Ein eriwanster Eindruck

Gleich von Anfang an hab ich s schon gern. Ich will s natürlich auch gern haben, so ist das nicht. Und so geht s, gleich von Null weg. Und es ist gleich wieder so viel Europa. Warum, frag ich mich, ist das so viel Europa? Vielleicht ist es nur, dass die Architektur ein bisschen geradliniger ist, deutlich massiver, die Häuser Barrikaden gegen das kalte Wetter. Und wahrscheinlich stimmt das auch, dass es eh nicht viel anders ausschaut als manchmal auf Hokkaido. Und die Luft ist klar und der Himmel blau und die Berge hoch. Der Anflug war ziemlich imposant eigentlich, weil wir so über die Eben fliegen und am Horizont schießen mit einem Mal die Berge weit über die Schneegrenze. Aber Eriwan selbst: alles flach.

Gefällt mir gut, aber nicht zuletzt weil der Himmel aber so schön ist.

Weil ja, der Winter. Ich hab sofort den Eindruck, dass Eriwan im Sommer noch einmal eindrucksvoller sein könnte. Irgendwie ist das ja auch sowas, was in meinem Kopf nicht ganz präsent ist: diese Gegenden, in denen es im Sommer sehr heiß ist und im Winter trotzdem sehr kalt. Ich war ja seinerzeit auch in Rumänien schon etwas überrascht, dass die im Sommer locker in die Mittdreißiger kommen, aber es im Winter trotzdem friert. Aber ja, mittlerweile haben wir das ja in Wien ebenfalls. Der Süden kommt zu uns, ob wir ihn reinlassen wollen oder nicht. Na und hier stehen halt bereits viele abgedrehte Springbrunnen, ausgelassene Kunstteiche herum. Aber es ist warm genug, dass die Menschen auf den Parkbänken sitzen. Oder auf der Straße und Obst, ähm, feilbieten: Die Granatäpfel sind aufgestapelt, aber auch Pfirsiche, Zwetschgen, Äpfel und Sharon gibt s zuhauf, außerdem Walnüsse, oh, Walnüsse, säckeweise. Und das kann man alles direkt auf der Straße kaufen, aus Säcken, manchmal aus einem Auto. Man kann das aus einem kleinen Geschäft kaufen, in dem mich der Mann mit seinem fehlerfreien Englisch überrascht hat, oder man kann das im großen Supermarkt kaufen, in dem ich heute war. Der aber wirklich wiederum ein Supermarkt ist, so wie man sich das vielleicht vor hundert Jahren vorgestellt hat: Man kann ganz viel offen kaufen, Obst, Gemüse, Brot sowieso. Auch Käse, Fleisch und Wurst, ein paar Aquarien mit Forellen drin oder Garnelen. Aber es stehen eben auch Bottiche mit Kaffeebohnen (die man daneben dann mahlen kann), Reis, verschiedene Nudeln, Mehl und sogar manche Gewürze: Zimt erkenn ich, was gelbes, was rotes… steht offen herum und ist in kleine Säckchen abzufüllen. Hat mir sehr gut gefallen. Beim Käse hab ich außerdem eine riesige Maschine gesehen, ich glaub, die machen selber Käse im Supermarkt. Und was bleibt dann noch? Nun, ein Drittel des restlichen Supermarkts ist die Alkoholabteilung. Als ich an der Kassa die Frage nach einem Sackerl – scheinbar – verneine, stellt sie fest, gut, kein Sackerl und nimmt dann doch ein Sackerl für meine kleinen Einkäufe (Schokolade, Zahnpasta, Thymiantee). Immer noch verdutzt, was sie wohl mit ihrer ersten Frage gemeint hat, wenn sie mir dann erst ein Sackerl gibt.

Der ausgelassene Schwanensee. Ich weiß nicht, ob der nach dem Ballett benannt ist. Derzeit jedenfalls: no swan. no lake. Dafür Herbstsonnenuntergang in den Wolken.

Ja, ich kauf mir einen Thymiantee für den Hals. Kaum hab ich den Herbst eingeholt, erwischt mich die Verkühlung. Es gibt da verschiedene mögliche Ursachen und wahrscheinlich spielt das alles zusammen. Ich sag gern, dass es wohl damit zu tun hat, dass ich ja zum Arbeiten hier bin und das ist vielleicht jetzt unzutreffend, aber in den letzten Jahren hat mich mein durch die Arbeit strukturierter Lebensrhythmus und dazugehöriger Stress ganz sicher in zwei, drei Verkühlungen pro Jahr getrieben. Aber natürlich sind auch die gefallenen Außentemperaturen eine Überraschung für den Körper. Und noch spezifischer bin ich ja zuletzt elf Stunden lang in Novosibirsk herumgelegen, während ich auf meinen Anschlussflug gewartet hab und das ist vielleicht auch gar nicht so ohne. Überhaupt, das viele unterwegs sein diese Tage. Und in Bangkok hat vielleicht auch diese überraschende Feier ein bisschen beigetragen, mit dem vielleicht nicht ganz durchgegarten Huhn, auch das hat den Organismus etwas angestrengt.

