Wenn die Flugzeuge wieder fliegen, dann müssen auch die Arbeitslosen wieder rein in die Maschine. Aber so früh? Nachdem mein letzter Termin entfallen ist, nachdem sich das AMS einfach wortlos nicht bei mir gemeldet hat, wo ich brav und doch aufgeregt mit meinen Argumentationszetteln bei mir am Tisch sitzend auf sie gewartet hab, hab ich eine Nachricht bekommen, die sich schon ein bisschen vorgreifend den trügerischen Namen „Teilnahmeschreiben“ voran gestellt hatte. Im Anhang fand sich ein Dokument, mit dem ich zu einer Informationsveranstaltung geladen wurde. Ich mein, das ist halt die Sprache, die wir da verwenden. Der Anstrich ist dünn und ich weiß auch, dass davon ausgegangen wird, dass ich dort bin.
Nicht all zu bald darauf hat sich dann jemand vom AkademikerInnenzentrum gemeldet und mir gesagt, worum s zirka gehen wird, wann s tatsächlich stattfindet und was ich bitte mitbringen soll. Ich hab mich zusätzlich auch für festes Schuhwerk entschieden, weil ich glaube, dass von mir erwartet wird, dass ich nicht in Flipflops zu meinen AMS Terminen erscheine. Wobei es wohl keinen Unterschied macht, aber ein bisschen diese vorgreifende Unterwürfigkeit, das ist sicherlich ein bisschen ein Thema.
Weil heute war dann dieser Termin und ich hab am Sonntag noch ein Mail geschrieben, dem AMS nämlich, dass ich schön gefunden hätte, wenn wir da tatsächlich eine Besprechung gehabt hätten, weil ich das Angebot nicht irrsinnig zielführend finde. Nein, ich hab was davon gesagt, dass ich das Entfallen des letzten Termins bedaure und denke, wir wären gemeinsam vielleicht eher in der Lage gewesen ein passendes Angebot für mich zu finden. Ich hab da ein bisschen überlegt, wie ich das formuliere, vielleicht zu lange. Zurück habe ich dann bekommen:
sie beziehen die Notstandshilfe, diese Weiterbildung ist speziell für AkademikerInnen. Wenn sie von Alternativen sprechen, sprechen sie aber von Ausbildungen die das AMS nicht im Kursangebot hat. Die Notstandshilfe besagt, dass jegliche Arbeitsaufnahme zumutbar ist. Ich schicke ihnen einen Termin (telefonisch) zu.
Ich habe vor einigen Wochen eine Frau auf dem Fahrrad überholt. Also, es war nicht nur die eine Frau, es war dahinter noch jemand und dann noch jemand. Und das war da so am Donaukanalufer, der Weg war nicht superbreit, der Boden vielleicht ein bisschen kieselig und wir waren eh auch relativ flott unterwegs. Aber wenn man längere Zeit leicht unter seiner gewünschten Geschwindigkeit in der Kolonne fährt, dann staut sich diese zurückgehaltene Geschwindigkeit an und irgendwann sagt man sich: so. Das Problem war, dass da dann ein Hügel war und dann ist einer hinter dem Hügel aufgetaucht und den Hügel herabgebraust (das war mindestens so ein Flotter, dessen Schuhe in die Pedale klicken) und ich halt plötzlich doch Panik und bisschen abbremsen und bisschen zur Seite fahren und es ist sich alles ausgegangen aber wenn man auf Adrenalin ausrutschen könnte, wär s schiefgegangen. So hab ich von rechts einen entsetzten Ausruf gehört (etwa: „He!“), worauf ich mich kurz und leger entschuldigt hab um dann den Hügel hinauf schnell mein Überholmanöver zu einem Abschluss zu bringen. Jetzt war die Frau, die ich da in meinem misslungenen Versuch, zu meiner Idealgeschwindigkeit zu kommen, zur Seite gedrängt hab, damit aber gar nicht zufrieden und hat weiterhin hinter mir hergeschimpft. Ich kann mich daran erinnern, den Satz „so schlimm war s auch wieder nicht“ hinter mich gerufen zu haben. Weil so schlimm, wie ich da jetzt verbal abuse wegzustecken hatte, hatt ich tatsächlich nicht das Gefühl, dass es gewesen ist. As luck would have it hat sie an der nächsten Ampel zu mir aufgeschlossen gehabt. Was einerseits das ganze Theater – nämlich insbesondere das Überholen an sich – besinnfreit hat, aber andererseits auch ihr die Möglichkeit gegeben hat, ihren Ärger rauszulassen. So hat sie s nämlich selbst bezeichnet, nachdem sie mir unter anderem vorgeworfen hat, dass ich im Auto meinen Führerschein los wäre und solche Aktionen FahrradfahrerInnen zu dem schlechten Ruf führten, den wir in vielen österreichischen Augen nun einmal haben. Und ich konnte immerhin sagen, dass es mir leid täte, dass ich natürlich nicht zum Überholen angesetzt hätte, hätte ich gesehen, dass da einer kommt. Dass ich so viel jünger als sie wohl nicht sei, das hab ich nicht gesagt. Weil sie angedeutet hat, dass sie altersbedingt unter einem Sturz mehr gelitten hätte als ich… aber darum geht s jetzt gar nicht, hab ich mir gedacht, es brauche jetzt noch eine gewisse Ernsthaftigkeit, damit wir das abschließen können. Weil dann war s tatsächlich auch schon irgendwie gut. Sie hat ihrem Ärger Platz gemacht, ich bin aus meiner Defensive raus und habe den Platz gehabt, mich zu entschuldigen. Und wir sind beide ein wenig aus unserem Schreck rausgekommen. „Gut, dass wir das noch besprochen haben“ und ich hab s gemeint.
