tausend Kilometer westwärts

Westwärts… das ist auch ein komisches Wort, oder nicht? Die Aliteration natürlich, ein Klassiker. Und dann schwingt da doch irgendwo die Versprechung des amerikanischen Jahrhunderts mit. Der Horizont, das neue Land, da verheißt doch irgendwas! Where the skies are blue.

Der Himmel, der eine, den die deutsche Sprache für diesen Fall zur Verfügung stellt, ist auch hier blau. Klirrend, klares himmelblau. (In meiner aktuellen Lektüre steht die Phrase “[the] sky was a clear cerulean”. Hab ich cerulean nachgeschaut: resembling the blue of the sky. Ist das schon tautologisch?) Ja, der Himmel. Blau. Und kalt ist es. Aber ich hab meinen Mantel und meine Schichten und D. bringt mir Handschuhe für unseren Spaziergang. Nicht die, sagt sie, als die grauen ein Loch haben und drückt mir die schwarzen in die Hand.

Kyiv überrascht mit freier Sicht auf den Himmel und hübschen Fassaden

Jetzt. So ist Kyiv schon ganz schön gewesen. Wenn mich D. rumführt dann hör ich doch viel Geschichte, ganz schön viel, ganz schön tragische Geschichte. Insgesamt ist es ja interessant, wie Ukraine an seiner Identität arbeitet, insbesondere vis-a-vis Russlands, das natürlich auch in vergangenen Jahrhunderten nicht immer nur eine guten Freundin gewesen ist, aber doch eine enge Beziehung seit langem. Und hier Eigenständigkeit zu entwickeln heißt halt auch Geschichte aus einer neuen Perspektive schreiben. Aber wie gesagt: Russland steckt überall in diesem Land drin, die Puschkinstatuen, das Bulgakowhaus und natürlich alles Sowjetarchitektur quer durch. In Odessa, so hör ich jetzt, reden die auch gar kein Ukrainisch. Da brauch ich mit meiner Unsicherheit, das nicht unterscheiden zu können, gar nicht schüchtern sein. Weil das wird wohl einfach Russisch gewesen sein.

Das Militär ist präsent ob persönlich oder als großflächige Erinnerung daran, dass das Land im Krieg ist…

Dass ich tatsächlich sehr schwammig bin, bei der jüngeren ukrainischen Geschichte, die Hintergründe für den aktuellen Krieg in Europa so überhaupt nicht parat hab… ich mein, das ist nur damit zu rechtfertigen, dass man sich darum in Mitteleuropa wirklich insgesamt kaum schert. Zumindest in der Öffentlichkeit. Vielleicht ist es auch bezeichnend, dass die deutsche Wikipedia Reaktionen der deutschen und der Schweizer Regierung auf die Revolution der Würde beschreibt, während Österreich auf der Seite nur mit einer (veralteten) Zitation der Oberösterreichischen Nachrichten in Erscheinung tritt. Österreich ist da auch gerade damit beschäftigt, nochmal eine Regierung zusammenzuschustern und der neue Außenminister findet möglicherweise einfach nicht die richtigen Worte. Was soll man sagen. Leute die dafür ihr Leben gegeben haben, um der Europäischen Union näher zu kommen. Das ist den ÖsterreicherInnen vielleicht auch nicht einfach zu vermitteln gewesen, was da passiert.

Na und jetzt läuft da immer noch etwas, was D. immer wieder casually als den Krieg im Osten bezeichnet. Ich mein, in dem Fall natürlich nicht schlecht, dass das Land so groß ist, aber wenn man s weiß, kriegt man s natürlich auch so mit, welche Präsenz das Militär hat. Und das sei nicht nur echtes Militär, sondern auch ZivilistInnen, die sich qua militärchic halt mit der Armee assoziieren, die das Land verteidigt. Das sind schon ungewohnte, unangenehme Realitäten, mit denen ich mich tausend Kilometer von daheim auseinandersetzen soll.

So grantig haben sie ihn vor seine Kyivresidenz gesetzt, den Mikahil B. Oder es ist ihm nur kalt in der dünnen Jacke, kann auch sein.

