Wait, there’s more!

Wie ich am letzten Abend in Hiroshima nach meiner Abenddusche vor dem Spiegel steh und mir die Haare mach, schaut mich ein Gast so schräg von der Seite an. Ich sag mal, der war so Mitte zwanzig vielleicht, ein junger Mann mit langen schwarzen Haaren und möglicherweise ein bisschen einem Bart um den Mund herum oder auch nicht. Er hat ein bisschen was verwegenes gehabt, aber mehr so wie jemand, der sich ein bisschen gehen hat lassen, nicht unbedingt wie jemand, der viel erlebt hat. Aber was bedeutet das schon in dem Alter, da hat man ja sein Leben noch vor sich. Sagen wir, er hat ein Metal T-Shirt angehabt, natürlich verwaschen, roter Schriftzug, irgendwie bisschen zackig die Buchstaben, ein überflüssiger Umlaut, darunter vielleicht ein Turm Totenschädel auf dem sich eine Frau erkältet, während ihr der Höllenwind durchs Haar fährt. Oder ein grünhäutiges Ungetüm, dass sich über eine E-Gitarre beugt aus der Blitze fahren. Sowas in der Art. Schwarze Jeans und schwere Schuhe. Jemand, der ein bisschen in seiner Teenagermode hängengeblieben ist, und immer noch ernst nimmt.

Der schaut mich so an, während ich mir den Kamm durch s Haar zieh und fragt mich aus dem Nichts heraus, wo ich her bin. Und ich sag halt Austria. Auch wenn ich schon einmal gar keine Lust hab, mich jetzt hier mit jemandem unterhalten, der mir so ein Gespräch anzettelt. Aber er antwortet wie üblich, ob denn Austria or Australia. Wie ein alter Geheimagent, dem das Spiel mit den Passphrasen schon ein bisschen langweilig geworden ist, wiederhole ich, dass Austria. Und er sagt, ah wirklich. Und bis zum Hals in steirischem Akzent. Ich hab ja nichts gegen einen steirischen Akzent im speziellen. Ich will gar keinen österreichischen Akzent hören, nicht so nah, und schon gar nicht an mich gerichtet. Aber so sind wir plötzlich in einem Gespräch und während ich weiterhin konzentriert in meinen Spiegel schau, versuche ich s mit einer unverbindlichen Bemerkung: Schau an, die Langhaarigen sind aus Österreich. Und er beginnt eine Geschichte darüber, dass er schon befürchte, hier jemandem zu begegnen, den er gar nicht sehen will, es gäbe da einen, den er im Sinn habe, von dem er nur darauf warte, dass er ihm hier den Weg kreuze. Was für eine seltsame Erzählung von jemandem, dem ich gerne aus dem Weg gegangen wäre. Nein, nein, sagt er, das wäre gerade sein Pech, dass ihm der hier über den Weg laufe. Ich sag jetzt gar nichts mehr. Da lässt sich schon eine Grenze zur Paranoia ziehen, wenn man allgemein einer Gruppe von Menschen nicht unbedingt begegnen möchte oder aber fürchtet, dass einem eine konkrete Person bis nach Japan gefolgt ist.

Was ich denn heut noch so vorhab, fragt er mich unvorbereitet. Ich sag, ich ginge jetzt was essen. Ob du s glaubst oder nicht: Ich tätert da mitkommen. Uff. Uff oder brrrr. Das ist doch unmöglich. Weil wir unsere Steuern in das gleiche Umverteilungssystem einzahlen, muss ich jetzt FreundInnen mit jemandem sein? Woher kommt dieser Umgang sonst. Ich mein ja, der war schon auch ein bisserl besonders und es gibt ja so Leute, die sagen, Ablehnung ist mir wurscht, wenn ich oft genug einmal jemanden frag, dann komm ich auch unter. Aber ich, ich hab jetzt lügen müssen, wenn ich sag ah, hm, na, ich treff jetzt Freunde. Lügen und nicht mal gegendert. Aber damit war die Sache wenigstens gegessen. Das hat er akzeptiert. Und wahrscheinlich war für ihn die Sache damit auch erledigt, ich hab halt noch tagelang drüber nachgedacht, woher das kommt, dass mich jemand mit dem Verdacht anspricht, dass ich ein Österreicher bin. Hab ich gar die Bundeshymne vor mich hingesummt? Schien mir das Bundesadlertattoo durch s Trägerleiberl? Hat sich mein Telefon auf den die rot-weiß-rote Fahne wehen lassenden Bildschirmschoner umgeschaltet? Oder sind mir Muttererde und Vaterland gar garstig ins Gesicht geschrieben?

