Gewöhnungsbedürfnisse

Ich hab letztens festgestellt, dass ich jetzt endlich die Autos von dort erwarte von wo sie kommen. Oder eben nicht und mich über die Straße gehen lassen. In Sydney gibt s Bodenbeschriftungen, wie ich sie in London auch in Erinnerung hab, die einem sagen, wo man schauen soll, wenn man über die Straße will und sie überraschen mich nicht. Nach einem halben Jahr in Australien, Neuseeland und Indonesien, wo sie überall auf der linken Seite fahren, hab ich s endlich in der Intuition, dass ich richtig schau. Selbst mitten auf der Straße, auch wenn das manchmal unübersichtlich ist, schau ich tendenziell auf die richtigen Fahrbahnen. Was ich schon mache, ist, dass ich manchmal zum Beispiel zuerst nach links schau, als ob von dort der früheste potenzielle Kollidor heranbrausen würde, aber dann schau ich auf die andere Fahrspur, also auf die weiter entfernte.

Das ist jetzt vielleicht nicht super interessant gewesen. Aber seit einer Woche denke ich jedes Mal, wenn ich über die Straße gehe, dass ich das jetzt intus hab und jetzt muss es einmal raus.

Auf der anderen Seite merke ich mehr denn je, dass ich immer noch Probleme hab, die Leute, nämlich die AustralierInnen in der einfachsten Alltagskommunikation zu verstehen. Also schon den Großteil. Mir fällt das… aber das führt jetzt schon ins Nächste. Also, wie gesagt: schon das meiste, ja, ja. Aber dann sagen sie zwischendurch ein Wort und das versteh ich nicht und manchmal kann man dann den ganzen Satz kübeln. So zum Beispiel am Flughafen in Hobart, als mich die Frau beim Einchecken fragt, whether I wanted a seat at the exit. Ja, witzig, gell, sollte man glauben, der Satz wäre nicht zu schwer und nicht einmal besonders überraschend im Kontext. Aber wenn ich da irgendwo das Wort Sydney drin verstehe, dann passen die anderen Laute nicht mehr in die Worte, zu denen sie eigentlich gehören und dann stehe süß lächelnd da und frage leise sorry.

Und das ist ja gleich der nächste Punkt, von wegen Gewöhnungsbedürfnisse: Die Damen und Herren in den britisch kolonisierten Ländern des fernen Südens sagen ja alle brav, wie wir s in der Schule gelernt und nie wirklich verwendet haben pardon wenn sie was nicht verstanden haben. Es ist ja eigentlich nicht so, dass ich Sachen, die ich in der Schule gelernt hab nicht auch brav bis zum heutigen Tag an- und verwenden würde. Und ich hatte sogar eine Phase, in der ich mich der leidigen sorries entledigen wollte und auch im deutschsprachigen Alltag lieber einmal pardon gesagt hab, aber halt weniger ein britisches paard’n eher ein französisches p’rdoo. Aber hier werde ich regelmäßig von unerwarteten pardon Äußerungen überrascht, weil ich s einfach von Mal zu Mal vergesse.

Na und weil ich s oben angerissen hab: Ich bemüh mich ja schon um Französisch. Aber das ist mehr das worauf das hinausgeführt hätte, weil angerissen hab ich vielmehr, dass ich zwar AustralierInnen im Großen und Ganzen schon versteh, wen ich gar nicht verstehe, dass sind FranzösInnen. Und es ist wirklich erstaunlich, weil immerhin ist das auch etwas, was ich in der Schule gelernt hab und ich mein, nicht dass ich irre gut war, aber zumindest im Verstehen und Vokabular und so, das ist prinzipiell… Ich will sagen, ich tu mir de facto leichter, ItalienerInnen zu verstehen. Weil denen versteh ich manchmal Wörter, die sie sagen, ich verstehe aber vor allem die Melodie eher, eher Satzstrukturen und Stimmungen. Ich hab in der Regel keine Ahnung, was FranzösInnen neben mir reden. Es ist bedrückend, aber ich kann die Sprache überhaupt nicht fassen. Und das ist schade, weil ich hab da ja durchaus ein Faible für, für das Französische. Das ist insbesondere beachtenswert, als mir schnell einmal eine Gänsehaut passiert, wenn mir sonst jemand mit nationalem Gschistigschasti kommt. Und hier konstruiere ich freudig einen nationalen Idealtypus, und dann diagnostizier ich mir auch noch einen Mangel an dem, was ich mir als konstituierend für das französisches Ego zurechtlege: Anspruch, Entschlossenheit, Selbstverständlichkeit, Widerstand und Revolution. Aber ja, ich nehme an, deshalb fahr ich da jetzt hin, also zumindest sprachlich wird Tahiti da ein bisschen eine Herausforderung werden, eine Herausforderung, auf die ich mich aber gerne einlasse. Und he: Tahiti.

Woran ich mich abschließend relativ schnell gewöhnt hab, wie man Sidney Sydney schreibt.