Drunter und drüber

Dann kam der Moment und der Moment brachte M. Ich bin nicht mehr allein unterwegs und das ist erfrischend. Die Welt direkt zu kommentieren, einen zweiten Blick zur Verfügung zu haben. Aber es eröffnet nicht nur Möglichkeiten, es frisst auch Zeit, frisst die Zeit, in der ich mich langweile und nach Gesellschaft sehne. Frisst die Zeit in der ich meinen Gedanken nachhänge und Zeit in der ich mich besinne und die Vergangenheit in eine Form bringe. Eine nachhaltige Form des So-ist-es-passiert. Geschichte schreiben.

Eben war ich noch in der österreichischen Botschaft und erlebe die Heimat als bürokratischen Verwaltungsapparat, wenn ich mich für den Eintritt erklären muss und dann ein dickes Kuvert überreicht bekomme. Aber mit Erleichterung stelle ich fest, dass ich nicht der einzige, dass ich nicht der letzte bin, der hier seine Wahlkarte in Empfang nimmt. Und dann viel zu viele Namen und Listen und ich mach mein Kreuz und steck meinen Wahlzettel ins Kuvert, den Rest in meine Tasche. Und jetzt liegt selber der Effekt dieser Handlung schon in der Vergangenheit. Ein paar Tage später lese ich übrigens die Listen und wunder mich, warum Parteien mehr Leute auf ihre Listen setzen als es Plätze im Parlament gibt. Ja, ja, da sind wohl irgendwelche Vorzugsstimmenwahlkämpfe versteckt, aber so die Listen durchzublättern und auch nur 183 Leute auf einer Liste zu sehen wirkt ein bisschen nach Arroganz.

Auf einen Sprung zurück in Tokio

Insgesamt gibt s für mich sonst nicht viel zu tun in der Botschaft. Ich überfliege schnell einen Prospekt über österreichische Kulturveranstaltungen August bis September und sehe, dass ich eine Klimtausstellung in Osaka verpasst habe. Aber ich bin insgesamt schnell wieder draußen und wander noch ein bisschen verloren durch die Gassen des – wie ich annehmen muss – Botschaftsviertels. Warum sonst würde ich hier so viele blonde Frauen auf Fahrrädern-mit-Kindersitz-hinten-drauf sehen. Und obwohl ich Tokio deutlich weniger fordernd finde, als vor zwei Wochen, lauf ich dann vor lauter Tokio doch noch über eine rote Ampel. Neben mir bremst ein größeres Auto, aber so sanft, dass ich es überhaupt erst bemerke, als es bereits stehengeblieben ist. Natürlich ein bisschen ein Schreck auf meiner Seite. Und sofort denke ich, dass das jetzt wirklich nicht… also natürlich war das mein Fehler. Ich hab nicht damit gerechnet, dass zwei aufeinanderfolgende Ampeln nicht gleichgeschaltet sind, selbst wenn die Verkehrsinsel zwischen den zwei zu überquerenden Straßen nur drei, vier Meter breit ist. Auf besagter Verkehrsinsel steht eine uniformierte Person und sofort bin ich als braver österreichischer Staatsbürger für eine unterwürfige Geste zu haben. Aber nichts da: die Person in Uniform schlägt selbst die Augen zu Boden, reagiert das offizielle Tokio also eher mit Enttäuschung als mit Strafe auf meine Gesetzesschramme?

Auf dem Weg zurück zum Bahnhof such ich mir noch ein schickes Kaffeehaus, in dem ich nicht nur eine Tasse indonesischen Kaffee trinke, sondern mithilfe der Möglicherweise-e-die-Besitzerin meine Postkarte an das hiroshimanesische Restaurant adressiere. Und dann heißt s mich sputen, damit M nicht allzu verloren auf dem Bahnhof herumsteht. Wir haben noch einen Zug zu erwischen und er hat elf Stunden Flug hinter sich, ich bin mir sicher, der möchte sich setzen. Ich hab noch ein Internet auf meinem Telefon, aber die freien Wifis, die in der Stadt zu finden sind, sind nicht immer einfach und ich bin nicht sicher, ob meine Beschreibungen des idealen Treffpunkts so verstanden werden, wie ich mir das erträume.

Aber alles kein Problem, da steht er schon, unerwartet frisch und munter, den Railpass in der Tasche und ein dementsprechendes Lachen im Gesicht. Es geht fast alles ein bisschen zu glatt. Ein fröhliches Hallo und auch nach acht Monaten gleich in die selbe Vertrautheit zurück, wie in die Lederhandschuhe vom vorigen Jahr. Im Shinkansen kriegen wir bloß Sitze hinter- beziehungsweise voreinander, aber mit einem Blick durch die Sitzreihen zurück stelle ich fest, dass das auch nicht so schlecht ist, weil dann kann sich M noch ein bisschen ausruhen. Ist ja doch eine lange Reise. Von Wien nach Tokio, von Tokio nach Hakodate.

Weil wir sind jetzt noch stundenlang unterwegs, inklusive einer unauffälligen Querung der Meerenge zwischen Honshu und Hokkaido. Weil es draußen bereits dunkel geworden ist, merken wir kaum, dass wir in einen Tunnel hinein und aus einem Tunnel wieder hinaus sind. Glücklicherweise bekommt M von seinem Sitznachbarn über gemeinsames Gestikverständnis erklärt, wie ein Tunnel funktioniert, erfahre ich später. Und eine getrocknete Jakobsmuschel, die zugegebenermaßen sehr wie ein Karamellbonbon ausschaut, und deshalb umso mehr für den eben noch aus Europa geflogenen Gaumen ein bisschen eine Überraschung darstellt.

In Hakodate finden wir zu unserem Schachtelhotel, ein kleiner Spaziergang durch unsere erste Stadt Hokkaidos. Es ist schon einmal deutlich kühler als in Tokio, mich friert s fast ein bisschen auf den von meiner Hose nur halbbedeckten Wadeln. Im Schachtelhotel werden wir enthusiastisch begrüßt und es wird uns ein Foto mit Fahne in der Hand abgenommen. Ich mein, einfach weil sie tatsächlich eine österreichische Fahne dort stehen hatten, das hat mich einen Moment lang beeindruckt. Weil zuerst hat man uns die australische Fahne angeboten und wenn ich nicht gedacht hätte, dass sie jetzt sicher keine österreichische da stehen hätten, hätte ich die ja nicht abgelehnt. Im Zweifelsfall nämlich sowieso lieber mit der australischen, nicht weil ich lieber mit einem australischen Pass herumlaufen würde, einfach weil die Abstraktion eine größere ist, wenn ich mich weniger mit der Fahne identifizier (ob ich will oder nicht), die ich in der Hand halte. Und dabei sind wir bei weitem nicht die einzigen euro-amerikanischen Gäste. Der Enthusiasmus scheint wirklich Standard zu sein.

Auf den ersten Blick gleich einmal, wofür sich Hakodate rühmt. Mein Hiragana reicht übrigens grad dafür aus, dass das, was da unterhalb von „Hakodate“ geschrieben steht, sicherlich nicht „Hakodate“ heißt!

