass Frauenwaden gar nicht besonders als der Respektlosigkeit im Stande betrachtet werden. Man weiß ja nie so recht bei den Religiösen. Nachdem ich mit einer Tour unterwegs bin, muss ich mich ein bisschen am Riemen halten und auch wenn ich gerne ein Stündchen mehr gehabt hätte, vielleicht um einen Sprung ins archäologische Museum zu schauen, muss ich mich letztlich sputen, mach noch zwei Fotos von den Elefanten und dann sitzen wir schon wieder im Bus auf dem Weg nach Prambanan.

Ein langer Weg nach Prambanan

Prambanan ist ein weniger gut in Schuss als Borobudur. Auf den zweiten Blick. Auf den erste ist es viel eindrucksvoller und löst mir gleich einmal eine Gänsehaut aus. Dabei ist es ja schon elf oder so und es wird langsam richtig warm. Der Broschüre nach ist Prambanan ebenfalls im neunten Jahrhundert gebaut worden. Ich hab irgendwo gelesen, dass es besonders sei, dass er als Hindutempel gleich drei Göttern geweiht ist, wo die angeblich sonst auf eine Gottheit fokussieren. Aber hier stehen drei Tempel für Brahma, Vishnu und Shiva. Schöpfer, Erhalter und Zerstörer. Und das ist doch sehr gewöhnungsbedürftig, wenngleich die Notwendigkeit vom Ende, das kann ich schon auch ein bisschen anerkennen, und dass Shiva damit so eine Neutralität besitzt zeugt von einer sehr unterschiedlichen Weltsicht. Nicht nur das, Shivas Tempel ist tatsächlich der große in der Mitte. Außerdem stehen den großen Tempeln noch drei kleinere gegenüber, die den Vehikeln der drei Gottheiten geweiht sind. Es ist alles sehr fremd. Aber auf den Tempeln der drei Götter sind wieder Geschichten in Reliefs erzählt und an die halte ich mich. Außerdem bin ich, ähnlich wie in Borobudur, schon fasziniert von den Steinen, von diesen riesigen Anlagen aus rohem Stein, der hier seit über tausend Jahren im Urwald steht. Und ja, auch diese Anlage ist schnell einmal verlassen worden, nachdem sie erbaut wurde und erst in den letzten hundert Jahren wieder aufgebaut worden. Um die Haupttempel herum stehen hunderte kleine Tempel, die nahezu alle komplett zerstört sind und deren Wiederaufbau ein fortlaufender Prozess ist. Außerdem war da vor nicht all zu langer Zeit ein Erdbeben, das hat auch in den großen Tempeln nochmal einiges ins Wanken gebracht.

Schneller, aber mit einer ähnlichen Regelmäßigkeit wie die buddhistischen Klanghölzer, fallen hier die Hämmerchen. Es klingt insgesamt mehr nach Wiederaufbau als nach Renovierung.

Die Tempel sind jetzt nicht ganz anders als Borobudur. Ein bisschen extravaganter von der Architektur, so gibt s zum Beispiel Dächer. Aber sonst laufen auch hier hinduistische Sagen in Reliefen ab. Außerdem gibt s die Geschichte von einer Prinzessin oder was, die mit einem Prinzen oder was wettet, dass er nicht tausend Tempel in einer Nacht bauen kann. Und er kriegt dann Hilfe von Dämonen – und steigt trotzdem irgendwie als der Held aus. Als die Nacht nahezu vorbei ist, merkt sie, dass sich das ausgehen wird und macht irgendwie ein Licht und dadurch wachen die Hähne auf und fangen zum Krähen an und da denken die Dämonen „Hoppala, ist schon Morgenstund“ und vertschüssen sich. Und er verwandelt sie dann noch in den tausendsten Tempel. Irgendwie so. Ich krieg das ja nur nebenher mit, von denen, die sich am Eingang eine Tourguide gekauft haben.

Schnelle Zusammenfassung: Von der Ästhetik unverkennbare Ähnlichkeiten. In der untersten Reihe Brahma, Shiva und Vishnu (v.l.n.r., und dass von denen tatsächlich zwei nach links und zwei nach rechts schauen war total unabsichtlich).

In der Umgebung von Prambanan beziehungsweise auf dem Gelände, das man mit seiner Eintrittskarte betreten kann, sind noch drei andere Tempelanlagen zu finden, zwei davon sind sicher buddhistisch, bei der dritten weiß ich jetzt nicht auswendig… aber durch die bin ich schon nahezu am durchlaufen, weil zwei Stunden schon wieder knapp sind. Interessant vielleicht, dass im Sewu Tempel, der ebenfalls von vielen dutzenden kleinen, sich im Wiederaufbau befindlichen Tempeln umgeben ist, keine einzige Buddhastatue findet, wenngleich einige Stellen eindeutig dafür gedacht sind. Auch hier wird bereits eine Bühne für Weisak aufgebaut und die Tänzerinnen proben gerade ihren Auftritt als ich Richtung Ausgang haste. Für die zwei Kasuare bleib ich nochmal stehen, aber so richtig foto opportunity ergibt sich nicht.

Und wenn Prambanan schlechter beisammen ist als Borobudur, dann ist trotzdem Sewu nachmal schlechter beisammen als Prambanan.

Und dann geht s heim. Ich schlaf wohl schon ein bisschen im Bus. Als ich im Hotel abgesetzt werde ist es halb eins, ich bin seit zehn Stunden wach und merke, dass ich eigentlich nichts gegessen habe. Ich dusch mich kurz und schau dann, dass ich ein Mittagessen finde. Das ist nicht so leicht, im Ramadan, vor allem, weil ich mich ein bisschen ziere in die Lokale zu gehen, in denen Nasi Goreng bereits vierzigtausend kostet. Fünfundzwanzig zahle ich dann in einem seltsamen Lokal, in dem ich der einzige Gast bin und die beiden BesitzerInnen so überschwänglich freundlich über meinen Besuch sind, dass ich kurz an ihrer Gesundheit zweifel. Während ich esse setzen sie sich wieder an ihren Fernseher. Wie so oft ist der Übergang zwischen Wohn- und Geschäftsbereich nicht ganz deutlich gezogen, das ganze Vorderbühne-Hinterbühne Konzept ist hier weniger deutlich ausgeprägt.

Um drei sitze ich wieder im Bus und werde wieder nach Borobudur geschupft. Das dauert jetzt etwas länger, weil der Verkehr am Nachmittag deutlich intensiver ist als in der Früh. Ich nicke an meinem Fensterplatz immer wieder ein. O, wie sind mir die BackpackerInnengeschichten nicht abgegangen in den letzten Wochen: Um mich herum unterhalten sich Deutsche und HolländerInnen über ihre Abenteuer, unterstreichen, wie lange sie schon unterwegs sind, wie unglaublich Nepal gewesen ist, wie superbillig sie gestern gegessen hätten und wie sehr sie sich auf Bali freuen. Wegen Nepal mache ich mir ein paar Notizen und stöpsel mich dann in meine sowieso vernachlässigten Podcasts ein. Das schlimmste am Reisen sind die anderen Reisenden. Zumindest hier im Bus habe ich keine Lust, mit irgendjemandem in Kontakt zu treten.

In Adam Buxtons Podcast empfiehlt James Acaster beispielsweise Surface to Air Missive.

Es ist schon dunkel geworden, aber wir kurven immer noch ganz schön in Borobudur herum, drehen ein paar Mal um, steigen aus und wieder ein. Die BackpackerInnen lachen, wünschen sich Bier und lästern über schlechte Organisation. Auch in meinen Augen könnten sie uns auch ein bisschen auf dem Laufenden halten, ich hab Verständnis dafür, dass hier improvisiert wird, dass wir andere Leute treffen sollen, dass es dunkel ist und viel los und überhaupt findet das einmal im Jahr statt und dieses Jahr haben sie auch noch ein neues Programm gestaltet, bei dem die TouristInnen ihre eigene Veranstaltung bekommen bevor die echten BuddhistInnen dann ihre eigene Feier um Mitternacht begehen. Und dann natürlich Stress, weil s nicht so läuft wie s soll. Ich habe Verständnis und überhaupt gehen mir die lachenden EuropäerInnen mehr auf die Nerven als nicht und natürlich solidarisiere ich mich im Stillen mit den OrganisatorInnen aus der Tourismusinformation.

Wir haben s dann irgendwann geschafft, bekommen unsere Snacks und das angekündigte Wasser. Um uns herum ist Kirtagsstimmung, Leute verkaufen (und kaufen) Fastfood, Getränke und Spielzeug. Unsere Snacks sind weitgehend unidentifizierbar, auch beim Essen selbst kann ich nicht wirklich sagen, was es ist, Reis, Fleisch, Fisch, Gemüse… keine Ansatzpunkte. Nachdem wir aufgegessen haben gehen wir gemeinsam in die Festivalzone. Hier sind schön schon die Reihen für uns vorbereitet und lassen wir uns auf dem Boden nieder, jede bekommt ihr Platzerl auf ausgelegtem Plastik. Ich glaub kurz, dass das schon die Lampions sind, irgendwie, aber dann sehe ich doch alle auf ihrem Plastik sitzen und außerdem die Lampions, die neben mir in der Wiese wie riesige Tortillas aussehen. Jetzt: Am Boden sitzen tu ich nicht viel und dafür braucht man Übung. Ich sitze lange – und wie ich sagen möchte: mutig – im Schneidersitz auf meinem Plastik, strecke meinen Scheitel zum Himmel und dann atme ich in den Schmerz. Ich weiß nicht genau, wo das herkommt, aber ohne besonderen Kontext würde ich an dieser Stelle sagen, dass ich in einem katholischen Land aufgewachsen bin und selbst, wenn ich das familiär nicht wirklich miterlebt habe, schon gar nicht katholisch, ist für mich offenbar diese ganze Zeremoniegeschichte stark mit Disziplinierung assoziiert. Vielleicht ist es nur der Satz, den ein Professor mal gesagt hat, über die Leistung der katholischen Kirche, dass sie den MitteleuropäerInnen über Jahrhunderte beigebracht hat, still zu sitzen. Und dann denk ich mir eben: muss so sein. Brav sitzen und das bisschen Schmerz, das, hm, naja, das mache sich noch belohnt irgendwie. Irgendwas mit Fokus oder mit… was weiß ich schon. Ganz furchtbar eigentlich. Gleichzeitig bin ich überrascht aber auch irgendwie stolz, wie lange mir das gelingt, doch konzentriert zu sitzen, während irgendwo vor mir aber unersichtlich für mich, ein Mann und eine Frau songcontestartig die Zeremonie einleiten. Also das waren jetzt erst einmal keine BuddhistInnen da vorne sondern eben UnterhalterInnen. Aber nach der ihrer überschwenglichen Begrüßung (s.o.) und einigen einführenden Worten zum Ablauf des Abends, haben sie dann auch an den buddhistischen Mönch übergeben, der jetzt dann eine zwanzigminütige Meditation anleitet. Und an der ersten Anleitung, die er mit dem feinsten Cary Grant Akzent ins Mikrophon spricht, scheitere ich: sitze gemütlich, sodass du nicht angespannt bist, dass dir nichts weh tut, frei von Belastungen. Ich bin von meinem Sitzen leider schon etwas überspannt, und rutsche die ersten Minuten ein bisschen herum, ob da noch was zu retten ist, aber in Wahrheit finde ich gar nicht erst in eine lockere Haltung hinein. Den Mond zu visualisieren und meine Gedanken ruhig zu stellen geht sich dementsprechend auch nicht wirklich aus. Und dann wünschen wir allen lebenden Wesen, dass sie erfolgreich und zufrieden sein mögen, bevor wir uns selbst auch alles gute wünschen und da denk ich dann daran, dass ich auf mein Wunschpickerl, dass wir dann mit den Lampions in den Himmel steigen lassen werden, natürlich nur Dinge geschrieben habe, die ich mir für mich selbst wünsche und nicht auch nur daran gedacht habe, mir für andere etwas zu wünschen. Pffff. Dabei bin ich mir schon erwachsen vorgekommen, weil ich nicht Gelddruckerei, Waschmaschine oder Unendlich viele Wünsche geschrieben hab.