Jetzt also meiner AMS Beraterin schreiben, dass ich mich ärger, wenn ich so an den Rand gedrängt werde von ihrer legalistischen Argumentation. „Argumentation“. Ich mein, ich weiß schon, dass die das nicht als ein Feedback auffassen, als eine Unterstützung ihrer Arbeit, wenn ich anbiete mit ihnen darüber zu reden, was ich glaube, was für mich sinnvoll ist. Aber ich muss darüber nicht froh sein. Und irgendwo hab ich das Gefühl, da unprovoziert angeschnauzt worden zu sein. Das steckt da schon ein bisschen in meiner Formulierung mit drin, aber ich halte das für nicht-notwendig. Aber ich bin nun einmal auf der high road aufgewachsen und so hab ich dann eher damit zu tun gehabt, die Entschuldigungen wieder aus meiner Antwort zu löschen. Weil irgendwo hab ich da ein Bedürfnis, so zu bückeln, gegenüber jemandem in so einer Autoritätsrolle. Scheinbaren Autoritätsrolle. Aber da scheint noch so viel Willkür drin zu sein, dass man lieber vorsichtig ist. Sich anschnauzen lässt, aber nicht zurückschnauzt. Aber wo die Magengeschwüre herkommen ist ja vielleicht gar nicht so wichtig.
Bin ich vor ein ein, zwei Wochen die Mariahilferstraße hochgefahren und es ist nur ein Moment gewesen, wo ich mit den Radfahreraugen ein Polizeiauto seh und gleich mal bisschen abbremse. Unauffällig. Aber die Damen und Herren waren eh damit beschäftigt, einen jungen Mann zu beamtshandeln, zu fünft, sechst werden sie dabei schon gewesen sein. Ich weiß nicht, was die Situation war, aber da stand einer, bisschen Latino, bisschen Balkan, wenig bedrohlich, nicht offensichtlich berauscht. Aber im Halbkreis umzingelt. Was weiß man schon. Es war glücklicherweise drumrum auch noch genug los,quasi Zeugen. Nicht dass da vielleicht plötzlich jemand ungünstig umfällt und sich was tut, womöglich noch im Widerstand gegen die Staatsgewalt. Es kam mir jedenfalls unverhältnismäßig vor, das sicher. Und unverhältnismäßig war auch, dass, wie ich eben vorbeifahre, einer der Beamten, der nicht Teil der Umzingelung war, sondern leger an der Autotür lehnend die Übersicht behalten hatte, dass der auf irgendeine Bemerkung des Beamtshandelten aus seinen sieben Meter Entfernung ruft: „das ist eben nicht so und so!“. Ja, ich mein, er wird das etwas konkreter gesagt haben, aber es war auf jeden Fall so was in der Art. Aber eben etwas belehrendes. Etwas konträres. Und vor allem etwas aggressives aus einer Position der Unberührbarkeit, die keine direkte Antwort zugelassen hat. Ich hab das als ganz ungut wahrgenommen.
Dabei hat der Florian Klenk grad erst wieder so menschlich über die Polizei berichtet, was gute Texte gewesen sind und gewissermaßen Hoffnung machen, weil schon eine Selbstreflektion durchscheint, zumindest in so Einzelkommentaren von Freiwilligen, die anonym bleiben wollen. Über die Verletzlichkeit und die Angst und den Mut und den Ekel und den Wunsch nach Anerkennung. Wo schon klar gesagt wird, wie viel Arbeit der Polizei eigentlich Sozialarbeit ist. Ich mein, die sehen das nicht unbedingt so, dass sie durch gute Sozialarbeit entlastet werden würden, das nicht. Aber dass es ein Problem ist. Aber die Polizei arbeitet halt mit Gewalt, das ist einfach ihr Ding, das ist ja auch gut so. Man muss halt schauen, was für Aufgaben können sich mit Gewalt lösen und welche sind vielleicht anders nachhaltiger zu bearbeiten. Und vielleicht müssen wir die Ordnung überdenken, die wir insgesamt, mit welchen Mitteln auch immer, schützen wollen. Aber ich hab mich schon in der Volksschule nicht getraut mitzusingen, wenn der Rest der Klasse gegrölt hat, ob das nicht die Polizei sei, ob da nicht ein Depp darunter sei. Im besten Fall würde ich sagen, ich hab mich halt schon als subversiv empfunden und Polizei auch damals nicht auf meiner Seite gesehen. Aber das ist ein schwieriges Argument für jemanden mit meinem ethno-sozio-gender-ökonomischen Hintergrund und ich hab mich einfach vor der Autorität gefürchtet, wollte sie einfach nicht provozieren, diese unberechenbare, nur schlecht verbeamteten Gewalt.
Im AkademikerInnenzentrum hat uns dann ein Herr einen Vortrag gehalten darüber, was wir alles falsch machen beim Bewerben. Er hat einen wirklich anstrengenden Lehrerschmäh gehabt, der zumindest den einen vorne links regelmäßig zum Lachen gebracht hat, also vielleicht halb so schlimm. Aber wenn man bedenkt, dass ich so zirka in der Mitte war, so altersbedingt (gesessen bin ich hinten links), dann ließe sich argumentieren, dass das ein unpassender Humor sei. Und es ist echt so, dass ich jetzt schon viel nachgedacht hab, zumindest ein Beispiel nennen zu können, aber es ist einfach nichts mehr davon da. Er hat gefragt, was unser wichtigstes Werkzeug wäre… nein, das war was anderes. Da wollte er „Lebenslauf“ hören. Aber es kann ja auch in einem anderen Moment was anderes mit der gleichen Frage gemeint sein. Er wollte sagen, dass wir nach einem guten Vorstellungsgespräch, bei dem wir aber abgelehnt worden sind, dass wir mal anrufen sollen und fragen wie s geht oder ich weiß nicht. Über den Inhalt hat er nicht geredet. Aber er hat, weil er s nicht einfach so sagen wollte, sein Telefon genommen und gefragt, was denn die primäre Funktion davon sei. Nämlich nicht das Wischen und das Spielen.
Na gut, ich weiß nicht, ich kann das offensichtlich nicht wiedergeben. Er hat das wie einen Witz ausschauen lassen.