Tausend Kilometer sagt nämlich die Säule, zentral in Kyiv, die nationale und internationale Distanzen darstellt. Und zwar, sagt D., jeweils von Hauptpostamt zu Hauptpostamt. Zumindest bei den ukrainischen Oblasts, die internationalen wisse sie leider nicht. So was freut mich natürlich, weil ich es für so zivil für so bürgerlich halte. Dieser Begriff, der im Deutschen so schwierig zu fassen ist. Vielleicht weil das Staatsbürgertum insgesamt immer noch so schlecht zu greifen ist, weil es so viel Mühe kostet, die Staatsbürgerschaft von Herkunft und Hautfarbe loszulösen und mit Verantwortung und Engagement zu verknüpfen. Wenn die Sowjetunion das Postamt zum Mittelpunkt der Stadt gemacht hat, dann spricht das zwar nicht unbedingt für ihr demokratisches Verständnis (aber da muss man sich ja nichts vormachen), aber es hat doch etwas hübsches, die Kommunikation zwischen den BürgerInnen derart ins Zentrum zu stellen.

Die St. Andrews Kirche gerade unter Renovation. Aber man sieht hier auch gut, dass Kyiv zurecht für sich in Anspruch nimmt, auf Hügeln gebaut zu sein. Ein ständiges Auf-und-ab.

Häuser haben sie auch schöne gebaut, unterm Stalin. Aber das war s dann auch schon wieder: 1932/33 hat Stalin die ganze ukrainische Ernte nach eingeholt… also mehr beschlagnahmt, sodass die Menschen quasi bei der Ernte verhungert sind. In der Ukraine gilt das jetzt als Genozid. (Wie furchtbar, wie oft ich dieses Wort in der Gegend hier zu hören bekomme!) Die Europäische Union anerkennt das zumindest als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ich kann mich nicht erinnern, davon jemals was gehört zu haben, außer vielleicht als „Stalin war nicht gut“ zusammengefasst.

Die zwei Blöcke auf der linken Seite und der Turm im Zentrum gehören zu dem großzügigen stalinistischen Wohnblock. Ob das in Wien so sehr unter Denkmalschutz stehen würde, dass diese ganzen Satellitenschüsseln und Klimaanlagen verboten wären? Der Stern an der Spitze des Turms ist übrigens ukrainisch angestrichen. Bisschen blau-gelbe Farbe über das kommunistische Erbe…

Wenn ich mich ein bisschen besser mit der ukrainischen Geschichte auskennen würde, dann hätte ich mich vielleicht auch mit dem unangenehmen Brasilianer („…politisch ist Brasilien jetzt wieder auf dem rechten Weg…“) im odessaner Hostel auf eine Diskussion eingelassen, wenn er anderen die niedrige wirtschaftliche Produktivität Ukraines erklärt hat. Wenn s nur dafür gut gewesen wäre.

Wie gesagt: hunderttausende Eindrücke, hab ich den Eindruck, dass ich festhalten sollte. Aber natürlich geh ich spazieren, wenn mir so was einfährt und ich mitunter minutenlang über irgendeine Beobachtung nachdenke. Und wenn ich dann heimkomme, dann setz ich mich auch nicht an den Computer und tipp das alles rein. Manchmal mach ich mir unterwegs eine Notiz oder schreib mal ein paar Seiten voll, wenn ich ein Papier und einen Stift mithabe. Aber dann ist das auch erst einmal erledigt und findet jetzt nicht unbedingt auch noch ins Internet.

You have to be this tall to pray in this church

Als ich im Zug Odessa verlassen habe, sind wir an mehreren Wohnblöcken vorbeigefahren. Das ist natürlich nichts besonderes, dass man in den äußeren Bezirken hohe Wohnhäuser sieht. Was mir aber schon aufgefallen ist, war, dass auch die innere Aufteilung der Wohnungen überall gleich gewesen zu sein scheint, wo in einer Fensterspalte überall an der gleichen Stelle die Deckenleuchte zu sehen gewesen ist.