Wie aufgefädelt warten wir auf Waisak.

Na und als dann alle wieder zu sich kommen bekommen wir noch dreimal gesagt, wie das mit den Lampions funktioniert. Die Lampions sind große Papierröhren, die oben rechteckig zugeklebt sind und unten einen runden Metallring haben, in dessen Mitte eine Kerze aufgespannt ist. Erster Schritt ist den Lampion auf Löcher zu überprüfen. Zweitens, Kerze anzünden. Die Frau, die uns von vorne die Anleitung gibt, mahnt uns zur Vorsicht, because we are playing with fire. Nein, denke ich, we are not playing with fire. Wir verwenden ein Feuer und wir sind sehr vorsichtig dabei. (Es brennt dann auch tatsächlich weniger ab, als ich gedacht habe.) Dritter Punkt: Laterne halten, während sie sich mit der heißen Luft füllt. Zwei Personen halten oben, zwei unten. Das tun wir nicht wirklich, aber er kippt uns trotzdem nicht um. Wir haben aber auch eine von den TourismusinformiererInnen bei uns, die hat das letztes Jahr schon gemacht, quasi Profi. Und dann sollen wir den Lampion noch eine Minute länger halten als wir glauben, dass es notwendig sei und dann zählt die Lautsprecherstimme auf null runter. Leider auf Indonesisch und ich hab mir so oft gedacht, ich sollte die Zahlen von eins bis zehn zumindest einmal angeschaut haben. Nachdem wir nicht einmal sicher sind, ob sie von zehn runterzählt und unsere Informiererin irgendwo strawanzen ist, müssen wir warten, bis um uns herum die ersten Lampions aufsteigen und lassen dann auch unseren los.

Ma!, die Hintergrundmusik, die hätte ich schon wieder komplett vergessen gehabt. Öffentliche Veranstaltungen laufen überall nach dem gleichen, anstrengenden Schema ab.

Eine Zeitlang stehe ich einfach da und denke mir, dass das wirklich ganz hübsch ist, auch wenn Borobudur wirklich nur entfernt eine Rolle spielt – quite literally ist Borobudur so weit weg, dass ich von meinem Platz aus nur die Spitze, die Erleuchtungsebene sehe. Es ist hübsch. Dann gestehe ich mir leise ein, dass ich ja wohl auch kein Herz aus Stein habe und hole mein Telefon um auch ein paar Fotos zu machen. Natürlich hab ich den Moment ein bisschen verpasst und überhaupt sind meine Einstellungen nicht ideal dafür, in der Nacht zu fotografieren. Da schallt es über die Lautsprecher, dass wir einen zweiten Lampion steigen lassen werden, nachdem das das erste Mal schon so gut funktioniert hat. Überraschung! Die Tourismusinformiererin meint, das sei wohl, weil die Regierung Leute vorbeigeschickt hat, die da drüben mit der Drohne filmen und die haben vielleicht auch erst ihre Kameraeinstellungen an die Situation anpassen müssen. So hat sie s nicht gesagt, weil sie wusste ja nicht, dass ich diese Schwierigkeiten hatte. Also Nummer zwei. Jetzt acht Leute an einen Lampion, heißt es, aber niemand hält sich daran. Wir finden ein Loch an unserem Lampion, neuer Lampion, alles kein Problem. Ich hoffe, die BuddhistInnen hatten dann später noch genügend Lampions.

Als die Regierung dann ihre Aufnahmen im Kasten hat und ich ob in den Himmel steigenden Lichtern doch ein bisschen schwummrig bin (das war schon schön), erklingt, offensichtlich von schlechtem Weihnachtspop inspiriert, Happy Weisak Day aus den Lautsprechern und wir verlassen das Festivalgelände: Vor den BuddhistInnen hat noch eine zweite Gruppe TouristInnen einen Platz zum Lampions-steige-Lassen gekauft. Hunderttausend hat das pro Person gekostet. Da kriegt der Borobudurpark ganz schön was zusammengesponsort an dem Abend.

Dabei, ich fand schon am Vormittag witzig, als ich gesehen hab, dass es einen Einheimischeneingang und einen TouristInneneingang gibt. Der eine Eintritt kostet fünfundzwanzig Dollar, der andere fünfzehntausend Rupien, das ist etwa ein Euro. Das find ich aber total ok, ich finde das schön, dass man sagt: wir wollen das auch für unsere Bevölkerung erschwinglich machen, die sollen das auch sehen. Jetzt ist Borobudur nicht unbedingt ein nationales Symbol, weil tausend Jahre alter Buddhismus ist nicht wirklich etwas, auf dem der Indonesische Staat aufbaut. Aber es ist die meistbesuchteste Attraktion in Indonesien und da ist es nur fair, wenn die IndonesierInnen das auch einmal gesehen haben. Fix. Das ist als wie wenn der ORF mal seinen Bildungsauftrag wahrnehmen würde und im Kulturprogramm eine kommentierte Version von Sound of Music spielen würde, mit international besetztem Diskussionsgremium nachher.

Und beides zweisprachig angeschrieben.

Dabei, ein bisschen skeptisch war ich schon, als unser Busfahrer gesagt hat: gebt s mir das Geld, dann muss sich niemand anstellen, ich hol euch die Tickets für alle gemeinsam. Aber in Wahrheit wird der nur ein bisschen vom Wechselkurs mitgeschnitten haben und nicht wirklich Einheimischentickets für uns bekommen haben. Weil wir haben in beiden Parks auch Willkommensdrinks bekommen (Tee, Kaffee, Wasser – ich vergesse immer, dass man hier am gern schwarzen Jasmintee trinkt, der mit Milch nicht viel besser ist als ohne) und die sind in den fünfzehntausend nicht mit inbegriffen.

Jedenfalls sitzen wir schnell wieder im Bus und sind schon am Heimweg. Die Heimfahrt vergeht wie im Flug, aber ich bin auch schon wirklich recht müde und schlaf sicher mal ein halbes Stündchen oder so. Auch die NiederländerInnen und Deutschen sind still, vielleicht besinnlich, vielleicht müde. Bisschen schnell vorbei war s, bisschen schnell sind wir wieder weg, aber ich verstehe auch, dass man sich das nicht antun will, zwanzig Mid-Zwanziger in dem nächtlichen Kirtag wieder einsammeln zu müssen.

Beim Aussteigen entschuldigt sich die eine der VeranstalterInnen bei mir für die Verspätung und das vermeintliche Chaos im Ablauf. Ich frag mich, ob sie das nur bei mir macht oder bei allen, aber auf jeden Fall versichere ich ihr, dass das nicht notwendig sei, ich fand s super, sag ich. Und das stimmt schon. Ich tu mir schwer mit diesen Touren, ich kann mich nie ganz mit der Rolle des Herumgeführten identifizieren und bin immer den LeiterInnen ein bisschen näher. Vielleicht ist das eine Arroganz oder die Erfahrung, die ich bei AFS als Organisator von so Unternehmungen gemacht habe, wo ich immer bisschen drauf schau, wie machen die das, was machen die und dementsprechend auch die Toleranz für, ja das Interesse an den Verzögerungen und Missgeschicken habe.

Bisschen foto opportunity ist sich aber schon ausgegangen: endlich eigene Kasuarbilder.

Salan, salan…

Ich bin auf Java angekommen. Ich hab mir von J. und L. noch eine Handvoll Tipps geholt, was hier zu tun ist und dann hab ich mich auf den Weg gemacht. Nochmal Medan zum Abschied und da hab ich schon gemerkt, dass ich an meinem Kulturschock gearbeitet hab und dass ich Indonesien nach zwei Wochen durchaus besser vertrage. Da war auch eine gewisse Vorbildwirkung oder Initiation durch J. und L., das würde ich nie leugnen. Die beiden gehen mit einer Souveränität durch Indonesien, von der ich mir durchaus ein bisschen was abgeschnitten hab.

So hab ich also am Flughafen in Medan mehr oder weniger ruhig gewartet, während der Lionair Flieger, der für zehn vor eins am gleichen Gate wie mein Airasia Flieger (zwanzig nach eins) um eins immer noch nicht mit dem Boarding begonnen hatte. Ist halt so. Im Flugzeug bin ich erste Reihe Gang gesessen, neben mir ein Herr, der sich bereits seiner Schuhe (und Socken sowieso) entledigt hatte, neben ihm ein Herr, der den ganzen Flug in seinem Koran geblättert gelesen hat. Gegenüber am Gang eine Reisegruppe, die alle so bunte Jacken tragen, nebst allerlei Stickerei auch mit einem großen, goldenen Hakenkreuz (linksdrehend) am Rücken. Ja, ich bin weit von zuhause weg.

Final Call… wir sind dann auf der Hinterbühne quasi noch ein oder zwei Gates weitergeleitet worden, ich nehme an, es ist einfacher gewesen, als uns das neue Gate über die Lautsprecher durchzusagen.

Zu den kleineren Unannehmlichkeiten gehört,
(eins) dass es im Flugzeug vor lauter Ramadan nicht einmal Nüsschen oder einen Joghurtbecher Wasser gegeben hat.
(zwei) dass ich im Hotel gemerkt habe, dass ich eine kleine Schabe in meiner Seifendose eingesperrt hatte, die sich beim Holterdipolter der vergangenen zwei Tage (in Medan hab ich zur Hotelseife gegriffen, just so you know) in einen unappetitlichen Scrub verwandelt hat. Hab ich aber schnell aus der Seife gespült gehabt.
(drei) dass sich um drei des Nachts (ist das eigentlich ein doppelter Genitiv? Von wegen der Genitiv von die Nacht sei der Nacht und von der Nacht dementsprechend des Nachts?) jemand in der Tür geirrt hat, sag ich jetzt einmal, und gerne in mein Zimmer kommen wollte. Ich nehme an, bereits als ich das Licht angemacht habe, hat sich die Person draußen korrigiert, als ich dann die Tür aufgemacht habe, war niemand zu sehen. Es kann natürlich auch sein, dass die Wände so dünn sind, dass ich wirklich den Schlüssel in der Nachbartür gehört habe, kann durchaus sein. Ich hab dann noch den Riegel vorgeschoben und weitergeschlafen.

Naja und heute hatte ich eigentlich einen ganz gemütlichen Tag in Yogyakarta, or as the cool kids are calling it: Jogja. Ich hab immer noch etwas gebraucht, um aus dem Haus zu gehen… Es gibt ja nicht so richtig ein Frühstück in Indonesien. Die Leute fangen gleich einmal mit einem Curry oder einer Hühnersuppe an. Und ich bin ganz ehrlich ein bisschen damit überfordert, wenn das nicht im Hotel irgendwo mit inbegriffen ist, mir in der Früh bereits was frittiertes zu bestellen. Es ist – glaub ich zu recht zu behaupten – mehr das Bestellen als das Essen.

Wer ist wieder da…?

Aber ich bin dann bisschen spazieren gegangen und es ist schon etwas touristischer als Medan. Aber der Tourismus ist viel asiatischer Tourismus, die EuropäerInnen sieht man wirklich nur vereinzelt, also selten tatsächlich vereinzelt, ab und zu zwei Mädels, immer wieder mal ein Pärchen, selten mehrere. Dafür in allen möglichen Alterskategorien. Und ab und zu grüßen wir uns, wenn wir irgendwo aneinander vorbeigehen. Es ist sicher eine zweiseitige Sache, wo ich mich in zwei Wochen doch etwas an Indonesien gewöhnt hab, aber Jogja ist auch ein bisschen aufgeräumter und insgesamt weniger überrascht mich zu sehen. Heute wurde ich nicht ein einziges mal darum gebeten, den Selfiehintergrund zu machen.

