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Also gleich vorweg bin ich schon froh, auch Sydney noch besucht zu haben. Es gibt da ja so eine Konkurrenz zwischen SydneyerInnen und MelbournerInnen, wer aus der besseren Stadt kommt. Und nachdem ich so viel Zeit in Melbourne verbracht hab und eindeutig mehr MelbournerInnen kennengelernt hab, als SydneyerInnen, tendiere ich natürlich zu Melbourne, wenn ich mich da für was entscheiden sollen muss. Je mehr ich merke, dass das was ernstes ist, desto unsinniger kommt s mir natürlich gleich wieder vor. Aber ich hab zwei Vergleiche angestellt: Sydney ist schön zum Besuchen, Melbourne ist womöglich schöner zum Dort-Leben. Sydney ist eine Stadt des zwanzigsten Jahrhunderts, Melbourne vielleicht eine Stadt des einundzwanzigsten…? „Das versteh ich nicht,“ sagt V. und ich muss ihr zustimmen: Ja, nein, ist vielleicht ein blöder Vergleich.

Sydney ist jedenfalls pompöser, die haben dort diese Brücke, die ich aus der Nähe betrachtet tatsächlich sehr viel eindrucksvoller finde, als ich das zunächst von den Bildern, die ich von ihr gesehen habe, angenommen hätte. Aber das ist einfach eine enorme Brücke! Und erstaunlich, hab ich den anderen Tag nachgedacht, dass diese Brücke diesen Verkehr aushält. Weil die ist – wenn ich das kurz nachschau – vor sechsundneunzig Jahren gebaut, vor siebenundachtzig Jahren eröffnet worden. Und dass man da schon so gebaut hat, dass der heutige Massenverkehr drüberbrettert. Aber dann wiederum sei „[b]etween December 2006 and March 2010 the bridge […] subject to works designed to ensure its longevity [gewesen]. The work included some strengthening1. Und Entlastungstunnel haben sie auch gegraben. Also wunder ich mich schon zurecht, aber nicht als erster.

Ein Beispiel imposanter Architektur. Zugegeben, ein Kriegsdenkmal. Aber schaut aus wie direkt aus Metropolis. Letztlich eigentlich auch interessant, dass ich da durchaus gedenkend drin stehe, als Vertreter eines der Nachfolgestaaten, gegen die die Leute, denen da drinnen so art-nouveau gedacht wird. Die Architektur sagt ja schon: es geht hier um den Ersten Weltkrieg. Und trotzdem ist es einfacher, jenen zu gedenken, die jenes demokratische System in Europa etabliert haben, in dem ich aufgewachsen bin.

Wie dem auch sei. Da ist eine eindrucksvolle Brücke, da ist ein schickes Opernhaus, da sind protzige Gebäude, die in die Kolonialzeit zurückreichen, da sind riesige Gärten, ich mein, das halbe Zentrum ist im Wesentlichen der botanische Garten. Und ich mein, Melbourne hat auch viel Grün, wirklich, aber – und das mein ich ansatzweise mit dieser Jahrhundertsache – Melbourne kam mir so viel dezentraler vor. Hingegen liegt Sydney so viel mehr am Meer und vor allem ist das Meer im Zentrum, nachdem Sydney in dieser tollen Bucht liegt. Was sie beide haben, sind ihre CBDs, ihre Central Business Districts, wo die Hochhäuser stehen und Bankenlogos einander ausblenden. Wo in die Höhe gebaut wird, mit Glas und Stahl. Aber das ist einfach Spätkapitalismus, das ist halt so. Aber wer will das schon, da gibt s die Markenshops und das ganze Luxusgedings. Im Grunde ist das auch dasselbe wie das Einkaufszentrum in Jakarta, nur dass hier der Unterschied nicht so ins Auge sticht. Im Gegenteil wird hier ja so getan, als hätten alle Zutritt zum Luxus, weil man sich hier halt einmal ins Guylian Caféhaus setzt. Ich kann dir nicht mal sagen, wie teuer dort eine heiße Schokolade ist, weil ich mich nicht ins Guylian Caféhaus gesetzt hab. Nein, nein, wo ich meinen Kaffee trinke, das wird noch zu sehen sein.

Aber ja: Sydney find ich schon gut. Am ersten Abend bin ich gleich einmal die Stadt entlang gelaufen, weil wie gesagt, es gibt ja ein Zentrum oder sowas in der Art, was auch interessant anzuschauen ist. Dabei bin ich an einem Eislaufplatz vorbeigekommen, den sie hier angeeist haben. Ist ja Winter, auch wenn ich die fünfzehn Grad herzlich willkommen geheißen habe. War schön, in der lauen Nachtluft spazieren zu gehen. Am Eislaufplatz sind die AustralierInnen (?) herumgestakst, das war ganz lustig. Dazwischen war ein offensichtlich russisches Pärchen (sie mit Plusterjacke inklusive bepelzter Kaputze, er mit Dreimillimiterfrisur und diesem so beiläufigen no-nonsense Gesichtsausdruck, der auf russischen Gesichtern so richtig zur Geltung kommt), die sich mit fast aggressiver Leichtigkeit zwischen den leicht vorübergebeugten GleichgewichtsbewahrerInnen durchgeschlängelt haben, gleichgültig im Vorwärts- wie im Rückwärtsgang.

Und dann halt der erste Blick auf die Brücke. Das hat schon Eindruck hinterlassen. Und das Opernhaus. Das ist halt so ein klassischer Moment, wo man etwas sieht, was man schon so oft auf Bildern gesehen hat, dass es fast ein bisschen unwirklich ist. Eine halbe Stunde, würde ich sagen, habe ich mich gegen das Fotos-Machen gesträubt, bis ich dem nachgegeben hab. Aus der Entfernung ist das Opernhaus schon eindrucksvoll, und aus der Nähe sind die Details beeindruckend, weil die kennt man ja auch noch nicht so in und auswendig wie die das Große und Ganze. Nicht schlecht.

Sydney/Bucht/Nacht/Brücke.png

Aber eines nach dem anderen.

Am Freitag bin ich erst einmal in die Schnellbahn gestiegen und hab mich auf die Suche nach Wendy Whiteley’s Secret Garden2 gemacht. Das war noch eine Hinterlassenschaft von Jonathan, der gesagt hat, das sei sein Lieblingsplatz in Sydney, der repräsentiere für ihn so viel, was Sydney für ihn bedeute. Also bin ich zu der Station zurückgewatschelt, bei der ich Tags zuvor vom Flughafen angekommen bin und hab mich in den Zug über die Brücke nach Nord-Sydney gesetzt. Und dann bin ich in der Brücke einen Kaffee trinken gegangen. Das war von außen ein bisschen unscheinbar, aber drinnen, o mei, drinnen ist die Hipsterpost abgegangen. Also, das kann man sich ein bisschen wie die Stadtbahnbögen in Wien vorstellen: Da sind einfach Räume unter der Auffahrt auf diese massive Brücke und die sind so ein bisschen Lagerhallen oder was auch immer. Ich hatte ja dann das Glück, dass sich einer der Besitzer oder Manager oder was halt mit einem anderen auf die lange Bank neben mich gesetzt hat und dem dann die Geschichte vom Oberchef erzählt hat und davon, wie der das umgesetzt hat. Weil geplant, hat er gesagt, geplant ist da nicht so wirklich. Das sei mehr so organisch gewachsen. Also der hat nämlich sich diesen Raum gecheckt und dann hat ein anderer Freud von ihm irgendwie günstig ausrangierte Schiffscontainer organisiert und dann hat er da – und da ist mir das dann erst aufgefallen – einen Container schwarz angestrichen in der Mitte des Lagers als Kaffeebar hingestellt. Und auf der einen Seite saß ich auf einem der langen Tische und einer der dazugehörigen Bänken. Auf der Seite waren so Zweiertischchen und am fernen Ende ist einer mit einer Gitarre auf einer Bühne gestanden (über ihm sind zwei Fahrräder von der Decke gehangen) und hat dort vor sich hin gesungen. Freitagvormittag und die machen sich einfach einen lässigen Sonntagsbrunch! Ich hatte ein Stück Bananenbrot mit salziger Butter und das war eigentlich auch schon ziemlich ok. Und dann natürlich der Typ, der mich an der Bar bedient hat, locker-flockig, mit einem Akzent, den ich für Queensländisch halte.