Die alten Männer im Park. Das ist nicht notwendigerweise die Phase in der Männer das Brettspiel für sich entdecken, aber es ist immer eine meiner liebsten Beobachtungen, wenn ich auf die alten Männer im Park treffe, wie sie über ihre lokalen Strategiespiele gebeugt sind. Hier in Kyiv wird natürlich Schach gespielt. Und zwar auch, wenn s draußen Minusgrade hat. Also, es war nicht so viel los, aber zumindest diese zwei Herren sind da gesessen, ein, zwei Zuschauer und – sehr professionell – eine Schachuhr war auch dabei. In Georgien hab ich interessant gefunden, dass sich im Parkspiel ebenfalls widerspiegelt, wie das Land zwischen verschiedenen Weltregionen liegt: da haben sie Schach gespielt, aber daneben haben zwei Herren um ihr Backgammon gewürfelt und am Ende des Tisches stand eine große Gruppe alter Männer um eine Dominopartie herum.

Man muss eine Stadt einfach lieben, die sich ihre Universitäten so anstreicht.

Die Tauben kommen mir hier so riesig vor. Aber das sind wohl nur die Federn, die sie aufplustern um sich warme Luftpolster zu schaffen. Heute hab ich eine gesehen, die gewirkt hat, als sei sie in einer kleinen Lacke festgefroren, aber ich glaube, sie hat sich aus dem Eis tatsächlich ein bisschen ein Wasser zusammengeschleckt.

Als ich diese Weichselteigtaschen probiert hab, hab ich unabsichtlich ein Geräusch gemacht, so gut waren die: Nng-wowowowow! Weil die Überraschung einfach so gut ist, in diesem aber derart geschmacksfreien Teig diese Sauerkirschenexplosion zu finden. Der einzige Nachteil ist, wie bei vielen positiven Überraschungen, dass man sich leider viel zu schnell daran gewöhnt.

In der Oper haben die Leute übrigens nach jeder Einlage Applaus gegeben. Und natürlich war das auch ein Publikum, die je nach Anzahl und Geschlecht ihre Bravos dekliniert haben.

Über die ukrainisch-orthodoxe Kirche hatte ein bisschen ein Imageproblem in den frühen Neunzigerjahren, nachdem sie so streng zu ihren BesucherInnen war, dass die sich alternative Kirchen gesucht haben. Also: strenger Dresscode, strenger Verhaltenscodex und solche Sachen. Nur mit sauren Gesichtern sollen die alten Frauen die Lockerung der strengen Regeln akzeptiert haben. Die Dame, die während meines Besuchs den Boden aufgewischt hat, hat auch sehr grimmig auf das sich küssende Pärchen (nicht im Bild) gestarrt und hat dann zumindest ihm gedeutet, dass er den Hut abnehme.

In Georgien, aber auch schon in Armenien sind ja wirklich viele Hunde herumgelaufen. Und aber eigentlich immer mit einem gelben Markerl im Ohr. Und das hab ich schon interessant gefunden, dass man so mit etwas umgeht, was ja ein Problem ist, weil man will ja keine Hundebanden, die die Stadt terrorisieren. Und ich nehme an, dass sie die fangen und kastrieren, vielleicht untersuchen und impfen, aber dann wieder wieder freilassen? Das ist irgendwie ein sehr tierlieber Zugang.

In einem überraschend interessanten Podcast hatte Macaulay Culkin den Wesley Crusher… Wil Wheaton zu Gast und es war eine wirklich interessante Unterhaltung, in der keiner von den beiden dabei zurückgehalten hat, über ihre jeweiligen Elternteile herzuziehen, die sie als Kinder in die Schauspielerei gezwungen haben. Und darüber, wie lange sie gebraucht haben, mit dieser kaputten Kindheit zurechtzukommen. Der Wil steigt am schlechtesten bei der Bemerkung aus, dass er findet, dass Discovery gutes Star Trek ist. Und der Mac kommt nicht so gut weg, als er feststellt, dass seine aktuelle Freundin so alt wie der Sohn seines Gasts ist. Auch wenn der in erster Linie das Kind seiner Frau ist. Und der Wil ist auch acht Jahre älter, stell ich grad fest.

Das sind die drei mythologischen Gründer Kyivs. Und ihre Schwester Lybbidie. Und warum die drei einen eigenen Wikipediaeintrag haben, in dem die Schwester nur nebenher genannt ist, das ist wohl das Patriarchat. Die Ästhetik ist ziemlich die gleiche wie bei den Plastikfiguren von Scythe. (Was mich wiederum daran erinnert, dass ich an einer anderen Statue zum ersten Mal verstanden habe, dass eine Sichel ihre Form auch hat, um eine Garbe Getreide zusammenzuhalten.)