Aber ja, das andere waren diese Fragen. Und das ist mir dann irgendwann aufgefallen und ab dann sehr stark aufgefallen, dass alle seine Fragen auf Ein-Wort-Antworten hinausgelaufen sind. Da hab ich mir auch gedacht, das ist eine Technik, die so tut, mit der man so tut, als würde man das Plenum mit einbeziehen. Aber man kriegt eh keine Antworten, weil die Antworten so banal und einsilbig sind und – da kann er noch so viel behaupten, dass wir keine Note dafür kriegen – es ist eine Art, Fragen zu stellen, die im echten Leben nicht vorkommt, solange wir die Schule aus dem echten Leben herausnehmen. Die sich jedenfalls in erster Linie als Kontrolle anfühlt, ob die Leute noch aufpassen. Und da kann er noch so viele Jahre Erfahrung in der Erwachsenenbildung nennen, das ist keine Erwachsenendidaktik.
Das Hauptproblem ist vielleicht, dass man eine Fortbildung für AkademikerInnen anbietet. Das kommt mir irgendwie paradox vor, dass man für die – mit Verlaub – spezialisiertesten ArbeitnehmerInnengruppe eine Auswahl von fünf Weiterbildungen anbietet. Dass es da einen Gedanken gibt, der sagt, Menschen, die zumindest sechzehn Jahre lang in Ausbildungseinrichtungen gewesen sind, die haben dadurch eine gemeinsame Basis, dass decken wir mit fünf Kursen ab, bei denen sie zertifiziert werden, was zu managen. Und das mit der Spezialisierung ist da rein quantitativ. Ich würde auch kein Curriculum für quer durch die Bank Lehrabgeschlossene erstellen müssen wollen, von dem alle was haben.
Anyway. Es war letzten Endes ganz interessant und vor allem Am – das gebe ich vielleicht am widerwilligsten zu – hat mich einfach das um halb sieben aufstehen echt energetisiert. Aufstehen und quasi gleich echt aufstehen. Und duschen und aus dem Haus. Und dreißig Minuten später die morgendliche Donau kreuzen. Ich mein: will ich nicht jeden Tag haben. Aber so für zwischendurch und einmal spüren, wie das ist, mit einem Sinn in den Tag zu gehen – auch wenn s nicht meiner ist. Aber wenn ich schon in der Gegend bin, bin ich dann noch ein bisschen auf der Donauinsel auf und ab gefahren, das war schön, am Vormittag ist endlich alles so leer, wie ich mir das wünsche. Und dann über das Kraftwerk und wieder hoch. Da bin ich dann auf einen Espresso in ein so ein generisches Flussuferlokal gegangen. Das war vielleicht schön! Die Rattansessel und die bisschen gleichgültige elektronische Musik. Und ich sitz drin mit meinem elektrischen Buch und einem Kaffee der noch dazu ganz gut war. Mir kam vor, dass das wirklich die globale Eichnull ist, was so Caférestaurantsinnendesign betrifft und ich hab mich da auch ein bisschen drin verloren. Es hätte genausogut Indonesien oder Neuseeland sein können, Tahiti, Japan, Georgien: Rattanstühle und elektronische Musik. Und der Blick auf s Wasser. Und Jugendliche, die nicht wirklich hier sein wollen, aber es ist nun einmal ihr Job. Herrlich. Ich hab dann wirklich bei den Wiener Tauchschulen nachgeschaut, mal wieder, was die so anbieten, ob da nicht was war, da war doch was. Richtiggehend, wie gesagt, energetisiert, so ein mit Sinn und Ziel aufstehen. Aber es ginge auch ohne einen Typen, der mir erklärt, dass ich mitunter schneller in Sankt Pölten bin und überhaupt, Betreuungspflichten sind der einzige Grund, warum man nicht volle reinhackeln müsste. Ich denk dann lieber an Segelboote, Eistauchen und am Ufer im Schatten sitzen. Muss ja auch wer machen.
Dann kam der Moment und der Moment brachte M. Ich bin nicht mehr allein unterwegs und das ist erfrischend. Die Welt direkt zu kommentieren, einen zweiten Blick zur Verfügung zu haben. Aber es eröffnet nicht nur Möglichkeiten, es frisst auch Zeit, frisst die Zeit, in der ich mich langweile und nach Gesellschaft sehne. Frisst die Zeit in der ich meinen Gedanken nachhänge und Zeit in der ich mich besinne und die Vergangenheit in eine Form bringe. Eine nachhaltige Form des So-ist-es-passiert. Geschichte schreiben.
Eben
war ich noch in der österreichischen Botschaft und erlebe die Heimat
als bürokratischen Verwaltungsapparat, wenn ich mich für den
Eintritt erklären muss und dann ein dickes Kuvert überreicht
bekomme. Aber mit Erleichterung stelle ich fest, dass ich nicht der
einzige, dass ich nicht der letzte bin, der hier seine Wahlkarte in
Empfang nimmt. Und dann viel zu viele Namen und Listen und ich mach
mein Kreuz und steck meinen Wahlzettel ins Kuvert, den Rest in meine
Tasche. Und jetzt liegt selber der Effekt dieser Handlung schon in
der Vergangenheit. Ein paar Tage später lese ich übrigens die
Listen und wunder mich, warum Parteien mehr Leute auf ihre Listen
setzen als es Plätze im Parlament gibt. Ja, ja, da sind wohl
irgendwelche Vorzugsstimmenwahlkämpfe versteckt, aber so die Listen
durchzublättern und auch nur 183 Leute auf einer Liste zu sehen
wirkt ein bisschen nach Arroganz.
Insgesamt
gibt s für mich sonst nicht viel zu tun in der Botschaft. Ich
überfliege schnell einen Prospekt über österreichische
Kulturveranstaltungen August bis September und sehe, dass ich eine
Klimtausstellung in Osaka verpasst habe. Aber ich bin insgesamt
schnell wieder draußen und wander noch ein bisschen verloren durch
die Gassen des – wie ich annehmen muss – Botschaftsviertels.