Ich mein: schau wie cool die sind! Da fährt einer mit dem Rad durch s Kaffeehaus!!! Und das hat fix keine Gangschaltung auch nicht!!!!11! Aber dann wiederum war der Kaffee halt auch wirklich gut.

Na jedenfalls hat der Chef mit dem coolen Café noch nicht genug gehabt, hat den Künstler von nebenan rausgekauft (der Gegend beim Gentrifizieren zuschauen, möchte man meinen) und dort mehr Schiffscontainer reingestellt, die er als Büros für – nehm ich an – irgendwelche Crowdfundis oder Kickstars oder Starter-Uppers vermietet. Und dann natürlich gab s noch bisschen Galerie in der dritten Lagerhalle. Also: schon schön. Aber gleich mit der vollen Hipsterwumme, dass sich Melbourne ins Zeug legen muss, um als die hippere Stadt der kaffetrinkenden AppleprodukteverwenderInnen gelten zu können. So, der Unterschied, den ich im Artikel über die Rivalitäten verschiedener australischer Städte gelesen habe, ist, dass vor der Föderation der verschiedenen Kolonialterritorien, Victoria (Melbourne) und New South Wales (Sydney) einfach verschiedene wirtschaftliche Politiken gefahren sind. Das überrascht ein wenig, wenn man dem aus der Perspektive eines modernen Nationalstaates gegenübersteht, dass man in seinen Kolonien nicht ein einheitliches System verwendet. Ein Traum natürlich für die WirtschaftsprofessorInnen, die da die verrücktesten Experimente beobachten hätten können. New South Wales hat mehr auf freien Markt gesetzt, während in Victoria protektionistisch vorgegangen wurde. Und natürlich, nachdem ich so einen Satz gelesen hab, denke ich sofort: ahja, sieht man ja quasi immer noch: neoliberales Sydney mit seiner bombastischen Architektur und das Melbourne, das auf seine KünstlerInnen schaut. Ganz so einfach ist das natürlich auch wieder nicht. Heute dürfte die Differenz mehr darin liegen, dass die einen Australian Rules Football spielen und die anderen Rugby League und sonst halt so tun, als wären sie jeweils die allgemein wichtigeren.

Aber Wendey Whiteley’ Secret Garden ist einfach herzig. Das schaut auf dem Plan wirklich nach nicht viel aus, weil das ganze über einen Hang verteilt ist, aber da ist fast ein bisschen ein Urwald gepflanzt. Da steht man plötzlich zwischen Bäumen und in einer verhältnismäßigen Stille, dass es eine Freude ist. Ab und zu stehen kleine Statuen herum und am Fuß des Hügels stehen dann weit verteilt auch einige Tische und Bänke und andere Sitzgelegenheiten. Dazwischen staksen ein paar so Art Truthühner oder Pfaue, relativ unbeeindruckt von den paar europäischen und asiatischen BesucherInnen, die ihre Hälse winden um sich in alle Richtungen umzusehen. Und wenn man Glück hat, dann sieht man Freiwillige, die mühsam eine volle Schubkarre den steilen Hang hinaufhieven.

Immer gegen die Sonne fotografieren. Aber ich bin, wie dieses Bild beweist, nicht der einzige. Schwacher Trost für all jene, die lieber ein ordentliches Bild vom Wendy Whiteley’s Secret Garden gesehen hätten.

Unterhalb von WWSG setze ich mich ein bisschen ans Ufer und schau den Leuten beim Sporteln, Spazierengehen und Hundausführen zu. Die sind alle so aktiv! Und dennoch ist es immer noch still und gemütlich. Lauter wird s dann, als ich am Ufer entlang zur Brücke zurückgehe und dabei den Luna Park quere. Und ich geh jetzt nicht direkt durch, weil das Geschrei und das Gekreische und die weichen Pommes Frites und das schmierige Ketchup… das lass ich heute aus und gehe außerhalb den Steg entlang wo ich über die Beine hunderter jugendlicher TouristInnen (?) steige, die frittierte Hühnerteile teilen. Weil es ist Mittag und das ist eine Gelegenheit, bei netter Aussicht mit FreundInnen ein Mittagessen zu teilen.

Ich brauche dann ein bisschen, bis ich den Weg auf die Brücke hinauf gefunden habe. Weil ich annehme, dass die Brücke zirka dort anfängt, wo die Bucht ist. Aber das ist ein Irrtum, weil ich muss ein ganz hübsches Stück ins Land hineingehen, bis die Brückenauffahrt niedrig genug ist, dass sie eine Treppe hinauf gebaut haben. Und dann geh ich über die Brücke und wundere mich, dass die die Autos aushält.

Ich mein! Einer der beiden Pfosten auf der Nordseite der Brücke. Die auf der Südseite genauso imposant, also same-same. Dazwischen hängen 503 Meter Brücke.

Über die Brücke gehen ist gratis und schon ein bisschen aufregend. Also, nicht dass die Brücke schwankt oder sowas. Aber bei mir löst so ein Blick, der an meinen Füßen vorbei hundert Meter in die Tiefe geht schon ein Gefühl besonderer Mulmigkeit in meinem Bauch aus, das ich sonst nicht wirklich hab und auch nicht wirklich brauche. Auch wenn überall Zaun ist und Stacheldraht und Verbotsschilder und Sicherheitskameras. Und sogar Personal in Warnwesten herumsteht, die schnell einmal zur Stelle sind, wenn was passieren sollte, also: falls sich jemand nicht passend verhält. Ich mein, man kann dazu stehen wie man will, da gibt s sicherlich mehr als nur eine Perspektive. Aber ich finde, in Sachen ziviler Bevölkerungskontrolle und nämlich auch Sicherheits- und nicht zuletzt Hilfsservices sind die BritInnen und die Systeme in dem einen oder anderen Nachfolgestaat des Empires ziemlich gut aufgestellt. Und da denk ich immer sofort an die im Alltag unbewaffnete Polizei in Großbritannien. Aber in dem speziellen Fall meine ich auch, dass man mit Mobilitätseinschränkungen besser herum kommt als anders in der Welt. Und nicht nur, weil überall Rampen sind, sondern auch weil es in meinen Augen – und zugegeben, das sind nur die Augen – weitgehend enttabuisiert ist, Hilfe entgegenzunehmen. Sicherlich nicht total. Aber zum Beispiel kann sich eine Telefonfirma auch mit einer Werbung etablieren, in der ein junger Mann in einem Kleid und Ohrringen auf der Couch sitzt und zu einer unsichtbaren InterviewerIn sagt, dass er das für wichtig halte, dass die Leute unterschiedlich sein können, weil es sonst langweilig wäre (oder sowas). Das ist klingt jetzt wieder ein bisschen nach was anderem, aber das geht nicht überall, dass man Vielfalt so betont. Und Vielfalt heißt, dass Unterstützung auch verschiedene Formen annehmen muss. Und das wird am besten durch menschliches Personal geleistet, die in der Situation reagieren können. Gut. Großbritannien hat auch das dichteste Netz an Überwachungskameras… ja eh. Ist bei weitem nicht alles gut.

Auf der Südseite angekommen folge ich dem Stadtspaziergang über The Rocks, den mir der Lonely Planet ans Herz legt. Das ist quasi das historische Zentrum des kolonialen Sydneys. Hier steht das älteste Haus und der Zollverein und hier ist das Terminal für die internationalen Cruiseliner, die den Blick auf das Opernhaus blockieren. Zum Glück bricht die Pacific Explorer gerade auf. Und nicht, weil ich das Opernhaus sehen muss, aber weil das einfach imposant ist, wenn dieses riesige Schiff ausparkt. Hinten ist das kleine Lotsenboot angebunden, das weiß ich noch aus Oil Imperium, dass man sich ein Lotsenboot zukaufen kann, wenn man in einem schwierigen Hafen anlegen muss. Das ganze dauert vielleicht eine halbe Stunde oder was, bis sich die Pacific Explorer in Richtung Buchtausgang gerichtet auf den Weg macht und ich meinen The Rocks Spaziergang fortsetze.