Und Любэ. Seit ich in Armenien immer wieder Russisch zu hören bekommen habe, schwimmen mir regelmäßig die ein, zwei Nummern, die ich von der Band so halbwegs im Kopf hab, durch den Kopf und entwischen auch einmal den aufeinander gepressten Lippen – wenn s da auch nur ein gesummtes Entkommen gibt Also mehr so lautmalerisches Geheule. Und weil das damals ja ein exotisches Geschenk war, eine Audiokassette mit russischer Rockmusik… und ich fand manche Nummern tatsächlich ganz gut. Ah! Die Unschuld der sprachlichen Nackerbatzerln! Als ich meine Kenntnis und Wertschätzung der Band dann das erste Mal einer Russin gegenüber erwähnt hab, hat die schon einmal vorsichtig das Gesicht verzogen und nur ein bisschen angedeutet, dass da vielleicht ein bisschen Kontextinteresse vonnöten wäre. Nun. Die Band gibt s immer noch. Nicht nur das, der russische Präsident bezeichnet sie als seine Lieblingsband. Und auch der Sympathieträger Ariel Scharon hat wohl ebenfalls einmal seine Wertschätzung für die Band ausgedrückt. „Starker patriotischer Einschlag…“ sagt die Wikipedia. Und mir wurmt das das Ohr.

Und jetzt pack ich mich zusammen für einundzwanzig Stunden Zugfahrt.

Präscriptum

Ich bin schon wieder mit allem hinterher kommt mir vor. Das ist auch, weil ich so viel unterwegs bin. Einmal mit den Mädels, jetzt schon wieder länger on my own, aber ständig einchecken, auschecken… Ich setz mich ab und zu hin und schreib was, wenn s dringend ist, weil vieles ist einfach nur zu erleben und da tun die ganzen Fotos und selbst die Audioaufnahmen, das geht alles ein bisschen am Gefühl vorbei. (Manchmal denk ich mir, ich würde gerne den einen oder anderen Geruch einfangen.)

Ich mag Indonesien sehr. Es ist eine ambivalente Sache, das auf jeden Fall. Gestern bin ich in Surakarta angekommen, eine Stunde mit dem Zug nach Nordosten von Jogja. Auch hier haben die coolen Kids einen eigenen Namen für: Solo. Und weil man sofort merkt oder vielleicht weniger definitiv: weil ich sofort einmal den Eindruck hatte, dass mich Jogja wohl ein bisschen verwöhnt hat und eine Seite von Indonesien gezeigt hat, die nicht so sehr Java (im Gegensatz zu Sumatra) entspricht sondern sehr Jogja ist. Da ist mehr Tourismus (weil man von dort seinen Borobudurausflug macht) und überhaupt, so hat mir die junge Frau in ihrem ziemlich lässigen Kaffeeladen („I only have black coffee“) verraten, dass Jogja ein bisschen das San Francisco, der siebte Bezirk oder auch das Melbourne von Indonesien ist, sprich: die coolen Kids ziehen hin und gentrifizieren das muslimische Äquivalent der Unterwelt aus der Stadt. Naja, und der Tourismus bringt wohl auch Geld rein.

Jedenfalls hat mich Solo gleich mal wieder ein bisschen erschreckt und ich bin gestern Abend eine Stunde herumgelaufen, weil ich abends tatsächlich kein Restaurant gefunden hab. Also gut: eines hab ich gesehen, aber das hat so fancy ausgeschaut, da wollt ich nicht rein. Und einen McDonald’s hab ich auch gefunden. Und x Standln auf der Straße, die die BesucherInnen dazu eingeladen haben, auf den Teppichen, die sie am Gehsteig ausgebreitet haben, zu sitzen. Zugegeben, das hat auch ein bisschen gedauert, bis ich das entschlüsselt hab. Dafür riesige, hell beleuchtete Telefongeschäfte mit eigenem Parkwart davor. Was sind eure Prioritäten!, wollte ich gern ausrufen, meinen grummelnden Bauch übertönend. Ich hab mich dann in einem Sateladen neben meiner Gasse hineingesetzt. Weil der hatte ein paar Tische und Sesseln. Und das war dann eh schon wieder total nett. Die Tür in die Wohnung stand halb offen, in der die Tochter hin- und hergelaufen ist, während ich meine Spießchen gegessen hab.