Hier haben mir meine UdonladenfreundInnen eine Liste mit Dingen gemacht, die ich mir in Japan anschauen soll. Ist das nicht total herzig, wie viel Mühe sie sich mit dem Einleitungstext gemacht haben? Und dann vier Punkte von ihrer eigenen Zehnerliste ausgefüllt. Mehr ist ihnen nicht eingefallen, haben sie lachen gesagt. Eh. Und ich merk grad, dass ich heute aus Osaka raus bin, ohne in Sakai gewesen zu sein. Aber immerhin bin ich jetzt in Kanazawa, auf die Idee wäre ich von allein nicht gekommen.

Es war dann gar nicht so gelogen, hab ich mir zurechtgelegt, weil ich bin wieder in meine Udonbar gewandert. Und das waren ja durchaus FreundInnen, hab ich dem Echo des seltsamen Steirers in meinem Kopf gegenüber gerechtfertigt. Bloß, die Udonbar war zu, schaumaleineran. Wie ungut, nicht nur weil ich doch gerne noch einmal Hallo gesagt hätte, sondern auch weil mich dieser Öffnungszeitenfauxpas doch jetzt erst recht ein bisschen in die Unwahrheitsecke stellen würde. Na denn, sag ich mir: new friends it is. Bin ich nebenan in eine Ramenhandlung gestiegen, wo ich mir Ramen in der Salzsuppe mit Shrimpsöl bestellt hab, nachdem mir der Besitzer ein Kleingeld gewechselt hat und mich beim Automatenbedienen betreut hat. War ein bisschen salzig, leider, leider, aber dafür war der Besitzer umso freundlicher. Es ist schon immer ganz interessant, welche Assoziationen die Menschen bei Österreich haben. Hier bin ich dem Klassiker begegnet, hat er eine GeigenspielerIn gemimt und die schöne Musik gelobt. In Osaka hat mir die Hostelbesitzerin von der Seite ein beer! ins Gespräch geworfen, das ich mit der Eincheckerin geführt hab. Aber ja, Osaka. Davon wusste ich ja noch gar nichts, während ich mit meinem neuen Freund der Ecuadorianerin zugeschaut hab, die gegen die Thailänderin in der Karaoke Talentshow gewonnen hat. Ja, das hab ich nicht ganz verstanden, aber das japanische Fernsehen ist ja berühmt dafür, von Nicht-JapanerInnen nicht verstanden zu werden. Das Programm war schon am Ende und sie war dann auch die einzige, die ich noch gehört hab. Sie hat schon gut gesungen, aber ich würde mir ja schwer tun, jemandes Karaokegesang zu bewerten. Aber deshalb gibt s natürlich eine ganze Handvoll professionell begeisterbarer JujorInnen, da bleibt das so oder so nicht an einer allein hängen. Und dann hat sie zwei Punkte mehr gehabt oder was. Die Thailänderin war nicht glücklich, aber sie hat ihr Gesicht einen Moment später wieder unter Kontrolle gehabt und sich gemeinsam mit ihrer Bezwingerin über deren Sieg gefreut.

Ich bin dann wieder ins Hostel zurück. Man glaubt s nicht, aber ich hab dabei schon wieder einen Fächer geschwungen, den mir diesmal der Herr Gastgeber persönlich zum Abschied verehrt hat. Das ist schon erstaunlich, weil das ist ja zentral gelegen und in Hiroshima steigen doch viele TouristInnen ab. Hab ich mich gefreut und mich dankend verabschiedet. Daheim bin ich dann schnell in meine Kapsel geschlupft. Früher Zug und so. Sicher, ich wollte mich auch nicht mit meinem Metalhaberer ob auf Basis unserer Herkunftsverwandtschaft zusammensetzen. Bin doch nicht blöd, mir jetzt noch den schönen Abend und die feinen Hiroshimaerinnerungen zu riskieren!

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