Like No Place On Earth

Na ja, auf der anderen Seite der Hafenbucht wird gentrifiziert, was das Zeug hält, da reihen sich zunächst die Austernbars aneinander und die schicken Restaurants haben beheizte Plastikblasen am Kai aufgestellt, in denen sich während ich vorbeischlendere, launige Gruppen niederlassen, die ein bisschen nach After-Work-Trinkgelagen aussehen. Dahinter sind in die alte Lagerhallen bereits vermutlich elegant-rustikale Wohnungen hineingeschlichtet worden, in den Spielplätzen der Umgebung passen junge Väter darauf auf, dass ihre Kinder nicht von den Klettergerüsten fallen. Außerdem ist hier das… älteste Pub Sydneys? Es wirkt tatsächlich recht authentisch für diesen Titel. Ich aber vorbei und schau mir umgeben von Pärchen aus aller Welt den Sonnenuntergang vom Observatoriumshügel aus an. Dann langsam der Abstieg durch die „Altstadt“, wobei das aufregendste noch der Suez Canal ist, eine steile, immer enger werdende Gasse, die am unteren Ende nur noch knapp einen Meter breit ist. Der Name ist ein bisschen ein Wortwitz auf Sewers, weil hier wohl einiges zusammengelaufen ist. Nachteil des Systems war, dass hier regelmäßig Leute überfallen worden sind, die in solchen Gassen quasi ins Eck gedrängt wurden. Aber das dürfte im alten Sydney insgesamt ein Problem gewesen sein.

Der Observatoriumshügel beherbergt nicht nur das Observatorium sondern er überrascht auch mit dieser H.C. Andersen Büste. Nicht im Bild ist folgender Begleittext: „If ever a man preached justice and mercy and love of humanity, it was he. He wrote for the man in the child as no one else has ever done. -Dame Mary Gilmore“ Mein Mann im Kind war mit der kleinen Meerjungfrau und all der dort gepredigten Gerechtigkeit, Gnade und Menschenliebe seinerzeit ein bisschen überfordert.

Samstag war ich faul und nachmittags im Museum of Contemporary Art. Das ist nie so einfach, wie man denkt. Manchmal ist das gut und man sieht was, was witzig oder originell ist. Aber ein bisschen ist das dann auch gar nicht das, was Kunst vielleicht soll: witzig und originell. Die Sonderausstellung im MCA war Shaun Gladwell und da sind schon ein paar – wie gesagt – originelle Sachen ausgestellt. Aber ich denk mir dann: ich glaub ich brauch da mehr Kontext um zu verstehen, warum der gefördert wird, warum der ausgestellt wird, welche Beitrag der liefert und wen er wie beeinflusst oder provoziert oder so… Wem schafft er welche Einsicht oder zumindest Perspektive? Und wenn ich ein bisschen auf andere Leute schau, ich glaub, da geht s ja manchen ähnlich. (Wahrscheinlich brauch ich diesen Eindruck sogar, um meine Meinung so zu formulieren…) Schau: Was das Programm sagt, ist der Shaun Gladwell zum Beispiel mit so Videos geworden, zum Beispiel wie ausgestellt, wo er jemanden filmt, der auf einem Surfbrett sitzt, aber so, dass er unter Wasser ist. Und das wird dann in Zeitlupe abgespielt. Und es ist ganz witzig, weil zuerst weiß man ja gar nicht, was da passiert, das Wasser spiegelt unten genauso wie oben und dann merkt man erst, dass der unter Wasser ist, weil er zum Beispiel Luft holt indem er neben dem Surfbrett seinen Kopf durch die Wasseroberfläche steckt, aber eben nicht ins Wasser sondern aus dem Wasser hinaus. Und das schaut ganz witzig aus, wie er in den Wellen das Gleichgewicht hält.

So. Jetzt… Mein momentaner Go-to-Gedanke ist: wie ist der Prozess, bis jemand mit sowas in eine Ausstellung kommt? Weil der Shaun Gladwell hat zum Beispiel auch bei der Biennale mal den Australischen Dings gestaltet, Pavillion. Und ich lese hier, der Elton John sammelt seine Sachen. Also durchaus von Weltrang. Wie kommt er in diese Situation… aber ich wiederhole mich bereits. Die Frage erscheint nicht so kompliziert und trotzdem schwer auf den Punkt zu bringen. Vielleicht: Welche Rahmenbedingungen machen aus dem Banalen Kunst? Und es ist nicht einmal, dass ich s nicht gut finde, ich würde sogar sagen, ich kann damit was anfangen. Ich bin da zum Beispiel sehr dahinter, dass er seinen Skaterhintegrund einbringt und einbaut und bisweilen ins Zentrum stellt.

Dass bei sowas dann dabeisteht, dass die Form an den da Vincis Vitruvianischen Menschen gemahnt, das kam mir fast wie eine etwas zwängliche Distanzierung von einem ab und zu einmal zitierten Kreuzigungsbildnis vor. Aber muss man den Shaun fragen.

Und in dem oben zitierten Wikipediaartikel hab ich jetzt noch den folgenden Absatz gelesen: „John McDonald [The Sydney Morning Herald], wrote a piece recently that questioned his appeal: ’Watching the inexorable rise of Shaun Gladwell during the past decade makes me feel like the only teetotaller at a drunken party.’“ Und so boshaft das klingt und all meiner oben formulierten Anerkennung zum Trotz, I can see where he’s coming from.

Was irgendwie dann auch immer interessant ist, ist die Ausstellung von KünstlerInnen, die sich als Aborigines oder Torres Strait Islanders identifizieren. Also, bisschen auf der Metaebene: weil die mir kommt vor, an den „traditionellen“ Sachen laufen die Leute oft einmal schnell vorbei. Auf der anderen Seite gab s im MCA auch ein paar KünstlerInnen, die mit viel deutlicheren Objekten ausgestellt waren. Da war beispielsweise eine Videoinstallation, in der die Ereignisse einer Ausschreitung anlässlich des Tods eines Aborigines in Polizeigewahrsam gezeigt wurden. Relativ linear, ein bisschen überschneidend, weil 2004 schon viele private Videokameras unterwegs waren und zusammen mit den Bodycams der Polizei lässt das einerseits die Wut der Bevölkerung und andererseits den Stress der Polizei gut zur Geltung kommen.

Im Erdgeschoß war dann noch ein kenyanischer Künstler ausgestellt und da hab ich schon auch wieder gemerkt, wie sehr der Kunstbegriff (mein Kunstbegriff?) an der Leinwand, und noch nicht einmal der Kinoleinwand, festgemacht ist. Das hat lustigerweise auch der Roman Signer im MONA-Interview gesagt: dass in seiner Jugend ein Künstler jemand war, der gut malen hat können. Ja, da hab ich einiges daran zu kiefeln, hier ein bisschen ein breiteres Verständnis zu entwickeln als alteingesessene SchweizerInnen aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts… Der Michael Armitage jedenfalls, malt zwar auf einem Material, das einen Bezug zu seiner Herkunftskultur herstellt (wo es traditionell als Leichentuch in Verwendung war), aber darauf ist Öl und es schaut mitunter auch ein bisschen aus wie ein Klimt. Easy.

Mangroves Dip (2015) „Sex Tourism is widespread along the coast of Kenya. Mangroves Dip is an image that can be read in multiple ways a tender portrait of a man dipping a woman into water or a reflexion on the sex industry.“ (aus dem Katalog)

Nun, es ufert jetzt schon ein bisschen über jedweden Beckenrand und ich bin erst den zweiten Tag in Sydney. Ja, so Städtetourismus braucht halt ein bisschen Reflexion. Ja, wahrscheinlich bin ich wirklich einfach ein bisschen zu viel Kopf…

And off again

Schon wieder auf dem Flughafen. Das war doch ein bisschen kurz, eine Woche Tasmanien… Hobart war auch sehr herzig, auch hier viel mehr so ein Charme, wie ich ihn in Neuseeland erlebt hab. Oder vielleicht, vielleicht wirklich nur, dass es eine kleinere Stadt ist. Oder dass es kalt ist und die Leute mit roten Ohren auf der Straße herumlaufen und sich mit fingerlosen Handschuhen an ihre wiederverwendbaren Bambuskaffeebecher klammern. Oder dass der Fahrer von meinem Skybus, der mich auf den Hobarter Flughafen bringt, dass der aufsteht und mich, als ich in den Bus einsteige, mir die Hand reichend, an Bord willkommen heißt. Wir sind dann auch nur zu viert im Bus gesessen, ja, war nicht viel los, Mittwochmorgens in Hobart. Das war nett. Überhaupt hatte ich kaum Zeit, mich wieder an die Freundlichkeit zu gewöhnen, die in Australien so gegenwärtig ist. Wieder, weil ich eben einerseits weniger unter Leuten gewesen bin im letzten Monat und andererseits man in der Melbourner Anonymität doch verhältnismäßig untergeht. I guess, es ist, dass ich ja weniger in Lokalen war und in Jugendherbergen und selbst in Geschäften weniger und in Museen. So war ich nicht einmal der professionellen und mich doch (oder deshalb?) berührenden Dienstleistungsfreundlichkeit ausgesetzt.

