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Hindsight, so sagt man, is twenty-twenty. Dementsprechend lädt mich die Jahreszahl eh schon einmal mehr dazu ein, eher zurück zu blicken, denn nach vorne. Mittlerweile mischen sich Tulpen unter die Weihnachtssterne, die hier und da noch herumstehen, aber ich wehre mich immer noch ein bisschen dagegen, anzukommen. Oder auch ohne: wehre ich mich dagegen, anzukommen. Ich würde das so sagen: Wie ich angekommen bin, hat es noch gewirkt, als würde ich ankommen. Aber dann hat sich irgendwie der Eindruck durchgesetzt, ich sei einfach zurückgekommen und Wien ist nicht die nächste Station auf einer Reise, dieser – weil ich jetzt schon in dieser schalen Metapher Platz genommen habe – lebenslangen Reise. Es war eine Ausnahmesituation und ich bin zurück und es ist schwierig, den Erinnerungen und Erfahrungen einen Raum zu geben in diesem Alltag, den ich immer schon als so eng erlebt habe.

In Wahrheit bedeutet 20/20 auch nicht mehr, als dass man normale Sicht hat, also aus sechs Metern Entfernung erkennt, was man normalerweise aus sechs Metern Entfernung erkennen sollte. Und das sind dann halt auch etwa zwanzig Fuß. Das hat sich der Herman Snellen der Ältere ausgedacht (Utrecht, 1962).

Es ist schön, in Wien zu sein, es ist, auch so sagt man, schon schön, wieder in Wien zu sein. Ich bin bloß noch ein schönes Stück hilfloser als zuvor, in dem Versuch, meine Zeit zu gestalten. Es war ein bisschen eine gemeinsame Anstrengung, dass ich s Ende letzter Woche tatsächlich einmal ins Museum geschafft hab. Immerhin hab ich einen Kulturpass, den ich uneingeschränkt als ein großartiges Konzept herumreiche. Aber er es nach drei Wochen zum ersten Mal aus meinem Geldbörsel geschafft hat. Und dann hat mich die Frau an der Albertinakassa kostenlos reingelassen. Das war auch gar nicht so einfach, weil ich gemerkt hab, da liegt schon auch ein bisschen ein unangenehmes Moment darin, einen Ausweis für freien Eintritt zu haben, ob ich da nicht jemandem etwas wegnehme, was sie vielleicht dringender… Ja, soll ich mich nicht so anstellen. Aber in so was spiegelt sich halt der beständige reaktionäre Backlash wider, der mein erwachsenes Leben begleitet, die ständige Provokation einer Neiddebatte von einer Seite, die spontan kaum die Frage nach der Anzahl an Stellen im Milchpreis richtig zu beantworten weiß. Obwohl es beim Kulturpass ja nicht einmal VerliererInnen in dem Sinn gibt. (Auch wenn mir die Schweigsamkeit meines AMS gegenüber dem Kulturpass das Gefühl vermittelt, dass hier mit einer finiten Ressource gehandhabt wird.) Ach ja, so geht halt der Kopf, wenn ich nicht ab und zu jemanden da hab, die mir helfen, ihn mir ein bisschen gerade zu richten.

Das war natürlich ein Versuch, ein bisschen so einen Tag zu machen, wie ich ihn vor drei, vier Monaten vielleicht gemacht hätte, wenn ich nach Wien gekommen wäre, wenn man in Europa unterwegs nach Wien kommt. Zwei Tage Wien bevor man sich auf den Weg nach Budapest, Venedig oder Salzburg macht. Das man s halt gesehen hat. Ich hab in der Früh schon ein bisschen gebraucht, weil wenn ich nicht im Hostel aufwache, dann wach ich eben bei mir daheim auf und da ist der soziale Druck, gleich einmal in die Gänge zu kommen, etwas geringer. Noch dazu ist da ein Kühlschrank und ein, zwei Kaffeemaschinen, eine Schublade voller Tee und jetzt dann auch zwei Katzen. Es gibt also gleich allerhand zu tun und dann setze ich mich üblicherweise auch noch ein bisschen hin und schon ist es Mittag. War s eins, war s zwei, als ich mich endlich auf den Weg und in traditioneller Manier erst einmal zu Fuß in die Stadt aufgemacht habe. Gehört auch ein bisschen dazu, ein bisschen verloren zu gehen und vielleicht ein schönes Haus zu sehen. Wer weiß, schafft s die Stadt mich zu überraschen? Nein, eh nicht. Es ist windig und kühl, aber immerhin schaut der Himmel ab und zu durch die Altostratus und wo der lokale Stolz auf die Donaufarbe im Anblick derselben vielleicht ein bisschen verfehlt erscheint, der Himmel kennt keinen Patriotismus und zeigt sich überall in mehr oder weniger gleichermaßen erfrischenden Tönen.

In der Albertina bin ich zuerst einmal im Keller. Es ist schon erstaunlich und vielleicht ist es nur selektive Wahrnehmung. Aber ich war jetzt schon oft einmal im Museum in den letzten Monaten. Und oft spielt die Inszenierung natürlich schon eine Rolle, wie freistehend ein Objekt ausgestellt wird, wie zugänglich etwas gemacht wird. Da spiegelt sich natürlich auch ein bisschen die Zugänglichkeit und wie sich gerade modernere Kunst dann oft auch einmal vielleicht ein bisschen greifbarer präsentieren will, ohne Rahmen, direkt, greifbar. Aber dabei wird dann doch oft einmal darauf gezählt, dass die Leute ihre Grenzen selber setzen, nämlich dort oder früher dort setzen. Die Freiheit endet da, wo, naja, das Museum sagt dir schon, wo die Grenze ist. Im allerersten Raum eines österreichischen Museums bin ich keine drei Minuten da meldet sich der Wärter und ruft lautstark eine russische Touristin vom Exponat zurück. Achtung! oder Vorsicht!, auf jeden Fall ein gewisses Heda! Und zweimal muss er walten, weil sie sich nicht angesprochen fühlt. Zugegeben, sie hat das Bild einer gründlichen Betrachtung unterzogen und da war wohl ein Finger, der ein Detail hervorgehoben hat. Aber von da, wo ich gestanden bin, hätte ich nicht gesehen, dass da eine Berührung im Spiel gewesen ist. Aber das dürfte der werte Herr Ausstellungsraumsbeschützer auch nicht gesehen haben. So bekomme ich in den ersten fünf Minuten gleich einmal vorgeführt, dass im Wiener Museum (wie im Kaffeehaus), Gäste eher aus einer gewissen Gnade zugelassen werden.

Die Albertina überrascht mit viel Text. Auf den ich im Folgenden mit viel Text reagiere…

(Und der Gnade des langwierigen Überarbeitungsprozesses verdanke ich die Erinnerung an eine Ausstellung in Japan, wo man sozusagen ganz und gar durch das Exponat waten musste, da waren Bälle und Nebelschwaden und Regale und alles zusammengewürfelt. Bin ich auch zurechtgewiesen worden, weil ich mich ein bisschen zu sehr an der Kunst beteiligt hab. Fand ich auch doof.)

Worüber ich dann auch überrascht bin, ist wie viel Text sich die KuratorInnen haben einfallen lassen, um von den Bildern abzulenken. Ha! Nein, das ist natürlich eine Übertreibung, das wird sicherlich nicht im Sinne der AutorInnen gewesen sein. Aber ganz ehrlich, ab dem fünften, sechsten Raum, bin ich tatsächlich mehr mit Lesen beschäftigt. Zuerst bin ich fasziniert von der Betonung des Österreichbezugs der KünstlerInnen. Nach dem dritten, vierten Text, der Österreich als Geburtsland, als Ausbildungsland, als Arbeitsland oder als Urlaubsland, in dem sich die KünstlerIn für zwei Wochen vor der einer mehr oder weniger produktiven Phase ihres Schaffens aufgehalten hat, verliere ich mich mehr und mehr in den Texten. Natürlich ist das nicht ganz fair, mich darüber derart zu amüsieren, ich vermute ja hinter den teilweise übertrieben hochgestochenen Formulierungen ja auch nur die eine oder anderen Unsicherheit, die dort zu verstecken versucht wurde. Ich weiß nicht, welchen Stellenwert diese Texte bekommen, wer die schreibt und mit welchem Auftrag. Und nicht einmal wirklich mit welchem Ziel – worüber vielleicht als erstes Klarheit zu schaffen wäre. Was es vielleicht auch schwieriger macht… ich frage mich, wie viel Feedback die AutorInnen für ihre Texte überhaupt bekommen, weil eigentlich geht s natürlich um die Werke. Ob sich nicht die ganze Textgattung derart ein bisschen verselbstständigt.

Eine e relativ normale Biografie zum Anfangen. Aber man kann sich schon die eine oder andere Frage stellen. Einerseits von der Satzstruktur her: warum diese Nebenherformulierung „der in Österreich geborene“? Und wo hat der Herr Schmalix vor 1987 gearbeitet, nachdem er sich 1983 schon neuen Motiven zuwendet? Wer sind Herbert und Hubert?

Jetzt war ich in den Tagen darauf einen Sprung im Leopoldmuseum und da war letztlich auch viel Text. Und wie haben die das dort jetzt geschafft, dass die dort weniger aufdringlich herübergekommen sind? Pass auf, ich glaube, das ist eine technische Frage. Die haben dort normal die großen Einführungstexte genauso gestaltet, wie auch in der Albertina: links ist Englisch, rechts ist Deutsch und dann hat man einen Meter Text an der Wand. Aber für die einzelnen Bilder gab s die Informationen auf kleinen Taferln, die neben einigen Werken angebracht waren. In der Albertina haben sie aber auch neben den Objekten diese Klebebuchstaben verwendet. Und während ich das ja überhaupt für eine ziemlich affektierte Methode zur Affichierung halte, müssen die aber wohl auch eine gewisse Größe haben. Jetzt kann man die dadurch auch aus zwei Meter Entfernung fast noch zu lesen und damit verhält sich der Text so bisschen aufdringlich gegenüber der im Idealfall in der inneren Versenkung befindlichen BetrachterIn. Ich hab ja die Brille auf. Und dann lenkt das tatsächlich ein bisserl vom Bild ab.

Vor diesem erste Satz, mit dem die Frau Krystufek hier beschrieben wird, bin ich mehrere Minuten gestanden: Sie ist eine Vertreterin von etwas, das selbstverständlich ist? Außerdem kann man den zweiten Absatz auch zur Illustration einer weiteren irritierenden Technik heranziehen, dass nämlich die LeserIn über sich selbst liest, wie sie sich in der Betrachtung der Werke erlebt.