Ein erstes japanisches Abendessen für den Freund von daheim in einem guten aber von sehr distanzierten Unternehmern geleiteten Rahmenlokal. Daheim gibt s noch einen Becher Gerstentee, bevor wir in unsere mit Rollo verschließbaren Bettkabinen kriechen. Wie Aschenbecher, sagt er und meint den Tee. Aber auch in unseren Schlafverschlägen ist es spätestens am Morgen heiß und stickig.

Wir verlassen das Hotel ohne die hunderttausend Freizeitangebote in Anspruch genommen zu haben, die uns zur Verfügung gestellt werden. Ich hab kurz die Kalligraphie ausprobiert und schnell festgestellt, dass mein Asienaufenthalt meinen plumpen Pinselstrich nicht beeinflusst hat. Am Klavier spiele ich wohl nicht einmal eine Melodie sondern tappe nur ein kurzes ping-ping um eine Idee vom Klang zu bekommen. Sofort springt jemand hinter der Rezeption auf und man deutet mir zur Motivation, ich solle doch, ich würde doch bitte. Aber wir haben schon die Rucksäcke umgeschnallt und machen uns auf den Weg zum morgendlichen Fischmarkt.

Den morgendlichen Fischmarkt haben wir um zehn natürlich längst verpasst, aber es gibt noch den, naja, den normalen Fischmarkt, I guess, auf dem die größte Attraktion ein Aquarium ist, aus dem sich KundInnen selbst ihren Tintenfisch angeln können. Das kommt mir dann doch ein bisschen gar grob vor, irgendwo hat ein Tintenfisch ja doch ein zur Empathie einladendes Goscherl und die zwei großen Augen und die eindeutige Panikreaktion, als er am Haken aus dem Wasser gezogen wird und selbst Wasser auf die AngreiferInnen spritzt. Letztlich hindert s mich aber doch nicht daran, mir in der nächsten Halle ob der begrenzten Auswahl einen gegrillten Tintenfisch zum Kaffee zum Frühstück zu bestellen. Aber der Vegetarier in mir werkt schon in derartigen Situationen und er ist in den letzten Wochen lauter geworden, stellt Ansprüche während ich „einfach nicht dazukomme“ nachzusehen, ob es der Gelbflossenthunfisch oder der Blauflossenthunfisch ist, der derart überfischt ist. Es ist einfach nicht richtig.

Das ist schon ein ziemlicher Waschl, der da im Becken auf eine KöchIn gewartet hat. Oktopus ist ja auch ganz oben auf der Liste von Tieren, die mir beim Verspeisen ein schlechtes Gewissen machen.

Nächster Halt: Asahikawa. Lustigerweise kommt da gar nicht das Bier her (Asahi), zumindest nicht, dass wir das herausgefunden hätten. Es gibt nämlich zwei, sagen wir, drei. Es gibt drei große Bier in Japan. Kirin. Sapporo. Asahi. In Japan und außerhalb. In Australien zum Beispiel gibt s kaum ein japanisches Lokal, das nicht Asahi ausschenkt. Es ist auch sonst ein beliebtes Bier, so weit ich mich erinner. Und vor einem halben Jahr hab ich noch gedacht, dass es sich bei Asahi um eine Kette japanischer Restaurants handelt, weil ich das so miteinander verbunden hatte ohne mich wirklich für s Bier zu interessieren. Und jetzt ist das ja auch nicht im Fokus, wenngleich man sagen muss, dass der Besuch von zuhause schon auch die eine oder andere Gewohnheit von daheim mitgebracht und in meinen Alltag zurückimportiert hat. Also zum Beispiel, dass ein Bier nicht nur eine Begleitung für ein Abendessen ist, sondern so einem Glas in den Zustand innerer Leere zu verhelfen auch ein abendliches Zusammensitzen begleitet. Das kommt wie von selbst und ich bin ein bisschen unzufrieden damit, wie schnell das wieder den Rang einer Selbstverständlichkeit angenommen hat. Das ist doppelt schade, weil einerseits torpedier ich mir damit ein bisschen das Zusammensitzen, wenn ich mir nicht gegen die schlechte Laune zu helfen weiß und auf der anderen Seite ist es halt auch einfach ein bisschen bedauerlich, dass das eine gemeinsame Freizeitbeschäftigung ist, zu der mir in der Situation auch keine Alternative einfällt. Ich mein, wir schießen uns ja nicht weg, aber das eine Bier, das vor ein paar Wochen noch eine erwähnenswerte Ergänzung meiner Abendessen in Japan war, das sind halt jetzt zwei.

Asahikawa. Die Architektur im Norden ist ein bisschen blockiger, ein bisschen pragmatischer, wetterfester. Vielleicht ein bisschen realsozialistischer im Stil. Den Punkt, von dem man von Japan aus nach Russland sehen kann, für den hat sich der Umweg nicht ausgezahlt.

Asahikawa ist jetzt aber wirklich schon weit im Norden und es ist kühl genug, um im Rucksack nach den Jeans zu kramen. Die Leerstelle ist schnell mit den Flipflops gefüllt, auch die brauch ich heroben nicht. Als wir in einer kleinen Gasse unsere Unterkunft gefunden haben, sagt die Besitzerin, dass sie keine Duschen hat und ich denk mir, das erklärt, warum das so billig war und sag, das sei kein Problem, es sind ja nur zwei Nächte und wenn sie sagt, nebenan gibt s ein öffentliches Bad, dann passt uns das. Ob ich mich einmal nach M hätte umdrehen sollen, bevor ich den neuen Umständen zugesagt hab – könnte sein. M ist in mehrfacher Hinsicht nicht ganz glücklich mit dem etwas urigen Ambiente. Und es stimmt schon: die Stufen sind so steil, dass sie durchaus an die Gefährlichkeit grenzen, das Klo ist drei Stockwerke entfernt und der Eingangsbereich ist eine Mischung aus Bar und Wohnzimmer, tief hinten in einer Einfahrt und bar jeglichen Sonnenlichts. Außerdem ist das Zimmer einfach nicht hoch genug, dass M aufrecht stehen kann. Und wo die Besitzerin freundlich und bemüht ist, kann man das möglicherweise auch als ein bisschen zu wenig distanziert wahrnehmen. Das ist dann auch irgendwo die Schwierigkeit zwischen meinem Driften, meinem Willen zur Sparsamkeit und dem Mann, der doch gekommen ist, um Urlaub zu machen und nicht unbedingt bereit ist, mit Komforteinschränkungen für seine Übernachtungen zu zahlen.