Schau, wie schön s in Hobart ist. Wie immer, ein bisschen blauer Himmel hilft, aber Arthur Circus ist wahrscheinlich bei jedem Wetter idyllisch.

Der Jonathan, mit dem ich ein Zimmer geteilt hab, der sich zum Theaterlehrer studiert und in seinen Uniferien eine Runde durch Tasmanien dreht, der ist so gut im Smalltalk, das war wirklich beeindruckend. Am ersten Abend hat der lange mit dem Brasilianer in unserem Zimmer getratscht, der seit sieben Jahren in Australien ist und jetzt nicht mehr weg kann, weil er nicht sicher ist, ob er nochmal ein Visum bekommt und wenn er draußen ist, ist er draußen. „Schau an, jetzt ist es schon halb zehn, da sind wir aber richtig ins Reden gekommen“, hab ich ihn am Ende ihrer Unterhaltung sagen hören. Auch der Brasilianer war nett, aber ich hab mit dem immer nur ein paar Worte gewechselt. Und dann hab ich mit dem Jonathan geplaudert und das ist auch schnell in einen Fluss gekommen. Und selbst am nächsten Morgen, da hat er sich mit dem vierten in unserem Zimmer unterhalten, der ihm von seinen Theorien über die Elemente und deren Repräsentation in den letzten Buchstaben unseres Alphabets erzählt, wie das W für Wasser stehe und X marks the spot, also ist das X der Erde gleichzustellen. Zuletzt habe sich ihm hier in Tasmanien das fünfte Element offenbart („revealed“): Steigung. Während die Chinesen, die hätten zwar immer schon gewusst, dass es ein fünftes Element gäbe, hätten es aber mit Holz oder Metall nicht ganz zu fassen bekommen. Also ja. Jemand, der sich ein bisschen in einen Wahnsinn verstiegen hat und ich kann ja solchen Typen kaum zuhören, weil sich mir alles zusammenzieht vor fehlenden Handlungsoptionen: wie soll ich umgehen mit so jemandem, zwischen Respekt für eine (irgendeine!) Überzeugung und meinem benevolenten Agnostizismus gegenüber transmateriellen Ideen. Jonathan hingegen souverän, vor allem zuhören, aber dann doch die eine oder andere Frage, die nicht einmal darauf hinausläuft, ihn auf das Glatteis seiner Hypothesen zu führen. Vielleicht, hab ich mir gedacht, vielleicht ist das einfach eine Notwendigkeit für eine multikulturelle Gesellschaft, für eine multikulturelle Gemeinschaft, einander zuzuhören, mit einander in Kontakt treten, ohne halt wirklich einander zu berühren, in der jeweiligen Identität. Aber halt einander doch irgendwie versichern, dass man eine Welt teilt. Vielleicht ist es auch etwas, was eine TheaterlehrerIn können muss, Leute einzubinden und dabei Platz für ihren Glauben zu lassen. Also wiederum nicht unbedingt im spirituellen Sinn, aber in der Bedeutung von belief, also im Sinne ihrer Überzeugungen, ihrer Kultur. Ich hab mich daran erinnert, wie ich in Melbourne mit V. und M. im Kino (Capernaum) gewesen bin und danach halt mit meiner Filmkritik losgelassen habe, ohne das böse zu meinen halt hier und da was auszusetzen gehabt habe oder Unverständnis gezeigt hab oder wo ich was anders gemacht hätte. Und die V., als intime Kennerin australischer Kultur mir nachher gesagt hat, dass man das einfach nicht mache, dass AustralierInnen so ausgleichsorientiert und konfliktvermeidend sind, dass so eine Kritik gleich sehr aggressiv wirkt.

Außerdem hab ich gelernt, dass insbesondere in der Primarstufe, alle australischen SchülerInnen Theater unterrichtet bekommen, was ich sehr super finde. In den höheren Jahrgängen ist es dann ein Wahlfach, aber mein Eindruck ist, dass uns das schon auch gut tun würde. Nämlich auch im Sinne von Verhalten in der Öffentlichkeit, wie man sich erlebt, wie man sich gibt, wie man in sozialen Situationen agiert und warum und ob man nicht vielleicht andere Optionen entwickeln möchte. Was ich aus dem Fernsehen vom amerikanischem Schulsystem weiß, haben die das ja auch dort. Kann natürlich sein, dass das wirklich nur als Plotelement besteht, dann hätten sie uns schön dranbekommen, mit ihrer Kulturindustrie. Und es könnte schon sein, dass das für eine Einwanderungsgesellschaft ähnlich positiv wie ordentlicher Sprachunterricht ist, ein Fach in dem praktisch der Umgang mit anderen Menschen geübt wird. Und ich glaube, dass wir in der Volksschule schon relativ viel mit Pantomime und so gemacht haben, aber das ist ja auch wieder was anderes und hat mehr mit Körperkontrolle und Feinmotorik zu tun. Und schon gar nicht mit dem Stellenwert, wo man sagt: Das ist jetzt ein eigenes Fach. Mit eigenen LehrerInnen. Und wir nennen es Theater, weil wir auch wissen, dass wir im Alltag eine Rolle spielen.

Das haben sie schon sehr schick gemacht. Da unten sind die Fenster des Restaurant „Pharos“ zu sehen.

Wenn in Hobart, geht man ins MONA, ins Museum of Old and New Art. Und da nimmt man eine Fähre (die und die fährt einen eine halbe Stunde den Fluss bergauf und dann ist da in den Berg ein Museum gegraben. Und da merkt man auch gleich wieder, dass Tasmanien bisschen mehr Neuseeland ist, wenn Neuseeland ein bisschen Skandinavien ist, weil das so skandinavisch gebaut ist ist. Mit den großflächigen, rostfarbenen Wänden, den scharfen Winkeln und den… naja. Den Säulen und den runden Fenstern und dem ganze Zusammenspiel mit der Natur, mit dem Meer und den Klippen und dem Humor, einen Tennisplatz direkt vor dem Eingang stehen zu haben. Ich bin ja jetzt auch keiner, der sich mit Architektur so gut auskennt, dass ich da jetzt die passenden Wörter für hätte. Der Hintergrund von dem Museum ist das irgendwer zu viel Geld gehabt hat und das offenbar dafür verwendet hat, dort ein schicki-micki Museum für Bobos hinzustellen. Wie ich am Anfang über das Gelände spaziert bin, hab ich ein bisschen an den André Heller denken müssen. Der Stil wäre nicht seiner, aber diese Idee, einen Raum zu schaffen, für die Kunst und für s Schlendern und für s Ausprobieren und daneben steht der Weinberg… Ein bisschen ein Größenwahn schon auch, diese Kontrolle über die Geographie, aber gleichzeitig der Rückzug… Und ich mein, das ist ja prinzipiell nicht falsch und es hat mir auch wirklich gut gefallen. Irgendwie hat s mich trotzdem angestrengt, vielleicht erschöpft mich diese Ästhetik, die postmoderne Leere. Vielleicht, hab ich mir nachher gedacht, hab ich einfach nicht genügend Kontakt mit anderen Menschen gehabt, in in den Sandstein gehauenen Museum, und dabei ein wenig professionelle Dienstleistungsfreundlichkeit vermisst.