Warum sonst würde ich hier so viele blonde Frauen auf
Fahrrädern-mit-Kindersitz-hinten-drauf sehen. Und obwohl ich Tokio
deutlich weniger fordernd finde, als vor zwei Wochen, lauf ich dann
vor lauter Tokio doch noch über eine rote Ampel. Neben mir bremst
ein größeres Auto, aber so sanft, dass ich es überhaupt erst
bemerke, als es bereits stehengeblieben ist. Natürlich ein bisschen
ein Schreck auf meiner Seite. Und sofort denke ich, dass das jetzt
wirklich nicht… also natürlich war das mein Fehler. Ich hab nicht
damit gerechnet, dass zwei aufeinanderfolgende Ampeln nicht
gleichgeschaltet sind, selbst wenn die Verkehrsinsel zwischen den
zwei zu überquerenden Straßen nur drei, vier Meter breit ist. Auf
besagter Verkehrsinsel steht eine uniformierte Person und sofort bin
ich als braver österreichischer Staatsbürger für eine unterwürfige
Geste zu haben. Aber nichts da: die Person in Uniform schlägt selbst
die Augen zu Boden, reagiert das offizielle Tokio also eher mit
Enttäuschung als mit Strafe auf meine Gesetzesschramme?
Auf dem
Weg zurück zum Bahnhof such ich mir noch ein schickes Kaffeehaus, in
dem ich nicht nur eine Tasse indonesischen Kaffee trinke, sondern
mithilfe der Möglicherweise-e-die-Besitzerin meine Postkarte an das
hiroshimanesische Restaurant adressiere. Und dann heißt s mich
sputen, damit M nicht allzu verloren auf dem Bahnhof herumsteht. Wir
haben noch einen Zug zu erwischen und er hat elf Stunden Flug hinter
sich, ich bin mir sicher, der möchte sich setzen. Ich hab noch ein
Internet auf meinem Telefon, aber die freien Wifis, die in der Stadt
zu finden sind, sind nicht immer einfach und ich bin nicht sicher, ob
meine Beschreibungen des idealen Treffpunkts so verstanden werden,
wie ich mir das erträume.
Aber
alles kein Problem, da steht er schon, unerwartet frisch und munter,
den Railpass in der Tasche und ein dementsprechendes Lachen im
Gesicht. Es geht fast alles ein bisschen zu glatt. Ein fröhliches
Hallo und auch nach acht Monaten gleich in die selbe Vertrautheit
zurück, wie in die Lederhandschuhe vom vorigen Jahr. Im Shinkansen
kriegen wir bloß Sitze hinter- beziehungsweise voreinander, aber mit
einem Blick durch die Sitzreihen zurück stelle ich fest, dass das
auch nicht so schlecht ist, weil dann kann sich M noch ein bisschen
ausruhen. Ist ja doch eine lange Reise. Von Wien nach Tokio, von
Tokio nach Hakodate.
Weil
wir sind jetzt noch stundenlang unterwegs, inklusive einer
unauffälligen Querung der Meerenge zwischen Honshu und Hokkaido.
Weil es draußen bereits dunkel geworden ist, merken wir kaum, dass
wir in einen Tunnel hinein und aus einem Tunnel wieder hinaus sind.
Glücklicherweise bekommt M von seinem Sitznachbarn über gemeinsames
Gestikverständnis erklärt, wie ein Tunnel funktioniert, erfahre ich
später. Und eine getrocknete Jakobsmuschel, die zugegebenermaßen
sehr wie ein Karamellbonbon ausschaut, und deshalb umso mehr für den
eben noch aus Europa geflogenen Gaumen ein bisschen eine Überraschung
darstellt.
In
Hakodate finden wir zu unserem Schachtelhotel, ein kleiner
Spaziergang durch unsere erste Stadt Hokkaidos. Es ist schon einmal
deutlich kühler als in Tokio, mich friert s fast ein bisschen auf
den von meiner Hose nur halbbedeckten Wadeln. Im Schachtelhotel
werden wir enthusiastisch begrüßt und es wird uns ein Foto mit
Fahne in der Hand abgenommen. Ich mein, einfach weil sie tatsächlich
eine österreichische Fahne dort stehen hatten, das hat mich einen
Moment lang beeindruckt. Weil zuerst hat man uns die australische
Fahne angeboten und wenn ich nicht gedacht hätte, dass sie jetzt
sicher keine österreichische da stehen hätten, hätte ich die ja
nicht abgelehnt. Im Zweifelsfall nämlich sowieso lieber mit der
australischen, nicht weil ich lieber mit einem australischen Pass
herumlaufen würde, einfach weil die Abstraktion eine größere ist,
wenn ich mich weniger mit der Fahne identifizier (ob ich will oder
nicht), die ich in der Hand halte. Und dabei sind wir bei weitem
nicht die einzigen euro-amerikanischen Gäste. Der Enthusiasmus
scheint wirklich Standard zu sein.
Ein
erstes japanisches Abendessen für den Freund von daheim in einem
guten aber von sehr distanzierten Unternehmern geleiteten
Rahmenlokal. Daheim gibt s noch einen Becher Gerstentee, bevor wir in
unsere mit Rollo verschließbaren Bettkabinen kriechen. Wie
Aschenbecher, sagt er und meint den Tee. Aber auch in unseren
Schlafverschlägen ist es spätestens am Morgen heiß und stickig.
Wir
verlassen das Hotel ohne die hunderttausend Freizeitangebote in
Anspruch genommen zu haben, die uns zur Verfügung gestellt werden.
Ich hab kurz die Kalligraphie ausprobiert und schnell festgestellt,
dass mein Asienaufenthalt meinen plumpen Pinselstrich nicht
beeinflusst hat. Am Klavier spiele ich wohl nicht einmal eine Melodie
sondern tappe nur ein kurzes ping-ping um eine Idee vom Klang
zu bekommen. Sofort springt jemand hinter der Rezeption auf und man
deutet mir zur Motivation, ich solle doch, ich würde doch bitte.
Aber wir haben schon die Rucksäcke umgeschnallt und machen uns auf
den Weg zum morgendlichen Fischmarkt.
Den
morgendlichen Fischmarkt haben wir um zehn natürlich längst
verpasst, aber es gibt noch den, naja, den normalen Fischmarkt, I
guess, auf dem die größte Attraktion ein Aquarium ist, aus dem
sich KundInnen selbst ihren Tintenfisch angeln können. Das kommt mir
dann doch ein bisschen gar grob vor, irgendwo hat ein Tintenfisch ja
doch ein zur Empathie einladendes Goscherl und die zwei großen Augen
und die eindeutige Panikreaktion, als er am Haken aus dem Wasser
gezogen wird und selbst Wasser auf die AngreiferInnen spritzt.