Aber schön, mit dieses Bedürfnisschräge werden wir die nächsten zwei Wochen zu tun haben und jetzt sind s ja nur zwei Nächte. Und jetzt sitzen wir erst einmal über einem mongolischen Grill, was einfach als Genre Dschingis Khan heißt. So wie ein Essen Fondue heißen kann oder Brettljause. Ich glaub nicht, dass das ok ist, das so zu nennen, aber es schmeckt auf jeden Fall. Und es ist das erste Mal, dass ich am Boden sitzend mein Essen einnehme. Vor ein paar Jahren bin ich mit dem Funfact herumgelaufen, dass die JapanerInnen heute (und ein paar Jahren) im Schnitt um so-und-so-viele Zentimeter größer sind als noch vierzig Jahre zuvor, weil sie die traditionelle Art des Am-Boden-Kniens-Slash-Sitzens zugunsten von Stühlen aufgegeben hätten. Natürlich ist der Fun in dem Fact eher, dass es eine Behauptung ohne Quellenangabe ist und vielleicht letztlich… es erscheint jetzt einfach nicht besonders logisch.

Am Plan steht eine Besteigung des Asahidake im Daisetsuan Nationalpark. „Spielplatz der GöttInnen“ heißt es in den Broschüren und in der Gondel, die wir letzten Endes doch den Berg rauf nehmen. Weil unten ist es gatschig und der Weg scheint, seit sie die Gondel gebaut haben, nicht mehr tip-top in Stand gehalten zu werden. Aber vielleicht war er s nie und mein impliziter Vorwurf der kapitalistischen Logik ist ungerechtfertigt. Beim Erkundschaften möglicher Besteigungsrouten haben wir immerhin zwei Herren mit Helmen im hohen Gras erspäht, die schienen den Weg zu erneuern, aber das waren nur die ersten hundert Meter und das ist zu wenig für einen Zweitausender. Außerdem hab ich im hohen Gras eine Schlange gesehen und der M hat sowieso nur seine Laufschuhe mitgebracht, also verzichten wir auf das Abenteuer durch den Busch und, ja, Gondel.

Schöne Aussicht trotz allem kalt und patschig. Und wenn das auch nicht einmal ein Wort ist, erinnert es mich an die Überlegung, ob nicht diese Wörter, die im Deutschen auf -tschig enden, nicht alle ein bisschen onomatopoetisch daherkommen. In Indonesien hab ich mal drüber nachgedacht: glitschig, matschig, gatschig, flutschig…

Leider ist die Situation oben auch nicht ideal. Oder: kommt wahrscheinlich drauf an, was man sich wünscht. Es liegen nämlich zwanzig Zentimeter Schnee und dass es noch ein bisschen zu warm für den Schnee ist, ist dann auch keine Erleichterung, weil so hat M bald die Schneeschmelze bis zu den Knöcheln, während wir mit den vielen anderen BesucherInnen gemeinsam über die engen Wege rutschen. Es ist schon schön, das lässt sich auf jeden Fall sagen und auch M vergisst die nassen Füße, als die Luft schwefeliger wird und die Begeisterung für die aus dem Berg stoßenden Dampfschwaden einsetzt. Ein Vulkan ist einfach was lässiges. Und wenn der heiße Dampf aus einer Schneedecke hervorquillt, dann ist das noch eine Stufe lässiger. Leider sind die Kontraste nicht so gut, weiß auf weiß und bewölkter Himmel. Und auch wenn s nicht Indonesien ist und deshalb schon dreißig Meter vor den Austrittslöchern eine Absperrung aufgebaut und fleißig bewarnschildert wurde, es ist halt trotzdem super. Irgendwer hat auf dem Rastplatz ein Schneeschwein geformt, das war auch super. Sonst gilt als die lokale Hauptattraktion die Ausstellung der Jahreszeiten und jetzt eben der Herbst-Winter Übergang. Daisetsu Nationalpark sei üblicherweise jene Gegend, wo sich die Blätter zuerst verfärben, wo der erste Schnee fällt und so für Japan jene Jahreszeiten einläutet. Immerhin der höchste Berg Hokkaidos. Es wirkt jedoch fast ein bisschen frühlingshaft, aber die Blumen, die da scheinbar als die ersten durch den Schnee stoßen, sind eher die letzten, die von der Kälte gerafft werden, aber das sieht ja nur, wenn man s weiß. Nur hie und da zeigt sich der Herbst auf dem Laub, das satte Grün ist vielerorts nur vom Schnee verdeckt.

Ich bin jetzt über meine Fotos fast ein bisschen erstaunt. Also einerseits, wie toll ich die Panoramafunktion zu bedienen weiß, aber auch einfach, wie schön das dort war.

Zurück im Tal gibt s einen Onsen, der die schneenassen Füße wärmt (wer s braucht) und uns außerdem die fehlende Dusche in der Unterkunft kompensiert. Wir kaufen unabsichtlich zwei Handtücher, weil Ausborgen spielt s nicht für uns, die wir nicht Gäste im Hotel sind. Aber die damit verbundenen Kosten sind so gering, dass ich nicht auf die Idee gekommen wäre, dass wir die tatsächlich erwerben. Gut vielleicht, dass wir uns mit kleinen Handtüchern zufrieden gegeben und nicht das volle Set erstanden haben.

Aber alles in allem ist alles in Ordnung. Der Bus schupft uns heim und wir machen uns ein gemütliches Abendessen in einem Ramengeschäft. Wir sind vielleicht ein bisschen irritiert über den offenbar europäischen Hintergrund der einen Kellnerin, es ist einfach sehr unüblich, die nicht-asiatischen GastarbeiterInnen in Japan. In der einen oder anderen Jugendherberge sitzt mal eine EuropäerIn an der Rezeption, aber das ist es wirklich. Und lustig, wie das von außen dann immer gleich so so ausschaut, als spräche sie ein makelloses Japanisch. Die Sprache ist so fremd, dass ich ja wirklich nichts verstehe (ab und zu mal eine der ersten drei Ziffern) aber schon gar nicht beurteilen kann, wie eloquent oder auch nur wie flüssig sich jemand auszudrücken weiß. Und selbst die Gestik und paraverbale Gesprächsanteile unterscheiden sich noch einmal merklich, sodass jemand mit ein bisschen Japanischkenntnissen dann oft schon extremst bewandt.