Die beste Begegnung des Tages hatte ich mit einer älteren Frau, in deren Standl ich mich auf der Suche nach Ronde niedergelassen hatte. (Keine Ahnung was Ronde ist, ich hab halt die Empfehlung… ist es eine Empfehlung oder eine Mutprobe, ich hab den Kontext ein bisschen vergessen.) Sie hat mir mit einem Wort und nach meinem Unverständnis mit einem Wort und einer Handbewegung vermittelt, dass Ronde aus ist. Aber weil ich jetzt schon da war, hab ich mir dann einen Kopi gekauft und dabei quasi mein ganzes Indonesisch an die Frau gebracht. Panas? fragt sie mich. Panas, sag ich. Das hab ich bei den heißen Quellen gelernt, die wir in der Zwischenzeit einmal besucht hatten: Air Panas – heißes Wasser. Das Air Wasser heißt ist ja besonders lustig, wenn man zum Beispiel ein Air Tonic bekommt. Hätten sie direkt in Space Balls verwenden können. Jedenfalls hat sie mir dann einen picksüßen Instantkaffee gemacht. Aber war nicht so schlecht. Ich hab mir nur gedacht: erstens würde ich das Zeugt zuhause aber sowas von nicht trinken. Und zweitens sitz ich hier in einem Land, in dem super Kaffee angebaut wird, in dem ich frische Kaffeebohnen vom Strauch genascht habe (und ich hab das ganz gut gefunden, fast schade, dass niemand Kaffee auf dickeres Fruchtfleisch hingezüchtet hat) und, naja, Instantkopi. Aber gut war er halt doch irgendwie. Und dann hat sie viertausend verlangt und das ist wirklich ok, weil immerhin hat sie einen guten Standort gleich neben dem Sultanspalast. Und lernen tu ich auch noch was: Sie fragt mich was ich tu und antwortet sich selbst mit salan, salan – walking, walking.

Ich hab das auch bei den Schmetterlingen mal gesagt: ich versteh das schon, dass man von der Schönheit angetan ist und sich das irgendwie einfangen möchte, aber daraus entstehen dann halt so Sammelkästen mit toten Insekten. Und so ähnlich ist es damit, dass hier überall Vögel in Käfigen gehalten werden. Das macht eine schöne Geräuschkulisse, aber es hat auch was trauriges.

Der Sultanspalast war allerdings schon zu. Ich war dafür in einer Kunstgalerie, in der Batik ausgestellt war. Und jetzt, nicht dass du glaubst, Hippieteeshirts. Neinein, das ist eine Technik, die hab ich mir dort erklären lassen und dann hab ich nichts gekauft und da war der Galerist nicht ganz glücklich mit mir, das hab ich schon gemerkt. Aber das war schon klar, weil mich auf der Straße echt drei Leute zu der Galerie geschickt haben. Und ich war eh schon skeptisch und voller Verdacht, dass einem hier die Leute, die einen auf der Straße ansprechen, tatsächlich nur gute Tipps geben, wo gibt s denn sowas? Aber scheinbar hält man mich für einen Künstler, wegen den langen Haaren. Long hair, long life ist ein Spruch, den ich schon ein paar Mal gehört hab. Das ist nicht ganz ernst gemeint, so viel hör ich schon raus. Aber was genau dahinter steckt, bin ich mir nicht ganz sicher. Es gibt schon Männer mit langen Haaren, so ist das nicht, aber irgendwie ist es nicht gewöhnlich und wenn, dann ist man damit wohl ein Künstler. Und so war ich dann trotzdem in der Galerie und das war auch interessant, weil es ist-a-so, dass da mit Bienenwachs auf Baumwolle das Bild quasi aufgetragen wird und dann wird drüber gemalt, von hell nach dunkel und wer will, der kann zwischen den Farben auch neu mit Wachs arbeiten und am Ende wird das ganze in kochend heißes Wasser getunkt und das Wachs schmilzt davon und übrig bleibt das Bild. Besonders interessant – aber das machen nur die wirklich guten – fand ich die Technik, wo das ganze Tuch schwarz gefärbt wird und dann wird wiederum mit Wachs gemalt und dann wird gebleicht und übrig bleibt schwarz. Fotografieren wäre wohl etwas frech gewesen zu dem Zeitpunkt.

Ausblick auf den Verkehr. Selbst auf GoogleMaps wird neben der Wegdauer mit dem Auto, dem öffentlichem Verkehr oder zu Fuß auch eine Moped als Option angeboten.

Und dann bin ich in den Wasserpalast gegangen, wo ich alle paar Meter einen selbsternannten Guide abgeschüttelt hab. Eigentlich sind sie echt nicht besonders aufdringlich, jetzt, überhaupt. Manchmal fragt mich einer, ob ich transport brauch, aber ein einziges Nein tut s in der Regel. Ab und zu fragt halt einer wo ich herkomm und sag dann ah, Vienna oder ah, Australia, je nach meiner Aussprache. Der eine hat mich gleich einmal als einen Deutschen erkannt, an meinen Sandalen oder an meinem Hipsterssackerl, das hat mir ein bisschen zu denken gegeben. Aber natürlich. Für einen Niederländer fehlt mir ein halber Meter Körpergröße und irgendwie gibt s sonst nicht so viel europäischen Tourismus. Am Lake Tabo waren noch ein paar RussInnen, also, das war auffällig. Aber sonst, ja Deutsche. Vielleicht muss ich mir da gar nicht so viel Gedanken drüber machen. Nicht, dass ich was dagegen hab, dass ich als Deutscher identifiziert werde, wirklich nicht. Ich mein, ich bedaure halt am ehesten, dass mein Französisch-Sein ausgeschlossen wird…

Der unterirdische Eingang in den Wasserpalast. Die Wände sind sichtlich renovierungsbedürftig.

Egal. Was? Ja, Wasserpalast. War ok. Da gibt s Eintritt und irgendwie ist es ein bisschen unübersichtlich und außerdem wird gerade renoviert und entweder ich hab eine Tür verpasst oder Teile sind abgesperrt, auf jeden Fall waren in meiner Broschüre mehr Räume als ich gesehen habe, aber dann wiederum darf man durch manche Durchgänge nur in eine Richtung und nicht mehr zurück und was man dann verpasst hat, hat man halt verpasst. Ich hab mir gedacht, schade, dass sie nicht diesen javanischen Stil für Dorne verwendet haben (Game of Thrones Referenz), weil im Grunde ist das eins zu eins der eine Ort gewesen, an dem Doran Martell gezeigt wurde. Es wäre schön gewesen, wenn die Rhoynar sich so deutlich im Architekturstil von den Andals und der First Men absetzen. Aber nachdem Dorne letztlich eh keine Rolle gespielt hat, wäre das auch vergebene Liebesmüh gewesen. Der hiesige Wasserpalast war ebenfalls nur ein Schatten von dem, was er mal gewesen ist. Aber es gibt auf jeden Fall eine Idee davon, dass das recht eindrucksvoll gewesen sein muss. Interessant auch, dass drumherum einfach Stadt ist, also an den Außenmauern quasi schon die nächsten Häuser angebaut sind. Sowas tät s bei uns nicht geben.

Über dem Tor ist das, was ich im nächsten Absatz als javanesischen Löwen bezeichne. Leider ist mir da die Sonne von der Seite ins Bild gesprungen…

Vom Stil eigentlich sehr schön. Es ist dieses Javanesische, mit den Löwen, die die Zunge herausstrecken und ich hab das vorher auch schon in der Galerie gesehen, bei denen, die traditioneller gemalt haben und hab mich daran erinnert, dass ich als Kind das schon interessant gefunden habe. Ich weiß nicht, war das im Naturhistorischen Museum? Wäre eigentlich seltsam… Aber ich erinnere mich an javanesisches Schattenpuppentheater und dass ich das toll gefunden habe. Nämlich wahrscheinlich leicht gruselig, aber faszinierend. Ich kann mich wahrlich kaum erinnern, aber es ist nicht komplett negativ besetzt.

Und dann hab ich mich in ein Hipstercafé gesetzt. Also, wirklich. Das hätte so auch in Melbourne stehen können. Dort hab ich einen Burger gegessen und einen Kaffee getrunken, einen echten jetzt. Der war auch ziemlich gut, hat mir aber auch echt ein bisschen den Kreislauf zusammengehaut. Hundertfünfzig Milliliter, sans Zucker, ich hab nicht zugeschaut, aber Bamboo Drip, durch oder zumindest mithilfe von Bambus gefiltert. Dort bin ich endlich dazu gekommen, mir ein bisschen indonesische Geschichte anzulesen…

Entkolonialisierung

Also, Indonesien war ja niederländische Kolonie. Im sechzehnten Jahrhundert sind die niederländischen HändlerInnen gekommen und zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts hat sich eine nationale Bewegung in Indonesien entwickelt. Weil eigentlich natürlich irgendwie nahezu hundert Ethnien, die auf den vielen Inseln halt leben. Und die Niederländer haben natürlich, für Verwaltung und alles selbst ein bisschen drauf geschaut, dass das zusammenkommt. Aber dann hat halt der Nationalismus auch hier begonnen und vielleicht ganz interessant, weil es schon ein bisschen eine andere Facette auch zeigt und man muss wohl vorsichtig sein, wenn man alles über einen Kamm schert tut man wohl auch dem einen oder anderen unrecht. Jetzt, das vorausgeschickt ist die Unabhängigkeit Indonesiens jetzt nicht nur vom Nationalismus sondern vielmehr vom Faschismus auch befördert worden. Weil die Niederlande sind ja schnell einmal besetzt gewesen, als das Deutsche Reich in Richtung Paris marschiert ist. Also, jetzt vor allem im zweiten Weltkrieg, aus dem ersten – wieder was gelernt – haben sich die Niederlande militärisch nicht beteiligt bzw. wurden auch nicht beteiligt. Indonesien ist dann nicht Teil des Deutschen Reichs geworden, wie ich einmal spekuliert hatte, die NiederländerInnen (ich mein, technisch gesehen, waren die Niederlande eine Demokratie, da ist auch die Kolonialpolitik durch den Volkswillen getragen) haben sich noch ein bisschen gehalten, bis Indonesien dann von Japan besetzt worden ist. Die haben in zwei, drei Jahren die niederländischen Verwaltungsstrukturen dekonstruiert und spätestens als es ihnen nicht mehr so gut gegangen ist, haben sie selbst den indonesischen Nationalismus gefördert. Nachdem Japan kapituliert hatte waren sie angehalten einerseits die Waffen niederzulegen, andererseits Indonesien weiterhin zu verwalten. Daraufhin haben sie – zumindest teilweise – einfach die nationalistischen Indonesier(Innen), die hinter Japan standen, bewaffnet. Irgendwann ist dann noch die britische Armee gekommen, auf die Bitte der NiederländerInnen, die da einfach kolonial weitermachen wollten, aber einfach nicht die Ressourcen hatten, um da ein Volk zu unterdrücken. Großbritannien hatte aber auch nicht gerade Lust, da jetzt stellvertretend einen Kolonialkrieg für die Niederlande zu führen und pi-pa-po hat Indonesien noch fünfundvierzig die Unabhängigkeit ausgerufen. Drei bis vier Jahre hat der Imperialismus gegen den Nationalismus gekämpft und etwa eine Viertelmillion Tote verursacht, größtenteils IndonesierInnen, Militär und Zivile. Aber dann haben die NiederländerInnen gesagt, ok, dann halt nicht, macht s euren Scheiß doch selber, wir wollen gar nicht wirklich Kolonialpersonen sein.

Weil es gibt hier schon viele Statuen, mehr oder weniger hässlich, muss man leider sagen, die einen militärischen Sieg feiern und oft haben die neunzehnfünfundvierzig draufstehen. Da hab ich mich oft gefragt, aber jetzt weiß ich s.