Letztlich hindert s mich aber doch nicht daran, mir in der nächsten
Halle ob der begrenzten Auswahl einen gegrillten Tintenfisch zum
Kaffee zum Frühstück zu bestellen. Aber der Vegetarier in mir werkt
schon in derartigen Situationen und er ist in den letzten Wochen
lauter geworden, stellt Ansprüche während ich „einfach nicht
dazukomme“ nachzusehen, ob es der Gelbflossenthunfisch oder der
Blauflossenthunfisch ist, der derart überfischt ist. Es ist einfach
nicht richtig.
Nächster
Halt: Asahikawa. Lustigerweise kommt da gar nicht das Bier her
(Asahi), zumindest nicht, dass wir das herausgefunden hätten.
Es gibt nämlich zwei, sagen wir, drei. Es gibt drei große Bier in
Japan. Kirin. Sapporo. Asahi.
In Japan und außerhalb. In Australien zum Beispiel gibt s kaum ein
japanisches Lokal, das nicht Asahi ausschenkt. Es ist auch
sonst ein beliebtes Bier, so weit ich mich erinner. Und vor einem
halben Jahr hab ich noch gedacht, dass es sich bei Asahi um
eine Kette japanischer Restaurants handelt, weil ich das so
miteinander verbunden hatte ohne mich wirklich für s Bier zu
interessieren. Und jetzt ist das ja auch nicht im Fokus, wenngleich
man sagen muss, dass der Besuch von zuhause schon auch die eine oder
andere Gewohnheit von daheim mitgebracht und in meinen Alltag
zurückimportiert hat. Also zum Beispiel, dass ein Bier nicht nur
eine Begleitung für ein Abendessen ist, sondern so einem Glas in den
Zustand innerer Leere zu verhelfen auch ein abendliches
Zusammensitzen begleitet. Das kommt wie von selbst und ich bin ein
bisschen unzufrieden damit, wie schnell das wieder den Rang einer
Selbstverständlichkeit angenommen hat. Das ist doppelt schade, weil
einerseits torpedier ich mir damit ein bisschen das Zusammensitzen,
wenn ich mir nicht gegen die schlechte Laune zu helfen weiß und auf
der anderen Seite ist es halt auch einfach ein bisschen bedauerlich,
dass das eine gemeinsame Freizeitbeschäftigung ist, zu der mir in
der Situation auch keine Alternative einfällt. Ich mein, wir
schießen uns ja nicht weg, aber das eine Bier, das vor ein paar
Wochen noch eine erwähnenswerte Ergänzung meiner Abendessen in
Japan war, das sind halt jetzt zwei.
Asahikawa
ist jetzt aber wirklich schon weit im Norden und es ist kühl genug,
um im Rucksack nach den Jeans zu kramen. Die Leerstelle ist schnell
mit den Flipflops gefüllt, auch die brauch ich heroben nicht. Als
wir in einer kleinen Gasse unsere Unterkunft gefunden haben, sagt die
Besitzerin, dass sie keine Duschen hat und ich denk mir, das erklärt,
warum das so billig war und sag, das sei kein Problem, es sind ja nur
zwei Nächte und wenn sie sagt, nebenan gibt s ein öffentliches Bad,
dann passt uns das. Ob ich mich einmal nach M hätte umdrehen sollen,
bevor ich den neuen Umständen zugesagt hab – könnte sein. M ist
in mehrfacher Hinsicht nicht ganz glücklich mit dem etwas urigen
Ambiente. Und es stimmt schon: die Stufen sind so steil, dass sie
durchaus an die Gefährlichkeit grenzen, das Klo ist drei Stockwerke
entfernt und der Eingangsbereich ist eine Mischung aus Bar und
Wohnzimmer, tief hinten in einer Einfahrt und bar jeglichen
Sonnenlichts. Außerdem ist das Zimmer einfach nicht hoch genug, dass
M aufrecht stehen kann. Und wo die Besitzerin freundlich und bemüht
ist, kann man das möglicherweise auch als ein bisschen zu wenig
distanziert wahrnehmen. Das ist dann auch irgendwo die Schwierigkeit
zwischen meinem Driften, meinem Willen zur Sparsamkeit und dem Mann,
der doch gekommen ist, um Urlaub zu machen und nicht unbedingt bereit
ist, mit Komforteinschränkungen für seine Übernachtungen zu
zahlen.
Aber
schön, mit dieses Bedürfnisschräge werden wir die nächsten zwei
Wochen zu tun haben und jetzt sind s ja nur zwei Nächte. Und jetzt
sitzen wir erst einmal über einem mongolischen Grill, was einfach
als Genre Dschingis Khan heißt. So wie ein Essen Fondue
heißen kann oder Brettljause. Ich glaub nicht, dass das
ok ist, das so zu nennen, aber es schmeckt auf jeden Fall. Und es ist
das erste Mal, dass ich am Boden sitzend mein Essen einnehme. Vor ein
paar Jahren bin ich mit dem Funfact herumgelaufen, dass die
JapanerInnen heute (und ein paar Jahren) im Schnitt um
so-und-so-viele Zentimeter größer sind als noch vierzig Jahre
zuvor, weil sie die traditionelle Art des
Am-Boden-Kniens-Slash-Sitzens zugunsten von Stühlen aufgegeben
hätten. Natürlich ist der Fun in dem Fact eher, dass es eine
Behauptung ohne Quellenangabe ist und vielleicht letztlich… es
erscheint jetzt einfach nicht besonders logisch.
Am Plan
steht eine Besteigung des Asahidake im Daisetsuan Nationalpark.