Nach Asahikawa sind wir nach Sapporo. Zunächst haben wir das ja anders herum geplant gehabt, dass wir zuerst einen Sprung nach Sapporo machen und von dort weiter nach Asahikawa. Aber schau an, es hat kurzfristig echt null Unterkunft für uns gegeben. Ok, nicht null, Sapporo ist ja doch recht groß. Aber in der Nähe des Zentrums und in einer recht engen Preiskategorie haben wir für den nächsten Tag nichts gefunden. Jetzt kann man sagen: Zufall. Oder man sagt: Rugbyworldcup. Hab ich mich mit meinen Befürchtungen doch ein bisschen bestätigt gefühlt. Wahrscheinlich war s so herum dann eh besser, weil wir ja auch einen Taifun mitgebracht haben und das schlechte Wetter in der Stadt sicherlich leichter zu umgehen war als draußen am Spielplatz der GöttInnen. Viel leichter nämlich, hat sich dann herausgestellt, als wir mit bereits nassen Füßen nach einer halben Stunde Stadtquerung herausgefunden haben, dass zumindest das Stadtzentrum mehr oder weniger untertunnelt ist und wir zumindest von unserem Kaffeehaus aus einfach unterirdisch herumgelaufen. Ich mein, viel gibt s nicht: Geschäfte und Lokale. Aber was braucht man schon viel mehr. Ich laufe meinen Spielkarten hinterher, die s nirgendwo gibt und für s Mittagessen sind wir dann sogar aus dem Untergrund heraufgekommen und haben uns die Füße auf dem Weg zum Fischmarkt benetzt. Essen gehen ist gemeinsam ja auch um ein vielfaches schwieriger, als allein. Ich mein, erstmal, dass die Hungerzyklen synchronisiert werden. Dass die Snacklust angepasst ist. Das ist alles nicht so einfach. Auf der anderen Seite erlaubt s halt auch ein bisschen was experimentelleres, wenn ich mein Gegenüber endlich auf Austern überredet hab, die ich mir allein nicht geben wollte. Jetzt sitzen wir auf jeden Fall über Sashimischüsseln, für die Aufregung hier verschiedenen Krebsen ans Bein zu nagen und Seesternrogen zu futtern, hab ich dann doch ganz schön auf s Wechselkurserinnern verzichtet. War dann eh auch fein, wobei ich sagen muss, dass mir nicht zuletzt in Erinnerung ist, dass ich dort den besten Reis gegessen hab.

Die Ruhe vor dem Sturm: Der Himmel über Sapporo am Vorabend des Taifun

Am Abend sitzen wir mit zwei Flascherl Sake in unserem vergleichsweise schicken Hotelzimmer. Sein Sake in den Eiswürfeln, mein Sake im Wasserkocher. Ich hab viel Zeit für ein Getränk, das sich warm und kalt trinken lässt ohne ekelhaft zu sein. Beim Aufräumen hat das Hotelpersonal mein unabsichtlich gekauftes Handtuch eingepackt und ich bin ok damit. Kurz überlege ich, dafür eines der hotellernen einzustecken. Aber erstens: nein. Und zweitens brauch ich ja kaum ein zweites Handtuch und sollte froh sein, dass mir das mit so wenig Eigeninitiative abhanden gekommen ist. Im Fernsehen gibt s Rugby und Go und eine Gesprächsrunde bei der sechs Leute um einen Tisch herumsitzen und Whisky trinken: Zwei Japanerinnen, drei Japaner und ein Ausländer, der bei uns daheim wohl nicht als solcher auffallen würde. Dann gibt s noch eine Sendung mit zwei Chinesinnen Anfang zwanzig, die durch die von einer Kamera verfolgt durch die Stadt spazieren und verschiedene Touristenattraktionen besuchen. Ehrlich gesagt kommt mir aber die Zeichentrickserie auf dem nächsten Kanal, in der die ProtagonistInnen in erster Linie Frauen mit way überzeichneten Proportionen sind, weniger sexistisch vor. Letztlich sitzen wir dann vor der zweiten Hälfte von Back to the Future Part III, die ganzen Ungenauigkeiten kritisierend, die man als Teenager gerne mal übersehen hat.

Am Vortag, unter passablen Wetterbedingungen, sind wir sogar ein bisschen an Sapporos Oberfläche herumgelaufen. Wir haben jetzt aber auch nicht irre viel für uns in der Stadt entdeckt. Ein bisschen durch die Straßen spaziert, den Fluss entlang und durch einen Park wieder zurück. Wobei wir, nicht uninteressant, auf eine Hochzeitsgesellschaft gestoßen sind. Also, zuerst war da so Krach im Park und auf dem Plan hat s ausgeschaut, als ob dort irgendein Musikhaus wäre. Interessant, hab ich gedacht, da machen sie vielleicht ein Gegenprogramm zum Rugger. Aber dann sind wir auf einer Parkbank gesessen und haben aus sicherer Entfernung (sowie des einsetzenden Abends) da wirklich einer Zeremonie zugeschaut. Dann ist die Gesellschaft plötzlich aufgebrochen und an uns vorbei und ich wollte ja die Gelegenheit gerne nutzen um „zufällig in die gleiche Richtung“ zu gehen und ein bisschen den Leuten zuzuschauen, aber da hat mir M nicht mitgespielt. Da tut man sich vielleicht allein leichter, ein bisschen in den Kontakt zu kommen oder zumindest in der Umgebung eines derartigen Ereignisses seine Kreise zu ziehen. Und ich versteh s eh, dass das schnell einmal ein bisschen herausfordernd wirken kann und rückblickend ist es schwer zu sagen, wem gegenüber ich mich hier provokanter erlebt hab. Wir sind dann zu einem unterirdischen Schnitzelwirten abgebogen.

In den kilometerlangen Gängen unterhalb Sapporos finden wir Bilder von Waldtieren und ihren japanischen Namen: Eci peci pec / Ti si mali zec / A ja mala vjeverica / Eci peci pec.

Ich hab schon ein anderes Gefühl gehabt in den Städten da oben im Norden. Ein bisschen wilder ist es mir erschienen, weniger aufgeräumt, weniger streng. Vielleicht insgesamt etwas weniger von dieser japanischen Kultur, wie ich sie archetypisch zwischen Osaka und Tokio erlebt habe. Japan halt auch nur ein Nationalstaat, in dem von einem kulturellen Zentrum heraus die Peripherie kolonisiert wurde. Sowohl in Hokkaido als auch auf den Inseln im Süden flockt der kulturelle Einfluss halt auch ein bisschen aus: An beiden „Enden“ gibt s eigenständige ethnische Gruppen, die bis heute überlebt haben, die Ainu auf Hokkaido und die Ryukyuan auf den südlichen Inseln um Okinawa. Von den Ainu sind nur wenige übrig, die nicht bereits in die japanische Leitkultur assimiliert wurden. Aber man scheint noch Feste zu feiern und in den U-Bahnstationen gibt es Schmuck mit Ainu Designs zu kaufen.

Abends schauen wir uns ein paar Minuten Rugby in der Fanzone an. Das hat uns beide ein bisschen Überwindung gekostet, aber ich hab letztlich darauf bestanden, wenn wir schon hier sind, wo sich hunderttausende die Finger danach abschlecken. Es war dann besagten Hunderttausenden zum Trotz wenig los in der Fanzone. Und auch im Stadion, hat man uns einmal gesagt. Ich wollte ja tatsächlich einmal Karten kaufen, aber wir hätten die wohl auch einfach vor dem Stadion noch geschenkt bekommen. Man sieht s dann auch auf den großen Schirmen in der Fanzone, dass die Stadien halbleer sind. Aber wir erwischen s ganz gut, mit zwanzig Minuten die Togo noch gegen England durchhalten muss. Das ist gerade genug Zeit für uns, dass wir die Regeln ein bisschen aus dem ableiten können, was vor unseren Augen passiert. Vor allem aber ist es ganz amüsant, ein bisschen zuzuschauen, mit was für einem Körpereinsatz sich diese Spieler ihrem Sport hingeben. Noch dazu in einer Situation wo das Match bereits dermaßen entschieden war. Das kann ich nicht leugnen, dass das eindrucksvoll ist. Aber natürlich ist eine halbe Stunde dann auch schon genug.