Der Islam in Indonesien

Das war das zweite Thema, das mich schon länger interessiert hat. Interessanterweise gibt s dazu angeblich einfach nur wenig Informationen. Es ist einfach nicht klar, wann und wie sich der Islam in Indonesien durchgesetzt hat, auf jeden Fall hat er das. Als die europäischen HändlerInnen im sechzehnten Jahrhundert hier groß angekommen sind, gab s praktisch keinen Buddhismus und keinen Hinduismus mehr. Und dabei mag der Islam tatsächlich nur hundertfünfzig Jahre vorher so wirklich angekommen sein. Aber wie ja oben schon angedeutet, gab s statt Indonesien ja einen ganzen Haufen an Völkern, die in unterschiedlichen Systemen gelebt und beherrscht wurden. Es ist ein bisschen ein Rätsel und, wie die Wikipedia schön sagt, der indonesische Staat ist mehr daran interessiert, neue Moscheen zu bauen als alte auszugraben.

Halbe Stunde noch bis Fastenbrechen!

Als nächstes wäre es interessant, den südostasiatischen Islam ein bisschen mehr ins Bewusstsein zu rücken. Bzw. auch besser zu verstehen. Schon auch, um zu zeigen, dass Islam Nuancen besitzt und dass man in Europa halt an den arabischen Raum denkt, wenn man Islam sagt und man kann gerne die Stellung der Frau, männliche Ehrenkodexe oder den Umgang mit Hunden diskutieren, aber vielleicht muss man da kulturell ein bisschen aufpassen und das nicht per se dem Islam in die Schuhe schieben. Ich bin nie so vielen, nämlich größtenteils total entspannten, umgänglichen Hunden wie hier, dem viertbevölkerungsreichsten Staat der Welt mit der größten muslimischen Bevölkerung begegnet. Auch wenn das nur mein kleiner Erfahrungsschatz ist.

…et le singe est sur la branche

Es ist nicht so einfach, so eine Erfahrung in zwei bis drei Absätzen festzuhalten. Weil auf der einen Seite war unser Jungle Trek ja wirklich bloß eine Wanderung, wenn auch unter besonderen Umständen, insbesondere, dass es einfach sehr warm und schwül war, drei Tage lang und ich mit Bergschuhen durch s Gestrüpp gestapft bin. Es geht erstaunlich viel bergauf und bergab im Urwald von Sumatra und der Urwaldboden ist lehmig und rutschig. Aber vielleicht greife ich hier vor.

Ein bisschen eine Audiokulisse für s Weiterlesen…

Am ersten Tag geht s um neun Uhr los und das ist sogar ziemlich genau die Zeit, zu der wir losmachen. Meine zwei Deutschen kriegen ihren eigenen Trek, weil die nur zwei Tage unterwegs sind, während ich neue Leute kennenlerne: C. und J. aus Kanada, St. und T. aus den Niederlanden und erstaunlicherweise sind ÖsterreicherInnen am häufigsten vertreten, neben mir sind noch J. und L. dabei. So trifft man sich im indonesischen Dschungel. Also, gleich stark vertreten wie Indonesier, denn mit uns unterwegs sind J., A. und M. aus Bukit Lawang, die darauf aufpassen, dass wir nicht verloren gehen, die darauf schauen, dass wir Tiere zu Gesicht bekommen und die sich darum kümmern, dass wir was zu essen bekommen, wenn wir müde sind.

Zehn Minuten in den Wald hinein stapfen wir zunächst wieder einmal durch eine Plantage. Auch hier auf den ersten Blick nicht gleich als solche erkennbar, weil es ist halt Wald und es ist Gestrüpp und es schaut aus wie Wald. Aber natürlich ist kaum zu übersehen, dass die Bäume alle angeritzt sind: hier wird Kautschuk geerntet. Es schaut sehr manuell aus, wie hier kleine Schalen unter den als Hähne improvisierten Blättern stehen, in denen die weiße Masse zusammentropft. Alle paar Tage kommen die Bauern und gießen den Kautschuk zusammen. Und obwohl es so klein wirkt, so manuell, wird das Zeug an die Industrie verkauft. Nicht unbedingt internationale Autoreifen, aber zumindest lokale Gummiringerl sagt der Guide.

Bisserl unpraktisch das Foto, merk ich grad, weil man gar nicht sieht, wie auf der anderen Seite des Baums in die Rinde geritzt ist. Außerdem ist die volle Schale trügerisch, das ist hauptsächlich Regenwasser…

Dann schauen wir noch eine Viper an, die im Baum liegt. Die liege hier seit mehreren Wochen, heißt s. Und am Weg sei nicht wirklich mit Schlangen zu rechnen, dafür ist der Weg zu busy, dafür gingen die Schlangen uns wohl doch zu sehr aus dem Weg. Ist uns wohl auch recht.

Kurz darauf stehen wir unserem ersten Orang-Utan gegenüber. Orang-Utan und auch dreißig anderen TouristInnen, mit denen wir diese Erfahrung teilen. Da sitzt eine Mutter im Baum und kaut Blätter für ihr Kind, das weit über uns in den Ästen herumturnt und ab und zu einen interessierten Blick auf uns herunterwirft. Ich sage „interessiert“, mein Eindruck von den Orang-Utans ist nicht, dass sie besonders expressive Gesichter hätten: leicht traurig, mehrheitlich gleichgültig, würde ich ihren Gesichtsausdruck in der Regel beschreiben. Vielleicht prägt mich wirklich der Eindruck dieser ersten Mutter, die wir hier zu sehen bekommen. Gemächlich speit sie ihren Mundinhalt in einer sauberen Wurst den Ast entlang, auf dem sie sitzt, um das Gekaute kurz darauf wieder aufzuschlecken. Ein sich wiederholender Prozess, so lange wir dort stehen.

Ich hab schon viele Fotos von den OU’s gemacht, deshalb hier ein bisschen zusammengefasst.

Die Mehrzahl der Orang-Utans, die wir zu sehen bekommen, sei halb zahm, also an Menschen gewohnt und im Kontakt mit den WildhüterInnen, die den Nationalpark betreuen. Ich bin mir nicht ganz sicher, was das tatsächlich bedeutet. Es gibt auch zumindest zwei Weibchen, die tatsächlich ausgewildert wurden: Mina und Jackie. Die beiden sind problematisch, weil sie von den TouristInnen auch Essen einfordern. Mina, so sagt man, habe einmal jemanden in den Schenkel gebissen, wobei sie in der Geschichte etwas besser wegkommt, als in dieser Kurzfassung: sie habe nach der Kamera einer TouristIn gegriffen und eine WildhüterIn sei dazwischen gegangen, worauf sie sich Minas Ärger zugezogen habe und sie sie ins Bein gebissen habe. Ich versuche nachzufragen, ob sie denn einen ganzen Biss aus seinem Schenkel genommen hätte, aber diese Frage scheitert einfach sprachlich. Mina orientiere sich außerdem an der Hautfarbe: als unser Guide einmal mit einer Gruppe indischer TouristInnen durch den Wald spaziert sei, hätte sie keinen Mucks gemacht, um sich dann der nächsten Gruppe mit europäischer wirkenden Gästen aufzudrängen. Mina selbst ist etwa vierzig und seit dreißig Jahren im Nationalpark. Sie ist zur Zeit mit einem Kind unterwegs, das etwa sechs Jahre alt ist.

Jackie ist ähnlich problematisch, sie hat nur noch niemanden gebissen. Ihr Trick ist es, Männer (und ausschließlich Männer) am Arm festzuhalten und sie sich durch Obst auslösen zu lassen.

Letztlich sehen wir gar keine „wilden“ Orang-Utans und ausschließlich Weibchen. Die Männchen seien rund doppelt so schwer wie die Weibchen und kämen so auf gut neunzig Kilo. Und ihre Territorien sind wesentlich größer als die der Weibchen, die sich am Tag wohl kaum einen Kilometer bewegen. Schade zwar aber ich muss sagen, als unsere erste Orang-Utan Begegnung, dann durch ein zweites Weibchen ergänzt wird, merke ich schon, dass mir das auch so genug Aufregung ist. Die Neue lässt sich nämlich zwischen den Touristen auf den Boden herunter und geht dort so knapp an der einen oder anderen TouristIn vorbei, dass ich in sieben Metern Entfernung trotzdem das Zittern bekomme. Ich gewöhne mich in den nächsten Tagen ein bisschen an den Eindruck und entwickle durchaus auch Vertrauen in das Verhalten der Orang-Utans, aber der Satz, they will literally just pull your arms out schwirrt mir trotzdem durchgehend im Kopf herum. Ich bin nicht sicher, woher ich den habe oder ob er sich überhaupt auf Orang-Utans bezieht oder etwa auf Gorillas oder Wookies, aber es erscheint zumindest nicht unrealistisch, wenn ich sehe, mit was für einer Leichtigkeit, sie sich durch die Baumwipfel hieven.

Auf jeden Fall geht s dann einmal weiter und die große Attraktion ist einmal erledigt. Wir sind alle etwas baff von dieser Begegnung, ich denke mit dieser Nähe und mit dieser Geduld der Menschenaffen hat niemand wirklich gerechnet. Wir stapfen weiter durch den Regenwald und sehen fünf Zentimeter große Ameisen, Gibbons ganz oben in riesigen Bäumen und eine Art Pfau, den wir Kuau Raja genannt bekommen, der neben unserem Pfad steht und sich durch uns kaum irritieren lässt. Wikipedia beschreibt ihn als ein Stückchen vom Pfau entfernt verwandt und nennt ihn Argusfasan.

Vögel und ihre blauen Köpfe… interessant eigentlich, weil ich doch gerne mit der Erkenntnis hausieren gehe, dass es in der Natur wenig blaues gäbe, weshalb in Sprachen blau verhältnismäßig selten überhaupt als Begriff entwickelt werde.

Nach dem Mittagessen geht es jedoch turbulent weiter. Während wir mit unserem Nasi Goreng am Boden sitzen, bricht plötzlich J. aus dem Busch hervor und sagt, es wäre günstig, wenn wir langsam fertig machen, wir wollen aufbrechen, er habe Mina im Wald gesehen, sie sei auf dem Weg. Also packen und möglichst ohne Panik in die andere Richtung, flott, flott. Ich merke gewisse Zweifel in unserer Gruppe, ob wir hier wirklich gerade verfolgt werden oder ob man uns das für ein bisschen thrills einzureden versucht. Wenige Sekunden später murmelt einer unserer Gruppe, dass er sie gerade gesehen habe und tatsächlich ist uns Mina nur wenige Meter hinter uns auf Fersen. Nachdem die Wandergruppen ähnlich getaktet sind, treffen wir kurz darauf auf eine zweite und dritte Gruppe, die ebenfalls gerade Mittagspause machen. Damit wälzen wir das Problem ein bisschen auf die anderen ab. Es ist insgesamt nicht ideal, den Orang-Utans Essen zu geben, so wurde uns in der Einführung dargelegt. Viele Krankheiten sind vom Menschen auf die Menschenaffen übertragbar und während wir dagegen oft einmal immun sind, sind die Orang-Utans das nicht, insofern tut ihnen Essen aus unserer Hand oft einmal nicht besonders gut. Aber während unsere Guides da recht streng sind, tun sich andere leichter und so bekommt Mina im Rahmen großen Traras und allgemeiner Aufregung doch noch zu ihren Orangen. Insgesamt bekomme ich schnell den Eindruck, dass hier beide Seiten profitieren: Mina kriegt ohne großen Aufwand ihre Snacks, die sie sich im Urwald sonst mühsam zusammenklauben müsste und die Guides können vor den attraktionssuchenden TouristInnen mit Orang-Utans interagieren, weil sie nicht anders können, weil Mina nicht anders zu besänftigen sei. Und so ist alles ein großes Spiel, was mir schnell einmal etwas die Freude an der Situation raubt, weil ich mich von der Inszenierung ein bisschen verarscht fühle. Noch dazu ist es offensichtlich, dass Minas Kind dieses Verhalten lernt. Jedenfalls ist Mina am Ende zufrieden und die TouristInnen auch. Größtenteils.