„At first, only I saw it as a tower. I don’t know why the word tower came to me, given that it tunneled into the ground. I could as easily have considered it a bunker or a submerged building. Yet as soon as I saw the staircase, I remembered the lighthouse on the coast and had a sudden vision of the […] ground shifting in a uniform and preplanned way to leave the lighthouse standing where it had always been but depositing this underground part of it inland.“ (Annihilation, Jeff Vandermeer)

Dann geht s den Schacht runter und ich bekomme einen iPod in die Hand: wenn ich was wissen will, drückt ich auf den Knopf und dann zeigt s mir die Kunstwerke, die um mich herum sind und dann such ich mir dort eins aus und dann gibt s Namen der KünstlerIn und Namen des Objekts und was man alles an Info haben möchte. Manchmal gibt s Hintergründe zum Prozess oder zur Idee dahinter. (Und in selbstkritischer Unentschlossenheit wird das dann mit Art Wank überschrieben, der Kunstwichserei. Oh mei.) Oder speziell für Kinder aufbereitete Informationen, die meistens auch als Audio vorhanden sind, Interviews mit der KünstlerIn, was mir immer besonders gut gefallen hat. Und wenn man in einen Bereich geht, wo jetzt sagen wir, vielleicht mal eine Brust zu sehen ist oder ein Stroboskoplicht, dann sagt einem das Gerät auch: Vorsicht jetzt bei Kindern und/oder EpileptikerInnen. Oder dann auch wieder, dass das Gerät einem einen Bezug zur tasmanischen Gegenwartskultur herstellt, insbesondere halt bei lokalen KünstlerInnen. (Die können aber ruhig auch zugezogen sein.) Das ist schon sehr interessant, ich hör ja KünstlerInnen gerne zu, wenn sie über den Prozess reden oder über ihr Verhältnis zur Rezeption oder zur Rolle der Kunst in der Gesellschaft. Und um so schöner ist es dann, wenn sie sagen, ja, weiß nicht, überbewertet wahrscheinlich.

Und dann wiederum, muss ausgerechnet der österreichische Vertreter so unsympathisch rüberkommen, oder bin das nur ich? Jetzt zum Beispiel mit dem Roman Signer verglichen, einem Schweizer, für den die Tochter übersetzt, der so leicht vor sich hin philosophiert, der mir von der Befreiung aus dem Erklären-Müssen spricht, die Loslösung aus dem Nützlichkeitszwang. Unverbindlichkeit und Krise mit dem Selbstbild. Und da steht dann sein Fahrrad mit Farbe, das direkt übersehen wird, weil es eigentlich nur der Schatten einer Aktion ist. Während der Erwin Wurm mit seinem dicken Porsche in so vieler Hinsicht das Gegenteil darstellt. Nachdem er im Interview auf die Gierigkeit der Welt geschimpft hat, drückt er dann noch seine Missgunst gegenüber den Leuten aus, die sein Objekt sehen und es mit „haha, a fat car“ abtun.

Also kurz ein paar Sachen, die ich gut gefunden hab: Da war ein Deutscher, der hat so Wörter aus Wasser gemacht, die von der Decke fallen, die nach irgendeinem Algorithmus aus den Nachrichten gefischt werden. Und der hat im Interview davon erzählt, wie diese Maschine, die er erfunden und gebaut hat, halt mittlerweile zu Werbezwecken eingesetzt wird und wie sich das verselbstständigt hat. Das Objekt selbst ist auch quasi banal, insbesondere durch diese Entwicklung und Verkommerzialisierung seiner Kunst, aber ich finde den Prozess, durch den er da gegangen ist, das hab ich interessant gefunden. Mehr seine Reflektion als bit.fall selbst.

Zwischendurch ist ja auch Platz für die Old Art, die der Name verspricht

Da war eine Zeichnung von einer Russin, auf der alles drunter und drüber geht, aber zentral sind ein paar Frauen, die auf ein Förderband kacken und überall auf dem Bild wird sitzen Leute herum, die die Scheiße essen. Das war schon mal witzig, weil doch der Vladimir Sorokin in Norma eine Gesellschaft beschreibt, in der die Leute ihre monatliche Ration Scheiße zugesendet bekommen, feine Kinderkacke, wenn ich mich richtig erinner, die sie essen müssen. Ist das schon ein russisches Thema? Wiederum interessanter ist es durch das Interview geworden in der sie davon erzählt, wie schwer sie sich tut, ihre Kunst auszustellen, herzuzeigen und überhaupt, sich als Künstlerin zu erleben. Leider hab ich mir nie ihren Namen gemerkt, weil wenn man ein digitales Gerät mit allumfassendem Wissen bei der Hand hat, dann merkt man sich nichts vor lauter Kann-ich-ja-nachschauen. Nix kann ich nachschauen, weil die Museumsguide-App kann ich mir zwar auch auf s eigene Telefon laden, aber natürlich für Mäckers only.

Es gab dann einen Bereich, der der Hypothese gewidmet war, dass Vermeer eine bestimmte Technik angewandt hätte, irgendwas mit Camera Obscura und einem Spiegel. Und da waren nicht nur die Ergebnisse, die ein Amateur damit erreicht hat ausgestellt, sondern auch ein Tisch zum Ausprobieren, wo BesucherInnen mit der Technik ziemlich gute Ergebnisse erzielt haben.

An anderer Stelle sind ein paar Kurzfilme von einem Reynold Reynolds gelaufen, die ich ganz spannend gefunden hab, wie sie mit Zeit und Bewegung und so umgehen.

Unten ist halt eine Bar gewesen, wo sie sehr schöne würfelförmige Eiswürfel gehabt haben, schicke Kupfershaker, tätowierte, vollbärtige Barkeeper, lokalen Gin. Oben offener Kamin und guten Kaffee und selbstgemachter Kuchen. Ich mein, das ist schon alles sehr klar auf eine Zielgruppe zugeschnitten und ich hab mich wohl gefühlt und gefordert und unterhalten.

Allerdings hat das MONA am Dienstag zu und so stand ich am Dienstagmorgen bisschen verloren an der Fähre (ahja, man kann auf der Fähre auch zwanzig Dollar drauflegen und dafür in der Posh Pit reisen, wo s schick ist und wo getanzt wird und überhaupt: Partyabteilung) und hab kurzerhand mein rudimentäres Mittwochprogramm vorgezogen. Das war eh ein Glück, weil das Wetter einfach besser war am Dienstag. Und wenn die Sonne scheint, dann sind auch die zehn Grad sehr schön. Und so hab ich zuerst einmal ein teures Frühstück genossen, schicken French Toast und eine Kanne Darjeeling. Ich bin ja wieder auf Grüntee, seit ich Melbourne verlassen hab, da geb ich auch mal ein Geld für einen Tee aus. Dann bin ich zum botanischen Garten spaziert, gut unterhaltend, ich würde sagen, regelmäßig kichernd, weil mit der Horne Section in den Kopfhörern. Ich glaub, ein wichtiger Aspekt des Erfolgs von Podcasts ist dieses Zugehörigkeitsgefühl, das Gefühl da bei etwas dabei zu sein, in einer Gruppe, die Spaß miteinander hat. Es gibt eine gute Sendung von der Lindsay Ellis zur Authentizität von YouTubern, ich mein, ja, das ist alles ein bisschen ein Schmäh und nicht ganz neu. Witzig ist dann halt, wenn die Leute, die zu Gast sind, sagen, dass sie nicht gehen wollen, weil es so nett ist und eigentlich sind sie ja alle irgendwie ständig zuhause und allein und jetzt sind sie mal raus und eigentlich ist das ganz wunderbar, hier zu sein.

So ein schönes großes Schiff, das da im Hobarter Hafen steht. Und die leider die einzige Aurora Australis, die ich zu sehen bekommen hab. Ich hab mich auch nicht besonders bemüht, stimmt schon.

Anyway. Ich hab dann die Kopfhörer aus den Ohren getan, weil ich Papageien krächzen gehört hab. Und dann saß da einen Handvoll in der Wiese und ich bin ihnen ein bisschen nachgelaufen und plötzlich fliegt so ein riesiger schwarzer Kakadu vor mir auf und auf den nächsten Nadelbaum. Und dann höre ich plötzlich aus dem Wind heraus, wie s da knächzt und knuspert und da sitzen sie zu dutzenden in den Fichten oder Lärchen und knacken die Zapfen auf. Das hat mich ziemlich am Faszinationsfuß erwischt, dass ich da stehe, auf einer Wiese mit ein paar Nadelbäumen, fünfzig Meter von der Straße und da sitzen die Vögel und knacken Tannenzapfen bei fünf Grad. Weil die Tropen haben hier irgendwo ein Ende. Mount Wellington – auch namenstechnisch verschwimmen Tasmanien und Neuseeland, wo auch viel vom Herrn Tasman zu hören gewesen ist – liegt schneebedeckt am anderen Ende von Hobart, während neben mir ein Tannenzapfen aus zehn Meter Höhe einschlägt und ich mir denke, dass diese Vögel doch nicht so ungefährlich sind. Weil als ich den Papageien über die Wiese nachgelaufen bin hab ich mir noch gedacht, dass ich das kaum bei anderen Tieren machen würde, ihnen in der Wildbahn einfach so nachlaufen. Säugetiere, Reptilien, Spinnentiere… alle ein bisschen bewundern und dann Distanz halten. Bei Vögeln allerdings… ich denke es ist einfach das Bewusstsein, dass ich kaum je in der Lage sein werde, einen Vogel in eine Ecke zu drängen, sodass er nicht nur mit dem Rücken zur Wand stehen, sondern eben auch mit dem Kopf an die Decke stoßen würde. Aber wenn dann so ein Zapfen einschlägt, dann gehe ich doch ein paar Schritte zur Seite.