Aber eigentlich fallen mir die kuriosen Formulierungen und der wichtigtuerische Stil auf. Nicht zuletzt, weil ich das ja auch von mir kenne, dass ich mich hinter Formulierungen verstecke, weil die eine Interpretation vielleicht ein bisschen wackelig daherkommt oder das andere Zitat ein bisschen aus dem Kontext gerissen ist und der Text die vielen dahergeredeten Wattebäusche benötigt, damit es im Karton nicht zu rappeln beginnt, wenn ihn jemand ein bisschen zu schütteln beginnt. Ein Schelm… Aber es ist halt schon so, dass man vielleicht ein Auge dafür, gerade die eigenen Unzulänglichkeiten in anderen etwas deutlicher zu erkennen. Und wie auch ich mich im Zweifelsfall immer wieder einmal gefragt habe, ob es denn den Text wirklich brauche, so würde ich den AutorInnen jener Wandtexte diesen Gedanken ebenfalls vorsichtig ins Blickfeld schieben. Weil nicht nur, dass von den vielen verschiedenen KünstlerInnen, die oft mit zwei, drei Werken ausgestellt werden, jeweils diese österreichfixierten Kurzbiografien an die Wand geklebt sind, wird in den Texten zu den einzelnen Bildern tatsächlich oft einmal beschrieben, was auf dem jeweiligen Bild zu sehen ist. It’s right there, mate! Noch dazu, wenn dann im Text beschrieben wird, wie „[a]uf Hitlers Kopf […] der Aktionskünstler Nam June Pail eine Gitarre [zertrümmert]“ (Jörg Immendorff 2006, Ohne Titel) und am Bild ist unverkennbar eine Geige zu sehen. Oder eine Viola. (Also nicht unverkennbar.)

Ich bin ja schon ein bisschen bekannt dafür, dass ich mich vielleicht nicht super-easy auf etwas festlege. Aber hier wird nicht nur einfach festgestellt, dass die „politische Aussage von Kunst“ in Deutschland wichtiger sei, als anderswo in Europa – was ich natürlich schon einmal hinterfragen möchte. Und dann macht das das Immendorf’sche Œvre auch noch deutlich, nicht schlecht. Deutlich macht hingegen der zweite Absatz, dass man die „Weltprobleme“ doch am liebsten in der eigenen Ecke feststellt. Ob man mit der gleichen Vehemenz jene für unbegreiflich halten würde, die globale Brisanz nicht kapieren, die jeweils in der Trennung Koreas, in der indonesischen Palmölindustrie oder im langsamen Tod des Great Barrier Reef liegen?

Man könnte jetzt sagen, eigentlich war ich ja wegen der Sammlung Batliner dort. „Den ImpressionistInnen“, wie ich jetzt immer gesagt hab, wenn mir der Name Batliner nicht eingefallen ist. Aber mir ist dann fast schon ein bisschen die Geduld und der Rücken und das viele Stehen… und ich hatte noch einen Termin, an den ich mich jetzt anstelle des Namens Batliner nicht erinnern kann. Und das war auch noch ganz nett, weil da ein Masterstudent mit einem Fragebogen gestanden ist. Das war interessant, weil er hat ein bisschen was vorher-nachher erhoben, wo er mich, bevor ich reingegangen bin, gefragt hat, wie viel ich positive Gefühle habe und wie viel ich negative Gefühle habe und wie emotional ich erregt bin. Und das hab ich gleich spannend gefunden, dass man das so, auf drei Skalen erhebt anstatt auf einer. Es hat sich auch gleich erprobt, weil ich durchaus ein bisschen negativ aufgelegt war, nachdem ich zwei Stunden lang Bilderbeschreibungstexte kritisiert hab. Das macht die Seele nicht schöner, ganz ehrlich. Zumindest nicht, wenn man nicht darüber redet und sich doch ein bisschen als jemand sieht, der mit einer gewissen Freude auf die Fehltritten anderer… Ja. Aber ich war nicht grauslich im Kopf oder bitter im Herzen, bloß ein bisschen kleingeistig zwischen den Augenblicken: Drei von sieben. Und positiv war ich ja viel mehr, mindestens fünf von sieben. Emotionale Erregung hab ich mir wahrscheinlich vier gegeben. Aber das ist eine schwierige Frage, die vielleicht ein bisschen eine Pilotierung vertragen hätte. Einerseits ist das natürlich so, dass ich mich zwar oft einmal frag, wie s mir so geht und dann vielleicht auch meine positive Stimmung und meine negative Stimmung nebeneinander stellen kann, aber ich merk, ich frag mich zu selten, wie s mit meiner emotionalen Erregung ausschaut. Und andererseits bin auch ich nicht gegen soziale Erwünschtheit gefeit und wenn ich weiß, dass ich da vorher-nachher gefragt werde, bevor ich zu den ImpressionistInnen hineingehe, dann muss ich mir Platz nach oben lassen. Das würde ich sagen, wenn ich da ein bisschen eine Kritik an der Methode anbringen wollen würde: Wenn ich vor dem Raum abgefangen werde und nur gesagt bekomme, dass es diese Erhebung gibt und wenn ich bereit wäre mitzumachen, er sei übrigens Masterstudent von der Kunstuni, ob ich dann nach dem Raum gleich nochmal rauskommen würde, ich könne mir so viel Zeit lassen, wie ich will, aber ob ich dann gleich nochmal rauskommen würde, weil er habe zweieinhalb Seiten Fragebogen für mich, sei gleich erledigt, ja?, super, vielen Dank, total lieb von mir, und er wünsche mir einen schönen Kunstgenuss. Und dann einen zweieinhalbseitigen Fragebogen gibt, der mich am Anfang fragt, ob sich meine positive Stimmung, meine negative Stimmung und meine emotionale Erregung in dem Raum nach oben oder nach unten entwickelt hätten – ich glaube, mit den Antworten wäre mehr anzufangen. Weil natürlich sagt man, lieber keine Erinnerungsfragen und schon gar nicht nach Befinden, das würde ich auch nicht unbedingt machen. Auf der anderen Seite aber eben halt soziale Erwünschtheit und nach einer Viertelstunde die gleichen Fragen und dass das vorher schon absehbar und sicherlich nicht nur für mich, weil ich mein, immerhin, das hab ich schon gelernt, aber trotzdem. Abgesehen davon, dass der Typ wirklich sehr nett war und wahrscheinlich meine positive Stimmung um einen Punkt hochgehoben hat. Oder zumindest, im Zweifelsfall hätte ich aufgerundet.

Eins noch: Öde Behauptungen in langweiligen Hauptsatzaneinanderreihungen und ein fulminantes Finale in einer der erzwungensten Österreichreferenzen: Sein Bildtitel A.E.I.O.U. erinnert vielleicht an den österreichischen Imperialismus, aber Absicht wagt der Text Anselm Kiefer dann doch nicht zu unterstellen.

Was mir noch gut gefallen hat, war, dass sie Geschlecht und Alter einfach mit offenen Fragen abgefragt haben. Weil das ist ja auch so ein Ding, das manchmal nicht so leicht ist, heutzutage, dass man in seinem Fragebogen sagt, Geschlecht: eins, zwei… Aber braucht s nicht langsam mehr als zwei Antwortmöglichkeiten? Weil man darf jetzt nicht vergessen, es gibt da auch eine gewisse moralische Dings, also, nicht, dass es nur darum geht, dass man dann auswerten kann, a-ha, die, die sich als andere klassifizieren, die zeigen eine Korrelation mit diesem oder jenem Verhalten und/oder Einstellungen. Sondern auch, dass man seinen freiwilligen Ausfüllenden nicht noch hinschmeißt, dass man an einem mitunter zentralen Aspekt ihrer Identität eigentlich nur soweit interessiert ist, als er sich in eine von zwei Kategorien pressen lässt, die man sich dafür überlegt hat. Jetzt hab ich das elegant gefunden, dass sie das halt offen gefragt haben. So viele werden die da nicht erheben, hab ich mir parallel dazu gedacht, weil ich natürlich daran gedacht hab, dass das manuell in den Datensatz Eingang finden muss. Elegant fand ich aber auch, dass es nicht einmal einen Hinweis zum Datenschutz gegeben hat, insbesondere, weil ich unten noch meine Emailadresse draufgeschrieben hab. Nicht dem Masterstudenten, sondern da war ein Feld dafür, für eine Folgeerhebung.

Die detaillierte Erhebung des sexuellen Spektrums der TeilnehmerInnen ist auch nicht immer im Sinne der Befragung. Aber ich würde das zum Beispiel schon einmal im Mikrozensus mitlaufen lassen.

Na und dann hab ich mir noch ein bisschen die ImpressionistInnen angeschaut. Hat mir gut gefallen, hat mich emotional noch ein bisschen erregt, zumindest am Papier. Irgendwann war dann eben, dass ich mir gedacht habe, ich bin jetzt eigentlich schon wieder genug gestanden (und ich kann ja jederzeit wiederkommen), ich schenk mir jetzt dem Dürer seine Drucke und selbst den Picasso werd ich jetzt nicht mehr näher studieren. Dann bin ich aber doch noch vor der Eingeschlafenen Trinkerin stehengeblieben und hab überlegt, ob ich der nicht im Sommer in Hiroshima gegenübergestanden bin. War sie nicht, aber für einen Moment ist diese Trinkerin trotzdem eine Leine in etwas hinein oder aus etwas hinaus gewesen. We’ll always have…, mon amour.

Wait, there’s more!

Wie ich am letzten Abend in Hiroshima nach meiner Abenddusche vor dem Spiegel steh und mir die Haare mach, schaut mich ein Gast so schräg von der Seite an. Ich sag mal, der war so Mitte zwanzig vielleicht, ein junger Mann mit langen schwarzen Haaren und möglicherweise ein bisschen einem Bart um den Mund herum oder auch nicht. Er hat ein bisschen was verwegenes gehabt, aber mehr so wie jemand, der sich ein bisschen gehen hat lassen, nicht unbedingt wie jemand, der viel erlebt hat. Aber was bedeutet das schon in dem Alter, da hat man ja sein Leben noch vor sich. Sagen wir, er hat ein Metal T-Shirt angehabt, natürlich verwaschen, roter Schriftzug, irgendwie bisschen zackig die Buchstaben, ein überflüssiger Umlaut, darunter vielleicht ein Turm Totenschädel auf dem sich eine Frau erkältet, während ihr der Höllenwind durchs Haar fährt. Oder ein grünhäutiges Ungetüm, dass sich über eine E-Gitarre beugt aus der Blitze fahren. Sowas in der Art. Schwarze Jeans und schwere Schuhe. Jemand, der ein bisschen in seiner Teenagermode hängengeblieben ist, und immer noch ernst nimmt.