Auf jeden Fall bin ich die ersten paar Tage in Armenien gleich einmal relativ viel daheim herumgelegen, mit dem Versuch mich zu schonen. Dann wiederum hab ich auch versucht, meinen Körper in Schwung zu bekommen und der Erkältung mit einer Aktivierung von Kreislauf und Immunsystem zu begegnen. Ich mein, ja, funktioniert beides entweder nicht oder aber was die eine Taktik funktioniert, kränkt mich die andere, so dass ich da eigentlich relativ in der Stabilen verharre. Es ist ja auch so, dass Krank-Sein nicht so einfach ist, zwischen Sich-Spüren und Konsequenzen für den Alltag daraus ziehen… Hat ja letztlich auch viel mit Verantwortung-für-sich-Übernehmen zu tun und ich merk bei mir die naheliegendste Reaktion ist immer noch, dass ich ja wohl damit heute nicht in die Schule muss.

Aber was ich seh von Eriwan gefällt mir wirklich. Da ist der verschwenderische Umgang mit Granatäpfeln, was mich zugegebenermaßen bezaubert. Da ist die märchenhafte Schrift, die aussieht, als hätte sich die DesginerIn auf den Buchstaben U beschränken wollen. Nein, es hat alles so einen Charme, den ich wohl rustikal nennen muss, weil es nicht genügend andere Wörter in meinem Wortschatz gibt. Steckt das Wort Rost im Wort rustikal? Es ist alles ein bisschen abgenutzt, abgewischt, eingezwickt. Wäsche in den Hinterhof hinaus. Manches wirkt vielleicht ein bisschen nach Sowjet-Chic, aber anderes wirkt auch älter oder ist das Neo-Jugendstil? Es gibt große, breite Straßen und Prunkplätze, es ist aber auch alles wieder mit Autos zugeparkt. Und wenn mitten im Zentrum gerade erst Anfang des Jahres ein großer Park zum zweitausendachthundertjährigen Jubiläum von Eriwan eröffnet wurde, dann wirkt das, als ob da noch einiges im Fluss wäre. Ja, es gibt hier auf jeden Fall die eine oder andere Tradition.

Das Außenministerium. Und davor steht Stepan Schahumjan (1878-1918), seineszeichens armenischer Revoluzionär. Nicht der einzige Bolschewist ist, dem im Zentrum Eriwans ein Denkmal gebaut ist (und schaut aus wie verhältnismäßig unlängst…). Plus, sein Wikipediaaufsatz (naja, der englische zumindest) erzählt uns, dass er gerne friedliche Lösungen für Konflikte gesucht habe.

Jetzt, die Leute, da hab ich mir schon in Novosibirsk gedacht, dass das schon ein massiver Unterschied zu den ThailänderInnen ist. Da sieht man dann oft einen Russen, der doppelt so viel Schultern, doppelt so viel Hals hat und bei den Armeniern ist das nicht viel anders. Und natürlich bin ich da beschämt, mit welcher Leichtigkeit ich die Armenier mit Cartoon Bösewichten assoziiere. Ich mein, das sind jahrelange mediale Wiederholung, die das tief in mich eingegraben hat! Aber mit ihren Lederjacken und den Jogginganzugshosen und den Drei-, Viertagesbärten und den Sonnenbrillen und den Kaugummis und und und

Was ich nicht ganz heraußen hab, ist die Beziehung zu Russland. Ich mein, klar, Teil der Sowjetunion und solche Sachen. Aber jetzt wird hier ja viel Russisch gesprochen auf der Straße und vieles ist in Russisch angeschrieben – ich fand das zum Beispiel relativ amüsant, dass im Englischen Garten die Wegweiser zu den Toiletten nur auf Russisch angeschrieben waren. Und ich werde auf Russisch angesprochen, weil von dort kommt der Tourismus offenbar in erster Linie. Und zu meinem Erstaunen muss ich sagen, diese russischen Einstiegsfragen versteh ich ja sogar oft, weil da ist ja auch der Kontext und da weiß ich schon zirka. Antworten kann ich dann allerdings nicht und so steh ich dann manchmal ein bisschen verloren, wo ich in der Rolle bin, eigentlich jetzt eine Antwort zu geben, aber ich kann meine Antwort halt nicht formulieren (oder bin mir auch gar nicht sicher, ob ich jetzt wirklich verstanden hab, kommt schon auch vor). Und dann muss ich erst wieder irgendwas auf Englisch stammeln. Weil lustigerweise stammel ich ja trotzdem auf Englisch. Ich weiß nicht, vielleicht wäre auf Deutsch stammeln gar nicht so verkehrt. Obwohl, die Jüngeren tatsächlich gut mit englisch sind, quasi die unter vierzig (o mei, wie sich die Bedeutung von die Jüngeren wandelt, auf dem eigenen Marsch durch die Lebensalter). Oder man macht halt das, was die JapanerInnen auch gern eingesetzt haben und lässt sich die Konversation vom Computer übersetzen. Mit meinem Taxichauffeur hatte ich so fast eine Unterhaltung. Ist wie Telefonieren, aber halt nur mit einem Telefon.