Dabei sein mal wieder alles gewesen

Wir sitzen schon wieder im Zug und sind auf dem Weg nach Tokio. M macht einen kleinen Umweg, den mir mein ablaufender Railpass nicht erlaubt, aber ein bisschen freue ich mich ja auch darauf, einen Tag allein im Kaffeehaus zu sitzen. In Tokio treffen wir dann noch D, die gerade aus Seoul auf einen Abstecher nach Tokio kommt. Klar, wenn man schon in der Gegend ist. Und wir laufen ein bisschen zu dritt durch die Stadt, erstes Ziel: Das Café in dem man nicht reden darf. Im Leon haben sie nämlich große Boxen aufgestellt, durch die den ganzen Tag von Schallplatten aus klassische Musik gespielt wird. Dazu gibt s mittelmäßigen Kaffee. Ein schönes Konzept, natürlich. Ich mein, man kann nicht direkt sagen, dass sie da unprätenziös an die Sache herangehen. Aber es ist angenehm in einem unscheinbaren Haus versteckt, es hat eine angenehme Heruntergekommenheit und die paar Leute, die drin sitzen, scheinen mehrheitlich zum Arbeiten hergekommen zu sein. Es wirkt also tatsächlich nicht nur wie das überdrehte Geisteskind einer Anerkennung heischenden Hipsterverbindung. Dass man weniger hierher kommt um, wie (ich glaube) Joseph Roth über die Architektur des Burgtheaters sagt, von den anderen ZuseherInnen gesehen zu werden, wird dadurch verstärkt, dass die Sitzplätze größtenteils in die Richtung der gigantischen Lautsprecher gerichtet sind und man schon deshalb still sitzt, weil jede Bewegung ein Knarzen und Rascheln zur Folge hat. Und der als Deejay doublierende Kellner sagt seine nächste Schallplatte so entschuldigend und zurückhaltend an, dass es das schon einen Besuch wert war. was so die richtige Stimmung ist, um durch die vielen Abteilungen des Geschäfts zu laufen, das nicht Super Hans heißt. Tokyu Hands, das ist es. Da gibt s alles und in jedem zweiten Stock muss sich der eine oder die andere von irgendwas losreißen. Oder auch nicht, auch einkaufen ist erlaubt, warum nicht. Nur in der Kleintierabteilung beschränkt man sich bitte auf fassungsloses Starren.

Letzte Blicke aus dem Zug auf Hokkaido bevor wir wieder unbemerkt in den Tunnel nach Honshu schleichen.

Das war s dann auch fast schon wieder. Weil ich bin in Tokio dann tatsächlich mehr im Kaffeehaus gesessen und in der unmittelbaren Nachbarschaft des Hostels abgehangen. Das war eine angenehme Abwechslung im Gegenzug zur Überforderung, mit der mir Tokio ja doch ab und zu zugesetzt hat. Und wiederum: es ist schon auch eine Leistung, wie es in der Stadt gelingt, dass neben einem vollkommen überdrehten, touristisch überanspruchtem Viertel, nicht nur tote, ausgelaugte Gegend liegt, sondern sympathische Nachbarschaften, mit ihren eigenen kleinen Straßenlokalen, in denen schon wieder kaum jemand Englisch spricht. Ich verbringe meinen interessantesten Nachmittag allerdings in einem Kaffee, in dem sie durchaus Englisch sprechen. Es ist mal wieder so etwas, wo man mir einen Platz an der Bar anbietet und ich sitze dann neben einer, die gerade ihre Schicht vorbei hatte und wir plaudern die nächsten vier Kaffee (in vielen der Cafés, die Single Origin Kaffees zubereiten, kriegt man die zweite Tasse desselben Kaffees für kaum die Hälfte der ersten…) über Kaffee, über das Café, über Japanisch, über Japan und die Welt.

Das hat mir die Barista aufgeschrieben. In einer meiner Zen-Recherchen (ich nenne das jetzt so nach Dirk Gentlys „Zen-Navigation“, wo er einem Auto folgt, das aussieht, als wüsste es, wo es hinfahre) bin ich ja darauf gestoßen, dass das Wort für Deutschland im japanischen lautmalerisch geschrieben wird, also aus zwei Kanjis besteht (ich _glaub_ die zwei links oben), die den Klang von „Deutsch“ (doitsu) imitieren, aber eine andere Bedeutung haben. Und dieses eine, das als einzelnes Kanji heute für „deutsch“ verwendet wird, bedeutet, wenn man es in seiner eigentlich Bedeutung liest, „allein“. Das hat mir sehr gut gefallen, die Messerfrau in Kyoto hat mir allerdings bedauert, dass sie nur in Katakana graviert.

Und das ist eigentlich die schönste Erinnerung, die ich aus Japan mitgenommen habe: wie schön ich oft mit JapanerInnen ins Gespräch gekommen bin, meistens über ein Essen oder halt einen Kaffee. Aber dass der Zugang irgendwie so schnell da war und das Interesse und die Lust am Plaudern und dass das alles nur sehr wenig eingeschränkt war von irgendwelchen Vorannahmen über wie man sich zu verhalten hätte. Wenn ich Japan insgesamt immer wieder als das erlebt habe, als eine Gesellschaft, die ihren BürgerInnen viele Vorgaben macht, wie man sich im Alltag zu verhalten habe, wo man jeden Tag tausenden uniformierten Salary-Men gegenübersteht, den Angestellten, die tagsüber durch die Straßen hetzen, abends in der U-Bahn an ihren Telefonen hängen oder des nachts betrunken aus einem Isakaya herausstolpern, hab ich gleichzeitig nirgendwo so schnell freundschaftliche Kontakte geknüpft, wie in Japan. Und jetzt war diese Barista, mit der ich in Tokio zuletzt noch geplaudert hab, dann sogar noch kritisch gegenüber Japan. Nämlich über das politische Desinteresse der JapanerInnen oder zumindest ihrer Generation oder halt auf jeden Fall über ihr eigenes, da ist sie schon unzufrieden gewesen, das sagen zu müssen. Und dass ihr Gefühl sei, dass sich Japan so blind gegenüber der Welt verhalte, dass insbesondere China einfach bewusst ignoriert werde. Stattdessen gebe es halt nur Europa und Amerika, dorthin blicke man. Aber den Stolz auf Japan, das war trotzdem da: Als ich gesagt habe, dass ich auf mein Heimatland einfach nicht stolz bin, da war sie schon ein bisschen erstaunt, quasi: wie das sein könne. Nun, hab ich gesagt, es sei vielleicht eher, dass auf Dinge, auf die ich in meinem Heimatland stolz wäre, mein offizielles Heimatland einfach nicht stolz ist. Aber das ist natürlich kryptisch und ich glaube, ich hab s einfach dabei belassen, dass mir da kaum etwas dazu einfalle, auf das ich stolz sein würde.

In Tokio aber eigentlich überall in der Ecke stellen sich Fischrestaurants gerne einige Aquarien vor die Tür, in denen die Fische lebendig gehalten werden. Oft sind sie schon ein bisschen am Abkratzen. Hier hingegen relativ fit: wahrscheinlich Turbo cornutus vor Sardinella zunasi.