Sate in the making

Kann sein, dass das Huhn nicht ganz dort war, wo man es haben will. Ich hab mich in der Nacht ein bisschen hin- und hergewälzt, und im Traum bin ich darauf aufmerksam gemacht worden, dass ich Blutflecken auf der Hose hab. Also hinten. Hat sich aber herausgestellt, ich hatte mich, wenn überhaupt, wo hineingesetzt. Halb so schlimm also… Als ich um halb fünf vom Muezzin von nebenan aufgeweckt worden bin (letzte Chance für Frühstück!), hat der Bauch dann auch ein bisschen gejammert. Aber ich hab dann noch ein bisschen geschlafen und da war s dann total ok.

Und nachdem ich dann heute Vormittag mehr mit Selbstorganisation verbracht hab – laut meiner ehemaligen Arbeitszeitaufzeichnung eine häufig notwendige Tätigkeit –, hab ich mich am Nachmittag auf einen ausführlichen Spaziergang hinausgewagt. Im Dunklen gestern hab ich ganz ehrlich nicht so viel mitbekommen, auf einer kleinen Verirrung hab ich mich für einen Moment sogar etwas unwohl gefühlt. Was ich sonst eigentlich nicht empfinde, wirklich nicht. Und im Hellen war s dann auch gleich was anderes. Und das beste an Indonesien sind e die Leute.

Ich hab mir das überlegt und einerseits wirke ich wie ein alter Mann, wenn ich mich jetzt gleich über die lachenden Kinder auf der Straße freue, die mich aus der Entfernung schon beäugen (oder auch nicht, in der Hälfte der Fälle spielen sie ohne Irritation weiter) und mir ein Hello! zurufen oder mich auch nur aus ihren dunklen Augen anschauen. Und andererseits überhaupt: dunkle Augen und was für eine eurozentristische Exotik lege ich hier den Leuten auf. Aber es wäre gelogen, würde ich meine Freude über diese Aufmerksamkeit leugnen. Ich war heute zum Beispiel bei der Statistikzentrale, weil ich die zufällig auf der Karte entdeckt hab und mir gedacht hab, das ist witzig. Und grad wie ich davor stehe, fährt eine Frau auf ihrem Moped raus und wir schauen uns an und auch wenn ich ihr Gesicht kaum gesehen hab (weil sie eine Atemmaske aufhatte) lächelt sie mir zurück, das sieht man ja auch in den Augen. Weil ich glaub, dass ich hier viel mehr mit einem Lächeln unterwegs bin als jemals irgendwo. Zum Teil ist es sicherlich einfach eine Maßnahme, um freundlich zu wirken, weil ich ja die Worte nicht wirklich hab. Und ich mein, ich such nicht ständig den Kontakt, ich bin schon viel auch wie e und je am Blickkontakt vermeiden. Wenn ich aber tatsächlich mal einen längeren Augenkontakt halte mit Leuten, krieg ich allerdings ein Lächeln öfter zurück als nicht.

Und so komm ich heute Abend in mein komisches Hotel zurück (um den Geruch im Bad ist s nicht schade, dass ich ihn nicht mitbringen kann, auch wenn er das Attribut komisch ansatzweise erklären würde) und bin schon wieder weitgehend versöhnt mit Solo, das mir gestern einen Schreck versetzt hat mit seinen Baustellen und seinen Straßenstandeln und das dadurch insgesamt erst einmal wieder fremder und unnahbarer gewirkt hat.

Noch eine Erinnerung: In Jogja war ich in einem Antiquitäten- und Kunstgeschäft und hatte dort ein längere Unterhaltung mit R., der Besitzerin. Ich wollte zuerst nur einen Blick auf die Masken werfen, die ich von draußen gesehen hab, weil ich mag das sehr, merke ich, diese javanesische Art. Ich hab das schon beim Löwen gesagt, aber diese Schattenspielfiguren und die Masken. Wobei, die sind schon unheimlich – und das war dann auch tatsächlich ausschlaggebend dafür, dass ich keine gekauft habe (so mühsam das auch gewesen wäre, die heil heimzubringen), aber ich hab das Gefühl mit so was an der Wand, muss ich auf Besuche meiner Nichte verzichten.