Eine von den beiden auf dem linken Bild ist die berüchtigte Mina, die andere ist ihre Tochter.

Währenddessen laufen wir weiter unseren Wanderpfad entlang. Die Boyz unterhalten sich über Avengers und C. macht sich mit seiner Feststellung, dass da jetzt eine Frau dabei sei, die natürlich mächtiger sein muss, als alle anderen, because she’s a woman bisschen unsympathisch. Mit einiger Verwirrung stelle ich ab und zu fest, dass KanadierInnen wider meine Erwartung oft ein bisserl Nervbolzen bis Ungusteln sind, während die US-AmerikanerInnen wiederum wider den (wenngleich mittlerweile durch die allgemeine Erfahrung weitgehend entkräfteten) Stereotyp zuvorkommend, interessant und interessiert sind. Was soll man sagen: solche und solche (aber das sind die schlimmsten).

Gruppendynamisch bin ich ein bisschen dazwischen. Einerseits bin ich im Alter ein bisschen nach oben raus, die Kanadier und St. sind wohl so Mitte zwanzig, T. und die Österreicherinnen sind Anfang dreißig. Und so schwinge ich zwischen der Geschlechteridentität und der nationalen Zugehörigkeit. Ich mein, beides nicht unbedingt mein cup of tea. Und natürlich ist das mehr deskriptiv jetzt. Beim Wandern tendiere ich mehr und mehr zu den Österreicherinnen, bei denen ich mich inhaltlich besser aufgehoben fühle, mit denen ich mich besser unterhalte. Oh, und ich freue mich über die Austriazismen, die ich da zu hören bekomme: Ein Moi! drückt einfach ein Gefühl aus, dass abseits von diesem Ausruf kaum zu fassen ist. Und wenn das eigene Stolpern mit einem Hoppala! kommentiert wird, weiß ich auch schon, dass da nichts passiert ist. Und zwischendurch einmal ein Oida!, das schmiert die Sprache. So sehr mich der Gedanke an den Heimweg vom Flughafen schreckt, weil ich dort immer von der Grobheit und Herzlosigkeit der Sprache schockiert bin, so sehr genieße ich den einen oder anderen Ausdruck in diesem Kontext.

Aber als wir in unserem ersten Camp ankommen und zur Abkühlung (und durchaus auch für ein provisorisches Waschen) in den Fluss steigen, sitze ich wiederum eher mit den Burschen und nehme ein bisschen am Game of Thrones Gespräch teil. Wird allerdings nicht so wirklich was, weil einerseits nicht alle auf dem Laufenden sind und für meinen Geschmack viel zu viel Begeisterung über die Entwicklungen der letzten Staffeln vorherrscht. Und dann kommen die Gelsen und ich entsteige dem Fluss.

Und so klingt s am Fluss.

Am Abend gibt s Curries und Kroketten (die sind hier aus irgendeinem Grund sehr weit verbreitet, keine Ahnung…), das Huhn ist eher unpopulär, der westliche Gaumen tut sich mit der Art, wie hier Huhn einfach quer durch Haut und Bein aufgeschnitten wird, nicht ganz leicht und die Knochensplitter werden als unsexy empfunden. Aber nach den Anstrengungen des Tages schmeckt s natürlich trotzdem und außer dem Huhn bleibt nichts übrig. Am zweiten Abend geht s ähnlich mit dem Fisch, der mit Gräten und Köpfen frittiert wurde: der Fokus liegt auf Reis und Gemüse.

Um halb acht ist es dunkel und T. gibt uns die eine oder andere Blackstory zum Durchdenken. Dann kommen die Guides mit Zündholzrätsel und Kartentricks. Ich bin vielleicht nicht ganz fair dabei, aber der Oberrätselsteller geht mir ein bisschen auf die Nerven und meine Nachfragen gehen in eine Richtung, in der ich mich von ihm nicht verstanden fühle. Wir reden da aneinander vorbei. Aber wenn man mir

I+II+III=4

aufgibt, dann sehe ich darin nicht eins plus zwei plus drei ist vier sondern eins plus elf plus hundertelf ist vier. Da scheiter ich an der Inkonsistenz der Aufgabenstellung und wir haben s dann auch kollektiv nicht ohne Hilfe gelöst. Aber ja, ein bisschen ging s auch darum, dass nicht alle Leute eine Bühne haben können…

Große Aufmerksam bekommt hingegen die Vogelspinne, die plötzlich quer über unsere Sitzmatten läuft und die schnell von den Guides weggewischt wird, mit parallelen Beteuerungen, dass es hier keine giftigen Spinnen gebe. Jaja, aber Hauptsache, alle Raupen lösen Lähmungserscheinungen aus… Irgendwann sind alle von den Rätseln frustriert und eine kleine Nachdenkpause wird kurzerhand für den großen Aufbruch in Richtung Bettenlager genutzt. Ich sitze noch ein bisschen mit T. und wir spielen eine Runde Rummy, was ohne zählen kaum witzig ist, wechseln dann zu Yaniv („he will prosper“), einem tibetanisch-israelischen Spiel, das eh so ähnlich ist, aber mehr Interaktion ermöglicht. Und dann spielen wir noch drei Runden vom besten Spiel des Abends, wo wir abwechselnd Karten vom Stapel nehmen und jeder vervollständigt parallel fünf Pokerhände. Großer Spaß, ganz ehrlich. Um elf oder was ist auch das genug und ich schlupf einmal mehr in meinen Hüttenschlafsack.

Zwei weitere Campgäste. Wobei der grausliche Hunderfüßer (links) bereits halbtot aus dem Busch gefallen ist, sonst hätte ich mich nicht so nah an ihn herangetraut.

Ich liege sicher eine halbe Stunde wach neben St. unter dem gemeinsamen Moskitonetz. Ich hab das im Dunkeln nicht mehr besonders gut hinbekommen, mir darunter den notwendigen Platz zu schaffen und ekel mich eine Zeit lang vor dem süßlichen Verwesungsgeruch, den die Plastikmatratze und/oder das feucht-schimmlige Moskitonetz verströmen. Wie viel St. eiternde Wadenwunden womöglich auch noch dazu beitragen, bin ich nicht bereit mir zu überlegen. (Wenig bis nichts muss ich ehrlich sagen, der Gestank ist jedenfalls schlimmer, wenn ich vom ihm abgewendet liege.) Irgendwann schlafe ich ein und bis darauf, dass ich einmal aufwache, als ich bei dem Versuch mich umzudrehen mit dem ganzen Oberkörper an der Matratze festklebe, schlafe ich besser als befürchtet. Aber ich wache um halb sieben auf und setze mich an den Fluss, wo ich den bläulichen, metallic schimmernden Libellen zusehe.

Hier rauchen schon die Kohlen für den morgendlichen Kaffee.

Der zweite Tag ist strukturell dem erste nicht unähnlich. Wir entdecken noch ein paar neue Affen (helle, dunkle, langer Schwanz, kurzer Schwanz…) und L. macht eine Begegnung mit einer Kakerlake, die auf ihrer Schulter landet. Aber das steckt sie verhältnismäßig gut weg. So sehr, dass ich mich sagen getraue, dass ich die jetzt sogar ganz hübsch gefunden habe. Es war so eine große, flache. Ich mein, wirklich groß. Aber ich finde sie weniger eklig als wenn ich sie in Schönbrunn im Terrarium unter dem ultravioletten Licht sehe, zwanzig Stück, wie sie übereinander klettern. Aber ja, ich hab sie auch nicht auf mir gehabt.

Wir haben sogar noch eine Mina Begegnung. Insgesamt machen wir ein bisschen einen kürzeren Tag, durchaus etwas anstrengender als der Vortag, zumindest was die Höhenmeter betrifft und es ist auch mehr zu klettern. Aber wir sind wohl kaum fünf Stunden unterwegs und schlagen um drei bereits unser Lager auf. Auf den letzten Metern verfolgt uns eine Orang-Utan, die sich wahnsinnig elegant an unserem Weg entlang durch die Bäume hantelt. Im Gegensatz zu Affen, so erzählt man uns, springen Orang-Utans nicht von Baum zu Baum sondern halten sich immer mit einer Hand oder einem Fuß an dem nächsten Ast fest, bevor sie den alten loslassen. Dabei sind sie geschickt und schnell.

Der höchste Punkt unserer Wanderung belohnt mit diesem Blick über den Regenwald.

Im Lager wir der Orang-Utan zu, die ihr Nest über unserem Lager aufschlägt. Außerdem gibt s Affen im Wald hinter uns und im Fluss davor gibt s große Eidechsen, die die Kanadier Water Monitor nennen und die Guides Waran. Oder Crocodile, wenn sie lustig sind. Auf deutsch heißen die wohl Bindenwarane. Und über uns fliegen die Nashornvögel in Paaren. Die sind viel größer, als ich mir das gedacht hatte, ich hab mir die so wie Tukans vorgestellt, die ich mir so wie ein kleineres Huhn vorstelle. Aber die Hornvögel schienen zumindest Schwanengröße zu haben. Sonst spielen wir wieder Karten und die Burschen erzählen sich Geschichten über ihre Reisen (Party-Party) und lassen eine Drohne steigen, wofür die ÖsterreicherInnen kollektiv auf sie herabsehen.

Der Abend ist mit Witzeleien und Partyspielen der Kategorie There-Was-No-Internet-Then,-Kids gefüllt. Und ich siniere über die Frage, ob und wie ich auf die pausenlosen Avancen der Guides reagieren möchte, deren Tricks und Spielchen viel damit zu tun zu haben scheinen, Frauenhände zu halten. Natürlich kommen sie zurecht, J. sitzt seit zwei Jahren in Kairo, L. hat zumindest drei Monate bereits auf Java verbracht und niemand braucht mich, um hier Grenzen zu ziehen. (Überhaupt: ausgerechnet ich…) Andererseits muss ich ja nicht unbedingt das Ziel dieser Anbandelungen sein, um die Situation dadurch als getrübt zu empfinden. Dann wiederum wie L. bei anderer Gelegenheit mit voller interkultureller Kompetenz ausdrückt: „anders als wir es gewohnt sind“.

Morgens um sechs im Urwald, wieder ein bisschen früher wach, als die KollegInnen.

Nachdem Frühstück machen wir einen kleinen Ausflug zum nahen Wasserfall, in dem wir ein bisschen planschen, J. lässt sich mit natürlichen Pigmenten im Lehm eine Augenklappe auf s Gesicht zeichnen und hat große Freude mit den Ergebnissen der Gesichtsbemalung. St. wird ein Tiger und dann bekommt er noch einen Mittelfinger auf den Rücken gezeichnet, während ihm alle sagen, er hätte, so wie die beiden Kanadier, einen Orang-Utan auf dem Rücken. Wir spielen ein bisschen Steine gegen eine Plastikflasche auf der anderen Seite des Flusses werfen, ein Spiel aus dem ich mich bald verabschiede, als die Buben schnell einmal zu wild spielen und dann diskutiere ich mit L. ob die Palmen am Flussufer nicht eigentlich Farne sind. (Sind sie. Und selbst wenn nicht, wären auch Palmen keine Bäume. Rechthaben unter ÖsterreicherInnen, home sweet home.)

Nochmal ein morgendliches Stück Wald. Manchmal sind die Bäume sehr hoch, manchmal stehen sie auf einem Hügel, das ist oft schwer zu erkennen.