„Spielplatz der GöttInnen“ heißt es in den Broschüren und in
der Gondel, die wir letzten Endes doch den Berg rauf nehmen. Weil
unten ist es gatschig und der Weg scheint, seit sie die Gondel gebaut
haben, nicht mehr tip-top in Stand gehalten zu werden. Aber
vielleicht war er s nie und mein impliziter Vorwurf der
kapitalistischen Logik ist ungerechtfertigt. Beim Erkundschaften
möglicher Besteigungsrouten haben wir immerhin zwei Herren mit
Helmen im hohen Gras erspäht, die schienen den Weg zu erneuern, aber
das waren nur die ersten hundert Meter und das ist zu wenig für
einen Zweitausender. Außerdem hab ich im hohen Gras eine Schlange
gesehen und der M hat sowieso nur seine Laufschuhe mitgebracht, also
verzichten wir auf das Abenteuer durch den Busch und, ja, Gondel.
Leider
ist die Situation oben auch nicht ideal. Oder: kommt wahrscheinlich
drauf an, was man sich wünscht. Es liegen nämlich zwanzig
Zentimeter Schnee und dass es noch ein bisschen zu warm für den
Schnee ist, ist dann auch keine Erleichterung, weil so hat M bald die
Schneeschmelze bis zu den Knöcheln, während wir mit den vielen
anderen BesucherInnen gemeinsam über die engen Wege rutschen. Es ist
schon schön, das lässt sich auf jeden Fall sagen und auch M
vergisst die nassen Füße, als die Luft schwefeliger wird und die
Begeisterung für die aus dem Berg stoßenden Dampfschwaden einsetzt.
Ein Vulkan ist einfach was lässiges. Und wenn der heiße Dampf aus
einer Schneedecke hervorquillt, dann ist das noch eine Stufe
lässiger. Leider sind die Kontraste nicht so gut, weiß auf weiß
und bewölkter Himmel. Und auch wenn s nicht Indonesien ist und
deshalb schon dreißig Meter vor den Austrittslöchern eine
Absperrung aufgebaut und fleißig bewarnschildert wurde, es ist halt
trotzdem super. Irgendwer hat auf dem Rastplatz ein Schneeschwein
geformt, das war auch super. Sonst gilt als die lokale
Hauptattraktion die Ausstellung der Jahreszeiten und jetzt eben der
Herbst-Winter Übergang. Daisetsu Nationalpark sei üblicherweise
jene Gegend, wo sich die Blätter zuerst verfärben, wo der erste
Schnee fällt und so für Japan jene Jahreszeiten einläutet.
Immerhin der höchste Berg Hokkaidos. Es wirkt jedoch fast ein
bisschen frühlingshaft, aber die Blumen, die da scheinbar als die
ersten durch den Schnee stoßen, sind eher die letzten, die von der
Kälte gerafft werden, aber das sieht ja nur, wenn man s weiß. Nur
hie und da zeigt sich der Herbst auf dem Laub, das satte Grün ist
vielerorts nur vom Schnee verdeckt.
Zurück
im Tal gibt s einen Onsen, der die schneenassen Füße wärmt (wer s
braucht) und uns außerdem die fehlende Dusche in der Unterkunft
kompensiert. Wir kaufen unabsichtlich zwei Handtücher, weil
Ausborgen spielt s nicht für uns, die wir nicht Gäste im Hotel
sind. Aber die damit verbundenen Kosten sind so gering, dass ich
nicht auf die Idee gekommen wäre, dass wir die tatsächlich
erwerben. Gut vielleicht, dass wir uns mit kleinen Handtüchern
zufrieden gegeben und nicht das volle Set erstanden haben.
Aber
alles in allem ist alles in Ordnung. Der Bus schupft uns heim und wir
machen uns ein gemütliches Abendessen in einem Ramengeschäft. Wir
sind vielleicht ein bisschen irritiert über den offenbar
europäischen Hintergrund der einen Kellnerin, es ist einfach sehr
unüblich, die nicht-asiatischen GastarbeiterInnen in Japan. In der
einen oder anderen Jugendherberge sitzt mal eine EuropäerIn an der
Rezeption, aber das ist es wirklich. Und lustig, wie das von außen
dann immer gleich so so ausschaut, als spräche sie ein makelloses
Japanisch. Die Sprache ist so fremd, dass ich ja wirklich nichts
verstehe (ab und zu mal eine der ersten drei Ziffern) aber schon gar
nicht beurteilen kann, wie eloquent oder auch nur wie flüssig sich
jemand auszudrücken weiß. Und selbst die Gestik und paraverbale
Gesprächsanteile unterscheiden sich noch einmal merklich, sodass
jemand mit ein bisschen Japanischkenntnissen dann oft schon extremst
bewandt.
Nach Asahikawa sind wir nach Sapporo. Zunächst haben wir das ja anders herum geplant gehabt, dass wir zuerst einen Sprung nach Sapporo machen und von dort weiter nach Asahikawa. Aber schau an, es hat kurzfristig echt null Unterkunft für uns gegeben. Ok, nicht null, Sapporo ist ja doch recht groß. Aber in der Nähe des Zentrums und in einer recht engen Preiskategorie haben wir für den nächsten Tag nichts gefunden. Jetzt kann man sagen: Zufall. Oder man sagt: Rugbyworldcup. Hab ich mich mit meinen Befürchtungen doch ein bisschen bestätigt gefühlt. Wahrscheinlich war s so herum dann eh besser, weil wir ja auch einen Taifun mitgebracht haben und das schlechte Wetter in der Stadt sicherlich leichter zu umgehen war als draußen am Spielplatz der GöttInnen. Viel leichter nämlich, hat sich dann herausgestellt, als wir mit bereits nassen Füßen nach einer halben Stunde Stadtquerung herausgefunden haben, dass zumindest das Stadtzentrum mehr oder weniger untertunnelt ist und wir zumindest von unserem Kaffeehaus aus einfach unterirdisch herumgelaufen. Ich mein, viel gibt s nicht: Geschäfte und Lokale. Aber was braucht man schon viel mehr. Ich laufe meinen Spielkarten hinterher, die s nirgendwo gibt und für s Mittagessen sind wir dann sogar aus dem Untergrund heraufgekommen und haben uns die Füße auf dem Weg zum Fischmarkt benetzt. Essen gehen ist gemeinsam ja auch um ein vielfaches schwieriger, als allein. Ich mein, erstmal, dass die Hungerzyklen synchronisiert werden. Dass die Snacklust angepasst ist. Das ist alles nicht so einfach. Auf der anderen Seite erlaubt s halt auch ein bisschen was experimentelleres, wenn ich mein Gegenüber endlich auf Austern überredet hab, die ich mir allein nicht geben wollte. Jetzt sitzen wir auf jeden Fall über Sashimischüsseln, für die Aufregung hier verschiedenen Krebsen ans Bein zu nagen und Seesternrogen zu futtern, hab ich dann doch ganz schön auf s Wechselkurserinnern verzichtet. War dann eh auch fein, wobei ich sagen muss, dass mir nicht zuletzt in Erinnerung ist, dass ich dort den besten Reis gegessen hab.