Der bewusstseinschaffende Zapfen verfehlt mich ca. zweiundvierzigste Sekunde.

Und dann hab ich ein totes Wallaby am Straßenrand gesehen und da ist der Spaß gleich ein bisschen gedämpft gewesen. Ich hab mir, bereits ein paar Schritte entfernt noch gedacht, da war doch was mit in den Beutel greifen, ob da nicht ein Joey drinsteckt. Aber hab ich auch gelassen. (Nachdem mein Wordprozessor nach wie vor das Wort „Wallaby“ unterwellt, hab ich dafür jetzt nachgeschaut und festgestellt, dass es e einen Dudeneintrag gibt, in der deutsch Wikipedia gibt s allerdings nur unter dem Plural – wobei der deutsche Plural „Wallabys“ nicht konsistent durchgehalten wird – einen Artikel, der noch dazu nur mit einem italienischen Artikel verlinkt ist und beispielsweise von der englischsprachigen Wallaby-Seite nicht zu finden ist. Witzig.)

Dann eine Stunde im Botanischen Garten spazieren gegangen und das ist vielleicht ein bisschen die falsche Jahreszeit, aber insgesamt halt schön. Wieder einmal nicht nur die Pflanzen selbst sondern auch Tafeln mit Informationen über den Prozess des Gartengestaltens und Pflanzensammelns und so. Ich war zum Beispiel überrascht zu lesen, dass die Rose aus China stammt. Also ihre Urform und die ist dann halt in den letzten zweihundert Jahren zu unseren Rosen gezüchtet worden. Oder dass die ganze Blumengartengeschichte ein Produkt des neunzehnten Jahrhunderts ist, also in England, wo einerseits der Reichtum, der durch die Industrialisierung breitere Menschengruppen erreicht hat, und die Menschen nicht mehr jedes Stück Land dafür genutzt haben, um Gemüse anzubauen, und andererseits eben die Welterkundungen des Empires neue Pflanzen und Blumen nach Großbritannien gebracht haben und sich so die Idee des Blumengartens entwickelt hat. Es ist naheliegend, aber man muss diese Überlegung schon auch einmal anstellen. Und dafür wird man mit einem schärferen Bild des Bürgertums belohnt.

Hier ist die Arthur Wall im botanischen Garten, das Original 1829 gebaut. Die Idee ist, dass vor allem früchtetragende Pflanzen in der Nähe der durch mehrere Kamine beheizbaren Wand früher im Jahr zu sprießen beginnen: „a popular and effective English garden technology of the era“. Und angeblich sind hier die ersten Ananas auf Tasmanien gewachsen.

Auf dem Rückweg bin ich dann noch schnell ins Museum geschlüpft. Das war auch gut, wirklich, wobei ich zugeben muss, dass ich s bisschen überflogen bin. Museumsfatigue? Maybe. Es war aber sehr gut aufgearbeitet, die Aborigines Sachen sind, wie mein brasilianischer Zimmerkollege oft einmal betont hat, sehr gut, das stimmt. Auch interaktiv und was zum Angreifen und Videos und alles drum und dran. Interessant fand ich dann aber insbesondere, dass die Kunst… Also eigentlich waren da zwei Sachen: da war zum einen eine Ausstellung zur Australischen Identität anhand von Keramik. Das find ich super, das war wirklich eine ganz interessante Sache. Weil einerseits war das historisch aufbereitet, quasi das letzte Jahrhundert durch und auf der anderen Seite halt verschiedene Einflüsse diskutiert, ob jetzt die Aborigines selbst oder die Inanspruchnahme von Aboriginesdesigns durch Europäischstämmige und eine eigene Diskussion von Begriffen wie appropriation und so… das ist Bildungsauftrag wahrnehmen. Bei freiem Eintritt.

Hier wird die Gleichheit vor dem Gesetzt von Aborigines und EuropäerInnen dargestellt. Wird immer noch dran gearbeitet, soweit ich das verstanden habe.

Und dann in der Galerie ist halt offensichtlich gewesen, dass Kunst auch Realität schafft, da waren halt auch vor allem Landschaftsmalerei von Tasmanien und einige Aborigines, die gemalt waren und auch Bronzestatuen und so, wirklich ganz interessant, wie so das Bild quasi vom Land und von den Leuten erfasst und gemacht wurde. Es gibt ein interessantes, wo im Hintergrund Hobart ist, mit dem Mount Wellington und so und man sieht ein bisschen den Rauch vielleicht aus der Industrie aufsteigen und die ordentlichen Häuser und Segelschiffe. Und im Vordergrund ist eine Gruppe nackter Aborigines, die um ein Feuer herumsitzen und tanzen und spielen und baden und zwei kommen von der Jagd und bringen tote Tiere. Und es macht diesen Gegensatz auf. Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass es entscheidet, welches Leben das lebenswertere ist…

Das linke Bild ist The Onlooker von E. Philipp Fox (1905). Kommt mir aus irgendeinem Grund total bekannt vor, aber ich könnte jetzt nicht sagen woher…

Außerdem gibt s ab einem gewissen Breitengrad dann auch gerne einmal eine Antarktisabteilung in den Museen. Das hat mir gleich total Lust gemacht, dorthin zu fahren. Nicht nur die Interviews mit den begeisterten ForscherInnen, und dem netten älteren Pärchen, die im Video als Polar Tourists unterschrieben waren. An einem Punkt waren sie sich so lieb einig, was für schönes Wetter sie an dem einen Tag gehabt haben, weil es hat nicht gestürmt und überhaupt kein Wind ist gegangen und man musste gar nicht alles anziehen, was man mit hatte.

Hier kann man schauen, wie groß der siebte Kontinent im Vergleich zu anderen ist. Und aus irgendeinem Grund helfen hier London und Wien, sich in Europa zu orientieren. (Von mir aus der achte Kontinent, wenn ich Zealandia mitrechne. Ein achter Kontinent der uns ein bisschen über den Verlust des neunten Planeten hinwegtröstet?)

Abends hab ich mir dann noch ein aufregendes Abendessen in einer schicken japanischen Bar geleistet. Schweinebacke. Da sagt die Kellnerin zu mir, dass das ein bisschen eine trennende Speise ist, wo einige Leute nur dafür herkommen, andere können es nicht leiden. Bisschen fatty, sagt sie. Ist ok, sag ich, das ist ja gut mit den pickles, die ich dazu bestelle. Da muss sie mir zustimmen. Es war dann wirklich gut und ich hab gemerkt, dass es einen Unterschied zwischen fatty und greasy gibt. Quasi fettig und ölig, aber irgendwie erwischt das das auch nicht besonders, weil wenn ich das so schreibe, nun, fettig ist schon besser als ölig, aber es kann kaum als gut beschrieben werden. Vielleicht hat fatty auch kaum was positives, aber hier war s gut. Mehr seidig als fettig.