Schließlich packen wir unsere Sachen und machen uns fertig dafür, auf dem Fluss wieder nach Bukit Lawang zurückzukehren. Das ist durchaus ein Spaß, aber ich bin ein bisschen erschöpft davon, dass der Spaß hier ein bisschen gezwungen wirkt. Vielmehr bin ich überrascht, wie viel hier am Flussufer bereits ausgebaut ist, wie viel hier noch gebaut wird. D. aus Deutschland hat gemeint, es gäbe hier etwa hunderttausend TouristInnen im Jahr. Und es ist nachvollziehbar, wenn man die Kapazität sieht, für die hier gesorgt ist: ein Guesthouse reiht sich hier neben das andere und irgendwann müssen die ja auch voll sein. Aber ja, die Stromschnellen sind schon ein Spaß.

Nach dreißig Minuten sind wir wieder in unserem Guesthouse und die letzte Unannehmlichkeit ist noch, dass meine Schuhe nicht mitgekommen sind. Kann passieren, war ein Missverständnis, sage ich: M. hätte meinen Rucksack zum Fluss heruntergetragen und meine Frage, ob sie jetzt alles herunter trügen, ob ich helfen könne, wurde abgewehrt. Bin ich davon ausgegangen, sie tragen meine Schuhe auch runter, weil das ja alles beisammen gestanden ist. Und ich will gar nicht granteln, aber ich hatte doch den Eindruck, dass mein Angebot, hier gegenseitige Schuldlosigkeit festzustellen nicht angenommen wurde und ich mit dem Vorwurf, ich hätte mich schon um mein Zeug zu kümmern übriggeblieben bin. Am Ende sind die zwei aufs Motorrad gestiegen und waren zwanzig Minuten später wieder mit meinen Schuhen da. Meine zum Dank ausgestreckte Hand ist auch in der Luft hängengeblieben.

Interessanterweise läuft das Ganze dort als Community Based Tourism, wozu ich mal ein Seminar auf der Uni gemacht hab. Das bedeutet im Wesentlichen, dass lokale MitarbeiterInnen angestellt sind und dass Erträge des Tourismus auch in die Entwicklung der Region und eben der Community fließen. Vielleicht war da noch mehr, ist lange her. Ich erinnere mich aber, dass der Begriff der Authentizität eine wichtige Rolle gespielt hat und dass das Seminar mir den Begriff durchaus enttäuscht hat, wir viel über die Inszenierung von Authentizität diskutiert haben. Und jetzt hab ich mir überleggt, ob daraus nicht auch ein Konflikt entstehen kann, wenn, sagen wir einmal, die Guides dort als Persönlichkeiten arbeiten, mit ihren individuellen Fähigkeiten, Geschmäckern und Vorlieben, was in der Praxis vielleicht auf Kosten der Professionalität, nämlich einer bürokratischen Neutralität geht. Aber ich bin natürlich nicht geeignet, das hier zu analysieren, ich war wohl einfach ein bisserl enttäuscht, wie das zu Ende gegangen ist.

Aber dann wiederum war ich zehn Minuten später draußen und auf dem Weg in den Süden. Ich hab mich nämlich bei den Mädels ins Auto hineingebeten, die noch am gleichen Tag nach Berastagi los sind. Dabei hab ich wieder auf eine bereits bezahlte Nacht verzichtet und wenn ich auch durchaus noch ein bisschen geblieben wäre, ich war einerseits froh, ein Auto teilen zu können und nicht die sechzig Euro selbst zahlen zu müssen. Auf der anderen Seite bin ich auch froh über Gesellschaft, das kennt man ja jetzt schon.

The one where he talks about birds – again

Ich glaub, Neuseeland ist eine zweite Vogelfolge wert. Immerhin waren Vögel ja die dominante Lebensform, bevor die ersten Menschen ihre Fußstapfen in den Sand getreten haben. Und erst die Europäischen EinwandererInnen (Pākehā) haben ihre Säugetiere mitgebracht: Den einen haben sie die einheimische Flora großflächig umgestaltet, nämlich Schafen und Kühen – für die ganze Landschaften mit europäischen Gräsern bepflanzt wurden –, die anderen haben von sich aus die vorhandene Fauna aufgemischt. Letzteres in erster Linie Ratten, Mäuse, Katzen, Hunde, Opossums, Frettchen und Marder. Und weil die neuseeländischen Vögel zum Teil nicht einmal ihre Nester in den Bäumen gebaut haben, haben sich eingeschleppten Allesfresserchen und die ihnen nachgeschleppten Jäger über das Federvieh hergemacht, dass es buchstäblich die Hälfte auch getan hätte.

Es gibt dieses hübsche Poster neuseeländischer Vögel. Besonders witzig ist, dass in der Legende auch die Größenverhältnisse angegeben sind.

Und weil der Mensch lernt oder zumindest angesichts der ausgerotteten Tier- und Pflanzenarten eine gewisse Reue an den Tag legt, versucht man heute, Reservate zu schaffen, zu denen die Vögeltöter keinen Zugang haben. Das Paradebeispiel ist die Geschichte von „Old Blue“, die Anfang der Achtziger das letzte Weibchen einer kleinen Vogelart (Petroica traversi) auf Chatham Island war und die, dank enormer Bemühungen, zur Stammmutter von heute etwa zweihunderfünfzig Chatham-Schnäppern wurde. Das gelingt weil Neuseeland ja viele Inseln ist, die mehr oder weniger gut kontrollierbar sind und da macht man ein Reservat quasi nach dem anderen und schafft den Vögeln dort Lebensraum. Und sie ist man in Neuseeland auch durchaus stolz auf die lokale Vogelwelt, die ja doch in vieler Hinsicht was besonderes, was eigenes und was herausragendes ist. Quasi: die Beuteltiere Neuseelands. Und man kann dementsprechend kaum irgendwo um die Ecke gehen, ohne irgendwo schemenhaften Kiwiabbildungen gegenüberzutreten.

Einer der imposantesten und sicherlich für die frühe Besiedelung durch die Māori nicht unwesentlichen Vögel, ist der Moa (Dinornis). Zur (unmerklichen) Schonung des gesamteuropäischen Karmas, waren sie leider schon ausgestorben, bevor Abel Tasman hier sechzehnzweiundvierzig seinen europäischen Fuß an Land gesetzt hat. Ach, hätten wir doch bloß heute noch eine Handvoll Moas bei der Hand, würde die ganze Diskussion über die Lächerlichkeit gefiederte Dinosaurier nur ein halbes Gespräch und einen deutlichen Fingerzeig dauern. Ein drei Meter großer Vogel mit Horrorklauen sollte jedeR SkeptikerIn zumindest das lächerliche Argument des „gefiederten Huhns“ entkräften.

Die feinen Illustrationen urzeitlicher Tiere Heinrich Harders.

Im Museum von Christchurch lerne ich, dass man Moas heute in sechs bis neun Arten unterscheidet, die aber allesamt vor vierhundertfünfzig Jahren ihre jeweils letzten Eier gelegt haben. Interessant ist außerdem, dass wie so oft Unklarheit über die Verwandtschaftsverhältnisse besteht. Ich höre immer wieder, dass die nahen Verwandten der Moas die Kiwis und der Strauß sind. Und ich stelle mich und meine Behauptungen einmal mehr auf die wackeligen Beine, eines welchen, der sich in seinen Quelle auf Wikipedia beschränkt: Die nächsten Verwandten der Moas, so sagt man heute, wohnen in Mexiko und nennen sich Steißhühner (Tinamiformes). Das Lesen des Artikels macht sich vor allem für jene bezahlt, die gerne ihr Wissen über ausstülpbare Vogelpenisse erweitern möchten. Hingegen sind Kiwis, Emus, Kasuare und gar der Vogel Strauß, eher Cousinen als genetische Geschwister der Moas.

Die ersten Tage in Neuseeland bekomme ich außer den allgegenwärtigen Stockenten (Anas platyrhynchos) ehrlicherweise nicht viele Vögel zu Gesicht. Vielleicht, dass ab und zu einmal einem Paradieskasarka begegne, der auf Māori Pūtangitangi (Tadorna variegata) heißt. Ein Kasarka, das ist im Wesentlichen etwas zwischen Gans und Ente. Die Weibchen sind mit ihrem weißen Kopf eher die auffälligen, wohingegen mir die dunkel gehaltenen Männchen mir wahrscheinlich kaum aufgefallen wären. Wenn also überhaupt, dann hab ich wohl mal ein vereinzeltes Pärchen gesehen oder was. Meine erste größere Gruppe hab ich am Strand von Oban auf Rakiura (Steward Island, aber ich hab so lange gebraucht, bis ich mir den Māori Namen gemerkt hab, dass ich den jetzt verwende) gesehen, dort sind sie gemeinsam am Spielplatz gelegen, bevor sie sich daran gemacht haben, vom Rasen zu naschen.

Die sind so herzig, weil sie so pausbackig-verschmitzt dreinschauen!

Dann ist mir ein Purpurhuhn namens Pūkeko (Porphyrio melanotus) über den Weg gelaufen. Die sind, wie ich lerne, bekannt für ihre Hinterhältigkeit, zumindest in der Māori Mythologie. Nachdem ich jetzt ein bisschen darüber nachgedacht hab und mir das von der Verbreitungslandkarte bestätigen habe lassen, werde ich mein erstes Pūkeko wohl noch im botanischen Garten in Melbourne gesehen haben. Das hat bei mir schon Faszination ausgelöst, weil schön sind die eigentlich nicht, aber halt doch fantastisch, kann ich mir nicht helfen. Mittlerweile hab ich auch hier das eine oder andere rumstaksen gesehen und ich mag die Rumstaksevögel ja gern.

Tatsächlich in Neuseeland habe ich einen Gelbaugenpinguin (Megadyptes antipodes) gesehen. Einen. Das war in Oamaru und ich hab mir einen Sonnenbrand dabei geholt. Zuerst waren wir auf der Suche nach den Zwergpinguinen (Eudyptula minor), aber für die haben sie Eintritt verlangt. Und für beide Pinguinarten hat gegolten, dass sie tagsüber im Meer unterwegs sind und am Abend nachhause kommen um sich in ihren Höhlen zu verstecken. Wir sind dann über den Berg drüber geklettert – mehr ein Hügel tatsächlich, darauf hat die Innsbruckerin bestanden – um auf der anderen Seite den Strand der Gelbaugenpinguine zu finden. Was wir dort gefunden haben waren Paua Muscheln und ich habe in der Elster (Pica pica) mein Totemtier entdeckt: Ich hab s einfach nicht geschafft, diese Muscheln liegen zu lassen, und es ist wirklich mehr gewesen, weil sie so hübsch perlmuttern schimmern. Ein gutes Dutzend hab ich gesammelt, wie Römerhelme ineinander gestapelt und bald einen parallel laufenden, internen Konflikt aufgerissen, weil es gibt nichts wenig unsinnigeres, als beim Backpackern Muscheln mit sich herumschleppen. Ich sammel ja auch regelmäßig mal Federn auf, aber die sind wenigstens von berufswegen leicht und selbst die schmeiß ich regelmäßig weg, wenn ich wo eine finde, die ich nicht mehr zuzuordnen weiß. Gerade für die Paua Muscheln gibt es ja als warnendes Vorbild jenes ältere Paar, das ganze Haus voll hatte, das sie dann nach Christchurch ins Museum gestellt haben. So hab ich wenigstens immer vor Augen gehabt, wohin das führen würde, sollte ich nicht in der Lage sein, die Dinger liegen zu lassen. Letzten Endes hab ich zuerst ein paar und dann die anderen auch noch liegen gelassen. Und die eine, die ich seit dem bei mir trage, stinkt so sehr, dass ich sie eh öfter bereue als nicht. In den Bergen hab ich die Gelegenheit, das ganze Hostel für mich selbst zu haben, einmal genutzt, um sie auszukochen. Aber nach dem vierten Mal hat sich immer noch nicht allzu viel getan, bis auf dass die Außenschale jetzt hässlich ist.