Der schaut mich so an, während ich mir den Kamm durch s Haar zieh und fragt mich aus dem Nichts heraus, wo ich her bin. Und ich sag halt Austria. Auch wenn ich schon einmal gar keine Lust hab, mich jetzt hier mit jemandem unterhalten, der mir so ein Gespräch anzettelt. Aber er antwortet wie üblich, ob denn Austria or Australia. Wie ein alter Geheimagent, dem das Spiel mit den Passphrasen schon ein bisschen langweilig geworden ist, wiederhole ich, dass Austria. Und er sagt, ah wirklich. Und bis zum Hals in steirischem Akzent. Ich hab ja nichts gegen einen steirischen Akzent im speziellen. Ich will gar keinen österreichischen Akzent hören, nicht so nah, und schon gar nicht an mich gerichtet. Aber so sind wir plötzlich in einem Gespräch und während ich weiterhin konzentriert in meinen Spiegel schau, versuche ich s mit einer unverbindlichen Bemerkung: Schau an, die Langhaarigen sind aus Österreich. Und er beginnt eine Geschichte darüber, dass er schon befürchte, hier jemandem zu begegnen, den er gar nicht sehen will, es gäbe da einen, den er im Sinn habe, von dem er nur darauf warte, dass er ihm hier den Weg kreuze. Was für eine seltsame Erzählung von jemandem, dem ich gerne aus dem Weg gegangen wäre. Nein, nein, sagt er, das wäre gerade sein Pech, dass ihm der hier über den Weg laufe. Ich sag jetzt gar nichts mehr. Da lässt sich schon eine Grenze zur Paranoia ziehen, wenn man allgemein einer Gruppe von Menschen nicht unbedingt begegnen möchte oder aber fürchtet, dass einem eine konkrete Person bis nach Japan gefolgt ist.

Was ich denn heut noch so vorhab, fragt er mich unvorbereitet. Ich sag, ich ginge jetzt was essen. Ob du s glaubst oder nicht: Ich tätert da mitkommen. Uff. Uff oder brrrr. Das ist doch unmöglich. Weil wir unsere Steuern in das gleiche Umverteilungssystem einzahlen, muss ich jetzt FreundInnen mit jemandem sein? Woher kommt dieser Umgang sonst. Ich mein ja, der war schon auch ein bisserl besonders und es gibt ja so Leute, die sagen, Ablehnung ist mir wurscht, wenn ich oft genug einmal jemanden frag, dann komm ich auch unter. Aber ich, ich hab jetzt lügen müssen, wenn ich sag ah, hm, na, ich treff jetzt Freunde. Lügen und nicht mal gegendert. Aber damit war die Sache wenigstens gegessen. Das hat er akzeptiert. Und wahrscheinlich war für ihn die Sache damit auch erledigt, ich hab halt noch tagelang drüber nachgedacht, woher das kommt, dass mich jemand mit dem Verdacht anspricht, dass ich ein Österreicher bin. Hab ich gar die Bundeshymne vor mich hingesummt? Schien mir das Bundesadlertattoo durch s Trägerleiberl? Hat sich mein Telefon auf den die rot-weiß-rote Fahne wehen lassenden Bildschirmschoner umgeschaltet? Oder sind mir Muttererde und Vaterland gar garstig ins Gesicht geschrieben?

Hier haben mir meine UdonladenfreundInnen eine Liste mit Dingen gemacht, die ich mir in Japan anschauen soll. Ist das nicht total herzig, wie viel Mühe sie sich mit dem Einleitungstext gemacht haben? Und dann vier Punkte von ihrer eigenen Zehnerliste ausgefüllt. Mehr ist ihnen nicht eingefallen, haben sie lachen gesagt. Eh. Und ich merk grad, dass ich heute aus Osaka raus bin, ohne in Sakai gewesen zu sein. Aber immerhin bin ich jetzt in Kanazawa, auf die Idee wäre ich von allein nicht gekommen.

Es war dann gar nicht so gelogen, hab ich mir zurechtgelegt, weil ich bin wieder in meine Udonbar gewandert. Und das waren ja durchaus FreundInnen, hab ich dem Echo des seltsamen Steirers in meinem Kopf gegenüber gerechtfertigt. Bloß, die Udonbar war zu, schaumaleineran. Wie ungut, nicht nur weil ich doch gerne noch einmal Hallo gesagt hätte, sondern auch weil mich dieser Öffnungszeitenfauxpas doch jetzt erst recht ein bisschen in die Unwahrheitsecke stellen würde. Na denn, sag ich mir: new friends it is. Bin ich nebenan in eine Ramenhandlung gestiegen, wo ich mir Ramen in der Salzsuppe mit Shrimpsöl bestellt hab, nachdem mir der Besitzer ein Kleingeld gewechselt hat und mich beim Automatenbedienen betreut hat. War ein bisschen salzig, leider, leider, aber dafür war der Besitzer umso freundlicher. Es ist schon immer ganz interessant, welche Assoziationen die Menschen bei Österreich haben. Hier bin ich dem Klassiker begegnet, hat er eine GeigenspielerIn gemimt und die schöne Musik gelobt. In Osaka hat mir die Hostelbesitzerin von der Seite ein beer! ins Gespräch geworfen, das ich mit der Eincheckerin geführt hab. Aber ja, Osaka. Davon wusste ich ja noch gar nichts, während ich mit meinem neuen Freund der Ecuadorianerin zugeschaut hab, die gegen die Thailänderin in der Karaoke Talentshow gewonnen hat. Ja, das hab ich nicht ganz verstanden, aber das japanische Fernsehen ist ja berühmt dafür, von Nicht-JapanerInnen nicht verstanden zu werden. Das Programm war schon am Ende und sie war dann auch die einzige, die ich noch gehört hab. Sie hat schon gut gesungen, aber ich würde mir ja schwer tun, jemandes Karaokegesang zu bewerten. Aber deshalb gibt s natürlich eine ganze Handvoll professionell begeisterbarer JujorInnen, da bleibt das so oder so nicht an einer allein hängen. Und dann hat sie zwei Punkte mehr gehabt oder was. Die Thailänderin war nicht glücklich, aber sie hat ihr Gesicht einen Moment später wieder unter Kontrolle gehabt und sich gemeinsam mit ihrer Bezwingerin über deren Sieg gefreut.

Ich bin dann wieder ins Hostel zurück. Man glaubt s nicht, aber ich hab dabei schon wieder einen Fächer geschwungen, den mir diesmal der Herr Gastgeber persönlich zum Abschied verehrt hat. Das ist schon erstaunlich, weil das ist ja zentral gelegen und in Hiroshima steigen doch viele TouristInnen ab. Hab ich mich gefreut und mich dankend verabschiedet. Daheim bin ich dann schnell in meine Kapsel geschlupft. Früher Zug und so. Sicher, ich wollte mich auch nicht mit meinem Metalhaberer ob auf Basis unserer Herkunftsverwandtschaft zusammensetzen. Bin doch nicht blöd, mir jetzt noch den schönen Abend und die feinen Hiroshimaerinnerungen zu riskieren!

Go Carps!

Na gut, let’s do this. Ich hab für Hiroshima jetzt ein paar Mal versucht das in Worte zu fassen. Vergleiche, die man nicht anstellen kann. Aber irgendwie steht man halt vor einem Kriegsverbrechen und denkt an die Kriegsverbrechen und vielmehr noch an die Verbrechen, die auch jenseits vom Krieg stattgefunden haben. Und eigentlich will ich ja doch nur die Erinnerungskultur vergleichen, aber irgendwie drängt da sofort die Schuldfrage mit hinein. Und so widmet sich auch Hiroshima dem Frieden und der Abschaffung von Atomwaffen.

Das ist gut gelungen. Und ich weiß nicht, ob das anderen Leuten auch so geht, aber ich finde der Museumsrundgang endet damit irgendwie positiv. Also nicht dass alles gut wäre, aber dass es etwas zu tun gibt. Und auch bei einem zweiten Punkt, weiß ich nicht, ob das nicht vielleicht mehr ich bin: Zuerst hab ich mich ein bisschen gewundert, dass Leute ihre Kinder mit ins Museum bringen. Und dann hab ich gesehen, dass – wie in jedem Museum – sich die Kinder für manche Sachen interessieren und für andere Sachen nicht interessieren und das passt dann schon. Und wenn Kinder dann vielleicht anfangen, zu spielen oder meinetwegen auch aus Hunger oder Langeweile zu weinen, weil sie vielleicht auch sogar noch Babies sind… Dann stört das nicht. Ich finde ja dass da schon einiges dazu gehört, dass Hiroshima so eine lebendige Stadt ist, in der Leute leben und ich glaube gerne leben. Eine Stadt, die ich nämlich auch als lebenswert kennengelernt hab. Und da sind die Geräusche der nächsten Generation ja etwas willkommenes, gegenüber dem Wahnsinn, der in dem Museum dokumentiert ist. Wie gesagt, vielleicht ist das auch eine Biologie, die mir das in den Sinn gesetzt hat.

Kraniche zum Gedenken

Na gut. Auf jeden Fall bietet das Museum die Gelegenheit, ein bisschen eine andere Perspektive einzunehmen. Weil man sieht ja oft einmal so einen Atombombenpilz und ganz ehrlich: viel zu selten hab ich daran gedacht, was das für die Gegend unter diesem Pilz bedeutet. In einem Umkreis von zwei bis zweieinhalb Kilometern ist kaum ein Haus gestanden. Man kann sich das wirklich kaum vorstellen, aber wenn man die Luftaufnahmen der alliierten Aufklärungsflugzeuge sieht, dann muss man sich das nicht vorstellen. Und natürlich, selbst Überlebende müssen da in einem brennenden Chaos gelegen sein, in das von außerhalb wohl tagelang keine Rettungskräfte dazugekommen sind. Im Gegensatz zu Nagasaki ist die Atombombe in Hiroshima auch einfach mitten über der Stadt abgeworfen worden. Da war wohl eine Kaserne auch betroffen, aber halt auch ein Mädchenpensionat. Und dann komm ich natürlich ins Vergleichen, wie ein Blinder von der Farbe. Aber weil eine Atombombe halt doch einfach etwas anderes ist, rein qualitativ. Man muss sich das vorstellen, dass die Stadt ja nicht im Alarmzustand gewesen ist. Keine Warnung, niemand im Bunker, niemand in Deckung. Im Museum haben sie die Hand von einem gezeigt, der die aus dem Fenstern hat hängen lassen um 8:15 und wo einfach eine Linie ist, bis wohin die Finger verbrannt sind. Insgesamt fokussiert man sehr auf Einzelschicksale und das hat mich schon immer wieder zu Tränen gerührt, die Bilder zu sehen von Familien, von Schulklassen, von einzelnen Personen mit Hut und Schirm, Straßenszenen vom Tag davor. In dem Wissen, dass viele der Leute auf den Fotos nicht einmal einen Leichnam hinterlassen haben.