Und das war s dann schon wieder mit Tasmanien. Das ist direkt schade gewesen, hab ich gemerkt, weil ich gerne noch auf den Berg gestiegen wäre oder einen Ausflug mit dem Schiff gemacht hätte, runter zum südlichen Leuchtturm, zu den Delphinen, den Robben und den Pinguinen. Und wenn man den Kreis ein bisschen weiter ziehen möchte, wenn man ins Auto steigen würde, dann gibt s die Strände und die Wälder und die Seen und die Berge und vieles davon auch mit Wildnis. Aber ich sitze schon wieder am Flughafen und warte auf meinen Flug nach Sydney. Jetstar hat ein bisschen Verspätung, aber das ist nicht ungewöhnlich. Der Warteraum zeigt Tasmanien nochmal von seiner skandinavischen Seite, selbst die Kaffeebars geben sich schick und individuell und in der Ecke ist ein großer Kinderspielplatz mit Klettergerüst und Bildern tasmanischer Fauna. Und der Humor steckt einfach darin, dass man am International Airport Hobart nur Flüge nach Australien bekommt. Vielleicht versteckt man seine Anstrebungen zur Unabhängigkeit hier einfach dort, wo alle hinsehen.

Alles Neu im März

Christchurch, Christchurch… Ōtautahi. Irgendwie ist es schon ziemlich ein Neustart mit dem ganzen Hier-in-Neuseeland-Ankommen. Dementsprechend brauch ich wohl einfach auch, mir einen Schreibrhythmus zuzulegen. Es ist ja plötzlich alles ein bisschen mehr Urlaub. Die Vertrautheit Melbournes hat sich zuletzt durchaus heimelig angefühlt und ich bin ja jetzt auch wieder unterwegs. On the road again… Busfahren und Hostelnächte. Ich hab meinen Zeitplan einmal für zwei Wochen y pico geplant. Und dann noch einmal zwei Wochen. Weil: ich bin draufgekommen, dass ein bisschen im Voraus sich die Sachen anschauen, gar nicht so schlecht ist. Pass auf:

Farn . Willkommen auf Aotearoa, der Insel der langen Wolke. (Das ist eine Jurassic Park Referenz all by itself.)

Ich wollte ja eigentlich gerne Wandern gehen. Deswegen flieg ich ans andere Ende der Welt, um eine gemäßigte Klimazone zu finden, in der die Berge Alpen genannt werden. Nicht nur, aber Wandern hat mir einmal eine gute Erfahrung gegeben und der lauf ich ein bisschen hinterher. Damals war s Schottland, heute ist es das hier. Und das Wandern ist gut organisiert in Neuseeland, let me tell you. Es gibt eine Website auf der man sich für die Walks und für die Übernachtungen auf den Walks anmelden kann, möglicherweise sollte und je mehr man auch irgendwo übernachten will, muss. Jetzt hab ich mir das schöne Buch vom Lonely Planet, das mir Hiking und Tramping in New Zealand näher bringen möchte seinerzeit im Buchgeschäft von Sagen-wir-einfach-es-wäre-Brisbane-gewesen nicht gekauft weil einerseits sollte der Fokus jetzt einmal auf Australien gelegt werden, in dem ich gerade angekommen war und zweitens eher unsinnige Sache, da sich jetzt mit einem zusätzlichen Reiseführer zu belasten. Hat sich auch bei dem Australienreiseführer übrigens als derartige erwiesen und er wartet – wenig durchblättert – in Melbourne auf mich. Man hat mir aber in Christchurch im Hostel einen ausgeborgt und ich hab mich darüber hergemacht.

Also nicht ganz so. Zuerst habe ich einmal einen deutschen Reiseführer durchblättert und mir die Attraktionen der Südinsel herausgeschrieben, mir zirka eine Route überlegt und mir ungefähr die jeweiligen lokalen Schönheiten notiert. Dann hab ich mir den Bus gesucht und gemerkt, dass ich mit dem nicht so locker herumkomme, wie ich mir das vorgestellt habe und dass die Entfernungen doch etwas größer sind, als man nach Australien annehmen möchte und eine zweite Rundfahrt entworfen. Dann hab ich festgestellt, dass die Hostels teilweise eine Woche voraus ausgebucht sind. Wo gibt s denn sowas, hab ich mir gedacht und neue Zwischenstopps in meiner Route eingelegt. Zwischendurch hab ich mir für den dritten April einen Flug von Nelson nach Auckland gekauft, weil ich dann doch auch Interesse an der Nordinsel bekommen habe, aber ich wollte dort nicht auch nochmal eine Runde machen. Fünf Wochen sind dann doch knapp. Und der Flug war entsprechend billig weshalb ich schnell einmal zugeschlagen habe. Damit hab ich einmal Realitäten geschaffen, was glaubst du. Jetzt natürlich kommt langsam der Wanderführer ins Spiel, weil ich mir jetzt Routen angeschaut habe und dann online nach availability gecheckt hab und bemerkt hab: die Routen, die ich mir aussuch, die sind für die nächsten zwei Wochen ausgebucht. Jetzt natürlich ist mir der Flug gleich wieder etwas im Weg gestanden und so günstig war er auch wieder nicht…

Alles halb so schlimm, ich hab mir eine Wanderroute etwas abseits ausgesucht, unten auf Steward Island, wo ich eh gerne hinwollte, weil s dort allerhand Vögel zu sehen geben soll. Und daneben ist noch die kleine Insel, auf der wohl allerlei Bodenvögel leben, weil es keine Marder, Katzen und Füchse gibt. Mit ein bisschen Glück findet sich dort auch ein Kakapo. Im Nachhinein hab ich noch festgestellt, dass die Übernachtungen mich erstaunlich günstig kommen. Es sind nur drei Tage, aber das ist wahrscheinlich ganz ok dafür, dass ich nur halb ausgerüstet bin.

Bis dahin ist s jedenfalls noch. Ich werde fünfundzwanzigsten bis siebenundzwanzigsten wandern sein. Falls ich verloren gehe und solche Sachen…

Jetzt, Christchurch. Das ist irgendwie eine nette Stadt. Die Architektur ist gleich so viel europäischer, grüner Rasen, Trauerweiden und mehrspurige Einbahnstraßen. Das kann ich mich nicht erinnern, in Australien gesehen zu haben, auf jeden Fall bringt mich das sehr durcheinander beim Straßenkreuzen. Weil, so wirklich hab ich das immer noch nicht heraußen. Natürlich, ich schau schon relativ automatisch nach rechts und dann nach links und dann vielleicht nochmal nach rechts, aber an T-Kreuzungen oder bei einem der auch hier häufigen Kreisverkehren komm ich doch bisschen durcheinander, von wo ich jetzt überall zirka ein Auto erwarten muss. Es ist immer noch die gewaltsame Übersetzung einer automatisierten Handlung in ihr Spiegelbild.

Nett sag ich, aber das ist natürlich nicht herausragend. Nein, würde ich auch nicht sagen. Sie haben sehr schön so einen Fluss eingebaut, mehr einen Bach, der so durch s Zentrum fließt – nämlich Christchurch upon Avon. Und das ist alles sehr natürlich inszeniert ist mit bisschen Bank und vielen Enten und Gräsern und kleinen Brücken. Inklusive der Rememberance Bridge, an der an ein heftiges Erdbeben von vor acht Jahren erinnert wird, bei dem hundertfünfundachzig Leute gestorben sind. Und das ist auch hübsch gemacht, mit einer Wand, an der die Namen der Opfer aufgeschrieben sind, oft auch in der Schrift ihrer Herkunftskulturen.

Christchurch hat einen großzügigen Park und Botanischen Garten, daran kann man sich ruhig auch bei uns ein Beispiel nehmen, aber die ganze Gärtnerei hat ja nicht unbedingt so eingeschlagen im deutschsprachigen Raum. Ich mein jetzt, dass man da eine eigene Kultur herum entwickelt hätte und nicht die französischen Gärten kopiert hat. Vielleicht muss ich mir den Nachsommer nochmal zur Hand nehmen, mag sein, dass meine Annahme da etwas widerlegt wird, zumindest literarisch.

Das Klima ist auf einen Schlag so viel angenehmer. Und ein Park und Bäume und alles ein bisschen wie… „normal“.

Na und dann das Museum. Ich hab mich kurzfristig gegen die Gallerie und für das Museum entschieden. Ich sag das jetzt einfach noch ein hundertstes Mal, dass ich dieses hiesige Konzept von Museum für besser halte, als ich mich von bei uns erinnere. Ich war ja in Melbourne auch noch schnell am letzten Sonntag, obwohl sie dort unerwarteterweise sogar Eintritt verlangt haben. Aber – auch das muss man sagen – es war es durchaus wert. Es war sogar um ein Eck besser, als was ich in Christchurch gesehen hab. Und das hier, nun, das war zumindest etwas lebendiger aufbereitet in vielen Fällen, als… wie gesagt: ich es von bei uns in Erinnerung hab. Jetzt wiederum: Ich hab von bei uns auch in Erinnerung, dass ich das Naturhistorische Museum trotzdem geliebt habe, auch wenn es keine Plaketten gegeben hat, die speziell Kinder zum Nachdenken und Ausprobieren gebracht haben. Aber ich bin letzten Endes auch kein Geologe, Zoologe, nicht einmal ein Paläontologe geworden. (Was mich, wo ich gerade vor lauter Hostelvideoschauen wieder Jurassic Park lese, doch mit ein bisschen Sehnsucht wurmt.)