Zweimal haben wir unseren Abflug nach Korea vor uns hergeschoben, es war uns dann immer ein bisschen zu kurzfristig, zwei Tage vorher zu buchen. Aber wir haben s dann geschafft, gleichzeitig zu verlängern und zu buchen, und uns selbst so ein Schnippchen geschlagen.

Go Carps!

Na gut, let’s do this. Ich hab für Hiroshima jetzt ein paar Mal versucht das in Worte zu fassen. Vergleiche, die man nicht anstellen kann. Aber irgendwie steht man halt vor einem Kriegsverbrechen und denkt an die Kriegsverbrechen und vielmehr noch an die Verbrechen, die auch jenseits vom Krieg stattgefunden haben. Und eigentlich will ich ja doch nur die Erinnerungskultur vergleichen, aber irgendwie drängt da sofort die Schuldfrage mit hinein. Und so widmet sich auch Hiroshima dem Frieden und der Abschaffung von Atomwaffen.

Das ist gut gelungen. Und ich weiß nicht, ob das anderen Leuten auch so geht, aber ich finde der Museumsrundgang endet damit irgendwie positiv. Also nicht dass alles gut wäre, aber dass es etwas zu tun gibt. Und auch bei einem zweiten Punkt, weiß ich nicht, ob das nicht vielleicht mehr ich bin: Zuerst hab ich mich ein bisschen gewundert, dass Leute ihre Kinder mit ins Museum bringen. Und dann hab ich gesehen, dass – wie in jedem Museum – sich die Kinder für manche Sachen interessieren und für andere Sachen nicht interessieren und das passt dann schon. Und wenn Kinder dann vielleicht anfangen, zu spielen oder meinetwegen auch aus Hunger oder Langeweile zu weinen, weil sie vielleicht auch sogar noch Babies sind… Dann stört das nicht. Ich finde ja dass da schon einiges dazu gehört, dass Hiroshima so eine lebendige Stadt ist, in der Leute leben und ich glaube gerne leben. Eine Stadt, die ich nämlich auch als lebenswert kennengelernt hab. Und da sind die Geräusche der nächsten Generation ja etwas willkommenes, gegenüber dem Wahnsinn, der in dem Museum dokumentiert ist. Wie gesagt, vielleicht ist das auch eine Biologie, die mir das in den Sinn gesetzt hat.

Kraniche zum Gedenken

Na gut. Auf jeden Fall bietet das Museum die Gelegenheit, ein bisschen eine andere Perspektive einzunehmen. Weil man sieht ja oft einmal so einen Atombombenpilz und ganz ehrlich: viel zu selten hab ich daran gedacht, was das für die Gegend unter diesem Pilz bedeutet. In einem Umkreis von zwei bis zweieinhalb Kilometern ist kaum ein Haus gestanden. Man kann sich das wirklich kaum vorstellen, aber wenn man die Luftaufnahmen der alliierten Aufklärungsflugzeuge sieht, dann muss man sich das nicht vorstellen. Und natürlich, selbst Überlebende müssen da in einem brennenden Chaos gelegen sein, in das von außerhalb wohl tagelang keine Rettungskräfte dazugekommen sind. Im Gegensatz zu Nagasaki ist die Atombombe in Hiroshima auch einfach mitten über der Stadt abgeworfen worden. Da war wohl eine Kaserne auch betroffen, aber halt auch ein Mädchenpensionat. Und dann komm ich natürlich ins Vergleichen, wie ein Blinder von der Farbe. Aber weil eine Atombombe halt doch einfach etwas anderes ist, rein qualitativ. Man muss sich das vorstellen, dass die Stadt ja nicht im Alarmzustand gewesen ist. Keine Warnung, niemand im Bunker, niemand in Deckung. Im Museum haben sie die Hand von einem gezeigt, der die aus dem Fenstern hat hängen lassen um 8:15 und wo einfach eine Linie ist, bis wohin die Finger verbrannt sind. Insgesamt fokussiert man sehr auf Einzelschicksale und das hat mich schon immer wieder zu Tränen gerührt, die Bilder zu sehen von Familien, von Schulklassen, von einzelnen Personen mit Hut und Schirm, Straßenszenen vom Tag davor. In dem Wissen, dass viele der Leute auf den Fotos nicht einmal einen Leichnam hinterlassen haben.

Ich fand das eine schöne Warnung und vor allem einen guten Hinweis für Begleitpersonen. Es sind auch tatsächlich viele Schulklassen, die Hiroshima besuchen.

Man muss auch sehen, dass viele Leute nach den Dokumenten der atomaren Verwüstung, der Vorgeschichte, die danach ein bisschen aufgearbeitet ist oder sogar am Ende, wo dann noch die Nachgeschichte und wie danach die atomare Aufrüstung einfach vollkommen aus dem Ruder gelaufen ist, dass viele Leute dafür kaum noch Zeit haben. Auch in Hiroshima wird die Rolle Japans kaum hinterfragt. Dass das faschistische Japan nach Hiroshima – weil das hab ich mich schon gefragt – nicht reagiert hat und der Meinung gewesen ist, das lässt sich aussitzen, das hab ich anderswo nachgelesen. Und das ist wirklich ein harter Brocken. Auf der anderen Seite waren scheinbar schon zwei Atombomben geplant, weil das war ja waren ja auch zwei verschiedene Modelle, Uran in Hiroshima und Plutonium mit noch einmal eineinhalb so viel Sprengkraft in Nagasaki. Und die WissenschaftlerInnen waren auch sehr schnell vor Ort, die japanischen, aber dann auch die alliierten, um die Auswirkungen zu dokumentieren. Die Rolle der Wissenschaft in der ganzen Geschichte ist sicherlich noch ein bis zwei genauere Betrachtungen wert. Aber es war auf jeden Fall die Entscheidung einer Politik, auch der Sowjetunion, die sich in der Gestaltung des Nachkriegseuropas bereits deutlich als Widersacher der Alliierten abzeichnete, zu zeigen, wer hier die Fäden in der Hand hält. Und eine bedingungslose Kapitulation Japans hätte man wohl auch erwartet und deshalb auch keinerlei Ankündigung des atomaren Angriffs gemacht.

Ein Bild zur technischen Seite: Rechts ist Nagasaki, links Hiroshima. Im roten Bereich sind die Gebäude komplett verbrannt und eingestürzt. Beide Karten haben einen Durchmesser von 6km.