Ich fand das eine schöne Warnung und vor allem einen guten Hinweis für Begleitpersonen. Es sind auch tatsächlich viele Schulklassen, die Hiroshima besuchen.

Man muss auch sehen, dass viele Leute nach den Dokumenten der atomaren Verwüstung, der Vorgeschichte, die danach ein bisschen aufgearbeitet ist oder sogar am Ende, wo dann noch die Nachgeschichte und wie danach die atomare Aufrüstung einfach vollkommen aus dem Ruder gelaufen ist, dass viele Leute dafür kaum noch Zeit haben. Auch in Hiroshima wird die Rolle Japans kaum hinterfragt. Dass das faschistische Japan nach Hiroshima – weil das hab ich mich schon gefragt – nicht reagiert hat und der Meinung gewesen ist, das lässt sich aussitzen, das hab ich anderswo nachgelesen. Und das ist wirklich ein harter Brocken. Auf der anderen Seite waren scheinbar schon zwei Atombomben geplant, weil das war ja waren ja auch zwei verschiedene Modelle, Uran in Hiroshima und Plutonium mit noch einmal eineinhalb so viel Sprengkraft in Nagasaki. Und die WissenschaftlerInnen waren auch sehr schnell vor Ort, die japanischen, aber dann auch die alliierten, um die Auswirkungen zu dokumentieren. Die Rolle der Wissenschaft in der ganzen Geschichte ist sicherlich noch ein bis zwei genauere Betrachtungen wert. Aber es war auf jeden Fall die Entscheidung einer Politik, auch der Sowjetunion, die sich in der Gestaltung des Nachkriegseuropas bereits deutlich als Widersacher der Alliierten abzeichnete, zu zeigen, wer hier die Fäden in der Hand hält. Und eine bedingungslose Kapitulation Japans hätte man wohl auch erwartet und deshalb auch keinerlei Ankündigung des atomaren Angriffs gemacht.

Ein Bild zur technischen Seite: Rechts ist Nagasaki, links Hiroshima. Im roten Bereich sind die Gebäude komplett verbrannt und eingestürzt. Beide Karten haben einen Durchmesser von 6km.

Und dann leitet das Museum eben über auf die Hintergründe der Atomwaffenentwicklung, auf das Rennen, das sofort anschließend ausgebrochen ist, Wasserstoffbomben, Interkontinentalraketen, Indien, Pakistan, Nordkorea und die Drohung strategischer Atomwaffen im Handkoffer. Und die mal mehr mal weniger bemühten Versuche, auf beiden Seiten ein bisschen runter zu kommen. Ein amerikanischer Tourist hat hinter mir vom Erfolg der Drohung der gegenseitigen Vernichtung, naja, geschwärmt ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Und vielleicht ist da was dran, dass der Wahnsinn für eine relativ friedliche zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gesorgt hat. Auf jeden Fall muss man schon um die halbe Welt fliegen, um daran erinnert zu werden, dass die Weiterentwicklung und -verbreitung von Atomwaffen, dass die Bemühungen Nordkoreas und des Irans in diese Richtung keinesfalls Ausreißer in einem stabilen System sind sondern die lineare Fortsetzung eines Prozesses, der seit siebzig Jahren vor sich hin entwickelt.

Am schrägsten ist aber vielleicht, dass es in Hiroshima bis in die Fünfziger gedauert hat, bis das Gelände geräumt und wieder aufgebaut wurde, bis die Menschen, die an den Nachfolgen der Bombe gelitten haben, versorgt wurden, bis überhaupt die Forschung sich mit den Auswirkungen der Strahlung auf die Menschen ordentlich auseinandergesetzt hat. Und länger noch, bis sich eine Gesellschaft wieder in eine Normalität zurückgefunden hat.

Natürlich steht trotzdem vieles im Kontext der Atombome, so hat sich eines der Museen zum Ziel gesetzt, den Menschen eine Möglichkeit zum Durchatmen zu bieten. Dafür haben sie eine hübsche Sammlung von ImpressionistInnen: Hier haben sie mir Gaugins Tahiti aufgehängt.

Es ist wirklich schwierig zu verstehen, wie man hier damit umgegangen ist, einerseits der Aggressor in einem imperialistischen Krieg gewesen zu sein und andererseits das Opfer eines furchtbaren Gegenschlags geworden ist. Und ich kann das nur durch die Augen eines auf die Taten der imperialistischen Verbrecher fokussierten, humanistisch veranlagten Mitteleuropäers sehen. Und da fehlt mir einfach etwas. Aber vielleicht ist das auch das katholische Erbe, das mich zur Schuldfrage zieht. Ich halte den Aufruf für den Frieden, den Hiroshima und Nagasaki glaubhaft formulieren, für einen positiven Schluss aus der Erfahrung. Aber basiert das auf der Verdrängung der Verbrechen des imperialistischen Japans? Mir geht das Video nicht aus dem Kopf, in dem eine alte Frau erzählt und sagt, dass sie es nach wie vor bereut, dass Japan so zum Frieden gezwungen worden ist, aber dass sie heute dankbar für den Frieden ist, in dem ihre Kinder und Enkel aufgewachsen sind. Da steckt eine Ambivalenz drin, die ich aus den Untertiteln heraus nicht entschlüsseln konnte.

Aber auch in Hiroshima ist das Leben weitergegangen. Lass mich mit ein paar allgemeinen Bemerkungen ein bisschen Luft schnappen: Es ist eine schöne Stadt. Ich hab das in Fukuoka kurz gesehen, wo ich am Weg von Nagasaki nach Hiroshima einen kurzen Stopp eingelegt hab, wie schön japanische Städte in ein Flussdelta hineingelegt sind. Die Stadt ist so von mehren Flussarmen gekreuzt und verteilt sich quasi auf mehrere Inseln. Das ist wirklich schön, aber hat mir gar nicht zur Orientierung geholfen. Oft einmal hab ich mich auf der übernächsten Insel gewähnt und hab dann erst wieder mit dem Telefon meine Position herausfinden müssen. Weil es ist auch nicht klein. Eine Million wohnen in Hiroshima und ich hab natürlich nicht viel mehr als das Zentrum gesehen, aber vielleicht dadurch, dass diese Inseln existieren, kommt man doch schnell einmal in verschiedene Gegenden.

Und wenn man einen Ausflug macht, dann kann man schnell einmal mit dem Schiff auf Miyajima fahren, das ist so eine kleine vorgelagerte Insel, wo man relativ zahmen Rehen begegnet und dann gibt s natürlich wieder Tempel und Schreine und ein großes Tor, das im Wasser steht und vor lauter Berühmtheit gerade einer Renovierung unterzogen wird. Aber das macht nichts, weil wie ich dort angekommen bin, war das Licht gerade so gut, dass der blaue Himmel, die grünen Bäume und die roten Tempelanlagen an sich schon so gut ausgeschaut haben, dass ich den scheinbar auf dem Wasser schwimmenden Itsukushima Schrein gar nicht auch noch gebraucht hab.

Ein interessanter Text aus dem Impressionismusmuseum hat festgestellt, dass ImpressionistInnen wie Boudin und Sisley in ihren Bildern die Offenheit der Landschaft ausgedrückt haben, indem sie Himmel viel Platz eingeräumt haben. Monet sei zunächst stark von Boudin beeinflusst gewesen, aber dann sei die Horizontlinie in seinen Bildern immer weiter nach oben gewandert, um Platz für Wasser und den Spiegelungen darin zu machen. Ich bin hier offenbar noch stärker von Boudin beeinflusst.

Außerdem war ich müde, weil ich auf den Berg rauf bin. Ach, in der Anreise bin ich irgendwie derart in den TouristInnenstrom geraten, dass ich, wie ich von der Fähre runter bin, gleich einmal in die andere Richtung los bin und das war schon nett, weil da waren diese Rehe und dann war da ein bisschen ein Hügel und dann bin ich über kurz oder lang vor einem Schild gestanden, wo mir die lokalen Wanderwege aufgezeichnet waren und da hab ich gesehen, der geht auf den Berg, bin ich auf den Berg. Und ich war halt wirklich nicht gut ausgerüstet, mit meinem kleinen Wasserflascherl und der Müsliriegelabsenz in meiner Tasche. Zumindest war ich nicht in Sandalen, wie die, die mir da teilweise entgegengekommen sind. Also, hab ich mir gedacht, so schlimm wird s schon nicht sein. War s ja auch nicht, nur lang hat s trotzdem gedauert, bis ich da oben war. Und oben gab s ein Internet, aber kein Trinkwasser. So schlimm kann s mit mir nicht gestanden sein, weil bei dem einen Schrein unterhalb des Gipfels hätt s Wasser im Automaten gegeben, aber ich war nicht bereit, zweihundert Yen dafür zu zahlen. Das hat die Hälfte zu kosten! Dabei hab ich mich beim Runtergehen dann noch einmal verirrt, weil ich den gleichen Weg runter bin, den ich rauf bin und dann erst an der nächsten Kreuzung festgestellt hab, dass ich eigentlich auf der anderen Seite vom Berg runter wollte. Also zurück. Immerhin wird am Berg freundlich gegrüßt und mein Konichiwa kam fast mit Selbstsicherheit. Bis ich dann am Abstieg einen Herren dergestalt gegrüßt hab und der mir ein akzentfreies Hello entgegnet hat und ich mir gedacht hab, o-em-dschie, hab ich da gerade einen Touristen auf Japanisch begrüßt. Ich bin da ja schon ein bisschen sensibel mit dem ganzen Ding. Mit den Begrüßungsformeln. Weißt, weil irgendwie geht man als von Gott abgewandte ÖsterreicherIn ja durch die Phase, wo man sich denkt, das ganze Grüß Gott ist doch eigentlich ein Unsinn und dann hab ich drauf geschaut, mir das aus dem Sprachgebrauch rauszuholen. Und wenn mir jetzt am Berg einer ein Grüß Gott sagt, dann denk ich mir womöglich, dass da jemand eine Phrase gelernt hat, die für mich ein bisschen ideologisch aufgeladen ist und das weiß die wahrscheinlich gar nicht, weil sie, nachdem sie beim Aufstieg dreimal so begrüßt worden ist, das jetzt einfach verwendet. Und so frag ich mich natürlich, wie kontextabhängig sind meine Begrüßungsformeln.