Am Abend sitzen wir mit zwei Flascherl Sake in unserem vergleichsweise schicken Hotelzimmer. Sein Sake in den Eiswürfeln, mein Sake im Wasserkocher. Ich hab viel Zeit für ein Getränk, das sich warm und kalt trinken lässt ohne ekelhaft zu sein. Beim Aufräumen hat das Hotelpersonal mein unabsichtlich gekauftes Handtuch eingepackt und ich bin ok damit. Kurz überlege ich, dafür eines der hotellernen einzustecken. Aber erstens: nein. Und zweitens brauch ich ja kaum ein zweites Handtuch und sollte froh sein, dass mir das mit so wenig Eigeninitiative abhanden gekommen ist. Im Fernsehen gibt s Rugby und Go und eine Gesprächsrunde bei der sechs Leute um einen Tisch herumsitzen und Whisky trinken: Zwei Japanerinnen, drei Japaner und ein Ausländer, der bei uns daheim wohl nicht als solcher auffallen würde. Dann gibt s noch eine Sendung mit zwei Chinesinnen Anfang zwanzig, die durch die von einer Kamera verfolgt durch die Stadt spazieren und verschiedene Touristenattraktionen besuchen. Ehrlich gesagt kommt mir aber die Zeichentrickserie auf dem nächsten Kanal, in der die ProtagonistInnen in erster Linie Frauen mit way überzeichneten Proportionen sind, weniger sexistisch vor. Letztlich sitzen wir dann vor der zweiten Hälfte von Back to the Future Part III, die ganzen Ungenauigkeiten kritisierend, die man als Teenager gerne mal übersehen hat.
Am Vortag, unter passablen Wetterbedingungen, sind wir sogar ein bisschen an Sapporos Oberfläche herumgelaufen. Wir haben jetzt aber auch nicht irre viel für uns in der Stadt entdeckt. Ein bisschen durch die Straßen spaziert, den Fluss entlang und durch einen Park wieder zurück. Wobei wir, nicht uninteressant, auf eine Hochzeitsgesellschaft gestoßen sind. Also, zuerst war da so Krach im Park und auf dem Plan hat s ausgeschaut, als ob dort irgendein Musikhaus wäre. Interessant, hab ich gedacht, da machen sie vielleicht ein Gegenprogramm zum Rugger. Aber dann sind wir auf einer Parkbank gesessen und haben aus sicherer Entfernung (sowie des einsetzenden Abends) da wirklich einer Zeremonie zugeschaut. Dann ist die Gesellschaft plötzlich aufgebrochen und an uns vorbei und ich wollte ja die Gelegenheit gerne nutzen um „zufällig in die gleiche Richtung“ zu gehen und ein bisschen den Leuten zuzuschauen, aber da hat mir M nicht mitgespielt. Da tut man sich vielleicht allein leichter, ein bisschen in den Kontakt zu kommen oder zumindest in der Umgebung eines derartigen Ereignisses seine Kreise zu ziehen. Und ich versteh s eh, dass das schnell einmal ein bisschen herausfordernd wirken kann und rückblickend ist es schwer zu sagen, wem gegenüber ich mich hier provokanter erlebt hab. Wir sind dann zu einem unterirdischen Schnitzelwirten abgebogen.
Ich hab schon ein anderes Gefühl gehabt in den Städten da oben im Norden. Ein bisschen wilder ist es mir erschienen, weniger aufgeräumt, weniger streng. Vielleicht insgesamt etwas weniger von dieser japanischen Kultur, wie ich sie archetypisch zwischen Osaka und Tokio erlebt habe. Japan halt auch nur ein Nationalstaat, in dem von einem kulturellen Zentrum heraus die Peripherie kolonisiert wurde. Sowohl in Hokkaido als auch auf den Inseln im Süden flockt der kulturelle Einfluss halt auch ein bisschen aus: An beiden „Enden“ gibt s eigenständige ethnische Gruppen, die bis heute überlebt haben, die Ainu auf Hokkaido und die Ryukyuan auf den südlichen Inseln um Okinawa. Von den Ainu sind nur wenige übrig, die nicht bereits in die japanische Leitkultur assimiliert wurden. Aber man scheint noch Feste zu feiern und in den U-Bahnstationen gibt es Schmuck mit Ainu Designs zu kaufen.
Abends schauen wir uns ein paar Minuten Rugby in der Fanzone an. Das hat uns beide ein bisschen Überwindung gekostet, aber ich hab letztlich darauf bestanden, wenn wir schon hier sind, wo sich hunderttausende die Finger danach abschlecken. Es war dann besagten Hunderttausenden zum Trotz wenig los in der Fanzone. Und auch im Stadion, hat man uns einmal gesagt. Ich wollte ja tatsächlich einmal Karten kaufen, aber wir hätten die wohl auch einfach vor dem Stadion noch geschenkt bekommen. Man sieht s dann auch auf den großen Schirmen in der Fanzone, dass die Stadien halbleer sind. Aber wir erwischen s ganz gut, mit zwanzig Minuten die Togo noch gegen England durchhalten muss. Das ist gerade genug Zeit für uns, dass wir die Regeln ein bisschen aus dem ableiten können, was vor unseren Augen passiert. Vor allem aber ist es ganz amüsant, ein bisschen zuzuschauen, mit was für einem Körpereinsatz sich diese Spieler ihrem Sport hingeben. Noch dazu in einer Situation wo das Match bereits dermaßen entschieden war. Das kann ich nicht leugnen, dass das eindrucksvoll ist. Aber natürlich ist eine halbe Stunde dann auch schon genug.