Und dann leitet das Museum eben über auf die Hintergründe der Atomwaffenentwicklung, auf das Rennen, das sofort anschließend ausgebrochen ist, Wasserstoffbomben, Interkontinentalraketen, Indien, Pakistan, Nordkorea und die Drohung strategischer Atomwaffen im Handkoffer. Und die mal mehr mal weniger bemühten Versuche, auf beiden Seiten ein bisschen runter zu kommen. Ein amerikanischer Tourist hat hinter mir vom Erfolg der Drohung der gegenseitigen Vernichtung, naja, geschwärmt ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Und vielleicht ist da was dran, dass der Wahnsinn für eine relativ friedliche zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gesorgt hat. Auf jeden Fall muss man schon um die halbe Welt fliegen, um daran erinnert zu werden, dass die Weiterentwicklung und -verbreitung von Atomwaffen, dass die Bemühungen Nordkoreas und des Irans in diese Richtung keinesfalls Ausreißer in einem stabilen System sind sondern die lineare Fortsetzung eines Prozesses, der seit siebzig Jahren vor sich hin entwickelt.

Am schrägsten ist aber vielleicht, dass es in Hiroshima bis in die Fünfziger gedauert hat, bis das Gelände geräumt und wieder aufgebaut wurde, bis die Menschen, die an den Nachfolgen der Bombe gelitten haben, versorgt wurden, bis überhaupt die Forschung sich mit den Auswirkungen der Strahlung auf die Menschen ordentlich auseinandergesetzt hat. Und länger noch, bis sich eine Gesellschaft wieder in eine Normalität zurückgefunden hat.

Natürlich steht trotzdem vieles im Kontext der Atombome, so hat sich eines der Museen zum Ziel gesetzt, den Menschen eine Möglichkeit zum Durchatmen zu bieten. Dafür haben sie eine hübsche Sammlung von ImpressionistInnen: Hier haben sie mir Gaugins Tahiti aufgehängt.

Es ist wirklich schwierig zu verstehen, wie man hier damit umgegangen ist, einerseits der Aggressor in einem imperialistischen Krieg gewesen zu sein und andererseits das Opfer eines furchtbaren Gegenschlags geworden ist. Und ich kann das nur durch die Augen eines auf die Taten der imperialistischen Verbrecher fokussierten, humanistisch veranlagten Mitteleuropäers sehen. Und da fehlt mir einfach etwas. Aber vielleicht ist das auch das katholische Erbe, das mich zur Schuldfrage zieht. Ich halte den Aufruf für den Frieden, den Hiroshima und Nagasaki glaubhaft formulieren, für einen positiven Schluss aus der Erfahrung. Aber basiert das auf der Verdrängung der Verbrechen des imperialistischen Japans? Mir geht das Video nicht aus dem Kopf, in dem eine alte Frau erzählt und sagt, dass sie es nach wie vor bereut, dass Japan so zum Frieden gezwungen worden ist, aber dass sie heute dankbar für den Frieden ist, in dem ihre Kinder und Enkel aufgewachsen sind. Da steckt eine Ambivalenz drin, die ich aus den Untertiteln heraus nicht entschlüsseln konnte.

Aber auch in Hiroshima ist das Leben weitergegangen. Lass mich mit ein paar allgemeinen Bemerkungen ein bisschen Luft schnappen: Es ist eine schöne Stadt. Ich hab das in Fukuoka kurz gesehen, wo ich am Weg von Nagasaki nach Hiroshima einen kurzen Stopp eingelegt hab, wie schön japanische Städte in ein Flussdelta hineingelegt sind. Die Stadt ist so von mehren Flussarmen gekreuzt und verteilt sich quasi auf mehrere Inseln. Das ist wirklich schön, aber hat mir gar nicht zur Orientierung geholfen. Oft einmal hab ich mich auf der übernächsten Insel gewähnt und hab dann erst wieder mit dem Telefon meine Position herausfinden müssen. Weil es ist auch nicht klein. Eine Million wohnen in Hiroshima und ich hab natürlich nicht viel mehr als das Zentrum gesehen, aber vielleicht dadurch, dass diese Inseln existieren, kommt man doch schnell einmal in verschiedene Gegenden.

Und wenn man einen Ausflug macht, dann kann man schnell einmal mit dem Schiff auf Miyajima fahren, das ist so eine kleine vorgelagerte Insel, wo man relativ zahmen Rehen begegnet und dann gibt s natürlich wieder Tempel und Schreine und ein großes Tor, das im Wasser steht und vor lauter Berühmtheit gerade einer Renovierung unterzogen wird. Aber das macht nichts, weil wie ich dort angekommen bin, war das Licht gerade so gut, dass der blaue Himmel, die grünen Bäume und die roten Tempelanlagen an sich schon so gut ausgeschaut haben, dass ich den scheinbar auf dem Wasser schwimmenden Itsukushima Schrein gar nicht auch noch gebraucht hab.

Ein interessanter Text aus dem Impressionismusmuseum hat festgestellt, dass ImpressionistInnen wie Boudin und Sisley in ihren Bildern die Offenheit der Landschaft ausgedrückt haben, indem sie Himmel viel Platz eingeräumt haben. Monet sei zunächst stark von Boudin beeinflusst gewesen, aber dann sei die Horizontlinie in seinen Bildern immer weiter nach oben gewandert, um Platz für Wasser und den Spiegelungen darin zu machen. Ich bin hier offenbar noch stärker von Boudin beeinflusst.

Außerdem war ich müde, weil ich auf den Berg rauf bin. Ach, in der Anreise bin ich irgendwie derart in den TouristInnenstrom geraten, dass ich, wie ich von der Fähre runter bin, gleich einmal in die andere Richtung los bin und das war schon nett, weil da waren diese Rehe und dann war da ein bisschen ein Hügel und dann bin ich über kurz oder lang vor einem Schild gestanden, wo mir die lokalen Wanderwege aufgezeichnet waren und da hab ich gesehen, der geht auf den Berg, bin ich auf den Berg. Und ich war halt wirklich nicht gut ausgerüstet, mit meinem kleinen Wasserflascherl und der Müsliriegelabsenz in meiner Tasche. Zumindest war ich nicht in Sandalen, wie die, die mir da teilweise entgegengekommen sind. Also, hab ich mir gedacht, so schlimm wird s schon nicht sein. War s ja auch nicht, nur lang hat s trotzdem gedauert, bis ich da oben war. Und oben gab s ein Internet, aber kein Trinkwasser. So schlimm kann s mit mir nicht gestanden sein, weil bei dem einen Schrein unterhalb des Gipfels hätt s Wasser im Automaten gegeben, aber ich war nicht bereit, zweihundert Yen dafür zu zahlen. Das hat die Hälfte zu kosten! Dabei hab ich mich beim Runtergehen dann noch einmal verirrt, weil ich den gleichen Weg runter bin, den ich rauf bin und dann erst an der nächsten Kreuzung festgestellt hab, dass ich eigentlich auf der anderen Seite vom Berg runter wollte. Also zurück. Immerhin wird am Berg freundlich gegrüßt und mein Konichiwa kam fast mit Selbstsicherheit. Bis ich dann am Abstieg einen Herren dergestalt gegrüßt hab und der mir ein akzentfreies Hello entgegnet hat und ich mir gedacht hab, o-em-dschie, hab ich da gerade einen Touristen auf Japanisch begrüßt. Ich bin da ja schon ein bisschen sensibel mit dem ganzen Ding. Mit den Begrüßungsformeln. Weißt, weil irgendwie geht man als von Gott abgewandte ÖsterreicherIn ja durch die Phase, wo man sich denkt, das ganze Grüß Gott ist doch eigentlich ein Unsinn und dann hab ich drauf geschaut, mir das aus dem Sprachgebrauch rauszuholen. Und wenn mir jetzt am Berg einer ein Grüß Gott sagt, dann denk ich mir womöglich, dass da jemand eine Phrase gelernt hat, die für mich ein bisschen ideologisch aufgeladen ist und das weiß die wahrscheinlich gar nicht, weil sie, nachdem sie beim Aufstieg dreimal so begrüßt worden ist, das jetzt einfach verwendet. Und so frag ich mich natürlich, wie kontextabhängig sind meine Begrüßungsformeln.