Das Reh schnaubt mir zur Begrüßung nur ein bisschen warme Luft auf die ausgestreckte Hand. Zahm heißt ja nur, dass sie den Vorteil des Gefüttert-Werdens als wichtiger bewerten als das Risiko des Gewürgt-Werdens.

In meinem Lokal, das ich mir in Hiroshima gefunden hab, hat die Gastgeberin einen Gast einmal mit einem Oyasuminasai! verabschiedet. Und das weiß ich noch von früher, dass ist Gute Nacht. Aber natürlich hab ich mich nie des Abends aus einem Geschäft oder Lokal mit so einer familiären Formel verabschiedet. Und anderswo hab ich dann vom Hostelstaff ein Ohaio! bekommen. Und das, weiß ich aus meinem Duolingo heißt Guten Morgen. Aber ist das vielleicht auch eher was, was man seiner PartnerIn ins Ohr flüstert als seiner KasernenkommandantIn entgegenruft?

Oh ja, ich hab ein Lokal in Hiroshima gefunden. Das war das mit dem Fritz-San (siehe Folge so-und-so). Das war wirklich nett. Weil ich bin da hin, an meinem ersten Abend. Oft einmal, wenn ich spät ankomm, dann lass ich s dabei und verzichte auf mein Abendessen. Aber ich hatte da irgendwie Lust, nochmal raus und das hat vielleicht damit zu tun, dass in meinem Schlafsaal achtzehn Betten gestanden sind. Gut, nein, ganz so kann man sich das nicht vorstellen. Das war so ein bisschen schon ein Kapselhotel, wo man seine fünf Wände hat und an einem Ende ist das durch einen Vorhang verschließbar und drinnen hab ich Licht und einen Rauchmelder und mein eigenes kleines Zuhause. Das ich mit meinen Rucksäcken geteilt hab, aber es war trotzdem ok Platz. Man soll ein bisschen auf seine Verdauung schauen, weil die Luftzirkulation nicht ganz top notch ist und ein schlechter Geruch bleibt da eine Zeit lang hängen. Wandersocken sind auch nicht ideal.

Nochmal Miyajima: Oben Schreine, die mir den Gipfel angezeigt haben, unten ein Tempel, der mir anzeigt, dass ich wieder in der Ebene angekommen bin. War ein bisschen eine Überwindung, mich mit dem komplett durchgeschwitzen T-Shirt ins Lokal zu setzen, aber ich hatte einen ziemlichen Hunger und es waren eh kaum Gäste außer mir. Meine Hiroshima Okonimiyaki hab ich nämlich in Wahrheit gar nicht in Hiroshi- sondern auf Miyajima gegessen.

Also hab ich mein Telefon aufgeschlagen und hab dinner eingegeben und dann hab ich zwei, drei Sachen in der Umgebung angeschaut, beschlossen, dass ich meinem Udongusto gerne nachgeben möchte und hab mich auf den Weg gemacht. Dann bin ich ins Lokal und hab mit meinem Zeigefinger gesagt, dass ich eine Person bin. Da hat mir die Gastgeberin einen Platz an der Theke zugewiesen, neben den bereits dort sitzenden Gästen. Und bevor sie das getan hat, hat sie kurz überlegt. Und während sie das getan hat, hat sie ein Gesicht gemacht, wie man macht, wenn man jemandem das Gefühl vermitteln möchte, dass man keine Verantwortung darüber übernimmt, wie gut die andere das findet, dort zu sitzen. Aber freundlich. So: Das ist der Platz den ich hab, aber ich weiß, dass das nicht der beste Platz ist. Hm, immer noch nicht ganz. Hier kann jetzt alles passieren. Auch nicht wirklich. Schau mal, was passiert, wenn du dich hier hinsetzt.

Turns out dass die drei neben mir Stammgäste sind und der neben mir hat heute Geburtstag. Warum der, der Geburtstag hat, nicht in der Mitte gesessen ist, hab ich mich nachher mal gefragt. Na ja, weil sonst nicht mehr viel los war, sind wir schnell einmal ins Gespräch gekommen und die Gastgeberin hat mich schnell einmal bei den Runden mitinkludiert. Da gab s zum Beispiel eine gebratene Wurst als Spezialität. Das hab ich nicht ganz verstanden, wie das eine Spezialität ist, eine Scheibe Knacker in der Pfanne gebraten. Aber die Wurst hatte die Form einer Blume, also vielleicht doch was besonderes. Und dann hat sie gesagt, es tät ihr leid, aber sie hätte jetzt vergessen, wollte ich meine Udon warm oder kalt. Und dann hat sie mir meiner Antwort zum Trotz warme und kalte Udon gebracht und ich hatte vorher schon Sashimi und Tempura. Das war so als Abendmenü angeboten und da hat sie nicht gelogen: Das war ein guter Deal. Und dann hat mir das Geburtstagskind einen Sake eingeschenkt und ich hab ihm scherzhaft zum Fünfundzwanzigsten gratuliert und dann waren wir eigentlich alle schon FreundInnen.

Irgendwie schaff ich s oft erst am Abend dann in die Gärten, da bringen alle meine Fotos so eine Abenddämmerung mit. Durch den hab ich ganz schön hetzen müssen, Punkt sechs bin ich als letzter durch die Tür wieder auf die Straße getreten.

Da bin ich dann am nächsten Abend wieder hin, weil ich hab einerseits gewusst, dass ich kalte Udon jetzt lieber hab und zweitens war s halt wirklich ein guter Deal mit dem Menü. Da waren die Stammgäste dann aber gar nicht da oder war s schon so spät, dass die halt nicht mehr da waren. Weil man kann auch nicht jeden Abend Geburtstag feiern und am nächsten Tag wieder brav helles Hemd mit dunkler Hose tragen. Aber ich hab mich ein bisschen mit den zweien hinter der Theke unterhalten und dann kamen zwei Herren herein, die sich über das Ergebnis des gerade zu Ende gegangenen Baseballmatches gefreut haben, auf ein kleines Bier und eine Schale Udon und die haben sich dann ihr weniges Englisch mit großen Enthusiasmus kompensiert und mir gerne auf die Schulter geklopft, mein braves Udonessen bejubelt und mir zum Abschied einen Fächer geschenkt. Und zwischendurch ist die ganze Fritz-San Geschichte passiert und es war dann fast ein bisschen traurig, mich da zu verabschieden.

Diavortragsgegenentwurf

Klack-ack!

Wie überall auf der Welt ist auch in Japan Englisch eine Sprache über die Modernität und Zeitgeistigkeit ausgedrückt wird. Und vielleicht ist es, dass die Sprache doch etwas weiter vom Japanischen entfernt ist, dass manche Slogans einfach ein bisschen daneben gehen. Hier in Nagasaki.

Klack-ack!

Das die JapanerInnen auf Katzen stehen, das ist ja zirka Allgemeinwissen. Es gibt immerhin diese Katzencafés, wo man sich hineinsetzt um einen Kaffee zu trinken und eine Katze zu streicheln. Und hier ist das Logo von einem japanischen Zustelldienst, von dem japanischen Zustelldienst wahrscheinlich. Das ist schon herzig.

Klack-ack!

Es gibt wirklich viele Schreine und Tempel in Japan. Auf jedem Berg hab ich bisher mehrere gesehen, in den Städten auch einmal wie eine kleine graue Katze, zwischen Häuser eingeklemmt. Aber oft auch groß und wichtig und dann wiederum mit einem halben Dutzend Schreinen in einer Anlange. Hier haben sich wohl rumänische Mönche versteckt und glauben, ich merk s nicht!

Klack-ack!

Aber ja, oft einmal steh ich in so einem Tempel und merke schon, dass ich nichts damit anzufangen weiß. Witzig ist es schon, wie die Menschen mehr an diese Geister glauben und diese verschiedenen Aspekte, die hier möglicherweise dargestellt werden mit Lämmern und Pferdeköpfen. Und natürlich, dass man den Statuen diese Mützen häkelt. Das ist sehr weit verbreitet, dass auch den Buddhas und Shivas und den igelverwandten Geisterwesen Mützen gehäkelt und Jacken umgewickelt werden. Vor allem wenn s derart schwül ist andauernd.

Klack-ack!

In Wirklichkeit ist das auch aus der Serie Fotografien-die-mich-bei-der-allfälligen-Gartengestaltung-inspirieren. Deshalb ist es auch nicht besonders elegant oder schön anzuschauen, weil es mehr eine Erinnerung ist. Hier hat jemand einen Betonteich gegossen, die blaue Farbe ist schon etwas verblichen. Und dabei hat sie Plastikfische eingebaut. Aber ich überlege auch, wie sich ein echter Teich möglicherweise unterbringen lässt…

Klack-ack!

Oha!

Klack-ack!

Moment…

Klack-ack!

So: jetzt aber. Und schau, wie schön das ist, wenn man das gut umsetzt. Also, mit Wasser arbeiten, das kriegt die japanische Gartentradition auf jeden Fall besser hin, als die französische oder auch die englische. Auf der anderen Seite ist auch ganz witzig, dass ich sehr oft in diesen Gartenanlagen schon auch Nutzgärtenteile zu finden sind. Vielleicht ist das auch nur Spiel für den Fürsten, dass der da seine drei Quadratmeter Reisfeld angelegt hat. Aber wichtig sind auf jeden Fall die Obstbäume, die alten Zwetschgen und Granatäpfel und Kakis. Aber das gibt s ja bei den EngländerInnen auch.

Klack-ack!