Jetzt ärger ich mich direkt, dass ich kein Foto gemacht hab, die waren nämlich weit schöner, als was ich hier jetzt schnell-schnell im Netz gefunden hab.

Das war s jetzt aber gar nicht. Ich mein, es war ein interessantes Gespräch darüber, dass sie dreisprachig aufgewachsen ist mit Indonesisch, Javanesisch (oder ihrem spezifischen Dialekt davon) und Arabisch. Und dass sie arm gewesen ist, aber dass (zumindest rückblickend würde ich ergänzen) kein Problem gewesen sei, weil sie das soziale Netzwerk hatte und sie geteilt haben und sich gegenseitig unterstützt und pipapo. Sie sei ihren Eltern zeitweise durchaus böse ob der familiären Armut gewesen, aber sieht das heute anders und kann heute dementsprechend froh darüber sein, die Erfahrung der Armut gemacht zu haben. Immerhin war s kein Hindernis, dass sie zum Beispiel auf die Universität gegangen ist. Als ich sie frag, ob ihr da der Islam irgendwie im Weg gestanden ist, als Frau und selbstständig und so… Das versteht sie s gar nicht wirklich: nein, nein, die Religion, das ist für sie sehr privat, Gott, das ist neutral für sie, sie müsse sich mehr vor sich selbst rechtfertigen.

Aber als ich zwei Tage später nochmal da war, dass ich doch noch was einkaufe von den schönen Sachen, ist sie nicht da, stattdessen sitzt eine kleine, bekopftuchte Frau in dem Geschäft, die sie entschuldigt. R. käme morgen wieder, am Nachmittag. Aber da bin ich dann schon weg, sage ich. Na, sie nimmt meinen Namen auf und dann reden wir halt ein bisschen und dann fange ich an, die Batiktücher näher anzuschauen. Und ich muss das mit dem Kopftuch immer noch und immer wieder betonen, weil das hier so eine andere Wirklichkeit macht. Weil das ist schon ein ordentliches, wo keine Haare sichtbar sind. Aber es macht für den Alltag nicht wirklich was aus, so scheint es mir. Weil diese kleine Frau ist fröhlich, lacht über ihre eigenen Witzchen und zupft an mir herum, als ich versuche, das eine oder andere Tuch als Sarong zu tragen. Und es ist im Kontext meiner Vorurteile eine fast surreale Situation.

Oder als ich mein Ronde noch bekommen hab (muss eine Empfehlung gewesen sein) und der Besitzer A. ganz unterhaltungslustig ist, damit ich seinem Standl, dass er da abends am Straßenrand aufstellt, eine Bewertung auf den Social Medias gebe. Oder bei denen, bei denen ich meinen Borobudurausflug gekauft hab, wo sich die eine darüber abhaut, als sie mir sagt, ich kann ja ohne Hemd gehen, wenn ich kein weißes hab (was für den Abend am Weisakfest ideal sei). Oder der Standlverkäufer von gestern Abend der seiner Frau belustigt dabei zuschaut, wie sie mich ohne Englischkenntnisse abkassiert und der mir heute wieder zugewunken hat, als ich vorbeiging. Es sind so kurze Momente, die sehr viel ausmachen in meinem Gefühl, wie ich auf den Tag zurückblicke. Und ich weiß schon, ebensowenig wie die Armut meiner Batikverkäuferin sollte ich meine Rolle hier romantisieren, ein bisschen mag ich es wohl einfach, reich zu sein und exotisch.

Naja, aber eigentlich ist das nur zwischendurch, weil in Wirklichkeit hab ich ein paar längere Texte zu den letzten zwei Wochen. Nur dass ich in den letzten zwei Tagen so gefordert war und zwischen dieses Land nicht verlassen und andererseits mich verkriechen wollen hin- und her bin, dass ich das kurz festhalten wollte. Es ist eh schon wieder kaum gelungen, weil auch wenn s vielleicht besser funktioniert als mit Fotos und Geräuschen, die ich auch mit Worten nicht festzuhalten imstande bin.