Fred und Myrtle in ihrem Muschelhaus

Am Gelbaugenpinguinstrand haben wir außerdem einen Haufen Seehunde Seelöwen (Phocarctos hookeri) angetroffen, die gerade dort in der Sonne herumliegen. Angeblich sind die auch am Land mitunter schneller als ich, aber das hab ich erst nachher gelernt und zweifle ich seit dem auch an. Es ist einfach schwer vorstellbar, dass Tiere, die so gut in Gemütlichkeit zu sein scheinen, insgeheim SprinterInnen sein sollten. Was sie auf jeden Fall haben, sind ziemliche Klauen an den Hinterbeinen. So nah dran waren wir dann doch. Hätten wir nicht sein sollen, hat die Dame uns gesagt, die um dreiviertel Vier gekommen ist um uns zu sagen, dass wir seit halb eigentlich nicht mehr da sein sollten. Weil nämlich: wenn die Pinguine sich nicht sicher fühlen, dann kommen sie einfach nicht nachhause. Und das sind sie dann auch nicht, zumindest nicht innerhalb der neunzig Minuten, die wir in der Nachmittagssonne gestanden sind, über die faulen Robben Seelöwen lästernd, denen wir die vermeintliche Angst der Pinguine in die Schuhe geschoben haben.

Hier wird gewarnt, wo wir gesucht haben.

Wirklich mit den Vögeln hat es dann erst auf Rakiura angefangen. Rakiura ist im Süden von Neuseeland, die „dritte Insel“, wie einige Lustige sagen, aber viele dürften das nicht sein. Insgesamt wohnen nicht einmal vierhundert Leute in Oban, dem einzigen Ort der Insel, kaum sechshundert insgesamt auf der Insel. Dafür gibt es aber große Bemühungen, den Ratten, Opossums und was sonst noch am Vogeltöten und Eierpecken ist, auf der Insel den Garaus zu machen. Ich war etwas überrascht, dass es im Supermarkt so viel Katzenfutter zur Auswahl gab, aber hey!, sollen sie zumindest gut gefüttert sein, vielleicht gehen sie dann weniger auf die Vögelchen.

Der erste Vogel, dem ich auf meiner Dreitageswanderung begegnet bin, war ein Tūī (Prosthemadera novaeseelandiae). Und eigentlich hab ich ihn zuerst gehört und erst dann gesehen. Der Tūī ist ein Honigfresser, die kennen wir noch aus Australien. Und er hat – sehr witzig – ein weißes Federbüschel am Hals hängen, bisschen wie ein aufwendiges Mascherl. Und er singt ausgiebig und eindrucksvoll. Ich bin vor dem Baum gestanden, in dem er auf und ab gehüpft ist und war natürlich ganz hin und weg: drei Tage Wanderung vor mir und dementsprechend viel Energie, Enthusiasmus und Trockenheit in den Schuhen. Da ist jedes Naturerlebnis gleich noch einmal so erlebnisreich.

Tūī y yo

Auf Māori Beach bin ich dann meinen ersten Austernfressern (Haematopus finschi) begegnet. Nachdem auch diese Vögel Staksen zu ihrer vornehmlichen Fortbewegungsmethode ausgewählt haben, sind sie mir natürlich von vornherein nah am Herzen. Außerdem haben sie einen sehr roten Schnabel und ein im Vorbeigehen durchaus beobachtbares Sozialleben. Während ich ihnen zugeschaut hab, ist der eine eindeutig dem anderen ständig leicht unterwürfig hinterhergelaufen, hat nie den Schnabel in den Sand gesteckt, wo nicht zuerst der andere schon gebohrt hatte. Und dann ist er auch noch lautstark verjagt worden, weil laut können sie auch werden.

Ebenfalls mir bereits aus Australien bekannt ist der Fantail, zu Deutsch kompakt Neuseelandfächerschwanz (Rhipidura fuliginosa) genannt oder halt auf Māori Pīwakawaka. Und die gewinnen fast im Herzigsein. Den ersten hab ich auf einem Parkplatz in Cairns gesehen, wo er minutenlang vor mir auf und ab gehüpft ist und – nomen/omen/etc. – den Schwanz wie ein ganz ein kleiner Pfau aufgefächert hatte und damit hin- und hergewippt hat. Witzig auch, und da ist der neuseeländische nicht viel anders, dass Willie Wagtail (Rhipidura leucophrys – und interessant, weil die wagtails sind eigentlich Stelzen, der Name also nicht nur ein fahrlässiger Ausflug in den Kolloquialismus, eine falsche Zuschreibung auch noch!), wie der australische Fächerschwanz heißt, auf dem ansonsten dunklen Kopf deutliche weiße Streifen über den Augen hat. Wie man vom Orca und dem Marienkäfer weiß, verwechselt man dadurch leicht einmal, wo tatsächlich die Augen sind und es gibt ihm eine gewisse, wie ich finde, Strenge. Vielleicht sehe ich mehr buschige Augenbrauen als Augen…

Auf Rakiura gibt es dann noch – ich bin ganz offenbar in der Herzigkeitsabteilung der neuseeländischen Vogelwelt gelandet – den South Island Robin (Petroica australis). Und jetzt reicht s mir schon langsam mit den blöden deutschen Namen! Weil, natürlich war ich jetzt gespannt, wie der bei uns genannt wird, nachdem ein Robin ja ein Rotkehlchen ist. Und man sieht ihm natürlich sofort die Ähnlichkeit zu unserem Rotkehlchen an, auch wenn ihm die bezeichnende Kehlchenfarbe fehlt. Und ja, auf deutsch wird er Langbeinschnäpper genannt. Unsexy! Aber korrekt. Weil wie uns Wikipedia.de lehrt (ja, übrigens, wider den Uploadfilter und all das!), dass „[d]ie Schnäpper […] nicht […] mit den auch in Europa verbreiteten Fliegenschnäpper [zu denen das Rotkehlchen gehört, Anm.] (Muscicapidae) [zu verwechseln sind], mit denen Sie [sic!] nur fern verwandt sind.“

Kleiner, neugieriger Kakaruai.

Auf jeden Fall hatte ich einige sehr nette Begegnungen mit – nennen wir sie bei ihrem Māori Namen – Kakaruai. Insbesondere auf Ulva Island, wo ich nach meiner Dreitagstour einen Ausflug hingemacht hab. Da hat uns schon der sympathische Skipper Peter darauf aufmerksam gemacht, dass, wenn wir uns langsam bewegen, regelmäßig stehenbleiben auf unseren Spaziergängen, dann kämen die Vögel zu uns, weil sie in uns eine Nahrungsmittelquelle sehen. Und sie seien nicht hinter unserem lunch her, sie sind hinter den Insekten her, die wir aufscheuchen, wenn wir beim Gehen den Boden aufwühlen. Das war dann auch so, dass da einmal drei kleine Kakaruai um mich herum gehüpft sind und hinter mir im Boden gepickt haben. Natürlich ist jede Bewegung zu viel und der Griff nach der Kamera ist unmöglich, ohne sie zu verjagen. Insofern steh ich dann und schau und freu mich. Eine Führerin hat etwas später einen Kakaruai angelockt, indem sie diese Zigaretten-austreten-Bewegung gemacht und damit ein leckeres Würmchen freigelegt hat.

Auf dem Boot in Richtung Ulva Island kann man schon aus einer gewissen Distanz die Māori-Fruchttaube oder Kererū (Hemiphaga novaeseelandiae) erkennen, die in hohen Bögen aus dem Wald herausfliegt und sich dann wieder in denselben fallen lässt. Ich hab keine Ahnung, was sie dabei machen… Auf der Wanderung ist mir allerdings einmal eine mitten am Weg gesessen. Riesiges Ding. Wir schauen uns kurz an, bevor sie sich auf den nächsten Baum gehievt hat. Dabei wirkt sie wahnsinnig sauber. Weil halt weiße Federn machen schnell einmal den Eindruck, dass es sich umein besonders sauberes Tier handelt und dann der bunt schillernde Kopf, auch ziemlich cool. Sie machen ein ziemlich lautes Geräusch beim Fliegen, wobei ich mir nicht ganz einig war gemeinsam mit einem fellow Tourengeher, ob sie das Geräusch einfach mit den Flügel machen oder tatsächlich irgendwie aus dem Schnabel heraus.

Schwer vorstellbar, die Innenstadt voll mit diesen Vögeln. Aber wie so oft finde ich, es wäre einen Versuch wert…

Nachdem mich der Mitwanderer eines Abends auf die Geräusche einer Eule aufmerksam gemacht hat, die wir allerdings nur zu hören bekommen haben, bin ich natürlich versucht, ihm zu glauben, dass das tatsächlich ein Laut ist, den die Taube macht. Andererseits gibt s nur eine Eule in Neuseeland und dass da draußen eine Eule zu hören war, das hätte ich vielleicht auch knapp so erraten. Allerdings nennen sie ihre Eule Morepork (Ninox novaeseelandiae), was sie onomatopoetisch erklären. Ist interessant, weil man möchte das ja gerne für indigene Namen annehmen, aber die Māori nennen sie Ruru. Mit etwas Fantasie und wenn man sich nicht abends über einen Vogel amüsieren möchte, der mehr Schweinefleisch verlangt, dann geht sich für Ruru allerdings auch eine mehr oder weniger onomatopoetische Erklärung aus. An ihrem deutschen Namen lässt sich dann auch erkennen, dass es sich natürlich gar nicht um eine Eule sondern um ein Kauz handelt. Einen Neuseeland-Kuckuckskauz. Und jetzt halt dich fest: „Sein tiefer zweisilbige [sic!] Ruf ‚buh-buk‘ erinnert an einen Kuckuck.“ Meine like-the-city-Bemerkungist leider von niemandem aufgegriffen worden. „Was bis du für eine software engineer, wenn du deine Scheibenweltreferenzen nicht parat hast?“, hab ich nicht gesagt.

Morepork in Terry Pratchetts Wappen.

Was wir nicht gesehen haben, ist der Kiwi (Apteryx). Also, ich hab ihn nicht gesehen. Der anstrengende Deutsche hat einen gesehen und vielleicht der eine oder die andere WandererIn ebenfalls. Aber die tragen auch nicht das Attribut anstrengend vor sich her und haben deswegen auch weitgehend ihren Schnabel ob diverser Kiwisichtungen gehalten. Ich hab einen gehört, mitten in der Nacht und in Folge die Hälfte der BettenlagerliegerInnen aufspringend und sich Kiwigeräuschbestätigungen zuraunend erlebt. Aber raus sind tatsächlich nur wenige mit ihren roten Lampen. Und soweit ich das im Halbschlaf mitbekommen hab, haben die auch keine Kiwis erwischt. Ich hab in der selben Nacht ein Reh (Odocoileus virginianus) gesehen, als ich auf einen Sprung meinen Urin raustragen war. Die haben sie dort ausgesetzt, damit die JägerInnen was zu schießen haben. Anschließend hatte ich tagelang Sting im Kopf, weil mein Unterbewusstsein der Meinung gewesen war, dass es unsinnig sei, mit dem roten Licht den Kiwis hinterherzujagen. Letztlich eignet sich Roxanne aber eh schlecht für einen Ohrwurm, so melodiös ist das wirklich nicht.

Kiwidarstellung am Infoboard der Bunkers Backpackers in Oban

Während man auf Rakiura auf Schritt und Tritt Rattenfallen findet, ist es auf Ulva Island bereits gelungen, die Jäger auszurotten und deshalb ist das dort ein ziemliches Paradies für Vögel. Es ist nicht ganz so abgesichert, wie Codfish Island, das westlich von Rakiura liegt. Dort gibt es eine von zwei übriggebliebenen Kākāpō Populationen (Strigops habroptila). Ich habe ähnliche Sicherheitsvorkehrungen für Ulva erwartet, aber letztlich war ich nicht unglücklich, dass außer dem Hinweis, dass wir bitte unsere allfälligen Ratten auf Rakiura lassen sollen, keine besonderen Maßnahmen getroffen wurden. Ich hab sogar einen Apfel mitgehabt, obwohl wir auch keine Samen auf die Insel mitnehmen sollten. Aber dann wiederum lässt sich aus einem Industrieapfel wohl eh kaum ein echter Setzling ziehen, oder irr ich mich? Vorauseilend wie eh und je habe ich den Apfel jedoch unangebissen wieder zurückgebracht.