Hier macht offensichtlich eine ÄrztIn für sich Werbung. Aber für den Rest brauch ich immer noch… Dr. Ke… tsu… pe… ki… hu-n. Darüber hinaus hat sich mir halbwegs erschlossen, wie japanische Tastaturen funktionieren. Ich mein, in this day and age ist das wirklich kein unlösbares Rätsel, wenn s einen interessiert, stellt man halt schnell einmal die Tastatur auf dem eigenen Telefon auf Japanisch um. Und selbst Kanji, wo die chinesischen Zeichen hergenommen werden, werden in der Regel jetzt mit Hiragana buchstabiert und man kriegt dann sozusagen den Autokorrekturvorschlag in Kanji vom Telefon. Deswegen, so heißt s, ist Kanji bei vielen jungen oft schon nicht mehr so parat.

Klack-ack!

Oh, na gut. Hier ist ein bisschen Nachbearbeitung nicht zu übersehen. Der Puppe bin ich einem wirklich super Museum in Tokio begegnet. Super, weil es ein Museum für moderne Kunst gewesen ist, das eigentlich schon für Erwachsene war, aber ganz gezielt auf Kinder und die Betrachtung der Werke durch Kinder abgezielt hat. Es war wirklich gut gemacht. Und nicht einmal wirklich ein Museum für moderne Kunst, es war eigentlich ein Handwerksmuseum, also: Crafts. Und eine Sache, die bei japanischer Handwerkskunst ja auffällt, dass man nicht wirklich sagen kann, ist das vierhundert oder vier Jahre alt. Das ist schon faszinierend. Weil die Materialien so zeitlos sind, der Ton und seine Glasuren, Lack, Holz. Und die Formen genauso. Und so kann ich auch das Alter dieser Puppe nicht mehr sagen, hab ich schlecht dokumentiert. Fotografiert hab ich sie, weil sie so einen unheimlichen Blick hat. Und dann hab ich gemerkt, dass sie mich an die Daphne erinnert.

Klack-ack!

In Hiroshima hab ich dann einmal ein bisschen ein Baseballmatch gesehen. Nicht wirklich. ich mein, ich bin in meinem Udonrestaurant gesessen und es ist das Match im Fernsehen gelaufen. Und dann haben sie einen Punkt gemacht und dann war das Match eh schon vorbei. Ich hab also nur die letzten zehn Minuten gesehen und da haben die Hiroshima Carps schon gewonnen gehabt. Was genau das 3:0 bedeutet, hab ich nicht verstanden. Kommt einem vor, als würde da gar nicht so viel passieren in dem Sport, wenn man die vielen Innings sieht, die ganz oft einfach 0:0 ausgegangen sind. Aber die HiroshimaserInnen waren zufrieden mit dem Ergebnis und am Heimweg sind mir sehr viele in Dressen, Teeshirts und Schals aus der Ubahn entgegengekommen. Kinder, Mütter, Väter, alte und junge. Und dann ist das schon auch was schönes, wenn man das so sieht.

Klack-ack!

Und auch dieses Foto sprengt letztlich die Illusion des Diavortrags. Mein Telefon kann jetzt nämlich doch Panorama. Ich mein, ich kann offensichtlich noch nicht so wirklich mit der Funktion umgehen (die s wahrscheinlich schon lange in meiner Fotoapplikation gibt, ohne dass ich sie entdeckt hab). Hier also der erste Versuch ins Panorama von Hiroshima, auf der linken Seite ist der Peace Dome zu erkennen, ein Gebäude, das kaum zweihundert Meter vom Hypozentrum entfernt war, das die Explosion aber überstanden hat und als Mahnmal so erhalten wurde.

Klack-ack!

Das war s auch schon wieder es für diesmal.

Fritz-San, I was wondering…

…what do you miss most, in Japan?

Du meinst jetzt insbesondere in Japan? Das ist nicht schwer: Ich hab die ersten zehn bis vierzehn Tage in Japan einfach kein Obst gegessen. Weil es gab irgendwie einfach keins. Wer sich erinnert, erinnert sich, dass ich auf Tahiti dauernd ein Obst gegessen hab, weil s da war. Das ist quasi das Plädoyer für den Obstkorb, für den Apfeltag. Stattdessen hab ich auffällig mehr Lust auf Wegwerfgetränke gehabt, sprich: Fanta Pflaume und gesüssten Tee. Und was auch immer Calpis Soda ist. Irgendwoher brauch ich meinen Zucker.
Das ist natürlich nicht ganz richtig, dass es kein Obst gibt, weil es gibt Obst. Was mich aber so sehr irritiert, dass es mich abgeschreckt hat, war, dass das Obst erstens anders ausschaut als bei uns und zweitens mehrfach verpackt ist. Und wenn ich sag „anders ausschaut“ dann mein ich, dass es größer ist. Ungelogen: die Weintrauben haben jede zirka die Größe von Golfbällen, die Pfirsiche haben den Durchmesser von einer Kaisersemmel. Und die Äpfel sind auch zehn bis zwanzig Prozent größer. Aber zehn bis zwanzig Prozent von den größten Äpfeln, die s bei uns gibt und bei denen bin ich ja oft schon skeptisch. Und wenn die jetzt in Orangengröße (Navelinas!) daherkommen, dann ist das unheimlich. Und das große Obst ist großteils in so weißen Kunststoffnetzen verpackt. Wie… wie Nashi-Birnen. Oder Weinflaschen manchmal. Wo die Kunststofffäden des Kunststoffnetzes so Udondicke haben. Ja! Irgendwie vergeht s einem da.
In Nagasaki hab ich mir dann einmal vier Feigen gekauft. Die waren nur in so einer Schale und in Plastik eingeschweißt. Wie Schweinefleisch oder vier Limetten beim Spar. Die Feigen waren dann ziemlich gut, aber ich hab mich ein bisschen sehr gierig über sie hergemacht, hab ich mich beobachtet. Bisschen wie die sprichwörtlichen Verdurstenden. Da hab ich gemerkt: das geht mir schon ab.

…what experience do you keep avoiding?

Auch auf das hab ich spontan eine relativ einfache Antwort: die Vielfalt der Getränkekarte, insbesondere Sour- und Highballgetränke. Es ist-a-so. In Japan trinke ich mehr Alkohol, als ich in den Monaten zuvor an Alkohol getrunken hab. Wiederum: weil er verfügbar ist. In jeder dieser Antworten ist eine kleine Public-Health-Message versteckt. Bier ist teuer, aber nichts besonderes. Wir finden Bier im Supermarkt, ich fand Bier in Nagasaki im Automaten. Restaurants werben mit Bier und überhaupt kriegt man oft einmal eine eigene Speisekarte für Getränke oder eben: Getränkekarte. Und auf der Getränkekarte gibt s oft zwei Bier zur Auswahl (mittel und klein) und dann eine Vielzahl von Sour-Getränken und vor allem Highballs. Es ist nämlich so, dass es vollkommen normal ist, zum Essen einen Whisky Soda zu trinken. (Nota bene: ich bin nicht sicher, ob der japanische Whisky nicht vielleicht ein Whiskey ist, aber nachdem er sich mehr nach dem schottischen orientiert, sagen wir mal, es handle sich eher um Whisky.) Und muss nicht unbedingt ein Whisky sein, darf auch was anderes Hochprozentiges sein, aber nachdem Japan ja durchaus auf seinen Whisky stolz sein kann ist es doch vor allem Whisky. Und das kriegt man dann auch zum Beispiel im Supermarkt fertig in der Dose.
Die Sour-Getränke wiederum sind nicht Zitrone und Zuckersirup geschwenktes Hochprozentiges, sondern in verschiedenen Geschmacksrichtungen gefärbter Shochu. Von Zitrone bis Kirsch, von Calpis bis Macha und noch viel, viel geheimnisvollerem finden sich auf den meisten Getränkekarten zumindest fünf solche Geschmäcker zur Auswahl.
Und das hab ich bisher einfach ein bisschen vermieden. Ich trink tatsächlich quasi unüberlegt ein Bier zum Abendessen, nachdem meine Augen die Vielfalt der jeweiligen Getränkekarte überflogen haben. Einmal hab ich ein derartiges Sour-Getränk bestellt, schlagmichtot, ich könnte dir nicht einmal sagen, was das für ein Geschmack war. So wie ich mich kenne irgendwas exotisches. Es war wahrscheinlich auch nicht schlecht, aber es hat mich nicht dazu bewegt, mich in die Untiefen des Regenbogenshochu zu stürzen.

…what made you change your mind, like, generally about Japan, it seemed you were not having the best of times in the first couple of days?

Nu, das ist eine treffende Beobachtung. Ich hab mir am Anfang wirklich etwas schwer getan und ich bin jetzt an einem Punkt, wo s mir wirklich gut gefällt. Erzähl s nicht weiter, aber unter uns denk ich mir manchmal, dass Japan doch vielleicht ein bisschen das ist, wo mich meine Reisen hingeführt haben. Also nicht nur faktisch, dass ich jetzt da bin, sondern dass es so ein Ziel gewesen ist, das mir nicht bewusst war. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass Japan so eine Fantasie war, die ich in jungen Jahren gehabt hab und die ich irgendwann zwischendurch abgeschrieben hab, als zu weit, zu teuer, zu fremd und alles was ich über Japan denke, eh auch viel zu romantisch. So in einer Zeit wo mir vielleicht viele Träume ein bisschen entglitten sind, als mich das Hier-und-Jetzt vielleicht ein bisschen erschlagen hat. Und dann ist Japan irgendwie Anime und Mangas geworden und damit hab ich ja auch nicht wirklich angefangen beziehungsweise was anfangen können. Grad so die erste Staffel Sailor Moon, das geht noch. Aber das zählt ja gar nicht wirklich, bin ich sicher. Ich mein, wie oft hab ich Cowboy Bebop empfohlen bekommen von Leuten, die ich schätze. Wie oft hab ich mir gedacht, dass ich mich nochmal vor Prinzessin Mononoke setzen soll. Aber selbst Ghibli ist für mich Nausicaä und der Nachbar Totoro geblieben. Und dann noch eine kurze Go-Phase, in der eine Begeisterung Platz gehabt hätte, aber nein, hab ich Japan Japan sein lassen. Und vielleicht ist es das ein bisschen, dass ich an was anschließen kann, das ich aufgegeben habe. Oder es ist etwas, wo ich auf eine Gesellschaft treffe, die in vieler Hinsicht so ähnlich funktioniert, wie meine, die aber dann doch wieder ganz fremd ist. Vielleicht ist es aber auch ganz was anderes, dass ich mich jetzt langsam doch beim Reisen souverän empfinde, dass ich, aus Tokio heraußen, mit meinen HostelvermieterInnen Kontakt schließe und auch mit der einen oder dem anderen JapanerIn eine kurze Unterhaltung habe. Dass ich entdecke, dass sich Leute auf der Straße in die Augen schauen. Dass JapanerInnen überraschend herzlich, hilfsbereit und… naja, die Aliteration stößt mich hier auf „heteronormativ“. Aber das biegt mein Argument ein bisschen in die falsche Richtung. Ja, es gibt auch Sachen, die ich gerade weil mir die Modernität, die Westlichkeit und mehr noch der Touch einer skandinavischen Fortschrittlichkeit so im Fokus sind, die mir deshalb besonders gegen den Strich gehen. Zugegeben, ich hab mittlerweile auch junge Männer in ihre Hand lachen sehen, aber ich hab auch von JapanerInnen bestätigt bekommen, wie konservativ die Geschlechterrollen vielerorts gehandhabt werden. Und ja, das sind meine größten Probleme und ich beschwer mich am ehesten über Geschlechterverhältnisse im von mir zu beobachtbaren Alltag und von mir als rücksichtslos empfundene Plastiksackerlverwendung und scheinbar mangelnde Mülltrennung, ausgerechnet. Dann wiederum hat mir die wahlkabine.at letztens empfohlen die Grünen zu wählen, also vielleicht doch nicht so überraschend, dass das meine Themen sind. (Zum ersten Mal seit Beginn der Aufzeichnungen nämlich, ich bin bisher immer etwas mehr mit bekennender linken Formationen assoziiert worden.)
Ja, nein. Ich bin ein bisschen mehr angekommen in Japan, als ich gedacht habe, dass es sich ausgehen wird. Und das hat mit mir zu tun und das hat mit Japan zu tun, das anders ist, als ich es nach den ersten Tagen in Tokio befürchtet hab.