Wir sitzen schon wieder im Zug und sind auf dem Weg nach Tokio. M macht einen kleinen Umweg, den mir mein ablaufender Railpass nicht erlaubt, aber ein bisschen freue ich mich ja auch darauf, einen Tag allein im Kaffeehaus zu sitzen. In Tokio treffen wir dann noch D, die gerade aus Seoul auf einen Abstecher nach Tokio kommt. Klar, wenn man schon in der Gegend ist. Und wir laufen ein bisschen zu dritt durch die Stadt, erstes Ziel: Das Café in dem man nicht reden darf. Im Leon haben sie nämlich große Boxen aufgestellt, durch die den ganzen Tag von Schallplatten aus klassische Musik gespielt wird. Dazu gibt s mittelmäßigen Kaffee. Ein schönes Konzept, natürlich. Ich mein, man kann nicht direkt sagen, dass sie da unprätenziös an die Sache herangehen. Aber es ist angenehm in einem unscheinbaren Haus versteckt, es hat eine angenehme Heruntergekommenheit und die paar Leute, die drin sitzen, scheinen mehrheitlich zum Arbeiten hergekommen zu sein. Es wirkt also tatsächlich nicht nur wie das überdrehte Geisteskind einer Anerkennung heischenden Hipsterverbindung. Dass man weniger hierher kommt um, wie (ich glaube) Joseph Roth über die Architektur des Burgtheaters sagt, von den anderen ZuseherInnen gesehen zu werden, wird dadurch verstärkt, dass die Sitzplätze größtenteils in die Richtung der gigantischen Lautsprecher gerichtet sind und man schon deshalb still sitzt, weil jede Bewegung ein Knarzen und Rascheln zur Folge hat. Und der als Deejay doublierende Kellner sagt seine nächste Schallplatte so entschuldigend und zurückhaltend an, dass es das schon einen Besuch wert war. was so die richtige Stimmung ist, um durch die vielen Abteilungen des Geschäfts zu laufen, das nicht Super Hans heißt. Tokyu Hands, das ist es. Da gibt s alles und in jedem zweiten Stock muss sich der eine oder die andere von irgendwas losreißen. Oder auch nicht, auch einkaufen ist erlaubt, warum nicht. Nur in der Kleintierabteilung beschränkt man sich bitte auf fassungsloses Starren.
Das war s dann auch fast schon wieder. Weil ich bin in Tokio dann tatsächlich mehr im Kaffeehaus gesessen und in der unmittelbaren Nachbarschaft des Hostels abgehangen. Das war eine angenehme Abwechslung im Gegenzug zur Überforderung, mit der mir Tokio ja doch ab und zu zugesetzt hat. Und wiederum: es ist schon auch eine Leistung, wie es in der Stadt gelingt, dass neben einem vollkommen überdrehten, touristisch überanspruchtem Viertel, nicht nur tote, ausgelaugte Gegend liegt, sondern sympathische Nachbarschaften, mit ihren eigenen kleinen Straßenlokalen, in denen schon wieder kaum jemand Englisch spricht. Ich verbringe meinen interessantesten Nachmittag allerdings in einem Kaffee, in dem sie durchaus Englisch sprechen. Es ist mal wieder so etwas, wo man mir einen Platz an der Bar anbietet und ich sitze dann neben einer, die gerade ihre Schicht vorbei hatte und wir plaudern die nächsten vier Kaffee (in vielen der Cafés, die Single Origin Kaffees zubereiten, kriegt man die zweite Tasse desselben Kaffees für kaum die Hälfte der ersten…) über Kaffee, über das Café, über Japanisch, über Japan und die Welt.
Und das ist eigentlich die schönste Erinnerung, die ich aus Japan mitgenommen habe: wie schön ich oft mit JapanerInnen ins Gespräch gekommen bin, meistens über ein Essen oder halt einen Kaffee. Aber dass der Zugang irgendwie so schnell da war und das Interesse und die Lust am Plaudern und dass das alles nur sehr wenig eingeschränkt war von irgendwelchen Vorannahmen über wie man sich zu verhalten hätte. Wenn ich Japan insgesamt immer wieder als das erlebt habe, als eine Gesellschaft, die ihren BürgerInnen viele Vorgaben macht, wie man sich im Alltag zu verhalten habe, wo man jeden Tag tausenden uniformierten Salary-Men gegenübersteht, den Angestellten, die tagsüber durch die Straßen hetzen, abends in der U-Bahn an ihren Telefonen hängen oder des nachts betrunken aus einem Isakaya herausstolpern, hab ich gleichzeitig nirgendwo so schnell freundschaftliche Kontakte geknüpft, wie in Japan. Und jetzt war diese Barista, mit der ich in Tokio zuletzt noch geplaudert hab, dann sogar noch kritisch gegenüber Japan. Nämlich über das politische Desinteresse der JapanerInnen oder zumindest ihrer Generation oder halt auf jeden Fall über ihr eigenes, da ist sie schon unzufrieden gewesen, das sagen zu müssen. Und dass ihr Gefühl sei, dass sich Japan so blind gegenüber der Welt verhalte, dass insbesondere China einfach bewusst ignoriert werde. Stattdessen gebe es halt nur Europa und Amerika, dorthin blicke man. Aber den Stolz auf Japan, das war trotzdem da: Als ich gesagt habe, dass ich auf mein Heimatland einfach nicht stolz bin, da war sie schon ein bisschen erstaunt, quasi: wie das sein könne. Nun, hab ich gesagt, es sei vielleicht eher, dass auf Dinge, auf die ich in meinem Heimatland stolz wäre, mein offizielles Heimatland einfach nicht stolz ist. Aber das ist natürlich kryptisch und ich glaube, ich hab s einfach dabei belassen, dass mir da kaum etwas dazu einfalle, auf das ich stolz sein würde.
Zweimal haben wir unseren Abflug nach Korea vor uns hergeschoben, es war uns dann immer ein bisschen zu kurzfristig, zwei Tage vorher zu buchen. Aber wir haben s dann geschafft, gleichzeitig zu verlängern und zu buchen, und uns selbst so ein Schnippchen geschlagen.