Hier ist die Kakapo-Folge von Last Chance to See, in der ich zum ersten Mal von dem Vogel gehört hab (und die unheimlichen Wetas, riesige neuseeländische Insekten, ca. 17:15). Last Chance to See, nur zur Ergänzung, hat neunzehnneundundachzig als ein Projekt von Douglas Adams und Mark Carwardine angefangen, in dem er dem Aussterben-nahe Tiere aufgesucht hat. Stephen Fry hat sich zwanzig Jahre später mit Mark und einem BBC Budget auf seine Spuren begeben. Ich beginne hier ca. bei der Hälfte, wo sie sich aus Invercargill nach Codfish aufmachen.

Auf Ulva hab ich noch eine Wekaralle oder einfach Weka (Gallirallus australis) gesehen. Kann man leicht mit einem Kiwi verwechseln und so lange hab ich mich dann doch damit beschäftigt, der Weka beim Baden zuzusehen, um ihren Schnabel ins Bild zu bekommen – in meinen Augen der einzige sichere Test, ob es sich nicht doch um einen der dreißig bis vierzig Kiwis handeln sollte, die auf Ulva leben. War nicht. Und dann springt die Weka auf und ratz fatz in den Busch. Und aus dem Geäst fliegt mir ein Kākā entgegen. Oh ja, großer, dunkler Kākā (Nestor meridionalis), der sich eineinhalb Meter mir gegenüber auf einem Ast niederlässt und mich mit seinen schwarzen Augen mustert. Das war schon beeindruckend, irgendwie hatte ich doch ein anderes Gefühl von Intelligenz in Anbetracht dieser Augen, als wenn mich, sagen wir, ein Fliegenschnäpper betrachtet. Ist auch herzig, aber das ist fast eine Begegnung.

Sie haben schon ein schönes Federkleid, die Wekas, ganz ehrlich. Viel zu sehen gibt s trotzdem nicht.

Natürlich, der Name, das ist schon schwierig. Auf Rakiura bin ich auf einen Aussichtshügel gestiegen und da kommt mir eine vielleicht Sechsjährige entgegen, die mir mitteilt, dass weiter vorne ein guter Ausblick ist und dass da Bänke sind und ihr Vater. Und ich war gerade dabei, in den Bäumen zwei Kākās zu finden, die ich an ihrem Flügelschlag und Gekrächze dort vermutete. Und in dem Moment seh ich auch den einen und sag zu ihr, dass da oben, also, wenn sie von hier da rauf schaue… Es ist nicht so einfach – insbesondere einem Kind gegenüber – festzustellen, dass da in den Bäumen ein Kākā zu sehen sei. Noch dazu war ich mir zu dem Zeitpunkt gar nicht sicher, ob s da nicht verschiedene Unterarten gäbe, ich dachte, das irgendwo auf einem Poster gelesen zu haben. Und man will ja einer Sechsjährigen keinen Unsinn erzählen. Bin mir nicht ganz sicher, ob sie sie gesehen hat, aber ich bin mit Vater und Tochter am Nachmittag auf der Fähre gewesen und da hat sie auch noch gerne mit mir geplaudert.

Die zwei Kākās in den Ästen über mir waren schon toll, aber natürlich, dass ich zwei Stunden später einem im Wald gegenüberstehen würde, das hab ich mir da noch nicht gedacht. Und es war auch nur ein Moment, weil mit zwei drei Sätzen ist der der Vogel dann von Baum zu Baum gesprungen und so schnell konnte ich mich gar nicht umdrehen ist er auch schon wieder in den Wald entflogen gewesen. Deshalb heißt er wohl auch Waldpapagei.

Bittersüßer Schmerz, wenn die Begegnung mit einem Kākā zu Ende geht

Im Wald von Ulva hab ich auch noch einen Schwarm Ziegensittiche gesehen, die durch das Geäst geflogen sind, Kākāriki (Cyanoramphus novaezelandiae). Während die Bedeutung des Māori Namens wie die des englischen Namens sich darauf beschränkt, den roten Tupfer hervorzuheben, bezieht sich die deutsche, tendenziell uncharmante Bezeichnung auf ihre Laute, die angeblich an meckernde Ziegen erinnern. Kann ich nicht sagen, ich hab sie wohl bisher nur das eine oder andere Mal auf Bäumen gesehen, hauptsächlich im Flug eigentlich.

Als ich mich schließlich von Rakiura wieder verabschiedet hab, hab ich vom Pier aus noch einen Albatros (Diomedea epomophora) im Wasser schwimmen gesehen und es war ein bisschen eine Epiphanie, was so dieses Größenverhältnis zwischen Möwe und Albatros betrifft. Es war ein bisschen wie den Raben oben an der Devil’s Staircase zu sehen, der mir so deutlich den Unterschied zwischen Krähe und Rabe reingedrückt hat. Der Albatros hat s dem Fischer schwer gemacht, dessen Köder der Albatros sofort hinterher geschwammflattert ist – so mit Hilfe seiner Flügel an der Wasseroberfläche entlanglaufend. Und dann sitzt der Albatros geduldig, bis der Herr Fischer den Köder wieder aus dem Wasser zieht und dann ist er wieder zur Stelle. Als dann ein relativ großer Hai von unter dem Pier hervor geschwommen ist, hat s dem Albatros allerdings schnell gereicht und er hat sich auf weiteres aus dem Wasser erhoben.

Im Gegensatz zu Sting macht J. Cleese aus einem einzigen Wort einen Ohrwurm

Die letzten Beobachtungen hab ich dann in Arthur’s Pass gemacht. Zurückblickend war die Aussicht, dort Keas (Nestor notabilis) zu sehen wohl mindestens zu fünfzig Prozent dafür ausschlaggebend, dass ich mir den Aufwand gegeben habe, dorthin zu kommen. Interessanterweise hab ich noch sehr gut in Erinnerung, wie gleichgültig ich den Keas in Schönbrunn gegenüber gewesen bin, als ich sie dort zum ersten Mal gesehen hab. Sie kommen wohl nicht ganz dorthin, wo meine Papageienerwartungen sie gerne empfangen hätte. Mal angefangen damit, dass sie farblich nicht irrsinnig aufregend sind, leben sie in den Bergen, tun sich auch mit Schnee ok und sie sind am Ende auch noch Aasfresser. Also, wenn sich die Gelegenheit bietet, ich glaube, sie sind sehr opportunistische Esser. In Schönbrunn war dann diese Plakette, wie intelligent sie sind und dass sie zusammenarbeiten, um Probleme zu lösen und all das. Hat mich alles wenig beeindruckt. Aber seit dem hat sich wohl doch einiges getan. Meinem ersten Kea bin ich am ersten Abend über die Straße gefolgt und halb in einen Busch gekrochen, bis ich mir überlegt habe, was allfällige Passanten über mein wirres tun im Halbdunkeln denken mögen. Ich hab den Kea in dem Busch auch nicht mehr gefunden, aber ich nehme an, er ist irgendwo belustigt auf einem Baum gesessen.

Von der Qualität spielt diese Aufnahme in der Kategorie meiner Versuche, Wasserfälle aufzunehmen. Aber der Ruf des Keas ist doch so eigenartig, dass es sich auszahlt ihn zwischen dem abendlichen Gezwitscher, dem allgemeinen Rauschen und der einen oder anderen Windbö herauszuhören.

Zu hören sind die Keas schnell einmal gewesen, vor allem abends, aber auch tagsüber hat man immer wieder ihre Rufe gehört. Beim Spazierengehen ist dann einmal einer einige Meter über mir vorübergeflogen, so dass ich die rote Musterung an der Flügelunterseite zu sehen bekommen habe. Und am zweiten Abend hab ich dann einen ganzen Schwarm beobachtet. Jemand hatte geschnittene Äpfel auf einem Rasen ausgeschüttet und das ist eigentlich gar nicht ok. Don’t feed the kea!, informieren einen die Schilder. Und wer sich die Mühe macht kann auch die rezente Geschichte eines mit Lebensmittelvergiftung eingelieferten Keas lesen, der glücklicherweise unlängst wieder in die Freiheit entlassen werden konnte.

Reines Glück, den Kea mit den offenen Flügeln erwischt zu haben. Ein Handytelefon ist wirklich nicht dafür geeignet, im Halbdunklen Fotos von Vögeln zu machen.

Für mich war das natürlich trotzdem nicht so schlecht, weil das ein gutes Dutzend Vögel angelockt hatte, die jetzt vor mir durch die Wiese spaziert sind, um sich die besten Apfelstücke herauszupicken. Wiederum am eindrucksvollsten war es, als ein relativ großes Exemplar einen Meter neben mir gelandet ist. Das ist einfach ein witziges Erlebnis, wenn man so mittendrin ist, dass die Vögel auf einen zu kommen oder zumindest einen soweit ignorieren, dass sie einen dann erstaunt, weil ebenfalls entsprechend unerwartet, beäugen.

Bei meinem Spaziergang den Pass entlang war aber vor allem ein Vogel präsent und der zunächst auch mehr über seinen Gesang. Und wer versteckt sich da im Gäst? Der Maori-Glockenhonigfresser (Anthornis melanura). Ein Gefühl für Namen, die deutschen BiologInnen. Vielleicht sollte man das mal den SprachverteidigerInnen unter die Nase halten, dass das Deutsche immer schon weniger auf Ästhetik denn auf Exaktheit Wert gelegt zu haben scheint. Denn immerhin, soviel muss ich ihnen lassen, weiß ich anhand des Namens, dass ich hier wieder einen Honigfresser zu Gesicht bekommen habe. Das weiß ich natürlich bei Bellbird ebensowenig wie bei Korimako, wie er auf Māori genannt wird.

Ich hätte die Honigfresser ja insgesamt mehr nach ihrem Gesang benannt und nicht nach ihrer Lieblingsspeise. Der Korimako hat wenigstens die Glockerl in seinem Namen.

Zwei hab ich noch, abschließend, nämlich aus der Raubvogelkategorie. Da gibt s den Maorifalken (Falco novaeseelandiae) – die oben erwähnten BiologInnen scheinen da wesentlich öfter zum „Maori“ als zum „Neuseeland“ Präfix gegriffen zu haben. Das ist der einzige neuseeländische Falke und damit hab ich sicher ab und zu einen gesehen. Den Blick aus dem Autobus hab ich nämlich immer wieder etwas raubvogelartiges über den Wäldern und Feldern kreisen gesehen. Nie wirklich aus der Nähe, aber vom Verhalten her halt eindeutig Raubvogel.

Leider ausgeschlossen ist, dass ich ihn mit dem Haastadler (Harpagornis moorei) verwechsle, weil der hat sich gemeinsam mit den Moas bereits vor einigen Jahrhunderten aus unserer Welt verabschiedet. Der größte Greifvogel der Neuzeit mit einer Flügelspannweite von drei Metern, bis zu achtzehn Kilo schwer… Eine der Wandernden hat gemeint, think Gandalf. Weil im Gegensatz zum Herrn Pratchett sitzen die Herr der Ringe Referenzen hier ganz locker.

Zur besseren Veranschaulichung der Größe des Haastadlers muss man sich hier wohl die beiden Leute aus dem obigen Moabild mit hineindenken. Sonst gefallen mir die Moas vom Herrn Harder ja besser, mit ihrer statischen Körperhaltung, ihren strammen Beinen und ihren Sockenpuppenköpfen.