so, I know that technically, following the rules laid out by Alex Horne, this game is played only for three questions, but the Fritz-San, literally the first words on this page, is that strictly necessary, seems a bit weird.

Ja. Eh. Aber erstens, wenn du weißt, dass es technically three questions sein sollen, dann solltest du auch wissen, dass es über meine Antworten eigentlich leichte Musikuntermalung geben sollte und dass das Spiel halt so geht, dass man den Namen vorher sagt. Und weißt du was, ich bin so genannt worden und das war nett. Und dann hab ich gemerkt, wie sehr ich mich freu darüber, so genannt zu werden. Und dass mir das auch ein bisschen bedeutet hat, wie gut ich hier angekommen bin. Ich mein, das soll eigentlich in den Hiroshimaaufsatz, weil der ist finster genug. Aber ich war in Hiroshima am ersten Abend in einem sehr netten Lokal, wirklich mehr zufällig. Und dann war das so nett, dass ich am zweiten Abend wieder hin bin und dann haben sie mich gefragt wie ich heiß und ich hab s ihnen gesagt und ein paar Minuten später hat sie irgendwas zu ihm gesagt, was wahrscheinlich geheißen hat, dass sie mir jetzt diesen Teller bringt, auf jeden Fall hat sie dabei Fritz-San gesagt und das hab ich nett gefunden und ich muss wohl ein bisschen viel gegrinst haben darüber, dass es ihr aufgefallen ist, dass sie das gesagt hat und ich das verstanden hab und zurückgelächelt hat. Und das ist irgendwie auch die ganze Freude über Japan zusammengefasst, dass ich eine wechselseitige Beziehung mit JapanerInnen wahrnehme.

Die Überraschungen von Nagasaki

Zuerst einmal hab ich festgestellt, dass Nagasaki die schönsten Straßenbahnen hat, die ich je gesehen hab. Nicht nur Parkett am Boden ist und Bleiglasfenster in den Fenster, wenn s wie gestern einmal heiß ist, wird schnell einmal ein Bambusrollo heruntergelassen, damit die Leute auf ihren gepolsterten, bunten Sitzplätzen nicht in der Sonne sitzen müssen. Und Straßenbahnfahren geht so: Man steigt hinten ein und dann ist da ein Automat und ich war sehr hilflos gegenüber dem Automaten und hab dann eine Mitfahrerin gefragt, ob sie mir helfen kann und die war ausgesprochen nett, wie ich s jetzt doch schon ein paar Mal erlebt hab. Hilfsbereit und bisschen mit Englisch und sonst einfach auf Japanisch weiterreden und sich entschuldigend, lachend. Über kurz oder lang hab ich dann verstanden, dass der Automat nur dafür da ist, Geld zu wechseln, damit man, wenn man beim Aussteigen bei der FahrerIn bezahlt, das Wechselgeld parat hat. So bin ich dann die ganze Fahrt mit meinem Wechselgeld in der Hand dagesessen und dann schmeißt man s vorne erst nur in eine Maschine hinein. Aber sowohl der Wechselautomat als auch die Bezahlmaschine hat beides so eine Klobigkeit, da merkt man die Mechanik noch, wenn das rattert. Und der Fahrer hat sich tatsächlich bei jeder einzelnen Person beim Aussteigen bedankt.

Dieser Bach, der da durch die Stadt fließt, das ist einfach so schön. Und oft einmal hab ich darin einen Reiher stehen sehen und einmal sogar einen Eisvogel. Kann bitte jemand den Wienfluss so umgestalten und zwar bis in die Stadt hinein?

Die JapanerInnen haben s sehr mit der Automatisierung. So sagt man. Das sei etwas, was den JapanerInnen aus aller Welt zugeschrieben werde, hab ich irgendwo gelesen. Das interessante ist, dass wirklich viele Automaten herumstehen, für Fahrkarten, für Getränke, für Zigaretten, für Museumstickets. Aber gleichzeitig sehe ich nicht, dass deswegen weniger Leute angestellt sind. Für alle zwei Museumsticketsautomaten gibt s einen Schalter an dem eine Person sitzt, dann gibt s zumindest eine Person, die mich darauf hinweist, wo die Automaten sind und wie sie funktionieren, vorher bin ich schon zwei Personen begegnet, die mir den Weg weisen und dann gibt s noch zwei Leute, die darauf schauen, dass ich mein Ticket hab oder aber, die mich dabei unterstützen, wenn ich mein Ticket durch einen weiteren Automaten auf seine Gültigkeit überprüfen lasse.

Am wildesten hab ich das empfunden, als ich in Tokio auf den Zug gewartet hab und an jeder Tür Frauen in einer rosa Uniform gestanden sind (na gut, es war so ein bisschen ein Lachston, aber es macht s nicht viel besser) und an jedem Waggonende noch jeweils zwei Männer in blauen Uniformen (jetzt aber wirklich). Und dann ist der Zug gekommen und die Leute sind ausgestiegen und bevor man einsteigen durfte (wir haben uns derweil schön dort angestellt, wo am Boden angezeichnet ist, dass und in welche Richtung man sich anzustellen hat), sind die Damen und Herren in den Zug gesprungen. Die Frauen haben geputzt, die Männer haben repariert. Fünf Minuten später sind alle aus dem Zug raus, abgehakerlte Checklisten in den Händen und fertig war er für die neuen PassagierInnen.

Über Geschlechterverhältnisse gäb s sicherlich einiges zu sagen. Der Absatz gibt eh schon den schlimmsten Eindruck wieder. Was mir allerdings noch aufgefallen ist, dass sich Frauen oft einmal die Hand vor den Mund halten, wenn sie lachen. Und das ist sehr inkonsistent, ist mir mittlerweile aufgefallen, aber es gibt das und das kommt in allen möglichen Situationen vor: wenn sie zu zweit nebeneinander gehen, wenn man gemeinsam am Tisch sitzt, auch mir gegenüber, aber tatsächlich kann das in einem Gespräch zweimal Handvorhalten, zweimal Nichthandvorhalten sein. (Jaja, viermal Lachen ist keine Seltenheit, ich bin sehr amüsant.) Und jetzt kann ich mich vielleicht auch gar nicht gut erinnern, Männer überhaupt viel lachen gesehen zu haben, aber auf jeden Fall nicht, dass sie sich dabei die Hand vorhalten würden. Jedenfalls hab ich unlängst zwei Kinder miteinander spielen sehen und ohne da mit meinen Geschlechtszuschreibungen übergriffig werden zu wollen: Es war ein Mädchen und ein Bub. Und sie war vielleicht zweieinhalb und er war fünf oder so. Und sie laufen so herum und als sie dann lacht, hat sie sich die Hand vor den Mund gehalten. Das hat mir ein bisschen das Herz gebrochen, hab ich gemerkt.

Aus der Serie „Fotos die zur Gartengestaltung inspirieren“. Die machen das schon schön mit den Steinen, hier in einem kleinen Park. Nagasaki liegt in die andere Richtung, aber die Fotos sind dementsprechend alle gegen das Licht und komplett zu vergessen. Ein bisschen hab ich mir gedacht, ich steh am nächsten Tag früh auf, weil das eine wirklich schöne Aussicht war. Aber bin ich dann natürlich nicht.

Nagasaki ist jedenfalls ganz herzig. Zum Beispiel bin ich plötzlich in einem Chinatown gestanden und da hab ich mir zuerst gedacht… ja? Aber warum nicht. Man lernt ja überhaupt ein bisschen mehr, dass Asien vielfältig ist. Und Nagasaki war über viele hundert Jahre tatsächlich so das Tor zu Welt für Japan. Es gibt eine große chinesische Gemeinschaft und Nagasaki war der einzige Hafen, an dem europäische Schiffe andocken konnten. Deshalb sind auch immer schon relativ viele europäische Bauten Teil des Panoramas gewesen. Es gab so eine Insel, auf der immer noch diese europäische Häuser stehen und auf der die EuropäerInnen interniert waren, solange sie sich in Nagasaki aufgehalten haben. (Mal wieder vor allem die NiederländerInnen, was irgendwie ganz interessant ist, was die in der Welt herumgekommen sind, seinerzeit.) Und das war, so sagt die Tafel, damit das Christentum sich nicht verbreitet. Hat dann auch gar nicht so gut funktioniert und es gibt eine relativ große christliche Gemeinde in Nagasaki. Es war auch eine der größten, wenn nicht die größte Kirche in Japan, die unter der Atombombe zerbröselt ist.