Aber ich hab zumindest was über Maori gelernt und meine ersten Menschliche-Statuen-in-Glasvitrinen-Ausstellungsstücke gesehen. Die Maori sind etwa vor siebenhundert Jahren auf Neuseeland beziehungsweise Aotearoa gelandet und damit sind sie gerade einmal doppelt so lange hier wie die ersten EuropäerInnen, von denen der Herr Tasman sechzehnzweiundvierzig als erster hier gelandet ist. Überhaupt ist Neuseeland in vieler Hinsicht so viel anders als das gute Australien, das gleich daneben ist. Die Alpen, die auf der Südinsel die Geographie bestimmen, entstehen seit fünfundvierzig Millionen Jahren, aber so wirklich hat der Prozess wohl erst vor fünf Millionen Jahren angefangen und dementsprechend aktiv wachsen die Berge hier noch aus dem Boden. Ich würde sagen: Präpubertär.

Hinterglasjägerei.

Jetzt, kulturell hat mich die Auseinandersetzung mit den Aborigines drüben in Australien letztlich ziemlich sprachlos hinterlassen. Ich hatte eine kurze Unterhaltung mit der Ethnologin, die in der Frage kulminiert ist, ob dies mein erster Kontakt mit einer indigenen Kultur sei. Und: Ja, das ist es. Und ich merke, ich hab keine Ordnung dafür in meinem Kopf, keine Kategorien dafür, wie ich mit so viel Fremdheit umgehen kann. Interkulturelle Kompetenz ist etwas, was ich mir seit Jahren in die Sonstige Fähigkeiten Spalte schreiben würde, aber das ist etwas anderes. Das ist etwas ganz anderes. Wie soll ich bei null zu denken anfangen, ich hab den Kopf doch sehr in einem spät- bis postkapitalistischen, liberalen Multikulturalismusgebäude, bisschen ideologisch, bisschen idealistisch, bisschen pragmatisch. Und die Maori, merk ich, sind mir fremd, aber der Kulturschock scheint nur halb so schlimm: ich lese über Expansion und über Kriege zwischen den Maori und ich ich sehe Schmuck und Religion und Spiele. Und es gibt Ausbeutung der Natur. Aus dem, was ich über „die Kultur der Aborigines“ gehört habe, ist die Erhaltung des Gleichgewichts dort so zentral, dass es einfach fremder ist, als so ziemlich alles, was ich bisher kennengelernt habe. Nämlich überhaupt: Erhaltung: die sozialen Strukturen, die spirituell-kulturellen Erzählungen, das ökologische Gleichgewicht. So sehen wir sie heute. Aber auch das stimmt natürlich: Was wissen wir schon von den letzten vierzigtausend Jahren. Ich verstehe, dass die eine oder andere Gruppe vor zwanzigtausend Jahren eine Felswand als Tafel verwendet hat und die dort festgehaltenen Zeichnungen nach wie vor Teil des kulturellen Bedeutungsschemas der heute lebenden Nachfahren sind. Ich sehe, dass es komplexe und strenge Heiratsarrangements gegeben hat. Ich verstehe aber auch, dass die vielen hunderten Gruppen, die an den Küsten gelebt haben, möglicherweise ganz anders funktioniert haben und Handel getrieben haben mit den Nachbarn in Neuguinea und sich mit den Nachbarn gestritten und bekriegt haben. Aber auch: dass es Sprachgrenzen gibt, von denen ich noch nicht verstehe, wie tiefgreifend sie sind – die ständigen Vergleiche mit Europa kommen mir unsinnig vor, weil da Völkerwanderungen, Imperien und Nationalbewegungen Sprachgruppen ausgerottet und verschoben haben. Aber hier scheinen sich Nachbarn nicht verständigen zu können, die seit Jahrtausenden nebeneinander leben und ich weiß in Wahrheit nicht, wie fremd die hiesigen Sprachen sind. Und die Geschichten vom Bruce Chatwin sind noch einmal eine Sache für sich, was das Singen der Landschaft und die Verständigung über die verschiedenen Kulturen Australiens hinweg betrifft. Und es stimmt wohl eh nur die Hälfte von dem, was man mir erzählt hat und ein Viertel von dem, was ich mir gemerkt habe. Auch ich stopfe die Löcher in meinem Wissen mit Frosch-DNA.

Bingo!

Jetzt ist der Text natürlich längst von einer brutalen Wirklichkeit eingeholt worden. Weil entworfen hab ich das am Tag vor meiner Abfahrt aus Christchurch, am Tag vor dem Anschlag. Und am nächsten Tag stand ich zu Mittag an der Busstation, in der Hand ein vietnamesisches Schweinebauchbrötchen. Schulkinder sind mit Plakaten gegen den Klimawandel bzw. gegen die Untätigkeit der Politik angesichts des Klimawandels unterwegs gewesen. Und dazwischen ein Herr, der sein Fahrrad geschoben hat und gegen Autos und Kinder als die größten Faktoren der Umweltverschmutzung agitiert hat. Auch in Neuseeland gibt es Leute, die vielleicht ein bisschen Unterstützung bedürfen. Schön war, dass eine von den drei Mädels, mit denen ich bei zwei, drei Ampeln gewartet habe, auf dem Weg einen Mist von der Straße aufgehoben und mistkübelunterstützt entsorgt hat. Da hab ich mir gedacht, die meint das ernst, die lebt das. Weil ihre Freundin hatte nur ein „I’ve made a sign“ Schild.

Und beim Rausfahren aus Christchurch sind wir durch eine Absperrung gefahren. Aber ich weiß natürlich nicht, was „normal“ ist. Gewundert hab ich mich schon, dass ein lächelnder Polizist mit einem Maschinengewehr an der Straße gestanden ist. In ihrer ganzen karierten Uniform in bester britischer Die-Polizei-ist-eine-zivile-Macht-Tradition. Aber der Busfahrer hat genuschelt, das Lautsprechersystem hat geraschelt und das WiFi hat nicht funktioniert. Und so hab ich auch erst zwei Stunden nach den Anschlägen davon erfahren, dass was passiert ist. Als ich in Oamaru angekommen bin, war die Hostelrezeptionistin bisschen überrascht, die hat erst später mit uns gerechnet, wenn überhaupt, vor lauter Absperrungen.

Zu der Uniform passt eine Maschinenpistole einfach weniger gut als ein Meerschweinchen.

Na und dann hab ich zwei Tage lang im Apartmentblock des Hostels gewohnt, mit R. und L., die beide ein Frauenzimmer gebucht hatten. Aber im Hostel in Oamaru ging s bisschen drunter und drüber und da wurde improvisiert. Der Fernseher ist noch eine Zeit lang gelaufen und im neuseeländischen Fernsehen haben sie versucht, der Situation gerecht zu werden. Die Art und Weise, wie die ReporterInnen teilweise schlicht mit der Trauer und der Überraschung überfordert waren ist ein Bild dafür, wie wenig man in Neuseeland offenbar damit gerechnet hat, das man hier fremdenfeinliche Gewalt erleben muss. Und die Premierministerin Jacinda Ardern macht das vielleicht auch deshalb einfach irrsinnig gut, ist präsent und betroffen und hat als Konsequenz mittlerweile die Waffengesetze verschärft. Schneller als ich einen Blogeintrag fertig bekomme werden in Neuseeland halbautomatische Waffen untersagt. Und sie sagt: they are us – solidarisiert sich mit Muslimen als der angegriffenen Gruppe, stellt klar, dass das ein Anschlag auf Neuseeland ist. Und die Ermordeten bekommen Gesichter in den Zeitungen, in jeder Stadt finden sich Plätze der Trauer und Anteilnahme mit Blumen, Kerzen und Gedichten. Und der Name des Mörders bleibt unausgesprochen.