Das Reh schnaubt mir zur Begrüßung nur ein bisschen warme Luft auf die ausgestreckte Hand. Zahm heißt ja nur, dass sie den Vorteil des Gefüttert-Werdens als wichtiger bewerten als das Risiko des Gewürgt-Werdens.

In meinem Lokal, das ich mir in Hiroshima gefunden hab, hat die Gastgeberin einen Gast einmal mit einem Oyasuminasai! verabschiedet. Und das weiß ich noch von früher, dass ist Gute Nacht. Aber natürlich hab ich mich nie des Abends aus einem Geschäft oder Lokal mit so einer familiären Formel verabschiedet. Und anderswo hab ich dann vom Hostelstaff ein Ohaio! bekommen. Und das, weiß ich aus meinem Duolingo heißt Guten Morgen. Aber ist das vielleicht auch eher was, was man seiner PartnerIn ins Ohr flüstert als seiner KasernenkommandantIn entgegenruft?

Oh ja, ich hab ein Lokal in Hiroshima gefunden. Das war das mit dem Fritz-San (siehe Folge so-und-so). Das war wirklich nett. Weil ich bin da hin, an meinem ersten Abend. Oft einmal, wenn ich spät ankomm, dann lass ich s dabei und verzichte auf mein Abendessen. Aber ich hatte da irgendwie Lust, nochmal raus und das hat vielleicht damit zu tun, dass in meinem Schlafsaal achtzehn Betten gestanden sind. Gut, nein, ganz so kann man sich das nicht vorstellen. Das war so ein bisschen schon ein Kapselhotel, wo man seine fünf Wände hat und an einem Ende ist das durch einen Vorhang verschließbar und drinnen hab ich Licht und einen Rauchmelder und mein eigenes kleines Zuhause. Das ich mit meinen Rucksäcken geteilt hab, aber es war trotzdem ok Platz. Man soll ein bisschen auf seine Verdauung schauen, weil die Luftzirkulation nicht ganz top notch ist und ein schlechter Geruch bleibt da eine Zeit lang hängen. Wandersocken sind auch nicht ideal.

Nochmal Miyajima: Oben Schreine, die mir den Gipfel angezeigt haben, unten ein Tempel, der mir anzeigt, dass ich wieder in der Ebene angekommen bin. War ein bisschen eine Überwindung, mich mit dem komplett durchgeschwitzen T-Shirt ins Lokal zu setzen, aber ich hatte einen ziemlichen Hunger und es waren eh kaum Gäste außer mir. Meine Hiroshima Okonimiyaki hab ich nämlich in Wahrheit gar nicht in Hiroshi- sondern auf Miyajima gegessen.

Also hab ich mein Telefon aufgeschlagen und hab dinner eingegeben und dann hab ich zwei, drei Sachen in der Umgebung angeschaut, beschlossen, dass ich meinem Udongusto gerne nachgeben möchte und hab mich auf den Weg gemacht. Dann bin ich ins Lokal und hab mit meinem Zeigefinger gesagt, dass ich eine Person bin. Da hat mir die Gastgeberin einen Platz an der Theke zugewiesen, neben den bereits dort sitzenden Gästen. Und bevor sie das getan hat, hat sie kurz überlegt. Und während sie das getan hat, hat sie ein Gesicht gemacht, wie man macht, wenn man jemandem das Gefühl vermitteln möchte, dass man keine Verantwortung darüber übernimmt, wie gut die andere das findet, dort zu sitzen. Aber freundlich. So: Das ist der Platz den ich hab, aber ich weiß, dass das nicht der beste Platz ist. Hm, immer noch nicht ganz. Hier kann jetzt alles passieren. Auch nicht wirklich. Schau mal, was passiert, wenn du dich hier hinsetzt.

Turns out dass die drei neben mir Stammgäste sind und der neben mir hat heute Geburtstag. Warum der, der Geburtstag hat, nicht in der Mitte gesessen ist, hab ich mich nachher mal gefragt. Na ja, weil sonst nicht mehr viel los war, sind wir schnell einmal ins Gespräch gekommen und die Gastgeberin hat mich schnell einmal bei den Runden mitinkludiert. Da gab s zum Beispiel eine gebratene Wurst als Spezialität. Das hab ich nicht ganz verstanden, wie das eine Spezialität ist, eine Scheibe Knacker in der Pfanne gebraten. Aber die Wurst hatte die Form einer Blume, also vielleicht doch was besonderes. Und dann hat sie gesagt, es tät ihr leid, aber sie hätte jetzt vergessen, wollte ich meine Udon warm oder kalt. Und dann hat sie mir meiner Antwort zum Trotz warme und kalte Udon gebracht und ich hatte vorher schon Sashimi und Tempura. Das war so als Abendmenü angeboten und da hat sie nicht gelogen: Das war ein guter Deal. Und dann hat mir das Geburtstagskind einen Sake eingeschenkt und ich hab ihm scherzhaft zum Fünfundzwanzigsten gratuliert und dann waren wir eigentlich alle schon FreundInnen.

Irgendwie schaff ich s oft erst am Abend dann in die Gärten, da bringen alle meine Fotos so eine Abenddämmerung mit. Durch den hab ich ganz schön hetzen müssen, Punkt sechs bin ich als letzter durch die Tür wieder auf die Straße getreten.

Da bin ich dann am nächsten Abend wieder hin, weil ich hab einerseits gewusst, dass ich kalte Udon jetzt lieber hab und zweitens war s halt wirklich ein guter Deal mit dem Menü. Da waren die Stammgäste dann aber gar nicht da oder war s schon so spät, dass die halt nicht mehr da waren. Weil man kann auch nicht jeden Abend Geburtstag feiern und am nächsten Tag wieder brav helles Hemd mit dunkler Hose tragen. Aber ich hab mich ein bisschen mit den zweien hinter der Theke unterhalten und dann kamen zwei Herren herein, die sich über das Ergebnis des gerade zu Ende gegangenen Baseballmatches gefreut haben, auf ein kleines Bier und eine Schale Udon und die haben sich dann ihr weniges Englisch mit großen Enthusiasmus kompensiert und mir gerne auf die Schulter geklopft, mein braves Udonessen bejubelt und mir zum Abschied einen Fächer geschenkt. Und zwischendurch ist die ganze Fritz-San Geschichte passiert und es war dann fast ein bisschen traurig, mich da zu verabschieden.