Es ist ja zuerst einmal überraschend, dass man hier überhaupt sein kann. Dass man an der Stelle stehen kann, wo fünfhundert Meter darüber vor nicht so langer Zeit eine Atombombe explodiert ist. Weil zum Beispiel ist meine Geburt vom Atombombenabwurf weniger weit entfernt als ich heute von meiner Geburt entfernt bin. Oh ja. Dadurch, dass die Bombe so weit über der Oberfläche explodiert ist, ist viel von der Alpha- und Betastrahlung gar nicht wirklich bis zum Boden durchgekommen. Und trotzdem sind die Zahlen unvorstellbar und während man nach dem Museumseingang vor allem geschmolzene Flaschen, verbogene Stahlträger und angeschmolzene Dachziegel sehen kann, wo die technische Seite ja durchaus noch faszinierend sein kann, geht s dann sehr schnell um menschliche Opfer, um Verbrennungen, Verstrahlungen und sehr viele Aufzeichnungen, persönlicher Erfahrungen. Und dabei ist es sehr gut gestaltet, fand ich. Ich hab mir allerdings schon ein paar Mal gedacht, ob da mal jemand mit einem Geigerzähler durchgeht, insbesondere nachdem ich Sätze gelesen habe, wie dass die tatsächliche Wirkung radioaktiver Strahlung nicht letztlich verstanden werde. Da sind mir so Sätze eingefallen, wie in Fukushima angeblich die politische Führung ziemlich schlecht mit Aufklärung gewesen sei und überhaupt die ganze Sache mit der Radioaktivität nur mittel behandelt werde, von offizieller Seite. Im Museum gab s hingegen schon auch Videoaufzeichnungen von Menschen, die sozusagen sekundären Schaden durch die Atomindustrie erlitten haben, Menschen die in der Nähe von Versuchsgeländen leben, Menschen, die im Uranabbau gearbeitet haben und so. Aber irgendwie kam mir das ein bisschen unterrepräsentiert vor, was denn da Langzeitwirkungen sind.

Das Monument am Hypozentrum

Auch interessant, weil unterrepräsentiert, dass die Geschichte, die zum Abwurf der Atombombe geführt hat, im ersten Raum mit 1943 beginnt. Für den japanischen Imperialismus ist auch nicht viel Platz gewesen. Und dann wiederum hab ich mir gedacht, das wäre schon ok, die Atombomben sind ein historischer Moment, ein Verbrechen für sich und müssen, können nicht als (zu rechtfertigende) Konsequenz von irgendwas gesehen werden. Aber ein bisschen ist mein Verdacht halt, dass das insgesamt eine Zeit ist, die nicht gut aufgearbeitet ist. Ich hab dann einen kleinen Fernseher gefunden, auf dem ein paar Videos abgespielt wurden über die Eroberung Koreas und der Mandschurei, über die Eskalation, die Streiterei mit den Vereinigten Staaten und dann irgendwann einmal The Rise of Fascism. Wie gesagt, vielleicht bin das ich, der ich das wissen möchte und es ist gut, dass der Fokus auf der Atombombe und der aktuellen Bedrohung liegt.

Am Ende der Ausstellung war noch ein Aufruf, den der Bürgermeister von Nagasaki getätigt hat, ich glaub, vor den Vereinten Nationen und da nimmt er auch Japan mit in die Verantwortung, sich stärker für die Nicht-Herstellung, Nicht-Lagerung und Nicht-Verbreitung von Atomwaffen einzusetzen. Auch das fand ich interessant, weil es mir erschien, als ob die Erfahrung, atomar bombardiert worden zu sein, nur bedingt Teil des gesamtjapanischen Selbstverständnisses ist, sondern sehr spezifisch und lokal. In einem der ausgestellten Texte von Überlebenden hat die Person davon gesprochen, dass sie mit einem Stigma lebt, mit dem Stigma der atomaren Krankheit, die nicht zu heilen sei. Es hat auf mich so seltsam gewirkt, viele Texte sprechen von der großen Solidarität nach der Explosion, von der gegenseitigen Unterstützung und Hilfeleistung. Aber diese Bemerkung über das Stigma hat bei mir den Eindruck hinterlassen, dass man sich auf gesellschaftlicher Ebene nicht mehr damit auseinandersetzen wollte, dass die Überlebenden mit ihren Traumata, ihren Verletzungen und Erinnerungen doch weitgehend alleingelassen wurden.

Neben dem Museum liegt das Hypozentrum, ein Park, in dem die Stelle markiert ist, über der die Atombombe explodiert ist. Das ist vielleicht überhaupt der große Unterschied, den es hier zu erleben gibt: Man kennt den Pilz einer Atombombe, wahrscheinlich begegnet man dem Bild öfter, als man glaubt. Aber die Aufnahmen sind, notgedrungen, in der Regel von oben, aus der Sicht der Abwerfenden. In Nagasaki stehe ich an der Stelle, die unterhalb des Pilzes liegt, ich sehe die Häuser, die Straßen, die Spiel- und Sportplätze. Das ist schon berührend, da so mittendrin zu stehen, aber auch unheimlich.

Interessant ist schon, wie die Dokumentation von damals uns die Namen der Piloten und des Flugzeugs und der Bombe selbst hinterlassen hat. Es macht das Ganze so spezifisch und fast ein bisschen surreal. Und natürlich die Rolle der Piloten, die zwar ein primäres und ein sekundäres Ziel hatten, also relativ wenig Entscheidung ihnen selbst überlassen worden ist, aber trotzdem. Nagasaki hätte zuerst gar nicht das Ziel für die zweite Atombombe sein sollen. Aber über Kokura lag eine Wolkendecke und auch über Nagasaki hätte der Bomber bald abgedreht, hätten sie nicht durch die Wolken dann die Munitionsfabrik entdeckt. Aber natürlich wussten sie auch, dass da auch eine Schule und eine Kirche und ein Kriegsgefangenenlager und eine ganze Stadt drumrum ist.

Auf der anderen Seite des Hypozentrums liegt der Peace Park. Das ist ein Gelände auf dem diverse Skulpturen stehen, die den Willen für Frieden repräsentieren, die von verschiedenen Ländern, Städten und Regionen überreicht wurden. Naturgemäß tragen viele davon die Inschrift von Ländern, die es nicht mehr gibt, als es den Sozialismus noch in echt gab, war die ganze atomare Bedrohung noch greifbarer. So viele der Statuen stellen Frauen und Kinder dar, so sehr, dass es mich schon wieder einmal ein bisschen nachdenklich gemacht hat. Es wirkt dann so, als ob Männer keinen Platz unter den Opfern hätten. Letztlich erscheint mir das nicht wirklich als ein Aufruf für eine friedliche Gesellschaft, wenn die Repräsentation des Friedens sich nur auf eine Hälfte der Bevölkerung bezieht. Gerade auch die sozialistischen, mit ihrer damals doch oft fortschrittlicheren Geschlechterpolitik und dann sind s erst wieder die Mütter und der Nachwuchs, der die Männer daran gemahnen soll, dass Bomben bauen nicht alles ist. Zugegeben, die Plastik aus der DDR war übersät mit sozialistischer Ikonografie: Bauern, Arbeiter und Frauen gemahnen hier an eine friedliche Welt.

A word from the Sculptor
After experiencing that nightmarish war,
that blood-curdling carnage,
that unendurable horror,
who could walk away without praying for peace?
This statue was created as a herald
for the struggle for global harmony.
Standing ten meters tall,
it conveys the profundity of knowledge and
the beauty of health and virility.
The right had points to the atomic bomb,
the left hand points to peace,
and the face is in solemn prayer for the victims of the war.
Transcending the barriers of race
and evoking the qualities of both Buddha and God,
it is a symbol of the greatest determination
ever known in the history of Nagasaki
and of the highest hope of all mankind.

Seibo Kitamura
Spring 1955

Der Peace Park enthält außerdem einen Springbrunnen im Gedenken daran, dass es für viele, die durch die Atombombe verbrannt und verstrahlt wurden, kein Wasser gab und sie zumeist um Wasser bittend gestorben sind. An vielen Gedenkstellen stehen wohl deshalb neben Blumen auch oft Wasserflaschen. Das hat schon eine besondere Wirkung, wenn im Gedenken so konkret auf das Leiden vor dem Tod Bezug nimmt.

Neben Blumen und Wasser werden Origamikraniche zum Gedenken aufgehängt. Sadako Sasaki war ein Mädchen in Hiroshima, die den Atombombenabwurf zunächst überlebt hat, aber als Teenager dann Leukämie bekommen hat. Einer alten japanischen Geschichte zufolge, lassen eintausend Origamikraniche einen Wunsch in Erfüllung gehen und sie hat dann auch hunderte gefalten. Gestorben ist sie natürlich trotzdem. Aber sie und die Kraniche sind so zum Symbol geworden, für die Kinder, die Opfer der Atombomben wurden und Leute bringen gefaltene Kraniche, tausende, oft in bunten Schlangen zusammengenäht, manchmal in Reliefe geklebt. Ich finde das eine wirklich schön, weil es doch dauert, so einen Kranich zu falten. Interessanterweise habe ich festgestellt, dass ich seit einigen Jahren meinen Kranich etwas anders falte, als ich hier erinnert worden bin. Aber so oder so brauche ich durchaus fünf Minuten für einen, vielleicht könnte ich etwas präziser sein, wenn jeder Falz beim ersten Mal sitzt, dann ging s etwas schneller. Aber so bin ich fünf Minuten beschäftigt, leicht meditativ und danach habe ich ein Objekt in der Hand, als Zeichen meiner Versenkung und das dann wo abzustellen: es schenkt im wahrsten Sinne Zeit, das unschenkbare Geschenk.

Eine Statue Sadakos vor dem Friedensmuseum, daneben Kranichschlangen.

Natürlich ist es nicht das erste Mal, dass ich mit einer Seite der Menschheit konfrontiert, wo ich mich wunder, wie die Leute drumherum mit der ständigen Gegenüberstellung zurechtkommen, wie Normalität dem gegenüber möglich ist. Wie da ein Friseur sein kann, zweihundert Meter vom Hypozentrum entfernt. Aber es geht natürlich einfach so. Zehn Minuten später kommen mir lachende Taxifahrer entgegen (siehst, doch lachende Männer, ohne Hände vor dem Mund), Teenager vor dem Einkaufszentrum und dann beobachte ich schon wieder Graureiher und Schwarzmilane, die in den Kanälen waten respektive über der Stadt ihre Runden drehen. Heute hab ich mein Fernglas mit.